Was wirklich zählt, ist das gelebte Leben - Verena Kast - E-Book

Was wirklich zählt, ist das gelebte Leben E-Book

Verena Kast

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Beschreibung

Zurückblicken und nach vorne schauen. Wir alle wollen unserem Leben Sinn und Bedeutung geben. Auch auf Umwegen oder Abwegen und durch Entscheidungen, die Probleme brachten und schmerzvoll waren. Anhand vieler Beispiele zeigt Verena Kast in diesem Buch eindrucksvoll: Sinn und Bedeutung liegen in jedem Leben. Wenn wir uns auf einen Lebensrückblick einlassen, sehen wir vieles in einem besseren Licht und werden aufgeschlossener für das, was noch kommt.

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Seitenzahl: 246

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Das Buch

Zurückblicken und nach vorne schauen: Verena Kast zeigt, dass Sinn und Bedeutung in jedem Leben liegen. Auch in Umwegen oder Abwegen und auch in Entscheidungen, die Probleme brachten und schmerzvoll waren. Wir können erkennen: Eigentlich sind wir doch ganz gut damit umgegangen. Wir haben das Beste daraus gemacht. Menschen, die sich auf einen Lebensrückblick einlassen, sind aufgeschlossener und dem Leben gegenüber positiver eingestellt. Ein spannendes Thema der psychologischen Forschung. Verena Kast macht es auf faszinierende Weise fruchtbar für alle Leserinnen und Leser, indem sie an zahlreichen Beispielen zeigt: Wir profitieren davon, wenn es uns gelingt, das gelebte Leben als das wirklich eigene Leben anzunehmen.

Die Autorin

Verena Kast, 1943 in Wolfhalden in der Schweiz geboren, studierte Psychologie, Philosophie und Literatur. Sie war Professorin für Psychologie an der Universität Zürich, Lehranalytikerin am dortigen C. G. Jung-Institut und ist Ehrenpräsidentin der Internationalen Gesellschaft für Tiefenpsychologie. Neben ihrer Tätigkeit als Psychotherapeutin mit eigener Praxis hat Verena Kast zahlreiche Bücher zu den Themen Emotion, Beziehung und Symbolik verfasst. Im Verlag Herder ist unter anderem »Vom Sinn der Angst« und »Abschied von der Opferrolle« erschienen.

Neuausgabe 2024

Titel der Originalausgabe: Was wirklich zählt, ist das gelebte Leben.

Die Kraft des Lebensrückblicks

© Kreuz Verlag in der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2010

ISBN 978-3-7831-3492-6

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2014

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: Verlag Herder

Umschlagmotiv: © gradyreese / GettyImages

E-Book-Konvertierung: Newgen Publishing Europe

ISBN Print 978-3-451-03444-2

ISBN E-Book (EPUB) 978-3-451-83269-7

Inhalt

Vorwort

Warum Lebensrückblick?

Der Wunsch nach dem Lebensrückblick

Der Blick zurück

Was Erinnerungen anregt

Freuden neu entdecken

Die Bedeutung von Träumen

Die Suche nach dem Schatz

Was uns am Erinnern hindert

Dankbarkeit

Die Lebensrückblickstherapie

Dank

Anmerkungen

Literatur

Vorwort

Ich freue mich sehr darüber, dass dieses Buch neu als Taschen buch aufgelegt wird.

Seit der Erstauflage dieses Buches 2010 ist viel Zeit vergangen, und das Interesse am autobiografischen Erinnern, am Lebensrückblick, an Biografiearbeit ist immer noch ungebrochen. Es ist offensichtlich eine Möglichkeit, die vielen Menschen hilft, mit sich und mit ihrem Leben in Kontakt zu kommen und sich lebendiger zu fühlen. Es gibt bei diesen Anregungen viele verschiedene Methoden. Es gibt dazu auch Forschungen, die zeigen, dass die verschiedenen Zugänge eine nachweisbare gute Wirkung auf leichtere und mittlere Depressionen haben, dass dabei depressive Symptome weniger werden und dass die Menschen sich grundsätzlich lebendiger fühlen.

Lebensrückblick, emotional bedeutsame Situationen des Lebens durch vorstellungsbezogenes Erzählen ins Gefühl zu bekommen und sie sprachlich zu fassen, ist eine Form der Erinnerung, die belebt, die die Wertschätzung für das gelebte Leben, das Selbstwertgefühl und die Lebenszufriedenheit hebt. Es geht um Aspekte der Erinnerung aus psychologischer Perspektive.

»Weißt du noch…?«, das ist die Grundform des autobiografischen Erinnerns, das wir alle kennen. Treffen wir Menschen, die näher oder ferner Teil unseres Lebens waren, wieder einmal nach längerer Zeit, beginnt ein großes Erzählen. Dabei versetzt man sich in seiner Vorstellung zurück in die Situation, etwa als Schulkind, als man einen Streich ausgeheckt hatte. Wir regen einander an mit den Erinnerungen, finden noch mehr oder erfinden auch etwas dazu und werden belebt.

Jedes Thema im Leben kann Ausgangspunkt für einen Lebensrückblick sein. In meiner Methode gehe ich nicht den Biografiegleisen nach, sondern Themen, die emotional berührt haben, wie etwa wichtige Lebensübergänge, die erste Freundin im Kindergarten, der Umgang mit dem ersten, selbst verdienten Geld … Aber auch: Kann ich mich an eine Situation in meinem Leben erinnern, in der ich von freudigem Stolz, von stolzer Freude erfüllt war?

Solche und andere Situationen werden so lebendig wie möglich in der Vorstellung in die Gegenwart zurückgeholt und anschließend einander erzählt. Durch die Vorstellung vergegenwärtigen wir uns die vergangene Zeit, erleben noch einmal die Gefühle, die wir damals hatten. Der Lebensrückblick beruht auf unserer Fähigkeit, uns zu erinnern, aber ebenso darauf, dass wir unsere Erinnerung auch beeinflussen können, da unsere Erinnerung nicht akkurat ist. Sind wir in einer guten Stimmung, dann werden wir auch freudige Situationen erinnern. Diese geben uns ein gutes Selbstwertgefühl, heben unsere Stimmung ganz allgemein. Damit fühlen wir uns besser, sind anderen Menschen näher, sind freundlicher gestimmt und auch in der Lage, das eigene gelebte Leben mit freundlichen Augen anzusehen, und damit Situationen, die wir bereuen, auch als solche stehen zu lassen, ohne uns weiter darüber zu grämen. Es war so. Es gibt auch andere Erfahrungen. Es empfiehlt sich, nach Freuden zu fragen, nach Interessen, nach Situationen, in denen man sich lebendig gefühlt hat – das verbessert das Selbstwertgefühl und die Lebenszufriedenheit.

Ziel des Lebensrückblicks, der nicht den Biografiegleisen nachgeht, auch in keiner Weise vollständig sein muss, ist es, das Leben, das wir gelebt haben, Gutes, weniger Gutes, Bedauernswertes, Durchschnittliches in seinem Wert zu sehen.

In der Zwischenzeit habe ich die Ideen, die ich in diesem Buch entwickelt habe, in zahlreichen Seminaren erprobt. Die Ideen zu diesem Buch kamen mir ursprünglich im Rahmen der Trauerarbeit. Der Tod kann uns zwar liebe und wichtige Menschen nehmen, aber nicht die Erinnerung an diese und an das Leben, das man mit ihnen gelebt hat. Diese Erinnerungen wirken dann besonders in uns emotional nach, wenn wir uns in unserer Vorstellung in die jeweiligen Situationen vertiefen. Wenn wir etwa einen Spaziergang, der so wichtig war, in der Vorstellung noch einmal ganz vergegenwärtigen und uns dabei deutlich wird, was in uns durch diese Situation geweckt wurde, zeigt sich, diese Erinnerungen muss man nicht verloren geben. Sie zeigen einem, was durch die Beziehung in einem angeregt worden ist. Ist diese Erinnerungsarbeit im Rahmen der Trauer von großer Bedeutung, so hat sie aber auch ihren Platz, ihre Belebung im alltäglichen Erinnern.

Durch das Erzählen der vorgestellten Erinnerungen – und das ist wichtig für meine Methode des Lebensrückblicks – werden diese Vorstellungen plastischer, verbinden sich mit mehr Emotionen, machen lebendig. Zusätzlich werden durch das Erzählen und gute Zuhören auch in anderen Menschen Erinnerungen belebt, die vergessen, aber dennoch wichtig waren; eine gute Art der Beziehung wurde erlebbar: Man sprach miteinander über etwas, das wichtig war, nicht so belanglos, und man teilte so viel miteinander, wie man teilen wollte.

Ich freue mich, wenn dieses Buch weiter viele Menschen anregen kann.

Ihre Verena Kast

Warum Lebensrückblick?

Lebensrückblick – das klingt zunächst einmal nach Vergangenheit. Damit ist aber keinesfalls gemeint, dass man in der Vergangenheit nur schwelgt oder sie bedauert und damit der Gegenwart und der Zukunft ausweicht. Es geht darum, das gelebte Leben zu würdigen. Als junge Heranwachsende machen wir uns mehr oder weniger bewusst Pläne, wie denn unser Leben so sein sollte. Im höheren Erwachsenenalter fragen wir uns, was aus diesen Plänen geworden ist: Wir sind glücklich und auch etwas stolz auf Gelungenes, auf Erfahrungen, die weit über das hinausgehen, was wir uns einst erträumt haben, wir sind traurig und wehmütig darüber, dass sich einiges nicht realisiert hat. Es geht dabei um das Erinnern des ganzen Lebens, um Scheitern und Gelingen, um den ganzen Reichtum des Lebens. Und schließlich geht es darum, mit diesem Reichtum, der uns auch Kraft gibt, das Leben zum Tode hin gut leben zu können.

Biografiearbeit ist nüchtern und respektvoll: Es geht nicht um das Glorifizieren der Vergangenheit oder das Starren auf die eigenen Fehler, nicht darum, sich als großartiges Opfer der Umstände zu verstehen, wohl aber darum, das Schwere zu sehen, und es durchaus auch zu beklagen: keineswegs aber, um in der Klage stecken zu bleiben, sondern um das Schwierige dann auch hinter sich zu lassen und dabei wahrzunehmen, was dennoch im eigenen Leben möglich war. Bleibt man im Beklagen der Vergangenheit stecken, die man ja nicht mehr ändern kann, kann man sich nicht dem zuwenden, was wirklich war, was einem die Vergangenheit noch »sagen« will. Gesucht ist der ruhige Blick, der wahrnimmt, was war – an Gutem und an Schlechtem –, ohne daran festzuhalten. Dann kommt – was immer auch war – der Reichtum des Lebens ins Gespür und Ideen für die Zukunft, so kurz oder lang die auch noch sein mag, blitzen auf. Es gibt in jedem Leben Erfahrungen, die eingekapselt sind, die eingefroren sind, und die durch die Erinnerung wieder ins Fließen kommen und die, ins Hier und Jetzt transportiert, Ressourcen für die Zukunft darstellen können.

Viele ältere Menschen sagen von sich, sie würden sich vermehrt an ihre Kindheit und Jugend zurück erinnern – und das erfülle sie mit Freude, mit Erstaunen, mit Traurigkeit, mit Entsetzen. Sie erzählen gerne, wie es »damals« war, freuen sich, wenn jüngere Menschen, etwa Enkelinnen oder gar Urenkel nachfragen, es genauer wissen wollen. Manche schreiben solche Erinnerungen auf, denn sie wissen, wenn sie sterben, sind auch diese ihre Erinnerungen verloren. Ob die Nachkommen dann diese Aufzeichnungen wertschätzen, überlassen sie dem Schicksal. Ihnen jedenfalls sind diese Erinnerungen so bedeutsam, dass sie sie oft in mühsamer, wenn auch außerordentlich befriedigender Arbeit nicht nur erinnern, sondern auch noch formuliert zu Papier bringen oder sogar künstlerisch gestalten. Diese autobiografischen Erinnerungen weisen dabei über sich selbst hinaus: Es geht auch darum, dass die kulturellen Wurzeln eines Lebens und damit einer Familie erhalten bleiben. Auch die Einbettung des eigenen Lebens in die Zeitgeschichte wird dadurch sichtbar. Eine Zeitgeschichte, wie sie nicht von den Geschichtsbüchern übermittelt wird, sondern als Erfahrung von den Menschen, die sie gelebt haben, die in ihrem Lebensvollzug maßgeblich davon mit beeinflusst worden sind. Es mag ja sein, dass sich in dieser Biografiearbeit auch der Wunsch ausdrückt, in einer gewissen Weise »unsterblich« zu sein, etwas Substantielles zu hinterlassen. Wichtige Schlüsselerfahrungen im eigenen Leben werden vor den Augen der anderen Menschen, realen und vielleicht auch vorgestellten, benannt, ausgeführt, zur Disposition gestellt, den anderen Menschen geschenkt.

Erinnerungen sind und bleiben ein großer Schatz, zunächst einmal für die Menschen, die sich erinnern, dann aber auch für die, die diese Erinnerungen lesen und dabei in ein anderes Leben eintauchen. Sie erfahren etwas von Lebensumständen und Lebensführung, die ihnen sonst unbekannt blieben. Erinnerungen sind ein Schatz für uns Menschen: Sie sind unser Ureigenstes, sie sind das, was uns von unserem Leben als Ganzem zugänglich ist und bleibt, wenn wir uns darum bemühen und unser Gedächtnis uns nicht im Stich lässt.

Erinnern wir uns! Stellen wir uns vor, wie es damals war, als wir das erste Mal selber Rad gefahren sind: der Stolz, das Lebensgefühl, jetzt alles meistern zu können. – Für einen kurzen Moment wenigstens.

Mit den Erinnerungen tauchen wir ein in ein Leben, das schon lange vergangen ist und vergegenwärtigen es uns. Betrachten wir Familienfotos mit verschiedenen Kleinkindern und entdecken uns selbst dann endlich, dann sagen wir: »Das bin ich!« Wir sagen nicht, »Das war ich!« – offenbar sind wir es immer noch. Es gibt eine Kontinuität in unserem Leben trotz aller Veränderungen, und diese Kontinuität wird im Lebensrückblick sichtbar.

Die vielen Veränderungen in unserem Leben, die wir vor allem an markanten Punkten unseres Lebens wahrnehmen, werden durch das Erinnern verbunden. Verbinden wir aber verschiedene Erinnerungen, wird uns deutlich, dass im Netz der Erinnerungen die Essenz unseres Lebens erfahrbar ist, unsere Identität wird sichtbar. In unseren Erinnerungen begegnen wir auch den Sehnsüchten von damals, vielleicht sind es auch unabgegoltene Sehnsüchte. Und wir begegnen auch Erfahrungen, die wir lieber ungeschehen machen würden, derer wir uns schämen. Und dennoch: alle diese unsere Erfahrungen machen unser Leben aus – und nur wir können uns diesen Schatz vermiesen, indem wir unsere Erinnerungen nicht wertschätzen, sie als banal und belanglos einstufen. Doch damit tun wir aber auch unser Leben als banal und belanglos ab.

Erinnerungen gruppieren sich um Schlüsselerfahrungen, oft um Erfahrungen, die wir das erste Mal gemacht haben: Der erste Schultag – den erinnern wir meistens recht genau. Den letzten meistens auch. Die vielen Schultage dazwischen erinnern wir nur, wenn etwas Besonderes geschah, etwas Wunderbares oder etwas Schreckliches. Der erste Kuss, die erste Liebe, der erste Liebeskummer – sie sind uns meistens präsent. Wir erinnern uns auch an vieles aus der Adoleszenz, vermutlich, weil da so vieles begann, aber auch, weil wir in diesem Alter uns schon Gedanken machen um unsere Biografie, vor allem auch darüber, was für ein Mensch wir werden wollen. Wir entwickeln einen Traum von unserem Leben. Da will einer ein wichtiger Forscher werden, eine andere eine berühmte Filmschauspielerin, ein berühmter Musiker, eine erfolgreiche Fußballerin… Es ist interessant, sich zurückzuerinnern: Was war denn mein Traum damals – und wie habe ich diesen Traum ausgefüllt – oder eben auch nicht. Natürlich waren das damals Größenideen, denn aus dem Leben soll ja etwas Großes werden. Natürlich hat man diese Träume nicht einfach umsetzen können – aber etwas davon ist doch in den meisten Leben realisiert worden. Gelingt es, sich nicht an der Größenidee zu messen, sondern an der Richtung, die darin sichtbar wurde, sehen wir eine Entwicklungslinie vom Traum zu unseren wichtigen Lebensthemen, zu den Themen, die zu verwirklichen uns immer wichtig waren, oder aber wir haben den Eindruck, etwas »falsch« gemacht zu haben. Nun mag es ja sein, dass der Traum zu weit von den Realisierungsmöglichkeiten entfernt war, vielleicht aus einer schwierigen Lebenssituation heraus, die es notwendig machte, einer Größenidee nachzuhängen, um das Leben überhaupt aushalten zu können. Aber sogar in diesen Situationen findet man oft noch ein Körnchen dessen, was zu verwirklichen uns später im Leben wichtig war.

Aber nicht nur, was wir das erste Mal erlebt haben, was unsere Psyche noch unvorbereitet traf, bleibt in unseren Erinnerungen, sondern auch Erfahrungen, die das letzte Mal betreffen. Das letzte Mal mit einem Menschen gesprochen haben, den wir später nie mehr gesehen haben, der aus unserem Leben verschwand oder gar starb. Diese letzte Unterhaltung bekommt dadurch eine Bedeutung und wir holen sie in unsere Erinnerung zurück, versuchen das Gespräch und die Atmosphäre minutiös zurückzuholen in unsere Erinnerung, verknüpfen sie unbewusst mit Erfahrungen von Ende und Tod – und deshalb können wir uns auch später gut daran erinnern. Aber es muss nicht das letzte Mal im Zusammenhang mit einem realen Tod sein: Das letzte Mal in eine Firma gehen, das letzte Mal diesen bestimmten Schreibtisch aufräumen, das letzte Mal gemeinsam frühstücken … Was dazwischen ist, zwischen dem ersten und dem letzten Mal, rückt zusammen, verdichtet sich, ist schwer auf Einzelheiten zu durchdringen. Aber da, wo etwas Besonderes geschieht, etwas Herausragendes, da wird unsere Erinnerung wieder präziser: etwa bei Lebensübergängen oder bei Krisen, die mit diesen Lebensübergängen verbunden sein können. An runde Geburtstage erinnern wir uns meistens, vielleicht auch noch an die Zeit davor und an die Zeit danach. Lebensübergänge – ob normative, die zu unserem Leben gehören, wie etwa die runden Geburtstage –, oder individuelle, wie etwa die Geburt eines Kindes, der Tod eines geliebten Menschen, haben eine spezifische Dynamik.

Zeiten der Lebensübergange haben ihre eigene Dynamik: Was kurz zuvor noch gültig und verlässlich schien, wird plötzlich bezweifelt, hinterfragt. Unzufriedenheit wird erlebt, Unruhe, Angst. Irgendwie sollte alles anders werden, es sollte sich aber auch nichts verändern. Je mehr wir festhalten wollen, umso mehr hinterfragen wir kritisch das Festgehaltene. Das heißt aber auch, dass wir den Lebensabschnitt, der zu Ende geht, in unserer Erinnerung noch einmal vergegenwärtigen: Es wird uns bewusst, was war, was gut war, was veränderungsbedürftig – und möglicherweise gibt es Ideen, was nun für den Fortgang des Lebens wichtig ist, was in den Mittelpunkt gestellt werden soll. Dann können wir loslassen – die Erinnerung kann uns niemand nehmen, und aus dieser Erinnerung heraus gibt es eine neue Perspektive für die Zukunft. Halten wir allerdings fest, dann entfremden wir uns von uns selbst, nehmen neue anstehende Entwicklungen nicht auf und geraten dann oft in eine Krise.

Übergangsphasen sind Phasen der Labilität, mit Angst, Spannungen und Selbstzweifeln verbunden. Weil es labile Phasen sind, können wir uns leichter verändern, es brechen aber auch alte Konflikte auf, Schwierigkeiten, die wir schon immer hatten, werden reaktiviert. So berichten viele Menschen in Übergangsphasen, sie hätten erneut Probleme mit Autoritätsgestalten, etwas, das sie eigentlich schon länger für überwunden hielten. Solche Reaktionen entstehen, weil wir durchlässiger sind in diesen Phasen und weil wir nicht mehr so genau wissen, wie wir denn mit dem Leben umgehen sollen. Das ist eine Chance: Veränderungen sind möglich. Der Zweifel weckt die Reflexion – und das ist die Voraussetzung dafür, dass wir uns neue Ziele setzen und anderes Verhalten in den Blick fassen.

Sind wir aber empfindlicher und empfindsamer, weniger kontrolliert und weniger entschlossen als normalerweise, ergeben sich mehr Konflikte im Alltag. Und diese Konflikte beeindrucken uns mehr als in Zeiten, in denen unser Leben konsolidierter ist, wir einen Übergang hinter uns gebracht haben und das Leben wieder »normal« seinen Gang nimmt. Doch auch diese erhöhte Konfliktanfälligkeit hat eine Chance in sich: Alte Konflikte, Konflikte, die sich immer wieder in unserem Leben ereignen, können jetzt verstanden und verändert werden.1 Lebensübergänge sind verbunden mit viel Emotionen: Angst, Hoffnung. Ärger, Freude und andere mehr. Sie sind verbunden mit Konflikten mit Mitmenschen – und sie erlauben es, eine neue Passung zwischen sich selbst und den Mitmenschen, aber auch zwischen der bewussten Haltung und Entwicklungsnotwendigkeiten zu finden.

Die 50-Jährige, die angesichts ihres runden Geburtstages sehr unzufrieden ist mit sich, weil sie sieht, dass sie ihre Wünsche »immer« hintangestellt hat, und die findet, sie würde dafür von ihren Lieben nicht genug »entschädigt«, lernt einen Wunsch von sich selber kennen, den sie sich erfüllen will. Sie will endlich Türkisch lernen und später mit türkischen Frauen etwas arbeiten. Das verwirklicht sie dann auch und ist viel zufriedener.

Erfahrungen, die wir an Lebensübergängen gemacht haben: Das sind die Erinnerungen, die aus der Fülle des gelebten Lebens herausragen und die für uns die Pfeiler unserer Identität darstellen: Diese Erfahrungen sind es, die vor allem bewirken, dass wir sind, wer wir sind. Das gilt auch von den Übergängen, mit denen wir nicht gerechnet haben, in die wir hineingeworfen werden. Diese Ereignisse, etwa der Tod eines uns wichtigen Menschen, der überraschende Verlust der Arbeit, teilen unser Leben in ein »Vorher« und ein »Nachher« ein, konfrontieren uns mit uns selbst, fordern uns heraus. Im Rückblick auf unser Leben gelingt es uns, dieses Vorher und Nachher miteinander zu verbinden, den Lebensübergang als sinnvoll zu erleben, ihn zu verstehen.

Der Wunsch nach dem Lebensrückblick

Es mag sein, dass der Lebensrückblick der Mythos des 21. Jahrhunderts ist: Eine durchaus reizvolle Entwicklungsaufgabe, die sich den heutigen Menschen stellt, wie Kotre das vermutet.2

Hinter dem Verfassen eines Lebensrückblicks steckt der Wunsch und die Absicht, bedeutsame Situationen aus der Lebensgeschichte noch einmal zu erinnern, sich wichtige Erfahrungen noch einmal bewusst zu machen, darüber zu reflektieren, oder aber neblige, ungenaue Erinnerungen, geahnte Erinnerungen noch einmal genauer anzusehen, zu einer Erfahrung machen zu lassen. Es ist eine Form der Selbstvergewisserung. Ein wichtiges Motiv, dies zu tun, steckt in dem Wunsch der meisten Menschen, aus ihrem Leben ein Ganzes werden zu lassen.

Dieser Wunsch wird an runden Geburtstagen sichtbar, beständiger dann in den Wünschen von älteren Menschen: »Mein Leben rundet sich, ich möchte mich an einige wichtige Zeiten meines Lebens noch einmal intensiver erinnern, aber auch einiges, das auf der Strecke geblieben ist, noch einmal aufnehmen«, so sagt ein Mann hoch in den Achtzigern. Dass das Leben rund, in Ordnung, ein gutes Leben sein soll, das sagen ältere Menschen immer wieder. Wie das Leben auch war, gegen Ende scheint bei vielen Menschen das Bedürfnis zu stehen, über das Leben nachzudenken, es aber vor allem auch wertzuschätzen: Das ganze Leben, trotz Widrigkeiten und Schicksalsschlägen auch im Positiven zu sehen und es als sinnvoll zu verstehen.

Indem sie ihre Geschichten erzählen, lassen sich manche ältere Menschen von ihren Zuhörern und Zuhörerinnen bestätigen, dass diese Erfahrungen wichtig waren, dass sie sich in einer schwierigen Situation sehr gut verhalten haben, dass es verständlich ist, dass sie so gehandelt haben, wie sie damals gehandelt haben. Vielleicht ist gerade das eine Bedeutung des Lebensrückblicks – unter vielen anderen –, dass sich die Erzähler und Erzählerinnen klar machen, dass sie äußerst schwierige Lebenssituationen bewältigt haben. Und dieses Wissen, bewusst oder unbewusst, kann Mut für die letzte Lebensphase geben, die von den meisten Menschen ebenfalls als etwas zu Bewältigendes gesehen wird. Und damit hätte der Lebensrückblick auch eine therapeutische Wirkung. Therapie heißt »dienen, Pflege des Kranken«. Der Lebensrückblick hätte also eine dem Leben dienliche Wirkung und könnte auch kranke Aspekte heilen: Die Lebensgeschichte so erzählen, dass man zum Beispiel einen immer noch gehegten Groll aufgeben kann, dass man Verletzungen als solche stehen lassen kann, etwas gut sein lassen kann, ohne sich zu fragen, wie denn etwas geworden wäre, hätte man sich damals anders verhalten – ohne sich von Schuldgefühlen zernagen zu lassen, aber auch ohne ständig Schuldige suchen zu müssen. Zurückblicken und sich versöhnen, kann Motivation sein, um sich intensiver mit den Erinnerungen auseinanderzusetzen.

Es geht bei einem Lebensrückblick zunächst um die Intensivierung von Erinnerung an wichtige Lebenserfahrungen, dadurch kann sich eine therapeutische Wirkung einstellen: im Sinne einer Veränderung von Emotionen, von heiler werden, ohne dass man sich in eine Psychotherapie begibt. Wir Menschen haben große Kompetenzen im Umgang mit uns selbst. Geht es uns nicht so gut, so wissen wir in der Regel, was uns helfen könnte: ein Spaziergang, eine bestimmte Musik, ein Gespräch mit einem uns für diese Thematik wichtigen Menschen, das Betrachten von etwas Schönem, das Genießen von etwas, das uns schmeckt und vieles andere mehr. Damit bringen wir uns wieder ins Lot, ins Gleichgewicht, kommen wieder zu uns selbst, wenn wir aus dem Lot geraten sind. Aber manchmal gelingt uns das nicht mehr, und dann suchen wir einen Psychotherapeuten oder eine Psychotherapeutin auf.

Verschiedene Studien zeigen, dass Menschen, die sich mit ihren autobiografischen Erinnerungen beschäftigen, weniger depressiv und geistig beweglicher sind als die entsprechenden Kontrollgruppen. Das trifft allerdings nicht zu, wenn in der Biografiearbeit nur die Vergangenheit glorifiziert oder global Schuld anderen Menschen, oder der Zeitgeschichte, an der man Anteil hat, zugewiesen wird.3

Der Lebensrückblick als solcher kann also für den Zurückblickenden eine therapeutische Wirkung haben und stimmungsaufhellend wirken,4 besonders wenn die Erinnerungen dann auch reflektiert werden. So wird er oder sie dann auch wieder neu in die Zukunft blicken können.

Gelegentlich wird der Lebensrückblick auch »Lebensrevision« genannt.5 Kotre meint damit, dass Menschen ihr Leben noch einmal Revue passieren lassen. Robert Butler6, der diesen Begriff in den 60er Jahren aufbrachte, hielt ihn für einen »universellen« Prozess, also für etwas, was zur Entwicklungspsychologie des Alters gehört. Das Interesse, das zur Zeit der Biografiearbeit entgegen gebracht wird, könnte darauf hinweisen, dass dem wirklich so ist.

Wenn viele ältere Menschen sich mit ihrem Lebensrückblick beschäftigen, kann dabei deutlich werden, was auch im Alter trägt – und was noch angestrebt wird. Wenn diese Erfahrungen dokumentiert werden, was heute mit den elektronischen Medien ein Leichtes ist, könnte sich daraus eine Form der Alterskultur ergeben.

Aber nicht nur alte Menschen profitieren von einem Lebensrückblick.

Besonders eindrücklich zeigt sich der Nutzen vom Niederschreiben von Erinnerungen im Verfassen der »Memory Books«7. Die Idee, Memory Books zu schreiben, stammt von einer Gruppe aidskranker schwarzer Frauen in Uganda, die sich fragten, was sie ihren Kindern hinterlassen könnten für die Zeit nach ihrem Tod, und wie sie zugleich erreichen könnten, dass der Teil der afrikanischen Kultur, der mit ihnen zu sterben droht, dennoch nicht vergessen geht. Daraus entstand die Idee, Memory Books zu schreiben. Memory Books sind Hefte, in denen diese Mütter die Familiengeschichte für die Kinder und mit den Kindern zusammen aufschreiben. Außer der Familiengeschichte werden auch Geschichten erzählt, die in der Familie schon immer erzählt wurden, Lieblingsgeschichten oder Lieblingsmärchen. Aber auch gute Wünsche und Gedanken für das Kind werden formuliert. Können die Mütter aus irgendeinem Grunde nicht schreiben, werden diese Geschichten vor einem dritten Menschen erzählt, der sie dann aufschreibt. Dabei steht jede Seite unter einem speziellen Thema: Da wird etwa die Herkunftsfamilie beschrieben und die Geburt des Kindes. Das Buch wird von den Müttern im Kontakt mit den Kindern verfasst, was noch einmal einen intensiven Austausch ermöglicht, bei dem Dinge ausgesprochen werden, über die man nicht sprechen würde, wäre die Mutter nicht vom Tod bedroht. Ist die Mutter gestorben, hat das Kind ein persönliches Andenken und kann sich, wenn es in diesem Buch liest, immer wieder die Zeit in Erinnerung rufen, als das Buch zusammen mit der Mutter entstanden ist.

Es wurde festgestellt, dass das Verfassen dieser Texte den Frauen wieder Mut und eine neue Lebensperspektive gaben und dass sie weniger depressiv waren: Sie taten etwas Sinnvolles.8

Was es für die Kinder bedeutet, weiß man wohl noch nicht – ich stelle mir aber vor, dass es eine kostbare Erinnerung an eine schwierige Zeit ihres Lebens sein wird. Und kostbare Erinnerungen an schwierige Zeiten bilden wirkungsvolle Ressourcen. Zurückblicken kann man nur, wenn es etwas gibt, auf das man zurückblicken kann. Und dieser Blick vermag wieder andere Erfahrungen zu reaktivieren. Diese Bücher – und das ist natürlich auch der Vorteil des geschriebenen Wortes – sind reale Hinweise auf psychische Erfahrungen, die es gegeben hat. Auch wenn sich diese Kinder vielleicht nur noch schwach erinnern, weil sie zu klein waren, um diese Erinnerungen speichern zu können: Die Bücher werden die Erinnerungen wieder beleben oder zumindest die Fantasie anregen.

Der Blick zurück

Der Blick zurück auf das Leben ist ein nachdenkliches Sammeln von Erinnerungen im eigenen Leben und bietet sich für alle an ihrem Leben interessierten Menschen an. Lebensrückblickstherapien sind therapeutische Interventionen, die auf dem Lebensrückblick beruhen, aber eine spezielles, quälendes Problem bearbeiten sollen.9

Es gibt Erfahrungen aus der Vergangenheit, die ein Leben blockieren können, und damit auch die Biografiearbeit. In einer solchen Situation kann eine »Lebensrückblickstherapie« helfen, diese Probleme aufzuarbeiten. Wie eine solche Therapie als Kurztherapie aussehen könnte, wird am Ende dieses Buches aufgezeigt werden.

Vorauszuschicken ist: Jede Form der Psychotherapie, die sich mit der Bedeutung der Kindheit und des gelebten Lebens für das aktuelle Leben befasst, enthält immer wieder einen Lebensrückblick, schaut auf emotional bedeutsame Situationen im eigenen Leben zurück. Bei einer Lebensrückblickstherapie ist nicht die Vollständigkeit des Rückblicks beabsichtigt, sondern die Rückschau auf diejenigen Erfahrungen, die Knotenpunkte der Entwicklung bezeichnen, Situationen, die in der Rückschau als entscheidend für Wege, die eingeschlagen worden sind, für die eingegangenen Beziehungen betrachtet werden: Situationen, in denen das Leben sich verdichtet hat. Erst in der Rückschau entdeckt man, dass jener Lebensübergang, jene Krise in sich ein ungeheueres Entwicklungspotential enthielt – deren Konsequenzen man erst viel später entdeckte. Solche Verdichtungspunkte des Lebens zu sehen löst Freude aus, ein Staunen, dass es so etwas gegeben hat und dass es im Nachhinein auch gesehen werden kann: als eine Aufbruchssituation mit den damit verbundenen Emotionen, die damals durchaus beängstigend sein konnten. Oder aber man begibt sich zurück zu einer Wegkreuzung des Lebens, bei der man jetzt im Nachhinein den Eindruck hat, eine schlechte Wahl getroffen zu haben; wo etwas zu einem Stillstand gekommen zu sein scheint, man sich immer noch wegen jener »falschen Entscheidung« grämt, sie sich weiter übel nimmt und daher das aktuell gelebte Leben immer etwas verdunkelt erlebt.

In der Lebensrückblickstherapie, die ich ausgesprochen als eine Therapieform für ältere Menschen sehe, wird fokussiert erinnert, und diese Erinnerungen werden aber auch in Erinnerungen über das ganze Leben eingewoben.

Auch wenn es viele Formen gibt, wie Menschen ihr Leben spontan erinnern, möchte ich im ersten Teil dieses Buches Anregungen geben, wie so ein Rückblick stimuliert werden kann. Mir geht es dabei nicht um die Erstellung eines chronologisch korrekten Lebenslaufes, sondern um das Sammeln von bedeutsamen Erfahrungen, Erfahrungen, die uns auch mehr in Kontakt mit uns selbst bringen, aber auch in Kontakt mit Liegengebliebenem, mit Versäumtem, mit Verlorenem, vielleicht auch mit nur scheinbar Verlorenem, mit Erfahrungen, die wir damals zu wenig wertgeschätzt haben. Es geht mir um den Kontakt mit emotional bedeutsamen Lebenssituationen. Denn in der Auseinandersetzung mit diesen ist eine größere Lebenszufriedenheit erreichbar. Das gelebte Leben ist dann auch in der Rückschau nicht gleichgültig, sondern es hat eine Wert, eine Bedeutung und einen Sinn.

Erzählen Sie!

In einer ganz natürlichen Weise betreiben wir einen Lebensrückblick, wenn wir einander etwas aus unserem Leben erzählen. Treffen wir Menschen, die wir lange nicht mehr gesehen haben, etwa bei einem Klassentreffen, dann hebt ein Erzählen an: »Weißt du noch?« Und dann kommen entweder die Erinnerungen zurück oder sie kommen partout nicht zurück. Wir erzählen dann einander, was wir eigentlich längst wissen, jetzt aber aus der Perspektive von heute. Manchmal verstehen wir dadurch etwas aus unserem Leben besser, manchmal wundern wir uns über uns selbst, ärgern uns nachträglich oder wir freuen uns. In unseren Erzählungen erzählen wir einander unser Leben, unser Gewordensein, und manchmal bringen uns altbekannte Menschen einen Teil unserer Biografie in die Erinnerung zurück, den wir bereits vergessen haben.

Aber auch ohne das Treffen mit alten Freunden und Freundinnen – unser Leben ist voll von Situationen, die Erinnerungen abrufen. Wir hören eine Geschichte, lesen einen Text, sehen einen Film: immer fällt uns dazu etwas aus unserem Leben ein. Und wenn wir mit Menschen zusammen sind, die bereit sind, einander zuzuhören, dann erzählen wir. Im Erzählen wird die Vergangenheit vor dem inneren Auge präsent – oder wir beschreiben eine Fantasie, die in die Zukunft weist. Indem wir auf eine frühere Zeit rekurrieren, erzählen wir, wie ganz anders wir das heute sehen, und wie ganz anders das auch die Zukunft beeinflussen wird. Da wird einem älteren Mann gespiegelt, wie er als Maturand so furchtbar gestresst war, weil er unbedingt die besten Noten haben wollte, ohne dies allerdings zu schaffen. Locker erzählt er, dieses Problem habe sein Leben noch lang geprägt, dann sei er depressiv geworden, habe eine Behandlung gebraucht und habe da unter anderem gelernt, das Leben zu genießen. Er war der Einzige unter den »alten Maturanden«, der sich viel Zeit für ein lustvolles Hobby gönnte – und es wird noch mehr werden, sagt er. »Gerade, weil ich das alles verpasst habe, als ich jung war.« Die Erinnerungen an das Früher wecken Ideen, wie es denn später aussehen könnte: manchmal als eine geradlinige Fortsetzung dessen, wie man sich schon immer verhalten hatte, schon immer gewesen war oder aber als Wunsch, Verpasstes