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Angelika Svensson

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Beschreibung

Ein spannungsgeladener Kriminalfall inmitten eines eiskalten norddeutschen Winters mit dem Kieler Ermittler-Dreamteam Sanders und von Fehrbach. An einem klirrend kalten Februartag wird am Nord-Ostsee-Kanal die Leiche eines Mannes aufgefunden. Bei ihren Ermittlungen finden Kommissarin Lisa Sanders von der Mordkommission Kiel und Oberstaatsanwalt Thomas von Fehrbach heraus, dass es sich bei dem Toten um Carsten Hunold handelt, der vor siebzehn Jahren zwei kleine Jungen sexuell missbraucht und ermordet hatte. Ein Fall von Selbstjustiz? Als ein weiterer Mord geschieht, steht die Polizei plötzlich vor neuen Rätseln. Kommissarin Sanders und Staatsanwalt von Fehrbach ermitteln auf Hochtouren, doch der Täter ist ihnen immer einen Schritt voraus. Ein Kriminalroman mit viel Küsten-Flair - die ideale Urlaubslektüre! Die Ostsee-Krimis von Angelika Svensson mit Kommissarin Lisa Sanders sind in folgender Reihenfolge erschienen: Band 1 - Kiellinie Band 2 - Kielgang Band 3 - Wassersarg Band 4 - Küstentod Band 5 - Küstenzorn Band 6 - Küstenrache

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Seitenzahl: 523

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Angelika Svensson

Wassersarg

Kriminalroman

Knaur e-books

Über dieses Buch

Ein Kriminalroman mit viel Küsten-Flair - die ideale Urlaubslektüre!

Inhaltsübersicht

PrologMontag, 13. FebruarDienstag, 14. FebruarMittwoch, 15. FebruarDonnerstag, 16. FebruarFreitag, 17. FebruarSamstag, 18. FebruarSonntag, 19. FebruarMontag, 20. FebruarDienstag, 21. FebruarMittwoch, 22. FebruarDonnerstag, 23. FebruarFreitag, 24. FebruarSamstag, 25. FebruarDanksagungIn eigener Sache
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Prolog

Der Wind hatte auf Nordost gedreht und peitschte den Schnee über das frosterstarrte Land. Mit jedem Tag nahm die Höhe der Schneedecke zu, und die Anzahl der von der Außenwelt abgeschnittenen Orte wuchs beständig. Der Schienen- und Schifffahrtsverkehr in Schleswig-Holstein konnte noch aufrechterhalten werden, der Straßenverkehr hingegen brach vielerorts immer wieder zusammen.

Es war, als würden sich das Land und die Menschen unter den Naturgewalten ducken, die vor drei Wochen die Herrschaft über das nördlichste Bundesland übernommen hatten. Schon mehrten sich die Stimmen, die Vergleiche zu der legendären Schneekatastrophe zogen, die Norddeutschland zum Jahreswechsel 1978/79 heimgesucht hatte. Mit siebenundsechzig Tagen geschlossener Schneedecke war damals ein neuer Rekord aufgestellt worden.

Den Mann, der sich entlang der Fährstraße in Richtung Nord-Ostsee-Kanal bewegte, interessierten solche Vergleiche nicht. Verbissen kämpfte er sich durch den stärker werdenden Sturm, den Kopf tief gesenkt. Er hatte die Kapuze seines gefütterten Parkas über die Pudelmütze gezogen, die seinen kahlgeschorenen Schädel bedeckte, und musste sie mit beiden Händen festhalten, damit sie ihm der Wind nicht vom Kopf fegte. Die Kälte biss in seine Hände, die binnen kürzester Zeit taub wurden. Verdammt, warum hatte er bloß die Handschuhe zu Hause vergessen? Als der Anruf, mit dem er schon nicht mehr gerechnet hatte, endlich gekommen war, hatte er alles liegen und stehen lassen und sich umgehend auf den Weg zum vereinbarten Treffpunkt gemacht. Auf den Wagen hatte er wegen des Wetters verzichtet, so weit war der Weg schließlich nicht.

Ich hätte nicht zurückkommen dürfen, dachte er unvermittelt. Das leerstehende Elternhaus war ihm verhasst, nach seiner Haftentlassung allerdings der einzige Ort gewesen, an dem er hatte unterkommen können. Nur für den Anfang, hatte er sich beruhigt, in spätestens zwei Monaten bin ich wieder weg. Aber nun saß er schon fast ein halbes Jahr hier fest, eine Zeit, in der er nahezu täglich Demütigungen und Anfeindungen ausgesetzt gewesen war. Er hatte vergessen oder wohl eher vergessen wollen, wie erbarmungslos eine festgefügte Dorfgemeinschaft sein konnte. Wie sie gegen diejenigen vorging, die sie nicht in ihrer Mitte haben wollte. Nur Berta hatte zu ihm gestanden, wie damals in seiner Kindheit, als sie ihn mit Liebe und Wärme umhüllt hatte, was doch eigentlich die Aufgabe seiner Mutter gewesen wäre.

Der Gedanke an Berta, an das Leuchten, das ihr Gesicht überzogen hatte, als er nach seiner Rückkehr an ihre Tür klopfte, trieb ihm Tränen in die Augen. Aber vielleicht war auch nur der Schnee dafür verantwortlich, den der Wind mit Tausenden schmerzhafter Nadelstiche in sein ungeschütztes Gesicht peitschte. Seine Nase begann zu laufen. Er blieb stehen, bemühte sich, mit einer Hand die Kapuze festzuhalten, und griff mit der anderen in die Jackentasche auf der Suche nach einem Taschentuch. Die Wärme regte die Durchblutung an, die Hand begann zu kribbeln, so stark, dass es schmerzte. Mit ungelenken Fingern zog er ein Papiertaschentuch aus der Packung und drehte sich in die entgegengesetzte Richtung, so dass Sturm und Schnee jetzt mit voller Wucht auf seinen Rücken trafen. Aber so musste er wenigstens nicht mehr die Kapuze festhalten und hatte beide Hände frei, um kräftig auszuschnauben. Als er fertig war, drehte er sich wieder in Richtung Kanal zurück und bemerkte, dass er die Fähre von Kienholz schon fast erreicht hatte.

Ein Containerschiff kam die Wasserstraße herauf. Behäbig glitt sein dunkelgrüner Rumpf durch das aufgewühlte Gewässer. Selbst im dichten Schneetreiben waren die verschiedenfarbigen Container auszumachen, die das Deck einnahmen und die Höhe eines mehrstöckigen Hauses aufwiesen. Die Brücke ragte wie eine weiße Festung am Heck empor.

Im Sommer kämen hier immer die Kreuzfahrer vorbei, hatte Berta ihm erzählt. Das sei ein großes Ereignis. Die Menschen würden sie zu beiden Seiten des Ufers begleiten und sich nicht sattsehen können an diesen Schönheiten der Meere. Berta war regelrecht ins Schwärmen geraten und hatte ihm gestanden, dass sie sich häufig mit einem Klappstuhl ans Ufer setzte und das Schauspiel verfolgte. Schiffe gucken hatte sie es genannt und über das ganze Gesicht, das trotz ihrer einundachtzig Jahre noch erstaunlich wenig Falten aufwies, gestrahlt. Schiffe gucken …

Es kam nur noch selten vor, dass der Wunsch, ein Dasein wie all die anderen zu führen, von ihm Besitz ergriff. Dazu war einfach zu viel geschehen. Ein Leben mit Freunden, vielleicht sogar einer Familie und einem Beruf, der einen erfüllte, war für andere gemacht, nicht für ihn. Das hatte er schon vor langer Zeit begreifen müssen.

Er schluckte hart und schüttelte den Kopf, als könnte er auf diese Weise die Gedanken verscheuchen, die so jäh über ihn hereingebrochen waren. Er musste sich mehrere Male räuspern, dann straffte er den Rücken und war wieder er selbst.

Der Schlag traf ihn, als er seinen Weg fortsetzen wollte. Er hatte die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, und so kam der Angriff wie aus dem Nichts. Die mit voller Wucht geführte Eisenstange brach ihm das Nasenbein und riss mit ihrer scharfen Kante einen Teil seiner Wange auf. Er spürte etwas Warmes über sein Gesicht laufen und merkte voller Verwunderung, wie seine Beine unter ihm nachgaben und er zu Boden sank. Der zweite Schlag traf die linke Schläfe und zertrümmerte das Jochbein und einen Teil des Oberkiefers. Er versuchte die Hände zu heben, um sein Gesicht zu schützen, als der dritte Schlag auf ihn herabfuhr und sein linkes Auge zerfetzte. Erst dann hüllte ihn eine gnädige Ohnmacht ein.

[home]

Montag, 13. Februar

Die Heizkörper stießen ein bedenkliches Blubbern aus, und das Aufdrehen des Warmwasserhahns im Badezimmer bestätigte Lisas Befürchtung. »Verdammt«, murmelte sie und startete einen zweiten Versuch mit der Brause in der verglasten Duschkabine. Als einige Spritzer des eiskalten Wassers auf ihren nackten Körper trafen, sprang sie zurück. Und als sie nach mehreren Minuten feststellen musste, dass das Wasser noch immer nicht warm geworden war, stieß sie einen resignierten Seufzer aus.

Na super! Ausfall der Heizungsanlage bei einer Außentemperatur von minus zwölf Grad. Das hatte ihr gerade noch gefehlt, wo sie seit einer Woche eh schon auf der Kippe zu einer Erkältung stand und seit gestern Halsschmerzen hatte. Zwar gab es im K1 im Augenblick keine aktuellen Fälle, aber sie konnte sich keinen Ausfall erlauben, da sie gerade an einem »cold case« arbeitete, einem Altfall also, der ihre ganze Aufmerksamkeit erforderte. In beharrlicher Regelmäßigkeit nahmen sich die Mitarbeiter des K1 ungelöster Mordfälle an, denn Mord verjährte nie.

Und so brachte Lisa ihre Morgentoilette ohne die gewohnte Dusche hinter sich und konstatierte, dass man sich auch anders behelfen konnte, wenn man die Zähne nur fest genug zusammenbiss und das ganze Prozedere als eine etwas andere Form der Abhärtung betrachtete. Bevor sie ins Büro fuhr, klingelte sie bei ihrem Nachbarn, der als Hausmeister fungierte und ihr hoffentlich sagen konnte, was denn nun mit der Heizung war.

»Der Kessel ist heute Nacht von der Wand gefallen«, lautete seine stoische Antwort, nachdem er sich kräftig die Nase geschneuzt hatte.

»Und was bedeutet das jetzt für uns?«

»Die Firma ist benachrichtigt. Ich hoffe, dass bald mal einer hier auftaucht. Dann müssen wir weitersehen.«

Das hörte sich nicht gut an.

»Nun machen Sie nicht so ein Gesicht, Frau Sanders. Wenn wir Glück haben, ist heute Abend wieder alles in Ordnung. Seien Sie froh, dass Sie ins Büro gehen dürfen. Meine Frau und ich müssen das den ganzen Tag hier aushalten.«

Da hatte er auch wieder recht. Das Rentnerdasein brachte also doch nicht nur Vorteile mit sich.

 

Der Wintereinbruch hatte die ohnehin schon knappen Parkmöglichkeiten in der Blumenstraße noch weiter eingeschränkt. Am Straßenrand türmte sich der von den Räumfahrzeugen zusammengeschobene Schnee. Der Fußweg bestand aus einem schmalen Trampelpfad, der mittlerweile so vereist war, dass man bei jedem Schritt Gefahr lief, auszurutschen und hinzufallen. Offensichtlich gingen die Streumittel der Stadt langsam zur Neige, in der Blumenstraße jedenfalls waren sie in den vergangenen Tagen nicht mehr zum Einsatz gekommen. Lisa bog nach rechts in die Wilhelminenstraße ein, überquerte dann die Legienstraße und fand einige hundert Meter weiter tatsächlich einen halbwegs geräumten Parkplatz auf der rechten Seite. Während sie den Weg zur Bezirkskriminalinspektion zurückstapfte, sann sie darüber nach, ob sie den Wagen zu Hause stehen lassen sollte, solange keine Wetterbesserung in Sicht war. Aber der Gedanke an zugige Bushaltestellen und überfüllte Verkehrsmittel war auch nicht gerade verlockend.

Im Büro war es kuschelig warm. Während Lisa Norwegermütze, Schal und Handschuhe auf dem Schreibtisch ablegte und sich dann aus ihrer dicken Steppjacke zu schälen begann, betrat ihr Kollege Uwe Grothmann das Büro.

»Du kannst die Klamotten anbehalten«, sagte er statt einer Begrüßung. »Wir müssen zum Kanal. Da liegt Tiefkühlware rum, die richtig scheiße aussehen soll.«

Lisa zog den Reißverschluss der Jacke wieder hoch und unterdrückte die Bemerkung, die ihr auf der Zunge lag. Mit Uwes sarkastischer Art würde sie sich niemals anfreunden können.

 

 

 

Das Trakehnergestüt Lankenau schien einem Wintermärchen entsprungen. Der Schnee gleißte, wenn ihn die Strahlen der Sonne trafen, die sich tapfer um die Vorherrschaft am Himmel bemühte. Bäume und Büsche wurden fast erdrückt von der weißen Pracht, das Wasser des Sees war gefroren. An den Dächern der Gebäude hatten sich lange Eiszapfen gebildet.

»Wie schade«, meinte Barbara bedauernd, als sie an Fehrbachs Seite aus dem Herrenhaus trat und auf den Gutsarbeiter aufmerksam wurde, der sich gerade anschickte, die größten der Eiszapfen abzuschlagen.

»Es ist zu gefährlich, sie hängen zu lassen. Wenn sie herabfallen, könnten sie jemanden verletzen«, sagte Fehrbach und zog den Autoschlüssel aus der Tasche seiner Daunenjacke.

»Ich weiß.« Barbara schlang die Arme um seine Taille und hob ihr Gesicht, um ihm einen Kuss auf die Lippen zu drücken. »Ich liebe dich«, murmelte sie und presste sich noch enger an ihn. »Warum habe ich nur so lange gebraucht, das zu erkennen?«

Fehrbach löste sich von ihr und registrierte den verletzten Ausdruck, der in ihre Augen trat. Er wusste, was sie von ihm erwartete, aber er brachte die drei Worte einfach nicht über die Lippen. Früher hatte er sie ihr häufig gesagt, aber zwischen damals und heute lag ihr Betrug, den er noch immer nicht vergeben konnte, sosehr er sich auch bemühte. »Wir sehen uns nächstes Wochenende.«

»Und haben danach eine ganze Woche in New York vor uns.« Sie drückte seinen Arm und strahlte über das ganze Gesicht. »Du glaubst gar nicht, wie sehr ich mich auf diesen ersten Urlaub mit dir freue. Weitab von allem, nur wir beide.«

Fehrbach drückte einen flüchtigen Kuss auf ihre Wange und machte sich auf den Weg zur Remise, in der er seinen Wagen untergestellt hatte.

»Melde dich, wenn du in Kiel bist«, hörte er sie rufen. »Nur damit ich weiß, dass du heil angekommen bist.«

Er drehte sich noch einmal um und nickte bestätigend. Barbara warf ihm eine Kusshand zu und verschwand dann wieder im Herrenhaus.

Die Fahrt nach Kiel wurde auch heute wieder durch die Wetterverhältnisse erschwert und dauerte fast anderthalb Stunden. Die B 202 war zwar geräumt, allerdings wies die Straße mittlerweile so viele Schlaglöcher auf, dass man gezwungen war, langsam zu fahren, wollte man nicht einen Achsbruch riskieren.

So ergab sich für Fehrbach die Möglichkeit, die vergangene Zeit noch einmal Revue passieren zu lassen. Viel war geschehen seit seiner Rückkehr. Die neue Arbeitsstätte in der Staatsanwaltschaft in Kiel, sein neues Zuhause in der Landeshauptstadt und sein altes auf Lankenau. Das nicht enden wollende Zerwürfnis mit seinem Bruder, der noch immer nicht auf das Gestüt zurückgekehrt war, die Versöhnung mit Barbara.

Und die Begegnung mit Lisa Sanders …

Wie immer schob er die Gedanken an sie so schnell wie möglich beiseite. Es brachte nichts, darüber nachzudenken, was hätte sein können, wenn er sich anders verhalten hätte und Lisa nicht so verdammt stur gewesen wäre. Er hatte sie schon seit längerer Zeit nicht mehr gesehen, obwohl er bereits seit Monaten wieder im Dienst war. Es hatte keine Fälle gegeben, die sie hätten zusammenführen können, und selbst wenn es so gewesen wäre, hätte er sie an seine Mitarbeiter abgegeben. Er wollte endlich Ruhe in sein Leben bringen und der neu aufgelebten Beziehung mit Barbara eine Chance geben. Außerdem schien Lisa nach wie vor mit diesem Maler liiert, den sie während ihrer ersten Zusammenarbeit kennengelernt hatte. Fehrbach hatte vor einiger Zeit einen Artikel über Peter Lannert in den Kieler Nachrichten gelesen. Das dazugehörige Foto zeigte Lisa an Lannerts Seite mit dem Hinweis, dass es sich um die Lebensgefährtin des bekannten Malers handle.

Das Klingeln des Handys holte Fehrbach in die Gegenwart zurück. Er drückte auf die Freisprechtaste und meldete sich.

»Wo steckst du?«, war die Stimme seines Vorgesetzten Norbert Sievers zu vernehmen, Leitender Oberstaatsanwalt in Kiel.

»Ich bin auf dem Weg nach Kiel.«

»Ich dachte, du fährst immer schon am Sonntagabend zurück.«

»Normalerweise ja, aber es gab noch etwas wegen des Umbaus der Hauptscheune zu klären, und der Architekt hatte erst am Abend Zeit, vorbeizukommen. Ich hatte einfach keine Lust mehr, noch so spät nach Kiel zurückzufahren.«

Was nicht ganz stimmte. Der Architekt war gegen zwanzig Uhr gegangen. Als Fehrbach danach aufbrechen wollte, hatte Barbara ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht.

»Ich möchte, dass du bleibst«, hatte sie geflüstert und sich an ihn geschmiegt. »Wir haben so viel nachzuholen.«

Wie schon häufiger hatte er nachgegeben. Seitdem sie wieder zusammengekommen waren, konnte er nicht genug bekommen von dieser Frau, die seine Jugendliebe gewesen war, die er hatte heiraten wollen. Ohne lang zu überlegen, hatte er deshalb auch ihrem Vorschlag zugestimmt, eine Urlaubswoche in New York zu verbringen, obwohl er diese laute und hektische Stadt nicht mochte.

»Dann müssen wir ohne dich anfangen«, drang Sievers’ Stimme in seine Gedanken.

»Ich denke, die Sitzung beginnt erst um zehn.«

Sievers hatte eine große Runde anberaumt, in der eine Umstrukturierung der Staatsanwaltschaft zur Debatte gestellt werden sollte, die eine partielle Neuverteilung der Aufgaben sowie eine Bündelung der Kräfte ermöglichen würde, wie es so vollmundig kommuniziert worden war. Anweisung von oben. Weder Sievers noch Fehrbach hielten etwas davon, hatten aber dem Begehren des Generalstaatsanwalts nachgeben müssen.

»Ich habe sie um eine Stunde vorverlegt. Hat deine Sekretärin dich nicht informiert?«

»Nein«, sagte Fehrbach und spürte Verärgerung in sich aufsteigen. »Und ich kann mir auch den Grund dafür denken.«

»Was meinst du damit?«

»Ich habe sie neulich zusammen mit Gerlach gesehen. Die Situation war eindeutig.«

Carsten Gerlach arbeitete bereits seit vielen Jahren in der Staatsanwaltschaft in Kiel und war davon ausgegangen, dass er den frei gewordenen Posten des Oberstaatsanwalts bekommen würde. Als dieser mit Fehrbach besetzt worden war, hatte Gerlach eine böse Intrige gesponnen, die Fehrbach fast seinen neuen Job gekostet hätte. Dass Gerlach sich jetzt mit Fehrbachs Sekretärin angefreundet hatte, legte die Vermutung nahe, dass der Staatsanwalt durch sie an interne Informationen heranzukommen hoffte, um so noch mehr über den verhassten Rivalen in Erfahrung zu bringen. Denn dass Gerlach die Angelegenheit endlich auf sich beruhen lassen würde, glaubte Fehrbach keine Sekunde.

»Du meinst, dass Gerlach es immer noch auf dich abgesehen hat und dich durch dein verspätetes Eintreffen in Misskredit bringen will?«, klang Sievers’ Stimme durch die Freisprechanlage.

»Ist das so abwegig?«

»Schwer zu sagen. Seit dem Vorfall damals ist er geradezu weichgespült.«

»Er liegt auf der Lauer, Norbert. Und wenn er eine Chance bekommt, mich fertigzumachen, wird er sie nutzen. Beim ersten Mal ist es ihm nicht gelungen, also wird er beim zweiten Mal planvoller vorgehen.« Fehrbach riss den Wagen zur Seite, um einem großen Schlagloch auszuweichen, das er erst im letzten Augenblick wahrgenommen hatte.

»Lass uns nachher weitersprechen«, meinte Sievers. »Fürs Erste werde ich dich bei den Kollegen entschuldigen und sagen, dass du später kommst. Dann hat Gerlach keine Chance, dich zu verunglimpfen.«

Fehrbach hörte ein Klicken in der Leitung, das Gespräch war beendet. Er trat auf das Gaspedal.

 

 

 

Berta Matthiessen war am Morgen nur mit Mühe aus ihrem Bett gekommen. Die zunehmende Kälte und die an vielen Tagen vorherrschende Nässe machten ihr in diesem Winter mehr zu schaffen als je zuvor, und heute hatte sie das Gefühl, als ob jeder Knochen in ihrem Körper auf sich aufmerksam machen wollte. Wenn du am Morgen aufwachst und nichts tut dir weh, bist du tot, hatte ihr verstorbener Mann Helmut immer gescherzt, aber derzeit konnte dieser Spruch sie in keine heitere Stimmung versetzen.

Jetzt werde ich wohl endgültig alt, dachte sie in einer unüblichen Anwandlung von Selbstmitleid, nachdem sie in ihre warmen Hausschuhe geschlüpft war, den karierten Morgenmantel übergestreift hatte und in die Küche schlurfte.

Ihr Haus stand am Ortsrand von Kienholz. Das Wasser des Kanals konnte man von hier aus allerdings nicht sehen. Nur wenn ein Schiff vorbeifuhr, wurde einem bewusst, dass die Landschaft an dieser Stelle nicht nahtlos ineinander überging, sondern von der meistbefahrenen künstlichen Wasserstraße der Welt durchschnitten wurde. Berta hatte schon häufig gedacht, dass es so aussah, als würden die Schiffe durch die Landschaft fahren.

Sie ließ Wasser in den altmodischen Kessel mit dem Blumenmuster laufen, setzte ihn auf eine Platte des Gasherds und warf dann einen Blick zum Fenster hinüber, an dem sich Eisblumen gebildet hatten. Ein Lächeln überzog ihr Gesicht, als sie die fragilen Gebilde betrachtete, die sie schon immer geliebt hatte und die man an den Fenstern der Neubauten nicht mehr fand. Carsten hatte gemeint, dass sie neue Fenster einsetzen lassen und auch über eine neue Heizungsanlage nachdenken sollte. Die alte verschlinge ein Vermögen und verpulvere durch die maroden Fenster gleich wieder alles nach draußen.

Er hatte ja recht und ihrer Argumentation, dass sich eine solche Ausgabe in ihrem Alter doch gar nicht mehr lohne, stets den Ausspruch entgegengehalten: »Du wirst mindestens hundert, Berta, also lohnt sich das allemal.« Denn das Haus war alt, vor fast sechzig Jahren von Helmut erbaut worden. Schon bald nach ihrer Heirat hatte er damit begonnen. Er war Maurer und außerdem ein geschickter Handwerker gewesen und hatte viel in Eigenregie machen können. Berta war zeit ihres Lebens sehr glücklich darin gewesen und konnte sich nicht vorstellen, das Haus jemals zu verlassen.

Nach Helmuts Tod vor zwanzig Jahren war es ihr Trost und Zuflucht geworden. Ich werde hier sterben, sagte sie jedes Mal, wenn Nachbarn ihr rieten, sich einen Heimplatz zu suchen. Mich kriegt niemand hier raus.

Als der Kessel zu pfeifen begann, zog Berta ihn von der Herdplatte und nahm die verschnörkelte Kaffeekanne mit dem Porzellanfilter zur Hand, in den sie bereits einige Löffel Kaffeepulver gehäuft hatte. Langsam ließ sie Wasser darüberlaufen und genoss den Duft, der sich im Raum auszubreiten begann. Sie holte zwei Scheiben Schwarzbrot aus der Brotdose, bestrich sie mit Butter und gab im Anschluss daran einen ordentlichen Klacks Erdbeermarmelade darauf. Die machte sie jedes Jahr selber, die Früchte dazu reiften in ihrem Garten. Bevor sie sich an den Küchentisch setzte, öffnete sie ein Fenster und schaute zum Nachbarhaus hinüber. Der Schwall kalter Luft, der in die Küche strömte, ließ sie erschauern.

Komisch, dachte sie wie schon am Abend zuvor, als sie vor dem Zubettgehen ebenfalls einen Blick hinübergeworfen hatte. Es sah aus, als wäre Carsten nicht da. Am Vorabend hatte hinter keinem der Fenster Licht gebrannt, selbst die Haustürbeleuchtung war ausgeschaltet gewesen. Und auch jetzt, an diesem trüben grauen Wintermorgen, war alles dunkel.

Haben sie ihre Drohung wahr gemacht, fragte sich Berta mit plötzlich aufsteigender Angst. Haben sie ihn aus seinem Haus vertrieben, aus dem Dorf, in dem er seit seiner Geburt gelebt hat? Berta hatte den Hass gespürt, der ihm seit dem Tag seiner Rückkehr entgegengebracht worden war, der sich von Tag zu Tag gesteigert hatte, erst recht, seitdem die anderen dazugestoßen waren. Sie hatten diesen Hass geschürt, hatten sich zum Richter über einen Mann erhoben, der nur seine Ruhe haben wollte und ihnen nichts entgegenzusetzen hatte. Sie hatten die Angst der Menschen instrumentalisiert und für ihre Zwecke einzusetzen versucht.

Berta schloss das Fenster und trank einen Schluck Kaffee, der ihr plötzlich bitter erschien. Auch die Brote verspeiste sie nicht mit dem üblichen Genuss. Als sie fertig war, stellte sie das benutzte Geschirr zusammen und brachte es zur Spüle. Sie ließ heißes Wasser in das Becken laufen, tat Spülmittel hinein und begann die Sachen abzuwaschen. Tief in Gedanken versunken, machte sie sich anschließend daran, sie abzutrocknen und in den Schrank zurückzustellen. Einen Augenblick lang blieb sie unentschlossen vor der Spüle stehen, dann ließ sie das Wasser ab, hängte das Handtuch auf und ging in den Flur hinaus, wo sie in ihre halbhohen gefütterten Winterstiefel mit den derben Sohlen stieg und den schwarzen Wollmantel anzog. Sie schlang ein Tuch um den Kopf, um sich vor der Kälte zu schützen, und öffnete die Haustür. Während sie ihre Schritte zu Carstens Haus lenkte, spürte sie, wie ihre Angst sich verstärkte.

 

 

 

Das Notarztteam machte sich gerade zum Aufbruch bereit, als Lisa und Uwe eintrafen. Sie hatten die A210 genommen und waren dann die Kanaluferstraße bis zur Fähre in Kienholz gefahren. Die Straßen, die auf der Südseite des Kanals zur Fähre führten, waren mittlerweile in einem großen Radius abgesperrt, der Fährbetrieb eingestellt worden.

Lisa parkte den Wagen am Straßenrand, und nachdem Uwe und sie ausgestiegen waren, holten sie die Schutzanzüge aus dem Kofferraum. Es war mühsam, die verschweißte Folie mit den kalten Fingern aufzubekommen, aber noch viel beschwerlicher, die Overalls über die dicke Winterkleidung zu streifen. Schließlich hatten sie es geschafft. Sie begrüßten die Kripokollegen aus Rendsburg und den Notarzt, der ihnen kopfschüttelnd entgegenkam. »Da ist nichts mehr zu machen«, sagte er und bemühte sich vergeblich, einen Hustenanfall zu unterdrücken.

Lisa trat zu dem Toten, der in einiger Entfernung vor der Auffahrt zur Fähre am Straßenrand lag. Der Mann befand sich auf dem Rücken, sein Körper war weitestgehend vom Schnee befreit worden. Er trug einen Parka, der einmal dunkelgrün gewesen sein mochte, aufgrund der Nässe jetzt aber fast schwarz wirkte, und eine dunkle Cordhose. Einen knappen Meter von seinem Kopf entfernt sah Lisa eine Pudelmütze aus dem Schnee ragen. Beim Blick in das Gesicht des Toten musste sie schlucken. Alles, was davon übrig geblieben war, war eine blutige, eisverkrustete Masse, die der stetig fallende Schnee bereits wieder zu bedecken begann, ebenso wie die Blutflecken, die sich noch schwach im Weiß abzeichneten. Wäre das nicht gewesen, hätte man meinen können, der Mann sei ein Kälteopfer, wie es sie bei den herrschenden Wetterverhältnissen gerade unter Obdachlosen im Moment häufiger gab.

»Wer hat den Toten gefunden?«, wandte sich Lisa an den leitenden Beamten der Kripo Rendsburg, der gerade ein Handy aus seiner Tasche zog. Bereits bei ihrer Ankunft war er ihr unangenehm aufgefallen, als er versucht hatte, ihre Anwesenheit so gut wie möglich zu ignorieren, und sich daranmachte, weiterhin mit lauter Stimme Anweisungen zu erteilen.

Ungehalten blickte er auf, bevor er sich zu einer knappen Antwort bequemte. »Ein Fußgänger.« Offensichtlich war er nicht bereit, mehr Informationen preiszugeben, denn er begann eine Nummer in das Handy einzutippen.

»Wo finde ich den Mann?« So leicht ließ Lisa sich nicht aus der Ruhe bringen, dazu hatte sie schon zu viele Begegnungen mit Macho-Kollegen hinter sich gebracht.

Der Kripobeamte zeigte vage mit dem Kopf in Richtung dreier Schutzpolizisten, die einige Meter entfernt neben zwei Streifenwagen standen. »Da drüben.«

»Danke«, sagte Lisa freundlich und setzte sich in Bewegung. Als sie die Kollegen erreicht hatte, blieb sie stehen. »Lisa Sanders, Mordkommission Kiel. Wer von Ihnen war als Erster vor Ort?«

»Ich.« Die Stimme der noch sehr jungen Schutzpolizistin zitterte leicht, und ihr Blick flog immer wieder zu dem Toten hinüber. »Die anderen sind knapp zehn Minuten später gekommen.«

»Wo ist Ihr Kollege? Sollten Sie nicht zu zweit unterwegs sein?«

»Ich war gerade tanken, als die Meldung reinkam. Deshalb bin ich alleine gekommen.«

Lisa blickte zu einer dick vermummten Gestalt hinüber, die neben dem zweiten Streifenwagen stand. »Ist das der Mann, der den Toten gefunden hat?«

Die Beamtin nickte und rieb ihre Hände gegen die Kälte aneinander. »Er sagt, dass er einen Spaziergang mit seinem Hund machen wollte.«

Beim Näherkommen bemerkte Lisa, dass der Mann einen Dackel im Arm hielt, der einen gefütterten Hundemantel trug, aber trotzdem erbärmlich zitterte.

»Lisa Sanders, Mordkommission Kiel. Sie haben den Toten gefunden?«

Der Mann nickte. Der Schock stand ihm noch ins Gesicht geschrieben. »Arnold Heller. Ich war mit meinem Hund Gassi gehen«, sagte er überflüssigerweise. »Da habe ich diesen Schneehaufen dort auf der Straße liegen sehen.«

»Wann genau war das?«

Heller nestelte an dem Ärmel seiner Jacke, um einen Blick auf seine Armbanduhr zu werfen, und strich dann seinem Hund über den Kopf, als dieser ein klägliches Fiepen ausstieß. »Ich bin gegen neun Uhr von zu Hause losgegangen.« Er sah Lisa bittend an. »Ihre Kollegen haben gesagt, dass ich noch hierbleiben muss. Aber für meinen Hund ist dieses Wetter zu kalt. Wir wollten doch bloß kurz Gassi gehen. Ich hatte gefragt, ob ich ihn in einen der Wagen setzen kann, aber Ihre Kollegen haben es abgelehnt. Könnten wir unser Gespräch bei mir zu Hause fortsetzen?«

»Einen Augenblick müssen Sie schon noch hierbleiben, tut mir leid.« Lisa überlegte, dann fiel ihr etwas ein. »Kommen Sie bitte mit.« Sie eilte zum Dienstwagen, öffnete den Kofferraum und holte eine Rettungsdecke aus dem Verbandskasten. Als Heller neben sie trat, entriegelte sie die hinteren Türen und breitete die Decke auf der Rückbank aus. »Geben Sie ihn mir bitte.«

»Sie«, erwiderte Heller, und ein dankbarer Ausdruck überzog sein Gesicht. »Sie heißt Finchen«.

Lisa lächelte. »Hallo, Finchen«, sagte sie, während sie das zitternde Tier entgegennahm, es auf die Decke legte und behutsam darin einhüllte. Vorsichtig schloss sie die Tür. »Wir können auch hierbleiben, Herr Heller. Dann sieht Finchen, dass Sie da sind, und bekommt keine Angst.«

»Haben Sie auch einen Hund?«, fragte Heller und warf einen Blick in das Innere des Wagens, wo nur noch der Kopf des Dackels aus der hauchdünnen goldfarbenen Decke lugte.

»Nein«, antwortete Lisa, »das lässt mein Beruf leider nicht zu.« Sie zog ihren Notizblock aus der Tasche. »Von wo sind Sie gekommen, Herr Heller?«

»Aus Klintbek.« Heller deutete die Fährstraße hinauf. Er hielt inne, ein Schauer überlief seinen Körper. »Ich hab zuerst gedacht, es sei eine Schneeverwehung. Also, ich meine, dieser Haufen da auf der Straße. Erst als ich näher kam, sah ich, dass unter dem Schnee ein Mensch lag.«

»Haben Sie den Toten angefasst?«

»Zuerst wollte ich es nicht. Aber die Schneedecke war nicht sehr hoch, und deshalb habe ich mir gedacht, dass er vielleicht erst kurze Zeit dort liegt. Mein Gott, ich hätte es mir doch nie verziehen, wenn er noch am Leben gewesen wäre und ich nichts getan hätte.«

»Was genau haben Sie gemacht?«

»Ich hab den Schnee mit den Händen weggeschippt und dann … dann …« Heller gelang es nur mit Mühe, seine Fassung wiederzugewinnen. »Dann habe ich das Gesicht gesehen oder vielmehr das, was davon übrig war. Mir wurde klar, dass der Mann tot sein musste, doch ich habe trotzdem versucht nach seiner Halsschlagader zu tasten. Aber er war ja total steifgefroren, da war natürlich kein Puls mehr zu fühlen. Da habe ich dann den Notruf gewählt. Und bis die Polizistin kam, bin ich bei dem Toten stehen geblieben, damit nichts passiert, falls Autos vorbeikommen.«

»Das war sehr vorbildlich von Ihnen«, sagte Lisa anerkennend. »So umsichtig verhalten sich die wenigsten.«

Heller schlug die Augen nieder. Das Lob schien ihm peinlich zu sein.

»Ist Ihnen auf Ihrem Weg etwas aufgefallen? Sind Ihnen vielleicht irgendwelche Personen begegnet? Oder haben Sie jemanden gesehen, der sich in der Nähe des Toten aufgehalten hat?«

Heller schüttelte den Kopf. »Weder noch.«

»Waren Sie an den anderen Tagen auch hier unterwegs?«

»Nein, da sind Finchen und ich nur immer kurz vors Haus gegangen, damit sie ihr Geschäft erledigen kann. Das hat uns gereicht, da hat’s ja noch mehr geschneit als heute. Aber da sie seit ein paar Tagen Verdauungsprobleme hat, habe ich mir gedacht, dass wir trotz des scheußlichen Wetters heute mal einen etwas längeren Gang wagen.«

Lisa klappte ihren Notizblock zu. »Danke, Herr Heller. Das wär’s für den Moment. Falls ich noch Fragen haben sollte, melde ich mich bei Ihnen.« Sie fingerte eine Visitenkarte aus den Tiefen ihrer Jacke. »Und falls Ihnen noch etwas einfallen sollte, rufen Sie mich bitte an.«

Heller nickte und verstaute die Karte in seiner Jackentasche.

Lisa winkte der Schutzpolizistin, die sich sofort in Bewegung setzte. »Meine Kollegin wird Sie und Finchen jetzt nach Hause fahren.« Als die Beamtin neben ihr stand, gab sie ihr den Wagenschlüssel. »Bringen Sie Herrn Heller bitte nach Hause.« Anschließend drückte sie Heller zum Abschied die Hand und öffnete dann noch einmal die Hintertür des Wagens. Ein leises Schnarchen war zu vernehmen, und der Geruch, der im Wagen hing, ließ Lisa zu der Erkenntnis gelangen, dass der Verdauungsspaziergang seinen Zweck erfüllt hatte. Lächelnd strich sie Finchen über den Kopf und überlegte dabei, wie sie Uwe die Sache erklären sollte. Gut möglich, dass sie nachher allein nach Kiel zurückfahren würde.

 

Uwe hatte den Notarzt verabschiedet und stand über den Körper des Toten gebeugt. Mittlerweile war auch die Spurensicherung eingetroffen. Lisa begrüßte die Kollegen, die ihren blauen VW-Bus direkt neben der Leiche geparkt hatten und gerade dabei waren, ein Sichtschutzzelt um den Körper des Toten zu errichten, was sich angesichts des stärker werdenden Windes als nicht ganz einfach erwies.

»Das dürfte schwierig werden mit der Identifizierung«, meinte Alexander Behring, Leiter des K6, nachdem er einen Blick auf den Toten geworfen hatte. »Es sei denn, er hat Papiere bei sich.«

»Hoffen wir’s mal«, entgegnete Uwe und rieb seine Hände aneinander. Er blickte in Richtung Kanaluferstraße. »Hoffentlich kommen die anderen bald. Ich hab keinen Bock, bei dieser Saukälte hier länger als nötig rumzustehen.«

Wie aufs Stichwort erklang Motorengeräusch aus der angepeilten Richtung, und ein schwarzer Audi näherte sich der Absperrung. Lisa lächelte, als sie sah, wer dem Wagen entstieg.

»Frank! Ist das schön, dich wiederzusehen!«

Ein schwer zu deutender Ausdruck lag auf Frank Bergmanns kantigem Gesicht, nachdem er die Wagentür geschlossen hatte und vor Lisa stehen blieb. »Ich freue mich auch.«

Lisa hatte Bergmann bei einem zurückliegenden Fall kennengelernt, als ihr der Kollege aus Plön bei den Ermittlungen in einem Tötungsdelikt zur Seite gestellt worden war. Als Lisas Kollege Luca Farinelli nach der Geburt seiner Tochter angekündigt hatte, in Elternteilzeit zu gehen, um seine durch die Schwangerschaft geschwächte Frau Anja zu unterstützen, hatte Lisa sich dafür ausgesprochen, dass Bergmann während Lucas Abwesenheit das K1 unterstützen sollte. Heute war sein erster Arbeitstag in der Kieler Mordkommission.

Bergmann grüßte zu Uwe hinüber, der seine Ankunft mit zusammengekniffenen Augen verfolgt hatte und keine Anstalten machte, den Gruß zu erwidern. »Was hat dein Kollege eigentlich gegen mich?«

Uwe war als Einziger gegen Bergmanns Anstellung gewesen. Immer wieder hatte es Auseinandersetzungen mit Ralf Södersen gegeben, wobei Uwe dem Leiter der Mordkommission klarzumachen versucht hatte, dass sie keinen Ersatz für Luca brauchten, sondern die Arbeit auch so schaffen würden. Eine Farce, waren sie doch mit insgesamt neun Mitarbeitern sowieso schon ständig am Poller. Und das galt nicht nur für Urlaubs- und wie jetzt gerade Erkältungszeiten.

»Ich weiß es nicht«, gestand Lisa ein. »Es ist nicht immer ganz einfach mit Uwe. Ich habe häufig das Gefühl, dass er glaubt, sich gegen jeden und alles durchsetzen zu müssen.«

»Also sieht er in mir einen Konkurrenten.«

Lisa zuckte mit den Schultern. »Den sieht er in jedem, vor allen Dingen in mir. Du hättest mal sein Gesicht sehen sollen, als Södersen die Kollegen darüber informiert hat, dass ich ab sofort seine Stellvertreterin bin. Nächsten Monat geht Ralf in Urlaub, dann muss ich meine erste Bewährungsprobe bestehen.«

Bergmann stieß ein freudloses Lachen aus. »Es ist doch überall dasselbe, Neid und Missgunst, wohin man blickt.«

Lisa nickte resigniert und schaute auf, als ein grauer Volvo die Straße heraufgefahren kam und sich kurz darauf neben Bergmanns Wagen stellte.

»Komm«, sagte sie und zog Bergmann mit sich, »ich stelle dir unseren Rechtsmediziner vor.«

Dr. Michael Hesse sah aus, als befände er sich auf dem Weg zu einer Nordpolexpedition. Schwarze, gefütterte Boots, Lammfellmantel, Fliegermütze mit Ohrenklappen und dicke wattierte Handschuhe.

»Ist deine Autoheizung ausgefallen?«, fragte Lisa und grinste.

Missmutig schaute Hesse sie an. »Witzig, Lisa, sehr witzig.« Er rückte seine Mütze zurecht, die ihm in die Stirn gerutscht war und eine halbe Nummer zu groß erschien, zog seine Handschuhe aus und reichte Bergmann die Hand. »Hesse. Sie müssen der Neue sein.«

Bergmann erwiderte den Händedruck mit unbewegter Miene. Lisa hatte den Eindruck, dass er sich ein Lachen verkneifen musste. »Frank Bergmann. Freut mich, Sie kennenzulernen.«

Hesse nickte zerstreut, streifte einen Schutzanzug über und begab sich dann zu Uwe, der neben dem Toten in die Hocke gegangen war und den Anschein erweckte, als wollte er dessen Taschen durchsuchen. Geduld war nicht Uwes Stärke. Am liebsten legte er selber Hand an, was die Mitarbeiter der Spurensicherung und Hesse regelmäßig auf die Palme brachte.

»Finger weg, Grothmann!«, hörten sie da auch schon den Rechtsmediziner rufen. »Im Moment habe ich hier den Hut auf!«

»Unser Doc hasst den Winter«, erklärte Lisa. »Am liebsten würde er sich nach dem ersten Kälteeinbruch in sein Haus verziehen und erst im Frühjahr wieder rauskommen. Und wenn dann noch Schnee dazukommt, ist er zu gar nichts mehr zu gebrauchen, und seine Laune sinkt auf den Tiefpunkt.«

Ein Hupen erklang, und nur Sekunden später kam ein roter Mini in Sich t und gesellte sich zu den anderen Wagen.

Lisa machte große Augen, als sie ihren Vorgesetzten erblickte, der einige Mühe hatte, seine kräftige Gestalt aus dem kleinen Gefährt zu hieven.

»Mein Wagen ist nicht angesprungen«, sagte er auf ihren Blick hin in unwirschem Ton.

»Und deine Frau muss jetzt den Bus nehmen, oder was?«

»Marion liegt mit einer dicken Erkältung im Bett. Außer Medikamenten muss die überhaupt nichts nehmen.« Södersen schlug die Autotür so kräftig zu, dass der Wagen erzitterte, und ging ohne ein weiteres Wort zu Uwe hinüber, der nicht im mindesten von Hesses Ausbruch beeindruckt schien und keinen Schritt zur Seite gewichen war.

»Der Winter scheint deinen Kollegen ja mächtig aufs Gemüt zu schlagen«, meinte Bergmann trocken.

»Unseren Kollegen, Frank.« Lisa blickte in Richtung der Fähre. »Ich werd mich mal mit dem Fährpersonal unterhalten. Willst du mitkommen?«

»Nee, ich schau mich lieber hier um.«

Lisa nickte und wollte schon losgehen, als Bergmann ihren Arm ergriff.

»Danke, dass du dich für mich eingesetzt hast.«

Lisa versetzte ihm einen freundschaftlichen Knuff. »Aber gerne doch. Ich find’s schön, dass wir wieder zusammenarbeiten.«

Bergmann machte eine unbestimmte Handbewegung und gesellte sich dann zu seinen neuen Kollegen. Er war noch nie ein Mann großer Worte gewesen.

 

Das Fährpersonal bestand aus einer einzelnen Person. »Wir sind hier mittlerweile auf Einmannbetrieb umgestellt worden«, erklärte der Fährmann und reichte Lisa eine schwielige Pranke. »Aber meine beiden Kollegen und ich fahren rund um die Uhr in drei Schichten, sommers wie winters. Es sei denn, der Kanal friert zu. Aber das kommt ja nun eher weniger vor.«

Der Mann griente und lauschte dann mit großen Augen, als Lisa ihm erklärte, was das Polizeiaufgebot zu bedeuten hatte. Aussagen, die Lisa irgendwie weitergebracht hätten, konnte er allerdings nicht machen.

Er wohnte in Rendsburg und war am frühen Morgen aus südlicher Richtung zum Dienstantritt auf der Fähre erschienen. Während des Pendelns zwischen dem südlichen und nördlichen Ufer hatte er weder an Land noch auf der Fähre irgendwelche besonderen Beobachtungen gemacht.

Den Platz, an dem der Tote lag, konnte er von der Fähre aus nicht einsehen. Die wenigen Personen, die er übergesetzt hatte, waren die üblichen Pendler gewesen, Fremde hatte er nicht zu Gesicht bekommen.

Auch die Gespräche mit seinen beiden Kollegen, die Lisa im Anschluss in ihren Häusern in Kienholz aufsuchte, waren wenig hilfreich, da diese während ihres Dienstes ebenfalls nichts Außergewöhnliches wahrgenommen hatten.

Und solange Lisa nicht wusste, wer der Tote war und wie lange er dort gelegen hatte, war es schwer, die richtigen Fragen zu stellen.

 

 

 

Die Haustür war verschlossen, aber Carsten hatte Berta schon bald nach seiner Rückkehr einen Schlüssel gegeben. Falls mal irgendwas ist, hatte er gemeint. Man kann ja nie wissen, sind unsichere Zeiten heute. Die Angst in seinen Augen hatte ihr einen Stich versetzt.

Als Berta den Schlüssel umdrehte, stellte sie zu ihrem großen Erstaunen fest, dass die Tür nur zugezogen war. Das war ungewöhnlich. Egal, ob Carsten zu Hause war oder sich außerhalb aufhielt, er schloss immer zweimal ab. Sein Sicherheitsbedürfnis war groß, erst recht, nachdem die anderen hier aufgetaucht waren.

Zögernd betrat Berta den Flur. »Carsten, bist du da?«, rief sie in die Tiefe des Hauses hinein. »Carsten, ich bin’s, Berta.«

Außer dem Rauschen der Heizung war kein Laut zu vernehmen. Die Luft war abgestanden, Zigarettenrauch hing darin. Es hatte den Anschein, als wäre seit Tagen nicht mehr gelüftet worden. Berta schloss die Tür hinter sich und ging langsam den Flur entlang, wobei sie im Vorübergehen einen Blick in das Badezimmer warf, dessen Tür offen stand. Es war unaufgeräumt, ein benutztes Handtuch hing über dem Wannenrand, eine Rolle Toilettenpapier lag zwischen Rasierer und Zahnputzbecher auf der Ablage über dem Waschbecken, als hätte jemand die Absicht gehabt, sie in der Halterung zu befestigen, es dann aber wieder vergessen. Das plötzliche Nachlaufen von Wasser aus der über der Badewanne befestigten Brause ließ Berta zusammenzucken, so laut tönte das Geräusch auf einmal durch das ansonsten totenstille Haus.

In der Küche sah es ähnlich unordentlich aus wie im Bad. Benutztes Geschirr auf dem kleinen Tisch an der Wand und in der Spüle, ein Becher mit angetrocknetem Kaffeerand, ein halbvolles Bierglas. Nur das Wohnzimmer, das sich am Ende des Flurs befand, machte einen aufgeräumten Eindruck. Die Möbel der abgewetzten Sitzgarnitur aus geblümtem Stoff standen ordentlich um den niedrigen Couchtisch gereiht, den ein weißes Häkeldeckchen zierte, in dessen Mitte eine dicke rote Kerze in einem verschnörkelten Messinghalter thronte. Die Bücher lagen nicht wie sonst in der Gegend herum, sondern waren im Regal verstaut. Die Zeitschriften standen im dafür vorgesehenen Ständer, die Blumen auf der Fensterbank schienen frisch gewässert zu sein, denn die Erde war feucht, wie Berta nach einer kurzen Prüfung feststellte.

Also muss er gestern noch hier gewesen sein, überlegte sie und sah sich prüfend um. Oder ist er womöglich doch im Haus und … Es lief ihr heiß und kalt über den Rücken, als sie sich auszumalen begann, wie sie bei ihrer Suche über Carstens Leichnam stolpern würde. Sie hatte schon immer eine rege Fantasie gehabt und sich stets an ihr erfreut, aber jetzt verfluchte sie diese Gabe. Heftig schüttelte sie den Kopf, als könnte sie auf diese Weise die Gedanken daran hindern, sich auszubreiten und einzunisten. Carsten war nur fortgegangen, um etwas zu erledigen, mehr steckte nicht hinter seiner Abwesenheit. Dass sie gestern Abend kein Licht in diesem Haus gesehen hatte, musste nicht bedeuten, dass er nicht hier gewesen war.

Sie atmete wieder leichter, entschloss sich aber, zur Vorsicht das ganze Haus zu durchsuchen. Mit steifen Schritten stieg sie in das erste Stockwerk hinauf, in dem sich Carstens Schlafzimmer und das seiner verstorbenen Mutter befanden, und verfluchte die Arthrose in ihren Gelenken, die heute jeden Schritt zu einer Qual machte.

Louises Zimmer war aufgeräumt, die wenigen darin enthaltenen Möbel von einer dicken Staubschicht überzogen. In Carstens Schlafzimmer herrschte eine ziemliche Unordnung, alles sah nach einem hastigen Aufbruch aus. Das Bett war nicht gemacht, die Decke war halb auf dem Boden, das Kopfkissen war zerwühlt. Über einem Stuhl hing eine dunkelblaue Jeans, ein Hemd lag auf dem Fußboden. Die Tür zum Kleiderschrank stand einen Spaltbreit offen. Ein muffiger Geruch entströmte dem alten Möbelstück.

Ächzend machte sich Berta wieder an den Abstieg ins Erdgeschoss, dankbar dafür, dass es keinen Dachboden gab, und dann weiter in den Keller. Unwillkürlich rümpfte sie die Nase, als sie den feuchten und modrigen Geruch wahrnahm, der ihr beim Öffnen der Kellertür entgegenschlug. Die Beleuchtung war kaputt, wie sie beim Herumdrehen des alten Schalters bemerkte, aber zum Glück fiel etwas Licht durch ein kleines Fenster herein. Es sah geputzt aus. Hatte Carsten sich hier unten versteckt und nach draußen geschaut, wenn die anderen vor seinem Haus aufgetaucht waren?

Berta blickte sich um und dachte, dass es hier ähnlich aussah wie in ihrem eigenen Keller. Der Raum war bis obenhin vollgestellt und hätte dringend entrümpelt werden müssen. Nachdem sie alles in Augenschein genommen hatte, stieg sie wieder in den Flur hinauf. Die Aktion hatte sie erschöpft. Keuchend stützte sie sich auf dem Schuhschrank ab. Für einen kurzen Moment schloss sie die Augen und versuchte wieder zu Atem zu kommen, dann ging sie zur Haustür.

Sie würde heute Abend noch einmal nachsehen, mit Sicherheit war Carsten dann wieder zu Hause.

 

 

 

Malte Folkerts erwartete seine Kollegen bereits voller Ungeduld und ließ sich nach deren Rückkehr umgehend Bericht erstatten. Das Computergenie des K1 war aufgrund seines bei einem Einsatz zerschossenen Knies noch immer nur bedingt einsatzfähig, was nichts anderes als Bürodienst bedeutete. Eine Tortur für den agilen jungen Mann, die er mit fortgesetzter Reha so schnell wie möglich hinter sich zu bringen gedachte. Nach Maltes Rückkehr waren die Räumlichkeiten neu aufgeteilt worden. Er saß seitdem mit Uwe in einem Büro, mit dem er sich schon immer besser als die anderen verstanden hatte. Lisa hatte jetzt also Frank Bergmann als Zimmergenossen und freute sich darüber.

»Wie wollen wir denn jetzt die Identität des Mannes rauskriegen?«, fragte Malte und vertilgte das letzte Stück einer überdimensionalen Käsestulle. »Bei dem, was von seinem Gesicht übrig geblieben ist, können wir ja schlecht ein Foto an die Medien geben. Oder hat die KT doch noch irgendwelche Papiere bei ihm entdeckt?«

Lisa schüttelte den Kopf. »Bei ihm nicht. Vielleicht finden die Kollegen noch etwas im Umkreis, das müssen wir abwarten. Bei der dicken Schneedecke, die dort draußen liegt, mache ich mir allerdings wenig Hoffnung.«

»Hat Hesse gesagt, wie lange der Mann dort gelegen haben könnte?«, fragte Malte.

»Nee«, sagte Uwe, der sich tatsächlich geweigert hatte, mit Lisa zurückzufahren, und stattdessen Platz im Mini von Södersens Frau genommen hatte. Dabei hatte Finchen ihr Geschäft nur in der Decke zurückgelassen. Der Geruch im Wagen war allerdings mörderisch gewesen und würde wohl auch noch einige Tage darin hängenbleiben. »Der Typ ist tiefgefroren, den muss unser Doc erst mal auftauen. Und das dauert mindestens einen Tag. Wir dürften also erst am Mittwoch die Obduktionsergebnisse bekommen.«

»Aber es besteht die Möglichkeit, dass der Tote schon einige Tage dort gelegen hat, oder?«, ließ Malte nicht locker.

»Das ist nicht auszuschließen«, räumte Lisa ein. »Der Spaziergänger, der den Mann gefunden hat, sagt, dass er von keiner allzu dichten Schneeschicht bedeckt gewesen war. Das muss aber nichts bedeuten. Es hat in den letzten Tagen zwar heftig geschneit, wir dürfen aber den starken Wind nicht vergessen. Der kann den Schnee auch wieder weggeweht haben, falls der Mann schon länger dort gelegen hat.«

»Andererseits fahren da jeden Tag Autos vorbei«, meinte Malte und knabberte nachdenklich auf einem Bleistift herum. »Da hätte ihn doch jemand sehen müssen, wenn er schon länger dort lag.«

»Schluss mit den Spekulationen! Mach dich an die Vermisstenanzeigen, vielleicht bekommen wir da ja schon einen ersten Hinweis«, ordnete Södersen an und ignorierte Maltes genervten Blick. »Falls ja, ist es gut, falls nicht, werdet ihr morgen damit beginnen, die Orte am Kanal abzuklappern. Der Mann war zu Fuß unterwegs, also muss er von irgendwo aus der Nähe gekommen sein. Bei dem Wetter bricht doch niemand freiwillig zu einem längeren Fußmarsch auf.«

»Vielleicht hatte er einen Wagen dabei, und der ist genauso verreckt wie deiner«, entgegnete Malte grinsend. »Er musste ihn stehenlassen und ist dann zu Fuß weitergegangen.«

Södersen zog die Augenbrauen hoch, und Lisa musste ein Schmunzeln unterdrücken. Ihr Vorgesetzter war ausgesprochen vernarrt in seinen neuen Geländewagen. Dass dieser ihn jetzt so schmählich im Stich gelassen hatte, musste an ihm nagen. Und obendrein auch noch eine kranke Frau, die versorgt werden wollte. Kein Wunder, dass er so übellaunig war.

Nachdem der Leiter der Mordkommission in seinem Büro verschwunden war, begab sich Lisa in die kleine Küche am Ende des Flurs, um die neue Kaffeemaschine in Gang zu setzen. Wie schon am Morgen verspürte sie eine leichte Übelkeit, aber sie wusste, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchte. Ein nervöser Magen und keine Schwangerschaft, wie sie eine Zeitlang befürchtet hatte.

Es ist komisch, dachte sie, während sie darauf wartete, dass die Flüssigkeit durch die Maschine lief. Seit ihrer Fehlgeburt vor mehr als zwanzig Jahren hatte sie sich ein Kind gewünscht, aber der Gedanke, dass Peter Lannert der Vater sein könnte, hatte sie erschreckt. Lannert erdrückte sie mit seiner Liebe, jedes Gespräch darüber endete in einer Konfrontation. Seit längerem dachte sie nun schon darüber nach, die Beziehung zu beenden, und konnte sich doch nicht dazu durchringen. Weil sie Angst vor dem Alleinsein hatte, das wenigstens hatte sie sich eingestanden. Weil sie endlich aufhören wollte, sich Hoffnungen auf Fehrbach zu machen.

Vielleicht würde es ihr irgendwann gelingen, Lannerts Gefühle zu erwidern.

 

Der Nachmittag verging mit der Durchsicht der Vermisstenanzeigen. Heraus kam dabei allerdings nichts. Auch die Rückkehr der Kollegen von der Kriminaltechnik gab keinen Anlass zur Freude. Diese hatten zwar eine Menge herumliegender Dinge eingesammelt, Papiere des unbekannten Toten waren jedoch ebenso wenig dabei gewesen wie ein Gegenstand, der sich als Mordwaffe hätte einstufen lassen. Auch ein herrenloses Auto war bis jetzt nicht aufgefunden worden.

»Dann müssen wir den Radius unserer Suche erweitern«, sagte Lisa zu Alexander Behring, der bei seinem Eintritt einen Schwall kalter Luft mit ins Büro gebracht hatte.

»Wir sind bis nach Kienholz raufgefahren«, entgegnete er. Der Schnee auf seiner Daunenjacke hatte zu tauen begonnen, vereinzelte Wassertropfen fielen zu Boden. »In die Richtung war definitiv nichts.«

»Und nach Rendsburg rüber?«, fragte Uwe. »Habt ihr da auch gesucht?«

Behring machte eine resignierte Geste. »Wir haben die Kanaluferstraße auf einer Länge von einem Kilometer abgesucht und sind sie dann noch bis nach Rendsburg hochgefahren. Keinerlei Auffälligkeiten, auch nicht auf der südlichen Seite des Kanals.« Er tippte sich an die Stirn, als wäre ihm gerade noch etwas eingefallen. »Dem Toten fehlen übrigens nicht nur die Papiere, wir haben auch keine Schlüssel bei ihm gefunden. Ich finde das ungewöhnlich, denn man trägt doch normalerweise wenigstens seinen Haustürschlüssel bei sich.«

Lisa sah ihn nachdenklich an. »Vielleicht hat der Täter sie mitgenommen, damit er in die Wohnung oder das Haus des Toten konnte.« Für einen Augenblick herrschte Schweigen. »Solange wir nicht wissen, wer der Tote ist, stochern wir im Nebel herum«, sagte sie dann und griff zum Telefonhörer. »Ich ruf mal eben Hesse an. Kann ja sein, dass es irgendwelche Möglichkeiten gibt, den Auftauvorgang zu beschleunigen. Ich habe wirklich keine Lust, jetzt bis Mittwoch zu warten.«

Einige Minuten später beendete sie das Gespräch und starrte missmutig vor sich hin.

»Lass mich raten«, sagte Malte. »Wir müssen warten.«

»Der Auftauvorgang muss seinen natürlichen Weg gehen, hat Hesse gesagt. Ich soll nicht immer so ungeduldig sein.«

»Wo er recht hat, hat er recht«, erwiderte Behring grinsend und machte sich auf den Weg zur Tür. »Du musst noch viel ruhiger werden, liebe Kollegin.« Geschickt wich er dem Radiergummi aus, den Lisa hinter ihm herwarf, und schloss die Tür mit einem Lachen.

 

 

 

Bereits gegen fünfzehn Uhr hatte sich das ohnehin schon spärliche Tageslicht verflüchtigt und einer schnell zunehmenden Dunkelheit Platz gemacht. Mittlerweile war es zwanzig Uhr, und der Graswarder lag in undurchdringlicher Finsternis. Nur wenige der wie auf einer Perlenschnur aufgereihten Häuser waren um diese Jahreszeit bewohnt. Die Touristen bevorzugten den Sommer, aber auch viele der Eigentümer mieden die vor Heiligenhafen gelegene Nehrungshalbinsel in den Wintermonaten. Zu kalt, zu stürmisch, zu unwirtlich.

Constantin Dahlström hatte das nie so empfunden. Er und Susanna hatten das Haus in den siebziger Jahren erworben und viel Geld in dessen Renovierung gesteckt. Vor allem im Winter, wenn es draußen tobte und stürmte und die Wellen krachend auf den Strand brachen, liebten sie es, hier zu sein. Wenn es Dahlström möglich gewesen wäre, wäre er ganz auf den Graswarder übergesiedelt und hätte die Wohnung in Rendsburg verkauft, aber seine Arbeit als Stadtrat und seine politischen Ambitionen ließen dies nicht zu. Vor allen Dingen Letztere erforderten seine Anwesenheit in Rendsburg, gerade jetzt, so kurz vor dem lang ersehnten Ziel. Justizminister von Schleswig-Holstein – das Amt sollte die Krönung seiner politischen Laufbahn werden.

Das Lächeln in Dahlströms Gesicht vertiefte sich, als er Susannas Silhouette in der Scheibe des Panoramafensters gewahrte, vor dem der Schneefall wieder an Stärke zugenommen hatte. Seine Frau kam näher, mit dieser stolzen Haltung und den selbstbewussten Schritten, die ihrer Umgebung signalisierten, dass sie mit sich und ihrem Leben im Einklang war.

»Was stehst du denn hier im Dunkeln?«, fragte sie und schlang die Arme um seine Taille. Als sie ihren Kopf an seine Schulter schmiegte, nahm er einen Hauch ihres frischen Parfums wahr. Sie trug nie viel davon auf, weniger ist mehr, war ihre Devise, was ebenso für das Schminken galt. Mascara und ein Hauch Lipgloss reichten ihr, Make-up und endlose Sitzungen vor dem Spiegel überließ sie anderen Frauen. Ihre Natürlichkeit war ihr größtes Kapital, was sowohl das Aussehen als auch ihr Wesen betraf, von dem Dahlström sich sofort angezogen gefühlt hatte. Damals vor bald dreißig Jahren, als er Susanna bei einem Theaterbesuch in Hamburg begegnet war und sie feststellen mussten, dass ihr Sitzplatz zweimal vergeben worden war. Am kommenden Samstag würden sie ihre Silberhochzeit feiern.

»Nur so.«

Sie drehte ihn zu sich herum und schaute prüfend in sein Gesicht. »Alles in Ordnung? Du siehst abgespannt aus.«

Er beugte sich zu ihr hinunter und küsste ihre warmen, vollen Lippen. »Alles in Ordnung, mein Schatz. Es war einfach nur ein harter Tag im Büro.«

»Du hättest nicht extra kommen müssen, ich weiß doch, wie viel du zu tun hast.«

Dahlström löste sich von ihr und ging zur Zimmerecke hinüber, wo er das Licht der Stehlampe anknipste, die den weiß gekalkten Raum mit den dunklen Holzbalken in ein warmes Licht tauchte. »Ich habe das ganze Wochenende über gearbeitet, da kann ich mir doch wenigstens mal zwei freie Tage gönnen. Außerdem hatte ich versprochen, dich morgen Vormittag zu begleiten. Du hast schließlich schon genug mit den ganzen Vorbereitungen zu tun, da möchte ich wenigstens bei dem Treffen mit dem Sommelier anwesend sein.«

Susanna stieß ihn liebevoll in die Seite, als er wieder neben ihr stand. »Ganz uneigennützig natürlich.«

»Natürlich«, versicherte Dahlström mit einem unschuldigen Gesichtsausdruck, bevor er in ihr Lachen einfiel. »Ganz uneigennützig.«

Sie hatten entschieden, ihre Silberhochzeit in einem Restaurant in Heiligenhafen zu feiern. Die Überlegung, inwieweit es wichtig sein könnte, politische Freunde dazu einzuladen, hatten sie beide sehr schnell verworfen. Susanna kannte keine dieser Personen, und für Dahlström waren sie eben nur politische Freunde, die ihm in der Vergangenheit zwar nützlich gewesen waren und dies hoffentlich auch weiterhin sein würden, aber mit echten Freunden hatten sie nichts zu tun. Susanna hätte sie ihm zuliebe trotzdem eingeladen, aber er hatte sich schließlich dagegen ausgesprochen. Eine Silberhochzeit war für ihn eine ebenso persönliche Angelegenheit wie für seine Frau, da hatten Außenstehende nichts zu suchen. So hatten sie sich darauf verständigt, nur die Verwandtschaft und Freunde aus dem privaten Bereich einzuladen, die schon seit vielen Jahren ihre treuen Wegbegleiter waren. Am Nachmittag sollte es eine Kaffeetafel im Haus auf dem Graswarder geben, am Abend dann ein festliches Essen im Restaurant.

»Hast du Maren jetzt eigentlich überreden können zu kommen?«, fragte Dahlström. »Du wolltest doch heute Vormittag mit ihr telefonieren.«

Susanna stieß einen Seufzer aus und sah ihn bekümmert an. »Nein. Sie sagt, sie erträgt es nicht, so viele Menschen um sich zu haben.«

Ärger wallte in Dahlström auf. »Du meine Güte, es ist unsere Silberhochzeit. Kann sie sich denn nicht einmal dafür überwinden? Sie weiß doch, wie gerne wir sie dabeihaben würden.«

»Natürlich weiß sie das, und deshalb tut es ihr auch sehr leid.«

»Ach, das sagt sie doch immer. Wenn es ihr wirklich leidtäte, würde sie sich einen Ruck geben und kommen.« Dahlström schüttelte verständnislos den Kopf. »Deine Schwester muss doch wenigstens ab und an mal raus von zu Hause und auf andere Gedanken kommen. Das Ganze ist so lange her, sie muss doch endlich wieder ins Leben zurückfinden.«

»Ich glaube schon lange nicht mehr, dass ihr das noch gelingen wird. Sie hat sich aufgegeben, Constantin. Sie geht nur noch in die Bank und abends wieder nach Hause. All das, was ihr Leben früher ausgemacht hat, gibt es nicht mehr. Die Freunde haben sich abgewandt, weil sie mit ihren dumpfen Stimmungen nicht mehr zurechtkamen. Man kann es ihnen nicht einmal verdenken.« Susanna warf ihm einen mutlosen Blick zu. »Es ist so verdammt schwer mit ihr. Manchmal wünsche ich mir, dass etwas geschieht, egal was, das sie endlich aus ihrer Lethargie reißt. Ich bin nämlich langsam mit meinem Latein am Ende.«

»Da stehst du nicht allein.«

»Ich habe schon bei unseren letzten Telefonaten das Gefühl gehabt, dass es ihr wieder schlechter geht. Aber ich komme im Moment einfach nicht an sie ran. Seitdem dieser Kerl entlassen wurde, hat sie dichtgemacht.« Susanna schlang die Arme um ihren Oberkörper, als wäre ihr kalt. »Maren kann einfach nicht begreifen, wieso man einen solchen Menschen freilassen kann. Und ich verstehe es ehrlich gesagt auch nicht.«

»So sind nun einmal die Gesetze.«

»Aber diese Gesetze sind falsch!«, begehrte Susanna auf. »Was ist denn, wenn dieser Mann wieder ein Kind tötet? Wer übernimmt die Verantwortung dafür?«

Sie hatten das Thema in der letzten Zeit häufig diskutiert. Susanna war voller Sorge um ihre drei Jahre jüngere Schwester, zu der sie ein sehr enges Verhältnis hatte. Der Mord an ihrem Sohn Bastian schien Marens Leben für immer zerstört zu haben.

Susanna setzte sich auf das schwarze Ledersofa neben dem Kamin, in dem die Holzscheite knackten. Das Licht des Feuers warf einen goldenen Schimmer über ihre halblangen braunen Haare, und Dahlströms Herz begann sich zu weiten. Mein Gott, was liebte er diese Frau, ihr großes Herz, das für jeden weit offen war. Er freute sich auf das Altwerden an ihrer Seite, er liebte jede Falte an ihr, den entspannten Sex, bei dem es nicht darum ging, Höchstleistungen zu vollbringen, sondern einfach nur darum, auf die Bedürfnisse des anderen einzugehen und ihm gutzutun. Wo sich keiner von ihnen seiner körperlichen Unzulänglichkeiten zu schämen brauchte, die das Alter nun einmal unweigerlich mit sich brachte. Es war normal, dass sich Männer in seinem Alter Frauen suchten, die ihre Töchter hätten sein können. Dahlström kannte einige in seinem Umfeld. In seinen Augen bezahlten sie einen hohen Preis. Er wusste, dass auch er unter Beobachtung stand und dies noch viel mehr der Fall sein würde, wenn ihm der geplante Schritt auf den heißersehnten Posten gelang. Aber es war ihm egal. Er hatte Susanna in all den Jahren noch niemals betrogen, und er würde dies auch nicht tun. Sie war alles, was er zum Glücklichsein brauchte.

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Dienstag, 14. Februar

Das Telefon auf Fehrbachs Schreibtisch gab ein beharrliches Klingeln von sich, als er sein Büro betrat. Er hatte es bereits im Vorzimmer wahrgenommen, während er noch überlegte, wo seine Sekretärin wohl sein mochte.

»Moin, Herr Fehrbach«, erklang eine krächzende Stimme aus dem Hörer, die sich nur mit Mühe als die des Leiters der Kieler Mordkommission identifizieren ließ.

»Hallo, Herr Södersen. Sie klingen aber gar nicht gut.«

»Meine Frau ist ein Bazillenmutterschiff, ich hab mich schon ins Wohnzimmer ausquartiert. Aber wie es aussieht, hat es mich doch erwischt. Höchste Zeit, Reißaus ins Büro zu nehmen.« Ein Lachen drang an Fehrbachs Ohr, das jäh einem Hustenanfall zum Opfer fiel. Es dauerte einen Augenblick, bis Södersen seine Stimme wiedergefunden hatte. »Ich wollte mich erkundigen, wer denn jetzt den aktuellen Fall von Ihrer Seite aus bearbeitet. Der ursprünglich dafür Vorgesehene ist ja wohl wegen Grippe ausgefallen, wie ich vorhin gehört habe.«

Fehrbach hatte die Unterlagen am Vortag auf den Schreibtisch bekommen und den Fall einem seiner Mitarbeiter übertragen, der sich allerdings an diesem Morgen krankgemeldet hatte. Seitdem sann er darüber nach, wen er jetzt damit beauftragen konnte, denn die derzeitige Grippewelle hatte auch vor der Staatsanwaltschaft Kiel nicht haltgemacht.

»Geben Sie mir noch eine Stunde, Herr Södersen. Wir sind im Moment sehr schwach besetzt. Ich muss sehen, wem ich diese zusätzliche Sache noch aufbürden kann.«

»Ich will Ihnen ja nicht in Ihre Planung reinreden, aber es würde mich freuen, wenn Sie es machen.«

Fehrbach überlegte, ob Södersen etwas mit seinem Vorschlag bezweckte. Er musste die Querelen zwischen Lisa und ihm mitbekommen haben und schlug trotzdem eine erneute Zusammenarbeit vor. Warum? »Ich bin in der nächsten Woche im Urlaub.«

»Oh.« Södersen klang enttäuscht. »Na ja, da kann man dann wohl nichts machen.«

»Eine Stunde, Herr Södersen, dann gebe ich Ihnen Bescheid.«

Nachdem sie sich verabschiedet hatten, trat Fehrbach zum Fenster, das auf den Schützenwall hinausführte. Es waren nur wenige Autos unterwegs; ein Räumfahrzeug versuchte vergebens gegen die Schneemassen anzukämpfen, die den Nahverkehr in der Landeshauptstadt langsam, aber sicher zum Erliegen brachten. Vereinzelte Fußgänger waren zu sehen. Die Köpfe tief geduckt gegen den eisigen Wind, eilten sie schnellen Schrittes über die schon wieder zugeschneiten Wege.

Fehrbach ging zum Schreibtisch zurück und rief die aktuelle Auslastung seiner Mitarbeiter auf, als sein Telefon ein weiteres Mal zu läuten begann. Diesmal war es sein Vorgesetzter.

»Dehning hat sich jetzt auch krankgemeldet.«

Fehrbach stieß einen tiefen Seufzer aus. »Das darf doch nicht wahr sein.«

»Leider doch«, hörte er Sievers’ Stimme. »Dieses Jahr ist es wirklich haarig.« Ein Zögern breitete sich in der Leitung aus, bis Sievers wieder sprach. »Ich habe Skrupel, dich das zu fragen, aber mir bleibt keine andere Wahl.«

Fehrbach nahm ihm die Frage ab. »Du möchtest, dass ich meinen Urlaub verschiebe.«

»Wenn du jetzt auch noch weg bist …« Sievers’ einsetzendes Schweigen sprach Bände.

»Wir haben eine Reise nach New York gebucht.«

Als er den Satz aussprach, wurde Fehrbach bewusst, dass er Sievers bis jetzt kaum etwas von seiner neuen Lebenssituation erzählt hatte. Jedenfalls nicht, was die Beziehungsseite betraf.

»Wir?«, kam dann auch wie erwartet die Frage.

»Barbara und ich«, gab Fehrbach zu. Er war erleichtert, dass Sievers von der alten Sache wusste und ihm langwierige Erklärungen somit erspart bleiben würden. »Wir haben beschlossen, unserer Beziehung eine zweite Chance zu geben.«

»Nun ja«, kam es nach kurzem Schweigen verhalten zurück, »du bist ein erwachsener Mann, du musst wissen, was du tust.«