Was ist Theosophie? - Dr. Franz Hartmann - E-Book

Was ist Theosophie? E-Book

Dr. Franz Hartmann

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Beschreibung

Franz Hartmanns leicht beweglicher Geist hat während 25jähriger theosophischer Tätigkeit in Deutschland den Begriff Theosophie so und so oft schriftlich und mündlich formuliert und immer wieder neue, wunderbar anschauliche Ausdrucksweisen gefunden, um das, was ihm zum tiefsten Erlebnisse seines Daseins geworden war, seinen Mitmenschen nahe zu bringen und miterleben zu lassen, dass sie Die Wahrheit erfassen möchten wie er. Darum zählen die Aufsätze Franz Hartmanns über Theosophie zum Wertvollsten und sprachlich Schönsten, was er uns gegeben hat. In so hervorragender Vielseitigkeit hat noch kein deutscher Autor wieder das Thema Theosophie behandelt wie er.

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Seitenzahl: 312

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Was ist Theosophie?

Die theosophische Gesellschaft und ihre zwecke

 

 

Dr. Franz Hartmann

 

Keine Religion ist höher als Die Wahrheit

 

Tritt ein in das Reich Der Wahrheit und nimm an unserem Reichtume teil. Wir laden dich zu uns ein, und zwar nicht aus Eigenwillen, sondern aufgrund der Kraft des göttlichen Geistes, dessen Diener wir sind. (Aus den Schriften der Rosenkreuzer)

 

 

 

 

Verlag Heliakon

 

Titel: Was ist Theosophie?

 

2025 © Verlag Heliakon, München

Umschlaggestaltung: Verlag Heliakon

Titelbild: Pixabay

 

Verlag Heliakon

Raidinger Straße 29

81377 München

[email protected]

 

Herstellung: epubli - ein Service der neopubli GmbH,

Köpenicker Straße 154a, 10997 Berlin

Kontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung: [email protected]

 

Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verfassers unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.de abrufbar.

 

 

 

 

 

 

Inhaltsverzeichnis

Titelseite

Vorwort zur III. Auflage

Was ist Theosophie?

Theosophie-I

Theosophie-II

Was ist Theosophie?

Gotteserkenntnis

Selbsterkenntnis

Theosophie, die Erkenntnis der Wahrheit

Theosophie oder die wahre Erkenntnis

Die Religion der Zukunft

Philotheosophie

Theosophie und Philosophie

Theosophie und Theologie

Theosophie und Katholizismus

Wissenschaftliche Theosophie

Christliche und indische Theosophie

Theosophie, Metaphysik und Physik

Theosophie und Okkultismus

Theosophie und okkulte Wissenschaft

Theosophie und Geheimwissenschaft

Der Schlüssel zur Theosophie

Das Studium der Theosophie

Sind die theosophischen Lehren nur für die Gebildeten bestimmt?

Praktische Theosophie

Theosophisches Leben

Missverständnisse des Wortes Theosophie

Aussprüche von Dr. Franz Hartmann über Theosophie

Schüler der Theosophie und Theosophen

De Profundis

Bedingungen für den Fortschritt oder Regeln für die Schüler der Theosophie, die der höheren Erleuchtung teilhaftig werden wollen

Theosoph-I

Theosoph-II

Die Theosophen

Ist es notwendig nach Indien zu gehen, um ein Theosoph zu werden?

Die Theosophische Gesellschaft und ihre Verfassung

Dr. Franz Hartmann über die Theosophische Gesellschaft

Die drei Fundamente der Theosophischen Gesellschaft

Die Theosophische Gesellschaft und ihre Verfassung

Theosophische Vereine

Ist die Theosophische Gesellschaft eine Yoga-Schule?

Kurz gefasste Darstellung der Geschichte der internationalen theosophischen Vereinigung

Die Theosophische Gesellschaft in Indien und H. P. Blavatzky

Beitrag zur Geschichte der Theosophischen Gesellschaft

Kurz gefasste Darstellung der Geschichte der „Internationalen theosophischen Vereinigung“

Die Entwicklung der T. G. in Deutschland

Gesamtbild

Die Theosophische Gesellschaft in Deutschland

Dr. Franz Hartmann bei seiner Pioniertätigkeit für die T. G. in Deutschland

a. Ansprachen an die Mitglieder der Th. G.

b. Ansprachen an die Mitglieder der Th. G.

c. Ansprachen an die Mitglieder der Th. G.

d. Ansprachen an die Mitglieder der Th. G.

Die Echtheit der „Theosophischen Gesellschaft in Deutschland“

Internationale theosophische Verbrüderung

Äußerungen Dr. Franz Hartmanns über die I. T. V.

Anhang: Das theosophische Verlagshaus in Leipzig

Vorwort zur III. Auflage

Im Jahre 1912 hat die Individualität Franz Hartmanns ihre sterbliche Hülle verlassen. Seine geistige Hinterlassenschaft hat entsprechende Erben gefunden, die am Werk weiterarbeiten und die das Wort zu verstehen suchen. Seinem Angedenken soll dieses Buch gewidmet sein. Er war der erste bedeutende Pionier, der der Theosophie in Deutschland die Wege ebnen half. So muss die kleine Schrift, die unter dem Titel Was ist Theosophie bereits zwei Auflagen erlebte, nachdem sie in der Zeitschrift Theosophie zum ersten Male im III. Jahrgange gelesen werden konnte, bei der III. Auflage in einer besonderen Bewusstseinseinstellung in die Welt hinausgesandt werden.

Franz Hartmanns leicht beweglicher Geist hat während 25jähriger theosophischer Tätigkeit in Deutschland den Begriff Theosophie so und so oft schriftlich und mündlich formuliert und immer wieder neue, wunderbar anschauliche Ausdrucksweisen gefunden, um das, was ihm zum tiefsten Erlebnisse seines Daseins geworden war, seinen Mitmenschen nahe zu bringen und miterleben zu lassen, dass sie Die Wahrheit erfassen möchten wie er. Darum zählen die Aufsätze Franz Hartmanns über Theosophie zum Wertvollsten und sprachlich Schönsten, was er uns gegeben hat. In so hervorragender Vielseitigkeit hat noch kein deutscher Autor wieder das Thema Theosophie behandelt wie er.

Da das Interesse an der theosophischen Bewegung von Jahr zu Jahr wächst und noch kein ausführlicheres Werk über Theosophie erschienen ist, das begrifflich zu der reinen, hohen, undogmatischen Auffassung, wie sie Franz Hartmann vertrat, sich erhob, so machte es sich notwendig, unter besonderer Würdigung der verdienstvollen Arbeiten Franz Hart man ns, ein möglichst geschlossenes Ganze aus seinen Aufsätzen zusammenzufügen, in dem man alles Wesentliche über Theosophie und Theosophische Gesellschaft finden kann. Die chronologischen Tatsachen, wie sie in der Entwicklung der Theosophischen Gesellschaft zu vermerken waren, wurden ergänzt und fortgeführt.

Mit besonderer Energie hat sich Hugo Vollrath, der Begründer des Theosophischen Verlagshauses, Leipzig und Vertreter des Hauptquartieres der Theosophischen Gesellschaft in Deutschland, der literarischen Hinterlassenschaft Franz Hartmanns angenommen. Es muss als sein Verdienst gewürdigt werden, dass die klassische theosophische Literatur Deutschlands vor dem Schicksale der vollkommenen Vergessenheit oder dem Untergange in einem Winkelverlage, wo die Schriften, die auf höhere Welt- und Lebensformen hinweisen wollen, dem Egoismus, der Beutelschneiderei und der schwarzen Magie zum Opfer gefallen wären, bewahrt worden ist. Dass sie den Kreisen, die Suchende auf dem Pfade zur Wahrheit sind, immer weiter, bis in jüngste Zeit zugänglich gemacht werden konnten und der theosophischen Bewegung immer neue Freunde und Anhänger gewonnen und so eine Sache, die auf Reinheit und Wahrheit, auf die höchsten Ideale der Menschheit begründet ist, um ein gutes Stück gefördert haben, muss dankbar von jedem Schüler der Theosophie anerkannt werden.

Hugo Vollrath ist providentiell zu diesem Amte im Dienste der Menschheit berufen, er war ein Schüler Franz Hartmanns und bis zu dessen Tode freundschaftlich mit ihm verbunden. Zum Andenken an gemeinsame Reisen, auf denen er den großen Lehrer begleitet hatte, widmete ihm Franz Hartmann seine Mysterien, Symbole und magisch wirkende Kräfte bei ihrem ersten Erscheinen in Deutschland mit folgenden Worten:

Meinem lieben Freunde und Kollegen

Hugo Vollrath

zur freundlichen Erinnerung an unsere Kreuz- und Querzüge durch Deutschland und Österreich; mit herzlichem Gruß

F. Hartmann.

Wien. Dez. 1. 1902.

(Zum Vergleiche dient das Faksimile auf Seite II dieses Buches.)

Eine solche Freundschaft und Würdigung legt eine hohe sittliche Verpflichtung auf. Sie ist erkannt und in die Tat umgesetzt worden. Zum ersten Male werden jetzt nach Jahren langer Irrungen und Wirrungen die Ideale, die Franz Hartmann und H. P. B., einst über Theosophie und Theosophische Gesellschaft aufgestellt haben, im Hauptquartiere der Theosophischen Gesellschaft, Leipzig (Inselstraße 29) in reiner, undogmatischer Weise, ganz der Auffassung Hartmanns entsprechend, verwirklicht.

Das Werk Was ist Theosophie in seiner neuen Gestalt, das als das Erbe eines großen Geistes, der neuen Generation theosophisch Strebender überliefert wird, soll mit helfen an der Verwirklichung tlieosophischer Ideale in Deutschland. Es kann seinen Zweck nicht verfehlen, da es dem Einen Ziele dienen soll — mitzuwirken am Aufbau der Menschheit im Geiste und in »Der Wahrheit.«

Gisela Holz.

 

Was ist Theosophie?

Theosophie-I

Geschrieben im Jahre 1911

 

ἀλλὰ λαλοῦμεν ϑεοῦ σοφίαν ἐν μυοτηϱίῳ

τὴν ἀποϰεϰϱυμμένην ἣν πϱοὠϱισεν δ ϑεὸς

πϱὸ τῶν αἰώνων είς δόζαν μἡῶν

S. Paul. I. Korinth. II. 7.

 

Das Wort Theosophie ist zusammengesetzt aus dem griechischen Theos (Gott) und Sophia (Weisheit) und bedeutet die höchste Weisheit oder die Selbsterkenntnis Gottes im Menschen. Sie ist die Selbsterkenntnis des Wahren, die nicht auf Hörensagen, Beobachtungen, Schlussfolgerungen, Meinen, Dünken, Wähnen, Fürwahrhalten, sondern auf dem Offenbarwerden Der Wahrheit im eigenen Inneren beruht, und dadurch stattfindet, dass der Mensch zum wahren Selbstbewusstsein der ihm innewohnenden höhere Natur gelangt, wenn diese in ihm lebendig wird. Sie hat folglich nichts mit Fantasien, Träumereien und Hirngespinsten zu tun; sie ist über alle Verstandesspekulationen erhaben und wird deshalb vom Apostel Paulus in seinem Briefe an die Korinther okkult oder verborgen genannt, nicht weil man sie irgendjemand verbergen oder verheimlichen wollte, sondern weil nicht jeder reif dazu ist, sie zu erfassen. Sie kann nicht aus Büchern gelernt werden, sondern man findet sie nur dort im eigenen Inneren, wo das Licht, das aus den Höheren Geistigen Regionen des Weltalls stammt, sich in der Seele des Menschen, der dafür empfänglich ist, widerspiegelt, dort, wo im Heiligtum des Herzens das Gottesbewusstsein wohnt, von dem ein jeder Mensch einen Funken mit auf die Welt bringt, und der in jedem durch den Einfluss des Lichtes Der Wahrheit erweckt werden kann.

Um das wissenschaftlich zu begründen und zu erklären, müssten wir erst eine Beschreibung der Zusammensetzung des Kosmos1 und seiner verschiedenen Reiche, von den höchsten geistigen Sphären bis herab zum Materiellen und für jedermann Sichtbaren vorausschicken, um nachzuweisen, dass dem Menschen noch andere Quellen der Erkenntnis zur Verfügung stehen, als die äußerliche, sinnliche Beobachtung von Dingen in der Erscheinungswelt. Es muss jedoch an dieser Stelle genügen, zu wissen, dass wir alle selbst Geister und Seelen sind, obgleich wir materielle Leiber besitzen, und dass der Mensch infolge seiner zusammengesetzten Natur die Fähigkeit hat, mit allen Reichen in der großen Natur sich in Verbindung zu setzen, Wahrnehmungen zu machen und Eindrücke selbst aus den höchsten Regionen des Geistes zu empfangen. Ohne diese Fähigkeiten, die allerdings noch nicht allgemein entwickelt sind, gäbe es keine Intuition, Inspiration, Voraussicht, Weissagung oder geistige Erkenntnis.

Da nun jedes Prinzip in der Konstitution2 des Menschen sich nur mit dem ihm gleichartigen verbinden, die materiellen Sinne nur das materiell Sinnliche, der Geist nur das Geistige wahrnehmen kann, so folgt daraus, dass die Theosophie nicht eine Sache eines irdischen seelenlosen Verstandesmenschen ist, sondern dem innerlichen, zum geistig-göttlichen Leben erwachten Menschen angehört, weshalb auch der Apostel Paulus sagt, dass sie nicht für die Großen dieser Welt bestimmt sei, die zu nichts werden, sondern dass Gott sie von Anfang an denen, die ihn lieben, zu ihrer Herrlichkeit bestimmt habe. Zu den Großen dieser Welt, die zu nichts werden gehören aber alle die, deren Denken sich nur auf die vergänglichen Dinge dieser Erscheinungswelt bezieht, und sie mit diesen Dingen vergehen, wenn das Unsterbliche nicht zu ihrem Bewusstsein gekommen ist.

Den Prinzipien in seiner Natur gemäß gibt es für den Menschen eine sinnliche, psychische, intellektuelle und geistige oder vielmehr geistlich-göttliche Wahrnehmung und Erkenntnis. Auf jeder Stufe, auf der sich der Mensch befindet, können ihn Einflüsse und Eindrücke aus der zunächst liegenden höheren Stufe erreichen; er erblickt die höheren Daseinspläne wie durch einen Schleier. Aber erst, wenn er auf einer von ihnen zum Daseinsbewusstsein erwacht, wird er ihr Bewohner; dann erst wird ihm die Natur dieses höheren Daseins klar. Deshalb wird sich der erdgeborene Intellekt des Menschen vergebens bemühen, die Geheimnisse des Höchsten durch eigene Anschauung und Erfahrung kennenzulernen; aber der Geist Gottes im Menschen erforscht alle Dinge, sogar die Tiefen der Gottheit.

Gott ist die Wahrheit. Die Wahrheit ist Wirklichkeit. Sie ist das höchste denkbare Ideal; denn alles, was nicht wahr ist, ist eine Täuschung oder ein Schein. Die Selbsterkenntnis der absoluten Wahrheit ist die Gotteserkenntnis oder Theosophie, die hur durch die Verwirklichung des Idealen erlangt werden kann. Im Menschen selbst muss die göttliche Natur erwachen, wenn er zur wahren Selbsterkenntnis, d. h. zu der Weisheit gelangen will, die nicht dem sterblichen Menschen, sondern seinem unsterblichen Teile bestimmt ist. Diese Theosophie hat nichts mit Spekulationen und Beweisen zu tun; sie beruht auf nichts anderem als auf sich selbst. Die Wahrheit versteht sich für jeden, der sie einsieht, von selbst. Jeder Mensch hat, je nach dem Grade seiner Selbsterkenntnis, einen Maßstab, mit dem er bemessen kann, wie viel Wahrheit in einem Dinge enthalten ist. Ohne diese eigene Einsicht und Erkenntnis gäbe es für ihn keinen Beweis, weil er ja dann, auch die Wahrheit des Beweises nicht einsehen könnte. Die Wahrheit selbst aber bedarf keines anderen Beweises, als ihrer Erkenntnis; existierte ein anderer Beweis für sie, so gäbe es noch etwas Höheres als die Wahrheit selbst.

In diesem Sinne genommen, ist die Theosophie das, wonach unbewusst die ganze Menschheit strebt. Sie ist das Endziel aller Religion, alles Wissens, alles Unterrichtes, aller Erziehung; denn alle diese Dinge sollen nur dazu dienen, den Menschen zu bilden, sein geistiges Wachstum zu fördern und ihn auf den Weg zur Selbsterkenntnis zu führen. Ja sie ist das Endziel aller Entwicklung, denn alle Naturreiche streben zum Menschen empor, um durch ihn zur Wahrheit, zu Gott, zu gelangen. Die Erkenntnis Der Wahrheit ist das Alpha und Omega, der Anfang und das Ende alles höheren Strebens; denn ohne ihre Kraft gibt es keine Entfaltung der Wahrheit, und selbst der am meisten erleuchtete Mensch wird niemals etwas Höheres erlangen, als diese Erkenntnis selbst in ihrer Vollkommenheit.

Es gibt nur eine einzige, ewige Wahrheit, und alle, die sie erkennen, kennen sie so, wie sie ist. Sie ist unveränderlich. Da kann es keine Verschiedenheit von Meinungen geben; die Erkenntnis ist in allen Erleuchteten qualitativ dieselbe und kann nur quantitativ unter ihnen verschieden sein, je nachdem der Horizont des einen größer als der des anderen ist, und der nicht wechselt, wohl aber sich ausbreitet, je höher man steigt.

Alle Religionen, alles Wissen, alle Gelehrsamkeit ist nur insofern wahr, als Wahrheit darin enthalten ist. Die Grundlage aller dieser Dinge ist die Erkenntnis Der Wahrheit, und ohne diese haben sie keinen dauernden Wert. Was in der Religion wahr ist, muss auch wahr in der Wissenschaft sein; die religiöse Erkenntnis, wenn sie wahr ist, muss mit der wahren wissenschaftlichen Erkenntnis übereinstimmen, sonst ist die eine oder die andere falsch; denn Die Wahrheit kann nicht von sich selber verschieden sein.

Das Wort Religion stammt von dem lateinischen religere und bedeutet das, was den Menschen zu seinem erstem Ursprünge zurückbindet, und das ist nicht irgendeine Theorie, sondern die geistige Erkenntnis, das Erlebnis dieses Ursprunges selbst. Nicht der Weltverstand des Menschen kann Gott erkennen, sondern der himmlische Geist des Menschen ahnt, fühlt und erkennt seinen göttlichen Ursprung, und diese innerliche Erkenntnis wird der geistige Glaube genannt; er entspringt der Liebe zum Wahren und führt zur Theosophie. Je mehr die Seele des Menschen ihrem göttlichen Ursprünge sich nähert, um so mehr wird sie dessen Wesen berühren; aus der Berührung entspringt das Gefühl, aus diesem Affekte aber die Liebe, aus dieser die Kraft der Erkenntnis und die Vereinigung. So strebt der Mensch zur Gottheit empor. Liebe und Glaube sind die Flügel, die seine Seele zu jener Höhe emportragen, wo sein Geist das Licht Der Wahrheit schaut und dieses Licht seine Seele durchdringt und erleuchtet.

Theosophie ist nicht mit Theologie zu verwechseln. Die Theologie verhält sich zur Theosophie wie die Theorie zur Praxis oder das Wissen zur Kunst. Das Wort Kunst kommt von Können; das Wissen allein macht den Künstler noch nicht. Der Theologe, insofern kein Theosoph in ihm verborgen ist, weiß, der Theosoph kann. Der eine lehrt, der andere wirkt. Um ein Theologe zu werden, dazugehört nicht viel mehr als etwas Verstand und ein gutes Gedächtnis, aber niemand kann ein wirklicher Theosoph werden ohne den Geist Der Wahrheit, der das geistige Licht und Leben der Menschen ist. Auch kann jedermann ein Gelehrter werden, wenn er lange genug in die Schule geht, aber ein Gelehrter ist deshalb noch lang kein Genie. Ein Mensch kann die theosophischen Lehren aller Weisen und die ganze Bibel auswendig lernen und deshalb doch keine Selbsterkenntnis haben, wie man auch einem Blinden alle möglichen Theorien in Bezug auf die Natur des Lichtes lehren, ihn aber deshalb doch nicht zum Sehen bewegen kann.

Die Theologie handelt von dem göttlichen Lichte, die Theosophie ist dieses Licht. Ohne einen Funken des heiligen Feuers, aus dem dieses Licht entspringt, wäre der Mensch höchstens ein intelligentes Tier. Ohne das Erwachen eines höheren Selbstbewusstseins alas das persönliches, lebt der Mensch nicht in Wirklichkeit und kennt sich nicht selbst. Tatsächlich ist ein überaus großer Teil der Menschheit nur in einem Traumleben befangen. Ein Mensch kann äußerlich noch so lebendig, intellektuell, scharfsinnig, schlau, leidenschaftlich, usw. und doch geistig bewusstlos, ja sogar geistig tot und keiner höheren seelischen Regung fähig sein. Die Menschen leben in ihren Vorstellungen, aber nicht in Wahrheit. Sie sind in diesen Vorstellungen glücklich oder unglücklich, freuen sich oder leiden, und dennoch ist ihr Leben nur ein Traumleben, solang sie noch nicht zum wahren Selbstbewusstsein gekommen sind.

Nur in dem Grade, in dem der Mensch zu sich selber gekommen ist, lebt, denkt, fühlt und handelt er selbstständig; in einem Wesen ohne wahres Selbstbewusstsein, d. h., ohne das Bewusstsein seines unsterblichen Selbstes, denkt und wirkt die Natur. Es ist gleichsam ein Zentrum und Werkzeug, in dem nicht seine eigene göttliche Kraft, sondern der Erdgeist wirkt. Es ist nicht Herr über seine Empfindungen oder Wahrnehmungen, noch über sein Wollen und Denken, und wenn sein Körper im Schlafe liegt, so ist es mit seinem Daseinsbewusstsein vorbei. Aber der zum höheren Selbstbewusstsein völlig erwachte Geist schläft nicht. Was für andere Nacht ist, ist für ihn der helle Tag.3 Er tritt in ein höheres geistiges Dasein ein. Mit jedem Erwachen zu einem höheren Bewusstseinszustande eröffnen sich die Tore zu einem neuen Leben; es findet gleichsam eine Geburt in ein neues Dasein statt.

Theosophie ist Gotteserkenntnis; aber wie könnte ein sterblicher Mensch die Gottheit erkennen!

Ein Gott, den der Mensch mit seinem Hirnverstande begreifen könnte, wäre weniger als ein Mensch.

Weisheit ist Selbsterkenntnis, und da ein Wesen nicht von etwas, das es nicht selber ist, Selbsterkenntnis erlangen kann, so kann die Theosophie auch nur durch die Vereinigung mit dem Göttlichen erlangt werden. Der fromme Johann Schettler (Angelus Silesius) sagt in seinem „Cherubinischen Wandersmann“: Willst du zu Gott kommen, so werde Gott.

Nur Gott allein kann sich selber als Gott erkennen; nur das, was göttlich ist, erkennt die eigene Göttlichkeit in seiner Natur. Je mehr sich die Seele dem göttlichen Zustande nähert, um so mehr wird sie selbst göttlicher Natur und von dem Lichte, der Kraft, der Heiligkeit, Macht und Herrlichkeit des göttlichen Daseins erfüllt. Der fromme Schwärmer betrachtet Gott als etwas Objektives, Fremdes und Fernstehendes, als einen Gegenstand der Hoffnung oder Furcht: der Erkennende fühlt sich selbst von dem Leben Gottes durchdrungen. Der Unwissende schafft sich in seiner Vorstellung irgendein Bild von Gott und betrachtet dieses Erzeugnis als Gott; der wahre Jünger der Theosophie erkennt in sich selbst und in allen Dingen das darin verborgene und nach Offenbarwerden strebende göttliche Ideal.

Da Gott die alleinige Wahrheit und Wirklichkeit ist, so ist er auch das alleinige, unteilbare Wesen aller Dinge, der Ursprung aller Geschöpfe und folglich deren innerstes, wahres Selbst. Um dieses Selbst kennenzulernen, dazu muss es in uns selbst offenbar werden und zu unserem Bewusstsein kommen. Wenig würde es uns nützen, intellektuell an das Dasein des Sonnenlichtes im Weltenraume zu glauben, wenn wir selber im Finsteren säßen und kein Licht hätten. Wenig würde es uns nützen, über das Wesen des Heiligen Geistes zu dogmatisieren, wenn dieser Heilige Geist der Selbsterkenntnis nicht in unserem Inneren offenbar werden und uns Licht und Klarheit bringen würde. Um das Tageslicht zu erblicken, müssen wir die Augen öffnen, solange es Tag ist; um den Geist der Selbsterkenntnis zu erlangen, müssen wir unser Herz der göttlichen Liebe und Weisheit eröffnen und ihn empfangen. Friedrich Schiller gibt uns die beste Vorschrift zur Erlangung der Theosophie, indem er sagt:

Nehmt die Gottheit auf in eurem Willen

Und sie steigt herab vom Weltenthron.

Wie kleinlich dagegen sind die Vorstellungen jenes scheinbar frommen Aberglaubens, des krankhaften und verwerflichen Mystizismus, aus dem der Wahn entspringt, dass der Herr des Weltalls ein persönlicher Gott sei, der von außen die Welt nach Willkür regiert, menschliche Schwächen hat und sich durch Bitten oder Überredung bewegen lässt, seinen Willen zu ändern! Ja es gibt sogar nicht wenige, die glauben, dass Gott gleichsam abgedankt und seine Herrschaft dem Klerus übertragen habe, und dass man ihm nur durch die Vermittlung und Fürsprache von dazu Angestellten beikommen und von ihm Begünstigungen erlangen könne. Im Grunde genommen ist in der Vorstellung solcher Gläubigen Gott nur dazu da, um ihre selbstsüchtigen Wünsche zu erfüllen. Für sie ist ihre eingebildete Selbstheit der Gott, den sie im Grunde ihres Herzens anbeten, und dem sie den Herrn der Welt dienstbar machen wollen, statt ihm zu dienen und seinen Willen zu tun. Ihre erkenntnislose Liebe bezieht sich nicht auf Gott, wenn sie auch vorgeben, ihn zu lieben, sondern nur auf die Wohltaten, die sie von ihm zu erhaschen hoffen.

Gott ist das Höchste in allem und folglich auch selbst das Gesetz. Wer dieses Gesetz erfüllt, das auch in allen Religionssystemen gelehrt wird, der erfüllt den Willen Gottes und erlangt dadurch die Vereinigung mit Ihm. Dieses Gesetz ist aber auch in das Innerste des~Herzens der Menschen geschrieben. Wer es erkennt und Seinen Willen vollbringt, der findet dadurch den Ursprung Seines Daseins, sich selbst. Dieses Gesetz ist die uneigennützige, erkennende Liebe; aus ihr ging die ganze Schöpfung hervor.

Wie wir sehen, hat diese Art von Theosophie nichts mit Magnetismus, Hypnotismus, Spiritismus, Mystizismus, Okkultismus oder anderen ismen gemein; auch ist sie weder antichristlich noch antireligiös, sondern sie ist die Selbsterkenntnis Der Wahrheit und dadurch, dass der Mensch zu sich selber kommt und Die Wahrheit in seinem Inneren findet, werden ihm auch die in allen Religionssystemen verborgenen Geheimnisse klar.

In unserem heutigen Zeitalter leben die Menschen vielmehr außerhalb ihrer selbst und zerstreuen und verschwenden dabei ihre Kräfte,4 statt sie zu ihrem innerlichen Wachstum zu verwenden, nur für äußerliche Dinge, die, wenn sie gleich für dieses äußere Leben, das dem einer Eintagsfliege gleicht, einen relativen Wert haben, dem Eigentümer doch nichts nützen, wenn sein körperliches Dasein zu Ende ist. Um wie viel wertvoller wäre es, nach dem zu suchen, was zu einem höheren Dasein führt! — Damit ist nicht gemeint, dass ein Mensch sich um nichts in der Welt bekümmern, in Unwissenheit bleiben und sich in das enge Schneckenhaus seiner Persönlichkeit zurückziehen solle; denn da ging er sicher mit seiner Persönlichkeit zugrunde; vielmehr besteht die Theosophie darin, dass sie in allen Dingen Die Wahrheit erkennt und jedes Ding nach seinem wahren Werte zu schätzen weiß. Aus diesem Grunde sucht auch ein vernünftiger Mensch nicht bei Egoisten, Träumern und Fantasten, Medien und abgeschiedenen GeisternRat, sondern bei denen er glaubt, dass sie Weisheit besitzen. Die wahre Selbsterkenntnis und Einsicht begreift in sich das Wesen aller Dinge; denn alles Dasein ging aus der göttlichen Weisheit hervor. Sie ist die Kraft, durch die der Geist das Wahre in allen Religionen, Philosophien und Wissenschaften begreift. Alle großen Entdeckungen gehen aus einer Erkenntnis der Naturgesetze hervor, und diese Gesetze sind im Grunde genommen die Offenbarungen des Gesetzes Gottes in der Natur.

Der Geist Gottes ist in allen Dingen enthalten, vom Atom bis zum höchsten Sonnensystem. In allen Dingen ist Leben und Bewusstsein, weil alle Dinge Offenbarungen des Einen Lebens im Weltall sind. Das hat die wahre Wissenschaft schon längst erkannt, und die Schriften der Weisen aller Völker bezeugen es. Die Bibel sagt: Im Anfange war das Wort, und das Wort war Gott und alle Dinge sind aus demselben geschaffen. Da nun das Wort selber Geist, d. h. Bewusstsein und Leben ist, so ist auch Leben und Bewusstsein in allen Dingen enthalten, und je höher entwickelt die Organisation der Formen ist, die das Leben sich schafft, um so höher ist auch die Offenbarung des Lebens in ihnen.

Gott, das eine Leben im Weltall, ist keiner Veränderung unterworfen, aber die Formen verändern sich, und in ihrer Entwicklung offenbart sich in ihnen die Lebenstätigkeit. Der Geist bleibt derselbe, aber die Art seiner Äußerung hängt von den Formen ab, mit denen er sich verbindet und die seine Gefäße und Werkzeuge sind. Geist ohne Materie ist nicht offenbar, aber wenn er sich mit der Materie verbindet, so ruft er in ihr bestimmte Eigenschaften hervor. Die Ursache, dass nicht alle Dinge selbstbewusst und vollkommen sind, liegt an der Unvollkommenheit ihrer Formen.

Das Bewusstsein ist nur eins, aber es äußert sich in einer Auster anders als im Menschen. Alle Formen, die die Natur gebiert, sind Gefäße des Geistes. Er verleiht der Rose ihren Duft und kleidet die Natur in ihre Farben; er gibt dem Menschen seinen Verstand und dem Tiere Instinkt. Seine Werkzeuge zu verbessern, ist die Aufgabe der Entwicklung.

Was ist Leben? Überall finden wir Leben und Bewegung, Anziehung und Abstoßung. Wärme und Licht, Elektrizität und Magnetismus sind Formen des Lebens. Im Mineralreiche finden wir schon Neigungen und Abneigungen, chemische Wahlverwandtschaften, Verbindungen und Scheidungen, die in mancher Beziehung denen der Menschen ähnlich sind. Im Pflanzenreiche haben wir höher entwickelte Organismen, die aus einem feineren Stoffe gemacht sind. Da findet sich schon eine Zirkulation von Säften; da regt sich die Pflanze dem Lichte entgegen, und die Blumen öffnen ihre Kelche unter dem Einflüsse des Lichtes. Unter den tierischen Formen, zu denen auch der materielle Körper des Menschen gehört, finden wir bedeutend höhere Bedingungen zur Offenbarung des Lebens. Da zeigt sich schon Denktätigkeit, Intelligenz und Verstand. Auch die Tiere, von der Ameise bis hinauf zum Elefanten denken und übertreffen mitunter den Menschen an Klugheit. In der Gattung Homo sapiens erreicht die sichtbare Form den Gipfelpunkt der Entwicklung zur Offenbarung der höheren Lebenstätigkeit.

Hier beginnt eine höhere Stufe der Entwicklung. Hier finden wir Kräfte, die nicht dem tierischen Organismus angehören, für die aber doch ein Organismus vorhanden sein muss; denn sonst könnten sie sich nicht offenbaren. Dass wir diesen Organismus nicht mit unsern körperlichen Augen sehen können, tut nichts zur Sache; denn unsere physischen Augen gehören dem physischen Körper an, dessen Sinne sich nur auf äußerliche physische Dinge beziehen. Der geistig entwickelte Mensch aber hat die Kraft, sich in sich selbst zu versenken und sich innerlich selbst zu betrachten.

Auch das Tier nimmt wahr, dass es ein von anderen Wesen verschiedenes Ding ist, und aus dessen Bedürfnis, für sein individuelles Dasein zu sorgen, entspringt sein Egoismus. In einem höher entwickelten Menschen aber finden wir jenes höhere Ichbewusstsein, durch das er die Eigenschaften seiner Persönlichkeit beherrscht. Hinter diesem Bewusstsein ist die Ahnung eines noch höheren Zustandes zu finden, das Gefühl des All-Ichs, gleich einer dämmernden Erinnerung aus jener Zeit, da er noch nicht an die Materie und ihr Sinnenleben gebunden und den daraus entspringenden Selbsttäuschungen unterworfen war.

Ein geistiges Dasein erfordert eine geistige Organisation. Wenn das geistige Leben im Menschen erwacht, so eröffnen sich auch seine inneren Sinne: dann ist das, was wir »übersinnlich« nennen, nicht mehr übersinnlich für ihn. So wie zur Ausübung materieller Funktionen ein materieller Körper gehört, so gehören zur Ausübung geistiger Funktionen geistige Organe. Ob wir diesen geistigen Organismus mit dem Namen Asträlkörper bezeichnen oder ihm andere Namen beilegen, ändert nichts an der Sache, dass es solche geistige Körper gibt. Eine Klassifikation dieser Körper gehört nicht hierher.

Damit stimmen aber auch die Schriften der Weisen des Orientes und der Bibel überein. Shankaracharya, in seiner „Tattwa Bodha“ beschreibt diese verschiedenen Zustände, und St. Paul spricht von einem unverweslichen Leibe. Christus (der Gottmensch) in uns ist das Geheimnis der Erlösung, die Hoffnung dieser Herrlichkeit.5

Wo wir uns mit unserer Wissenschaft nicht weiter finden, da gibt uns die Religion einen Wink. Da steht geschrieben: Es kann niemand das Reich Gottes sehen, es sei denn, dass er von neuem geboren ist.6 Das Reich Gottes aber ist in uns;7 es ist das Reich der Gotteserkenntnis, und unser Vater im Himmel ist in ihm. Somit geht die geistige Wiedergeburt8 nicht nach unserem Tode, außerhalb unseres Körpers, sondern während des Lebens in uns selber vor. Was aus dem Fleische geboren ist, ist Fleisch, und was aus dem Geiste geboren ist, ist Geist.9

Alle religiösen Lehren dieser Art sind für die, die diese Wahrheiten nicht in sich selber erlebt und erfahren haben, nur Theorien und werden leicht missverstanden; aber für die, die zu dieser geistigen Wiedergeburt gelangt sind, sind sie tatsächlich wahr und bedürfen keiner Beweise. Wer auf diese Stufe der Selbsterkenntnis gelangt ist, dem sind auch die theosophischen Lehren keine Rätsel mehr. Er bedarf keiner Beweise für die Unsterblichkeit, weil sein unsterbliches Dasein zu seinem Bewusstsein gekommen ist. Weder philosophische Betrachtungen, noch angebliche Geistermitteilungen können ihm diese innerliche Überzeugung verschaffen, die ihm das Erwachen des geistigen Lebens gibt. Er bedarf keiner Spekulationen in Bezug auf die Möglichkeit der Wiederverkörperung;10 denn er kennt den Baumeister, der der Seele ihre irdischen Wohnungen baut. Die Lehre vom Karma11 bietet ihm kein Geheimnis dar; denn er erkennt die Folgen seiner früheren Handlungen; er sieht in der Frucht den Samen und im Samen die Frucht. Auch wird ihn das zukünftige Leben nach dem Tode wenig bekümmern, wenn er jetzt schon die Macht hat, dem Gefängnisse des irdischen Daseins zu entrinnen. Was aber dem, der Erfahrung besitzt, klar ist, das ist für den Unerfahrenen dunkel; denn der natürliche Mensch vernimmt nichts vom Geiste Gottes; es ist ihm eine Torheit.12

Die Welt ist voll von sich gegenseitig widersprechenden Theorien, aber Die Wahrheit ist nur eine einzige. Wer seinen Glauben auf Bücherweisheit oder angenommene Autoritäten stützt, der glaubt bald dieses, bald jenes, und weiß doch nicht, was das Richtige ist. Niemand kann mit voller Bestimmtheit etwas erkennen, das er nicht selber erlebt und erfahren hat.

Die Theosophie, im wahren Sinne dieses Wortes, ist das geistig-göttliche Leben selbst, das nur der kennt, der es hat. Sie ist die wahre Selbsterkenntnis des Wahren und deshalb die göttliche Weisheit; denn alle wahre Weisheit ist in Gott, kommt von Gott und führt zu Gott zurück.

 

1 Näheres in Die Geheimlehre von H. P. Blavatsky, Bd. I. Kosmogenesis und im Grundriss der Geheimlehre von Dr. Franz. Hartmann.

 

2 A. Besant Die sieben Prinzipien.

 

3 Aus der Bhagavad Gita. Poetische Übersetzung von Dr. Franz Hartmann. – Kap. II, 69.

 

4 G. Weitzer, Verschwendete Kräfte.

 

5 Koloss. I. 27.

 

6 Joh. III. 3.

 

7 Lukas XVII. 21.

 

8 W. Omar, Wiedergeburtslehre.

 

9 Joh. III. 6.

 

10 A. Besant, Reinkarnation. (Kindle) – Verlag Heliakon

 

11 Dr. Franz Hartmann, Karma oder Wissen, Wirken, Werden. (Kindle) – Verlag Heliakon

 

12 I. Korinth. II, 14.

 

 

Theosophie-II

Geschrieben im Jahre 1893

 

Ich wohne in den Herzen von Allen. Von mir kommt das Denken und Wissen.

Bhagavad Gita. XV. 15.

 

Um zu wissen, was die göttliche Weisheit ist, müssten wir vor allem die Frage beantworten: Was ist Gott? und damit hätten wir die Schwelle der menschlichen Erkenntnisfähigkeit überschritten; wenn wir uns auch von Gottes Wesen irgendeinen Begriff oder eine Meinung bilden könnten, so würden wir doch nicht wissen, ob dieser Begriff der richtige sei. Um Selbsterkenntnis von Gott zu besitzen, müssten wir Gott sein, und uns selber als Gott erkennen, und damit hätte die menschliche Erkenntnis aufgehört und die Weisheit Gottes wäre an ihre Stelle getreten.

Die Bhagavad Gita sagt, indem sie Gott (Brahma) darstellt, wie er durch sein Wort (Krishna, den Logos) spricht: Das ganze Weltall ist von mir ausgebreitet worden; aus meiner nicht offenbaren materiellen Natur (Prakriti) ist es hervorgegangen. Ich bin der Vater, die Mutter, der Erhalter, die Quelle von allem Sein. Ich bin der Weg, der Herr, der Zeuge, die Wohnung, die Zuflucht, der Freund, des Lebens Ursprung und der Zerstörer der Formen. (Kap. IX, 4,17.)

In der Bibel steht ähnliches unter den Psalmen, und wenn wir uns unter den deutschen Mystikern umsehen, so finden wir dieselbe Lehre, wenn auch mit anderen Worten. So sagt z. B. Meister Eckhardt,1 der Mystiker: Gott (Parabrahm) kann nicht beschrieben werden. Alle Prädikate sind fremdartige Zusätze zum göttlichen Wesen. Seine Natur ist die, ohne Natur zu sein. Ein einziges Prädikat dem Wesen beigelegt, hebt den Begriff des Wesens auf. (160, 30.) Alles abgeschieden, abgezogen und abgeschält; dass nichts übrig bleibt als ein einziges „Ist“, das ist sein eigentlicher Name. (108, 31.) Aber in Gottes materieller Natur, dem Urstoff des Weltalls (Mulaprakriti) sind alle Dinge enthalten. Das hat schon Plato erkannt, und Eckhardt sagt: Gott hat alle Dinge verborgen in sich. Alle Dinge sind Ja Gott, sofern sie ewig in Gott gewesen sind, nicht in grober Materialität, wie wir jetzt sind, sondern wie die Kunst in dem Meister. Gott sah sich selber an und sah alle Dinge. (502, 22) Gott spricht nur ein Wort, seinen Sohn; aber in diesem spricht er alle Geschöpfe ohne Anfang und ohne Ende. (76, 28.) Unterließe Gott dieses Sprechen auch nur einen Augenblick, Himmel und Erde müssten vergehen. (100, 29) In dem klaren Spiegel des ewigen Sichselbstwissens des Vaters, da gestaltet er ein Abbild seiner selbst, seinen Sohn. In diesem Spiegel bilden sich alle Geschöpfe ab, und man erkennt sie darin; freilich nicht als Geschöpf, sondern als Gott in Gott.« (378, 36.) Eckhart bezeichnet Gott als die höchste Vernunft; Jakob Böhme bezeichnet ihn als den Geist oder Willen und die Weisheit als die Jungfrau oder Gottes Natur: Nun ist die Jungfrau vor Gott, und aneignet sich zu dem Geiste, von dem die Kraft ausgeht, daraus sie die züchtige Jungfrau der Weisheit wird; die ist nun Gottes Gespielin, zur Ehre und Freude Gottes; die erblickt sich in dem ewigen Wunder Gottes, und in dem Erblicken wird sie sehnend nach dem Wunder in der ewigen Weisheit, die doch sie selber ist, und sehnt sich also in sich selber, und ihr Sehnen sind die ewigen Essenzien, die ziehen an sich die Heilige Kraft, und das herbe Fiat schaffet es, dass es im Wesen steht, und sie ist eine Jungfrau und hat nie geboren, und nimmt auch nichts an sich«. (»Von den drei Prinzipien göttlichen Wesens. (XIV, 87.)

Ähnliche Aufschlüsse finden wir in alten und neuen Schriften, in allen möglichen Theologien, und die Philosophen aller Zeiten haben sich abgequält, Gott zu beschreiben, und das, was über alle menschlichen Begriffe erhaben ist, den Menschen begreiflich zu machen. Damit ist aber unserer Wissbegierde wenig gedient, und solange wir von Gott keine Selbsterkenntnis besitzen, gehören für uns alle solche Dinge in das Reich des Mondscheines, der Spekulation. Ob wir nun mit dem Teleskope die Himmelsräume durchsuchen, oder mit dem Mikroskope das Atom zu entdecken verlangen, wir finden nirgends eine Spur von einem Gott, der außer uns selber ist.

Somit wäre es wohl ein verzweifeltes Unternehmen, auf dem Wege wissenschaftlicher Beobachtung zur Gotteserkenntnis gelangen zu wollen. Nehmen wir aber an, dass Gott allgegenwärtig ist, so wird das, was für uns so schwierig schien, auf einmal sehr leicht: denn wenn Gott allgegenwärtig ist, so ist er auch in uns selbst, und wir brauchen dann nur unser eigenes Wesen in Wahrheit kennenzulernen, um Gott zu erkennen.

Die Frage: Was ist Gott? löst sich somit in die Frage auf: Was bin ich?

Wenn ich mich selbst betrachte, so finde ich: dass ich weder mein Körper, noch mein Gefühl, noch mein Denken, ebenso wenig als mein Essen und Trinken, bin. Man kann wohl sagen, dass weder Körper noch Seele, noch Geist, wohl aber alle drei zusammen den Menschen ausmachen; aber außer diesen dreien ist noch etwas Höheres in mir, für das ich keinen Begriff und keinen Namen habe, und das ich nicht kenne. Dieses Eine, das den Grund meines Selbstbewusstseins bildet, ist mein Ich. Dieses Ich ist etwas, das weiß, was ich weiß und das, wenn ich nichts weiß, auch weiß, dass ich nichts weiß. Vielerlei ist das Bewusstsein dieses Ichs, wenn ich einschlafe, so ist doch dasselbe Ichbewusstsein wieder da, wenn ich erwache; dieses Ich scheint ganz von meinem persönlichen Bewusstsein unabhängig zu sein, und ich habe keinen Grund, um zu behaupten, dass dieses Ich nicht ewig ist und nicht fortlebt, wenn meine Person aufgehört hat zu leben oder sich mit ihm zu beschäftigen. Allerdings kann es viele Menschen geben, von denen ein jeder glaubt, dass seine Person sein wirkliches und wahres Ich sei; allein schon ein geringer Grad von Nachdenken genügt, um uns von dem Irrtume dieser Ansicht zu überzeugen; denn wir sehen, dass diese Person in jeder Beziehung, körperlich, im Gefühlsleben und auch in ihrer geistigen Tätigkeit einem fortwährenden Wechsel unterworfen ist; dass wir heute nicht mehr dieselben Personen sind, die wir als Kinder waren, und dass wir in einer Reihe von Jahren ein anderes Aussehen, andere Instinkte, andere Meinungen haben werden; auch strebt kein vernünftiger Mensch darnach, das zu bleiben, was er ist; sondern jeder sucht ein anderer und besserer oder glücklicherer Mensch zu werden; nur der Idiot und der Heilige sind mit sich selber zufrieden. Aber im Grunde aller dieser Veränderungen des Bewusstseins ist etwas, das sich, so lange wir leben und fühlen und denken, für uns immer gleich bleibt, in dem wir keine Veränderung wahrnehmen, nämlich das Selbstbewusstsein: Ich bin! Dieses unbekannte Etwas weiß, dass es ist, weil es sein eigenes Dasein erkennt; diese seine Erkenntnis beruht nicht auf Spekulation, noch auf den Aussagen anderer Leute, nicht auf Berechnungen, noch auf Autoritätsglauben, sondern es weiß, dass es ist, aus keinem anderen Grunde, als weil es ist und sein Dasein erkennt. Dieses tiefer liegende Ich ist, wie wir aus eigener Selbstbetrachtung erkennen, die Ursache unserer Fähigkeit, zu denken, zu fühlen und zu handeln; nicht aber unser Denken, Fühlen und Handeln selbst. Es ist die Quelle unseres Seins, und deshalb nennt man es Gott.

Die Bhagavad Gita sagt: Ich bin die Seele, die in dem Herzen eines jeden Geschöpfes wohnt; ich bin der Anfang, die Mitte und das Ende von jedem Ding. X, 20.) In der Bibel heißt es: Wisset ihr nicht, dass ihr Tempel Gottes seid, und dass der Geist in euch wohnet? (I. Corinth. III, 16.) Christus in uns ist das Geheimnis der Erlösung, die Hoffnung dieser Herrlichkeit. (Col. I, 27) Auch sagt uns unsere Vernunft und Beobachtung, dass, wenn auch die Erscheinungen, in denen das Leben sich äußert, sich fortwährend ändern, doch das Sein immer dasselbe ist, und dass wir in ihm keine Veränderung wahrnehmen.