Caféglück am Meer - Debbie Johnson - E-Book
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Caféglück am Meer E-Book

Debbie Johnson

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Beschreibung

Auf ein Stück Hochzeitstorte im Comfort Food Café

Auburn Longville hat ihre wilden Tage hinter sich. Im beschaulichen Budbury, an der Küste Dorsets, hat sie sich im Kreise ihrer Familie niedergelassen und ihr Glück mit Freund Finn gefunden. Doch während sie mit den Vorbereitungen für die Hochzeit einer Freundin beschäftigt ist, bringt ein überraschender Besuch aus ihrer Vergangenheit ihr schönes, geordnetes Leben durcheinander. Denn was niemand weiß: Auburn ist bereits verheiratet und ihr Ehemann will sie nun zurück. Nun muss sie sich entscheiden, wem ihr Herz gehört …

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Seitenzahl: 404

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Zum Buch

»Ich habe das Gefühl, dass es mehr Comfort Food Cafés im Universum geben sollte – denn je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr komme ich zu dem Schluss, dass dieser Ort wirklich etwas Magisches hat.

Ein Teil seiner Magie kommt von der Lage, wie es auf der Klippe zum Rand der Welt zu sitzen scheint, mit der wunderschönen Bucht unter uns, die sich wie eine gelbgrünblaue Decke in der Sonne ausbreitet und den Felsen, soweit der Blick reicht. Ein anderer Teil von dem Essen, das allen Trost spendet.

Doch vor allem kommt die Magie von den Menschen, die zu dem Café gehören. Den wundervollen, verrückten, herzensguten Menschen – die immer aufeinander achtgeben.

Es ist ganz einfach ein Ort, an dem Träume wahr werden können.«

Zur Autorin

Debbie Johnson ist eine Bestsellerautorin, die in Liverpool lebt und arbeitet. Dort verbringt sie ihre Zeit zu gleichen Teilen mit dem Schreiben, dem Umsorgen einer ganzen Bande von Kindern und Tieren, und dem Aufschieben jeglicher Hausarbeit. Sie schreibt Liebesromane, Fantasy und Krimis – was genau so verwirrend ist, wie es klingt.

DEBBIE JOHNSON

ROMAN

Aus dem Englischen

von Hanne Hammer

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Die Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel

Wedding at the Comfort Food Café bei HarperCollins.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Deutsche Erstausgabe 05/2020

Copyright © 2019 by Debbie Johnson

Copyright © 2020 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Birgit Bramlage

Umschlaggestaltung: Martina Eisele Design

unter Verwendung von Bigstock (KomarovaJulia,

Lena_Zajchikova, Mouse family) und Shutterstock

(Maya Kruchankova, Africa Studio);

U2/U3: Shutterstock/KNM Photo

Satz: Leingärtner, Nabburg

e-ISBN: 978-3-641-25883-2V001

www.heyne.de

Für Charlotte Ledger, Lektorin, Freundin und

Ehrenbürgerin von Budbury – danke für alles

1. Kapitel

Das jüngste Treffen des Kaffee-und-Kuchen-Clubs der Frauen von Budbury ist in vollem Gange. Alle sind anwesend am heutigen Montag, und für zahlende Gäste ist das Café geschlossen. Die Tische mit den karierten Tischdecken sind locker über den großen Raum verteilt, Sonnenlicht strömt durch die Panoramafenster, und unten in der Bucht glitzert und schimmert das Wasser bei jeder Bewegung. Die vielen bizarren Mobiles aus alten Vinylplatten, Muscheln und diesen hölzernen Dingern, auf die Garn gewickelt ist, schaukeln im Sonnenlicht. Das Spiel von Licht und Schatten lässt sie wie golden gestreifte Tiger aussehen.

Unter diesen Mobiles sitzen wir um einen Tisch versammelt und sind bestens mit allem versorgt, was das Herz begehrt: Kaffee in allen möglichen Variationen wie Latte und Mocha und für mich gibt es sogar Espresso-Martini. Wir haben Wein und selbst gemachten Cider, alle möglichen Kuchen, einschließlich alkoholgetränkter Meringen, Schwarzwälder Kirschtorte, Erdbeercreme und einem Sherry-Trifle, in dem viel zu viel Sherry ist. Das sieht ganz nach einem heimlichen Besäufnis mit Desserts aus.

Und was am wichtigsten ist, dass sich wunderbare Frauen versammelt haben, zumindest die meisten davon. Meine Schwester Willow, die Besitzerin des Cafés, Cherie Moon (ich nenne sie immer gern bei ihrem vollen Namen, weil er so fantastisch ist), Katie, Zoe, Edie, Becca, unser Ehrengast Laura und ich.

An einer Seite steht ein langer Tapeziertisch, der sich vor Geschenken nur so biegt. Es sind alles Präsente aus dem Dorf zu Lauras Babyparty bzw. Junggesellinnenabschied. Alle lieben Laura – zumindest alle, die sie kennen. Normalerweise wäre das Grund genug, dass zumindest ich aus reinem Widerspruchsgeist heraus versuchen würde, sie zu hassen, aber selbst mir gelingt das nicht. Sie ist verdammt noch mal einfach zu entzückend mit ihrem verrückten, lockigen Haar, ihrem warmen Lächeln und ihrer Freundlichkeit, die förmlich aus jeder Pore trieft.

Mir fällt auf, dass sie meinen Espresso-Martini mit einem Blick ansieht, den man fast schon als Begierde auslegen könnte. Vielleicht könnte ich doch lernen, sie zu hassen? Denn wenn sie auch nur einen Finger nach meinem Glas ausstreckt, ist sie tot. Oder zumindest ramme ich ihr meine Gabel in die Hand.

Becca, Lauras kleine Schwester, steht auf und klopft mit dem Löffel gegen ihr Glas. Sie räuspert sich auf diese übertriebene Weise, wie Zeremonienmeister das tun, und verschafft sich Gehör.

»Meine Lieben«, beginnt sie ernst, »wir haben uns heute hier versammelt, um das Ende des Single-Daseins von Laura zu feiern. Laura, die einst eine Fletcher war, dann eine Walker wurde und bald eine Hunter sein wird. Wenn wir davon ausgehen, dass Matt nicht zu Verstand kommt und in die Fremdenlegion eintritt. Pause für Gelächter.«

Sie blickt auf, und wir tun ihr bereits den Gefallen. Becca ist lustig, schlau und sarkastisch und hat einen beißenden Humor. Und sie trinkt keinen Alkohol, obwohl die meisten von uns zumindest einen kleinen Schwips haben. Wenn man auf einer Party die einzige Nüchterne ist, macht man immer einige wenig schmeichelhafte Beobachtungen. Oft bin ich tatsächlich diejenige, die am meisten getrunken hat.

»Heute, bei dieser ›feierlichen Gelegenheit‹, möchte ich gerne etwas aus Lauras Vergangenheit mit euch teilen«, fährt sie fort, als wir aufgehört haben zu kichern. »Etwas, das sie wahrscheinlich vergessen hat. Etwas, das unsere Eltern gefunden haben, als sie ihr Hab und Gut zusammengepackt und gedacht haben, ich könnte vielleicht daran interessiert sein. Und ich war sogar so interessiert, dass ich es laminieren ließ.«

Sie schwenkt dramatisch ein laminiertes Blatt in der Luft, und wir alle reagieren, als wäre sie der Schurke in einem Theaterstück, der die Blaupausen eines diabolischen Masterplans schwenkt.

Alle sind guter Stimmung und entspannter, als ich sie je erlebt habe. Das liegt zum Teil daran, dass wir für diesen Nachmittag von all unseren Pflichten entbunden sind, all den süßen Lasten, die wir so sehr lieben.

Cal, Zoes Partner – man stelle sich einen markanten australischen Cowboy auf dem Pferderücken vor –, ist mit den Teenagern nach Oxford gefahren, um das College zu besuchen, an dem seine Tochter und Zoes Stieftochter später im Jahr studieren werden. Lizzie und Nate, Lauras Kinder, die auch im Teenageralter sind, begleiten sie, sodass ihr die Sorge erspart bleibt, dass eins durch das Dorf ziehen und schwanger werden oder auf einem Skateboard die Klippen hinuntersausen könnte.

Katies vierjähriger Sohn Saul ist mit Van zu einem Abenteuer aufgebrochen. Van ist mein Bruder und Katies Toyboy. Ich finde das immer ein bisschen abartig, aber sie scheinen glücklich zu sein. Er hat auch noch zwei völlig unterschiedlich gestrickte Mütter mitgenommen: Sandra – Katies Mutter, die selbst wenn sie allein auf einer Insel wäre und nur eine Kokosnuss als Ansprechpartner hätte, eine Krise auslösen könnte – und Lynnie, Willows und meine Mutter.

Lynnie hat Alzheimer und erholt sich gerade von ihrem Darmkrebs. Das klingt schrecklich, ist es verrückterweise aber nicht – seit wir wissen, dass sie Krebs hat und operiert worden ist, hat sie eine wirklich gute Phase. Die Hälfte der Zeit weiß sie zwar nicht, wer wir sind, doch die aggressiven Anfälle, die vorher an der Tagesordnung waren, sind deutlich zurückgegangen.

Wahrscheinlich weil sie nicht mehr dauernd Schmerzen hat. Schmerzen machen schließlich jeden irgendwann mürbe.

Willow, Van und ich sorgen abwechselnd für Lynnie, und wir lieben sie alle aus tiefstem Herzen – aber ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass es einfach ist. Es ist eine Erleichterung zu wissen, dass sie mit einem verantwortungsbewussten Erwachsenen Spaß hat, bei dem es sich nicht um mich handelt. Außerdem ist sie mit Saul zusammen, der keine Ahnung hat, was Alzheimer ist und sich nicht erinnert, wie Lynnie vorher war und der einfach mit Begeisterung und Liebe auf alles reagiert, was sie tut. Kinder sind großartig – solange sie jemand anderem gehören.

Beccas Baby, Klein-Edie, die erst vor Kurzem begonnen hat herumzutapsen, ist bei ihrem Dad Sam. Selbst für die Hunde – für Lauras Midgebo, einen verrückten, schwarzen Labrador, und unsere betörende Border Terrierhündin Bella Swan – ist gesorgt: Sie genießen den Sonnenschein draußen in der Hundekrippe.

Dieses Gefühl der Sorglosigkeit ist für die meisten von uns ungewohnt und trägt zu der euphorischen Stimmung im Café bei. Niemand muss arbeiten, sich um jemanden kümmern. Niemand ist für jemand anderen als für sich selbst verantwortlich. Wow, wow und nochmals wow.

Diese Tatsache und der Umstand, dass wir angenehm angetrunken sind, machen uns zu einem dankbaren Publikum für Beccas Rede. Sie schwenkt das laminierte Blatt eine Weile herum, als wäre es ein Zauberstab, bevor sie ihre Brille aufsetzt, um es vorzulesen.

Es ist keine richtige Brille mit Gläsern. Becca ist erst Mitte dreißig und braucht gewöhnlich keine Lesehilfe. Diese Brille ist eine Brille zum Verkleiden und hat zusätzlich eine riesige Groucho-Nase, einen Schnurrbart und falsche Augenbrauen.

Alle finden diesen Anblick unaussprechlich komisch, vor allem Edie, die so sehr lacht, dass Katie und ich uns besorgt ansehen – nur für den Fall, dass sie einen Herzanfall bekommt oder an ihrer eigenen Fröhlichkeit erstickt.

Edie ist über neunzig und hatte letztes Jahr eine hässliche Lungenentzündung. Mir als Apothekerin und Katie als Krankenschwester war damals bewusst geworden, wie nahe wir daran waren, unsere geliebte Dorfälteste zu verlieren.

Edie erholt sich von ihrem Lachflash und klopft sich auf den Bauch, während sie nach Luft schnappt, die ihr knapp geworden ist. Ich zeige Katie den nach oben gestreckten Daumen, während die Rede weitergeht.

»Das hier«, sagt Becca und sieht uns durch ihre Plastikbrille an, als sich der Begeisterungstaumel gelegt hat, »kommt direkt aus dem Gehirn der zehnjährigen Laura zu euch. Es beginnt mit den köstlichen Worten: Meine Traumhochzeit …«

Laura stöhnt laut auf, während wir über ihre Verlegenheit lachen. Cherie, die Mitte siebzig ist, aber wie eine amazonenhafte Pocahontas aussieht mit ihrem dicken grausilbernen Zopf, stupst sie an und lacht.

»Wenn ich älter bin, wird meine Traumhochzeit ganz in Rosa sein«, liest Becca und sieht ihre Schwester über ihre Groucho-Brille hinweg an, um sich davon zu überzeugen, dass sie sich angemessen schämt. »Ich wünsche mir eine rosa Kutsche, die von rosa Pferden gezogen wird, und dass alle Gäste Rosa tragen, einschließlich der Männer. Meine Hochzeitstorte soll aus rosa Biskuit sein und mindestens zehn Lagen haben, und mein Kleid aus rosa Seide. Ich möchte auch einen rosa Hund und rosa Ohrringe, wenn Mum mir erst erlaubt hat, mir Löcher in die Ohren stechen zu lassen, und ganz hohe, rosa High Heels, in denen ich groß aussehe.

Ich weiß nicht, woher ich einen rosa Hund oder rosa Pferde nehmen soll, aber ich werde sie finden. Vielleicht auch noch ein paar rosa Kätzchen. Und ich werde rosa Lippenstift tragen, und auf den Boden sollen rosa Blütenblätter gestreut werden. Es wird ein Tag, an dem Rosa alles überstrahlt.«

Mir wird ein bisschen schlecht von dem ganzen Rosa und wie es aussieht ihr auch.

Ich blicke kurz zur anderen Seite des Tisches hin und sehe die heutige Laura dort sitzen. Diese Laura ist fast vierzig und das einzig Rosige an ihr sind ihre Wangen. Sie ist mit Zwillingen im siebten Monat schwanger und hat den Umfang eines Sumo-Ringers. Ihre geschwollenen Knöchel hat sie auf einen Stuhl gelegt und ihre Arme ruhen auf ihrem riesigen Babybauch. Sie sieht immer noch großartig aus – aber ihre Ausstrahlung hat nichts mit ihren früheren Hochzeitsfantasien zu tun, sondern vielmehr mit einer Erdgöttin, die dringend ein Nickerchen braucht.

»Okay, okay – ich mochte also Rosa!«, ruft sie lachend. »Jemand musste das ja – Becca fantasierte schließlich schon von ihrer satanischen Hochzeit!«

Becca nickt und die Groucho-Brille hüpft dabei auf und ab.

»Wohl wahr«, bestätigt sie mit einem vorgetäuschten Ghetto-Akzent. »Ich war tatsächlich eine Tochter der Finsternis. Zu meiner Fantasiehochzeit gehörten ein Vampirbräutigam, ein Kuchen mit Würmern und Kelche mit Blut. Jetzt werde ich die Brille der Traumhochzeit weitergeben und bin gespannt auf eure Geschichten, Hoffnungen, Fantasien, Hochzeitsessen …«

Bei dieser Ansage spüre ich eine leichte Panik in mir aufsteigen. Becca ist offenbar fest entschlossen, das zu einem Wettkampf des Vergnügens zu machen – doch bei mir berührt es eher einen wunden Punkt und bringt meine Nasenlöcher zum Beben.

Ich liebe diese Frauen über alles, doch über meine Traumhochzeit zu sprechen, kommt der Konfrontation mit etwas lange Verdrängtem gefährlich nahe.

Es ist ein bisschen so, als wäre ich an einer archäologischen Ausgrabungsstätte und würde von Becca mit einer Kelle attackiert, meine Geheimnisse freizulegen.

Als ich mich umblicke und sehe, wie eifrig alle anderen dabei mitmachen, frage ich mich, ob meine Geheimnisse es überhaupt wert sind, gehütet zu werden.

Mit feierlicher Miene zieht Becca die Plastik-GrouchoBrille aus und geht zu Cherie, um sie ihr auf die Nase zu setzen. Sie ist nicht groß genug, und die Bügel dehnen sich um Cheries breite Wangenknochen. Cherie steht auf und verneigt sich majestätisch in ihrem mit Pailletten besetzten Kaftan, der direkt aus den Siebzigern zu kommen scheint.

»Als ich jung war, gehörten zu meiner Traumhochzeit wahrscheinlich halluzinogene Pilze und Marc Bolan. Auf meiner ersten Hochzeit gab es tatsächlich halluzinogene Pilze, aber leider keinen Marc Bolan. Doch meine Traumhochzeit … nun, das war die, die vor einigen Jahren genau hier stattgefunden hat, als ich meinen Helden Frank geheiratet habe.«

Wir alle gaben ein gemeinschaftliches »Ahhh« von uns. Ich war bei dieser Hochzeit nicht hier, sondern voll und ganz damit beschäftigt, meine Rolle als das schwarze Schaf der Familie zu perfektionieren, durch die Welt zu reisen und alles zu vermasseln. Cherie und Frank, der wegen seines enormen Ackerlandbesitzes überall als Farmer Frank bekannt war, haben im Alter noch einmal geheiratet, nachdem Frank Witwer geworden war. Die Zeremonie fand hier im Comfort-Food-Café statt, so wie Lauras Feier hier stattfinden wird, und war eine echte Winterwunderland-Hochzeit.

Cherie gibt die Brille, die jetzt etwas außer Form geraten ist, an Katie weiter, die gar nicht begeistert davon ist, so im Scheinwerferlicht zu stehen. Katie ist Ende zwanzig, klein, zierlich, blond und hübsch. Erstaunlicherweise schafft sie es, der offenste und ehrlichste Mensch zu sein, den ich kenne, und ist gleichzeitig extrem schüchtern. Außerdem hat sie einen grauenhaften Männergeschmack. Klar, sonst würde sie auch nicht mit meinem Bruder Van herumhängen. Ekelerregend.

»Ähhh … okay …«, sagt Katie leise und steht dabei auf. »Ich war nie verheiratet. Doch ich schätze, als ich klein war, habe ich mir eine Hochzeit im weißen Kleid und Justin Timberlake gewünscht. Heute bin ich mit allem glücklich, was Ausschlafen beinhaltet.«

Sie setzt sich schnell wieder hin, und Cherie tätschelt ihr das Knie. Ich verstehe, was sie damit meint. Saul ist ein richtiger Wirbelwind mit seiner nie endenden Energie und seinen endlosen Fragen. Ich habe selbst ziemlich viel Energie, doch an den wenigen Abenden, an denen er in unserem Cottage übernachtet hat, bin ich am nächsten Tag wie ein Zombie herumgelaufen. Das letzte Mal ist er um halb fünf Uhr morgens in mein Bett gesprungen und hat mich über mein Lieblingskrustentier ausgequetscht.

Katie gibt die Brille an Zoe weiter, die sie sich auf ihre fuchsroten Locken setzt und sich zu ihrer vollen Größe von gut einem Meter fünfzig erhebt. Wir Longvilles sind alle groß und schlank, also Riesen unter Zwergen.

»Ich hatte nie eine Vorstellung davon, wie meine Traumhochzeit aussehen sollte«, verkündet Zoe mit fester Stimme. »Als Kind habe ich davon geträumt, mit Zigeunern wegzulaufen, in einem bunt angemalten Wohnwagen die Welt zu bereisen, unfreundliche Dorfbewohner zu verfluchen und mich mit Freaks anzufreunden. Schließlich habe ich euch gefunden, sodass ein Teil davon wahr geworden ist. Eine Vorstellung von meiner Traumhochzeit habe ich immer noch nicht und auch keinen Plan, eine herbeizuhexen. Vielen Dank.«

Als sie die Brille an meine Schwester Willow weitergibt, wird mir klar, dass ich die Nächste sein werde. Bei dieser Aussicht verspüre ich ein Brennen im Magen – nicht weil ich schüchtern bin oder wegen der vielen Espresso-Martinis, die ich getrunken habe, sondern weil das ein Thema ist, über das ich nicht reden will. Ich überlege, plötzlich auf die Toilette zu verschwinden, sobald sich Willow dem Ende ihrer Rede nähert, oder so zu tun, als sei ich eingeschlafen und schnarchend und sabbernd auf meinem Platz zu sitzen, während die Brille des Untergangs an mir vorbeigeht.

Vielleicht ist aber auch die Zeit gekommen, endlich die Wahrheit zu sagen. Als ich hierher zurückgekommen bin, um Willow mit Lynnie zu helfen, hatte ich keine Ahnung, wie lange ich bleiben würde. Es hätten Tage oder Wochen sein können, und jetzt sieht es so aus, als könnte es für immer sein. Die Dinge sind jetzt anders – ich habe ein kleines Geschäft, gute Freunde, und es gibt einen supersexy Mann in meinem Leben. Wahrscheinlich werde ich Budbury so schnell nicht wieder verlassen.

Ich weiß nicht, was das Richtige ist, deshalb verschiebe ich die Entscheidung, bis Willow fertig ist. Ich bin mir sicher, dass das Richtige zu mir kommen wird – ein bisschen wie, wenn du im Restaurant sitzt und dich nicht entscheiden kannst, was du von der Speisekarte bestellen sollst, bis der Ober mit seinem Block vor dir steht und du plötzlich weißt: »Ja! Spaghetti Carbonara, bitte.« Willow hat neonrosa Haare, die auf Lauras Hochzeit großartig ausgesehen hätten und jetzt über die Brille hängen, als sie aufsteht. Eine Weile trug sie einen Bob, aber sie hat die Haare über den Winter wachsen lassen, um ihre Ohren warmzuhalten. Ich finde das durchaus vernünftig.

»So, wie Lynnie uns erzogen hat«, sagt sie und nickt zu mir hin, »könnt ihr euch vorstellen, dass wir nicht dazu ermutigt wurden, uns über so einen patriarchalischen Unsinn wie eine Traumhochzeit Gedanken zu machen. Es war sehr viel wichtiger, die wahre Liebe zu finden als einen Ehemann, und um ehrlich zu sein, halte ich das für richtig. Doch ich denke, wenn Tom und ich unsere Hochzeit planen würden, so würde die Hochzeit wahrscheinlich in Briarwood stattfinden und ein Zombie-Thema haben.«

Tom gehört ein großes, altes viktorianisches Herrenhaus auf einem Berg am Rande des Dorfs, in dem er eine Art Schule für exzentrische Erfindergenies betreibt. Er hat auch einen Hund, der Rick Grimes heißt, benannt nach dem Helden aus The Walking Dead. In der Tat wäre das eine großartige Hochzeit, und ich denke bereits über mein Kleid nach, während Willow fortfährt.

»Und jetzt möchte ich die geheiligte Groucho-Brille an meine liebe Schwester Auburn weitergeben, die gerade in einer glücklichen Beziehung mit dem netten Finn lebt, der längsten Beziehung, die sie je hatte, soweit ich weiß. Ich kann es kaum erwarten, von ihrer Traumhochzeit zu hören …«

Verdammt – ich war so damit beschäftigt, mir über mein Zombie-Outfit mit milchweißen Kontaktlinsen Gedanken zu machen, dass ich nicht rechtzeitig verschwunden bin. Oder vielleicht habe ich auch unbewusst meinen eigenen Fluchtplan sabotiert. Als sie die Brille an mich weitergibt, nehme ich allgemeines Stimmengewirr und Stühlerücken wahr. In einem Punkt hat sie recht – ich bin gerade verliebt. In den hintersten Winkeln meines Urmädchengehirns könnte ich mir sogar vorstellen, irgendwann einmal mit Finn verheiratet zu sein – doch der Weg dorthin würde nicht leicht sein. Offen gesagt ist nichts bei mir leicht.

Ich schiebe meinen Stuhl zurück, kippe den Rest meines Espresso-Martini hinunter und setze mir die Brille auf die Nase. Ich warte, während alle sich wieder konzentrieren. Ich habe mir das hier selbst eingebrockt und denke an einen imaginären Kellner, der sich mit seinem Notizblock über meine Schulter beugt und nach meiner Bestellung fragt – Zeit, eine Entscheidung zu fällen.

Ich blicke in die lächelnden Gesichter, die mich mit herzlicher Neugier ansehen, und mir wird klar, dass ich ehrlich zu diesen Leuten sein will. Freundschaft, Familie, Gemeinschaft – nichts davon sollte auf einer Lüge aufgebaut sein. Und keine von diesen Frauen wird mich verurteilen – so läuft das hier nicht. Ich atme tief durch und stürze mich in das Abenteuer.

»Okay, meine Damen, Willow will von meiner Traumhochzeit hören«, antworte ich. »Zu meiner Traumhochzeit würde eine kunstvolle Kathedrale aus Ton und Licht gehören; ein rasanter Sturm in einem Spuk Wald; ein Schiffswrack vor der Küste von Sansibar; eine magische Märchenlichtung in einem mystischen Steinkreis. All das und mehr.«

Ich sehe mein Publikum an – sie sind Feuer und Flamme, deshalb beschließe ich, sie mit der Pointe zu bombardieren.

»Leider ist es unwahrscheinlich, dass auch nur eins dieser wundervollen Feste der Sinne wahr werden wird. Ich werde Finn nicht heiraten – weil ich schon verheiratet bin! Peng!«

Mit einer dramatischen Geste gebe ich die Brille an eine verwirrte Edie weiter und verbeuge mich leicht, während alle mich anstarren – vor allem Willows Augen sind so groß, dass sie ihr Gesicht in zwei Hälften teilen.

Ich greife nach einer Flasche Cider und gehe nach draußen. Ich brauche jetzt wirklich eine Zigarette.

2. Kapitel

Ich setze mich an einen der Tische und trinke einen Schluck aus der Flasche. Den Cider hat unser Freund Scrumpy Joe gebraut, der sich beruflich auf das Brauen dieses Getränks spezialisiert hat. Im Garten des Cafés steht alles kunterbunt durcheinander, und der Boden ist uneben, was es zu einem Balanceakt macht, etwas sicher auf den Tischen abzustellen. Ich liebe es, von Zeit zu Zeit hier zu sitzen und darauf zu warten, dass die Milchshakes der Leute langsam ins Rutschen geraten.

Das Café liegt ganz oben auf einer Klippe auf dem Dach der Welt. Oder zumindest fühlt es sich so an, vor allem an einem Tag wie diesem, wo der Frühlingshimmel klar und strahlend blau ist und das Meer sich unendlich auszudehnen scheint.

Die Hunde geben ein halbherziges Wuff von sich, als sie mich sehen, und ich hebe als Antwort die Flasche, während ich laut zähle. Ich bin neugierig darauf, wie lange Willow brauchen wird, mir ihre Daumenschrauben anzulegen, und mich auszufragen. Ich schließe eine Wette mit mir selbst, die ich auf jeden Fall gewinne, weil es weniger als dreißig Sekunden sein werden, bis die Fragerei beginnt.

Ich muss dann doch bis hundertachtzig zählen, bis Willow aus dem Café auftaucht. Ihr rosa Haar flattert in der Brise, als sie in ihren silberbesprühten Doc Martens auf mich zustapft. Sie hat die Hände in die Hüften gestemmt, was mir sagt, dass sie es ernst meint.

»Wieso hast du so lange gebraucht?«, frage ich und klopfe auf eine imaginäre Uhr an meinem Handgelenk. »Was glaubst du, wie spät es ist?«

»Ich musste mir noch Edies Geschichte anhören«, sagt sie und boxt mich gegen die Schulter. Sie ist das Baby der Familie und war, wenn ich ehrlich bin, immer die Zielscheibe unseres Spotts und unserer Hänseleien, als wir noch jünger waren. Jetzt nutzt sie jede Gelegenheit, sich zu beweisen, dass sie nicht mehr die Schwächste des Wurfs ist.

Der Rest von uns – ich, Van und unser Bruder Angel – hat schon in jungen Jahren das Elternhaus verlassen. Willow ist mit einer immer dementer werdenden Lynnie zu Hause hängen geblieben und hat sich allein um sie gekümmert, bis sie uns endlich informiert hat, was Sache ist. Daraufhin sind zwei von uns zurückgekommen – und ich habe den Verdacht, dass ein Teil von ihr denkt, dass das Leben ohne uns einfacher war.

»Und wie war sie?«, frage ich und blinzle in die Sonne. Edies Verlobter ist im Zweiten Weltkrieg gefallen, und sie hat nie geheiratet. Sie ist davon überzeugt, dass er noch lebt, redet von ihm in der Gegenwart und bringt ihm sogar Essen aus dem Café mit nach Hause. Mir steht es nicht zu, etwas dazu zu sagen – wir sind alle ein bisschen verrückt, wenn man unter die Oberfläche schaut, nicht wahr?

»Eine Swing-Band, der Gemeindesaal und Nylonstrümpfe, die sie von einem amerikanischen Piloten geschenkt bekommen hat, haben eine Rolle dabei gespielt. Aber das ist jetzt egal … du bist verheiratet?«

Sie hat das Gesicht verzogen, und ich sehe, dass sie fasziniert und wütend zugleich ist.

»Ja. Du willst jetzt ›Sonnenblume‹ sagen, oder? Nur dass du für so was zu alt bist, deshalb willst du ›Scheiße‹ sagen. Ich sehe, wie der Kampf in dir tobt.«

»Bei dem Kampf, der in mir tobt, geht es nicht darum ›Scheiße‹ zu sagen, Auburn – das sage ich gerne. Verdammt noch mal Scheiße, Scheiße!«

Ich lache laut, weil jedes Wort, das du immer wieder wiederholst, irgendwann albern klingt. Vor allem dieses.

Sie versucht, ernst zu bleiben, doch das passt nicht zu ihr, und schließlich knickt sie ein. Sie seufzt, setzt sich neben mich und klaut mir meine Cider-Flasche. Normalerweise wäre das ein guter Grund, sie zu Boden zu zwingen, sodass ihr meine Spucke ins Gesicht tropft, doch ich schätze, sie hat einen Schock, und ich benehme mich anständig.

»Warum hast du mir das nicht gesagt?«, fragt sie leise und klingt dabei ein bisschen verletzt. Ich schaue sie flüchtig an, wobei ich die Augen vor der Sonne abschirme und sehe, dass sie wirklich verletzt ist. Der Gedanke ist mir nie gekommen. Als wir Kinder waren, haben wir uns nicht sehr nahegestanden – wir waren genau genommen eingeschworene Feinde, die gezwungen waren, sich ein Zimmer zu teilen, in dem wir trotz unserer Hippiemama, die uns zu Frieden, Liebe und Verständnis verpflichtet hat, jeden Tag globale Konflikte ausgetragen haben.

Jetzt als Erwachsene stehen wir uns näher – durch Lynnie und die Tatsache, dass heute jede unser eigenes Zimmer hat, haben wir ein gewisses Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt. Wir sind sogar fast so etwas wie Freundinnen geworden. Es hat ihre Gefühle verletzt, dass ich das vor ihr verheimlicht habe, was mir leidtut.

»Es tut mir leid«, sage ich und tätschle ihr Knie. »Es war keine Absicht, ich denke, ich habe irgendwie … beschlossen, es zu vergessen. Ich weiß, dass das verrückt klingt, aber das war in einer anderen Zeit. In einem anderen Leben. Das ist lange her, in einer Galaxie … na ja, die mindestens ein paar Hundert Meilen weit weg liegt.«

»Okay, aber jetzt, wo du dich daran erinnert hast, will ich alles wissen. Ich kann nicht glauben, dass du verheiratet bist! Weiß Van das? Und was ist mit Finn?«

»Niemand hier weiß das. Wie gesagt, ich habe es vorgezogen, das zu vergessen. Ich weiß es selbst kaum mehr. Ohne Becca und ihre Groucho-Brille hätte ich vielleicht entschieden, es für immer zu vergessen. Aber … okay. Ich bin also eine alte, verheiratete Frau und du meine unverheiratete Schwester. Wir sitzen in der Sonne und teilen uns fair und gerecht eine Flasche Cider.«

Ich strecke die Hand nach der Flasche aus, doch sie ist schneller und hält sie weit von sich weg, sodass ich nicht darankomme, ohne vom Tisch zu fallen. Ich zucke mit den Schultern und hole stattdessen meine Zigaretten aus der Tasche meiner Jeans. Sie rümpft schon einmal im Voraus die Nase, was mich dazu veranlasst zu sagen, »Wenn du die Geschichte hören willst, musst du das Nikotin schon ertragen, okay?«

Ich habe versucht, mit dem Rauchen aufzuhören, seit ich zurück nach Budbury gekommen bin. Ich habe es mit E-Zigaretten versucht und mit Pflastern und Sport, scheine die Gewohnheit aber nicht ganz ablegen zu können. Ich schaffe es eine Zeit lang, doch sobald etwas ansatzweise stressig ist – wie z.B. dass ich erfahre, dass meine Mutter Krebs hat –, fange ich wieder mit dem Rauchen an. Ich bin ein kleines bisschen kaputt, und die Zigaretten sind ein äußeres Zeichen dafür, schätze ich mal.

Ich gebe mir Feuer und lasse mich von dem ersten wundervollen Zug beruhigen. Ich ziehe zweimal, dann drücke ich die Zigarette auf der kleinen Blechdose aus, die ich als kombinierten Aschenbecher und Kippensammler mit mir herumschleppe. Niemand mag Umweltschweine.

»Das ging aber schnell«, murmelt Willow und blinzelt überrascht.

»Das ist mein neuester Gesundheitstrick«, antworte ich und stecke die Dose wieder ein. »Ich rauche nur ein Drittel der Zigarette. Zugegebenermaßen teuer – aber Gesundheit kannst du nun mal nicht in Geld aufwiegen, oder?«

Willow verdreht auf eine Weise die Augen, weil sie weiß, dass ich sie hinhalte, und verschränkt die Arme vor der Brust.

»Okay, okay …«, sage ich, als mir klar wird, dass sie ihre Hände wegsteckt, damit sie mich nicht erwürgt. »Na ja, es ist echt lange her. Acht Jahre, um genau zu sein, als ich noch jung und sorglos und sehr oft high war. Es war in meiner Zeit in Barcelona, bevor ich nach London gekommen bin, um zu studieren und ein nutzbringendes Mitglied dieser Gesellschaft zu werden.«

»Ist er Spanier?«, fragt sie, was nicht abwegig ist.

»Seine Mutter. Sein Vater ist Engländer. Er heißt Seb – Sebastian, was auf Spanisch fast genauso klingt. Say-bass-ti-ann, irgendwie so in der Art.

»Say-bass-ti-ann«, wiederholt Willow und zieht den Namen in die Länge. »Jetzt weiß ich seinen Namen und wie er sich ausspricht. Das ist schon mal ein Anfang. Wie wäre es mit dem Rest – wie hast du ihn kennengelernt? Warum hast du ihn geheiratet? Warum hat es nicht funktioniert?«

Ich nehme Bewegung im Café wahr und habe das Gefühl, dass alle versuchen, uns alles von den Lippen abzulesen, ohne dabei neugierig zu wirken. Die Kehrseite unserer gemütlichen und zusammengeschweißten Gemeinschaft ist die, dass jeder sich extrem für das Leben des anderen interessiert. Es ist wie eine interaktive Seifenoper – mit vielen Scones, Erdbeermarmelade und Sahne.

»Äh … ja, hör zu, Willow, es ist kompliziert. Ich war jünger und viel wilder, du erinnerst dich? Ich bin früh von zu Hause weggegangen. Ich war jahrelang in Südamerika und Asien unterwegs. Und das hat Konsequenzen gehabt – es mag dich vielleicht überraschen, aber ich bin in gewisser Weise suchtanfällig …«

Sie schnaubt belustigt, und ich sehe sie gespielt wütend an. Weil ich gerade eine Zigarette geraucht und ungefähr siebzehn Martinis und eine halbe Flasche Cider getrunken habe. Normal ist das nicht.

»Und weiter?«, ermuntert sie mich und reicht mir den Cider. Braves Mädchen.

»Und … ich schätze, ich bin auch von Seb abhängig geworden. Ich habe in einer kleinen Wohnung über einem Restaurant im Gothic-Viertel gewohnt, in einer Bar gearbeitet und nie das Tageslicht gesehen. Wenn ich nicht arbeiten war, habe ich getrunken. Und wenn ich nicht getrunken habe, bin ich in Clubs gegangen. Und wenn ich nicht in Clubs gegangen bin, habe ich auf dem Dach des Hauses gesessen und Hasch geraucht. Und wenn ich kein Hasch geraucht habe, habe ich … okay, du verstehst, was ich sagen will. Ich war so lange unterwegs, dass ich vergessen hatte, wie ein normaler Mensch lebt.«

»Die, die dich gekannt haben, als du jünger warst, würden möglicherweise behaupten, dass du es gar nicht erst gelernt hast«, sagt Willow sanft.

»Du hast recht«, antworte ich und nicke. »Das stimmt. Ich war immer ein bisschen am wilden Ende des Spektrums. Und es hat natürlich nicht geholfen, so lange aus dem Rucksack zu leben, in Jugendherbergen zu schlafen und nur Leute zu treffen, die auch unterwegs waren. Ich bin nur deshalb in Barcelona gelandet, weil ich ein bisschen Spanisch konnte und auf meine eigene chaotische Weise versucht habe, nach Hause zu kommen. Vorher bin ich in Ghana gewesen und jemand hatte mir eine Mitfahrgelegenheit bis Marokko angeboten. Von dort habe ich die Fähre nach Spanien genommen und bin nach Barcelona gekommen. Warst du mal dort?«

Sie sieht mich mit einem Blick von der Seite an, der mir klar zu verstehen gibt, dass das eine dumme Frage ist. »Nein, ich schätze, du hattest zu tun«, sage ich. Sie ist jünger als ich, zu Hause geblieben und hat sich um meine Mutter gekümmert. Nicht dass der Rest von uns eine Wahl gehabt hätte – wir hatten keine Ahnung, dass Lynnie so krank war, und sobald wir davon erfahren haben, sind Van und ich zurückgekommen, um zu helfen. Trotzdem habe ich immer noch leichte Schuldgefühle.

»Aha. Du hast in Spanien also das Leben eines 24-Stunden-Party-Girls gelebt«, kommentiert sie und fasst die Geschichte zusammen. »Und wie hat das dazu geführt, dass du verheiratet bist? Warst du betrunken?«

»Die meiste Zeit, ja – aber nicht als wir geheiratet haben, da nicht. Es war mit viel Papierkram verbunden, ein richtig langer, schleppender Prozess, bis alles legal war. Irgendwie wünschte ich heute, ich hätte aufgegeben, aber so ist das Leben – wenn du schon einen schrecklichen, lebensverändernden Fehler machen musst, kannst du ihn auch richtig machen …«

»Warum war es so ein Fehler?«, fragt sie, und ich weiß, dass ihre überaktive Vorstellungskraft auf Hochtouren läuft, um die Lücken mit allen möglichen schrecklichen Dingen zu füllen.

»Er hat mich nicht als Sklavin verkauft oder in einem Keller angekettet, da kannst du beruhigt sein«, erkläre ich schnell. »Es sind schlimme Dinge passiert, aber nicht solche. Ich habe Seb in der Bar kennengelernt, in der ich gearbeitet habe. Er ist jeden Abend vorbeigekommen, und wir haben geflirtet, geredet, und er hat mir Drinks spendiert. Schließlich ist er geblieben, wenn die Bar zugemacht hat, hat mir geholfen aufzuräumen, und dann sind wir tanzen gegangen und haben ein paar Pillen eingeworfen. Na ja, ich schätze, es war eine auf Begierde und Highsein basierende Beziehung. Das Problem mit dem Highsein ist, dass du irgendwann auch wieder runterkommst.«

»Was ist passiert, Auburn?«

»Scheiße ist passiert, Willow«, fauche ich zurück. Ich war nicht darauf vorbereitet, als ich heute Morgen aufgewacht bin, und ich habe nicht gelogen, als ich gesagt habe, dass ich all das verdrängt und vergessen hatte. Es ist eine Episode in meinem Leben, die so verrückt und so außerhalb jeglicher Kontrolle war, dass ich eigentlich nicht damit zurechtkomme, mich daran zu erinnern.

»Okay«, antwortet sie schnell, während sie nach meiner Hand greift und meine Finger drückt, als sie meine Qual spürt. »Es ist okay. Bist du deshalb zurückgekommen? Hast du deshalb studiert?«

Ich schaue in die Ferne, kaue auf meiner Lippe herum und drücke auch ihre Finger.

»Das wäre zu einfach, aber in gewisser Weise, ja. Als wir uns getrennt haben – ziemlich spektakulär, wie du dir denken kannst –, habe ich angefangen, über mein Leben nachzudenken und war davon überzeugt, dass ich es vermasselt habe. Dass ich etwas ändern muss. Dass ich weniger Aufregung, weniger Highsein und weniger Tiefs brauche, sondern Stabilität. Also bin ich abgehauen, zurück nach London. Dort habe ich eine Weile herumgehangen, bis ich mich entschieden habe zu studieren. Den Rest kennst du. Ich denke, das ist es erst mal … bitte zwing mich nicht, mehr zu erzählen, und bitte sei nicht verletzt. Ich rede nicht darüber, weil ich nicht kann oder dir etwas verheimlichen will, okay?«

»Okay, ich hab’s verstanden. Das ist in Ordnung. Erzähl mir den Rest, wenn du dazu bereit bist. Nur noch eine einzige Frage …«

Ich nicke und lasse sie ihre Frage stellen. Ich weiß bereits, wie sie lauten wird.

»Wenn alles aus ist, du ihn seit Jahren nicht gesehen hast und all das der Vergangenheit angehört … warum hast du dich dann nicht scheiden lassen?«, fragt sie ruhig.

Das war die Frage, mit der ich gerechnet hatte. Und um fair zu sein, habe ich mich das über die Jahre auch Hunderte von Malen gefragt. Und nie eine Antwort darauf bekommen. Es ist kompliziert, vielschichtig, vielleicht voller emotionaler und praktischer Schlaglöcher. Ich könnte ihr das alles erklären, doch ich kann mich nicht dazu überwinden. Ich muss es simpel halten, um unser beider willen.

»Ich denke, weil ich ein ziemliches Arschloch bin, Schwesterherz«, sage ich schließlich.

»Aha«, kommentiert sie weise. »Die Arschloch-Verteidigung. Na gut … dem kann ich nicht widersprechen …«

3. Kapitel

Willow gesellt sich schließlich wieder zu den Damen im Café, während ich beschließe, das nicht zu tun. Ich fühle mich durchgeschüttelt und -gerüttelt wie die Martinis, die ich getrunken habe, und ertrage den Gedanken nicht, dass alle mich auf diese besorgte, neugierige Weise ansehen. Ich fühle mich so schon genug als Freak, ich muss das nicht auch noch vor dem Kuchen-Kollektiv zur Schau stellen.

Niemand von ihnen würde mich verurteilen oder aushorchen oder etwas anderes als nett und verständnisvoll sein. Sie haben alle komplizierte Lebensabschnitte hinter sich, mit Ex-Ehemännern, toten Ehemännern und imaginären Ehemännern, mit Verlust, Schmerz und Verletzungen. Aber alle haben es geschafft, sich irgendwie neu aufzustellen. Hier in Budbury, wo zerbrochene Existenzen keine Seltenheit sind. Ich weiß, dass sie ihre Arme ausbreiten und mich wie eine weiche Matratze auffangen würden, wenn ich fallen sollte. Sie liegen mir am Herzen, ich mag sie und vertraue ihnen. Ich bin mir nur nicht hundert Prozent sicher, ob ich das auch von mir sagen kann, zumindest nicht immer. Ich versuche, ein besserer Mensch zu sein – Wurzeln zu schlagen, bei der Familie zu bleiben, die mich braucht, einer Arbeit nachzugehen, die Sinn macht. Versuche, sie nicht sitzen zu lassen und abzuhauen. Versuche, mein besseres Ich zu sein, wie man es vielleicht in einer amerikanischen Diskussionsrunde im Fernsehen ausdrücken würde.

Doch mein besseres Ich fühlt sich im Moment irgendwie angeschlagen und möchte sich fortschleichen. Vor nicht allzu langer Zeit hätte ich mich zu einem anderen Kontinent davongemacht – aber jetzt ist mein Leben hier. Weil Lynnie, Willow und Finn hier sind.

Ich sitze an diesem Tisch, spüre die Wärme der Sonne auf meinem Gesicht, wie man das nur tut, wenn sie nach dem Winter zum ersten Mal zurückkommt, und frage mich, was ich jetzt tun soll. Die Drogerie hat zu Ehren von Lauras Party heute geschlossen. Lynnie ist nicht da. Ich will nicht wieder reingehen. Vor mir liegt einer der seltenen freien Nachmittage, und bis ich an Finn denke, habe ich nicht die geringste Idee, was ich damit anfangen soll.

Sobald ich an Finn denke, lächle ich. Für mich ist das ein seltsames, neues Gefühl – dass mich allein der Gedanke an einen Mann zum Lächeln bringt. Nicht nur auf eine ›Wow, er hat’s begriffen‹-Weise – obwohl das auch mitschwingt, sondern auch weil er lustig, nett und geduldig und in vielerlei Hinsicht stark ist. Körperlich, klar – er ist ein Bär von einem Mann –, aber auch auf eine subtilere Weise. Er ist einer dieser Menschen, auf die alle hören, obwohl er nie die Stimme erhebt. Ein geborener Anführer, schätze ich, der in einer alternativen Realität ein hohes Tier beim Militär sein könnte oder als Herrscher der Welt gewählt worden sein könnte.

In Wahrheit leitet er Briarwood, Toms Schule für junge Superhirne. Sie hat erst letztes Jahr aufgemacht, und zunächst hat Tom versucht, sie selbst zu leiten, doch es hat zu viele Probleme gegeben. Unter anderem weil extrem schlaue Leute manchmal auch extrem dumm sein können. Es hat gebrannt, es gab Nervenzusammenbrüche und kleinere Explosionen. Auch das Nachspielen berühmter Jedi-Kämpfe gehörte zu den besonderen Ereignissen des Schulalltags, bei dem richtige Glaslichtröhren verwendet wurden.

Schließlich hat Tom – der wahnsinnig reich ist, weil er Sachen erfunden hat, die ich nicht verstehe und für die ich mich auch nicht interessiere – beschlossen, jemanden einzustellen, der die Schule managt und sich um die Leute, die dort leben, kümmert.

Ich war in die Bewerbungsprozedur involviert, weil ich darauf bestanden habe, und Finn hat den Job bekommen. Das ist jetzt Monate her, und zwei davon sind wir zusammen. Zwei ganze Monate – und bis jetzt hat es nicht einen einzigen Knall gegeben, das reicht als Beweis, dass Finn Jensen wirklich irgendein Superwesen sein muss. Weil er es so lange mit mir ausgehalten hat, hat er vielleicht sogar einen Anspruch auf Heiligsprechung.

Ich mache mich auf den Weg und weiß, dass er lang sein wird – Briarwood liegt außerhalb des Dorfs auf einem Berg, umgeben von der Art Wildnis, die für Bear Grylls eine Herausforderung wäre. Aber ich habe etwas getrunken und kann deswegen nicht Auto fahren. Der Marsch und die frische Luft werden mir auf jeden Fall guttun.

In der nächsten halben Stunde sage ich mir das immer wieder, während die Sonne immer mehr Wärme verströmt, die Wirkung des Alkohols nachlässt und ich mich nach einem Glas kalten Wasser sehne. Als ich schließlich in Briarwood ankomme, ist mir heiß, und ich bin beunruhigt. Inzwischen ist mir etwas klar geworden: Ich muss Finn von Seb erzählen.

Ich hätte ihm schon vor Ewigkeiten von Seb erzählen sollen, aber ich habe niemandem von meiner Ehe erzählt. Jetzt ist die Katze nicht nur aus dem Sack, sondern hat im Café wahrscheinlich auch Junge bekommen – es wird nur eine Frage der Zeit sein, bis jemand ihm gegenüber beiläufig etwas erwähnt, was unfair und für uns beide unangenehm wäre.

Ich gehe an dem Hauptraum des Gebäudes vorbei, der vor Death-Metal-Musik vibriert. Diese verrückten Burschen lieben ihre Musik wirklich. Ich werfe einen Blick durch die großen Erkerfenster und sehe sie bei der Arbeit: enge Jeans, leuchtende Haare, Rock-T-Shirts, Piercings, Brillen und eine lebensgroße Nachbildung von ET. Sie ist neu, und ich muss lächeln, während ich durch die Tür in die Diele trete.

Das Haus selbst ist wahrscheinlich viktorianisch und hat einmal einer Landadelfamilie gehört, die in Geldnöte geraten ist. Später war es ein Kinderheim – eine Art vornehmes privates Waisenhaus –, in dem Tom nach dem Tod seiner Eltern selbst ein paar wichtige Jahre seines Lebens verbracht hat. Hier ist er Willow zum ersten Mal begegnet, als wir alle noch Kinder waren – Lynnie hat vor ihrer Alzheimer Erkrankung hier gearbeitet und Yoga- und Kunstworkshops für die jungen Leute geleitet.

Danach ist es verfallen, bis Tom zurückgekommen ist und es wieder instand gesetzt hat. Jetzt ist es lebendig und laut und voller Energie, und das macht mich glücklich. Ich gehe den Gang zu Finns Büro hinunter, wo er auch seine Wohnung hat. Dort gibt es einen dieser wunderbaren Wasserspender, die herrliche, glucksende Geräusche von sich geben, während sie dein Glas füllen. Die reinste Wonne.

Vor seiner Tür bleibe ich stehen und streiche mir schnell ein paar Haare aus dem Gesicht. Mein Haar ist lang, glatt und tiefrot, weshalb ich meinen Namen trage. Meine Geschwister und ich haben alle Namen erhalten, die zu unserem Aussehen bei der Geburt gepasst haben – Willow war groß und schlank, Van hatte ein lustiges Ohr und Angel sah aus wie ein Cherub.

Im Moment ist mein Haar ein bisschen verschwitzt und klebt an meinen Wangen. Kein schöner Anblick. Nachdem ich mich überzeugt habe, dass ich ordentlich aussehe, klopfe ich an die Tür, um ihn vorzuwarnen, und trete ein.

Finn sitzt hinter seinem Schreibtisch. Er sieht aus wie ein Gott. Er ist groß und breitschultrig und dank seines dänischen Großvaters hat er seidiges blondes Haar, das er etwas länger trägt, kristallblaue Augen und goldene Barstoppeln. Sein Gesicht wird von hohen, breiten Wangenknochen und einer leicht gebogenen Nase dominiert. In dem Moment, als er mich sieht, lächelt er mich an, und mir läuft sofort ein Schauer den Rücken hinunter.

»God Dag, mein Herr«, begrüße ich ihn und mische absichtlich Dänisch und Deutsch, weil ich weiß, dass ihn das auf die Palme bringt.

»Guten Morgen, mon petit chou-fleur«, antwortet er schnell und lehnt sich in seinem Stuhl zurück.

»Ich liebe es, wenn du mich nach einem Gemüse benennst«, sage ich, während ich mich auf seinen Schreibtisch setze und im Raum umsehe. In einer Ecke entdecke ich eine seltsame Beute, auf die mit einem Marker ACME gekritzelt ist, und frage: »Ist das eine Kiste mit Dynamit?«

»Fast. Die Kiste ist voller Feuerwerkskörper, die ich von einem besonders explosiven Mitglied des Intelligenzkartells konfisziert habe.«

So etwas passiert hier häufig. Es ist einer der Gründe, aus denen Finn zunächst eingestellt wurde. Feuerwerkskörper. Wie blöde und kindisch ist das denn.

»Wann wird es denn im Moment dunkel?«, frage ich und denke an Sternenregen.

»Nein«, sagt er nur und grinst mich an. »Du kannst sie nicht haben. Du bist auch ohne die Feuerwerkskörper schon explosiv genug. Was machst du hier? Nicht dass ich mich nicht freue, dich zu sehen, aber ich dachte, du wärst auf Lauras Feier.«

Er wartet und sieht mich von oben bis unten an, dann meint er traurig: »Ich kann es nicht glauben, du warst auf einer Party im Café und hast mir keinen Kuchen mitgebracht.«

»Tut mir leid«, antworte ich, und das tut es wirklich. Es hat etwas von einer Sünde, mit leeren Händen in den Food-Himmel zu kommen. Cherie hat mit ihrem üblichen Trick sein ganz besonderes Lieblingsessen herausgefunden – irgendein verrücktes dänisches Reisdessert mit Mandeln und Kirschsoße – und serviert es ihm so oft, dass er eigentlich die Maße eines Sumo-Ringers haben müsste.

Aber die hat er nicht. Er ist nahezu perfekt, vor allem heute. Er macht eine Menge wilder Dinge wie Surfen, Segeln und Bergwandern, und es ist nicht weiter schwierig, ihn sich am Steuer eines großen Wikingerschiffs vorzustellen, während er einen Überfall auf die ahnungslosen Rübenbauern plant. Durch seine vielen Outdoor-Aktivitäten hat er das ganze Jahr über einen leicht goldenen Teint, der seine Augen strahlen und seine Bartstoppeln schimmern lässt. Ach, du heilige Scheiße.

Jetzt sitzt er in einem weißen Hemd da, von dem die obersten Knöpfe offen sind, was mich immer besonders antörnt. In Briarwood gibt es keinen Dresscode, aber er trägt diese halb formellen Hemden zur Arbeit. Er sagt, dass sie ihn von den anderen unterscheiden und sie dazu bringen, ihn mehr wie einen Erwachsenen zu behandeln.

Er sieht definitiv wie ein Erwachsener aus, und ich frage mich bereits, ob er Zeit für einen kurzen Abstecher in das angrenzende Boudoir hat, um etwas Erwachsenenzeit mit mir zu verbringen. Doch ich erinnere mich daran, warum ich hier bin, und verwerfe es schnell wieder. Beinahe.

Er hält einen Brief in der Hand, den er offensichtlich gerade gelesen hat, und ich schinde Zeit, indem ich frage: »Was ist das?«

»Eine Einladung. Zu einer Konferenz.«

»Oh! Zu einer Konferenz! Wie aufregend – kann ich mitkommen? Gibt es eine protzige Hotelsuite und unanständige Filme? Kostenloses Gebäck und Namensschilder, sodass ich mich für jemand anderen ausgeben kann? Um was geht es? Ich liebe Konferenzen!«

Er zieht amüsiert eine Braue hoch und antwortet sehr bedächtig: »Es geht um institutionelle finanzielle Prozesse für in Buchhaltung ahnungslose Manager, und ich wohne in einer Travellodge.«

»Oh … dann vielleicht eher nicht. Fahr lieber alleine. Wann ist das?«

»In ein paar Wochen. Geht es dir gut?«

»Mehr oder weniger. Es ist mir schon besser gegangen. Okay«, sage ich, während ich meine Gedanken sammle. »Ich muss dir etwas Wichtiges erzählen. Es ist nichts Schlimmes, aber es ist wichtig. Ich bin nur gerade richtig scharf auf dich und würde dich am liebsten ganz bald nackt sehen. Es liegt also an dir – reden oder Sex?«

Er klopft mit seinen langen Fingern auf den Schreibtisch und schenkt mir ein wildes Lächeln, das nicht dazu angetan ist, meine leichtsinnige Libido zu beruhigen.

»Das klingt aufregend«, sagt er, und seine veränderte Sitzposition sagt mir, dass ich sein Interesse definitiv in mehr als einer Beziehung geweckt habe.

»Einerseits bin ich ein Mann, sodass jeder Instinkt mir rät, dass ich erst Sex und dann reden will«, fährt er fort.

Ich hoffe, dass er sich dafür entscheidet, doch irgendetwas sagt mir, dass er das nicht tun wird. Er ist verdammt noch mal zu clever, um in meine üble Falle zu tappen.

»Andererseits … komme ich mir möglicherweise schäbig vor, wenn ich dich gewähren lasse und du mir anschließend etwas Unerfreuliches erzählst. Also muss ich mich widerwillig dafür entscheiden, dass wir erst reden. Und, je nachdem worüber du mit mir reden willst, später Sex haben.«

Ich nicke und beiße mir auf die Lippe, während mir klar wird, dass es keine einfache Möglichkeit gibt, das hier hinter mich zu bringen – ich muss es einfach hinter mich bringen.

»Okay. Gut. Die Sache ist die, dass ich dir das schon früher hätte sagen sollen, das ist mir klar, nur die Sache ist die …«

Er sitzt still und schweigend da und sieht mich mit seinen blauen Augen ruhig und unnachgiebig an. Ich könnte sein kühles Verhalten wahrscheinlich knacken, wenn ich meinen BH ausziehen und vor seinem Gesicht mit meinen Brüsten wackeln würde – das hat bisher immer funktioniert –, doch ich weiß, dass ich das nicht tun sollte. Ich weiß, dass er recht hat.

»Die Sache ist die, dass ich verheiratet bin, irgendwie.«

Ich sehe erst meine Knie an, die nervös auf und ab wippen, obwohl ich ihnen das nicht erlaubt habe, dann wende ich Finn meinen Blick zu.

Er wirkt immer noch ruhig. Er wendet den Blick von mir ab, blickt kurz aus dem Fenster und sieht mich wieder an.

»Du bist verheiratet?«, wiederholt er, seine Stimme ist leise und erschreckend ernster als noch vor ein paar Minuten. Was verständlich ist, nehme ich an.

»Ja!«

»Aber du bist nicht mit ihm zusammen?«

»Nein! Mein Gott, nein!«, sage ich energisch. Mir wird plötzlich klar, dass er vielleicht gedacht hat, dass das alles noch sehr viel schlimmer ist, als es ist. Mein Fehler, dass ich mich nicht klar ausgedrückt habe.

»Nein«, sage ich noch einmal, greife nach seiner Hand und halte sie fest. »So ist das nicht. Es ist keine dieser Geschichten, wie du sie im Internet findest. Ich habe kein geheimes Leben, einen Ehemann und Drillinge, die auf der Isle of Wight oder wo auch immer auf mich warten. Ganz bestimmt nicht, ehrlich. Ich habe vor Jahren geheiratet, als ich noch sehr viel jünger und dümmer war und in Spanien gelebt habe, aber wir haben uns getrennt. Ich bin zurück nach Hause gegangen und habe ihn seit Jahren weder gesehen noch gesprochen. Seit Jahren! Er existiert förmlich nicht in meinem Leben, nur auf dem Papier. Es ist aus und vorbei, und das schon lange. Es tut mir leid, dass ich dir das nicht gesagt habe und …«

An diesem Punkt verstumme ich, weil mir nichts mehr einfällt, das ich noch hinzufügen könnte. Er merkt, dass ich aufgehört habe zu reden, und ich sehe, wie er im Kopf alles durchkaut.

»Also«, sagt er dann langsam, »um das Ganze noch mal zu rekapitulieren – du bist mit einem Mann verheiratet, den ich nicht kenne. Die Beziehung ist vor Jahren zerbrochen. Seitdem hast du ihn nicht mehr gesehen. Ich habe absolut nichts damit zu tun, dass es nicht funktioniert hat?«

Finn würde sich das zwangsläufig fragen, das hätte ich wissen müssen. Er ist das Produkt einer äußerst miesen Scheidung – sein Dad hatte eine Affäre, aus der sich eins dieser wunderbaren Szenarien entwickelt hat, bei denen zwei Erwachsene beschließen, ein Kind als Handelsgut zu missbrauchen. Deswegen ist seine Reaktion völlig verständlich. Er würde es sich niemals verzeihen, zum Scheitern einer Ehe beigetragen zu haben.

»Ich kann dir zu hundertzwanzig Prozent versichern, dass du das nicht hast.«