Was wir in die Welt bringen - Jeannine Donzé - E-Book

Was wir in die Welt bringen E-Book

Jeannine Donzé

0,0
19,00 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Mutter werden oder nicht – eine zutiefst existentielle Frage. Frauen ohne Kind mit ganz verschiedenen biografischen Hintergründen, was Beruf, Religion oder sexuelle Orienterung anbelangt, erzählen persönlich und ungeschönt. Allesamt sind sie um die 40 und mit ihrer biologischen Schwelle konfrontiert. Ihre unterschiedlichen Positionierungen zeigen das Spektrum und das Spannungsfeld zwischen kinderlos und kinderfrei auf. Die breit gefächerten Fachzugänge der Expertinnen verdeutlichen, dass die Kinderfrage nicht nur eine persönliche ist, sondern vielmehr auch gesellschaftliche, politische und medizinethische Dimensionen berührt. Das Buch will in der eigenen Kinderfrage begleiten, zum Nachdenken über die gesellschaftliche Konnotation des Konzepts der Mutterschaft anregen und den Blick für alternative Lebensentwürfe weiten.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Über das Buch

Impressum

Titel

Widmung

Zitat-Einstieg

Vorwort

I   Einleitung

Zwischen Autonomie und Bindung

Wenn der Körper nicht will

Familie als Paarprojekt

Alternativen zu biologischer Mutterschaft

Von Verbindendem und Trennendem

II   Das bringen wir in die Welt – Porträts von Frauen ohne Kind

Im Spannungsfeld zwischen Autonomie und Bindung

Tina, 45: Blutsbande engen mich ein

Mia, 39: Ich habe diesen starken Freiheitsdrang

Claudia, 35: Hätte ich Kinder, bliebe weniger Zeit für meine Kaderstelle

Wenn der Körper nicht will

Elaine, 40: Mit der Reproduktionsmedizin kommt man in ein Getriebe hinein

Nora, 40: Dass ich keine Kinder habe, ist nicht von meinem Unfall trennbar

Camille, 43: Durch meine Konstitution ist meine Lebensaufgabe eine andere als Muttersein

Angela, 39: Eine eigene Familie hätte für mich etwas Heilendes gehabt

Judith, 48: Ich war Mutter – wenn auch nur für kurze Zeit

Heike, 40: Nicht als Ersatz für ein Kind, sondern weil ich es will!

Familie als Paarprojekt

Nele, 43: Der Tod meiner Partnerin warf die Kinderfrage neu auf

Sarah, 42: Mein Kinderwunsch fordert uns als Paar

Susanna, 50: Das Leben machte etwas anderes daraus

Alternativen zu biologischer Mutterschaft

Regula, 51: Es spielt keine Rolle spielt, ob mein Kind leiblich ist oder nicht

Hanna, 53: Weitergeben muss nicht zwingend über die biologische Linie passieren

Ruth, 47: Ich habe meine Wahlfamilie gefunden

III   Kinderlosigkeit aus fachlicher Sicht

Kinderlosigkeit aus soziologischer Sicht

Kinderlosigkeit aus medizinischer Sicht

Kinderlosigkeit aus psychotherapeutischer Sicht

Kinderlosigkeit aus beratender Sicht

Kinderlosigkeit aus kunsthistorischer Sicht

IV   Weiterführende Literatur und Fachstellen

Mutter werden oder nicht?

Unerfüllter Kinderwunsch

Partnerschaft

Kein Kinderwunsch

Reproduktionsmedizin

Kindsverlust

Sexuelle Orientierung und Kinderwunsch

Soziale Elternschaft: Pflegekinder und Adoption

Beratungsstellen rund um die Begleitung in der Kinderfrage/dem Abschied vom Kinderwunsch

Was wir in die Welt bringen – Aspekte von Geburt

Dank

Backcover

Über die Autorin

JEANNINE DONZÉ

WAS WIR IN DIE WELT BRINGEN

Die Autorin und der Verlag danken herzlich für die Unterstützung:  

 Der Zytglogge Verlag wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2021 – 2024 unterstützt.

© 2021 Zytglogge Verlag, Schwabe Verlagsgruppe AG, BaselAlle Rechte vorbehaltenZitat von Ruth C. Cohn aus Ruth C. Cohn/Alfred Farau (2001, 3. Aufl.): Gelebte Geschichte der Psychotherapie. Zwei Perspektiven. Klett-Cotta.Lektorat: Angelia SchwallerKorrektorat: Tobias WeskampSkulpturen: Margrith GyrFotografien: Ursula Müller, www.ursinow.comLayout/Satz: 3w+p, RimpareBook-Produktion: 3w+p, Rimpar

Jeannine Donzé

WAS WIR IN DIE WELT BRINGEN

Frauen zwischen «kinderlos» und «kinderfrei»

Für N.

Und in jedem ichist bereits das duund das wirund die Welt enthalten  

Vorwort

Nebst einer autobiografischen Intention für das vorliegende Buch – ich bin selbst eine Frau ohne Kind – möchte ich Sie als Lesende mit der vorliegenden Porträtreihe zum Nachdenken über ein altes Thema einladen: Mutter werden oder (ungewollt/vielleicht/bloß) nicht? Für manche Frau*1 ist die Kinderfrage vielleicht die größte aller Fragen, umfasst sie doch nebst der persönlichen Ebene auch weitere Dimensionen: Welche Rollen schreibt die Gesellschaft Frauen zu? Ist eine Frau ohne Kind ganz Frau? Ist Kinderkriegen durch den weiblichen Zyklus determiniert? Was spendet anstelle von Mutterschaft Lebenssinn und Beitrag an die Gesellschaft? Dürfen sich zwei Frauen Kinder wünschen? Ist es ethisch vertretbar für einen dringlich erlebten Kinderwunsch reproduktionsmedizinisch vorzugehen? Muss man sich erklären, wenn man sich wünscht, keine Kinder zu haben? Die Kinderfrage, das wird rasch klar, führt schnell in die Tiefe, hin zu Fragen nach dem eigenen Platz in der Gesellschaft, nach Werten und Sinn.

Im Porträt- und Hauptteil des Buches stehen Lebensentwürfe kinderloser Frauen nebeneinander, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Sie bilden die Pluralität von Frauenwegen ohne Kind ab. Dabei erhebt das Buch keinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit oder Vollständigkeit. Es lebt vielmehr von individuellen Sichtweisen. Von Geschichten, die das Leben schrieb und zuweilen umschrieb: von Sackgassen, Verlusten, Umwegen. Von Ent-Täuschungen, Entscheidungen, Aufbrüchen. Es erzählen Frauen, die die Kinderfrage für sich «im Spannungsfeld zwischen Autonomie und Bindung» abwägen; Frauen, die «Familie als Paarprojekt» verstanden hätten; Frauen wiederum, die sich nichts sehnlicher gewünscht hätten, als Mutter zu werden, doch «deren Körper nicht will»; Frauen schließlich, die unkonventionelle «Alternativen zu biologischer Mutterschaft» gesucht und gefunden haben. Ihre Stimmen sind es, die das komplexe Thema anschaulich werden lassen und die unkommentiert zu den Lesenden sprechen. Denn: Für einmal soll weder ein Kinderwunsch noch ein Kinder-nicht-Wunsch beurteilt oder reglementiert werden.

Wenn das vorliegende Buch Sie als Lesende zum Nachdenken anregt, Sie in einem Entschluss zu bestärken oder einem Verlusterlebnis zu trösten vermag oder Ihnen ganz einfach eine Breite an Lebensentwürfen ohne Kind aufzeigt, hat es seinen Zweck erfüllt. Dabei soll die Lesart ermutigend und inspirierend sein – trotzt mitunter schweren Themen.

Das Buch ist aus weiblicher, weil aus meiner Sicht, geschrieben. Dass sich Männer ebenfalls und in gleicher Intensität mit dem Thema beschäftigen, stelle ich nicht in Abrede. Auch ist es an keiner Stelle gegen Mütter gerichtet, sondern sucht vielmehr immer das Verbindende zwischen Müttern und Frauen ohne Kind: das Frausein an sich in seinen unterschiedlichen Facetten. Mutterschaft ist eine davon.

Im eigenen Prozess mit der Kinderfrage gründete ich mit Kolleginnen eine Gesprächsgruppe für Frauen ohne Kind und deren spezifische Anliegen. Denn, so meine Erfahrung, viele Frauen empfinden die Kinderfrage zutiefst persönlich und sehen sich damit existentiell auf sich selbst zurückgeworfen. Ungewollte Kinderlosigkeit, wie auch gewählte Kinderfreiheit, können zutiefst existentielle Fragen aufwerfen. Sich in dieser Auseinandersetzung von Gleichgesinnten verstanden zu wissen, kann unterstützen. Ähnlich wohl, wie wenn Mütter sich auf dem Spielplatz über ihre Kinder austauschen – beide Frauen wissen, was die Andere meint. Mit dem Unterschied, dass Spielplätze an jeder Ecke anzutreffen sind, denn Muttersein bildet auch heute noch die Norm.

Aus den positiven Erfahrungen mit der Gesprächsgruppe, sowie meiner Beratungstätigkeit, in der ich unter anderem Frauen in der Kinderfrage und im Abschied vom Kinderwunsch begleite, resultierte mein Vorhaben, Frauenwege ohne Kind zu sammeln und sie in einer Porträtreihe vorzustellen – die Buchidee war geboren. Aufrufe in Zeitschriften und Frauengruppen, in denen ich gewollt und ungewollt kinderlose Frauen suchte, stießen auf große Resonanz. Bei der Wahl der Interviewpartnerinnen war einerseits das Alterssegment plus/minus 40 Kriterium – verdichtet sich die Kinderfrage an der biologischen Schwelle doch mit besonderer Dringlichkeit und bedeutet die Lebensmitte an sich oftmals eine Zäsur. Andererseits spielte die Breite an Positionierungen sowie an Hintergründen bezüglich Herkunftsfamilie, Beruf, Umfeld und sexueller Orientierung eine Rolle bei der Auswahl. Dies, um die große Komplexität der Kinderfreiheit aufzuzeigen und einem Statement für oder gegen Mutterschaft entgegenzuwirken. Die Interviews erfolgten allesamt an neutralen Orten, meist in einem ruhigen Café.

So unterschiedlich sich die Lebens‍(um)‌wege präsentieren mögen – den porträtierten Frauen ist gemeinsam, dass sie eine Sprache für einen zutiefst persönlichen Prozess gefunden haben: manchmal nach Worten ringend, das Leben anklagend und unter Tränen, zuweilen versöhnt oder mit sachlicher Selbstverständlichkeit.

Interviews mit fünf Spezialistinnen aus Soziologie, Psychotherapie, Medizin, Beratung und Kunst stützen das vorliegende Buch fachlich ab. Die Breite ihrer Disziplinen veranschaulicht erneut die Komplexität des Themas. Auszüge aus den Gesprächen finden sich einerseits in der Einleitung sowie in voller Länge im dritten Kapitel des Buches, «Kinderlosigkeit aus fachlicher Sicht». Im vierten und abschließenden Kapitel wird auf Fachstellen und weiterführende Literatur verwiesen.

Viele der porträtierten Frauen berichten nach Abschluss der Kinderfrage von einem Plan B, von beruflicher und/oder privater Neuorientierung. Eine innere Bewegung, die im Übrigen auch vom Aufbruch in der Lebensmitte genährt wird. Dieses Potential interessierte mich in den Interviews ganz besonders – die konstruktive Transformation von Ungelebtem. Gerade aufgrund von bewusst gesuchten Freiräumen oder aber schmerzlich erfahrenen Leerstellen kann Ureigenes, Authentisches, Persönliches sanft hervorschimmern oder sich kraftvoll Bahn brechen – kann etwas in die Welt gebracht werden!

Jeannine Donzé, Bern, im Februar 2021

Endnoten

1Der Genderstern steht hier einmalig für den ganzen weiteren Verlauf des Buches und drückt die die folgende Haltung der Autorin aus: Alle Personen, die sich der binären Geschlechterordnung (Mann-Frau) nicht zugehörig fühlen, sind gleichwertig angesprochen.

Große Göttin, Steinzeug Ton, schwarz, 20 mal 20 cm

I   Einleitung

Muttersein bildet für Frauen auch heute noch die Norm und entsprechend stellt Kinderlosigkeit eine begründungspflichtige Abweichung derselben dar. Diese Tatsache schlägt sich bereits in unserem Sprachgebrauch darüber nieder: Während «Mutterschaft» positiv oder zumindest neutral konnotiert ist, finden sich für Frauen ohne Kind nur unzureichende, weil defizitäre Ersatzbegriffe wie «kinderlos», «fNicht-Mutter» oder «ohne Kind». In neuerer Literatur wird daher der Begriff «kinderfrei» vorgeschlagen. Wobei sich das Empfinden im Abschiedsprozess von einem unerfüllten Kinderwunsch subjektiv von einer anfangs schmerzhaft erlebten «Kinder-losigkeit» zur ressourcenorientierten «Kinder-freiheit» mit Blick auf neu gewonnene Möglichkeiten entwickeln kann. Regula Simon, eine der Fachpersonen des vorliegenden Buches, arbeitet als systemische Beraterin und begleitet Menschen insbesondere beim Abschied vom Kinderwunsch. Sie hat das Wortspiel «OK» geprägt, was meint, «ohne Kind» auch «okay» zu sein – sie spricht damit vielen Frauen (und Männern) aus dem Herzen!

In der klassischen Literatur ist die kinderlose Frau meist mit negativen Stereotypen behaftet: die Hexe, die alte Jungfer, die Hure. Dahingegen wird die aufopferungs- und hingebungsvolle «gute Mutter» glorifiziert und Mutterschaft im Extrem dieses Mythos zur Verkörperung des Weiblichen schlechthin: Frausein wird mit Muttersein gleichgesetzt und (nur) Mutterschaft macht glücklich. Je nach demographischem, kulturellem oder religiösem Kontext bleibt die Frau in dieser Vorstellung bis heute für Fortpflanzung und Soziales verantwortlich.

Dreht man das Rad der Zeit zurück, überliefern archäologische Funde aus vorpatriarchaler Zeit – Ton-Artefakte, die vor ihrer Entdeckung Tausende von Jahren unter der Erde schlummerten – ein ganz anderes Frauenbild. Göttinnen-Figurinen aus Ausgrabungen von Europa bis Sibirien zeugen von Frauen als Lebensspenderin, Fruchtbarkeitsgöttin, Priesterin oder Clan-Oberhaupt. Göttin Artemis beispielsweise repräsentierte als Archetyp Unabhängigkeit und Selbstversorgung. Attribute, die Eigenständigkeit und Ganzheit ohne Mann und Familie ermöglichten. Sie wurde im Gegensatz zu Demeter und Persephone, den beiden mütterlichen Frauentypen, als jungfräuliche Göttin verehrt. Die Künstlerin Margrith Gyr befasst sich seit 20 Jahren mit dem Thema Urweiblichkeit und gestaltet archaische Frauenskulpturen in Anlehnung an frühe Mythologien nach. Die versammelten Ton-Figurationen in diesem Buch stammen von ihr.

«Freunde (...) suchen und schätzen meinen Rat. Das ist durchaus eine Seite an mir, mit der ich meine Mütterlichkeit lebe. Ja, ich würde mich selbst als mütterliche Frau bezeichnen. Diese Qualität gibt es ja ganz unabhängig davon, ob man biologisch Mutter ist. Ich mag, wenn es meinem Umfeld gut geht.»

Angesprochen auf den generalisierten Egoismusverdacht bei Kinderfreiheit kontert Mia:

«Ist nicht gerade Kinderhaben zum Teil sehr egoistisch? Die Haltung, Kinder seien Besitztum ihrer Eltern. All die Erwartungen, die in sie gesteckt werden.»

Mia spricht instrumentelle Gründe an, die bei einem Kinderwunsch bewusst oder unbewusst mitschwingen können. Darin übernehmen Nachkommen eine Funktion: für die Eltern, für die Gesellschaft, für ein Land.

Dr. phil. Diana Baumgarten, Soziologin und ihrerseits wissenschaftliche Assistentin und Lehrbeauftragte am «Gender Studies»-Zentrum der Universität Basel, beschäftigt sich seit langem mit Familiensoziologie. Sie blickt zurück:

«In den westlich geprägten Gesellschaften hatte Kinderbekommen historisch lange vor allem folgende Funktionen: 1) Arbeitskräfte zu generieren, 2) das Alter der Eltern abzusichern, 3) die Weiterführung des Hofes zu gewährleisten und 4) durch Heirat etwaige Vorteile für die ganze Familie (im Sinne eines sozialen Aufstiegs) zu bekommen. Eine gute Ehe war in erster Linie durch das gute Führen der Haushaltung, die Teilung von Arbeit und alltäglicher Mühen und eine zahlreiche Nachkommenschaft gekennzeichnet.»

Heute schwingen bei einem Kinderwunsch natürlich subtilere Intentionen mit. Regula Simon rät den Frauen und Paaren in ihrer Praxis, diese immer auch zu hinterfragen:

«Hinter jedem Wunsch nach Veränderung steckt ein unerfülltes Bedürfnis. Und für jedes Bedürfnis gibt es verschiedene Wege der Erfüllung.»

Denn, so Simon, Gründe für ein Kind können sehr vielseitig sein:

«Eine romantische Vorstellung von Familie; Liebe erleben wollen, von der manche sagen, sie übertreffe alles andere; für jemanden (das Kind) der wichtigste Mensch sein; (...) für ein Wesen sorgen können; ein Kind ins Leben begleiten und aufwachsen sehen; Beobachtung von Freundinnen, die Mütter werden und in dieser Aufgabe aufgehen; dazugehören; keine Außenseiterin sein wollen; seine Werte weitergeben können; eine Aufgabe haben; einen Sinn haben; etwas Gemeinsames aus sich und seinem Partner entstehen lassen (Verkörperung der Liebe); etwas haben, das ganz einem selbst gehört; die Beziehung kitten; Ersatz für den Partner; Bild einer erfolgreichen Existenz; die emotionale Versorgung im Alter.»

Kinder stiften also Aufgabe, Sinn und Gemeinschaft. Kinderlosigkeit hingegen konfrontiert Menschen mit ihrer eigenen Endlichkeit – weil die biologische Linie nicht weitergeht, ist man früh das letzte Glied in der Kette. Das will ausgehalten sein. Umgekehrt wird man in dieser Lesart durch eigene Kinder unsterblich und die Fortpflanzung sichert Zugehörigkeit, Status und die Einbindung in eine Gruppe, was einem Grundbedürfnis von uns Menschen entspricht.

Heute bleibt jede dritte Frau in der Schweiz bewusst oder ungewollt kinderlos und die durchschnittliche Anzahl Kinder, die 1964 noch bei 2,7 Kindern pro Schweizer Familie lag, pendelt sich bei 1,52 ein. Diese Entwicklung generiert Schlagwörter wie «demographische Katastrophe». Dagegen sprechen Statistiken, die belegen, dass die Zahl der Geburten bzw. kinderlosen Frauen immer schon Schwankungen unterlag. Diana Baumgarten führt dazu aus:

«Der Lebensentwurf ohne Kinder war historisch gesehen vermutlich für mehr als ein Drittel der Frauen einer Generation Normalität. Da Kinder zu bekommen bzw. ernähren zu können nur im Rahmen einer Ehe möglich war, jedoch längst nicht alle heiraten durften (z. B. nicht Knechte und Mägde), führten die Heiratsschranken sowie die soziale Ächtung unehelicher Geburten zu einem beträchtlichen Anteil kinderfreier Frauen. Mit der Herausbildung des Protestantismus hält auch ein Pronatalismus3 Einzug. Insbesondere Lutheraner zeichnen ein abfälliges Bild der ‹vertrockneten ehe- und kinderlosen Frau›. Es gibt Thesen die besagen, dass die deutschsprachige Mutterideologie ein Produkt des Protestantismus ist.»

Als Beispiel staatlich geförderter Mutterschaft sei an das Ehrenkreuz deutscher Frauen, kurz «Mutterkreuz», erinnert, welches kinderreichen Müttern als Pendant zum Kreuz für Soldaten noch 1938 von der NSDAP als Zeichen ihres Einsatzes «von Leib und Leben» gestiftet wurde. Ein Kontrast dazu bildet beispielsweise die heutige in China staatlich propagierte Ein-Kind-Familie.

Mutterschaft wird also von höchster Stelle gefördert oder reglementiert. Frauen mit Kind genießen in dieser Sichtweise durch ihren Mutterstatus natürlicherweise Ansehen und Zugehörigkeit. Sie reihen sich ein in die lange Linie ihrer Ahninnen. Denn sie entsprechen der Norm und dem von vielen Staaten geschützten und gesellschaftlich vorgegebenen Lebensplan «Love, Marriage, Baby Carriage»4 (zu Deutsch: Liebe, Heirat, Kinderwagen). Kinderlose Frauen hingegen gehörten zu allen Zeiten einer Minderheit an. Nischen von Zugehörigkeit, Austausch und Gemeinschaft müssen von ihnen aktiv gesucht werden.

Der Stellenwert des Lebensentwurfs mit Kind hat sich im Laufe der Zeit nicht verändert, wie die Zahlen des Schweizer Bundesamtes für Statistik zeigen – rund 70 % der Schweizer Frauen im Alter von 25 bis 80 Jahren sind Mütter und 60 % der (bis dato) kinderlosen Frauen und Männer im Alter von 20 bis 29 Jahren wünschen sich Kinder. Dahingegen gewandelt hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten das Durchschnittsalter werdender Eltern: Während die Zahl junger Mütter stark rückläufig ist, nahm der Anteil der 30- bis 34-Jährigen seit Beginn der 1970er-Jahre bis ins Jahr 2001 kontinuierlich zu und der Anteil der 35-jährigen oder älteren Erstgebärenden bleibt weiterhin steigend. Das Durchschnittsalter der Mütter bei Erstgeburt lag im Jahr 2019 bei 32.2 Jahren. Analog zu dieser Entwicklung werden auch frischgebackene Väter älter: Die Mehrheit ist zwischen 30 und 39 Jahre alt, jeder fünfte 40 oder älter.

Die Diskussion über Mutterschaft ist immer auch eine Wertedebatte und ein Abbild einer Gesellschaft. Der gegenwärtige Diskurs über das Thema Elternschaft bzw. Kinderlosigkeit verdeutlicht die Brisanz der Thematik. In Kanada und den USA ist «Motherhood Studies» ein eigenständiges Studienfach mit interdisziplinärem, feministisch motiviertem Forschungsfeld. Geforscht wird zu den Aspekten Mutterschaft als Institution, als Erfahrung, als Identität und als Handlung. Hieraus wird deutlich, wie breit die Zugänge sind.

«Familie» ist keine Konstante, sondern muss in engem Zusammenhang mit gegenwärtigen kulturellen Vorstellungen und sozioökonomischen Verhältnissen verstanden werden. Weil die bürgerlich-patriarchale Kleinfamilie nicht mehr als allgemein gültige Norm gilt, spricht man heute denn auch vorzugsweise nicht mehr von «Familie», sondern von «familialen Lebensformen». Diese zeigen laut Baumgarten trotz Rückgang der Geburten das große heutige Bedürfnis nach sozialem Eingebundensein:

Ehepaare mit Kindern stellen noch immer die häufigste Familienform dar.

Uneheliche Familien: Der Anteil unverheirateter Elternpaare mit Kindern nimmt zu und spiegelt die Anzahl außerhalb der Ehe geborener Kinder wider.

Bei alleinerziehenden Eltern oder auch Einelternfamilien nimmt der Anteil mit zunehmendem Alter des jüngsten Kindes zu. Die Eltern in Einelternfamilien sind meist alleinerziehende Frauen.

In Patchwork-Familien, manchmal auch Fortsetzungsfamilien genannt, leben Kinder mit einem leiblichen Elternteil und der neuen Partnerin oder dem neuen Partner des Elternteils (und eventuell deren Kindern) zusammen.

Auch Pflegefamilien, in denen Kinder für einen begrenzten Zeitraum oder dauerhaft leben, weil sie nicht in ihrer Herkunftsfamilie bleiben können, gelten als Patchwork-Familien.

In gleichgeschlechtlichen Familien leben homosexuelle oder queere Erwachsene mit ihren leiblichen oder adoptierten Kindern zusammen (z. B. ein Kind lebt mit seinen zwei Müttern und seinen zwei Vätern zusammen).

Im Fall der Co-Elternschaft sind Elternschaft und Liebesbeziehung getrennt. Hier bekommen zwei Menschen ein Kind, ohne eine Liebesbeziehung miteinander zu haben. Manchmal kommen weitere Personen aus den jeweiligen Liebesbeziehungen der Elternteile hinzu.

Gerne ergänze ich diese familialen Lebensformen mit den weniger offiziellen Begriffen der «Wahl-» und «Freundesfamilie» oder der «Seelenverwandtschaft». Manche Menschen finden die Qualität von Familie für sich weniger in ihrer biologischen Herkunft als vielmehr bei den Lieblingsmenschen ihrer Wahl. Das kann die Familie einer Freundin sein, eine Wohngemeinschaft, eine ideelle (beispielsweise politische oder soziale) Gruppierung oder ein Kreis an engen Freundinnen und Freunden. Ebenfalls in den Bereich der weit gedachten Begriffe fällt das subjektive Empfinden von «geistigen Kindern», im Sinne eines Projektes, einer Berufung, einer Aufgabe. Erinnert sei an Nonnen und Mönche, die sich ganz ihrem Glauben verschreiben und bewusst kinderlos leben, an Künstlerinnen, welche ihr Werk als ihr Kind empfinden, oder Politiker/-innen, die zugunsten der Allgemeinheit in einem Amt aufgehen.

Was aber sind Überlegungen für einen Lebensentwurf ohne Kind? «Ich habe als Kind nie mit Puppen gespielt», so die plakativen Worte einer Interviewpartnerin – sie will ganz einfach keine Mutter sein. Sucht man Gründe gegen Mutter- und Elternschaft, muss man nicht allzu weit suchen – die Kinderfrage genießt gegenwärtig großes mediales Interesse. Spannend ist, dass Verfechter/-innen aus unterschiedlichsten Kreisen kommen.

Die Gegenposition zu allen Formen des Pronatalismus findet sich in der Argumentation des Antinatalismus. Darin wird propagiert, aus ethischen Gründen keine neuen Menschen hervorzubringen, da das Leben in seiner Gesamtheit als Unglück und Bürde wahrgenommen wird. Diese philosophische Haltung kann verschiedene Ausprägungen haben: moralphilosophische, politische, religiöse oder klimaethische. Religiöser Antinatalismus findet sich etwa in gewissen Religionsgemeinschaften: Durch Konzepte wie Auferstehung und eine damit einhergehende Vertröstung auf ein (besseres) Jenseits oder die Reinkarnation kann eine Art Weltabgewandtheit entstehen, die eigenen Kindern entgegenwirkt. Als Beispiel politischen Antinatalismus sei an die oben erwähnte Ein-Kind-Politik einiger Länder erinnert, die das Bevölkerungswachstum staatlich zu regulieren versuchen. Prominente Verfechterin des klimaethischen Antinatalismus ist beispielsweise die deutsche Autorin Verena Brunschweiger, die 2019 mit ihrem Buch «Kinderfrei statt kinderlos»5 dem Klima zuliebe den Verzicht auf Kinder propagierte. Brunschweiger und klimaethische Kreise verweisen auf Überpopulation und Ressourcenknappheit und rufen zu Kinderfreiheit auf, weil sich der ökologische Fußabdruck durch Elternschaft vervielfacht: Jedes Kind verursacht eine zusätzliche CO2-Belastung von 58,6 Tonnen. Im Vergleich dazu spart ein Jahr Verzicht auf Fleisch gerade mal 0,8 Tonnen CO2.

In Sarahs Porträt wird ersichtlich, dass sie ihren (ambivalenten) Kinderwunsch stark mit solch ökologischen und sozialen Fragen verknüpft: «Es gilt als egoistisch, sich nicht fortpflanzen zu wollen, obwohl unsere Erde übervölkert ist. (...) Doch: Gibt es nicht bereits genug Menschen? So viele Menschen leben in Armut und leiden Hunger. Erst müsste es der Menschheit besser gehen – erst dann ist es sinnvoll, Kinder auf die Welt zu stellen! (...) Eine andere Überlegung im Zusammenhang mit Familiengründung ist der Zustand unserer Erde: Wir haben in der Vergangenheit nicht genug Sorge dazu getragen und hinterlassen sie so unseren Nachkommen. Wie würde ich dies meinen Kindern erklären? Wie sie in eine Welt entlassen, die voller Probleme steckt?»

Weitere Stimmen zur Entmystifizierung des Konzepts Mutterschaft kommen von prominenten Autorinnen der Gegenwartsliteratur wie Sheila Heti oder Orna Donath, welche die Kinderfrage philosophisch bzw. soziologisch reflektieren. Heti lässt die Protagonistin ihres Romans «motherhood»6 (zu Deutsch: Mutterschaft) die Kinderfrage in einem inneren Monolog abwägen und die Lesenden teilhaben an deren emotional-sachlicher Güterabwägung pro und kontra Mutterschaft.

Donath ihrerseits veröffentlichte 2016 eine Studie, die unter dem Namen «regretting motherhood»7 (zu Deutsch: Bedauern der Mutterschaft) bekannt wurde. Darin befragte die israelische Soziologin Mütter verschiedener sozialer und religiöser Schichten und erhob, dass nicht alle Frauen ihre Mutterschaft auch wirklich erfüllend erleben, einige diese gar bereuen würden. Donath betonte, dass es beim Bereuen um die durch Mutterschaft ständig geforderte emotionale Verfügbarkeit sowie die Reduzierung auf die Identität als Mutter gehe, also um Rolle und Aufgabe des Mutterseins, nicht um fehlende Liebe für das Kind. Donaths Studie löste eine lebhafte Debatte unter dem Twitter-Hashtag «#regrettingmotherhoood» aus. Darunter fanden sich auch empörte Stimmen, die zeigen, wie wirkmächtig das Ideal der aufopferungsvollen Mutter bis heute ist. Ist eine Frau, die ihre Mutterschaft (zeitweise) bereut, und dies ehrlich ausspricht, folglich eine «schlechte Mutter»?

Brisanter Exkurs: Auch Mütter müssen sich mitunter erklären. Wenn sie beispielsweise berufstätig sind und ihre Kinder «abgeben» und «fremdbetreuen» lassen, gelten sie je nach Sichtweise als «Rabenmütter», um diese Metapher für einmal bewusst zu bedienen. Die soziale Bewertung macht also auch vor Müttern nicht Halt.

In den folgenden Unterkapiteln, die gleichzeitig der Gliederung der Porträts in Kapitel zwei entsprechen, werden obige offizielle Positionierungen zu Mutterschaft durch die individuellen Haltungen und Lebensentwürfe der porträtierten Frauen ergänzt.

Zwischen Autonomie und Bindung

Die meisten Schweizer Frauen und Männer wünschen sich Kinder, nur gerade 6,1 % der Frauen bzw. 8,9 % der Männer wollen bewusst keine Familie gründen. Baumgarten unterscheidet drei Kategorien:

«Bei gewollt kinderfreien Personen gibt es die ‹Frühentscheider/-innen›, die schon in jungen Jahren wissen, dass in ihren Lebensvorstellungen keine Kinder vorkommen. Dann gibt es ‹Aufschieber/-innen›, bei denen eine Konkretisierung so lange dauert, bis sich das Thema aufgrund des Alters von selbst erledigt. Manche davon werden zu ‹Spätentscheider/-innen›, die lange unentschlossen waren und spät eine Entscheidung dagegen fällen.»

Die Frage «Hast du Kinder?» kann also zum einen mit einem schlichten Nein abgetan werden. Dem Nein einer Frau, die nie Kinder wollte und den Mythos eines allen Frauen innewohnenden Kinderwunschs Lügen straft. Dazu Tina: «Warum ich keine Kinder habe? Ich habe ganz einfach kein Bedürfnis. (...) Muttersein assoziiere ich mit Geben, Geben und nochmals Geben. Ich verbinde es mit Verpflichtung, mit unfrei Sein. Das hätte mich nicht erfüllt!»

Dennoch wird bis heute allen Frauen ein angelegter Kinderwunsch attestiert, weil sozusagen biologisch determiniert. Mädchen werden zu Frauen, Frauen zu Müttern. Die Menstruation erinnert Monat für Monat an diese uralte Verpflichtung, so eine mögliche Argumentation dieser Lesart. Dazu nochmals Diana Baumgarten:

«Wir orientieren uns in unseren Vorstellungen vom ‹richtigen Leben› an gängigen gesellschaftlichen Normen. Und wenn diese besagen, dass zum ‹Lebensglück› zwei Kinder gehören, dann versucht sich die Mehrheit der Bevölkerung danach zu richten und das Gängige, das Normale zu leben. Ein von den vorherrschenden Geschlechterleitbildern bzw. der vorherrschenden Norm abweichender Lebensentwurf muss ständig begründet und legitimiert werden.»

Was für unsere Großmütter noch einziger Lebensentwurf, ist für heutige Frauen zur Wahl geworden. Durch die Antibabypille und finanzielle Unabhängigkeit aufgrund besserer Bildung wandelte sich Mutterschaft seit den 1960er-Jahren von der unhinterfragten Selbstverständlichkeit zum planbaren Ereignis. Man spricht denn auch von «Familienplanung» und «aktiver Kinderwunschzeit». Trotzdem ist der Wunsch, kein Kind zu haben, dem Wunsch, ein Kind zu haben, nicht ebenbürtig und stellt mitunter einen Tabubruch dar. Frauen wie Tina, die in ihrer Entscheidung gegen Mutterschaft sehr klar sind, lösen deshalb zum Teil Unverständnis oder Bedauern aus: «Als ich jünger war, kam mir manchmal Mitleid entgegen, wenn das Gegenüber von meiner Kinderlosigkeit erfuhr. Das hat mich sehr irritiert. Trotzdem habe ich aufgehört, mich zu rechtfertigen. Ich muss nicht allen erklären, warum ich kinderlos bin, trotz fruchtbarem Körper und fester Partnerschaft. (...) Die Frage aber bleibt ein heißes Eisen!»

Ein heißes Eisen für Frauen wohlgemerkt. Denn im Gegensatz zu deren Partnern sehen sich kinderlose Frauen mehr mit Erklärungsbedarf und Vorurteilen konfrontiert. Lic. phil. Karin Schmidt ist Fachpsychologin für Psychotherapie und arbeitet in einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Praxis in Zürich. Sie berät Paare und Einzelpersonen rund um das Thema unerfüllter Kinderwunsch und merkt an:

«Ein Aspekt, der von Frauen häufiger thematisiert und stärker empfunden wird [als von Männern – Anm. d. Verf.], ist das Gefühl, als kinderlose Frau von der Gesellschaft ausgeschlossen und nicht als vollwertiges Mitglied betrachtet zu werden.»

Und Diana Baumgarten konkretisiert aus soziologischer Sicht:

«Kinderwunsch und Mutterschaft sind bei Frauen in spezifischer Weise mit weiblicher Identität verknüpft. Deshalb erfahren kinder‍(wunsch)‌lose Frauen eine stärkere Infragestellung als Männer. Eine Frau, die freiwillig auf Mutterschaft verzichtet, verletzt die nach wie vor herrschende Norm für einen normalen weiblichen Lebensentwurf. Zwar ‹müssen› Frauen heutzutage nicht mehr unbedingt Kinder bekommen, werden jedoch von der Gesellschaft immer wieder zur Mutterschaft angerufen.»

Hinter der aktiven Entscheidung gegen Mutterschaft kann der Wunsch nach finanzieller oder reeller Unabhängigkeit und/oder eine stark ausgeprägte Berufsorientierung stehen. Claudia hat ihrerseits Karriere gemacht: «Ich fühle mich privilegiert, auf dem Arbeitsmarkt spannende Stellen besetzen zu können. In meiner Position bin ich nebst Männern oft die einzige Frau. (...) Frauen ohne Kind können es beruflich weit bringen. (...) Sie haben schlicht mehr Zeit und Energie dafür! Ich bin finanziell unabhängig und muss nur für mich selbst sorgen. Das gibt enorme Freiheit!»

Kinderfreiheit ist jedoch entgegen der landläufigen Meinung kein ausschließliches Phänomen bei Akademikerinnen. Doch zeigen Statistiken, dass Frauen mit längeren Bildungswegen im Tertiärbereich mit der Familiengründung entsprechend zuwarten, was unter Umständen die Gründung von Familie oder deren Erweiterung aufgrund fortgeschrittenen Alters gefährden oder verunmöglichen kann.

Gemäß Schmidt steht ein Kinderwunsch aus psychotherapeutischer Sicht für das Bedürfnis nach Bindung, Beziehung und Sinngebung. Höchst menschliche Bedürfnisse also, die nicht nur in Mutterschaft zu finden sind. Sind keine Kinder da, die Sinn verleihen, kann dies dazu führen, dass sich die Sinngebung auf einen anderen Lebensbereich verschiebt – wobei der Beruf nur eine mögliche Priorisierung darstellt. In den Porträts erzählen einige Frauen, dass für sie der Abschied vom Kinderwunsch eine neue Gewichtung der Arbeit oder eines sozialen Engagements mit sich brachte oder sie sich in der Folge beruflich neu orientierten. Auch von Umzügen, Auszeiten oder Reisen ist die Rede – alles konstruktive Folgen eines zu würdigenden Nicht-Ereignisses in der Biografie.

Längst stellt der Beruf für Frauen keine Übergangsbeschäftigung vor dem Muttersein mehr dar. Sie haben eine eigene Berufsidentität. Im Gegensatz zu Männern, die nach wie vor häufig ununterbrochen einer Berufstätigkeit nachgehen, bringt Elternschaft für Frauen eine Unterbrechung ihrer Erwerbsbiografie oder zumindest eine deutlichen Reduktion derselben mit sich. Dies kann die Kinderplanung beeinflussen. Tina sagt dazu: «Karriere und Muttersein unter einen Hut zu bringen ist nach wie vor eine Meisterleistung! (...) Gerade hat meine junge Vorgesetzte ein Kind bekommen. (...) Ich beobachte jeden Tag, wie sie sich halbieren muss, um beidem gerecht zu werden. Für mich der Horror!»

Baumgarten macht darauf aufmerksam, dass wohl die Hälfte der Paare vor der Geburt egalitäre Absichten bezüglich Haushaltsführung äußern würden und die Mehrheit diese auch praktiziere. Nach der Geburt verändere sich die Praxis jedoch in Richtung des traditionellen, geschlechtsspezifischen Modells:

«Der Übergang in Elternschaft erweist sich vor allem in den Erwerbsbiografien von Frauen als Zäsur. Mütter unterbrechen ihre Erwerbsarbeit und kehren häufig nur in Teilzeit zurück, während sich die Anzahl der Arbeitswochenstunden bei Vätern oft noch erhöht.»

Frauen sehen sich bis heute mit dem Problem der Unvereinbarkeit zwischen Beruf und Familie konfrontiert. Diese hat nebst konkreten Auswirkungen auf die Berufsbiografie auch den Aspekt des emotionalen Gebundenseins und kann für Frauen zur Güterabwägung führen: Beruf hier, Familie da. Tina spricht die emotionale Komponente von Mutterschaft aus weiblicher Sicht an: «Mutterwerden oder nicht, das ist für mich eher eine Frauenfrage. Ich bin überzeugt, dass eine Mutter (...) mehr gebunden ist als ein Vater. Obwohl ich von meinen jeweiligen Partnern wusste, dass sie verfügbare Väter gewesen wären, die sich um das Kind gekümmert hätten – für mich wäre Muttersein prägender gewesen!»

Daneben bewegen sich Eltern auch als Paar immer in einem Spannungsfeld. Wohlgemerkt auch solche, die bewusst ein egalitäres Familienmodell zu leben versuchen. So bleibt etwa die aktive Vaterschaft, eine gesellschaftliche Errungenschaft des 21. Jahrhunderts, abhängig von den familienfreundlichen Strukturen eines Landes. Im internationalen Vergleich herrscht diesbezüglich ein starkes Nord-Süd-Gefälle. In der Schweiz gibt es beispielsweise noch immer unzureichende außerfamiliale Betreuungsangebote, so dass Familien oft auf die Betreuung durch Großeltern angewiesen bleiben. Lohndiskriminierung der Frauen sowie die in der Schweiz stark vorhandene Ausprägung geschlechtsspezifischer Berufe bilden wenig Anreiz für egalitäre Familienmodelle und aktive Vaterschaft und zementieren ein überhöhtes (Vollzeit-)‌Mutterbild. Die Schweiz hat sich daher den Übernnamen «familienpolitisches Entwicklungsland» eingehandelt.

Jüngst stimmte das Schweizer Stimmvolk über die gesetzliche Verankerung eines Vaterschaftsurlaubes ab – spät im internationalen Vergleich. Die Vorlage wurde im September 2020 mit 60,3 Prozent Ja-Stimmen angenommen. Damit können Väter innert sechs Monaten ab Geburt des Kindes zwei Wochen bezahlten Urlaub beziehen.

Dahingegen wird Familienpolitik in skandinavischen Ländern wie Schweden und Norwegen längst auch als Wirtschaftspolitik begriffen, was sich positiv auf Erwerbsbiografie und Geburtenrate auswirkt. Zum Vergleich: In nordischen Ländern liegen die Ausgaben für Familien und Kinder bei rund 3.1 % des Bruttoinlandprodukts, in der Schweiz bei 0.2 %. Auch werden Paare individuell besteuert, wodurch kein finanzieller Anreiz entsteht, dass die Frau allein den Haushalt führt. Des Weiteren ist das dortige Kinderbetreuungssystem aufgrund hoher staatlicher Unterstützung erschwinglich und gut ausgebaut und familienfreundliche Arbeitsplätze mit Teilzeitmodellen und Karrieremöglichkeiten bei Teilzeit bilden den Normalfall. Baumgarten weist aber darauf hin, dass eine vollständige Anwendung des schwedischen Modells in der Schweiz unrealistisch sei. Es gehöre zur Schweiz, stärker auf private Verantwortung gegenüber staatlichen Maßnahmen zu setzen.

Nebst dem beschriebenen beruflichen Freiraum kann auch der Wunsch nach persönlicher Unabhängigkeit ein Argument gegen Familie sein. So sprechen Frauen in den Porträts von einem «Raum für sich selbst». Dieser kann ein Hobby bedeuten, Zeit für Spiritualität und Selbstfindung oder ganz einfach unverplante Zeit, über die niemand verfügt. Dazu sagt Hanna: «Ich brauche einen gewissen Raum für mich selbst, um immer wieder gut bei mir selbst anzukommen. Ein Raum, den ich mit Kindern so nicht hätte.» Oder Mia erwähnt: «Es ist mir wichtig, Zeit für mich zu haben. Abends in der WG spontan entscheiden zu können: Will ich Gemeinschaft, mich zurückziehen oder noch weggehen? Ich würde mich in der ständigen Interaktion mit einem Kind eingeengt fühlen!»

Wenn der Körper nicht will

Für andere Frauen steht hinter ihrem «Nein, ich habe kein Kind» keine aktive Entscheidung. Vielmehr klafft da ein Nichtereignis, das zu integrieren einen jahre- oder gar lebenslangen Versöhnungsweg mit sich bringt: weil körperliche und/oder psychische Hürden den angedachten Lebensentwurf mit Kind verhinderten. «Das Leben machte etwas anderes daraus», formuliert es Susanna. «Es gibt keinen Ersatz, es ist ein Loch, es ist schwarz. Es ist etwas, was nicht war in meinem Leben.»

Infertilität8 liegt grob gesagt zu 30 % bei der Frau, zu 30 % beim Mann und zu 30 % bei beiden und meint per definitionem das Ausbleiben einer Schwangerschaft trotz sorgfältig auf den Zyklus abgestimmten, ungeschützten Geschlechtsverkehr über einen Zeitraum von ein bis zwei Jahren. Im Anschluss wird Paaren meist eine ärztliche Untersuchung empfohlen. Die Gründe für Infertilität sind multifaktoriell: ein Zusammenspiel aus körperlichen, sozialen und seelischen Faktoren. Dies zeigt auch das Phänomen der verminderten oder zeitweiligen Unfruchtbarkeit oder einer unverhofften späten Schwangerschaft bei Paaren, die das Thema bereits abgeschlossen haben.

Frauen und Männer mit unerfülltem Kinderwunsch erleben nach Schmidt ein Wechselbad der Gefühle aus Angst, Hilflosigkeit, Kontrollverlust, Enttäuschung, Wut, Neid auf Schwangere und Eltern, Insuffizienzgefühle, Schuldgefühle, Trauer und Schmerz bis hin zu Depressivität. Der Abschiedsprozess vom Kinderwunsch benötige oft mehrere Jahre und sei psychologisch vergleichbar mit dem Trauerprozess nach dem Verlust eines nahestehenden, geliebten Menschen. Im Gegensatz dazu würden Betroffene jedoch oftmals weniger Empathie, Verständnis und Geduld aus ihrem Umfeld erfahren und durchliefen den Trauerprozess eher allein und im Verborgenen.

Was einen Kinderwunsch aus medizinischer Sicht erschweren bzw. verunmöglichen kann, erklärt Dr. med. Christine Stauffer, ihrerseits Spezialärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe und tätig in einer Praxis in Bern: