Weihnachten mit dir - Debbie Johnson - E-Book
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Weihnachten mit dir E-Book

Debbie Johnson

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Beschreibung

So herzerwärmend wie eine Tasse heiße Schokolade

Becca Fletcher hat Weihnachten schon immer gehasst und sie hat gute Gründe dafür. Trotzdem hat sie es nicht geschafft, ihrer persönlichen Weihnachts-Hölle zu entkommen und ist auf dem Weg zum Comfort Food Café, um dort die Feiertage mit ihrer Schwester Laura und deren Familie zu verbringen. Beccas ahnt nicht, dass Weihnachtswunder tatsächlich geschehen – wenn sie es nur zulassen kann …

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Seitenzahl: 333

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Das Buch

»Es gibt vieles, worauf ich mich bei dieser Reise freue. Auf meine Schwester zum Beispiel, von deren offensichtlichen Fortschritten ich mich dann selbst überzeugen und meine Befürchtungen ausräumen kann, dass sie sie nur mir zuliebe vortäuscht. Auf meine erstaunliche Nichte und meinen erstaunlichen Neffen, die mein Leben immer wieder bereichern und lebenswert machen. Auf ihr neues Zuhause. Auf den berühmten Matt und Lauras sagenhafte Chefin, Cherie Moon, der das Comfort Food Café gehört. Und darauf, all ihren neuen Freunden vorgestellt zu werden. Ja, ich freue mich auf vieles. Doch ich wünschte, der Zeitpunkt wäre ein anderer. Denn Weihnachten zählte noch nie zu meiner besten Jahreszeit.«

Die Autorin

Debbie Johnson ist eine Bestsellerautorin, die in Liverpool lebt und arbeitet. Dort verbringt sie ihre Zeit zu gleichen Teilen mit dem Schreiben, dem Umsorgen einer ganzen Bande von Kindern und Tieren und dem Aufschieben jeglicher Hausarbeit. Sie schreibt Liebesromane, Fantasy und Krimis – was genau so verwirrend ist, wie es klingt.

DEBBIE JOHNSON

ROMAN

Aus dem Englischen

von Irene Eisenhut

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Die Originalausgabe erschien 2016 unter dem Titel Christmas at the Comfort Food Café bei HarperCollins Publishers Ltd.
Copyright © 2016 by Harper Copyright © 2017 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Redaktion: Hanne Hammer Umschlaggestaltung: Eisele Grafik Design, München unter Verwendung von Stockfood (Sylvia E.K. Photography), Bigstock (studioworkstock, flaffy, Valenty, barbaradudzinska, Svaga) Satz: Leingärtner, Nabburg
ISBN 978-3-641-21906-2V002www.heyne.de

ANMERKUNG DER AUTORIN

Diejenigen, die bereits Frühstück mit Meerblick gelesen haben (und denen es hoffentlich gefallen hat!), werden die Figuren dieses neuen Buchs größtenteils kennen. Vielleicht sind sie sogar schon alte Freunde. Die, die das nicht haben, müssen sich keine Sorgen machen – sie werden trotzdem alles verstehen. Zumindest ist das der Plan! Die im Sommer in unserem wunderschönen Strandcafé in Dorset spielende Geschichte rankte sich um Laura und ihre beiden Kinder, Nate und Lizzie, und wurde aus Lauras Perspektive erzählt. Die Geschichte dieses Buchs wird aus der Sicht von Becca wiedergegeben. Im ersten Teil tauchte sie lediglich am Telefon auf, doch sie war schon immer eine meiner Lieblingsfiguren – ich hoffe, Sie werden sich freuen, sie persönlich kennenzulernen und das Comfort Food Café mit ihren Augen zu sehen. Mit ganz anderen Augen. Becca ist nicht immer so leicht ins Herz zu schließen wie Laura – aber stets amüsant.

ERSTER TEIL

Weihnachten gestern – Familie Fletcher, Manchester

1. KAPITEL

25. Dezember 1987

Fizzy, das Twinkle-Eyed My Litte Pony, ist ein ungewöhnliches und wunderschönes Wesen. Es hat einen türkisfarbenen Körper, rosa Glitzeraugen und eine seidig weiche Mähne. Vom Weihnachtsmann geliefert und gerade eben der Geschenkschachtel entnommen, sollte es eigentlich über Lauras Bettdecke galoppieren, die mit dem passenden My-Litte-Pony-Bettbezug bezogen ist.

Und eigentlich sollte es mit seinen Freunden Applejack, Lily und dem Rainbow Pony Starflower wiehern, singen und kichern.

Bedauerlicherweise ist dem nicht so. Was zum einen daran liegt, dass Applejack, Lily und Starflower in der Toilette schwimmen – mit feuchtem Toilettenpapier in den Mähnen –, und zum anderen, dass Fizzy – und ihre Glitzeraugen – gerade als Massenvernichtungswaffe eingesetzt werden.

Lauras kleine Schwester, Becca, ist vier. Laura, die sechs ist und sehr viel reifer, versucht stets geduldig mit ihr zu sein, so wie ihre Mutter es ihr gesagt hat. Denn wenn sie geduldig ist, bekommt sie einen Extrasticker auf ihr Sternenblatt. Und wenn das Blatt voll ist, gibt es ein neues Glücksbärchi. Vielleicht das Glücksbärchi mit den Regenbogenherzen; Laura hat sich noch nicht endgültig entschieden.

Becca hat ebenfalls ein Sternenblatt, doch ihres ist leer. Eigentlich müsste ihr Blatt im »Minus« sein, meint Mum, was immer das bedeutet.

Manchmal findet Laura ihre kleine Schwester einfach nur … gemein. Und laut. Und nicht sehr nett. Und manchmal macht sie es ihr völlig unmöglich, geduldig zu sein. Wie jetzt.

Becca hält Fizzy in ihrer Patschehand und versucht, Laura damit ins Gesicht zu schlagen. Fizzy mag zwar ein ungewöhnliches und wunderschönes Wesen sein und eine seidig weiche Mähne haben, doch ansonsten ist nichts an ihm zart. Es ist ein Pony aus Plastik, und es tut ordentlich weh, wenn seine Hufe einem ins Auge gestochen werden.

Laura war nach oben in ihr Zimmer gegangen, um zu spielen. Derweil bereitete Mum das Weihnachtsessen zu, und Dad trank ein Bier, aus rein »medizinischen Gründen«. Becca hatte den ganzen Tag über geweint und geschmollt, was Dad auf ihre Übermüdung geschoben hatte. Er hatte es in einem Tonfall gesagt, als täte sie ihm leid. Immer wieder hatte er sie auf den Arm genommen und auf den Schultern herumgetragen, selbst wenn sie tränenüberströmt war und eine Rotznase hatte.

Laura hatte insgeheim kein Mitleid mit ihr. Es war ihre eigene Schuld, dass sie müde war. Sie war bis weit nach Mitternacht aufgeblieben – die Kirchenglocken waren bereits lange verhallt –, um Rudolf und den Weihnachtsmann zu sehen. Obgleich sie gewarnt worden war, dass sie nie wieder durch den Schornstein kämen, wenn sie die beiden zu Gesicht bekäme.

Das lange Aufbleiben hatte dazu geführt, dass Becca am nächsten Morgen grantig und ungehalten war, als sie und Laura es schließlich geschafft hatten, Mum und Dad zu wecken. Sie waren so lange im Bett herumgehüpft, bis sie schließlich nachgegeben hatten und mit ihnen nach unten gegangen waren, um nachzusehen, ob der Weihnachtsmann da gewesen war.

Das war er tatsächlich gewesen, und er hatte jede Menge Geschenke unter dem Baum dagelassen – Becca dürfte ihn letztendlich also doch nicht zu Gesicht bekommen haben.

Nachdem alles ausgepackt war, türmten sich die Spielzeuge vor Becca – eine Spielküche von Fisher Price, ein Koosh Ball und ein Friseursalon von Play-Doh –, aber natürlich wollte sie nicht mit ihren eigenen Spielzeugen spielen, sondern mit denen von Laura. Als Laura ihr das jedoch verweigerte, schrie sie, schnappte sich mehrere der Ponys, die auf dem Bett lagen, stürmte ins Bad und warf sie in die Toilette.

Sie versuchte, sie herunterzuspülen, doch sie wollten nicht im Abfluss verschwinden. Also stieß sie mit der Bürste nach ihnen, die Mum benutzte, um die Toilette sauber zu machen.

Als Laura ihr hinterherjagt, um sie davon abzuhalten, reißt Becca ihr Fizzy aus der Hand und beginnt, ihr mit dem Pony auf den Kopf zu schlagen. Und das tut wirklich weh.

Laura hatte sich bemüht, geduldig zu sein. Sie hatte sich bemüht, nett zu sein. Und sie hatte sich bemüht, mit ihr zu reden. Doch Becca will einfach nicht aufhören herumzuschreien und sie mit dem Pony zu schlagen. Schließlich reißt Laura der Geduldsfaden.

Sie greift nach der Brause, die mit einem langen, biegsamen, silbernen Schlauch an der Armatur der Wanne befestigt ist, und dreht das kalte Wasser auf. Nicht das heiße. Auch wenn sie wütend ist, will sie ihre Schwester nicht mit brühend heißem Wasser bespritzen. Sie richtet den Duschkopf auf Becca, und der Strahl trifft mit voller Wucht ihr verzerrtes, zorniges Gesicht.

Beccas langes braunes Haar klebt sofort an ihren Wangen, und das Strawberry-Shortcake-Nachthemd, das sie trägt und das einmal Laura gehört hat, nimmt einen dunkleren Ton an, als das Wasser daran herunterläuft.

Den Mund vor Schock weit aufgerissen, kneift sie die Augen vor dem Wasserstrahl zu. Sie lässt Fizzy augenblicklich fallen und beginnt zu schreien. Und schreit. Und schreit.

Laura hört, wie die Küchentür sich öffnet. Aus dem Radio, das Mum immer einschaltet, wenn sie kocht, dringt Musik nach oben. Sie spielen »China in Your Hand«.

Ihre Mum hält kurz inne. Laura weiß, dass sie am Fuß der Treppe steht und horcht. Dann sind stapfende Schritte auf den Stufen zu hören. Kurz darauf wird die Tür zum Badezimmer aufgerissen. Laura hat mittlerweile den Duschkopf in die Wanne fallen lassen, auf deren Boden er sich wie eine Schlange windet, sodass das Wasser bis zur Decke spritzt.

Sie sieht ihre Mum an. Das schlechte Gewissen steht Laura ins Gesicht geschrieben, und sie spürt, wie ihr die Tränen in die Augen steigen.

Ihre Mutter hat Lametta um den Kopf wie eine Krone und trägt eine Schürze, die wie der runde Bauch des Weihnachtsmanns geformt ist. Sie hält einen großen Holzlöffel in der Hand und schwingt ihn so bedrohlich wie ein Schwert.

Ihre Wangen sind vom Kochen gerötet, und ihre Finger überzieht eine dünne Schicht Mehl.

»Herrje noch mal, könnt ihr zwei nicht einmal fünf Minuten nett miteinander spielen?«, sagt sie und klingt genauso verärgert, wie sie aussieht. »Unten im Wohnzimmer liegen all diese schönen Spielzeuge, und was macht ihr? Ihr zankt und streitet euch hier oben? Das ist nicht sehr weihnachtlich, oder?«

»Tut mir leid, Mummy«, entschuldigt sich Laura, den Blick starr auf die Füße gerichtet und bemüht, ihre Tränen zurückzuhalten.

»Aaaaaahh!«, kreischt die patschnasse, fast hysterische Becca.

»Ich HASSE Weihnachten!«, brüllt sie, schiebt sich an ihrer Mum und an Laura vorbei und stampft hinaus in den Flur.

25. Dezember 1991

Laura kommt zu dem Schluss, dass ihre Mum ein wenig betrunken ist. Beziehungsweise »angeheitert«, wie ihr Vater es bezeichnet, während sie zu »I’m Too Sexy« von Right Said Fred durchs Wohnzimmer tanzen. Sie singen lauthals mit und ahmen den Text gestisch nach. Das heißt, sie stolzieren herum wie Models auf dem Laufsteg und tun so, als würden sie Auto fahren. Vielleicht ist Dad auch ein bisschen »angeheitert«, denkt Laura, als sie ihn anschaut und er gerade die Zeile »I’m too sexy for my shirt« singt.

Mit zehn weiß Laura zwar noch nicht so genau, was »sexy« bedeutet – doch sie hofft, dass ihr Dad es nicht ist. Sie hofft auch, dass die beiden nicht so angeheitert sind, dass sie mit dem Weihnachtsbaum zusammenstoßen. Denn das Wohnzimmer ist nicht gerade riesig, und sie scheinen ihre Beine nicht ganz unter Kontrolle zu haben.

Becca sitzt in der Ecke der Couch und schmollt. Wie immer. Sie verdreht die Augen so sehr, dass es aussieht, als hätte sie eine Art Krampf. In der Hand hält sie ein imaginäres Glas, womit sie eine trinkende Handbewegung macht und auf Mum deutet.

Mums angeheiterter Zustand ist auf die Flasche Wein zurückzuführen, die sie am Nachmittag beim Kochen des Weihnachtsessens getrunken und mit dem Besuch »des Schwiegerdrachens« gerechtfertigt hat.

Das ist ihr Spitzname für Lauras und Beccas Großmutter. Auch wenn sie behauptet, ihn »nett« zu meinen, hat sie ihn Nan noch nie ins Gesicht gesagt, weshalb Laura sich nicht so sicher ist, ob das der Wahrheit entspricht. Außerdem war Mum ewig in der Küche verschwunden, weil sie meinte, so viel zu tun zu haben. Doch jedes Mal, wenn Laura in die Küche kam, saß sie nur am Tisch, murmelte vor sich hin und goss sich ein weiteres Glas ein. Sie und David waren zu der Erkenntnis gekommen, dass Erwachsene eigenartig seien.

Sie wünschte, er könnte vorbeikommen, doch seine Eltern sind mit ihm nach Wales gefahren. Wales – ein völlig anderes Land. Sie vermisst ihn und kann nicht einmal mit ihm telefonieren, um ihn zu fragen, was er zu Weihnachten geschenkt bekommen hat.

Er hatte auf einen Gameboy gehofft und deshalb sogar weiter so getan, als würde er noch an den Weihnachtsmann glauben. Er hatte gemeint, damit seine Chancen verbessern zu können. Auch Laura tut noch immer so, als würde sie an den Weihnachtsmann glauben. Nur weil sie denkt, dass sich ihre Eltern darüber freuen.

In diesem Jahr war es jedoch schwieriger, den Schein aufrechtzuerhalten, da Becca endgültig beschlossen hatte, dass es keinen Weihnachtsmann gab. Sie war die ganze Nacht aufgeblieben. Doch außer Mum und Dad, die immer wieder die Treppe hinauf- und hinuntergegangen waren, der jaulenden Nachbarkatze und ein paar Betrunkenen, die sehr spät die Straße entlangtorkelten und die Alarmanlage eines Autos auslösten, hatte sie, wie sie sagte, nichts gehört.

Zudem hatte Christopher Eccles – ein Klassenkamerad mit drei größeren Brüdern – sie schon beim bloßen Erwähnen des Weihnachtsmanns ausgelacht. Was Becca gar nicht mochte. Und erst recht nicht von Christopher Eccles. Also hatte sie ihm eine Ohrfeige verpasst und war anschließend zum Fahrradunterstand gelaufen, um sich zu verstecken.

Und jetzt ist Becca nach der durchwachten Nacht furchtbar müde und furchtbar mies gelaunt. Nan und Granddad sind nach Hause gefahren, und Mum und Dad haben beschlossen, alleine zu feiern. Becca ist richtiggehend sauer, weil sie einen Frisierkopf von Girl’s World und ein Polly-Pocket-Country-Cottage-Playset bekommen hat. Dabei hatte sie sich nichts sehnlicher gewünscht als Teenage Mutant Ninja Turtles – sie hatte sie im Argos-Katalog sogar eingekreist.

Laura hält es für das Sinnvollste, Becca zu ignorieren und weiter Freundschaftsbänder aus dem Set zu basteln, das sie zu Weihnachten bekommen hat. Ein Band für David, eins für Danielle und eins für Sarah, ihre Schulfreundinnen und vielleicht – vielleicht – auch eins für Becca. Denn sie auszuschließen wäre gemein.

Mittlerweile spielt ein neues Lied, »Dizzy«. Mum und Dad wirbeln herum und singen wieder laut lachend mit. Dad tänzelt hinüber zu Laura und greift nach ihren Händen, sodass die Armbänder auf den Boden fallen. »Komm, mach mit!«, sagt er und beginnt sie im Kreis zu drehen. »Es ist Weihnachten! It’s you girl, making me spin now …«, zitiert er singend eine Textzeile.

Mum bewegt sich hinüber zu Becca und versucht, sie von der Couch zu ziehen. Doch Becca hat keine Lust. Stattdessen windet sie sich aus Mums Griff und läuft nach oben in ihr Schlafzimmer.

Auch wenn Laura es nicht hören kann, weil die Musik spielt und getanzt und gelacht wird, weiß sie, dass ihre Schwester die Tür zugeschlagen hat. Selbst mit acht ist Becca schon ziemlich gut im Türenzuschlagen.

Als das Lied vorbei ist und die drei sich auf das Sofa fallen lassen, etwas verschwitzt und äußerst fröhlich, kommt Becca zurück ins Wohnzimmer gestürmt.

»Den hab ich nicht gewollt«, schreit sie und wirft den Frisierkopf im hohen Bogen auf den Teppich. Er rollt über den Boden, als hätte man eine Blondine geköpft, bis er schließlich unter dem Weihnachtsbaum landet, wo er weiter hin- und herschaukelt, die roten Lippen zur Decke gerichtet. Laura bemerkt, dass das glänzende Kunsthaar bis auf wenige, abstehende Haarbüschel brutal abgeschnitten worden ist. Und da, wo einmal die Augen waren, sind jetzt nur noch Löcher.

Becca steht im Türrahmen, die Hände in den Hüften, das Haar wirr und zerzaust, die braunen Augen zornig und tränenunterlaufen. Wahrscheinlich hat sie mit einer heftigeren Reaktion von Mum und Dad gerechnet. Doch die beiden sind einfach etwas zu »angeheitert«, um einen Tobsuchtsanfall zu bekommen. Obwohl sich Becca wie ein verzogenes Balg verhält. Ein Balg, das gern Blondinen umbringt.

»Donnerwetter!«, sagt Dad, und sein Brustkorb hebt und senkt sich sichtbar nach dem vielen Tanzen. »Das wird eine nette Geschichte sein, um sie an deiner Hochzeit zu erzählen.«

»Ich werde nie heiraten!«, entgegnet Becca wütend. »Und den Weihnachtsmann gibt’s auch nicht, denn wenn es ihn gäbe, hätte er mir Ninja Turtles gebracht! Außerdem HASSE ich Weihnachten!«

25. Dezember 2000

Dieses Weihnachten war im Hause Fletcher viel getanzt worden. Die Kinder waren älter, und der Kühlschrank war prall gefüllt mit Schweinefleischpasteten, Schwarzwälder Kirschtorte und mehreren Packungen Bier, die sich neben Mums Baileys drängten.

Es wurde nicht mehr um 5:00 Uhr morgens aufgestanden, um nach den Geschenken zu sehen, und Dad musste sich am Vormittag nicht mehr auf die Suche nach einer weiteren Packung AAA-Batterien begeben, den Schraubenzieher in der Hand.

Die Mädchen hatten ihre eigenen Zimmer, sodass weniger gestritten wurde. Laura hatte sogar ihren eigenen Verlobten, doch das ist eine andere Geschichte. David – besagter Verlobter – war schon den ganzen Tag im Hause Fletcher, zusammen mit seinem Labrador. Jambo, dem Zweiten. Selbst der Hund hatte sich ins Partygetümmel gestürzt und war mit wildem Gebell zu »Who Let the Dogs Out?« herumgesprungen.

David und Laura waren zu Liedern von S Club 7 durchs Wohnzimmer gehopst und hatten einen Schieber zu »Never Had A Dream Come True« getanzt. Mum und Dad hatten einen Pseudo-Line-Dance zu »Man I Feel Like A Woman« aufgeführt, und alle waren zu Robbie Williams »Rock DJ« herumgehüpft.

Alle, außer Becca. Becca hatte es in der letzten Zeit ziemlich schwer gehabt. Sie hatte sich von Shaun getrennt, ihrem Freund, und unter der Situation sehr gelitten. Was niemand in der Familie richtig nachvollziehen konnte. Denn die beiden waren nur wenige Monate zusammen gewesen und schienen sich ständig zu streiten. Selbst Laura hatte nichts aus ihr herausbekommen können und sich nur eine Salve von Schimpfwörtern und eine zugeschlagene Badezimmertür eingehandelt.

Doch seit der Trennung war Becca mürrisch und missmutig und schien vergessen zu haben, wie eine Dusche funktioniert oder wozu ein Shampoo gut ist. Ihre Haut war fleckig und sah entzündet aus. Das Haar klebte an ihrem Kopf, und sie verbrachte so viel Zeit wie möglich in ihrem Bett, um zu schlafen oder so zu tun. Oder um sich, wie Laura vermutete, irgendwelche Mittel einzuwerfen – manche erlaubt, manche nicht –, die sie in den Zustand des Schlafes versetzten.

Ihre Mum hatte sie für das gemeinsame Weihnachtsessen aus dem Bett zerren müssen. Becca hatte in ihrem schmutzigen Eminem-T-Shirt am Tisch gesessen und das Essen auf ihrem Teller hin und her geschoben, ohne wirklich einen Bissen zu sich zu nehmen. Trinken hingegen konnte sie problemlos – sogar ziemlich viel.

Als das Tanzbein dann geschwungen wurde, war sie bereits halbwegs betrunken. Sie hatte genug gehabt. Von allem. Der Anblick von Mum und Dad, Laura und David und selbst von dem süßen Hund war einfach zu viel für sie. Sie kam sich vor wie in einem Film über glückliche Familien in der Weihnachtszeit, nur dass sie nicht hineinpasste. Sie war der böse Gremlin.

Becca verspürte keine Heiterkeit, keine Freude, keine weihnachtliche Stimmung und auch keine Dankbarkeit. Sie fühlte sich nicht einmal mehr richtig lebendig und wünschte sich oft, ihr Leben wäre vorbei. Sie hatte das Gefühl, in einer Blase gefangen zu sein, völlig isoliert, auch wenn sie in einem Raum voller Menschen war, die sie alle liebten, wie sie wusste. Ihre Fröhlichkeit und Albernheit zu erleben und nicht in der Lage zu sein, das Gleiche zu fühlen, machte alles nur noch viel schlimmer.

Am Nachmittag stahl sie sich aus dem Haus. Als sie sah, wie ihr Vater zu Tom Jones’ »Sex Bomb« so richtig loslegte, war der Punkt erreicht, an dem sie es nicht mehr aushielt. Sie sagte Laura, dass sie zu ihrer Freundin Lucy gehen und in ein paar Stunden wieder zurück sein würde.

Doch sie kam nie bei Lucy an. Sie hatte es auch nicht vor. Sie machte einen kurzen Schlenker in die Küche, um das Bier aus dem Kühlschrank zu plündern, und stürmte nach draußen, ohne ihre Jacke. Was verdammt dämlich war, wie sie in dem Moment erkannte, als sie aus der Haustür trat – überall lag Schnee. Laura und David hatten sich unbändig darüber gefreut. Mr. and Mrs. Perfect. Sie hatten gelacht, als Jambo mit seiner Schnauze daran geschnüffelt hatte, Schneemänner gebaut und sich gegenseitig mit Schneebällen beworfen. Eine Szene wie aus einer langweiligen romantischen Komödie.

Sie waren einfach ein widerlich nettes Paar, wodurch Becca sich noch gestörter vorkam. Noch einsamer. Sie fand, dass es sich wegen der Jacke nicht lohnte, noch einmal umzukehren. Nicht, wenn es eine weitere Dosis dieser Art von Medizin bedeutete.

Im Hause Fletcher wurde indes weitergefeiert und noch mehr gesungen. Und noch mehr getanzt. Und noch mehr gegessen. Und noch mehr getrunken.

Laura schickte ihrer Schwester eine SMS von ihrem kleinen Nokia-Handy und erhielt die Antwort, dass es ihr gut ging und sie später zurückkommen würde. Sie war nicht ganz glücklich darüber, dass Becca gegangen war, doch was konnte sie schon machen? Ihre Schwester war siebzehn. Wenn sie sagte, dass es ihr gut ging, musste sie ihr das glauben.

Es war kurz nach 18.00 Uhr, als es klingelte.

Mum – leicht lädiert aussehend von ihren Baileys – öffnet die Tür, ein Glas in der einen, ein Stück Schweinefleischpastete in der anderen Hand. Das hellgrüne Papierkrönchen aus einem der Knallbonbons sitzt schief auf ihrem Kopf, sodass es ein Auge verdeckt.

Das andere Auge jedoch sieht messerscharf. Und das, was es sieht, ist nicht schön.

Am Ende der Einfahrt parkt ein Polizeiwagen auf dem Gehweg, seine Reifenspuren sind auf der Straße deutlich erkennbar. Es schneit noch immer, und die Abendluft ist so kalt, dass Mums Atem eine große, dampfende Wolke bildet, als sie vor Schreck nach Luft schnappt und keucht.

Eine Polizeibeamtin steht auf der Stufe vor dem Eingang und pustet sich in die Hände, um sie zu wärmen. Eine zweite Beamtin stapft den vereisten Weg entlang, einen Arm um Beccas Schulter gelegt. Sie schleift sie eher vorwärts, als dass Becca selbstständig geht.

Mum eilt nach draußen, um ihr zu helfen, und ist froh, dass sie nicht ausrutscht. Dann rudern sehr viele Arme und Beine in der Luft, bis Becca schließlich sicher in der Diele abgesetzt wird, wo sie sich gegen die Wand lehnt und an ihr hinuntergleitet, bis sie auf ihrem Hintern sitzt, die Beine vor sich ausgestreckt.

»Kein Grund zur Sorge, es ist alles in Ordnung mit ihr«, versichert die dunkelhaarige Polizistin und lächelt mit klappernden Zähnen. »Sie hat nur etwas zu viel getrunken und ist leicht unterkühlt. Wir haben sie im Park gefunden. Sie saß oben auf der Rutsche. Wir haben sie in unser Auto gepackt, um sie wieder aufzuwärmen und zu überprüfen, ob wir sie zur Notaufnahme bringen müssen. Aber … wer will an Weihnachten schon dorthin, was? Wir dachten uns, dass es Ihnen wahrscheinlich lieber ist, wenn wir sie nach Hause bringen.«

Mum nickt ihnen dankbar zu, und Dad – der zusammen mit Laura und David aus dem Wohnzimmer in die Diele gekommen ist, um zu sehen, was los ist – schafft es tatsächlich, etwas zu sagen. Mum wirkt vornehmlich besorgt, Dad eher ein bisschen wütend.

»Seien Sie nicht zu streng mit ihr!«, sagt die Polizistin, als sie wieder geht. »Wir sind alle mal jung und dumm gewesen, oder?«

Mum schließt die Tür. Dann dreht sie sich zu ihrer jüngeren Tochter um, deren klobige schwarze Stiefel nass sind und auf deren Jeans das Brandloch einer Zigarette zu erkennen ist, das vorher noch nicht dort war. Beccas Augen sind halb geschlossen, und ihr T-Shirt mit Eminems Konterfei ist mit irgendetwas bekleckert. Es sieht verdächtig nach Erbrochenem aus. Laura beugt sich zu ihrer Schwester hin und streicht ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die aus einem Gemisch von Bier und Erbrochenem an ihrer Wange klebt.

»Alles in Ordnung, Becs?«, fragt sie und runzelt besorgt die Stirn.

Becca schlägt die Hand ihrer Schwester weg und rülpst ihr laut ins Gesicht. Sie dreht ihren Kopf, der dabei wackelt, und schafft es, gleichzeitig höhnisch zu grinsen und zu weinen. Derweil dringen die Klänge einer weihnachtlichen Musiksendung aus dem Wohnzimmer. Es ist der diesjährige Nummer-eins-Hit – »Can We Fix It« von Bob, dem Baumeister.

Tränen kullern über Beccas fleckige Haut, sie liegt auf dem Teppich und rollt sich zusammen wie ein übel riechender, trauriger Fötus.

»Geht weg!«, stößt sie schniefend hervor. »Lasst mich einfach allein! Ich hasse euch alle. Und ich hasse dieses Scheißweihnachten!«

ZWEITER TEIL

Weihnachten heute – Dorset

2. KAPITEL

Ich habe keine Ahnung, wann mir das Rückgrat chirurgisch entfernt wurde. Höchstwahrscheinlich war ich zu dem Zeitpunkt betrunken; möglicherweise auch noch völlig bekifft. Vielleicht war es aber auch 2002, als ich versucht habe zu studieren (und kläglich scheiterte) und stattdessen fast ein Jahr eingesperrt in einem möblierten Zimmer in Bristol verbracht und mit einem Bonsai gesprochen habe. Der mir aber nie eine Antwort gegeben hat, das dämliche Ding. Was sich im Nachhinein jedoch als eins der wenigen positiven Dinge aus dieser Zeit meines Lebens erwiesen hat.

Wann und unter welchen Umständen es auch immer passiert ist, ich habe kein Rückgrat mehr. Keine Rückenwirbel. Ich kann weder für mich eintreten noch bin ich fähig, Widerstand zu leisten. Mir ist es buchstäblich unmöglich, »Nein« zu sagen.

Zumindest zu meiner Schwester, Laura.

Sie ist zwar nur zwei Jahre älter, doch in puncto Reife übertrifft sich mich um drei Jahrzehnte. Als wir heranwuchsen, war sie stets die Brave. Die Hübsche. Die, die alle mochten. Die, die Mums Freundinnen verzückt rufen ließ: »Aaach, ist sie nicht hinreißend?«

Auf mich hingegen reagierten sie nur mit einem »o Gott« – was durchaus nachvollziehbar war. Denn meine Kindheit bestand zumeist daraus, Tobsuchtsanfälle zu bekommen, Menschen mit Gabeln zu massakrieren, zu fluchen und die Welt anzuknurren wie ein tollwütiger Hund, der ein ganzes Wespennest verschluckt hatte.

Ich war, um es diplomatisch auszudrücken, kein »Sonnenschein«.

Doch meine Eltern haben mich deshalb nie weniger geliebt, was hier gerechterweise festgehalten werden muss. Sie haben mich weder je in einen Schrank gesperrt noch geschlagen oder mir gedroht, mich in Miss Hellish’s Anstalt für schwer erziehbare Mädchen zu stecken.

Sie zeigten weit mehr Geduld, als ich das getan hätte, wäre ich in ihrer Situation gewesen. Sie haben mir nie das Gefühl gegeben, ein Außenseiter oder seltsam zu sein – das habe ich ganz gut selbst hingekriegt.

Laura war also die Brave, ich die Böse. So sah die Rollenverteilung in unserer Kindheit aus, mit der ich aber ziemlich zufrieden war, wie ich vielleicht hinzufügen sollte.

Gelegentlich tauschten wir unsere Rollen und legten für uns ganz untypische Verhaltensweisen an den Tag – worüber wir mittlerweile Witze machen. So war ich zum Beispiel zufällig mal nett oder sogar mit meiner Mum einer Meinung. Oder ich machte mit, wenn der Rest meiner Familie zur Titelmelodie von Der Prinz von Bel Air rappte, statt ein Gesicht zu ziehen und Türen schlagend das Wohnzimmer zu verlassen.

Noch seltener nahm Laura meine Rolle der Rebellin ein. Einmal fälschte sie die Unterschrift von Mum, um die Schule zu schwänzen und mit ihrem Freund, David, ins Kino zu gehen.

Sie haben sich Twister im Odeon angesehen, daran erinnere ich mich noch gut, da sie danach tagelang herumgerannt sind, sich unter Tische geduckt und »Trümmer!« geschrien haben, als wäre es das Lustigste der Welt.

Ein anderes Mal ist sie aus meinem Schlafzimmerfenster auf das Garagendach geklettert und weiter das Regenrohr hinunter, um sich mit David wegzustehlen.

Und dann hat sie noch … nein, das war’s. Sie hat keine weiteren Schandtaten begangen. Also sind es alles in allem genau zwei. Laura war nicht perfekt – auch sie konnte die Augen verdrehen –, doch sie war nicht schwierig. Sie war eines dieser Mädchen, das alle mochten; eines von denen, deren Mütter getrost sagen konnten: »Sie hat mir keine Schwierigkeiten gemacht, selbst als Teenager nicht.«

Zu diesen Mädchen zählte ich nicht. Im Grunde genommen war ich in Ordnung. Das wusste meine Familie auch, glaube ich, denn nur so lässt sich ihre Engelsgeduld erklären.

Nach außen hin war ich abscheulich, doch im Innern besaß ich eine Art Ehrenkodex. Ich habe nie gestohlen und auch nie jemanden schikaniert oder Tiere gequält. Aber ich habe geflucht wie ein Bierkutscher, im Übermaß getrunken, Drogen gekauft und konsumiert, die Schule schleifen lassen, den Lehrern und anderen Respektspersonen regelmäßig erklärt, dass sie mich am A**** lecken können, mir als Erste Piercings stechen lassen, Klamotten getragen wie aus einem Horrorfilm und mit anderen Nichtsnutzen herumgehangen, die aussahen, als spielten sie in der Gruftiversion von Hinter Gittern – der Frauenknast mit.

Ich war nie leicht im Umgang – selbst auf meinen Kinderfotos blicke ich finster drein –, doch nach meinem siebzehnten Geburtstag wurde es noch schlimmer. In dem Jahr hielt das Leben eine Bodenschwelle für mich bereit, über die ich nur ungern spreche und die dazu geführt hat, dass ich mich von einem mürrischen, aber dennoch akzeptablen Mädchen in einen Ruft-den-Exorzisten-Teenager verwandelte.

Während ich noch tiefer in den Abgrund stürzte und immer einfallsreichere Methoden fand, mir selbst wehzutun, war Laura mit der Planung ihrer Hochzeit beschäftigt. Der Hochzeit mit David. Dem Jungen, in den sie sich verliebt hatte, als sie sieben war und ich fünf.

Ich weiß, es hört sich verrückt an. Und das war es auch. Die Eigenschaften schienen völlig unausgewogen zwischen uns verteilt zu sein. Während Laura zu brav war, ohne den geringsten Sinn für Abenteuer, war ich die personifizierte Auflehnung und Streitlust. Zusammen hätten wir wahrscheinlich einen normalen Menschen ergeben.

Ich war also die Böse – und nach dieser kleinen, bereits erwähnten Bodenschwelle wurde alles noch viel schlimmer. Ich trat nämlich nicht einfach mit dem Fuß gegen diese Bodenschwelle, nein, ich krachte vielmehr in sie hinein, dass ich mich überschlug und in Flammen aufging. Ernsthaft, ich trug dermaßen viele Beulen davon, dass man mich zum Schrottplatz gebracht hätte, um in geschredderter Form in einem dieser kleinen rostigen Metallbehälter zu landen, wäre ich ein Auto und kein Mensch gewesen.

Die von mir gewählten Methoden der Selbstzerstörung waren vornehmlich Alkohol, Drogen und Männer. Sie führten zu mehr als nur einigen wenigen Ausflügen in die Notaufnahme, dem Abbruch meines Studiums, einem sehr wechselhaften Verhältnis zu meiner Körperpflege sowie verschiedenen anderen Verhaltensmerkmalen, die meinen armen, an den Rand des Wahnsinns getriebenen Eltern schlaflose Nächte bescherten.

Laura hingegen blieb auch weiterhin die Brave. Obwohl Mum und Dad anfangs besorgt waren, weil sie sich so früh fest band, genügte ihnen ein Blick auf mein chaotisches Leben, um mit ihrem Entschluss glücklich zu sein. Selbst Britney Spears’ Entscheidungen aus ihrer Zeit als Glatzkopf wirkten im Vergleich zu meinem Scherbenhaufen vernünftig.

Ich wählte das Chaos – Laura eine Heirat, Kinder und das Dasein einer Vorstadtgöttin. Oder vielleicht wählten diese Rollen auch uns. Genau weiß ich das nicht.

Wie sich später herausstellte, bescherte Laura unseren Eltern dann doch noch genauso viele schlaflose Nächte wie ich. Denn vor einigen Jahren zerbrach ihr ganzes Leben, als ihr Mann, David, starb – der geliebte, zu Mythos und Legende gewordene David, der Junge, der ihr Herz in der Grundschule eroberte.

Und das auf eine so blöde Weise, dass es mich noch immer wütend macht. Nämlich durch einen Sturz von der Leiter. Er entfernte gerade das Laub aus der Regenrinne, als es passierte. Nicht sehr glamourös, oder? Aber das ist wohl auch kaum möglich, wenn eine Regenrinne im Spiel ist. Obwohl der Tod nie glamourös ist, wenn ich es mir recht überlege. Doch die Mitglieder des Klubs 27 umgab wenigstens eine Aura aus Mysterium und Ausschweifung, als sie aus dieser Welt schieden. Sie holten nicht gerade das Laub aus ihren verdammten Regenrinnen.

David war erst dreiunddreißig, als er starb. Zu jung, um zu sterben. Laura war genauso alt. Zu jung, um Witwe zu sein. Viel zu jung. Er ließ sie mit den Kindern, Nate und Lizzie, und dem Hund, Jimbo, allein zurück. Er ließ sie allein zurück, und das war sie noch nie gewesen. Während mein Leben sich zu diesem Zeitpunkt noch immer am Rand der Familie Fletcher abspielte, hatte sie sich ihr eigenes Leben geschaffen – ein Leben, aufgebaut auf der Liebe zu David.

Seinem Tod folgte eine Hölle, die ich nicht beschreiben kann. Natürlich war es vor allem eine Hölle für Laura und die Kinder, doch diese Zeit ging auch am Rest der Familie nicht spurlos vorbei. Man kann nicht jemanden, den man liebt, so leiden sehen, ohne selbst mitzuleiden.

Ich sah, wie sie sich quälte und kämpfte. Sah, wie die Kräfte sie verließen, immer und immer wieder, wie in einer schäbigen Variante von Täglich grüßt das Murmeltier. Ich sah, wie sie versuchte, tapfer zu sein. Sah, wie sie zusammenbrach, sah sie gelähmt vor Schmerz. Einem Schmerz, der so stark war, dass ich glaubte, sie würde nie wieder auf die Beine kommen.

Ich sah, wie sie weinte und zitterte. Und ich sah, wie sie still war. Das Schlimmste überhaupt – still, in sich gekehrt, das Gesicht eine ausdruckslose, leere Maske. Als Mutter zweier Kinder lebte sie den Alltag weiter, funktionierte wie mechanisch, ohne Gefühl, als wäre sie ferngesteuert.

All das sah ich. Genauso wie ich Lizzie und Nate sah, die mit ihrem eigenen Schmerz umgehen mussten, und Mum und Dad, die in der für sie unlösbaren Aufgabe feststeckten, etwas zu tun. Und ich sah mich, wie ich innerlich schrie.

Es war die schlimmste Zeit unseres Lebens – und sie schien nicht aufhören zu wollen.

Bis Laura ihre zweite Chance bekam. Bis sie sich auf eine Stelle in einem Café in Dorset bewarb und mit den Kindern in einen langen, heißen, arbeitsreichen Sommer an die Küste fuhr.

Bis sie eine neue Welt kennenlernte, mit wunderbaren neuen Freunden, einem neuen Hund, einem neuen Zuhause und einem Mann, der ihr hilft, dass die Wunden heilen. Bis sie den Willen wiederfand zu leben.

Bis sie das Comfort Food Café kennenlernte.

Wohin ich diesen Monat – es ist Dezember – fahre. Ich werde gegen meinen Willen aus meiner Wohnung in Manchester gezerrt, aus dem behaglichen, städtischen Trubel, aus meinem oberflächlichen, aber sicheren Dasein. Doch was noch viel entscheidender ist, aus meinem völlig weihnachtsfreien Lebensstil.

Ich will nicht dorthin fahren, aber Laura hat mich darum gebeten. Und wenn es um meine Schwester geht, besitze ich kein Rückgrat. Keinen eigenen Willen. Ich kann einfach nicht Nein sagen.

Ich hasse Weihnachten. Wirklich.

Doch meine Schwester liebe ich über alles.

3. KAPITEL

»Wo bist du?«, fragt mich Laura am Telefon, und ihre Stimme klingt angespannt.

»In einem Bordell in Paris«, antworte ich. »Ich lerne gerade einen Cancan tanzen, bei dem selbst Craig Revel Horwood zu Tränen gerührt wäre. Ich kann ihn förmlich sagen hören: ›Das ist fa-bel-haft, mein Schatz.‹«

»Ich höre das piepende Geräusch von Lastwagen beim Rückwärtsfahren. Bist du an einer Tankstelle? Wenn ja, an welcher? Falls es eine ist, die Krispy Kreme Doughnuts hat, könnest du uns bitte eine Schachtel mitbringen? Und wann bist du endlich hier? Die Kinder machen mich schon wahnsinnig, alle fünf Minuten fragen sie nach dir … sie wollen erst mit dem Schmücken des Weihnachtsbaums beginnen, wenn du da bist …«

Ich gebe ein leicht knurrendes Geräusch von mir, so wie ein brummiger Grizzlybär, und frage mich, wie sie meine völlig plausible Cancan-Geschichte hat durchschauen können. Meine Schwester, die Gedankenleserin.

Doch wenn sie wirklich Gedanken lesen könnte, würde sie wissen, dass ich hier in der Eiseskälte sitze, Kaffee trinke, mir den Hintern abfriere und mir das Hirn zermartere nach einer guten Ausrede, um wieder zurück nach Manchester fahren zu können. Das könnte zwar grauenvoll werden, aber zumindest müsste ich keinen Weihnachtsbaum schmücken und so tun, als wäre ich fröhlich.

Laura hört mein leises Grummeln und prustet vor Lachen.

»Ist dir noch keine gute Ausrede eingefallen?«, sagt sie. Der Teufel soll sie holen. Sie ist tatsächlich eine Gedankenleserin.

»Nein, noch nicht«, erwidere ich und lege die Hände um den Pappbecher mit Kaffee, um meine Finger vor möglichen Frostbeulen zu bewahren. Weihnachten ist nicht nur nervig, sondern findet auch noch in der kalten Jahreszeit statt. »Aber ich hoffe, dass noch irgendeine Naturkatastrophe passiert, die die Welt in zwei Hälften spaltet, bevor ich Bristol erreiche. Wie in einem dieser Erdbebenfilme, weißt du? Wo die Straßen aufreißen und die ganzen überflüssigen Komparsen in das große Loch fallen. Oder dass eine Zombie-Apokalypse eintritt. Oder ein Meteorschauer über der Erde niedergeht. Ich bin da nicht wählerisch.«

Ich kann am anderen Ende der Leitung ein Kläffen hören und lächle, da dem Geräusch zwangsläufig ein gemurmeltes »Wart mal kurz!« von Laura folgt, während sie herumläuft und Türen öffnet und schließt, um den Bedürfnissen ihres neuesten Zuwachses nachzukommen – eines acht Monate alten schwarzen Labradorwelpen namens Midgebo.

Ursprünglich hieß er Midge, und so wird er meistens auch genannt. Das »bo« wurde in Erinnerung an Davids frühere Hunde angehängt – ebenfalls schwarze Labbis, die entweder Jambo oder Jimbo hießen.

Der letzte großartige, inzwischen leider verstorbene Jimbo hatte sich, kurz nachdem Laura und die Kinder nach Dorset gezogen waren, in den Würstchenhimmel verabschiedet.

Ich weiß, dass meine Schwester ihn noch immer vermisst. Doch ich weiß auch, dass Midge ihr geholfen hat, die Lücke auszufüllen. Genauso wie Matt, der örtliche Tierarzt, der Midge für sie gekauft hat. Matt, so vermute ich, füllt ebenfalls allerlei Lücken aus – und ich freue mich, ihn kennenzulernen. Typmäßig ähnelt er Han Solo, wer also würde ihn nicht gern kennenlernen?

Es gibt vieles, worauf ich mich bei dieser Reise freue. Auf meine Schwester zum Beispiel, von deren offensichtlichen Fortschritten ich mich dann selbst überzeugen und meine Befürchtungen ausräumen kann, dass sie sie nur mir zuliebe vortäuscht. Auf meine erstaunliche Nichte und meinen erstaunlichen Neffen, die mein Leben immer wieder bereichern und lebenswert machen. Auf ihr neues Zuhause. Auf den berühmten Matt und Lauras sagenhafte Chefin, Cherie Moon, der das Comfort Food Café gehört. Und darauf, all ihren neuen Freunden vorgestellt zu werden.

Ja, ich freue mich auf vieles. Doch ich wünschte, der Zeitpunkt wäre ein anderer. Denn Weihnachten zählte noch nie zu meiner besten Jahreszeit.

»Okay. Ich bin wieder da. Tut mir leid«, sagt sie. Ich erkenne an den Geräuschen im Hintergrund, dass sie mittlerweile draußen ist. Wahrscheinlich schaut sie Midgebo gerade beim Pipimachen im Garten zu.

»Schon in Ordnung. Wenn ein Hund mal muss, dann muss er. Jedenfalls … werde ich vor dem Abendessen da sein.«

»Vorausgesetzt, es gibt weder ein Erdbeben noch tritt eine Zombie-Apokalypse ein.«

»Diese beiden Szenarien halte ich für völlig lächerlich«, entgegne ich, stehe auf und werfe den leeren Pappbecher in den Mülleimer. »Doch es könnte zu diesem Meteorschauer kommen. Ich glaube, er wurde gestern Abend in der Wettervorhersage vorhergesagt.«

»Das war Schnee, der da vorhergesagt wurde«, wendet Laura ein und klingt wieder etwas abgelenkt. Das Aufziehen von Welpen und Kindern weist gewisse Ähnlichkeiten auf, fällt mir auf.

»Deshalb fahr bitte vorsichtig!«, fügt sie hinzu. »Und dreh nicht zufällig-in-voller-Absicht nach Manchester um. Ach ja, und vergiss die Krispy Kremes nicht!«

4. KAPITEL

Ich treffe kurz vor der Abenddämmerung in The Rockery ein, der Ferienhaussiedlung, in der Laura mittlerweile lebt. Der vorausgesagte Schnee fällt in kleinen, harmlosen Flocken. Nichts davon bleibt liegen. Schnee, der nur halbherzig fällt, ist ein äußerst dürftiger Versuch, den Winter einzuläuten.

Ich war auf der Fahrt müde und fast wie hypnotisiert gewesen von dem Anblick der auf meiner Windschutzscheibe landenden weißen Flocken, die von den Scheibenwischern umgehend wieder weggewischt wurden. Es hatte sich irgendwie falsch angefühlt, als würde ich einen willkürlichen und herzlosen Schneeflockenvölkermord an ihnen begehen.

Ich weiß, wenn mir solche Gedanken kommen, brauche ich dringend eine Mütze Schlaf.

Beim Einbiegen auf den Schotterparkplatz der Ferienhaussiedlung überkommt mich ein eigenartiges Gefühl; wie ein Déjà-vu, obwohl ich noch nie hier gewesen bin. Meine Nichte hatte, nachdem sie im Sommer mit Nate und Laura hier angekommen war, begonnen, Fotos zu machen und auf ihrem Instagram-Account zu posten.

Da ich diese Monate auf diese Weise durch die sozialen Medien miterlebt habe, kommt es mir vor, als wäre ich schon einmal hier gewesen. Als hätte ich den weichen, grünen Rasen mit dem kleinen Springbrunnen in der Mitte bereits gesehen. Als wäre ich an den Ferienhäusern mit ihren seltsamen Namen – Cactus Tree, Lila Wine, Poison Ivy – schon einmal vorbeispaziert. Namen, die von Bands oder Liedern aus den Sechziger- und Siebzigerjahren stammen und die ihre Besitzerin, Lauras ehemals Rock-besessene Chefin Cherie, ihnen gegeben hat.

Mir kommt es vor, als hätte ich schon einmal genau an dieser Stelle gestanden und auf die mit einer zarten Schneeschicht überzogenen Bäume, die kleinen Veranden und die dunkle Hügellandschaft geblickt, die sich dahinter erstreckt, nur an sehr viel sonnigeren Tagen. Es war ein brütend heißer Sommer gewesen – ein Sommer, der in die Annalen eingehen und von dem noch nach Jahren gesprochen werden wird. So wie meine Eltern noch immer von den Sommern der Jahre 1976 und 1977 sprechen. Damals herrschte Gartenschlauchverbot, die Queen feierte ihr silbernes Thronjubiläum, und Großbritannien verwandelte sich im Grunde genommen in ein Mittelmeerland mit Streiks und Schlaghosen.

Doch jetzt, Anfang Dezember, ist der Himmel trüb und metallisch grau mit vereinzelten Wolken, die wie bleiche Flecken aussehen. Der Kies ist feucht vom Schnee. In den Ferienhäusern, die noch bewohnt sind, brennt Licht und scheint aus den Fenstern. Allmählich werden die Vorhänge zugezogen.

Ein noch immer wunderschöner Anblick, wenn auch nicht die Oase mit Wildblumen und Vogelgezwitscher, die ich aufgrund der Fotos aus dem Sommer erwartet hatte. Seit Laura und die Kinder sich hier niedergelassen haben, postet Lizzie nicht mehr so eifrig Bilder auf Instagram. So ist der Wechsel vom Hochsommer zum tiefsten, kargen Winter ziemlich abrupt für mich und fühlt sich eigenartig an. Wie in einem Film mit einer riesigen Vorausblende.

Ich hebe meine Tasche hoch, lege sie mir über die Schulter und schließe das Auto ab. Ein paar Augenblicke genieße ich es noch, allein zu sein, bevor ich in den überschäumenden Kessel des Lebens trete, als der das Ferienhaus meiner Schwester sich entpuppen wird, wie ich annehme.