Was tust du? - Jule Frisch - E-Book

Was tust du? E-Book

Jule Frisch

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Beschreibung

Vorsicht! Überlegen Sie sich sehr genau, ob Sie diese 18 humorvollen Kurzgeschichten lesen möchten. Sie machen nämlich süchtig nach mehr. Der Grund: Sie sind witzig und originell und trotz der satirischen Überspitzungen absolut glaubwürdig. Wer sich den rasanten gesellschaftlichen Veränderungen nicht blind ausliefern will, braucht dieses Buch ohnehin als topaktuellen Ratgeber. Oder wussten Sie schon, dass das Ministerium für soziale Harmonie und politische Geborgenheit (MfHaG) mit der Zwangspatenschaft für Rentner in Wirklichkeit einen ganz tückischen Generationenvertrag zwischen Jung und Alt ausgetüftelt hat? Und wenn Sie einen ehrlichen (!!!) Blick auf Ihre Zimmerpflanzen werfen, eine Pflanzen-Nanny hätte hier einen echten Knochen-Job! Aber es kommt noch schlimmer: Die Wortsteuer ist beschlossene Sache und bringt Frauen an den Rand Ihrer Existenzberechtigung. Doch alles kein Grund zur Resignation, denn in "WAS TUST DU?" zeigen die persönlichen Schicksale, wie man solche Problemfelder kreativ meistern kann. Und um einen voll Lesesüchtigen von "WAS TUST DU?" zu zitieren: "Seit ich das Buch gelesen habe, weiß ich erst, dass man lesen muss, um zu lesen, was andere Tolles schreiben." Danke!

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Jule Frisch

Was tust du?

Satirische Geschichten über uns und unsere Mitmenschen

 

 

 

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- gekürzte Vorschau -

Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort

Ich bin süchtig nach Gesundheitstipps

Ich arbeite in einem verspotteten Beruf

Ich bin einem Vertreter für Haus- und Haftpflicht hörig

Impressum neobooks

Vorwort

Was tun Sie gerade? Dumme Frage - lesen natürlich! Und wenn Sie glauben, mal gerade nichts zu tun, dann tun Sie natürlich trotzdem etwas - entspannen, dösen, faulenzen ... So lange wir sind, tun wir irgendetwas. Manchmal tun wir Dinge, die wir hätten tunlichst ver-meiden sollen. Hin und wieder tun wir nur so, als ob ... Und gut tut uns, wenn wir mit unserem Tun und Treiben anderen wohltun. Wie Biologe Sebastian Taft, der sich nicht nur leidenschaftlich für kleines Getier einsetzt, sondern ebenso engagiert für das Wohl seiner Frau. Auch die vierköpfige Familie Hassel kann sich glücklich schätzen. Ihr weibliches Oberhaupt verhindert den Untergang der Familie, die mit der neu eingeführten Wortsteuer an ihre Grenzen stößt.

Und das junge Ehepaar Mausch-Krietowsky schließlich geht mutig den Weg in die Öffentlichkeit, als es einsehen muss, dass es in Sachen Erziehung in einer grünen Sackgasse steckt.

Drei von 18 satirischen Geschichten, die erzählen, was Menschen so tun und warum sie es nicht lassen können. Spritzig, pointiert und ganz dicht dran an unserem Alltag - ein Buch, mit dem Sie Ihre Zeit ganz sicher sinnvoll vertun.

Ihre Autorin

Jule Frisch

Ich bin süchtig nach Gesundheitstipps

Das anonyme Bekenntnis einer Frau, die von der Psychosomatischen Naturhörigkeit (PsNa) befallen ist

Bis vor wenigen Jahren war mein Leben sozusagen problemfrei - meine vierjährigen Zwillinge rauchten, tranken und kifften nicht, meine zwölfjährige Tochter war noch niemals schwanger und meine Schwiegermutter mischte sich auch nicht in unser Leben ein, da sie mit ihrem Wanderverein „Rentner mobil, Deutschland gehört uns!“ ein recht eigenständiges Leben führte. Nur diese Migräneattacken jeden Monat zum 15. wurden immer lästiger, da halfen auch die auf der Stirn liegenden kalten Hände meines lieben Ehemannes nichts. Umsonst auch der von mir erzeugte Gegenschmerz – schwerster Kater nach Alkoholrausch vom 13. auf den 14. des Monats. Pünktlich zum 15. kam die gewohnte Attacke. Da beschloss ich von heute auf morgen, mich selbst naturheilkundlich zu informieren und zu behandeln.

Ach, hätte ich nur ahnen können, dass mich dieses Verlangen regelrecht verschlingen würde! Es begann mit dem harmlosen chinesischen Heilöl, mit dem ich der Migräne beim nächsten Aufflackern entgegensteuerte. Und schon der erste Versuch faszinierte mich. Die brennenden Augen ließen mich über lange Zeit den Migräneschmerz völlig vergessen. Ich war gefesselt und entdeckte das Internet als Schatzkästchen für Gesundheitstipps. Den Computer verließ ich von nun an nur noch für ganz dringende Toilettengänge. Beim Chatten schlürfte ich Vitamindrinks mit gemischten Gartenkräutern und selbstgezüchtetem Kefir, dabei knabberte ich fritierte Brennnesselblätter, Kekse mit Anissamen und Vogelmieretaler. Zu Ostern bat ich, ein Dutzend farbige Ordner zu verstecken - gelbe zur Ablage für akute Gesundheitsbeschwerden, rote zur Ablage für chronische Gesundheitsbeschwerden und schwarze zur Ablage von Listen mit Lebensmittelzusatzstoffen, geordnet nach dem Grad der Gefährlichkeit der E-Stoffe. Am Muttertag bekam ich mehrere Tintenpatronensets für meinen Drucker, am Valentinstag ein neues Bücherregal für die Ordner und auf meinem Geburtstagstisch lagen nun statt Parfüm und Geschirrtüchern Bücher wie „Du denkst, es ist Unkraut?“ und „Ich bin mein eigener Arzt - ohne lästige Quartalsabrechnung“. Ich war wie ausgewechselt, als ob jemand einen Schalter umgelegt hätte! Noch nie in meinem Leben empfand ich einen so hohen Grad der Entspannung wie beim Archivieren meiner Gesundheitsblätter.

Mein Mann kam nun abends mit Unmengen von Illustrierten, die ich nach Gesundheitstipps abgraste, während er ungestört den Western sah. Mit meinem neuen Hobby gab es nie mehr Diskussionen um das Fernsehprogramm, da ich ja recherchierte, archivierte und sortierte. Meine Lieblingspflanze wurde die heimische Brennnessel (Urtica dioica). Mit ihr harmonisierte ich sogar eine leichte Sehschwäche, eine bisher nicht veröffentlichte Heilwirkung. Ich machte Brennnesselsüppchen, -röllchen, -spinat, -aufläufe, -grütze, -chips, -bier und -brühen. Meine Kinder verloren zu dieser Zeit ihren Babyspeck und aßen öfter außer Haus. Mein Mann machte alles mit und schlief viel. Dass etwas mit mir nicht mehr stimmte, fiel mir zum ersten Mal auf, als wir unsere Freunde Vivien und Swen besuchten. Wir kamen etwas früher und Swen machte sich auf seinem tollen Zierrasen gerade mit dem Spaten über ein paar arme Gänseblümchen her. Hysterisch rannte ich auf ihn zu, rüttelte am Spaten und schrie:

„Swen, bitte, bitte tu’s nicht! Denk doch an die ätherischen Öle, Schleime und Bitterstoffe in den Rosettenblättern! Gib sie Vivien für den Wildkräutersalat!“

Vivien strich mir liebevoll über den Arm und sah mich beunruhigt an:

„Nun setz’ dich doch erst mal und komm’ zur Ruhe! Kaffee ist gleich fertig.“

Als wir auf der Terrasse saßen, glitt Swens Blick genervt über seine Obstbaumwiese.

„Dieser Giersch jedes Jahr macht mich noch ganz fertig!“, schimpfte er. Ich strahlte über das ganze Gesicht.

„Mensch, Swen, da bist du ja mit deinen Hämorrhoiden fein raus. Ein paar Umschläge und Bäder damit …“

Mein Mann sah mich verlegen an.

„Nicht beim Kaffee, Schatz!“

Ich verstand ihn nicht und protestierte:

„Na, hör’ mal! Weißt du, wie teuer die Hämorrhoiden-Präparate in der Apotheke sind? Alle natürlich von der Bezahlliste gestrichen! Ach, Vivien, da fällt mir ein: Die böse Zehen-Gicht von deinem Vater - dafür ist doch das Doldengewächs auch bestens geeignet.“

Vivien stand auf und sagte hastig:

„Ich hol’ dann mal die restliche Schlagsahne aus dem Eisschrank.“

Swen beugte sich über den Kaffeetisch und flüsterte uns zu:

„Seid ihr schon lange in Hartz IV? Mensch, das hättet ihr doch sagen können, wozu sind Freunde denn da?“

Ich kam mir vor wie unter Außerirdischen. Da saßen wir nun mitten in der Natur und ignorierten all ihre gesundheitsfördernden Schätze. Ich durfte doch meinen Wissensvorsprung nicht egoistisch für mich behalten, Freunden wünscht man schließlich nur das Beste! Wie gut, dass ich die beiden mit meinem schönen Geschenk nicht gleich überfallen hatte, so konnte ich es jetzt gut und stilvoll platzieren. Mit spannungsvoller Geste setzte ich ein Glas braunen Inhalts auf den Kaffeetisch.

„Für eure tolle Gastfreundschaft, liebe Vivien, lieber Swen!“, sagte ich genüsslich.

Vivien nahm das Glas in die Hand.

„Süß, der Streifenkarostoff hier oben und die niedliche Schleife! Ein selbst gemachter Kräuteressig? Ganz vielen Dank!“

Vivien drückte mich inniglich.

„Eigentlich ist das für eure Gemüsepflanzen, sie werden dadurch noch gehaltvoller und gesünder“, korrigierte ich. „Eine hochkonzentrierte, ganz natürliche Pflanzenjauche, kann 1:10.000 verdünnt werden.“

Mein Mann erstarrte:

„Schatz! Das ist doch viel zu stark, das ätzt einem ja alles weg!“

Vivien zitterte und ließ das Glas schreiend fallen. Laut scheppernd zerbrach es auf dem steinigen Terrassenboden, auf dem sich eine trübe und stark übel riechende Flüssigkeit verteilte. Die rötlich-braunen Klinker änderten ihre Farbe augenblicklich in gelblich-weiß. Wo sich vorher noch kleine niedliche Grashalme aus den Fugen schoben, krümmten sich nun armselig verschrumpelte Stängel.

„Oh, schade um die vielen schönen Wildkräuter, die auf eurer Terrasse wachsen wollten“, hörte ich mich sagen. Dann spürte ich einen harten Griff am Arm und mein Mann rief:

„Ach, wir hätten doch fast vergessen, dass die Zwillinge gleich vom Kindergeburtstag zurückkommen. Da muss ich ihnen ja fix noch einen Kamillensud kochen. Ihr wisst doch, der viele Süßkram zu solchen Geburtstagen, das gibt immer übelste Magen- und Darmbeschwerden.“

Vivien und Swen nickten heftig und begleiteten uns stumm zum Gartentor.

„Das nächste Mal bei uns, ja? Ich hab’ da ein paar ganz neue Rezepte, alles urgesunde Sachen“, sagte ich, während mich mein Mann nach draußen schubste.

„Wir melden uns“, erwiderte Swen.

„Alles Gute für euch!“, stammelte Vivien.

Seitdem haben wir leider nie wieder etwas von unseren Freunden gehört, dafür aber den Tag genauestens ausgewertet. Ich musste schmerzlich erkennen, dass ich um eine Therapie wohl nicht mehr herumkommen würde, wollte ich mich wieder normal fühlen. Nach vielen Recherchen fand ich dann schließlich auch einen speziell ausgebildeten Therapeuten, der sich ausschließlich der Sucht nach Gesundheitstipps widmete. Endlich erfuhr ich, dass ich doch keine Außenseiterin war. Was für eine großartige Erleichterung! Sogar ein Fachname existierte für dieses Leiden schon – Psychosomatische Naturhörigkeit, kurz PsNa. Seitdem tauschen wir Betroffenen in den Therapiestunden unsere Rezepte und Tipps und lachen uns über die vielen dussligen E-Stoff-Fresser halb tot. Lachen ist bekanntlich die beste Medizin.

Der Therapeut lässt sich auch nicht mit Bargeld oder Schecks abspeisen, sondern besteht auf unsere Tinkturen, Kekse und Jauchen. Leider zahlen die Krankenkassen die aufwändige Therapie noch nicht, dabei nimmt sie uns PsNa-Betroffenen doch jede Menge Druck. Und wir sind außerordentlich kreativ. Demnächst kommt unsere selbstproduzierte Doppel-CD „Bärenklau und Wiesenwinde, Hits ganz natürlich“ auf den Markt. Ein Hörbuch steht kurz vor der Fertigstellung und soll unter dem Titel: „Hopfensprossen und gekochte Kletten - die anderen Wiesengeschichten“ die Bestsellerliste erobern.

Ich habe auch einen ganz neuen Freundeskreis, die Kinder allerdings wollten nach unserer Scheidung zum Vater. Aber das alles habe ich mit meiner regelmäßigen Johanniskraut- und Baldriankur sehr gut im Griff.

Ich bin wieder mitten im Leben!

Ich arbeite in einem verspotteten Beruf

Der trotzige Stolz eines höheren Bankangestellten, der sich seine Position hart ermobbt hat

Ich bin ein Mann in den besten Jahren und habe mich hart und mühevoll auf den Posten des Regionalleiters in einer gutfrequentierten Bank hochgemobbt. Natürlich weiß ich, dass mein Banker-Beruf, vor allem in höherer Position, in den letzten Jahren ganz kräftig in die Schmuddelecke gerutscht ist. Aber das prallt vollkommen ab an mir, so wie belanglose Wassertropfen auf einer schmierigen Ölschicht, ein Bild, das mir übrigens außerordentlich gefällt.

Als ich über ein paar Ecken von diesem Buchprojekt erfuhr, mir also zu Ohren kam, dass hier erzählt wird, was Menschen so tun und nicht lassen können, wollte ich um jeden Preis mit von der Partie sein. Vielleicht gelingt es mir, meine Branche über dieses Forum ein wenig rein zu waschen. Wenn nicht - ich habe es wenigstens versucht und werde dann auch nicht schlechter leben als vorher. Aber meine Entwicklung zeigt doch ganz deutlich, dass man mit glasklarem, pragmatischem Verstand, eisernem Willen und Zielstrebigkeit nahezu alles erreichen kann, was einem wichtig ist. Also, lesen Sie, wie ich das wurde, was ich heute bin …

Schon als kleiner Junge wusste ich, dass ich einmal Banker werden möchte. Daher bin ich seit frühester Kindheit mit Spott und Häme eng vertraut. So musste ich mir ewig dumme Sprüche anhören wie:

„Der Klaus, der Klaus, holt aus dir den letzten Pfennig raus“ oder „Hört alle her, der Klaus ist krank, will beruflich mal zur Bank.“

Das tat schon sehr weh! Aber ich war zum Glück von klein auf selbstbezogen, stur und rechthaberisch - Eigenschaften, ohne die ich in meinem Traumberuf natürlich nicht die geringste Chance gehabt hätte. Dass der Wunsch des Bankers so früh bei mir geprägt wurde, liegt vor allem an meiner Mutter. Während andere Babys putzige Spielklappern bekamen, nahm meine Mutter aus Sparsamkeitsgründen eine leere Tomatenheringsbüchse, füllte sie mit kleinen Geldstücken und verschloss sie wieder. Damit soll ich dann stundenlang geklappert haben, das Geräusch der klirrenden Münzen hat mich von Blähungen, Zahnweh und Dellwarzen abgelenkt. Bis weit in die Pubertät hinein konnte mich das Klirren einer mit Geld gefüllten Fischbüchse vor abartigen hormonellen Entgleisungen bewahren. Zu dieser Zeit hat sich wohl in meinem Charakter die tiefe Herzensbindung gegenüber Geld manifestiert.

Erste praktische Erfahrungen im Geldscheffeln sammelte ich bei meinem älteren Bruder Ralf, der im Gegensatz zu mir ziemlich verfressen, faul und geistig träge war. Ein Kinderspiel für mich, ihm mit diesen Schwächen das Taschengeld und mehr abzuluchsen. Um seine Macht als älterer Bruder zu demonstrieren, rief er einmal:

„Banker-Klaus, spann’ deine Wade, hol’ Bruder Ralf fix Schokolade!“

Er gab mir ein paar Groschen und ich musste in den nächsten Laden flitzen. Unterwegs fand ich einen demolierten Füllfederhalter und steckte ihn ein. Vor Ralf trat ich dann völlig verrotzt und verzweifelt und hielt ihm den zerdepperten Füllfederhalter vor die Nase. Dabei rief ich schluchzend:

„Bin im Laden auf den hier drauf gefallen! Wenn Mama erfährt, dass der kaputt ist … Ich muss doch sagen, dass das beim Schokoladeholen passiert ist.“

Das wollte Ralf natürlich nicht, er durfte doch die wenigen Groschen nicht verfressen. Ich machte einen auf verzweifelt und jammerte:

„Aber ich darf doch die Mama nicht anlügen.“

Da trennte sich Ralf ganz schweren Herzens von der Hälfte seiner Schokolade. Aber ich spielte natürlich weiter Theater und flennte:

„Lügen ist doch ganz böse!“

Da versprach mir Ralf (Versprechen gehalten!) einen nagelneuen Füllfederhalter. Wie er ihn besorgen würde, interessierte mich nicht die Bohne, ich wollte ihn nur haben. Und als ich spürte, dass ich bei meinem dussligen Bruder noch eins drauf setzen konnte, wisperte ich:

„Ich muss da aber ganz viel üben mit dem Schwindeln, sonst merkt die Mama das.“

Ralf gab mir dafür noch einen Groschen extra. Das war das Schlüsselerlebnis für mich. Von nun an wusste ich, dass ich aus Menschen einfach alles an Geld herausholen konnte, koste es, was es wolle!

Dass ich schon in ganz jungen Jahren in der Lage war, ein undurchsichtiges Netzwerk filigranster Geldbeschaffungsmaßnahmen zu spinnen, zeigt einer meiner größten Fischzüge, bei dem mir meine erste Freundin Beate nützte.

Bea, damals 14 wie ich, war ein leidenschaftlicher Fan des Schnulzensängers Ronny Peck, der im Schützenhaus des Nachbarortes einen Auftritt hatte. Bea aber durfte nicht hin, es war zu teuer und sie zu jung. Ich spürte sofort, dass da was für mich zu holen ist. Ich nahm das Bastelzeug, einen Schlafsack und meine geliebte Waldmeisterlimonade und verschanzte mich einen ganzen Tag im Wald. Dort fertigte ich ein Herz an und klebte ein Bild von Ronny Peck darauf, das ich in einer billigen Illustrierten aus dem Müll gefischt hatte. Auf das Gebastelte schrieb ich:

„Für die süße Bea von ihrem Ronny Peck. Ich singe auch weiter für dich!“

Das hatte natürlich seinen Preis, denn in der Nacht war es sehr kalt im Wald und meine Eltern mussten den erfolglosen Polizeieinsatz auf der Suche nach mir selbst bezahlen. Dafür verpassten sie mir Stubenarrest. Dass ich mich verlaufen hatte, wollten sie und sollten sie mir auch nicht glauben. Bea erzählte ich, dass ich einen halben Tag unterwegs war bis in den Nachbarort, dort lange nach dem Autogramm angestanden hätte und den weiten Weg nach Hause wieder allein zu Fuß zurück gegangen sei. Meine letzten zehn Kröten wären für den Eintritt und ein bisschen Essen und Trinken im Schützenhaus drauf gegangen, aber das sei sie mir wert.

Bea stibitzte ihrer Mutter sofort einen Zehner und gab ihn mir, voll unter Rührung stehend. Natürlich merkte ihre Mutter den Klau und Bea beichtete, was ich angeblich für sie getan hätte. Ich hatte sie vorher ermuntert, ihrer Mutter gegenüber unbedingt ehrlich zu sein, da man sich sonst ganz schnell in ein Netz von Lügen verstricken würde. Bea also hörte auf mich und als ihre Mutter alles erfuhr, erzählte sie es meiner Mutter. Mein Plan ging voll auf! Der Stubenarrest wurde sofort aufgehoben und meine ansonsten immer extrem sparsame Mutter gab mir auch einen Zehner. Sie war schwerstens beeindruckt, weil sie mich mit 14 das erste Mal selbstlos erlebte, wie sie naiver Weise glaubte.

Das war der absolute Hammer! Ein paar billige Lügen, einen kalten Arsch in der Nacht und dafür 20 fette Mäuse! Die Lunte war gelegt, ab jetzt gab es kein Zurück mehr. Mein ganzes Tun und Denken war von nun an nur auf eins gerichtet: Wie hole ich mir so viel Geld wie möglich von den Leuten und gebe ihnen dabei noch das Gefühl, sie seien mir auf ewig etwas schuldig.

Die Jahre bis zu meiner Bankerausbildung waren dann auch kontinuierlich beruflich orientiert. Meine Stationen im Schnelldurchlauf: Schul-Schatzmeister der 1a, b und c mit sehr hohen Zinsgewinnen (verspätete Einzahlungen in die Klassenkasse kosteten extra!), erster Sieger der kommunalen Monopolymeisterschaften als 9-Jähriger (ohne Altersbegrenzung, da spielten auch ganz besessene Senioren mit, die ich dann später, als sie hochbetagt waren, als zahlungskräftige Kunden für mich akquirierte), Gründung eines Tauschklubs im Altenpflegeheim „Feierabend“ mit 15, Besuch eines Zauberlehrgangs in der Sparte „Geld und Wertgegenstände einfach weg“ und ein Jahr später, 17-jährig, die Herausgabe meines ersten, in sicherer Versform verfassten Lyrikbandes „Ich und das Geld – ich kauf’ mir die Welt!“, der leider öffentlich verkannt und ignoriert wurde.

Das Bankstudium selbst war mir das reinste Vergnügen. Ich schrieb ab, schleimte mich bei reichen Studenten und Lehrkräften ein, spielte leistungsstarke Konkurrenten gegeneinander aus und ließ mir schon damals die Gesichtszüge heimlich so liften, dass das in der Branche übliche Dauergrinsen chirurgisch festgezurrt wurde. Meine neidischen Mitstudenten missgönnten mir natürlich das klassische Bankergesicht mit Sätzen wie:

„Was grinst du denn so blöd“ oder „Ist dieses Nervenleiden erblich?“

Aber letzten Endes zählte nur Leistung und im Geldscheffeln konnte mir keiner so schnell etwas vormachen. Außerdem mobilisierte ich durch Visualisierung all meine körpereigenen Reserven. So stellte ich mir vor, wie ich als Eiche von meinen Kommilitonen, den Ameisen, vollgepinkelt wurde und mir stattdessen immer noch größere Eicheln wuchsen. Solche Bilder bauten mich ungeheuer auf. Und so ist meine berufliche Laufbahn in der Bank logischerweise eine Kette voller finanzieller Erfolge. Die Spezialstärke von mir: Langfristige Immobilienfonds, bei denen ich besonders gern betagte Senioren partizipieren lasse. Die Fonds laufen ab 25 Jahre und wenn ich dann meinen 80-jährigen Kunden sage, dass ich sie nicht älter als 49 geschätzt hätte, was ja wohl auch am biologischen Alter liegen müsse, greifen die Senioren doch meist sehr beherzt zu. Neulich hatte ich zwar mal Stress mit der Tochter einer solch hochbetagten Dame, aber da ging ich wie üblich als satter Sieger aus dem Konflikt. Die Tochter meinte, ich habe ihrer Mutter unauffällig und absichtlich das Hörgerät aus dem Ohr gezogen, damit sie nicht hinter meine fiesen Machenschaften käme. Natürlich eine glatte Lüge! Ich half ihrer Mutter sogar noch, das heruntergefallene Hörgerät wieder im Ohr zu befestigen. Mag sein, dass ich mich dabei nicht sehr geschickt angestellt habe, aber akustische Wiederbelebung der Kommunikationsfähigkeit unserer Kunden war noch nie meine Stärke.

Einer Kundengruppe allerdings trete ich nicht ganz so aufgeschlossen gegenüber wie den lieben Senioren. Das sind die Studenten, weil sie alles für umsonst haben wollen - Kontoführung, das freundliche „Guten Tag“ am Bankschalter, den Zugang zu ihrem Geld - dafür aber nichts bei uns anlegen. Wenn sie dann noch so tun, als würden sie was verstehen von meinem Geschäft, mir vielleicht noch das Gefühl geben, ich würde sie abzocken wollen, da kann ich schon mal meine guten Sitten vergessen und lauthals abkotzen. Aber das kriege ich immer besser in den Griff, außerdem sieht es die Bankzentrale gar nicht mal so ungern, wenn wir mit den Bankschmarotzern etwas rüder umgehen und sie dann zur Konkurrenz laufen.

Sollen die doch denen das Konto für umsonst an den Hals werfen!

Dass ich beruflich sehr erfolgreich bin, zeige ich, ohne zu protzen. Ich wohne in einem schicken Einfamilienhaus auf großem Grundstück mit wundervollem Baumbestand. Es gehörte einmal einem Kunden unserer Bank, der es bereits in dritter Generation besaß. Leider hat er sich mit dem Sanierungskredit aus unserem Haus ein wenig übernommen - 150.000 Euro Kredit! Hätte er sich aber auch nicht so einfach von mir aufschwatzen lassen müssen. Er war wirklich sehr tüchtig, guter Job, nebenher noch am Haus malocht, drei Kinder, taffe Frau – eigentlich alles bestens. Doch dann fehlten ihm noch 2.322,11 Euro für die Bezahlung der letzten Handwerkerrechnung. Da mussten wir dann wohl oder übel den Geldhahn zudrehen, schließlich sind wir nicht das Sozialamt und der Arme hätte schon wissen müssen, worauf er sich mit uns einlässt!

Es traf ihn dann auch recht hart, als wir ihm über Nacht den Kredit kündigten und die 150.000 Euro zuzüglich Zinsen und Zinseszins, damit insgesamt rund 500.000 Euro, zurück verlangten. Meine Bank war da schon durchaus tolerant, wir ließen ihm immerhin vier Wochen Zeit für die Rückzahlung. Hat er aber leider nicht gepackt. Tja, immer schön auf dem Teppich bleiben und niemals blauäugig in so eine Sache schlittern, kann ich da nur sagen. Aber wie heißt es so schön: „Des einen Pech ist des anderen Glück.“

Durch die Zwangsversteigerung war das Ganze ein herrliches Schnäppchen für mich.

So billig hätte ich auf dem freien Markt doch solch ein schönes Häuschen nie und nimmer bekommen. Nun ist es wenigstens in allerbesten Händen. Und durch die private Insolvenz ist der gute Mann dann ja auch nach sechs Jahren völlig schuldenfrei, kann ein neues sorgloses Leben beginnen und sich für seine Familie noch mal was richtig Schönes aufbauen. Dann ist er noch unter 60, das ist doch kein Alter! Wenn ich da an meine 80-jährigen Kunden denke!

Also, es gibt immer einen Weg, welcher es auch sein mag.

Ich als Banker bin jedenfalls sehr stolz darauf, durch mein Tun dazu beitragen zu dürfen, dass meine Kunden stets flexibel bleiben und sich immer wieder aufs Neue im Leben behaupten können. Gibt’s denn etwas Schöneres, als solch menschliche Kräfte kontinuierlich freizusetzen? Für mich nicht!

Ich bin einem Vertreter für Haus- und Haftpflicht hörig

Das Eingeständnis einer Frau, die der Versicherungsbranche verfallen ist

Pochenden Herzens steigt Sabine Maus die steinernen Stufen des ehrwürdigen Gerichtsgebäudes nach oben. In ihrem Kopf hämmert es. Es sind immer und immer wieder die gleichen Worte, die sie sich einprägt:

„Ich bin klein und dünn und muss den Beschützerinstinkt wecken. Ich bin klein und dünn und muss den Beschützerinstinkt wecken. Ich bin klein und dünn und muss …“

Wenig später sitzt Sabine Maus im Gerichtssaal 223, neben ihr Rechtsanwältin Undine Seif, auch in ihrem Kopf hämmert es. Auch bei ihr sind es immer und immer wieder die gleichen Worte, die sie sich einprägt:

„Ich bin groß und stabil und hasse die Männer. Ich muss sie mit meinem Geist ersticken. Ich bin groß und stabil und hasse die Männer. Ich muss sie mit meinem …“

„Hiermit eröffnen wir die heutige Gerichtsverhandlung“, unterbricht Richter Hochmuth die Gedankenreise von Rechtsanwältin Seif. „Heutiger Kläger ist der Versicherungsvertreter Rudolf Übrig, vertreten durch seinen Anwalt Dr. Fabian Pracht. Die Beklagte ist Frau Sabine Maus, der Belästigung, Freiheitsberaubung sowie Körperverletzung vorgeworfen werden. Sie wird vertreten durch Rechtsanwältin Undine Seif.“

Sabine Maus treibt es die Tränen in die Augen. Er ist nicht gekommen! Rudolf Übrig ist nicht erschienen! Und sie hatte sich so auf ihn gefreut! Sie wollte doch ein letztes Mal versuchen, sein Herz zu erobern. Und nun war auch diese Chance vertan.

„Dr. Pracht, bitte schildern Sie uns den genauen Sachverhalt Ihrer Anklage!“, hört Sabine Maus wie durch eine Nebelwand.

Rechtsanwalt Dr. Fabian Pracht, ein schlanker, hoch gewachsener junger Mann, der gut und gerne auch ei-ne Traumkarriere in der Zahnpastawerbung hätte hinlegen können, erhebt sich sportlich von seinem Stuhl. Die schmalen Lippen von Rechtsanwältin Undine Seif verkneifen sich ins Nichts. Sie begreift: Es wird eine Sauarbeit werden, diesen Schönling fertig zu machen. Und es wird auf keinen Fall einfach, mit dieser lädierten Bandscheibe ebenso sportlich aufwärts zu gleiten. Sabine Maus dagegen hat sich ein sanftes Lächeln zurecht gelegt. Ihr Kopf ist in Richtung Gegenanwalt geneigt und der Körper nach vorn gekrümmt, um noch kleiner und unscheinbarer zu wirken.

‚Sie können mir nichts Böses’, denkt Sabine Maus. ‚Sie müssen sich selbst schuldig fühlen, wenn sie mich verurteilen.’

Rechtsanwalt Dr. Fabian Pracht spricht mit Blickkontakt zu Richter Hochmuth.

‚Warum schaut er nicht zu mir?’, ärgert sich Sabine Maus. ‚Dann würde er doch gleich von Anfang an sehen, dass er mir eigentlich helfen, statt schaden muss’, denkt sie verbittert.

„Mein Mandant, Herr Rudolf Übrig, ist ein angesehener Versicherungsvertreter für Haus- und Haftpflicht“, hört Sabine Maus den schönen Rechtsanwalt sagen.

„Rudolf Übrig musste sein ganz normales und durchaus wünschenswertes Vertreterleben aufgeben, da seine ehemalige Kundin, Sabine Maus, ihn verfolgte, mit Telefonterror marterte und schließlich zu Hause überfiel und knebelte. Meinem Mandanten sprangen dadurch zwei sehr einträgliche Kunden ab. Rentnerin Thea Tapps wollte an jenem Tag eine hochwertige Hausratversicherung für ihr Zimmer im Seniorenheim ‚Abendrot’ abschließen. Ein stilvolles Zimmer, das eine beträchtliche Prämie hätte bringen können. Stattdessen wurde die Rentnerin von der Beklagten, Frau Sabine Maus, telefonisch gebeten, sich in Geduld zu üben und keinem neuen Vertreter in die Falle zu gehen. Herr Rudolf Übrig sei zurzeit nicht pässlich, werde sich aber in Kürze bei ihr melden, sobald er wieder zu Kräften gekommen sei. Die alte Dame erlitt daraufhin einen Herzstillstand, den die Hilfskraft, eine Ein-Euro-Jobberin, die zuvor 22 Jahre im Paketdienst der Deutschen Post tätig war, nicht zu beheben vermochte.“

„Dafür kann ich nichts!“, haucht Sabine Maus zart in den Gerichtssaal. „Das habe ich nicht gewollt, sie hätte doch meine Omi sein können“, ergänzt sie mit ganz viel Schmacht in ihrer Stimme.

„Ich muss die Beklagte bitten, den Hergang der Dinge, vorgetragen durch den Klägeranwalt Dr. Fabian Pracht, autorisiert vom Kläger Rudolf Übrig, dem Geschädigten, nicht zu unterbrechen!“, ruft Richter Hochmuth mit strenger Stimme. Sabine Maus zuckt zusammen.

‚Warum spricht er so böse zu mir?’, denkt sie. ‚Sieht er denn gar nicht, dass ich klein und zart bin und man mich beschützen muss?’

„Der zweite einträgliche Auftrag, der meinem Mandanten durch das Kidnapping von Frau Sabine Maus entgangen ist, war eine teure Hundehaftpflicht des Hundehalters Bodo Toll“, fährt Rechtsanwalt Dr. Fabian Pracht frisch fort. „Herr Toll betreibt eine Züchtung, in der er schwer depressive Rottweiler mit auffällig hyperaktiven Schäferhundmischlingen und übergewichtigen Bullterriern kreuzt. Die vielfältigen, komplexen Auflagen der Ordnungsbehörde haben natürlich eine außerordentlich hohe Hundehaftpflicht zur Folge. Mein Mandant hätte von der Provision für diese Prämie viereinhalb Jahre sich, seine Ex-Frau und seine beiden Kinder - Studenten im 14. und 16. Semester - ausreichend, sogar mit einer leichten Tendenz zum Luxuriösen, versorgen können. Auch dies ist ihm nun nicht mehr vergönnt, da Herr Toll natürlich nicht eine Sekunde unversichert sein wollte und ein anderer Versicherungsvertreter dann diesen schönen fetten Fischzug machen durfte. Einmal abgesehen vom materiellen Schaden, der meinem Mandanten damit zugefügt wurde, die seelischen Qualen bleiben wohl ein Leben lang auf seiner Seele haften.“

Rechtsanwältin Undine Seif erhebt sich schräg nach oben, ihre breite linke Hüfte schmerzt und die rechte Bandscheibe puckert wie ein aufgeregter Puls.

„Was die angesprochenen angeblichen seelischen Qualen des hier nicht anwesenden Klägers anbetrifft, so möchte ich doch im Namen meiner Mandantin, Frau Sabine Maus, festgehalten wissen, dass sich Herr Rudolf Übrig anfangs hat sehr gern von meiner Mandantin umflirten lassen. Außerdem ließ er selbst keine Gelegenheit aus, ihr - wenn auch ungeschickte und inhaltlich bedeutungslose, um nicht zu sagen zutiefst dümmliche - Komplimente zumachen. Das motivierte die von Ihnen zu Unrecht Beklagte in natürlichster und menschlichster Weise zu einer positiven und aktiven Gegenreaktion, nur auf wesentlich höherem intellektuellem Niveau, als das bei Ihrem Mandanten jemals möglich sein wird.“

„Bitte, Frau Rechtsanwältin, Sie greifen hier dem Sachverhalt ein wenig vor. Wir müssen die Dinge der Reihe nach aufdröseln, damit sich die Richterschaft wirklich ein umfassendes Bild vom komplexen Geschehen machen kann. Aus diesem Grunde würde ich gern einige Worte von der Beklagten selbst entgegen nehmen. Bitte, Frau Maus, schildern Sie uns doch zunächst einmal, wie sich die Bekanntschaft des Versicherungsvertreters für Haus- und Haftpflicht Ihnen gegenüber vollzogen hat.“

Sabine Maus erhebt sich mit leicht gesenktem Blick und sanft geknickten Knien, was ihre ohnehin nicht allzu üppige Größe noch ein wenig mehr nach unten mogelt. ‚Seht ihr nicht, wie klein und schutzbedürftig ich bin?’, wirft sie gedanklich durch den Raum.

„Bitte, Frau Maus, Sie haben das Wort!“, ermutigt der Richter.

„Eigentlich“, beginnt Sabine Maus zurückhaltend, „eigentlich ist Herr Rudolf Übrig ja gar nicht mein Typ. Er ist muskelfrei, hat Untergewicht und was Chronisches mit den Ohren. Außerdem wachsen ihm Haare aus der Nase und beim Sprechen kommt er nicht so mit den Zischlauten klar. Doch als er mir beim ersten Vertreterbesuch erzählte, wie ich enden würde, wenn ich keine hochwertige Haus- und Haftpflichtversicherung bei ihm abschließen würde, war ich schon sehr angetan von ihm. Er machte sich so viele Gedanken um mein Wohl, entschlüsselte alle Risiken und Gefahren, denen ich ohne seinen Schutz gnadenlos ausgeliefert wäre, da habe ich mich auf den neunten Blick heftig in ihn verliebt. Er selbst gab mir auch das Gefühl, dass ich sehr wichtig für ihn wäre, er erzählte von seiner Arbeit, von dummen, unterversicherten Personen und wie ihn meine Weitsicht beeindrucken würde. Doch nachdem ich dann die ersten teuren Prämien bezahlt hatte, ließ er mich fallen und nichts mehr von sich hören. Ich musste mir eine neue Versicherungslücke einfallen lassen, um ihn zu mir zu locken. Es war ein wunderschöner, harmonischer Nachmittag mit Früchtekuchen, als ich mit Rudolf Übrig dann Verträge für Tischbeinbruch, Grünpflanzenfraß und Glastrübe abschloss. Alles Geheimtipps und echte Schnäppchen im Haus- und Haftpflichtbereich, wie mir Herr Rudolf Übrig versicherte. Und ich weiß noch wie heute, dass er mich dabei wie ganz unbeabsichtigt an der Schulter berührte.“

„Eine Berührung, die meine Mandantin in keinster Weise als ausführungsträchtig signalisiert hatte“, ruft Rechtsanwältin Undine Seif von ihrem ausgefüllten Sitzplatz dazwischen. „Hier müssen wir wohl stark davon ausgehen, dass der Kläger seiner zahlenden Kundin in primitiver und kindischer Weise menschliches Interesse vorheuchelte, um sie dann auf rabiate und außerordentlich infame, widerliche und höchst abartige Weise abzukassieren.“

„Stopp! Einspruch!“, ruft Rechtsanwalt Dr. Fabian Pracht dazwischen und schnellt wie ein Gummiball behände von seinem Platz nach oben. „Im Gegenteil! Mein Mandant hat seine Kundin sogar noch vor unnützen finanziellen Ausgaben bewahrt, denn Frau Sabine Maus erkundigte sich im selben Atemzug noch nach einer Hustenauswurfversicherung, einer Versicherung für Plastikkrätze und einer für Knopfverlust.“

„Das war doch scherzhaft gemeint!“, protestiert Sabine Maus mit einem honigsüßen Lächeln. „Es sollte originell und kreativ wirken, ich wollte Herrn Rudolf Übrig ja gefallen. Und ich wollte auch ein wenig Spaß und Humor in seine Arbeit bringen, ihn auf diese Weise glücklich machen.“

„Sehen Sie, Herr Richter!“, wirft Anwalt Dr. Fabian Pracht ein, wobei er seine glänzenden Perlenzähne würdig ins Bild setzt, „sehen Sie, hier finden wir die ersten fanatischen Züge der Angeklagten. Sie wollte meinen Mandanten mit absurden Versicherungsverträgen glücklich machen. Das sind klare Ansätze einer beginnenden Hörigkeit, in die sich die Beklagte immer tiefer hinein manövrierte, um sich dann wie in einem Strudel darin zu verlieren - ständig tiefer, traumatisch befallen, gefühlsmäßig isoliert und völlig weltfremd handelnd.“

„Mit grundschulhaften Verbal- und sonstigen Konstruktionen können Sie hier niemanden beeindrucken, Dr. Pracht!“, zischt Anwältin Undine Seif laut von ihrem Stuhl.

„Bitte, Frau Rechtsanwältin, bitte bleiben Sie doch sachlich. Wir möchten die Dinge zum Abschluss bringen, bevor die Kollegen von nebenan zum Mittagstisch gehen, sonst haben wir bei der Nachspeise wieder das Nachsehen“, drängt der Richter mit eindringlicher Stimme. „Also - wie kam es denn dann zu den Ausschreitungen von Seiten der von Ihnen Beklagten, Dr. Pracht?“

„Es begann mit dutzenden Telefonanrufen an einem Tag“, schildert der Anwalt von Rudolf Übrig. „Mal gab sich Frau Maus als habilitierter Schildkrötentherapeut aus, dann als prominente Staubfängerin und anerkannte Männer-Expertin. Schließlich behauptete sie sogar, die Verfasserin des berühmten Nummer-Eins-Thrillers ‚Die Hand an der Wanne’ zu sein.“

Sabine Maus schmunzelt.

‚Ich war schon sehr witzig damals’, lobt sie sich stumm.

„Einspruch!“

Anwältin Undine Seif krümmt sich nach oben.

„Der Nummer-Eins-Thriller heißt ‚Die Hand an der Waage’. Das hohe Gericht bekommt hier also den unwiderruflichen Beweis dafür, wie lasch die Gegenseite ihre angebliche Beweisführung handhabt. Mit Sorgfalt hat es Anwalt Dr. Pracht also nicht so.“

„Aber das war ja nur der Anfang!“, fährt Dr. Pracht unbeirrt und mit einem abfälligen Blick auf die wieder auf den Stuhl sinkende Gegenanwältin fort.

„Mehrmals versuchte sich Sabine Maus Eintritt in die Wohnung von Rudolf Übrig zu verschaffen, wobei sie sich als Heizungsinstallateur, Botenjunge, Fischverkäuferin und Bauchtänzerin verkleidete. Mit letzterem gelang ihr dann auch der Zutritt zur Wohnung von Herrn Rudolf Übrig.“

„Das zeigt“, ruft Anwältin Undine Seif empört dazwischen, „das zeigt doch ganz deutlich, dass Ihr Versicherungsvertreter selbst nur auf puren Sex aus war, sonst hätte er meine Mandantin ja auch als Fischverkäuferin in seine Räume lassen können. Ihr Mandant, Dr. Pracht, ist hier der Schuldige, da er den Dingen sozusagen vorsätzlich Vorschub geleistet hat.“

„Bitte, Kollegin Seif, hören wir doch erst einmal die Argumente der Gegenseite, bis Sie dann das Ganze als Unsinn verwerfen dürfen“, ordnet der Richter das Gespräch und deutet auf Dr. Pracht, um ihn fortfahren zu lassen.

„Nun, um es kurz zu machen, als mein Mandant dann nicht mehr so mitspielte, wie sich das seine Kundin wohl vorgestellt hatte, knebelte sie ihn. Stundenlang musste er so in seinem Fernsehsessel verbringen und Füttern, Kämmen, Streicheln sowie Singen und alberne Kinderspielchen von Seiten der Beklagten über sich ergehen lassen.

- Ende der Buchvorschau -

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ISBN: 978-3-8476-4998-4