WeihnachtsWunderWonnebuch - Bernd Schwarze - E-Book

WeihnachtsWunderWonnebuch E-Book

Bernd Schwarze

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Beschreibung

Weihnachten, das ist die Zeit, in der man sich Geschichten erzählt. Und keiner kann das besser als Bernd Schwarze. Ob es um das Kamel Mahdiya geht, die Verfilmung des Wunders von Bethlehem oder eine sonderbare Versammlung von Zauberern. Herzerwärmend, besinnlich, poetisch und mit einem Augenzwinkern variiert der Spiegel-Bestsellerautor Bernd Schwarze die Motive der Heiligen Nacht und verwebt sie mit menschlichen Schicksalen, die berühren und zum Nachdenken anregen.

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Seitenzahl: 168

Veröffentlichungsjahr: 2025

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© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2025

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Umschlaggestaltung: Gestaltungssaal, Rohrdorf

Umschlagmotiv: © Gaia Victoria Kais - GettyImages, © Sabine Hanel, Gestaltungssaal

Satz und Innengestaltung: Sabine Hanel, Gestaltungssaal, Rohrdorf

Illustrationen im Innenteil: © Gaia Victoria Kais - GettyImages, © Sabine Hanel, Gestaltungssaal

E-Book-Konvertierung: Newgen Publishing Europe

ISBN Print 978-3-451-39883-4

ISBN E-Book (EPUB) 978-3-451-84975-6

BERND SCHWARZE

WeihnachtsWUNDERWONNEBUCH

Geschichten fürs Sofa und den Tannenbaum

Für Esther

INHALT

Vorwort

Erster Teil – Zum Vorlesen

Mahdiya und der Weihnachtsstern

Die Konferenz der Zauberer

Der Dichter und der Schneekristall

Der Schäfer mit dem Hund

Stell dir vor, ein Kind kommt in die Stadt …

Das Wunder von Bethlehem. Der Film

Luisas Weihnachtstraum

Testimonio, Stern von Bethlehem

Das Haus der vierundzwanzig Lichter

Die Weihnachtszahl

Almas Almanach

Es kommt ein Schiff geladen

Leuchtende Erwartung

Zweiter Teil – Zum Nachsinnen

Der Garten im Haus der Widersprüche

Die erträgliche Schwerkraft des Seins

Firlefanz

Gott ist ein Dichter

Dritter Teil – Ausklang

Epiphanias

Ode an das O

Wintersonette

Weißt du? (Sternlein-Variationen)

Nach Weihnachten

Über den Autor

Über das Buch

Vorwort

WeihnachtsWunderWonnebuch. Was für ein Titel! Klingt schön. Allerdings nicht bescheiden. Eher vollmundig. Hat sich jemand aus der Marketingabteilung diesen Namen ausgedacht? Oder ist der Autor selbst ganz verrückt nach diesem Fest, dass er sich gar nichts Schöneres vorstellen kann?

Weder noch. Der Titel kam mir einfach in den Sinn, als ich die ersten Zeilen tippte. Und er ist geblieben, auch wenn ich weiß, dass Weihnachten mehr als nur Wunder und Wonne bedeutet. Weihnachten ist den einen ein Schmaus und den anderen ein Graus. Weihnachten ist Theologie und Geschäft, ist Kirche, Kunst und Kitsch zugleich. Da sind große Erwartungen, die sich nicht immer erfüllen. Große Gefühle, die einen überfordern können. Und während die eine sagt, dass sie es kaum erwarten kann, denkt der andere: Wenn es doch schon vorbei wäre!

Ich kenne das alles nur zu gut, denn – ein wenig überspitzt gesagt: Weihnachten ist mein Beruf. Pastorinnen und Pastoren tun zwar auch jede Menge andere Dinge, und manchen von uns liegen andere Aufgaben mehr als die spektakulären Auftritte in voll besetzten, oft schlecht beheizten Kirchen mitten im Winter. Weihnachten ist dennoch Herzschlag pur. Der kirchlichen Tradition nach mögen Ostern und Pfingsten die wichtigeren Feste sein. Das ändert jedoch nichts daran, dass Weihnachten zum großen Volksfest wurde. Während die Erzählungen von Kreuz und Auferstehung Jesu Christi die Höhepunkte von gleich vier Evangelien bilden und auf frühe Überlieferungen zurückgreifen, sind die Geschichten um Christi Geburt bei Matthäus und Lukas nur späte Legenden. Und doch dürften die Worte „Und es begab sich zu der Zeit …“ die bekanntesten des Neuen Testaments sein.

WeihnachtsWunderWonne. Wie hat es mit diesem Buch angefangen? Nun, es begab sich zu der Zeit, als ich in St. Marien zu Lübeck, der berühmten Mutterkirche der Backsteingotik, ganz neu in meinem Amt als Pastor für stadtkirchliche Projekte war. Das ist mehr als zwanzig Jahre her. Michael D. Müller, seinerzeit Leiter der Lübecker Knabenkantorei, fragte mich, ob ich Lust hätte, das Weihnachtssingen der Lübecker Knabenkantorei mit Lesungen zu begleiten. Es kostete mich schon ein wenig Mut, mich darauf einzulassen. Denn zum einen war und ist dieses Weihnachtssingen vielleicht das wichtigste Lübecker Kulturereignis der Adventszeit – mit vier Aufführungen und insgesamt mehr als fünftausend Besuchern. Und zum anderen wusste ich nicht gleich, was ich da denn vorlesen sollte. Die Weihnachtsgeschichte nach Lukas hätte wohl genügt, aber das fand ich zu absehbar. In einer Buchhandlung kaufte ich alles auf, was zum Thema Weihnachten damals erhältlich war. Doch nahezu alle Geschichten, die ich mir zu Gemüte führte, waren entweder traurig-kitschig oder reichlich alt und fast immer zu lang.

So beschloss ich, eine eigene Geschichte zu schreiben, eine, die in der Gegenwart und mitten im Leben spielt. Michael und ich gestalteten das Konzertprogramm dann so, dass mehrere Teile meiner Lesung thematisch gut eingepasst waren in den Reigen der Adventschoräle und Weihnachtslieder. Vor der Premiere waren wir beide, wie auch die Knaben des Chors, sehr aufgeregt. Und siehe da: Die Leute mochten es.

Von da an musste ich mir viele Jahre lang immer wieder neue Geschichten ausdenken. Die meisten waren heiter, manche auch ernst und tiefgründig. Im Lauf der Jahre wurden es immer mehr Konzertbesucher, die nach einer Druckfassung der Geschichten fragten. Wir fertigten Fotokopien an und verteilten sie für einen kleinen Obolus zugunsten der Kantorei. Es mehrten sich die Anfragen von Kirchengemeinden, Sportvereinen, Serviceclubs, die eine dieser Erzählungen im Festprogramm ihrer Weihnachtsfeier von mir vorlesen lassen oder selbst vortragen wollten. Und mehr als einmal wurde ich gefragt: „Wann kommt endlich ein Buch mit Ihren Geschichten heraus?“

Hier ist es. Das WeihnachtsWunderWonnebuch. Und es trägt diesen Namen, weil es von Weihnachten handelt, weil es von Wundern aller Art berichtet und beim Lesen und Vorlesen hoffentlich Freude und Wonne auslöst. Alle Lesungen aus den Weihnachtskonzerten, die den ersten Teil des Buches ausmachen, habe ich gründlich überarbeitet. Denn die meisten von ihnen waren ursprünglich an die jeweilige Zeit in Lübeck angepasst, verbunden mit Anspielungen an Themen, welche die Stadtgesellschaft gerade beschäftigten. Auch hatte ich häufig die Leistungen der Knabenkantorei und Verweise auf die Kirche in der Mitte der Stadt in die Geschichten eingeflochten. Von den hier veröffentlichen Erzählungen spielt nur noch eine in St. Marien zu Lübeck, und ich finde, das sollte auch so sein.

Lesen Sie sie Geschichten im Stillen, für sich allein, wenn Sie mögen. So richtig zum Leben kommen sie aber erst, wenn man sie vorliest, beim Adventskaffee, bei der Weihnachtsfeier im Betrieb oder Verein, am Heiligen Abend im Kreis der Familie oder der Freunde. Oder in den heiklen Nachmittags- und Abendstunden des ersten oder zweiten Weihnachtstags, wenn es allmählich dunkel und langweilig wird und die Stimmung zu kippen droht. (Bei Ihnen passiert das natürlich nicht. Aber es soll Familien geben …)

Es dürfte sich auch lohnen, die Konzertatmosphäre des Ursprungs dieser Geschichten in bescheidenem Rahmen nachzuempfinden. Man kann, aber muss nicht gleich eine ganze Kantorei dazu buchen. Warum nicht einfach ein paar Weihnachtslieder aussuchen, die man vor und nach dem Vorlesen und zwischen den drei oder vier Kapiteln gemeinsam singen kann? So wird aus einer Solodarbietung ein kulturelles Mitmachprogramm.

Auch die Geschichten des zweiten Teils des Weihnachts-WunderWonnebuchs eignen sich zum Vorlesen. Aber vielleicht nicht so sehr für einen Abend mit Kindern, denn dafür sind sie wohl zu ernst und mit einem „erwachsenen“ philosophischen Anspruch versehen. Es sind Texte, die auf Predigtideen zurückgehen oder die ich zunächst als Wortbeiträge für die nächtlichen Performances namens „Petrivisionen“ in meiner Wirkungsstätte St. Petri zu Lübeck geschrieben habe. Sie sind fürs Nachsinnen gedacht und sollen dazu anregen, sich auf die großen Fragen nach Sein und Sinn seinen eigenen Reim zu machen.

Gereimtes und Poetisches findet sich im dritten und letzten Teil des Buchs. Auch manche dieser Verse haben ihren ursprünglichen Sitz im Leben in kirchlichen Veranstaltungen. Vor allem in St. Petri. Wenn dort zum Beispiel in St. Petri das Epiphanias-Konzert „Sternenklang“ mit herausragenden Musikern und ausgewählten Werken ansteht, sollten die Worte des Gastgebers wenigstens versuchen, sich der Kunst anzunähern. Auch ein Grußwort oder eine Predigt sollte, so sehe ich es, Kunst im Medium des Wortes sein.

Falls Sie mich fragen, welche denn meine liebste Weihnachtsgeschichte ist, dann sage ich ohne falsche Demut: keine von meinen eigenen, auch wenn ich sie alle ganz gelungen finde. Die schönste, die ich kenne, stammt vom amerikanischen Autor Paul Auster und heißt „Auggie Wren’s Weihnachtsgeschichte“.

Im Film Smoke von Wayne Wang wird sie vom Schauspieler Harvey Keitel erzählt. Sie scheint auf den ersten Blick gar nicht so viel mit der klassischen Weihnachtsbotschaft zu tun zu haben, auch wenn sie an einem Weihnachtsabend in Brooklyn spielt. Doch mehrmals gelesen oder gehört, spürt man: Sie ist Weihnachten pur und exzellent erzählt. Sehr irdisch-menschlich ist, was da alles passiert, und gerade darum bestens geeignet, sich dem Geburtstag eines Menschenkindes würdig zu erweisen. Die Geschichte ist ein bisschen verrückt, und gerade das gefällt mir daran. An Auggie Wren habe ich oft gedacht, als ich meine Geschichten erfunden habe. Erreicht habe ich ihn nie, aber ich bin auch nicht Paul Auster. Ich bin nur ein Pastor, der gern Geschichten erzählt. Gesegnete Weihnachten!

ERSTER TEIL ZUM VORLESEN

Mahdiya und der Weihnachtsstern

Aus dem Logbuch eines Wüstenschiffs

I

Kühl ist die Wüstennacht. Aber warm und heimelig scheint das Licht der Öllampe durch den Leinenstoff des Zeltes. Die drei Männer, die drinnen sitzen und schon seit Stunden heftig diskutieren, sehen groß und mächtig aus. Doch es sind ja nur ihre Umrisse, ihre vergrößerten Schatten, die zu uns nach draußen dringen und die jede ihrer Bewegungen so wichtig und bedeutend erscheinen lassen. Meine Gefährten nehmen kaum Notiz davon. Sie nagen weiter an dem dürren Gestrüpp, das bei der Lagerstätte wächst, bescheiden wie sie sind. Ein bisschen trockenes Gras ist für unsereins schon eine Delikatesse.

Ich habe keine Zeit zum Futtern, denn ich muss Logbuch schreiben. Das ist bei uns so Brauch. Da man uns Kamele auch Wüstenschiffe nennt, müssen wir wie Kapitäne zur See unsere Routen genau dokumentieren und alle Tagesereignisse auf einem Papyrus vermerken. Für einen Paarhufer ist es gar nicht so einfach, einen Kohlestift zu führen, zumal wir auch noch zu den sogenannten Schwielensohlern gehören. Khaled und Bashir haben es nicht so mit dem Schreiben, und darum erledige ich das für die ganze Truppe. Bashir ben Ahmad ist schon recht betagt, hat wie sein Besitzer schlechte Augen, ist aber immer noch gut zu Fuß. Khaled ben Djamal dagegen ist ein echter Jungspund. Vor Kurzem hat ein Scheich seinem Herrn tausend Denar geboten, weil er ihn als Rennkamel zurichten wollte. Und ich, Mahdiya, liege so dazwischen, genau wie mein Besitzer Melchior, der als Astrologe sein Brot verdient. Khaled gehört zu Kaspar, dem Jüngsten der drei Weisen, der sich augenzwinkernd auch als Magier bezeichnet. Und der alte Bashir dient dem Balthasar als Reittier, den sie wegen seines langen Barts und seiner umfassenden Bildung auch den Philosophen nennen.

„Du und deine ewige Wahrsagerei!“

Ich zucke zusammen, als Balthasars kräftige Stimme aus dem Zelt dröhnt, das sie heute Nacht in der Nähe von Palmyra aufgeschlagen haben. Sein Schatten lässt erkennen, wie er abwehrend beide Arme von sich streckt. Sogar mein gefräßiger junger Gefährte Khaled erschrickt und vergisst für einen Moment zu kauen. Melchior, mein Herr, hat gerade versucht, den beiden anderen Weisen etwas über die weltverändernde Kraft zwischen Jupiter und Mars zu erklären.

„Diesen Unsinn“, schimpft der alte Balthasar im Zelt, „diesen Unsinn kannst du an die bunten Papyri liefern, die das Volk für dumm verkaufen. Steht der Mond im siebten Haus, sieht die Zukunft trübe aus. Haha! Die Weisheit, die die Welt voranbringt, steht in einem anderen Buch“, tönt er, und ich spüre geradezu, wie Melchior in sich zusammensackt.

„Es geht um viel mehr“, fährt der Alte fort, „um die Rettung der Welt, den Frieden und das Ende der Not.“

Ich seufze und hebe meinen Blick hilfesuchend zum Himmel. Die Themen, über die sie streiten, sind ja wichtig. Aber dieser ständige Zank geht mir manchmal ganz schön auf die Höcker.

Aber was ist das? Da oben, ganz hell! Ich bin nicht vom Fach, erkenne gerade mal den Großen Wagen und kann mich am Nordstern orientieren. Und vom Andromedanebel habe ich gehört und mir den Namen gemerkt, weil der ein bisschen nach uns Kamelen klingt. Aber was da jetzt leuchtet, das habe ich noch nie gesehen. Schon ein bisschen wie ein Stern, aber er scheint sich zu bewegen, in kleinen, sanften Schüben, so als wollte er uns locken. Ich stupse meine beiden Kameraden an, und sofort recken sie ihre Hälse zum Himmel und blähen irritiert ihre Nüstern.

Khaled ist wieder einmal der Schnellste. Mit seinen Vorderzähnen schnappt er nach der Zeltplane, um unsere Herren aus dem Streitgespräch zu reißen. Das Leinen bebt und das Öllämpchen flackert. Nach und nach tauchen drei Gesichter aus der Eingangsluke hervor: Kaspars schönes dunkelhäutiges Antlitz, Balthasar mit seinem Rauschebart und Melchior, mein Meister, dessen geschulter Astrologenblick sofort das Wunder am Firmament erspäht.

„Da seht ihr’s! Glaubt ihr’s nun?“, ruft er und streckt seine ganze Hand dem Himmelsphänomen entgegen, als wollte er danach greifen. Balthasar blinzelt mit den müden Augen, murmelt etwas von optischen Täuschungen und atmosphärischen Entladungen, ist aber zugleich auch ein wenig fasziniert. Und Kaspar ist wie immer gleich Feuer und Flamme.

„Es könnte ein Trick sein“, sagt der geschulte Magier, der mit einem Fingerschnippen ganze Wüstenfüchse aus der Kapuze seines Gewandes zaubern kann. „Aber wenn, dann ist es ein guter.“

Und mit einem Mal scheint das Strahlen dieses Sterngebildes noch zuzunehmen.

„Meine liebe Mahdiya.“ Melchior schaut mich an, versetzt mir einen sanften Klaps und wendet sich dann seinen Kameraden zu.

„Es wird Zeit, die Kamele zu satteln.“

Doch zunächst führen uns die drei Weisen zu der kleinen Oase ganz in der Nähe. Je dreißig Liter Wasser tanken Khaled, Bashir und ich in unsere Mägen. Zusammen mit dem Fett, das wir in unseren Höckern speichern, genügt es, dass wir drei Wochen lang ohne Rast und Ruhe marschieren können. Wir sind Überlebenskünstler und lieben die Extreme. Nur wer etwas wagt, nähert sich den Geheimnissen der Welt. Nicht nur unsere Meister, auch wir haben gespürt, dass es an der Zeit ist aufzubrechen, weil westwärts von diesem Ort etwas Großes auf uns wartet.

II

Lang, sehr lang war die Reise. Und so heiß, wie es zumeist an den Tagen war, so eisig war es während der Nächte. Die Last war nicht leicht zu tragen. Einmal dachte ich, mein Meister Melchior muss sich das mit dem Fettspeichern bei mir abgeschaut haben. Auch die Taschen mit Proviant und die Kästchen mit den edlen Gaben wogen schwer, sodass ich manchmal stöhnen musste. Melchior hat mir dann sanft den Nacken gestreichelt und gesagt: „Es ist nicht mehr weit, mein Mädchen. Wir sind bald am Ziel.“

Während Khaled, Bashir und ich weitertrabten und dem Stern folgten, der uns den Weg wies, fingen unsere Reiter wieder an zu diskutieren. Jeder hatte eine Idee, was es am Ende unserer Reise zu entdecken gebe.

„Ein Orakel“, sagte Melchior, „eine Quelle, wo sich aus irdischen Dingen die Wahrheit über den Himmel ablesen lässt.“

„Nein. Eine Höhle der Erkenntnis wird es sein“, widersprach der alte Balthasar, „ein Schauraum der Wirklichkeit, der uns Menschen Demut lehrt.“

Kaspar hingegen schwärmte von einer Magierschule, in der man lernen könnte, über das Meer zu laufen und Wasser in Wein zu verwandeln. Und in einer besonders klaren Nacht beobachteten und studierten sie den Leitstern, der so lockend über uns strahlte. Sie entdeckten, dass dieser Stern am unteren Rande abgerundet war und nur oben die typischen Zacken hatte.

Kaspar rief: „Er sieht ja wie eine Krone aus!“ Und die anderen stimmten zu.

„Vielleicht müssen wir nach einem König Ausschau halten“, gab Balthasar zu bedenken.

Bald darauf, als wir uns Jerusalem näherten, sollten wir bereits einem König begegnen. Wir hielten ein kurzes Nachtlager vor den Toren der großen Stadt. Da kamen Männer herbei in glänzenden Uniformen, die einen Thronwagen zogen. Auf dem Thronsitz aus edelstem Holz und schimmernder Seide saß ein feister, finster dreinblickender Mann mit goldenem Geschmeide. Einer seiner Knappen stellte ihn als König Herodes vor.

„Meine Macht soll niemals wanken“, rief die Majestät. „Doch jetzt ist mir ein Gerücht zu Ohren gekommen, es sei ein neuer König geboren.“

Khaled scharrte mit dem Vorderhuf, Bashir schlackerte mit den Ohren, und mir selbst kam des Königs Botschaft unheilverheißend vor. Und unsere Meister? Nun, so weise sie auch sind, so naiv sind sie manchmal in den zwischenmenschlichen Dingen. Denn als Herodes ihnen befahl, für ihn nach diesem Königskind zu suchen, da nickten sie unterwürfig und bereiteten sogleich den Aufbruch zur Weiterreise vor. Der Stern wies den Weg in Richtung Bethlehem.

III

Wir waren überrascht, ja im Grunde enttäuscht, als wir den Ort entdeckten, an dem der Stern uns anzuhalten gebot. Jetzt lockte er nicht mehr mit sanften Schüben. Er verharrte, wo er war, und seine kronenartige Gestalt schien sich nun mehr tanzend um sich selbst zu drehen. Khaled prustete, als er den heruntergekommenen Schuppen sah, der offenbar das Ziel unserer Reise sein sollte. Wir alle hatten wohl eher mit einem Palast gerechnet, wie ihn die Sultane in unserer Heimat haben. Balthasar hatte ja eine Höhle erwartet. Damit lag er gar nicht so falsch, denn diese Stätte hier war wirklich grotte. Und dies soll der Geburtsort eines Königs sein?

Doch was klingt da in meinen Ohren? Das kann gar nicht sein! Kein Orchester weit und breit, und doch erschallt eine Symphonie aus zauberhaftem Harfen- und Posaunenklang. Ich schließe meine Augen zur Hälfte, und durch meine langen Wimpern, die sonst bei Wüstenstürmen den feinen Sand abfangen, kann ich sie erkennen: tänzelnd-schwingende Wesen zur Rechten, zur Linken und über dieser Stätte. Und sie singen, als habe sie der Himmel gesandt. Manchmal sieht man mehr, wenn man den Blick ein wenig nach innen richtet.

Kaspar, Melchior und Balthasar sind abgestiegen und haben uns an einem Pfahl vertäut, nur ein paar Ellen von dem Schuppen entfernt. Sie kramen in unseren Satteltaschen nach den Schatzkästchen, die sie mitgebracht haben. Behände schreiten sie nun auf das kleine Tor der Hütte zu, aus dem uns eine sanfte Wärme entgegenstrahlt. Kaspar geht sogar barfuß, aber das hat nichts mit Ehrfurcht zu tun. Khaled hat vor lauter Hunger bei der letzten Rast seine Sandalen gefressen.

Oh, jetzt kann ich es sehen! Ein Baby, das im Schoß seiner Mutter liegt, ein ganz gewöhnliches Menschenkind. Kann es sein, dass so ein Kind alle großen Fragen dieser Welt beantworten soll? Unsere Herren und Meister scheinen es jedenfalls so zu verstehen, denn nun knien sie nieder und breiten ihre Geschenke aus. Gold, Weihrauch und Myrrhe. Den Sinn dieser Gaben verstehe ich nicht. Vielleicht hat das wieder mit Magie oder Philosophie zu tun. Ich hätte dem Kind ein kleines Stoffkamel mitgebracht, ein flauschiges zum Liebhaben und Kuscheln. Denn ich wünsche diesem Kind ganz viel Liebe. Ärmlich wirkt es und wird wahrscheinlich auch arm bleiben. Doch es gibt Wichtigeres als Reichtum und Macht.

IV

Dieses Kind soll, wie das Gerücht besagt, einmal ein richtiger König werden. Dass es einmal in einem protzigen Thronwagen sitzen wird und einen Palast bewohnt, kann ich mir jedoch kaum vorstellen. Aber dass es ein König der warmen Herzen wird, der den Menschen zeigt, wie man lernt, das Leben zu lieben, das halte ich schon für möglich. Mich hat dieses Baby jedenfalls beeindruckt, in diesem kleinen Augenblick. Ich bin zwar nur ein Kamel, aber ich fand es tierisch menschlich, wenn ich das so sagen darf.

Kaspar, Melchior und Balthasar sind frohen Mutes zu uns zurückgekehrt und steigen wieder in die Sattel. Sie wollen Herodes aufsuchen, um ihm Bericht zu erstatten. Bashir zwinkert mir zu. Das alte Trampeltier führt etwas im Schilde, und ich ahne, was er denkt. Wenn wir jetzt ganz sachte drauflos schaukeln und gemächlich weitertraben, dann werden die müden Weisen auf unseren Rücken gleich in einen sanften Schlaf fallen. Sie werden gar nicht merken, wenn wir die Route ändern. In Richtung Syrien, und dann werden wir weitersehen. Jedenfalls nicht zu diesem unsympathischen König, denn der führt bestimmt nichts Gutes im Schilde.

Die Geschichte von dem Kind, zu dem uns der Stern den Weg gewiesen hat, sie ist nichts für die Großen und Mächtigen dieser Welt. Denn wenn diese sich darauf berufen, kommt wahrscheinlich Unheil dabei heraus. Man sollte diese Geschichte vor allem den Kleinen und Demütigen erzählen, all denen, die reinen Herzens sind. Ich bin gespannt, was Kaspar, Melchior und Balthasar daraus machen, wenn sie aufwachen und wieder diskutieren. Khaled, Bashir und ich, wir können schweigen. Wir werden die Schnauze halten. Versprochen.

Die Konferenz der Zauberer

I

Es ist schon über dreißig Jahre her. Damals studierte ich Theologie mit mal mehr, mal weniger Fleiß und hatte eigentlich ein schönes Leben. Nun ja, das Geld war stets knapp. Aber dann hatte ich einen Job gefunden, der ganz gut zu mir passte: als Nachtportier in einem Tagungshotel am Rande der großen Stadt. Immer sieben Nächte am Stück, jede zweite Woche. Dienstbeginn kurz vor Mitternacht, Feierabend um viertel nach sechs.