Watch Your Mouth - Kandi Steiner - E-Book

Watch Your Mouth E-Book

Kandi Steiner

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Beschreibung

Die Teamkollegen meines Bruders wissen, dass sie mich nicht anfassen dürfen – aber das hält mich nicht davon ab, Jaxson Brittain dazu zu bringen, als Erster gegen diese Regel zu verstoßen. Nach einer heißen Nacht in Austin erinnere ich mich nur allzu gut an den heißen Verteidiger mit den eisblauen Augen und den Tattoos auf seinen muskulösen Armen. Es war nur eine Nacht, in der wir flirteten und herumalberten, in dem Wissen, dass nie etwas daraus werden würde. Doch als das Universum uns zwei Wochen später wieder zusammenbringt und wir gemeinsam auf einem geheimen Roadtrip sind, ist alles möglich. Ich kann nicht anders, als ihn zu berühren. Ich kann nicht anders, als dafür zu beten, dass er mich berührt. Und ich kann der Versuchung nicht widerstehen, ihn auf Schritt und Tritt auf die Probe zu stellen. Und je länger wir auf der Straße sind, desto einfacher wird es, die Warnungen meines Bruders zu ignorieren.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
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Seitenzahl: 568

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Watch Your Mouth
Impressum
Danksagung

Kandi Steiner

Watch Your Mouth

Übersetzt von Michelle Markau

Impressum

Watch Your Mouth

Copyright der deutschen Ausgabe. © 2025 VAJOSH Verlag GmbH

Watch Your Mouth copyright. © 2024 by Kandi Steiner

All rights reserved

Übersetzung: Michelle Markau

Die Originalausgabe erschien 2024 unter dem Titel

»Watch Your Mouth«.

Korrektorat: Anne Masur

Umschlaggestaltung: Diana Gus

Satz: VAJOSH Verlag GmbH, Oelsnitz

VAJOSH Verlag GmbH

Carl-Wilhelm-Koch-Str. 3

08606 Oelsnitz 


Teil der SCHÖCHE Verlagsgruppe GmbH

An die Verrückten.

Macht weiter so.

Mein ganzes Leben hatte ich mich in einem Nebel bewegt, in einer dichten und schweren Wolke, von der ich dachte, dass sie mich für immer begleiten würde.

Aber eine Nacht mit ihr hatte die Sonne hervorgebracht.

Seit meiner Geburt wusste ich, wie mein Leben verlaufen würde. Und Eishockey spielte eine große Rolle. Im Alter von drei Jahren hatte ich einen Schläger in der Hand gehalten. Mit fünf hatte ich bereits in einer Mannschaft gespielt. Meine Eltern hatten Familienurlaube zugunsten von Eishockeycamps aufgegeben, Weihnachtsgeschenke für Eishockeyausrüstung und Brettspiel- oder Rätselabende für Abende, an denen wir uns Videos von jedem Team angeschaut hatten, das wir finden konnten.

Ich war dazu bestimmt, den Traum meines Vaters zu verwirklichen. Den Traum, der ihm gestohlen wurde. Und genau das habe ich getan. Versteht mich nicht falsch – Eishockey war auch mein Traum. Nichts erfüllte meine Seele so sehr wie das Eis.

Aber egal, wie sehr ich mich anstrengte, am Ende jedes Spiels hatte ich auf so viel Kritik von dem Mann gewartet, dessen Anerkennung ich mir am meisten wünschte.

Und natürlich belastete das die Seele.

Bevor ich überhaupt wusste, was geschehen war, befand ich mich mitten in einem Leben, das sich anfühlte, als würde es von jemand anderem gelebt werden. Ich war ein professioneller Eishockeyspieler – ein Verteidiger, der meinen Vater mit meinen Leistungen zwanzig Prozent der Zeit zufriedenstellte, und achtzig Prozent der Zeit wütend machte. Er war immer der Meinung, dass ich es besser machen könnte. Er drängte mich immer dazu, mehr zu tun.

Ich überlebte den Druck, indem ich mich mit allem betäubte, was mir zur Verfügung stand – vor allem mit Alkohol und Frauen. Zum Glück hatte ich in meinen Teamkollegen auch eine Familie gefunden, vor allem im letzten Jahr.

An den meisten Tagen waren sie das Einzige, was mich über Wasser hielt. Sie gaben mir einen Grund zu spielen – nicht nur für meinen Vater oder für mich, sondern auch für sie.

Einer meiner Mannschaftskameraden, Vince Tanev, unser neuer Flügelspieler, war wie ein Bruder für mich. Er hatte sich zu dem Anführer entwickelt, zu dem er geboren worden wurde.

Und aus diesem Grund versuchte ich zu ignorieren, dass ich seit der Nacht, in der er NHL-Rookie des Jahres geworden war, an nichts anderes als an seine Schwester denken konnte.

Ich war jetzt bei ihm zu Hause und wartete darauf, dass unser Torwart zu uns kam, damit wir eine Runde Golf spielen konnten. Ich hatte sie seit unserem Wochenende in Austin vor zwei Wochen nicht mehr gesehen, weil jeder die Nebensaison anders verbrachte. Doch jetzt, wo ich bei Vince war, konnte ich nur an seine Schwester denken.

Das war ein echtes Problem.

Ich hatte die Hälfte der letzten vierzehn Tage damit verbracht, alles zu tun, um sie und diese Nacht aus meinem Gedächtnis zu bekommen. Denn es spielte keine Rolle, wie einfach es war, mit ihr zu reden, wie herzlich sie mich zum Lachen gebracht hatte oder wie mein Körper mit ihren Hüften in meinen Händen zum Leben erwacht war, als wir in einem überfüllten Club getanzt hatten.

Grace Tanev war tabu.

Sie war in einer Beziehung. Sie war acht Jahre jünger als ich.

Sie war die kleine Schwester meines Teamkollegen.

Das war eine Hürde, die nicht einmal ich nehmen konnte.

Ich wusste nicht, warum ich überhaupt über sie springen wollte, aber sie hatte etwas mit mir gemacht. Mein Leben war immer nach Plan verlaufen, doch sie war die Atombombe, die alles durcheinanderbrachte.

Es war, als hätte sie mich aus einem tiefen Schlummer wachgerüttelt, und jetzt war ich hellwach, sah mich um und hatte eine neue Perspektive auf das Leben und absolut keine Lust, wieder ins Bett zu gehen.

Ich hatte es einigermaßen geschafft, den Gedanken an sie abzuschütteln. Ich hatte dem Drang widerstanden, sie in den sozialen Medien zu suchen, hatte die Tatsache ignoriert, dass sie mir ihre Nummer gegeben und in meinem Handy eingespeichert hatte, bevor wir uns verabschiedet hatten.

Denn genau das war es gewesen – ein Abschied.

Bis es nicht mehr so war.

»Willst du dein Geld wirklich so dringend verlieren, Fabio?«, fragte Vince pfeifend und schüttelte den Kopf. Wir waren am Strand seines neuen Hauses, das noch zur Hälfte mit Boxen vollgestellt war, und warteten darauf, dass Will Perry auftauchte, damit wir pünktlich abschlagen konnten. »Du weißt, dass du beim Golf nicht mit mir mithalten kannst.«

Carter Fabbri, oder Fabio, wie wir ihn nannten, war in der vergangenen Saison ebenfalls ein Rookie gewesen. Leider war er im März in die AHL geschickt worden, um bei den Playoffs auszuhelfen. Das passierte, wenn das NHL-Team einen Spieler entbehren konnte und das AHL-Team Hilfe brauchte. Aber es tat immer weh, wenn man in die AHL versetzt wurde, denn damit wurde eines klar: Man war entbehrlich.

Doch nach den Playoffs ging alles wieder von vorn los. Carter war nach Tampa gezogen, um seine Verbundenheit mit dem Team zu zeigen, und im September würde er mit dem Rest von uns im Camp sein. Ich war mir nicht sicher, wo er danach landen würde, aber ich hoffte, dass er wieder zu uns kommen würde.

Der Junge musste seine Leistung verbessern, wenn er einen festen Platz als Center in der NHL haben wollte.

»Ich habe geübt«, verteidigte sich Carter. »Außerdem warst du so sehr mit Mavens Arsch beschäftigt, dass du zu abgelenkt sein wirst, um zu spielen.«

»Hey, lass meinen Arsch da raus«, rief Maven aus der Küche, in der sie gerade Gläser in die Schränke einräumte.

»Aber er ist der beste, den ich je gesehen habe«, sagte Carter mit einem Schmollmund, was ihm einen Schlag auf den Arm von Vince einbrachte.

»Da muss ich leider zustimmen«, mischte ich mich ein und duckte mich, bevor Vince die Chance hatte, mich in den Schwitzkasten zu nehmen. »Ich träume immer noch von diesem gelben Kleid …«

Ich schmunzelte über den Scherz, von dem ich wusste, dass er Vince verärgern würde. Maven war jetzt seine Verlobte, aber sie war während der Saison in unser aller Leben getreten, als Reporterin, die über Tanevs erstes Jahr in der NHL berichten sollte. Wir wussten alle, dass sie tabu war, und wir liebten sie jetzt wie eine Schwester.

Aber ich würde mir die Chance nicht entgehen lassen, Tanny Boy das Leben schwer zu machen.

Vince schob Carter aus dem Weg und fing an, mich zu jagen. Also wich ich dem Couchtisch aus und sprang über das Sofa, um knapp außerhalb seiner Reichweite zu bleiben. Carter fing an, den »Benny Hill Theme Song« zu summen und klatschte im Takt auf seinen Oberschenkeln zu den Kazoo-Geräuschen, die er mit seinem Mund machte, als wären wir Tom und Jerry.

Ich rutschte auf meinen Socken um die Kücheninsel und versteckte mich halb hinter einer lachenden, rotgesichtigen Maven, als eine Gestalt im Foyer erschien. Zuerst dachte ich, es sei Will, also hielt ich die Scharade aufrecht. Doch als ein Koffer auf den Marmorboden fiel und ein leiser Schrei folgte, blieben wir alle stehen und drehten unsere Köpfe in diese Richtung.

Und da war sie.

Starrte mich direkt an.

Das Mädchen, das ich nicht vergessen konnte.

Die grünen Augen, in die ich mich in jener Nacht in Austin so leicht verguckt hatte, waren rot und glänzten, ihre kleine, runde Nase hatte dieselbe rosige Farbe. Die Tränensäcke unter ihren Augen hatten einen schrecklichen violetten und grauen Farbton, ihre Schultern hingen herab, ihre Unterlippe zitterte, je länger sie dastand, ohne dass jemand ein Wort sagte. Selbst in Stöckelschuhen war sie zierlich gewesen, aber in Flipflops war sie so zart, so klein wie ein Mäuschen.

Grace Tanev. Ihr langes, glattes blondes Haar, das mir in der Nacht, in der ich sie auf der Tanzfläche in Austin herumwirbelte, die Sicht versperrt hatte, war ein wirres Durcheinander, schmutzig und fettig und stumpf. Sie hatte es mit einem zerrissenen Baseball-Cap bedeckt, auf dem Arschloch stand.

Aber selbst mit ihren zu einer Linie zusammengepressten Lippen konnte ich mich an ihr Lächeln erinnern.

Ich konnte mich an ihr Lachen erinnern, an ihre lächerlichen Tanzschritte und ihre noch lächerlicheren Fragen.

Ich erinnerte mich an alles.

So erschöpft sie auch aussah, ihre bronzene Haut leuchtete immer noch gegen das weiße T-Shirt, und die Jeans Shorts, die sie trug und die aussahen, als wäre sie seit Wochen am Strand gewesen. Auf ihrem T-Shirt war eine Karikatur eines Opossums abgebildet, das ein Gewehr wie ein Cowboy schwang, und darunter In der Dämmerung reiten wir los.

Ich hätte gelacht, wenn ihr Anblick nicht ein besitzergreifendes und wildes Gefühl in meiner Brust ausgelöst hätte.

Sie sah scheiße aus, als wäre sie durch die Hölle gegangen, und doch war sie das Schönste, was ich je gesehen hatte.

Bevor ich es mir anders überlegen konnte, ging ich auf sie zu – genau wie Vince. Er warf mir einen seltsamen Blick zu, bevor ich stehen blieb und er weiterging, zu seiner Schwester eilte und sie heftig umarmte.

Maven gab ihnen Raum und wandte sich wieder dem Auspacken zu, und Carter tat so, als würde er telefonieren.

Ich hingegen konnte nicht wegsehen.

Was zum Teufel ist los mit mir?

Etwas von dieser Nacht blitzte in mir auf, und ich kannte die Antwort auf meine Frage. Ich dachte, ich würde sie nie wiedersehen. Ich hielt mich für stark und widerstand dem Drang, ihr eine Nachricht zu schreiben oder zu versuchen, die Verbindung aufrechtzuerhalten, die wir so leicht hergestellt hatten, obwohl ich wusste, dass es eine schlechte Idee war.

Doch jetzt war sie hier, im selben Raum mit mir, und ich spürte, wie ich von ihr angezogen wurde wie ein gottverdammter Magnet. Nach einem Moment trat Vince zurück und hielt Grace’ Schultern in seinen Händen, während er mit leiser Stimme zu ihr sprach. Sie erwiderte etwas, dann umarmte Vince sie erneut und schnappte sich ihren Koffer. Sie gingen den Flur hinunter und die Treppe hinauf, und als sie weg waren, atmete Maven aus.

»Das sah nicht gut aus«, sagte sie.

Carters Mund verzog sich, als er die Treppe hinauf und dann wieder zu mir sah. Dann verengten sich seine Augen ein wenig, aber bevor er etwas sagen konnte, war Vince wieder da und fuhr sich mit der Hand über den Kopf.

»Geht es ihr gut?«, fragte Maven.

»Nein«, sagte er. »Aber das wird schon wieder. Ich habe ihr gesagt, dass sie hier bei uns bleiben kann.«

»Natürlich«, sagte Maven und umrundete die Kücheninsel. Dann legte sie ihre Arme um Vince’ Taille. »So lange, wie sie es braucht.«

Vince nickte, atmete aus und küsste Mavens Stirn. Er schien sich zu entspannen, als sie ihn umarmte, doch meine Muskeln waren fest angespannt.

Carter versuchte, die Stimmung mit einem Witz aufzulockern. Dann kam unser Torwart herein und brach die Spannung, als er darüber schimpfte, dass es zu heiß zum Golfspielen sei.

Er hatte immer irgendetwas auszusetzen.

Ich murmelte eine leise Lüge darüber, dass ich noch auf die Toilette müsse, bevor wir gingen, und entschuldigte mich.

Dann warf ich einen Blick über die Schulter, um mich zu vergewissern, dass mich niemand beobachtete, und ging die Treppe hinauf, immer zwei Stufen auf einmal.

Du bist ein Idiot.

Dreh wieder um.

Sie will im Moment niemanden sehen, schon gar nicht dich.

Sie weint, verdammt noch mal.

Lass. Sie. Allein.

Ich hörte jedes Wort, das mein gesunder Menschenverstand mir zuzurufen versuchte, aber es war, als hätte ich Stöpsel in beiden Ohren, als hätte ich gar keine Wahl gehabt. Mein Körper bewegte sich, ohne dass ich es wollte, mein Verstand schaffte es nicht, mich aufzuhalten.

Vince’ neues Haus war riesig und hatte so viele Zimmer, dass ich nicht sicher war, in welches er Grace gesteckt hatte, doch ich hörte sie durch eine leicht geöffnete Tür schniefen. Direkt davor blieb ich stehen und klopfte mit den Fingerknöcheln leicht an das Holz.

»Komm rein«, sagte sie leise, mit heiserer Stimme.

Ich stieß die Tür gerade so weit auf, dass ich sie und sie mich sehen konnte, und dann erstarrten wir beide.

Ich war mir nicht sicher, was ich erwartet hatte. Vielleicht wollte ich, dass sie mir sagte, ich solle mich verpissen und sie in Ruhe lassen, denn als sie lächelte, verdrehte sich mein Magen – als hätte ich das nicht verdient, als wäre es gefährlich für mich, jedes ihrer Lächeln zu wollen. Ihre Mundwinkel hoben sich, ihre Augen funkelten, und zwei weitere Tränen flossen in perfektem Einklang über ihre Wangen, als hätte das Lächeln sie befreit.

»Hey«, sagte sie, und es war nur ein Wort, nur eine Begrüßung. Aber dieses Lächeln, die Art, wie sie mich ansah, gab mir das Gefühl, dass ich die Macht hatte, alles in Ordnung zu bringen.

»Wen muss ich töten?«

Sie verschluckte sich an einer Mischung aus Schluchzen und Lachen und putzte sich die Nase mit dem zusammengeknüllten Taschentuch in ihrer Hand. Dann wischte sie sich die Tränen weg. »Er ist die Gefängnisstrafe nicht wert.«

Dann entzündete sich etwas in mir, der Funke wurde zur Flamme.

Er.

Das bestätigte meinen Verdacht.

In jener Nacht in Austin hatte sie mir auf die liebenswerteste, aber bestimmteste Art und Weise gesagt, dass sie vergeben sei und sich mit einem Typen treffe, den sie beim Camping kennengelernt hatte. Schon damals hatte ich das Gefühl gehabt, dass er ein Fuck-Boy war. Ich war mir auch ziemlich sicher gewesen, dass sie es wusste.

Nach ihrem tränenverschmierten Gesicht zu urteilen, hatte der Typ es vermasselt.

Idiot.

»Alles okay?«

Ihr Lächeln wurde schwächer. »Ja, ja«, sagte sie schnell und wedelte mit der Hand in der Luft, als würde sie eine Mücke verscheuchen. »Es ist sein Pech, oder?« Sie schüttelte den Kopf, ihre Stimme wurde leiser, und ich hatte das Gefühl, dass sie nur etwas wiederholte, was eine Freundin gesagt hatte, um sie zu beruhigen. »Nichts, was ein bisschen Sonnenschein und Salzwasser nicht in Ordnung bringen könnten.«

Sie zwang sich zu einem weiteren Lächeln, woraufhin ich die Stirn runzelte und weiter in den Raum trat.

»Du musst das nicht tun.«

»Was?«

»So tun, als ginge es dir gut. So tun, als ob es dir nicht wehtut. So tun, als ob du nur das Gute siehst.«

Ihre Brauen zogen sich zusammen. Dann blickte sie nach unten, auf ihre Hände, die noch immer das zusammengeknüllte Taschentuch umklammerten, und zuckte mit den Schultern.

»Es ist einfacher, als die Wahrheit zuzugeben.«

Carter rief meinen Namen von unten, und ich fluchte, trat aus dem Zimmer und ging ein Stück den Flur entlang, bevor ich rief: »Bin gleich da!«

Dann ging ich zurück zum Türrahmen, und meine Brust schmerzte bei dem Anblick der kleinen Grace auf dem großen Bett mit den vier Pfosten. Es war so ziemlich das Einzige, was sich bisher im Zimmer befand, abgesehen von einem leeren Bücherregal, ein paar Kunstwerken auf dem Boden, die an der Wand lehnten, einem halben Dutzend Pflanzen und einem montierten, aber noch nicht angeschlossenen Fernseher.

»Geh«, sagte sie mit einem schwachen Lächeln. »Es geht mir gut.«

Aber ihre Augen sagten etwas anderes.

»Was machst du jetzt?«

Die Frage platzte aus meinem dummen Mund, bevor ich überhaupt darüber nachdenken konnte – was offensichtlich war, denn wenn ich darüber nachgedacht hätte, hätte ich den Mund gehalten. Ich hätte auf sie gehört, als sie mir sagte, ich solle gehen. Nein – ich wäre überhaupt nicht hier hoch gekommen. Ich wäre immer noch unten und würde so tun, als würde es mich nicht interessieren, dass die Schwester meines Teamkollegen wieder in mein Leben getreten war.

Grace wölbte eine Braue, setzte sich dann aufrechter hin und zeigte mir ein weiteres falsches Lächeln. »Einen Ball veranstalten. Ist das nicht offensichtlich?« Sie breitete ihre Hände aus und zeigte auf sich und den Raum.

Meine Mundwinkel zuckten nach oben. Diesem Mädchen wurde das Herz gebrochen, und doch machte sie Witze.

Aber dieses Spiel können auch zwei spielen.

»Okay. Also morgen, wenn dein Ball vorbei ist«, ich sah sie mit einem Grinsen im Gesicht an, »was machst du dann?«

»So weit bin ich noch nicht«, flüsterte sie traurig, nachdenklich.

»Wie wäre es, wenn wir eine Runde drehen?«

Nochmal – was soll der Scheiß, Jaxson?

»Eine Runde drehen?«

Ich nickte, obwohl mein Kopf mir sagte, ich solle den Kopf schütteln und sagen: Vergiss es, ich bin ein Idiot, verzeih mir, während ich mich verpisse und dich in Ruhe lasse, wie ich es von Anfang an hätte tun sollen.

»Wohin?«, fragte sie.

»Wo immer du hinwillst.«

Sie verschränkte die Arme. »Und mein Bruder?«

Eine Warnung flammte in meinem Bauch auf, doch ich ignorierte sie. »Erzählst du deinem Bruder alles?«

Was. Stimmt. Denn. Nicht. Mit. Mir?

Das war ein Mädchen mit gebrochenem Herzen, frisch aus einer Beziehung, die sie eindeutig verletzt hatte. Sie war zweiundzwanzig – viel zu jung für mich.

Das war Grace Tanev, die kleine Schwester eines meiner besten Freunde.

Geh weg, flehte mich die Logik an. Du solltest nicht hier sein.

Aber ich stand aufrecht, wie angewurzelt, beobachtete sie und wartete darauf, dass sie die Stärkere sein würde, weil ich es offensichtlich nicht war.

In ihren meergrünen Augen blühte der Schalk auf, und auf ihren hellrosafarbenen Lippen kräuselte sich das erste echte Lächeln, das ich seit Austin gesehen hatte. Dann sprang sie vom Bett auf.

»Road Trip?«

Meine Brauen schossen in die Höhe.

Ich dachte eher an eine Fahrt am Strand entlang oder vielleicht an eine lange, kurvenreiche Straße. Aber das hielt mich nicht davon ab, meinen dummen Mund aufzumachen und zu antworten: »Wenn es das ist, was du brauchst.«

Wenn es das ist, was du brauchst, Jax?

Das war absolut wahnsinnig.

Wieder fühlte ich mich wie ein Gefangener in meinem eigenen Körper, denn egal wie laut mein gesunder Menschenverstand in meinem Kopf wütete, ich konnte nicht tun, was er verlangte, selbst wenn ich es wollte.

Denn offensichtlich wollte ich es nicht.

Allein die Gegenwart dieses Mädchens hatte meinen verdammten Kopf durcheinander gebracht.

Ihre Augen verengten sich ein wenig, als würde sie nicht glauben, dass ich es ernst meinte.

Damit waren wir schon zwei.

»Was ist mit dem Training?«

»Nebensaison«, erklärte ich. Und an diesem Punkt wandte sich das, was von meinem gesunden Menschenverstand noch übrig war, von mir ab.

Grace’ Augen funkelten wie Diamanten.

»Überall hin?«, fragte sie und wiederholte damit meinen früheren Gedanken.

»Überall hin.«

Ihr Lächeln wurde noch breiter, und sie durchquerte den Raum mit zwei Schritten, streckte ihre Hand nach meiner aus.

»In der Dämmerung reiten wir los«, sagte sie und bezog sich dabei auf ihr Shirt.

Ich ignorierte die Sirenen in meinem Kopf, als ich ihre Hand nahm, und sie schüttelte, als hätten wir gerade einen millionenschweren Geschäftsabschluss gemacht. Dann zog sie sich mit einem Moonwalk zurück und machte dabei Fingerbewegungen und ein pew pew-Geräusch, das mir ein Lachen entlockte.

Ich war mir ziemlich sicher, dass ich gerade eine falsche Abzweigung genommen und direkt in Richtung Katastrophengebiet zusteuerte.

Aber ich konnte mich nicht dazu durchringen, den Kurs zu ändern.

Zwei Wochen zuvor

Ich war es gewohnt, meinen Bruder vom Spielfeldrand anzufeuern. Das habe ich bereits mein ganzes Leben lang getan.

Seit ich als Baby an die Brust meiner Mutter geschnallt worden war und ihm dabei zugesehen hatte, wie er lernte, einen Schläger zu halten, waren meine Augen auf meinen älteren Bruder gerichtet gewesen. Ich habe ihm dabei zugesehen, wie er als unbeholfenes Kind das Hockeyspielen erlernt hatte, wie er als hormoneller Teenager ein wenig besser wurde und wie er beim Übergang vom Jungen zum Mann absolut aufblühte.

Ich sah zu ihm auf.

Vielleicht, weil ich in dieser Angelegenheit nie eine Wahl gehabt hatte.

Als ich also dabei sein durfte, als er bei den NHL-Auszeichnungen die Calder Memorial Trophy entgegennahm, mit der er zum Rookie des Jahres gekürt wurde, war ich nicht im Geringsten überrascht. Ich stand da, klatschte und schrie so laut, dass die Tische mit den Sportlern und ihren Familien um uns herum mich anstarrten, als wäre ich ein wildes Kind. Ich glaube, sogar meine Eltern – die ebenfalls geschrien haben – waren ein wenig verlegen. Daran war ich natürlich auch gewöhnt.

Aber unabhängig davon, dass ich in Vince’ Schatten lebte, war ich immer noch stolz auf ihn. Er war mein Bruder. Er war ein Anführer, ein verdammt guter Eishockeyspieler und ein noch besserer Mann.

Ich fühlte mich geehrt, seine kleine Schwester sein zu dürfen.

Die Preisverleihung fand dieses Jahr in Austin, Texas, statt, und ich war zusammen mit meinen Eltern kurzerhand aus Michigan eingeflogen. Wenn es um Vince ging, würden sie nichts verpassen.

Es war bereits unerträglich heiß in der Stadt, worüber sich die meisten Teilnehmer beschwerten. Doch ich? Ich liebte die Hitze. Ein heißer Tag in der Stadt ist mir allemal lieber als ein Wintertag in Michigan.

Meine Eltern verabschiedeten sich nach der Preisverleihung, weil sie an der darauffolgenden Party nicht teilnehmen wollten. Sie hatten Vince ein halbe Stunde für sich, bevor sie ihm schließlich eine gute Nacht wünschten, und dann auch mir.

Als sie weg waren, konnte ich aufatmen.

»Bist du bereit?«, fragte mich Maven und verschränkte ihren Arm mit meinem, als wir dem Rest des Tampa Bay Ospreys-Teams zum Partybus folgten, der uns in die Stadt bringen sollte. Maven war die neue Freundin meines Bruders – was uns alle schockiert hatte, da er nie der Beziehungstyp gewesen war. Aber Maven war ein guter Fang – verdammt klug, schlagfertig und absolut hinreißend. Sie sah mich mit ihren warmen, honigfarbenen Augen an, ihr Lächeln war breit und strahlend.

»Machst du Witze? Dafür wurde ich geboren«, sagte ich ihr grinsend und wackelte mit meinen Hüften.

Sie stieß ein Lachen aus. »Du bist genau wie dein Bruder.«

Ich wünschte, es wäre so.

Der Gedanke kam plötzlich, wie ein Blitz, aber er erlosch ebenso schnell wieder.

Wir stiegen unter dem Gebrüll von zwei Dutzend Mannschaftskameraden in den Partybus, die alle Vince’ Namen skandierten, als er die Calder Trophy hoch über seinen Kopf hob. Er stützte sich mit dem Fuß auf dem ersten Bussitz ab und vollführte mit der Trophäe einen lächerlichen Body Roll Celly Dance, was den Bus voller Eishockeyspieler noch lauter jubeln ließ.

Ich hatte schon eine Million Mal gesehen, wie mein Bruder feierte. Er war die Art von Mensch, der in allem, was er sich vornahm, überragend war. Die Tatsache, dass er gerade die Trophäe für den NHL-Rookie des Jahres in der Hand hielt und außerdem wunderschöne Vasen aus Ton herstellen konnte, war der Beweis dafür.

»Es ist so laut!«, schrie ich über den Lärm hinweg.

Maven lachte und drückte meinen Arm. Wir standen neben dem Fahrer an der Vorderseite des Busses, während mein Bruder stolz seine Trophäe hochhielt.

»Ich habe von diesem Moment geträumt, seit ich in der Highschool war«, sagte er, und wie durch ein Wunder beruhigten sich die Jungs im Bus so weit, dass sie ihn hören konnten. »Damals sah ich es als eine Solo-Auszeichnung …«

Er fuhr fort, aber ich hörte ihm nur halb zu, während ich den Bus voller Männer beobachtete, die ihm gespannt zuhörten.

Die Tampa Bay Ospreys.

Ich hatte diese Jungs schon so oft herumalbern sehen und sie so oft grölen hören, dass ich wusste, dass sie wie eine Familie waren. Aber in diesem Moment waren sie alle auf Vince konzentriert, und ihr Respekt leuchtete auf ihren Gesichtern.

Nach nur einem Jahr im Team war er für sie bereits eine Führungspersönlichkeit, und das ließ meine Brust wieder vor Stolz anschwellen.

Als ich jeden einzelnen ansah, blieb mein Blick an einem Paar dämmerungsblauer Augen ganz hinten hängen.

Jaxson Brittain.

Er war Verteidiger, so viel wusste ich, denn egal, in welcher Mannschaft Vince spielte, ich machte es mir zur Aufgabe, alles über sie zu erfahren. Ich war der größte Cheerleader meines Bruders – abgesehen von unseren Eltern.

Ich erinnerte mich auch deshalb besonders an Jaxson, weil diese strahlend blauen Augen mich im Dezember auf dem Rollfeld verfolgt hatten, als meine Eltern und ich Vince zu Weihnachten überrascht hatten.

Das war, bevor er wusste, dass ich die kleine Schwester seines Mannschaftskameraden war, damals, als noch keine riesige rote Fahne aus meiner Stirn ragte.

Und in diesem Moment hatten mich seine Augen verschlungen, hatten meine Haut versengt und mit dunklen, köstlichen Versprechen gefunkelt.

Ich hatte mich im Glanz seiner Aufmerksamkeit gesonnt – so kurz sie auch gewesen war.

Bei der Erinnerung daran lief mir eine Gänsehaut über den Rücken.

Jaxson blinzelte, und ich riss meinen Blick gerade noch rechtzeitig von ihm los und zu meinem Bruder zurück, um zu sehen, wie er ein Bier in seine neue Trophäe schüttete und es unter dem Beifall seiner Mannschaftskameraden hinunterschüttete.

»Ich hoffe, du bist bereit für eine lange Nacht«, sagte Maven zu mir.

Im nächsten Moment wurde sie auf den Schoß meines Bruders gezerrt. Ich räusperte mich und schaute unbehaglich weg, damit ich keine Albträume davon bekam, wie er sie verschlang. Ich schaute an die Decke, als mein Bruder bemerkte, dass ich noch da war.

»Oh, Scheiße, hier, Gracie«, sagte er und schob die Trophäe beiseite, damit ich mich neben Maven setzen konnte, die immer noch auf seinem Schoß saß.

Ich schnaubte und strich mir die Haare über eine Schulter. »Bitte. Ich verzichte darauf, das dritte Rad zu sein.« Ich drehte mich zu dem Bus voller Ospreys um. »Wer hat noch einen freien Platz?«

Zwei Sekunden lang war es still.

Und dann brach der Bus in lautem Geschwätz aus, und alle Männer schrien, während sie ihre Teamkollegen von den Sitzen schubsten, um Platz zu machen.

Maven lachte, als ich mit den Brauen wackelte und ein hinterlistiges Grinsen im Gesicht hatte. Ich liebte es, meinen überfürsorglichen Bruder zu ärgern. Und mit seinen Mannschaftskameraden zu flirten, war die einfachste Art, das zu tun.

Vince stand auf und zeigte auf jeden einzelnen von ihnen.

»Denkt nicht mal dran, ihr Wichser.« Er funkelte alle an, bevor er Jaxson ganz hinten ansah, und mit einem Fingerschnippen seinen Befehl gab. »Jax, lass sie neben dir sitzen. Du bist der Einzige, dem ich vertrauen kann.«

Diese blauen Augen glitten wieder zu mir, nur dieses Mal waren sie weit geöffnet.

Ich dachte, ich hätte ihn schlucken sehen, was mich zum Grinsen brachte.

Es gab nichts Schöneres, als den Freunden meines Bruders Unbehagen zu bereiten. Das habe ichauch die meiste Zeit meines Lebens getan, seit er jedem meiner Freunde gedroht hatte.

Dann zeigte Vince auf mich. »Wenn einer von ihnen dich anfasst –«

»O mein Gott. Entspann dich«, sagte ich, ging zum hinteren Teil des Busses und lächelte jeden Spieler an, an dem ich vorbeikam.

Ich ließ mich auf den Sitz neben Jaxson sinken und strahlte ihn mit einem verschmitzten Lächeln an.

»Hi«, sagte ich.

Und dieses Mal war ich nah genug, um zu sehen, dass er wirklich schluckte. »Hi.«

Gott, diese Stimme.

Er sprach mit einem Bariton, den ich wie ein Erdbeben im Fundament dessen, was ich war, spürte. Dieses eine Wort hatte durch seinen Brustkorb gedröhnt, tief und sanft und subtil selbstbewusst. Wenn Hockey ihn jemals im Stich ließe, würde er Karriere als Werbesprecher machen können.

Ich würde alles kaufen, was er verkauft, wenn er mir hinterher sagt, dass ich ein braves Mädchen sei.

Einer der Spieler klopfte mir auf die Schulter und reichte mir ein Bier, das ich mit einem meiner Lieblings-Partytricks unter dem Gebrüll der hinteren Hälfte des Busses in einem Zug austrank.

Ich hatte es mir auf dem College zur Aufgabe gemacht, zu lernen, wie man ein Bier schneller austrinken konnte als jeder Typ, der mich herausforderte. Um ehrlich zu sein, war das so ziemlich meine einzige Aufgabe im College gewesen. Ich war nie der akademische Typ gewesen. Aber die Partys der Studentenverbindung und die langen Nächte in der Stadt mit meinem gefälschten Ausweis in der Hand hatten sich als nützlich erwiesen.

Es hatte Spaß gemacht, die Leute zu überraschen, die einen nur als zierliches kleines Ding ansahen.

Ich wischte mir den Schaum mit dem Armrücken von den Lippen und wandte mich wieder Jaxson zu. Mein Lächeln wurde noch breiter, als seine Augen langsam über mich wanderten. Allerdings tat er das nicht mehr so ungeniert wie beim ersten Mal auf dem Rollfeld.

Diesmal war es, als geschehe es gegen seinen eigenen Willen, als wollte er mich nicht ansehen, konnte aber nicht anders.

Wie bei einem Autounfall.

Und so fühlte ich mich auch die meiste Zeit, wenn ich ehrlich war.

»Du solltest mich nicht so ansehen«, sagte ich.

Ein Muskel an seinem Kiefer zuckte, und seine Augen blickten zu mir auf.

»Ich habe einen Freund«, ergänzte ich und tippte mir ans Kinn, als ich ein weiteres Bier von jemandem nahm, der es mir anbot. Ich öffnete den Deckel und nippte an diesem Bier, statt es zu exen, lehnte mich im Sitz zurück und schlug die Beine übereinander. »Na ja, eigentlich haben wir noch nicht darüber geredet, aber wir tun Beziehungs-Sachen.«

Die Wahrheit hinter dieser vagen und unbeholfenen Aussage war, dass ich Trent im Mai bei einem gemeinsamen Joint am Lagerfeuer kennengelernt hatte und wir dann in seinen Van eingestiegen waren. Seitdem bin ich ihm wie ein kleines Hündchen hinterhergelaufen, hauptsächlich, weil ich nicht genau wusste, was ich sonst tun sollte.

Aber es schien ihm nichts auszumachen, mich um sich zu haben, und obwohl er mir sagte, dass er nicht auf der Suche nach einer Beziehung sei, wurde er eifersüchtig, wenn er sah, dass andere Männer sich mit mir unterhalten wollten. Er zeigte mir auch öffentlich seine Zuneigung, kaufte mir Geschenke, schrieb mir jeden Tag eine Nachricht und machte für uns beide Pläne.

Das kam mir stark wie eine Beziehungvor, aber was wusste ich schon.

»Glaub mir, dass du einen Freund hast, ist meine geringste Sorge, wenn es darum geht, dich anzuschauen«, sagte Jaxson.

Ich lächelte über seine Ehrlichkeit. »Ah, du hast Angst vor meinem Bruder, was?«

»Ich respektiere ihn.«

»Ist doch dasselbe.«

Er gluckste und lehnte sich gegen das Fenster, während er einen Schluck von seinem eigenen Bier trank. »Das ist eines deiner Lieblingsspiele, oder?«, fragte er. »Die Freunde deines Bruders um ihr Leben fürchten zu lassen.«

»Sicherlich eine meiner fünf Lieblingsbeschäftigungen«, bestätigte ich. »Aber keine Sorge, ich denke, er ist heute Abend zu beschäftigt, als dass er dich genau beobachten wird.«

Ich nickte in Richtung Vince und Maven, die im vorderen Teil des Busses knutschten, während sie auf seinem Schoß saß. Er versuchte erfolglos zu verbergen, dass er eine Hand unter ihrem Kleid hatte.

Jaxson lachte ein wenig, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder auf mich richtete.

Scheiße, war der heiß.

Aber nicht die Art von heiß, die ich gewohnt war. Ich hatte mein ganzes Leben mit Eishockeyspielern zu tun gehabt. Ich wusste, wie heiß sie waren, wusste von dem Stolz, mit dem sie herumliefen, von den langen, unordentlichen Haaren, dem schiefen Grinsen und den Narben an den richtigen Stellen, die sie geradeso böse aussehen ließen, dass sie einen in Schwierigkeiten brachten.

Doch Jaxson Brittain war auf seine eigene Weise heiß.

Sein dunkelbraunes Haar war nicht lang und widerspenstig, sondern mittellang und so gebändigt, dass es aussah, als hätte er sich Mühe gegeben, aber auch gerade so unordentlich, dass man seine Finger in die Strähnen graben und daran ziehen wollte.

Jeder Winkel seines Gesichts war markant – die Neigung seiner Nase, der Schnitt seiner Kieferpartie, der Winkel seiner Wangenknochen. Er hatte ein Gesicht, das fast zu hübsch für Hockey war, mit seinem Drei-Tage-Bart und dem breiten Kiefer.

Ich wollte diesen Bart berühren, ihn unter meinen Fingerspitzen und an meinem Hals spüren.

Wenn man dann noch bedenkt, dass er einen Mund hatte, der Dinge mit einem anstellte – ob er einen nun damit berührte oder nicht –, dann war es zum Verrücktwerden. Seine Unterlippe war prall und einladend, und das Grinsen verriet, dass er wusste, wie man diesen Mund benutzte.

Er war so gebaut, wie es nur ein Verteidiger sein konnte, bepackt mit Muskeln, die seine Arme, seinen Rücken, seinen Bauch und seine Beine definierten. Um das zu wissen, musste ich ihn nicht einmal unbekleidet sehen. Man konnte die Wölbungen, Linien und Kanten durch sein Hemd sehen, konnte erkennen, wie seine dicken Oberschenkel die Nähte seiner Hose dehnten.

Ich wette, er hat einen Arsch aus Stein. Es wird eine meiner wichtigsten Aufgaben sein, das herauszufinden, wenn wir aufstehen und aus dem Bus steigen. Als wäre die Tatsache, dass er einen Körper hatte, der durch jahrelanges Spielen einer der brutalsten Sportarten gezeichnet war, nicht schon heiß genug, war auch noch die Hälfte seines Körpers mit Tattoos bedeckt.

Lange, geschwungene Linien aus blauer und schwarzer Tinte zogen sich über seinen rechten Arm und bedeckten ihn vom Handgelenk bis zur Schulter. Ich konnte diese Tätowierungen gerade nicht sehen, nicht in dem Anzug, den er trug, aber ich hatte sie an dem Tag bewundert, als ich ihn zum ersten Mal auf dem Rollfeld gesehen hatte.

Ich fragte mich, ob er nur seinen Arm hatte tätowieren lassen, oder ob es unter den teuren Klamotten, die er trug, noch mehr zu entdecken gab.

Und das Sahnehäubchen auf dem Kuchen namens Jaxson Brittain?

Seine Augen.

Diamantblau, irgendwie eiskalt und glühend heiß zur gleichen Zeit. Seine dunklen Brauen über ihnen waren fast immer zusammengezogen, selbst wenn er lächelte, aber diese blauen Augen leuchteten trotzdem. Es waren die Art von Augen, die einen direkt durchschauten, die einen dazu brachten, sich zurückzuziehen und wegzuschauen, aus Angst, dass jedes schmutzige kleine Geheimnis, das man je verborgen hatte, aufgedeckt werden würde.

Diese Augen waren in diesem Moment auf mich gerichtet, etwas verengt, als versuche er, die Antwort auf eine Frage herauszufinden, die ich ihm nicht gestellt hatte.

»Du wirst mich heute Abend in Schwierigkeiten bringen, oder?«, fragte er, als der Bus uns in Richtung 6th Street fuhr.

Ich lächelte, mein Haar fiel mir ein wenig ins Gesicht, als ich einen Schluck von meinem Bier trank. Ich sah ihn mit einem Lächeln an, bei dem mein Nicht-Freund Trent vor Eifersucht mit den Zähnen geknirscht hätte. Mein hoher Absatz streifte die Außennaht seiner Hose, als ich die Beine übereinanderschlug und mich etwas näher zu ihm beugte. Seine Augen folgten dieser Bewegung, seine Braue hob sich langsam bis an den Haaransatz.

»Ich habe das Gefühl, dass du ganz allein in Schwierigkeiten geraten kannst.«

Es war eine Herausforderung, die ich mit falscher Zuversicht aussprechen konnte, weil ich wusste, dass keiner der Mannschaftskameraden meines Bruders sie jemals annehmen würde.

Doch als sich Jaxson die Unterlippe leckte und seine blauen Augen mit Schalk funkelten …

Ich betete, dass er der Erste sein würde.

Sie hatte nicht Unrecht.

Ich war durchaus allein in der Lage, in Schwierigkeiten zu geraten. Und mit meiner Sitznachbarin musste ich nicht lange suchen.

Als ich Grace Tanev zum ersten Mal auf der Rollbahn des Flughafens von Tampa gesehen hatte, hatte ich nicht gewusst, dassdies ihr Nachname war. Ich hatte nicht gewusst, dass diese durchtrainierten, gebräunten Beine unter dem Sommerkleid, das sie trug, tabu waren, oder dass das neugierige Lächeln, das sie mir zugeworfen hatte, ein Lachen auf meine Kosten gewesen war.

Sie hatte gewusst, dass ich sie beobachtet hatte, dass ich sie wollte.

Und sie hatte einen Riesenspaß daran gehabt, mir dabei zuzusehen, wie ich das Puzzle zusammensetzte, als mir klar wurde, dass sie die kleine Schwester von Vince war.

Das war nun schon Monate her, und ich hatte den Gedanken an sie schnell wieder verworfen, als wir uns in einer erfolgreichen Saison befanden.

Aber als sie heute Abend in diesen Bus stieg, spürte ich denselben Funken in meiner Brust, der mich dazu brachte, sie an der Taille zu packen, auf meinen Schoß zu setzen und jeden meiner verdammten Teamkollegen anzuschreien, der es wagte, ihr zu nahe zu kommen.

Dieses Feuer war jedoch gelöscht worden, als Vince gesagt hatte, sie solle sich zu mir setzen – mit dem Hinweis, dass ich der Einzige sei, dem er vertrauen könne.

Fuck.

Jetzt streifte ihr Bein das meine, nackt und glatt unter dem kleinen schwarzen Kleid, das sie heute Abend trug. Außerdem hatte sie ein zierliches Paar kristallbesetzter Pumps um ihre Knöchel geschnallt – von denen sie einen nicht ganz so subtil an meinem Bein entlang zog, als sie die Position wechselte.

Sie wusste genau, was sie tat.

Und wenn ich mich nicht zurückhielt, würde mein Teamkollege mich fertigmachen.

»Warum bist du so angespannt?«

Ihre Frage lenkte meine Augen wieder auf ihre.

Ich hatte nicht bemerkt, dass ich ihren Körper schon wieder betrachtet hatte, aber es war eine Angewohnheit, die ich nur schwer ablegen konnte, wenn ich eine verdammte Bombe vor mir hatte.

Sie war die Art von Schönheit, die einem den Atem raubte, ein doppelter Schlag in die Magengrube, jedes Mal, wenn sie ihr strahlendes Lächeln auf einen richtete. Langes blondes Haar, volle rosafarbene Lippen, feurige, smaragdgrüne Augen – alles verpackt in einem süßen kleinen Paket, das mich dazu brachte, sie auf das nächste Bett werfen zu wollen, denn das könnte ich mit Leichtigkeit tun.

»Das ist eine plumpe Unterstellung«, sagte ich, um etwas Fassung wiederzuerlangen.

»Das ist eine Tatsache. Sieh dich an«, sagte sie und strich mit ihrer Hand über mich. »Deine Schultern sind bis zu den Ohren hochgezogen, und an deinem Hals tritt eine Ader hervor.«

Ich musste mir ein Lachen verkneifen, ebenso den Drang, ihr zu sagen, dass meine Anspannung hauptsächlich daher rührte, dass ich im Moment meine Hände bei mir behielt.

»Du kannst die Körpersprache eines Menschen lesen.«

»Das kann ich«, sagte sie mit einem süffisanten Lächeln und betrachtete ihre Nägel, bevor sie einen weiteren Schluck ihres Bieres trank. Ich bemerkte, dass ihre Nägel kurz geschnitten und unlackiert waren, was mich noch mehr amüsierte. »Die Hände auch.«

»Du liest aus Händen?«

»Und lege Tarotkarten.«

Meine Braue wanderte nach oben. »Sehr hexenhaft.«

»Vorsicht, sonst könnte ich dich in meinen Bann ziehen.«

Sie wackelte mit den Fingern und versuchte, mich mit großen Augen aus der Fassung zu bringen. Doch ich hielt meinen Blick auf sie gerichtet und nahm einen trägen Schluck von meinem Bier.

Als ich nicht reagierte, ließ sie ihre Hand mit einem lauten Geräusch auf ihren Oberschenkel fallen und presste ihre Lippen zusammen. »Siehst du? Du bist stocksteif.«

Meine Mundwinkel zogen sich nach oben.

Wenn sie nur wüsste, wie stocksteif sie mich machen konnte.

Der Partybus kam am Rande der 6th Street zum Stehen, und meine Mannschaftskameraden strömten nacheinander in die lärmende Nacht von Austin hinaus. Ich kippte mein letztes Bier hinunter, bereit, mich ihnen anzuschließen, und sobald meine Hand frei war – ergriff Grace sie.

Sie war so klein in meiner, so glatt, wo meine rau war, warm, wo meine kalt war. Und ich spürte es mit dieser ersten Berührung – einen elektrischen Schlag, als hätte Zeus selbst einen Blitz herabgeschickt. Es war ein Warnzeichen und eine Einladung an die Mutigen zugleich.

Ich schluckte den Köder wie ein verdammter Mondfisch.

»Komm schon«, sagte sie und zog mich den Gang hinunter.

Sie ließ nur lange genug los, um sich an die Stripperstange in der Mitte des Busses zu werfen. Sie sah eher wie ein Affe aus, der sich von einem Baum schwingt, als wäre das auch nur annähernd, bevor sie mich wieder packte und hinter sich her zog.

»Lass uns tanzen.«

»Ich tanze nicht.«

Sie biss die Zähne zusammen und blickte mich über ihre Schulter an. »Du darfst dich heute Abend nicht wie ein alter Mann aufführen. Nicht unter meiner Aufsicht. Also, lass dein Ego vor der Tür, Brittzy.«

Sie lächelte verheißungsvoll, als ich lachte, weil sie den Spitznamen benutzte, mit dem mich nur meine Mannschaftskameraden ansprachen. Dann stoppte sie ihre Vorwärtsbewegung und drehte sich um, erhob sich auf die Zehenspitzen und blickte mit einem Lächeln zu mir auf.

»Heute Abend? Tanzt du.«

Ich fuhr mit meiner Zunge an meiner Wange entlang und schüttelte den Kopf, bevor sie in die erste Bar hüpfte und ich keine andere Wahl hatte, als mich von ihr mitziehen zu lassen. Ich hatte halb damit gerechnet, dass Vince mich mit einer harten Faust auf der Brust aufhalten würde, als sie mich an ihm vorbeizog, aber er war vollkommen ahnungslos – er hatte sich bereits mit Maven am Rande der langen Bar niedergelassen.

Grace schlängelte sich durch die immer dichter werdende Menge und drängte uns immer weiter vor, bis wir zwischen den Tanzenden und den vor dem DJ-Pult gedrängten Gästen fast erdrückt wurden.

Als sie eine Stelle gefunden hatte, die ihr gefiel, drehte sie sich so schnell, dass ich praktisch in sie hineinlief. Ihre Arme legten sich um meinen Hals, so gut es ging, denn ich war größer als sie. Ich hatte keine andere Wahl, als mit meinen Händen ihre Hüften zu umfassen – mehr, um zu verhindern, dass wir umkippten, als alles andere.

Sie strahlte mich an, in ihren Augen funkelten Schalk und Verwegenheit.

Dann wiegte sie ihre Hüften dort, wo ich sie hielt, in einem langsamen, neckischen Rhythmus hin und her, während sie sich noch näher an mich lehnte.

»Schau nicht so ängstlich«, sagte sie über die Musik hinweg. Dann drehte sie sich um, schmiegte ihren Rücken gegen meine Brust.

Ich nahm meine Hände weg und hielt sie hoch, als würde ich mich ergeben, während sie noch weiter an mich heran kam, bis ihr Hintern langsam am Reißverschluss meiner Hose rieb.

Verdammter Mist.

Sie lehnte ihren Kopf zurück und grinste über meinen Gesichtsausdruck, bevor sie meine Hände ergriff und sie wieder zu ihren Hüften führte.

»Entspann dich«, sagte sie. Das Wort ging in den wummernden Bässen aus den Lautsprechern unter. »Wir tanzen doch nur.«

Meine Nasenflügel blähten sich, als sie ihr Tempo noch weiter verlangsamte und eine Hand in meinen Nacken wanderte, während die andere eine meiner Hände an ihrer Hüfte umschloss. Sie schmiegte sich an mich. Aus diesem Winkel hatte ich einen perfekten Blick auf die beiden bescheidenen Brüste, die sich unter ihrem schwarzen Kleid mit den dünnen Trägern verbargen.

Sie trug keinen BH.

Ich stöhnte, biss mir auf die Lippe und schaute zur Decke. Ich war schon halb damit durch, alle kanadischen Provinzen und Territorien aufzuzählen, als Grace mit einem Finger an meinem Kiefer entlangfuhr.

Es war langsam und methodisch, die Fingerspitze zog mein Kinn mit nach unten, bis ich sie ansah. Die Belustigung in ihren grünen Augen erstarb ein wenig, als meine Augen die ihren trafen, und gab Raum für etwas Heißeres.

Und ich war offenbar ein dummer Mistkerl mit einem Todeswunsch, denn ich murmelte ein Scheiß drauf und drückte ihre Hüften noch fester an mich, bevor wir uns zusammen bewegten.

Ihre Mundwinkel zogen sich siegessicher nach oben, aber sie wandte ihren Blick nicht ab. Sie sah mich an, während meine Hände den Stoff ihres Kleides umklammerten und ihn ein wenig in meine Faust nahm, je mehr wir uns bewegten. Der Beat war schwer und bassgetrieben, die Menge wie ein Herzschlag um uns herum. Und gerade als ich wusste, was ich tun musste, wechselte Grace ihr Tempo und lehnte sich an mich, ohne ihren Körper stark zu bewegen.

Ich beobachtete die wellenartige Bewegung ihrer Brust, ihres Bauches und ihres Beckens, während ich jeden Zentimeter des Tanzes an mir spürte. Am Ende dieser Wellenbewegung rieb sich ihr Arsch auf eine Weise an mir, von dem ich hart wurde.

Ich fühlte mich wie ein verdammter Teenager und nicht wie ein dreißigjähriger Mann.

Als ich aus meiner Benommenheit erwachte, folgte ich ihren Bewegungen, und das reichte aus, um mich laut fluchen zu lassen.

Wir vögelten praktisch auf der Tanzfläche.

Es spielte keine Rolle, dass wir vollständig bekleidet waren. Sie drückte sich genauso fest an mich, wie ich sie an mich drückte, und all meine Zurückhaltung wurde durch ihren Arsch, der sich an meinem Schwanz rieb, zunichtegemacht.

Grace schloss ihre Augen und lehnte ihren Kopf an meine Brust. Dann legte sie ihre Hände um meine und begann, sie über ihren Körper zu ziehen. Es war langsam und subtil, so unauffällig, dass es keiner der Umstehenden bemerkt hätte.

Und in dem Moment, als sie meine Hand ihren Brustkorb hinaufführte, hörte ich auf zu atmen.

Grace hatte den Anstand, kurz zu warten, bevor sie ihre Finger mit meinen verschränkte und wir gemeinsam eine Brust umfassten.

Ich war erledigt.

»Fuck«, stieß ich aus. Ein Schauer ließ ihre Schulter dort erbeben, wo ich den Fluch ausgesprochen hatte. Ich wog sie, umfasste sie selbstbewusster und ertastete den Stoff ihres Kleides mit meinem Daumen, bis ich auf ihren Nippel stieß.

Sie stöhnte, als ich diese kostbare Entdeckung machte.

Dann, durch einen verdammt miesen Zufall, war das Lied plötzlich zu Ende.

Und ein lauter, energiegeladener Country-Song wurde gespielt.

Alle auf der Tanzfläche schienen den plötzlichen Tempowechsel willkommen zu heißen – alle, außer mir und Grace. Sie gingen schnell auseinander und räumten die Tanzfläche – oder besser gesagt, sie stellten sich für einen Line Dance auf, der jetzt offenbar getanzt werden würde.

Ich stieß Grace beinahe von mir weg, doch sie reagierte überhaupt nicht. Sie drehte sich mit den Händen über dem Kopf im Kreis, als hätte ich sie hinauswirbeln wollen. Dann richtete sie zwei Fingerpistolen auf mich und begann, rückwärts zu laufen.

Ich wollte lachen, aber ich war zu sehr damit beschäftigt, meinen verdammten Ständer in meiner Hose zurechtzurücken und zu hoffen, dass die Lichter dunkel genug waren, damit ihn niemand bemerkte. Ich schaute nach meinen Teamkollegen und war ein wenig erleichtert, dass Vince immer noch mit Maven beschäftigt war.

Grace schmunzelte wissend, dann stellte sie sich in eine Reihe mit einer Frau neben ihr und begann, ihre Schritte zu kopieren und zu versuchen, den Line Dance mitzumachen.

Das war für mich das Zeichen, die Tanzfläche zu verlassen.

Doch ich schaffte keine vier Schritte, bevor ich zurückgeschleift wurde.

»Oh nein, das tust du nicht«, sagte Grace und zog mich in die Reihe neben sich.

Wir wurden beide durch die plötzliche Drehung und den Tritt beim Tanz fast umgeworfen. Grace lachte, als ich sie mit meinen Händen an ihrer Taille festhielt, bevor wir keine andere Wahl hatten, als uns wieder umzudrehen.

»Bleib dran!«, rief sie über die Musik hinweg.

Und ich versuchte es wirklich, aber während Grace sich auf die Füße aller um sie herum konzentrierte und schließlich den Rhythmus des Line Dance fand, manövrierte ich einfach um alle herum und versuchte, niemandem im Weg zu stehen.

Ich sah auch Grace an.

Sie war hinreißend, lächelte und hatte glänzende Augen, lachte und wirbelte herum und freundete sich mit allen um sie herum an. Am Ende gaben ihr alle ein High-Five. Dann drehte sie sich mit einem verschmitzten Grinsen zu mir um, als ein Two-Step begann.

Das war ein Tanz, bei dem ich einigermaßen mithalten konnte.

Als ich in Alberta aufgewachsen war, war ich in mehr als genug Country-Bars gewesen. Line Dances haben mich nie gereizt, aber jede Ausrede, um einem hübschen Mädchen nahezukommen, schon.

Ich nahm Grace’ Hand in meine und wirbelte sie am Rand der Tanzfläche herum, während in der Mitte ein weiterer Line Dance getanzt wurde.

Wir hörten nur auf zu tanzen, um ein paar Kurze zu trinken oder unsere Biere nachzufüllen, bevor Grace mich wieder auf die Tanzfläche zerrte.

Es war schon fast eine Stunde vergangen, ich glitt völlig erledigt durch die Menge, als Grace einen weiteren Line Dance tanzte. Ich vergewisserte mich, dass das Team noch nicht gegangen war, bevor ich durch die Hintertür der Bar in einen kleinen Innenhof schlich. Er war fast leer, nur ein paar Jungs saßen an einem Tisch in der Ecke und ein Pärchen knutschte auf einer Bank unter den Edison-Stil-Lampen. Ich atmete aus, lehnte mich an die Backsteinmauer und trank die Hälfte meines frischen Bieres, um mich abzukühlen. Ich war völlig verschwitzt, mein Hemd klebte an meiner Brust und meinen Armen, als hätte ich gerade eine ganze Stunde ohne Pause trainiert.

Ich bemerkte, dass die Jungs mich neugierig beäugten und vor sich hin murmelten. Ich kannte diesen Ausdruck auf ihren Gesichtern. Es war der Blick, den ich von Fremden bekam, wenn sie sich fragten, ob sie mich kannten, und dachten, der kommt mir bekannt vor.

Nur die wahren Eishockeyfans wussten es.

Ich stand nicht so im Rampenlicht wie Vince, hatte nicht eine Million Groupies im Internet – vor allem, weil ich dort kaum etwas postete.

Aber diese Jungs müssen Fans gewesen sein, denn einer von ihnen hob sein Bier und sagte: »Eine verdammt gute Saison dieses Jahr, Jax.«

Ich hob mein Bier zum Dank in ihre Richtung und war wirklich dankbar, dass er und seine Freunde es dabei beließen. Niemand bat um ein Foto oder ein Autogramm, und ich lehnte mich wieder an die Mauer und versuchte, mich abzukühlen.

»Ich bin ein beschwipster kleiner Wicht!«

Grace wankte ein wenig unsicher auf ihren hohen Absätzen aus der Bar und wäre beinahe über mich gefallen, bevor sie sich aufrichtete und zu mir hochschaute.

»Ein was?«, fragte ich grinsend.

»Ein beschwipster kleiner Wicht«, wiederholte sie – als ob es beim zweiten Mal mehr Sinn ergeben würde. Dann ließ sie die Schultern ein wenig kreisen und lehnte sich neben mir an die Wand, ihr Kopf fiel seufzend gegen die Steinmauer. »Ich liebe Tanzen. Beim Tanzen fühle ich mich immer frei.«

»Komisch. Dabei fühle ich mich leichtsinnig.«

Sie lächelte, ohne die Augen zu öffnen, als wüsste sie das schon, als wäre es von Anfang an ihr Plan gewesen.

»Du musstest lockerer werden.«

»Sag das deinem Bruder, wenn er mich in die letzte Woche zurückprügelt.«

»Er hat nichts gesehen.«

»Woher weißt du das?«

»Du lebst noch, oder?«

Sie schaute mich aus einem Auge an, ein kleines Lächeln auf den Lippen. Dann drehte sie sich so, dass sie mit der Schulter statt mit dem Rücken an der Wand lehnte, und rümpfte die Nase.

»Wärst du lieber ein Fisch oder ein Vogel?«

Ich blinzelte.

Und dann brach ich in Gelächter aus. »Wie bitte?«

»Ein Fisch oder ein Vogel, Brittzy. Das ist nicht schwer.«

Ich öffnete den Mund, um zu antworten, lachte dann aber erneut und schüttelte den Kopf. »Äh, ein Vogel, denke ich.«

»Warum?«

»Ich weiß nicht. Fliegen scheint cool zu sein.«

Ihr Mund verzog sich zur Seite. »Okay. Ich wäre ein Fisch. Stell dir vor, du könntest unter Wasser atmen? Und kennst du das Gefühl, wenn du einfach auf dem Rücken liegst und schwebst?«

Sie breitete die Arme aus und schloss die Augen, ihr Gesicht spiegelte eine friedliche Glückseligkeit wider.

»Alles ist so ruhig. Du musst nirgendwo sein. Du musst niemand sein. Du … existierst einfach.«

Ich glaubte, etwas Trauriges in ihrem Gesicht zu sehen, aber sie ließ ihre Arme mit einem Knall an ihre Seiten fallen, bevor ich es richtig registrieren konnte.

»Okay. Etwas anderes. Stell dir vor, du hast zwei Miniaturbeine, die ständig strampeln«, sagte sie und veranschaulichte das Szenario mit ihrem Zeige- und Mittelfinger. Sie zeigte mit ihnen nach unten, als wäre es ein Peace-Zeichen, das auf dem Kopf steht, und wackelte mit ihnen hin und her wie laufende Beine. »Willst du sie an deinem Kinn oder an deinem Schritt haben?«

Das Lachen, das aus mir heraussprudelte, konnte ich nicht unterdrücken, und Grace lächelte noch breiter, bewegte die wackelnden Finger unter ihrem Kinn, bevor sie sie in der unattraktivsten Geste zwischen ihren Beinen nach unten schob, die ich je bei einer Frau gesehen hatte.

»Komm schon, du musst dich für etwas entscheiden«, drängte sie.

Ich lachte so sehr, dass ich Seitenstechen bekam, als ich zusah, wie sie ihre Finger zwischen den beiden Optionen hin und her bewegte.

»Das ist die seltsamste Frage, die mir je gestellt wurde.«

»Besser als über das Wetter zu reden, nicht wahr?«

Ich wischte mir mit einer Hand über den Mund und schüttelte den Kopf, bevor ich die Arme vor der Brust verschränkte. »Ich weiß nicht. Mein Kinn, schätze ich.«

»Super«, sagte sie. »Du könntest dich einem Zirkus anschließen. Oder vielleicht deine eigene Show in Vegas haben. Oh! Würdest du den Füßen Schuhe anziehen oder sie einfach barfuß lassen?«

»Schuhe, natürlich. Ich bin doch kein Ungeheuer.«

Grace lachte, und der Klang war so verdammt süß, dass ich es wie einen sehnsüchtigen Schmerz in meiner Brust spürte, so wie man ihn bekommt, wenn man sich an jemanden erinnert, der nicht mehr Teil deines Lebens ist.

Vielleicht war es mein Körper, der mich daran erinnerte, dass sie tabu war.

»Ich glaube, du verstehst die Vorteile nicht, sie in deinem Schritt zu haben«, sagte sie, griff dann nach unten, streifte ihre beiden High Heels ab und hielt sie mit einer Hand an den Riemen fest. »Stell dir vor, wie viel Spaß das für deine … Partnerin sein könnte.«

»Willst du mir damit sagen, dass du gerne in die Pussy getreten wirst? Das ist seltsam, aber auch faszinierend.«

Sie richtete ihren Blick auf mich. »Warum glaubst du, dass ich es sein würde?«

Grace hielt diesen ernsten Gesichtsausdruck lange genug aufrecht, um mir mein Grinsen entgleiten zu lassen.

»Verdammt, ich wollte nicht –« Ich fluchte innerlich, als sich meine Brust vor lauter Angst über das, was ich gesagt hatte, zusammenzog. »Ich habe nur –«

»Reingelegt!«

Sie zeigte mit dem Finger auf mich und freute sich zweifellos darüber, dass das ganze Blut aus meinem Gesicht verschwunden war. Ich stand da mit offenem Mund wie ein Guppy, als ihr Kopf mit einem lauten Lachen nach hinten fiel. Sie stieß sich von der Wand ab und vollführte eine kleine Drehung, wobei die Schuhe in ihrer Hand über ihrem Kopf herumwirbelten.

Plötzlich hielt sie inne, ihre Augen weit aufgerissen, als hätte sie gerade eine Idee gehabt.

»Gib mir dein Handy«, sagte sie und streckte ihre Hand aus.

Ich erholte mich immer noch von ihrem kleinen Scherz und gab der Hexerei, die sie vorhin zugegeben hatte, die Schuld daran, dass ich ihrem Befehl ohne zu zögern gehorchte.

Grace gab ihre Nummer ein und speicherte sie in meinem Handy, bevor sie es mir wieder zuwarf.

»So. Jetzt hast du meine Nummer.«

Kaum hatte ich das Ding gefangen, wirbelte Grace schon wieder herum und summte vor sich hin, während ihre nackten Füße auf dem schmutzigen Boden tanzten.

Ich schob das Handy zurück in meine Tasche, gerade rechtzeitig, bevor sie stolperte und gegen mich fiel.

Ich hielt sie an ihren Hüften, als sie lachte. Dann lächelte sie zu mir hoch, mit ihren Schuhen in der einen Hand, während sich die andere fast zu leicht in den Stoff meines Hemdes über meinem Bauch krümmte.

Jeglicher Witz war verschwunden.

Plötzlich war ich mir aller Dinge zu bewusst – der Musik, die aus der Bar drang, der warmen Brise, die von den Eichen herüberwehte, der Art und Weise, wie das Licht mit dem Schatten auf ihrem Gesicht spielte, wie sie sich an mich drückte, jeder Zentimeter von ihr, und wie ihre Augen zwischen meinen hin- und herflogen, während sie sich auf Zehenspitzen stellte.

Als ich schluckte, wanderten ihre Augen zu meinem Hals, ihre Zunge glitt über ihre Unterlippe, bevor sie ihren Blick wieder auf meinen richtete.

»Soll ich dir aus der Hand lesen?«, fragte sie.

Mein Kiefer schmerzte, weil ich ihn so fest zusammenpresste. Meine Beherrschung war kaum noch vorhanden, als ich eine Hand von ihrer Hüfte nahm und sie zwischen uns hielt.

Sie nahm meine Hand in die ihre und fuhr mit den Fingerspitzen über die Linien in meiner Handfläche. Mit einem Lächeln neigte sie den Kopf zur Seite und tippte auf die Länge meiner Fingerknöchel.

»Hier steht, dass du müde bist«, sagte sie. »Als würdest du die Last der Erwartung schon so lange mit dir herumtragen, dass deine Knie drohen nachzugeben.«

Ich wusste, dass sie mich verarschen wollte, aber sie lag so richtig, dass auch der Rest meines Lächelns verblasste.

Grace sah mich nicht an, als sie zur nächsten Linie überging. »Aber das«, sagte sie mit einem weiteren Tippen, »sagt mir, dass du auf einem neuen Weg bist, dass sich deine Prioritäten verschieben werden und du das wahre Glück finden wirst.«

Und noch mehr Blödsinn.

Aber es faszinierte mich trotzdem.

»Oh …«, sinnierte sie und sah blinzelnd auf eine kleine, schwache Linie genau in der Mitte meiner Handfläche. Sie hielt meine Hand hoch, als wolle sie sie unter dem Edison-Stil-Lampen genauer untersuchen. »Das ist interessant.«

»Was?«

»Siehst du diese Linie hier?«, fragte sie und fuhr mit der Fingerspitze daran entlang. »Diese wirklich schwache Linie, die sich irgendwie aufteilt?«

Ich nickte.

Grace blickte zu mir auf, das Grün in ihren Augen war wie ein tiefer Wald im schwachen Licht des Innenhofs. »Da steht, dass du mich eines Tages küssen wirst.«

Diese Worte hingen zwischen uns, spielerisch und doch schwer wie Treibsand.

Ich schluckte, rümpfte die Nase, als sie meine Hand zurück an ihre Hüfte führte und nah an mich herantrat.

Sei nicht dumm, Jaxson.

Kleine. Schwester. Deines. Teamkameraden.

Die Warnung hätte genauso gut ein kleines Spinnennetz sein können, so leicht habe ich sie weggewischt.

»Ich dachte, du hast einen festen Freund«, stieß ich hervor, mein Herz hämmerte in meiner Brust. Ich sollte sie loslassen, weggehen, aber meine Hände hatten ihren eigenen Willen und hielten sie nur noch fester an mich gedrückt.

»Kann ich keine Freunde haben, wenn ich einen festen Freund habe?«, fragte sie atemlos – was ihren Versuch, unschuldig zu klingen, zunichtemachte.

»Dann küsst du alle deine Freunde?«

»Ich habe dich noch nicht geküsst«, betonte sie, erhob sich noch weiter auf die Zehenspitzen, als wollte sie mich herausfordern, das zu ändern.

Und ich muss der dümmste Idiot der Welt gewesen sein, denn ich gab nach – nur für den Bruchteil einer Sekunde, lange genug, um mit meinen Händen grob über ihre Hüften zu streichen und ihren Hintern zu umfassen.

Es war eine gierige, egoistische Bewegung – ein Drang, gegen den ich nicht länger ankämpfen konnte. Selbst wenn es nur für den Bruchteil einer wahnsinnigen Sekunde war, ich musste sie spüren. Ich musste es.

Sie keuchte, sog den Atem ein und hielt ihn an, als ich stöhnte und ihren Hintern knetete. Für so ein kleines Ding hatte sie einen verdammt guten Arsch. Ich fragte mich, wie es wohl wäre, ihr den Hintern zu versohlen, sie nach vorn zu beugen, diese Backen zu spreizen und sich an ihrer süßen Pussy zu laben, wie es kein Junge in ihrem Alter tun konnte.

Ihre Augen waren schwer vor Verlangen, als sie mich ansah, als könnte sie jeden schmutzigen Gedanken sehen, der mir durch den Kopf ging.

Als würde sie selbst ihre eigenen schmutzigen Gedanken auf einem Highlight-Reel abspielen.

Scheiß drauf.

Ich packte sie im Nacken und hielt sie dort, während ich meinen Mund senkte, bereit, wahr werden zu lassen, was sie in meiner Hand gelesen hatte. Grace’ Augen weiteten sich vor Überraschung und wurden dann trunken vor Begierde, vor Verlangen. Sie umklammerte mein Hemd und kam mir auf halbem Weg entgegen.

Doch bevor sich unsere Lippen treffen konnten, kam ein Haufen Ospreys aus der Bar, sie stolperten übereinander und brachten einen chaotischen Lärm mit sich.

Grace riss sich blitzschnell von mir los und drehte sich in einem kleinen Kreis, bis sie neben Carter stand, als wäre sie gerade mit den beiden aus der Bar gekommen.

Ich war immer noch geschockt und lehnte an der Wand, als Vince mich fast umriss.

»Da bist du ja, Brittzy«, sagte er und wuschelte durch mein Haar. Dann runzelte er die Stirn. »Wo ist meine Schwester?«

Bevor ich antworten konnte, sprang sie ihm mit einem Kampfschrei auf den Rücken. Er lachte und wirbelte sie herum, bevor er in Richtung Bus davonlief. Der Rest des Teams folgte ihnen, während ich für das, was ich fast getan hätte, innerlich haderte und versuchte, meine verdammte Fassung wiederzuerlangen.

Ich schüttelte den Kopf darüber, was für ein Idiot ich war, als ich mich schließlich von der Mauer abstieß und den letzten meiner Teamkollegen folgte, die den Innenhof verließen. Maven hielt sich ein wenig zurück und beäugte mich neugierig, als ich sie einholte.

»Alles in Ordnung, Brittzy? Du siehst aus, als hätte jemand anderes gerade deine Geburtstagskerzen ausgeblasen.«

Ich zwang mich zu einem Lächeln. »Mir geht’s gut. Bin nur betrunken.«

Sie zog eine Braue hoch, als würde sie mir nicht glauben. Dann drehten wir uns beide um, als wir einen lauten, schrillen Schrei hörten, gefolgt von schallendem Gelächter.

Vince sprintete mit Grace auf dem Rücken um den Bus herum. Das Team feuerte ihn an, während ich versuchte, wieder einen klaren Kopf zu bekommen.

Als sie an mir vorbeigingen, warf Grace lachend den Kopf zurück.

Dann fanden ihre Augen meine.

Die Zeit stand erneut still, alles lief wie in Zeitlupe, ihr Haar wehte hinter ihr her und ein langsames, verruchtes Lächeln breitete sich auf ihren Lippen aus.

Eine Nacht.

Eine laue, unruhige Nacht voller Chaos.