Was wird morgen sein? - Marietta Brem - E-Book

Was wird morgen sein? E-Book

Marietta Brem

3,0

Beschreibung

Der Sophienlust Bestseller darf als ein Höhepunkt dieser Erfolgsserie angesehen werden. Denise von Schoenecker ist eine Heldinnenfigur, die in diesen schönen Romanen so richtig zum Leben erwacht. Das Kinderheim Sophienlust erfreut sich einer großen Beliebtheit und weist in den verschiedenen Ausgaben der Serie auf einen langen Erfolgsweg zurück. Denise von Schoenecker verwaltet das Erbe ihres Sohnes Nick, dem später einmal, mit Erreichen seiner Volljährigkeit, das Kinderheim Sophienlust gehören wird.

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Sophienlust Bestseller – 6 –

Was wird morgen sein?

Ulli hatte einen Schutzengel

Marietta Brem

Wie ein endloses helles Band lag die Autobahn vor ihnen. Klaus Meinradt, der dreiunddreißigjährige Versicherungskaufmann, hielt das Steuer fest und sicher in den Händen. Er war ein begeisterter Autofahrer, und am glücklichsten war er, wenn er seine kleine Familie bei sich hatte.

»Bin ich froh, wenn wir endlich wieder zu Hause sind«, stöhnte Iris, seine junge Frau. Sie saß neben ihm auf dem Beifahrersitz und wischte sich mit einem Papiertaschentuch den Schweiß von der Stirn. »Das ist ja eine mörderische Hitze heute.«

Klaus nickte und machte ein zerknirschtes Gesicht. »Ich weiß, ich hätte dir das nicht zumuten dürfen in deinem Zustand«, gab er etwas kleinlaut zu und warf seiner Frau einen besorgten Blick zu.

Iris Meinradt war hochrot im Gesicht, was durch ihre halblangen, hellblonden Haare noch hervorgehoben wurde. Ergeben seufzte sie und legte ihre Hände wie schützend um ihren Leib. Sie mußte an das Kind denken, das sie in etwa zwei Monaten erwartete, und das ihr in den letzten Tagen bereits ganz schön zu schaffen machte.

»Jetzt sind wir gleich zu Hause, Mutti«, tröstete der kleine Ulli, der auf dem Rücksitz saß und unablässig seinen Hund Timo streichelte. Er hatte ihn zum letzten Weihnachtsfest geschenkt bekommen, weil er sich so sehr ein Tier gewünscht hatte.

»Gott sei Dank, Ulli«, gab Iris seufzend zu und wendete ihren Kopf, damit sie ihren Sohn ansehen konnte. Ulli war ein hübscher, aufgeweckter Junge, der eigentlich mehr seinem Vater ähnelte als seiner Mutter. Sein dichtes, dunkles Haar fiel in wirren Locken in die hohe Stirn, und seine großen, dunklen Augen schauten wachsam und intelligent in die Welt, die er mit seinen fast fünf Jahren erst noch entdecken mußte.

»Schalte doch bitte das Radio ein. Vielleicht wird uns das ein bißchen von der Hitze ablenken. Wenn ich an die zwei Monate denke, die ich noch durchzustehen habe, dann wird mir angst und bange«, klagte nun die Schwangere und machte ein gespielt verzweifeltes Gesicht. Sie freute sich ja auch über den Zuwachs, den sie schon lange geplant hatten.

Insgeheim wünschte sich die junge Frau ein Mädchen, denn einen Jungen hatten sie ja schon. Mit ihrem Mann Klaus wollte sie darüber nicht sprechen, weil sie wußte, daß auch er auf eine Tochter hoffte. Und sie wollte ihn nicht enttäuschen.

»…kommt Ihnen ein Auto entgegen. Fahren Sie deshalb äußerst rechts und überholen Sie nicht. Sie werden von uns unterrichtet, wenn die Gefahr vorüber ist.« Die Stimme aus dem Lautsprecher verstummte, und Musik setzte wieder ein.

»Hast du das gehört, Liebes? Da hat doch wieder so ein Idiot die Einfahrt mit der Ausfahrt verwechselt«, schimpfte Klaus und schüttelte verständnislos den Kopf. »Wie kann man nur? Die Autobahn ist so gut beschildert. Solchen Leuten sollte man gleich den Führerschein auf Lebenszeit abnehmen, wenn sie nicht einmal imstande sind, auf der richtigen Seite zu fahren.«

»Erst muß man diese Leute haben. Meistens passiert vorher ein Unfall. Ich habe auch schon gehört, daß sich manche einen Spaß daraus machen und sogar Wetten darüber abschließen«, fuhr Iris fort und wischte sich wieder das verschwitzte Gesicht ab.

»Stimmt. Das sollen wohl ganz tolle Mutproben sein. Ich kann mir nur nicht vorstellen, was daran mutig sein soll. Das ist in meinen Augen irrsinnig und unverantwortlich den anderen Autofahrern gegenüber. Wie viele Menschen mußten wegen solcher Idioten schon ihr Leben lassen.« Er runzelte ärgerlich dieStirn.

»Zu dumm, daß wir nicht gehört haben, auf welcher Autobahn der Geisterfahrer ist.« Iris stöhnte und strich sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht, die an ihrer Schläfe klebte.

»Hast du gehört, Timo? Auf der Autobahn gibt es sogar Geister«, erzählte Ulli seinem Hund, der seinen kleinen Herrn aufmerksam anschaute.

Timo war ein kluger Hund mit langen braunen Schlappohren und dunklen, treublickenden Augen. Sein Kopf und sein braun-weiß gescheckter Leib wirkten etwas zu groß für die kurzen Beinchen, was ihm ein etwas tolpatschiges Aussehen verlieh. Aber er war die Gutmütigkeit in Person und deshalb genau der richtige Spielkamerad für einen fünfjährigen Jungen.

»Aber Ulli, ich habe dir doch schon hundertmal erklärt, daß es keine Geister gibt.«

»Du hast es aber gesagt, Mutti«, beharrte der Junge und nickte verstohlen seinem Hund zu. »Nicht wahr, du hast es auch gehört«, flüsterte er Timo ins Ohr.

Zustimmend wedelte der Hund mit dem Schwanz.

Iris Meinradt lächelte zärtlich und seufzte gespielt auf. »Ach ja, seit Ulli seinen Timo hat, glaubt er mir gar nichts mehr. Kein Wunder, der Hund gibt ihm ja auch immer recht.«

»Er ist eben klüger als wir«, antwortete Klaus lachend. »Timo weiß eben, daß es wenig Sinn hat, sich mit Ulli anzulegen. Ich bin bloß gespannt, wie es unser Zweites einmal mit seinem Bruder halten wird. Vielleicht hat es einen noch größeren Dickschädel als unser Großer.« Vorsichtig legte Klaus seine Hand auf den gewölbten Bauch seiner Frau.

Glücklich ließ sie es geschehen, denn es bewies ihr, wie sehr sich ihr Mann auf den erwarteten neuen Erdenbürger freute.

»Ich habe nicht von einem Geist gesprochen, sondern von einem Geisterfahrer, Ulli. Und das ist ein ganz großer Unterschied. Ein Geisterfahrer ist ein Autofahrer, der auf der falschen Seite fährt und damit andere in Gefahr bringt.« Geduldig erklärte Iris ihrem Sohn den Ausdruck, bis er ihn verstanden hatte.

»Ich habe schrecklichen Durst, Mutti«, bekannte Ulli nach einer Weile.

»Ich auch, mein Kleiner. In ungefähr zehn Minuten sind wir von der Autobahn herunter, und dann ist es nicht mehr weit bis nach Hause. Ich glaube, ich kann jetzt auch den Gurt lösen.« Fragend schaute die Schwangere ihren Mann an.

»Lieber nicht, mein Schatz. Man weiß nie, was passiert«, widersprach Klaus.

»Ach was, es ist ja nicht mehr weit. Ich halte diesen Druck nicht mehr aus. Er nimmt mir die Luft zum Atmen. Und unserem Kind scheint es auch nicht zu gefallen. Es stampft und zappelt, als wollte es mir zu verstehen geben, daß es mehr Platz braucht.«

Klaus lachte herzlich, und Iris stimmte mit ein. Dabei drückte sie auf den roten Knopf und der Gurt sprang zurück. Endlich war sie frei und konnte wieder richtig durchatmen.

»Ich will auch los, Mutti, damit ich Timo besser streicheln kann«, meldete sich Ulli und zerrte ebenfalls an seinem Gurt.

»Kommt gar nicht in Frage, mein Sohn. Die paar Minuten wirst du es schon noch aushalten.« Iris hob die Arme und streckte sich, so gut es in dem kleinen Raum möglich war. »Ah, das tut gut«, sagte sie und holte tief Luft.

»Mir wäre es lieber, wenn du dich wieder anschnallen würdest«, tadelte Klaus. »Stell dir vor, ich muß plötzlich bremsen. Bei der Geschwindigkeit gibt es für dich kein Halten mehr.«

»Nun ärgere mich nicht. Du weißt, daß ich es nicht aushalten kann. Außerdem ist es ja nicht mehr weit«, sagte die junge Frau und legte ihren Kopf auf die Schulter ihres Mannes.

»Trotzdem«, beharrte Klaus. Irgendwie hatte er das Gefühl drohenden Unheils. »Ich würde mich bedeutend wohler fühlen, wenn du dich wieder angurten würdest.«

»Und ich würde mich bedeutend unwohler fühlen.« Iris war leicht beleidigt. »Außerdem wolltest du unbedingt diesen Ausflug machen. Ich war gleich von Anfang an dagegen.«

Das mußte Klaus zugeben. Aber Ulli hatte so gebettelt, daß er ihm nicht hatte widerstehen können. Außerdem fühlte auch er sich wohl auf dem Reiterhof, den sich seine Schwester und sein Schwager in der Hohenloher Ebene gekauft hatten.

Nur Iris hatte sich noch nie besonders gut mit Annegret verstanden. Die beiden Frauen waren sich zu ähnlich. Beide besaßen einen Dickkopf und waren es gewöhnt, sich durchzusetzen. Holger, Annegrets Mann, war seinem Schwager Klaus ebenfalls ähnlich. Er steckte bei Differenzen auch lieber zurück und dachte sich seinen Teil, ehe er sich mit seiner Frau stritt. »Der Klügere gibt nach«, pflegte er in diesen Fällen immer zu sagen.

Genau das dachte in diesem Augenblick auch Klaus Meinradt und schwieg. Daß er das noch lange würde bereuen müssen, ahnte der junge Mann nicht. Seine Gedanken waren noch bei seiner Schwester, die ihm beim Abschied nahegelegt hatte, sie als die Paten bei seinem zweiten Kind vorzusehen. Klaus wußte, daß Iris davon nicht sonderlich begeistert war, aber er wollte seiner Schwester den Gefallen tun, zumal er wußte, daß Annegret und Holger Schwartz nie eigene Kinder würden haben können.

In diesem Augenblick entdeckte er ihn. Er kam geradewegs auf ihn zu. Der Geisterfahrer!

»Spinnt der denn? Haltet euch fest!« konnte Klaus noch rufen. Verzweifelt riß er das Steuer herum und stieß gegen die Leitplanke. Er wußte gar nicht mehr, was er tat. Plötzlich war das entgegenkommenden Auto direkt vor ihm.

Den häßlichen Knall, den der Zusammenprall der beiden Autos verursachte, hörte er schon nicht mehr. Er hatte zwar noch versucht, dem Geisterfahrer auszuweichen, doch es hatte nicht mehr gereicht.

Der rote Sportwagen, dessen Fahrer total betrunken war, wie sich später herausstellte, prallte voll auf ihn drauf.

Klaus vernahm nur noch Iris’ entsetzten Aufschrei, dann verlor er das Bewußtsein.

Durch die Wucht des Aufpralls wurde die schwangere Frau aus dem Auto geschleudert. Ein nachfolgender Autofahrer, der mit seiner Familie ebenfalls auf dem Heimweg war, konnte nur noch flüstern: »Da kann niemand mehr helfen«, während er mit quietschenden Bremsen zum Stehen kam.

Die ältere, wohlbeleibte Frau schlug die Hände vors Gesicht. »Fahr bitte weiter, Gerhard, ich kann das nicht sehen«, bat sie im ersten Schreck.

»Nein, das geht nicht, Luise. Ich muß nachsehen, ob ich vielleicht etwas helfen kann.« Der Mann hatte ganz weiche Knie. Er wagte nicht, auszusteigen, weil er ahnte, was ihn erwartete. »Wenn da noch einer lebend herauskommt, ist das für mich das reinste Wunder«, sagte er leise.

Plötzlich kam Leben in seine Frau, die den ersten Schock schneller überwunden hatte als ihr Mann. »Dort hinten habe ich vorhin eine Notrufsäule gesehen. Während du nachsiehst, ob noch jemand am Leben ist, werde ich schnell zurücklaufen und die Rettung alarmieren.« Entschlossen schob sie ihren massigen Leib aus dem kleinen Fahrzeug.

Mit einem Blick übersah Gerhard Hohl die Situation. Die junge Frau lag mit seltsam verdrehtem Hals auf der Straße. Auch das, was er in den beiden demolierten Autos sah, war entsetzlich. Der Fahrer des Sportwagens rührte sich nicht mehr. Sein Gesicht war unverletzt, aber die blauen Augen waren von dem Entsetzen der letzten Sekunden weit aufgerissen. Sein Blick starrte ins Leere. Aus seinem Mund lief ein dünner Blutfaden.

Da entdeckte Gerhard Hohl, daß sich in dem anderen Wagen etwas bewegte. Erschrocken zuckte er zusammen. Sollte etwa doch noch jemand überlebt haben?

Plötzlich vernahm er das leise Jaulen eines Hundes. Ein kalter Schauer lief ihm über seinen Rücken. Ausgerechnet ein Hund hatte diesen gräßlichen Unfall überlebt.

Mit gemischten Gefühlen starrte der Mann durch das unbeschädigte Fenster ins Wageninnere. Vorne saß der Fahrer, ein noch junger Mann. Er war angeschnallt, und sein Kopf lehnte an der Nackenstütze. Eigentlich machte er einen unverletzten Eindruck, aber sein Gesicht war wachsbleich.

Vergeblich versuchte Gerhard Hohl, die Fahrertür zu öffnen. Sie hatte sich durch den Aufprall verklemmt. Hier konnte nur noch die Feuerwehr mit der Blechschere helfen.

Sein Blick fiel nach hinten auf den Rücksitz. Große, fast schwarze Augen starrten ihn angstvoll an. Sie gehörten zu einem kleinen Jungen, der, da er noch immer angeschnallt war, anscheinend keinen körperlichen Schaden erlitten hatte. Neben ihm saß ein komisch anzusehender Hund, dem ebenfalls nichts passiert zu sein schien.

Fassungslos griff sich der ältere Mann an den Kopf. Das überstieg sein Begriffsvermögen. Hier hatte bestimmt ein Schutzengel seine Hände darübergehalten, anders konnte er sich das nicht erklären.

Während der Mann noch überlegte, wie er dem Jungen und dem Hund helfen könnte, hörte er schon das Horn des Rettungswagens. Erleichtert atmete er auf. Jetzt war die Hilfe nicht mehr weit.

Wie ein Verrückter riß er an der hinteren Tür, und endlich gelang es ihm, sie zu öffnen.

»Tut dir etwas weh, mein Junge?« fragte er heiser. Fast versagte ihm die Stimme vor innerer Anspannung.

Ulli schüttelte den Kopf, seine Lippen hatte er fest zusammengepreßt.

»Komm, dann werde ich euch beide erst einmal herausholen.« Er öffnete den Gurt und hob das Kind hoch. »Du auch, Hund, komm«, sagte er dann, als er Ulli in seinen Armen hielt.

Aber das Tier reagierte nicht, es winselte nur leise.

»Dann eben nicht.« Gerhard Hohl wollte das Kind zu seinem Wagen tragen. Aber plötzlich begann Ulli wild zu strampeln. »Timo muß mit. Was ist mit meinem Timo?«

»Ich hole ihn gleich, Junge. Aber zuerst muß ich dich in Sicherheit bringen.« Vorsichtig trug Gerhard Hohl das Kind zu seinem Auto, wo bereits seine Frau Luise wartete.

Sie schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Dem Jungen ist ja gar nichts geschehen«, rief sie fassungslos aus.

»Er war angeschnallt«, wurde sie von ihrem Mann unterrichtet. »Da siehst du es wieder, was das ausmacht.«

Liebevoll nahm Frau Hohl ihrem Mann das Kind ab und setzte es auf ihren Schoß. »Wie heißt du denn, Kleiner«, versuchte sie, den Jungen abzulenken.

Aber Ulli ging nicht darauf ein. »Holt er Timo?« wollte er wissen. Dann stemmte er plötzlich seine Arme gegen die freundliche Frau und zappelte wild. »Ich will zu meiner Mutti und meinem Vati. Du bist nicht meine Mutti«, rief er zornig.

Luise Hohl, die bisher in ihrem Leben wenig mit Kindern zu tun gehabt hatte, fühlte sich dieser Situation ziemlich hilflos ausgeliefert. Darum war sie froh, als ihr Mann endlich mit dem Hund auf dem Arm zurückkam.

»Ich glaube, den hat es auch ganz schön erwischt«, sagte er mitleidig und setzte das Tier vorsichtig auf den Rücksitz seines Fahrzeuges. »Mindestens ein Bein ist gebrochen.«

»Timo soll zu mir kommen. Ich will meinen Timo haben«, beharrte der Junge, und nun liefen ihm Tränen über die Wangen.

»Dein Hundchen ist krank. Es braucht einen Doktor«, versuchte die Frau den Jungen zu trösten.

In diesem Augenblick fuhr der erste Krankenwagen vor, gefolgt von einem Polizeiauto.

Der Notarzt stellte bei der jungen Frau die niederschmetternde Diagnose: Tod durch Genickbruch fest. Auch der Fahrer des Sportwagens war nicht mehr am Leben. Die Sanitäter deckten helle Planen über die Toten.

Inzwischen hatte ein Polizist die Feuerwehr angefordert, die bereits hierher unterwegs war und kurze Zeit später am Unfallort eintraf.

Vorsichtig holten die Männer dann Klaus Meinradt aus seinem demolierten Auto. Nachdem sie ihn provisorisch versorgt und auf eine Trage gelegt hatten, wandte sich der eine Sanitäter an Gerhard Hohl.

»Es sieht nicht gut aus, aber wir hoffen, daß er am Leben bleiben wird. Von unserer Seite wird alles dafür getan werden. Dann wandte er sich rasch um und stieg in den Notarztwagen, der mit heulenden Sirenen davonfuhr.

»Und was machen wir mit dem Kind und dem Hund?« fragte der Mann ratlos. Noch steckte ihm der Schreck in allen Gliedern. Darum bemerkte er auch nicht den jungen Polizeibeamten, der hinter ihn trat.

Erst als ihm seine Frau ein Zeichen gab, drehte er sich um. »Aus dem einen Auto habe ich ein Kind, einen Jungen, geholt. Ich glaube nicht, daß ihm etwas geschehen ist.«

Der Polizist schaute kurz in den Wagen der Hohls hinein und lächelte Ulli freundlich an. »Ist das dein Hund?«

»Das ist Timo«, gab der Junge höflich Auskunft. »Und jetzt will ich wieder zu meiner Mutti und zu meinem Vati.« Trotzig schaute er von einem zum anderen.

»Es wird das beste sein, Sie bringen das Kind vorerst nach Sophienlust. Das ist ein Kinderheim, nicht weit von hier«, sagte der junge Beamte und schaute Ulli mitleidig an.

»Meinen Sie, daß man ihn dort aufnehmen wird?« fragte Gerhard Hohl hoffnungsvoll. Ihm tat der Junge von Herzen leid, aber mit nach Hause nehmen konnte er ihn ja nicht.

»Da bin ich mir sogar ganz sicher«, bestätigte der Polizist. »Wenn Sie möchten, dann kann ich auch Frau von Schoenecker anrufen. Wenn sie es einrichten kann, holt sie das Kind bestimmt selbst ab. Haben Sie noch etwas Zeit?«

Erleichtert nickte der Mann, und auch seine Frau Luise war froh. »Wir warten natürlich so lange, bis alles geklärt ist«, stimmte sie zu und streichelte dem Jungen über das dicke, dunkelbraune Haar. »Das arme Kerlchen. Was wird dann mit ihm geschehen?«

Der Polizist zuckte die Schultern. »Das weiß ich auch nicht genau. Aber daß er es in Sophienlust gut haben wird, das kann ich Ihnen mit ruhigem Gewissen versichern. Außerdem lebt der Vater noch, soviel ich mitbekommen habe. Hoffentlich wird er wieder ganz gesund.«

»Zu wünschen wäre es dem Kind«, murmelte Frau Hohl mitleidig. »Und was wird aus dem Hund? Der ist doch auch verletzt.«

»Auch ihn wird Frau von Schoenecker sicherlich mitnehmen. Ihrer Stieftochter und deren Mann gehört nämlich das Tierheim Waldi & Co. Herr Dr. von Lehn ist Tierarzt, übrigens der beste in der ganzen Umgebung hier. Ich weiß das so genau, weil ich selbst aus Maibach stamme.« Der Polizist lüftete seine Dienstmütze, weil ihm darunter heiß geworden war.

Unbarmherzig brannte die Sonne herab, obwohl es schon später Nachmittag war.

»Eine schreckliche Geschichte«, murmelte Gerhard Hohl und schüttelte immer wieder den Kopf. »Mit einem Schlag eine ganze Familie ausgelöscht. Nur das Kind bleibt übrig. Was soll so ein kleines Wesen so allein auf dieser Welt?«

»Sei endlich still, Gerhard«, protestierte seine Frau. »Noch lebt der Vater ja.«

»Schon. Aber die Frau hätte in den nächsten Wochen wieder ein Kind bekommen. Das macht einem schon zu schaffen, wenn man das sieht«, bekannte der Mann mit unsicherer Stimme. Gedankenverloren starrte er dem Polizisten nach, der mit raschen Schritten zu seinem Auto ging, um in Sophienlust anzurufen.

*

»Die Kinder freuen sich bestimmt auf den heutigen Nachmittag,

stimmt’s, Schwester Regine?«

Die junge, aparte Frau nickte. »Da haben Sie wohl recht, Frau von Schoenecker. Den ganzen Tag reden sie schon von nichts anderem als von dem kleinen Zirkus, den sie heute in Maibach besuchen dürfen.« Regine Nielsen freute sich mindestens ebenso auf die Vorführung und anschließende Tierschau, aber das wollte sie nicht zugeben.

»Na, dann mal los«, gab Denise das Startzeichen. »Ich glaube, ich habe den Bus schon vorfahren hören.« In den strahlenden Augen der schönen, schwarzhaarigen Frau las Schwester Regine, daß diese sich mit ihnen freute, auch wenn sie selber keine Zeit zum Mitkommen hatte.