Weißt du, was du wirklich willst? - Charlotte Fox Weber - E-Book

Weißt du, was du wirklich willst? E-Book

Charlotte Fox Weber

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Beschreibung

Wie wir endlich erkennen, was wir wirklich wollen – und die richtigen Entscheidungen für unser Leben treffen Viele psychische Probleme oder Erkrankungen haben ihren Ursprung in unseren Wünschen. Weil wir nicht gelernt haben, sie zu erkennen und zu erfüllen. Weil wir sie bewusst verdrängen. Weil wir begehren, was uns schadet. Charlotte Fox Weber ist Psychotherapeutin und hat in unzähligen Sitzungen mit ihren Patient*innen erkannt, dass es zwölf universelle Wünsche gibt, die alle Menschen teilen: 1) Der Wunsch zu begehren 2) Der Wunsch nach Kontrolle 3) Der Wunsch nach dem, was uns schadet 4) Der Wunsch nach Macht 5) Der Wunsch nach Aufmerksamkeit 6) Der Wunsch, etwas zu erschaffen 7) Der Wunsch zu gewinnen 8) Der Wunsch nach Verbundenheit mit anderen 9) Der Wunsch zu lieben und geliebt zu werden 10) Der Wunsch nach Sicherheit 11) Der Wunsch zu erkennen, was man will 12) Der Wunsch dazuzugehören Sie nimmt uns mit in zwölf fiktive Therapiesitzungen und zeigt eindrucksvoll, wie es uns gelingt, unsere wahren Wünsche zu erkennen und endlich danach zu leben. Ein erhellendes wie praktisches Buch, das verblüffende Einblicke gibt in die wahren Beweggründe unseres Denkens und Handelns.

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Seitenzahl: 550

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Charlotte Fox Weber

Weißt du, was du wirklich willst?

Eine Therapeutin nimmt uns mit in zwölf Sitzungen über unsere wahren Wünsche

Aus dem Englischen von Elisabeth Liebl

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Unsere Wünsche haben direkten Einfluss auf unsere psychische Gesundheit – je nachdem, ob wir sie wahrnehmen und erfüllen, sie gezielt verdrängen oder uns ihrer gar nicht bewusst sind. Die Psychotherapeutin Charlotte Fox Weber lässt uns teilhaben an zwölf Fallbeispielen aus ihrem Praxisalltag. Einfühlsam und mit großem Erfahrungswissen beschreibt sie die zwölf universellen Wünsche, die alle Menschen teilen: vom Wunsch, zu lieben und geliebt zu werden, über das Verlangen nach Kontrolle, bis hin zum Begehren dessen, was uns schadet. Ein faszinierendes Buch über unsere wahren Wünsche und kluge Anregungen, wie wir sie erkennen.

Inhaltsübersicht

Widmung

Zitat

Vorbemerkung der Autorin

Einleitung

Kapitel 1 Lieben und geliebt werden

Was Tessa wusste

Was Liebe bedeutet

Kapitel 2 Verlangen

Jacks Entscheidungen

Das Verlangen und Sie

Kapitel 3 Verstehen

Vielsagende Namen: der Song von Sying

Verstehen, wer Sie sind

Kapitel 4 Macht

Elliots nie erzählte Geschichte

Was Macht bedeutet

Kapitel 5 Aufmerksamkeit

Chloes Drama

Ihre Aufmerksamkeit

Kapitel 6 Freiheit

Saras Urteil

Freiheit finden

Kapitel 7 Schöpferisch sein

Rosies Raum

Schöpferisch sein und spielen

Kapitel 8 Dazugehören

Dwights Blues

Wo fühlen Sie sich zugehörig?

Kapitel 9 Gewinnen

Der Weg des größtmöglichen Widerstands:Gabriel und Samantha

Was es heißt, zu gewinnen

Kapitel 10 Beziehungen eingehen

Astrids Geschenk

Nur Verbundenheit?

Kapitel 11 Was wir nicht wollen sollten (und was doch)

Alice’ geheime Seiten

Das Paradox und Sie

Kapitel 12 Kontrolle

George und die Zeit

Die Kontrolle und Sie

Nachwort

Dank

Glossar

Für meine Familie

Sich verstecken macht Spaß, nicht gefunden werden ist schrecklich.

Donald W. Winnicott, englischer Psychoanalytiker

Vorbemerkung der Autorin

Die Geschichten in diesem Buch beruhen auf meiner Arbeit mit real existierenden Personen. Um ihre Identität zu schützen und meine Schweigepflicht nicht zu verletzen, habe ich sämtliche Angaben, die eine Identifizierung erlauben würden, geändert. Ich habe viel von meinen Klientinnen und Klienten gelernt und lerne weiterhin von ihnen. Ich verdanke den Personen, mit denen ich gearbeitet habe, so unendlich viele Entdeckungen über das Leben und unser menschliches Dasein.

Die Sprache, die ich in diesem Buch verwende, ist manchmal etwas eigentümlich, aber hoffentlich immer feinfühlig. Ich habe mich bemüht, bei meiner Begriffswahl den Fachjargon so weit als möglich zu vermeiden, habe aber mitunter auch eigene Begriffe geprägt. All diese Formulierungen erscheinen im Text in fett gedruckter Schrift und werden im Glossar am Buchende genauer erklärt.

Einleitung

Ich war selbst jahrelang in Therapie und habe eigentlich immer darauf gewartet, dass meine Therapeutinnen oder Therapeuten mich nach meinen großen Wünschen1 fragen. Was aber keiner von ihnen je tat. Stattdessen lenkte ich mich also mit kleineren Verlangen2 und großen Hindernissen ab. Somit ging ich einigem von dem, was mir wichtig war, nach, bremste mich aber gleichzeitig auf tausenderlei Art und Weise aus. Immer wieder stand ich mir selbst im Weg. Ich konzentrierte mich ständig mehr auf alle möglichen Schwierigkeiten als auf das, was sich tatsächlich als möglich anbot.

Frag mich doch endlich, was ich wirklich will! Was lässt mich wirklich lebendig werden?

Ich suchte jemanden, der mir sein Plazet gab. Und gleichzeitig hielten Scham und Stolz entlang meiner Grenzen strengstens Wache. Sosehr ich mich nach Weite sehnte, die Enge hielt mich davon ab, voll und ganz an meinem Leben teilzuhaben.

Schließlich hatte ich das Warten satt, ebenso das Gefühl, festzustecken, und so fing ich endlich selbst an, diese Fragen zu stellen – mittlerweile war ich ja selbst Psychotherapeutin. Ich arbeitete mit Tausenden von Patientinnen und Patienten, welche die unterschiedlichsten sozialen und biografischen Hintergründe hatten. Und ich war wie elektrisiert von der Energie, die frei wird, sobald wir anfangen, unsere tiefinnersten Wünsche zu erforschen. Wie düster uns unsere Situation im Einzelfall auch vorkommen mag: Wenn wir herauskristallisieren, was wir wirklich wollen, gibt uns das einen ordentlichen Schub nach vorne. Gleichzeitig stellt sich das Gefühl ein, dass das, was wir wollen, auch möglich ist. Unser Verlangen zu verstehen lässt uns in uns selbst zurückkehren. Es ist ein Sprungbrett für unser weiteres Wachstum.

Wir alle haben Wünsche und Bedürfnisse, und wir alle haben damit Konflikte. Einige unserer Wünsche zeigen wir, während wir andere verstecken, sogar vor unserem eigenen Bewusstsein. Unser tiefstes Verlangen ängstigt uns und versetzt uns zugleich in freudige Erregung. Wir haben Angst, zu versagen, und fürchten uns davor, erfolgreich zu sein. Wenn wir erkennen und verstehen, was wir uns wirklich wünschen, so hilft uns das, uns selbst ohne Zaudern zu begegnen. Gleichzeitig ist es ein starkes Stimulans, endlich ein erfüllteres, freudvolleres Leben zu führen.

 

Wir sind so sozialisiert worden, dass wir manche Wünsche offen zeigen, andere eher verbergen. Wir geben vor, wir würden nur das wollen, was sich gehört, und zwar so, wie es sich gehört. Jedes ungehörige Verlangen wird mit einem Tabu belegt. Und so landen unsere geheimsten Wünsche – unser ungelebtes Leben – in einer Art psychischer Lagerhalle.

Wir haben nicht nur vor anderen Geheimnisse, sondern auch vor uns selbst. Es ist ein echter Durchbruch, wenn wir es schaffen, unsere tabuisierten Sehnsüchte aufzudecken und über diese zu sprechen. Sich seinen geheimen Wünschen zu stellen ist ein wichtiger Teil jeder Psychotherapie. Wir bearbeiten schmerzliche Gefühle der Reue oder unerlöste Fantasien. Wir sehen uns alles an, was auch immer aus der Vergangenheit noch herumgeistert und uns das Leben schwer macht. Manchmal sind die Geheimnisse, die wir offenbaren, Dinge, von denen wir längst wissen, dass wir sie unter den Teppich gekehrt haben – Affären, Süchte, zwanghaftes Verhalten. Mitunter aber handelt es sich bei unseren Geheimnissen um Geschichten, die wir noch niemandem, nicht einmal uns selbst, erzählt haben.

Unsere geheimen Wünsche liegen im Dauerclinch mit dem »Sollen« – mit dem, was wir uns wünschen sollten oder was wir tun sollten, um es zu bekommen. Und weil wir Angst haben, dabei zu versagen, geraten wir in einen tiefen Zwiespalt, was unsere Wünsche angeht. Perfektionismus und das Bemühen, es allen recht zu machen, halten uns davon ab, auch einmal ein Wagnis einzugehen und neue Erfahrungen zu machen. Wir verschwenden unsere Zeit mit Vermeidungsstrategien. Wir betäuben uns mit Alkohol oder Drogen. Wir ziehen eine Show ab, um jene inneren Anteile zu verbergen. Wir wollen dasjenige, von dem wir glauben, dass wir es nicht wollen sollten. Und wollen aber nicht die Dinge, von welchen wir meinen, dass wir sie wollen sollten. Wir geraten häufig in Konflikt mit unseren wahren Gefühlen, und sind dann wild entschlossen, unser Leben gemäß Drehbuch zu führen. Mit diesem Buch möchte ich Sie ermutigen, Ihre wahren Wünsche aufzuspüren und zu akzeptieren. Es zeigt Ihnen Alternativen auf zu dem üblichen Schamgefühl, welches unsere geheimsten Sehnsüchte kontrolliert und mundtot macht. Das beste Gegenmittel gegen das Gefühl, in einer Sackgasse zu stecken, ist, unsere Wünsche und Verlangen zu verstehen, zu erkennen, was sie bedeuten, und unsere Prioritäten zu klären.

 

In der Fantasie malen wir uns aus, wie unser Leben sein könnte. Eines Tages, ja, da machen wir dann, was wir wirklich tun möchten. Ja, wenn doch nur damals dies und jenes nicht gewesen wäre … Oder wenn wir uns seinerzeit doch nur anders entschieden hätten, dann, ja dann wäre unser Leben so, wie wir uns das wünschen. Aber »eines Tages« und »wenn doch nur« schicken uns auf einen Schlingerkurs, lassen quälende Bilder der Vergangenheit aufblitzen oder einer eingebildeten Zukunft, während sie gleichzeitig unsere Fähigkeit unterminieren, aus der Fülle der Möglichkeiten, die das Leben uns in diesem Moment bietet, das Beste zu machen. Die Geschichten in diesem Buch erzählen von Menschen unterschiedlichsten Alters in den unterschiedlichsten Lebensphasen, die sich im Kampf mit ihren tiefer liegenden Sehnsüchten befinden. Indem sie sich ihrem Verlangen und ihrer inneren Wahrheit gestellt haben, konnten sie damit beginnen, auf eine allmähliche Lösung hinzuarbeiten.

Weißt du, was du wirklich willst? – dieses Buch hilft Ihnen, Kontakt zu den Tiefen Ihres Selbst aufzunehmen und das, was Sie bislang vor Ihren Mitmenschen und sich selbst verborgen haben, anzunehmen. Kommen Sie durch Bewusstwerdung Ihrem wahren Weg näher, nach dem Ihr Innerstes sich sehnt, indem Sie Ihr kostbarstes Leben leben.

Kapitel 1Lieben und geliebt werden

Wir wollen lieben und geliebt werden. Das kann leicht und einfach sein. Es kann aber auch endlos kompliziert sein und einen in den Wahnsinn treiben. Wir suchen nach Liebe, ringen mit unseren Fantasien, halten Liebe für unmöglich, fordern sie ein, fürchten sie, sabotieren sie, stoßen sie von uns, verzehren uns nach ihr. Wir brechen Herzen, unsere eigenen eingeschlossen. Das Leben kann herzzerreißend sein. Doch die Liebe macht das Leben schön.

Wir alle haben unsere Liebesgeschichten. Damit meine ich die Geschichten über die Liebe, die Sie glauben und für wahr halten. Sie haben diese Geschichten vielleicht nie direkt in Worte gefasst, und doch sind dies Ihre inneren, häufig unvollendeten Drehbücher der Liebe. Und sie prägen die Liebe, die Sie sich wünschen, die Liebe, die Sie sich ausmalen, die Liebe, die Sie geben. Was Sie über die Liebe wissen, haben Sie gelernt durch persönliche Erfahrung, durch Ihre Kultur, durch die Menschen, von denen Sie geliebt, enttäuscht, abgelehnt, erzogen und geschätzt wurden. Und Sie lernen immer noch. Solange Sie leben, so lange können Sie dazulernen. Sie lernen etwas über die Liebe von Fremden, von Rückschlägen, Büchern, Filmen, den Geschichten anderer Menschen und von der Natur. Manchmal ist die Liebe zu einem anderen Menschen die Hölle, und dann wieder fühlt sie sich an wie die Erlösung von allem Übel. Sie können ein und denselben Menschen – auch sich selbst – lieben und zugleich hassen.

Es empfiehlt sich, unsere Liebesgeschichten regelmäßig upzudaten. Denn in der Liebe stecken Zufall, Charakter und Mysterium. Die Welt verändert sich, ebenso wie wir, und eine offene Geisteshaltung in puncto Liebe schenkt uns Flexibilität im Umgang mit den konkreten Begebenheiten. Denn das Festhalten an der in Beton gegossenen Vorstellung, wie wahre Liebe zu sein hat, ist eines der größten Hindernisse, um zu dieser Liebe zu finden.

Die Geschichten, die wir uns selbst über die Liebe erzählen, betreffen unseren innersten Kern. Sie prägen unsere Vorstellungen von Menschen, anderen Leuten, von uns selbst, vom Leben. Unsere Geschichten sind meist leidvoll und lustvoll zugleich. Was wir über die Liebe glauben, kann unser Leben verbessern oder es verschlimmern. Therapie wiederum kann den Menschen helfen, ihre Geschichten zur Sprache zu bringen, sie umzuschreiben und die, die wichtig sind, zu verstehen. Denken Sie an Ihre Erfahrungen mit der Liebe. Können Sie sich an Situationen erinnern, in denen Sie sich ungeliebt fühlten? Wie haben Sie die Liebe kennen-, wie sie fühlen gelernt?

Lieben und Geliebtwerden kann unzählige Formen annehmen. Die Liebe kann Verheißung oder Enttäuschung sein, wir können Vertrauen in sie haben oder an ihr zweifeln. Wir können Menschen, die wir lieben, sehr schlecht behandeln, und Menschen, die uns lieben, können uns auch verletzen. Liebe kann sich sicher anfühlen, aber auch erschreckend. Wir können uns die Liebe vom Leib halten oder ganz damit abschließen. Es gibt tausend Mittel und Wege, wie wir die Liebe sabotieren können. Sie zu verleugnen ist eine Methode, die Affektverschiebung eine andere.

Wir haben häufig Angst davor, uns wirklich selbst zu lieben. Wir fürchten, das würde uns zu hemmungslosen Ich-Menschen machen. Oder erkennen zu müssen, dass wir mit unserer guten Meinung von uns falschliegen, woraufhin wir uns dumm vorkommen. Wir glauben, wir bräuchten erst von anderen den Beweis dafür, dass wir liebenswert sind, ehe wir uns selbst voll und ganz lieben dürfen. Mit das Beste, was ich als Psychotherapeutin tun kann, ist, Raum zu lassen für die vielen unterschiedlichen Formen fehlender Selbstliebe. Es ist ein Problem, wenn wir glauben, dass wir zu jeder Zeit liebenswert sein müssten. Und möglicherweise stellen wir sogar fest, dass wir bestimmte Menschen immer noch lieben, obwohl sie uns im Stich gelassen, betrogen, verletzt haben.

»Liebe« ist bei meinen Patientinnen und Patienten ein Dauerthema. Sie begeben sich in Therapie, weil sie sich Hilfe in Sachen Liebe wünschen. Die Art und Weise, wie sie geliebt bzw. nicht geliebt, abgeschreckt, missverstanden oder im Stich gelassen werden, sorgt für Frustration. Doch meist äußert sich der Wunsch nach Liebe weniger direkt. Dennoch spielt das Thema, egal wie, in jede Therapie hinein. Unsere Sorgen und Ängste, unsere Verlusterfahrungen, unsere Leidenschaften – diese grundlegenden Gefühle haben samt und sonders mit Liebe in all ihren Variationen zu tun. Die Liebe ist Handlung und Ziel der meisten Geschichten. In meiner Arbeit geht es um die Auseinandersetzung mit komplexen Beziehungsmustern – unseren Beziehungen zu anderen Menschen, zu uns selbst und zur Welt. Selbstliebe ist eines dieser Konzepte, das wir theoretisch gut finden, das aber in der Praxis eine Herausforderung für uns darstellt. Manche Menschen tun sich damit leicht, aber für die meisten von uns ist die Selbstliebe einer der Hauptkampfplätze.

In der Therapie gibt es bei manchen Patientinnen oder Patienten Widerstände dagegen, ihren Wunsch nach Liebe auszudrücken, weil sie es für wenig wahrscheinlich halten, tatsächlich Liebe zu erleben. Bei diesen Personen besteht ein Teil der Therapie darin, ihnen Methoden zu zeigen, um ihre Vorstellungen über die Liebe zu verlernen. Wir haben oft panische Angst davor, etwas falsch zu machen, und die Tyrannei des Perfektionismus lässt uns in einen Zustand von Angst und Erstarrung verfallen, der bei jedem Streben nach Beziehungen und Erfahrungen draußen in der Welt hinderlich ist. Wir wünschen uns Liebe und fürchten uns zugleich davor. Der Schleier der Ablehnung – unsere Angst vor Ablehnung – hält uns zurück. Sobald wir unsere grundlegenden Wünsche erkannt haben, können wir Fantasie und Fakten trennen, und die Liebe nimmt zuerst mögliche, dann konkrete Formen an. Das kann zum einen bedeuten, dass wir bei unserer Ungewissheit verweilen müssen, zum anderen, dass wir erkennen, was wir bereits haben.

Oder um George Bernard Shaw zu zitieren (dessen Schriften ich inspirierender finde als so manches Lehrbuch der Psychologie): »Die Leute sind manchmal mehr an ihre Lasten gebunden als ihre Lasten an sie.«3 Sobald es um wirklich wichtige Anliegen geht, drücken wir uns mit irgendwelchen erfundenen Argumenten vor einer klaren Auseinandersetzung mit unseren wahren Wünschen und Bedürfnissen. Wir spinnen uns ein Netz aus Hinderungsgründen. Die Liebe macht da keine Ausnahme. Wir beschreiben lang und breit die Gründe, warum wir dies oder jenes nicht tun können, und die Probleme, die uns angeblich davon abhalten. Bisweilen fällt es uns leichter, zu sagen, was wir nicht wollen, als zu sagen, was wir wollen. Lassen wir unseren Wunsch nach Liebe zu, dann setzen wir uns unserer Verletzlichkeit aus, riskieren Ablehnung und Demütigung, wie wir sie entweder schon erfahren haben oder wie wir sie uns vorstellen. Es erfordert sehr viel Mut, unserem Wunsch nach Liebe Ausdruck zu verleihen.

Der Wunsch, zu lieben und geliebt zu werden, ist ein ebenso einfaches wie ursprüngliches Bedürfnis. Und er kann sich höllisch hart anfühlen. Tessas Abschied vom Leben war zugleich ihre Begegnung mit der Liebe. Sie erzählte mir ihre Geschichten vom Lieben und Leben.

Was Tessa wusste

Meine erste Stelle als Psychotherapeutin hatte ich in einer recht hektischen Londoner Klinik. Ich gehörte zu einem Team, das Schwerkranken und ihren Angehörigen eine Kurzzeittherapie anbot. Privatsphäre war mehr oder weniger inexistent, unsere »Praxis« ein Notbehelf. Wir arbeiteten am Bettrand sitzend, in Abstellkammern oder auf dem Flur. Ich war unerschütterlich optimistisch. Ich glaubte, dass die Psychotherapie den Menschen etwas zu bieten hatte, gleichgültig wie die äußeren Umstände und Bedingungen aussehen mochten. Das glaube ich übrigens heute noch. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, wie wir unser Leben verbessern können.

Der erste »Überweisungsschein« für unser Team kam von einer der Stationsschwestern. In altmodischer Handschrift – welche ich nur mit Mühe entziffern konnte – hatte ein Mann geschrieben, dass seine Frau, die in den Sechzigern war und Bauchspeicheldrüsenkrebs im Endstadium hatte, gerne mit jemandem reden würde. Wofür so bald als möglich ein Termin vereinbart werden sollte.

Ich ging auf die offene Station, wo die Frau lag, und kam mir sehr erwachsen vor mit meinem Namensschild, das an einem Band um meinem Hals hing und mich als Fachpersonal auswies. Ich war so unglaublich stolz auf mein Namensschild – zum ersten Mal las ich hinter meinem Namen die Bezeichnung »Psychotherapeutin« –, dass ich es manchmal sogar schon vor meinem Dienst bzw. danach noch trug. Die Schwester führte mich in einen Raum voller Patientinnen und Patienten, dort an das Bett einer auffallend eleganten Frau. Obwohl Tessa krank war, verbreitete sie eine Aura sanfter Vitalität und Weiblichkeit. Ihr Haar sah aus, als käme sie frisch vom Friseur, und sie trug Lippenstift. Sie saß aufrecht im Bett, von mehreren Kissen gestützt. Auf ihrem Bett lag die Financial Times, auf dem Tischchen neben ihr ein Stapel Bücher und Karten. Während auf der Station eine Atmosphäre von Krankheit und Chaos herrschte, umgab Tessa ein kleines Areal wohlbedachter Ordnung. Neben ihrem Bett saß ein vornehmer Herr, der sich, sobald er mich erblickte, sofort erhob und sich mir als ihr Mann David vorstellte. Er entschuldigte sich höflich und ohne jede Befangenheit und meinte, er würde in einer Stunde wiederkommen.

Tessa sah mir in die Augen. »Kommen Sie doch näher«, forderte sie mich auf.

Ich setzte mich auf den Stuhl neben ihr, der sich noch warm anfühlte, da ihr Mann dort gesessen hatte. Irgendetwas wurde in mir lebendig. Ich zog den Vorhang um uns herum zu, um wenigstens eine Andeutung von Privatsphäre zu schaffen, ein zumindest symbolisches therapeutisches Umfeld. Ich erklärte ihr, dass wir fünfzig Minuten hätten. Ich wollte so eine Art professioneller Autorität vermitteln. Aus der Nähe konnte man sehen, dass Tessas Hände blauviolett von Blutergüssen waren, was mir zeigte, wie gebrechlich sie war, obwohl sie das, so gut sie konnte, zu verbergen versuchte.

»Ich habe keine Zeit zu verschwenden. Kann ich mit Ihnen wirklich reden?«, fragte sie und sprach mit einer Deutlichkeit und Klarheit, an der ich mich aufrichtete. Ich antwortete mit Ja, natürlich, deswegen wäre ich ja da.

»Ich meine wirklich reden. Offen und ehrlich. Keiner lässt mich das. Ich nehme an, Sie sind auf so etwas vorbereitet. Die Schwestern, die Ärzte, meine Familie, alle versuchen, mich abzulenken und es mir so angenehm wie möglich zu machen. Immer wenn ich wage, anzusprechen, was passieren wird, werden sie nervös und wechseln das Thema. Ich will das Thema aber nicht wechseln. Ich will dem Ganzen ins Gesicht sehen.«

»Welche Dinge sind es denn genau, denen Sie ins Gesicht schauen möchten?«, fragte ich.

»Mein Tod. Mein Leben. Ich möchte mir all das ansehen. Mein Leben lang habe ich die Augen verschlossen, und dies ist für mich die letzte Gelegenheit, richtig hinzuschauen.«

Ich horchte aufmerksam auf jedes Wort, das sie sagte, und darauf, wie sie es sagte.

Die Art und Weise, wie Menschen beim Erstgespräch Dinge beschreiben, kann sehr aufschlussreich sein für die Jahre, die dann folgen. Mit Feuereifer hielt ich einige ihre Äußerungen fest, schrieb einzelne Fragmente auf, wobei ich strikt darauf achtete, dass wir so viel Augenkontakt wie möglich hielten, damit diese Sitzung zu einer gemeinsamen Erfahrung von uns beiden wurde. Ihr dort zu begegnen, wo sie war, war alles, was ich ihr anbieten konnte. Also hielt ich mich immer wieder dazu an, einfach mit ihr da zu sein.

»Ich spüre, wie ich jeden Tag weniger werde. Ich möchte meine Angelegenheiten in Ordnung bringen. Aber dazu muss ich über zwei Dinge unbedingt mit jemandem sprechen. Genauigkeit war immer eine meiner Stärken. Ich habe noch nie zuvor eine Therapie gemacht. Im Prinzip ist das ja ein Gespräch, bei dem ich frei reden kann, bei dem ich die Wahrheit über ein paar Sachen herausfinden, vielleicht auch so etwas wie Sinn erkennen und sehen kann, was möglich ist. Sehe ich das richtig?«

»Ja, auf jeden Fall«, sagte ich und nickte zustimmend. Das traf es sogar sehr genau.

»Aber als Erstes würde ich gerne eine Abmachung mit Ihnen treffen. Ich folge dem ersten Eindruck, den ich von Ihnen habe. Er beruht nicht auf eben viel, aber ich habe das Gefühl, dass ich mit Ihnen reden kann. Also lassen Sie uns genau das tun. Ich möchte nicht, dass das hier eine einmalige Angelegenheit bleibt. Ich bin keine Frau für einen One-Night-Stand. Also verständigen wir uns doch darauf, dass Sie wiederkommen und mich so lange besuchen, bis ich nicht mehr in der Lage bin, mit Ihnen zu sprechen.«

»Wir können gerne mehrere Sitzungen vereinbaren«, sagte ich.

»Um es noch einmal ganz klar zu formulieren: Sie kommen so lange, bis es bei mir nicht mehr geht. Wenn ich Ihnen erzähle, was wirklich in mir vorgeht, dann muss ich die Gewissheit haben, dass bei all dem, was sonst noch passiert, ich mich auf das hier, auf Sie, verlassen kann, und zwar für die ganze Zeit, die mir noch bleibt. In Ordnung?«

»Ja, in Ordnung.« Mein Vertrag sah zwar eine strikte Obergrenze von zwölf Therapiestunden pro Patientin vor, und ich hatte keine Ahnung, wie viel Zeit Tessa noch haben würde, aber wie hätte ich in diesem Fall nicht zustimmen können? Sie hatte das Kommando übernommen, und in Anbetracht ihrer Situation schien mir das gut und richtig. Wir hatten eine therapeutische Allianz geschlossen, die auf Sicherheit, gegenseitigem Einvernehmen und Vertrauen beruhte.

»Gut.« Sie hob den Kopf und schaute mir ins Gesicht, während sie sich ein wenig nach vorn beugte, als hätte sie endlich ihren eigenen Raum gefunden.

»Als Nächstes muss ich mir gleich selbst widersprechen. Halten Sie mich nicht davon ab. Ich habe vorhin zwar gesagt, dass es zu meinen Stärken gehört, mich kurz und bündig auszudrücken, aber wir haben noch ein wenig Zeit, und darum möchte ich jetzt einfach alles aussprechen, was ich loswerden will.« Ihre Stimme klang ganz bestimmt, aber auch ein wenig spitzbübisch.

»Nur zu.« Hätte sie Führung von mir benötigt, hätte ich ihr gezielt Fragen stellen und die Gesprächsrichtung vorgeben können, wie das bei Erstsitzungen üblich ist. Aber das war etwas, was Tessa weder wollte noch brauchte.

»Mein erstes ›Thema‹, wie Leute sagen, die eine Therapie machen – zu meiner Zeit hatten ›Themen‹ noch mit Texten zu tun und nicht mit Gefühlen –, hat mit Reue zu tun. Ich möchte Ihnen von diesem Gefühl der Reue erzählen, und bitte, Charlotte, versuchen Sie nicht, mir das auszureden. Ich muss einfach darüber sprechen.« Ich versprach es ihr.

»Ich wünsche mir, ich hätte mehr mit meinen Jungs gekuschelt. Ich habe zwei Söhne, mittlerweile sind beide erwachsen. Das ist es, wonach ich mich am meisten sehne, während ich an dieses Bett gefesselt bin. Ich vermisse nicht sonderlich viel von meinem Leben – die abendlichen Dinnerpartys, die Reisen, die Kleider, die Schuhe, den Schmuck. Das alles kann ich loslassen. Ich trage gerne Lippenstift, und ich besitze gerne schöne Dinge, aber all das scheint mir jetzt nicht mehr wichtig. Doch es gibt mir jedes Mal einen Stich, wenn ich daran denke, dass ich die zwei viel öfter gedrückt haben könnte. Ich habe beide aufs Internat geschickt. Jung. Bevor sie dafür bereit waren. Gerade unser älterer Sohn. Er wollte absolut nicht ins Internat. Er hat mich angefleht, ihm das nicht aufzuzwingen. Doch damals schien mir ein Internat aus allen möglichen Gründen das Richtige zu sein. David und ich mussten alle paar Jahre in ein anderes Land gehen. Ich will Sie jetzt nicht mit Rechtfertigungen langweilen. Der Punkt ist: Hätte ich wirklich zugehört, dann hätten wir uns wenigstens in die Arme nehmen und einander näher sein können. Uns umarmen, kuscheln – ich kann an fast nichts anderes denken … Ich wünsche mir einfach nur, meine Söhne in die Arme zu nehmen und dass wir miteinander in unserem alten Haus sind, warm und nahe. Sie scheinen noch recht jung zu sein, zu jung, um schon Kinder zu haben. Haben Sie welche?«

»Nein, noch nicht«, platzte ich heraus, obwohl ich wusste, dass mein damaliger Supervisor meine unbedachte Selbstoffenbarung missbilligen würde.

»Nun, irgendwann werden Sie das wahrscheinlich, und wenn Sie welche haben, dann kuscheln Sie mit ihnen. Tun Sie auch alles andere, aber Kuscheln ist sehr wichtig. Das war für mich eine echte Überraschung … ich habe mein ganzes Leben zugebracht, ohne zu sehen, wie wichtig das ist. ›Kuscheln‹ – schon das Wort klingt albern. Aber es wichtig. Das ist es, worauf es ankommt. Ich erkenne das erst jetzt.«

Unsere Blicke begegneten sich. In Tessas Augen lag der Ausdruck eines Menschen, der einem unbedingt etwas vermitteln will, und ich verspürte das Bedürfnis, ihr zu zeigen, dass ich ihre Lektionen aufnahm. Dann begann sie wortgewandt von einigen schönen Momenten ihres Lebens zu erzählen. Ich hörte ihr so aufmerksam zu, wie ich das immer tat und tue. Ich wollte unbedingt alles in mich aufnehmen, ihre Stimme, ihre Botschaften und ihre Geschichte.

Ihr Mann David stand im diplomatischen Dienst und war nach Asien und Afrika entsandt worden. So hatten die beiden in sechs verschiedenen Ländern gelebt.

»Wie Sie sich vorstellen können, wurden wir überallhin eingeladen. In vornehme Villen. Zu den glamourösesten Partys und Events. Wir schlossen Bekanntschaft mit außergewöhnlichen Menschen, mit faszinierenden Persönlichkeiten. Und auch mit ein paar sterbenslangweiligen Leuten.« Sie beschrieb ihre Dinnerpartys, die schicken Etuikleider, die sie dabei getragen hatte, und ihre Gerichte, die sie für Treffen im vertrauten Kreis zubereitete, die »wenig außergewöhnlich, aber anheimelnd waren und immer zu stark gepfeffert. Zu viel Pfeffer, Tessa! Das sagten alle, aber ich mag Pfeffer nun mal, und ich sehe mich selbst als jemanden, der Pfeffer hat. Also weigerte ich mich, weniger zu nehmen. Was ich kein bisschen bedauere. Und, meine Güte, mir fehlen diese liebevollen Frotzeleien meiner Familie. Seit ich krank bin, macht niemand mehr einen Scherz über mich.«

Dann erzählte sie mir, dass sie immer gerne viele Kerzen aufgestellt hätte. »David hat mich immer ausgelacht wegen der vielen Kerzen. Er meinte, ich solle doch nicht ein solches Tamtam veranstalten. Er drückte es aber sehr süß aus. Mach dir doch nicht so viel Mühe, Tessa. Es fällt doch sowieso keinem auf. Aber es war mir diese viele Mühe wert, und, wissen Sie, mir ist es aufgefallen. Manche Dinge lohnen die Mühe doch, weil wir uns selbst verzaubern wollen. Ja, das ist es, jetzt, da ich es ausspreche – ich habe mich durch diese kleinen, hübschen Gesten selbst verzaubert. Ich habe das sehr gerne gemacht. Charlotte, machen Sie es sich zur Angewohnheit, sich selbst zu verzaubern. Das gehört zur Selbstliebe einfach dazu. Und zur Liebe zum Leben.«

Sie wäre gerne Lektorin geworden. »Es macht mir Spaß, da und dort kleine Fehler aufzuspüren und zu sehen, wie man einen Text verbessern kann. Ich wäre ziemlich gut geworden. Und ich weiß immer, was jemand sagen will, selbst wenn es noch so verdreht formuliert ist. Außer vielleicht in meinem eigenen Fall.« Aber sie war damit im Reinen, dass sie keinen Beruf ausgeübt hatte. Sie war so oft umgezogen, hatte anderweitig viel geleistet und viel Spaß gehabt. Dann wollte sie, dass ich mir vorstellte, wie sie früher ausgesehen hatte. »Sie sehen mich jetzt in diesem Zustand, aber versuchen Sie einmal, sich mich mit toupierter Mähne vorzustellen. Toupiertes Haar fand ich immer super, ganz egal was die Mode gerade vorschrieb. Sie wissen schon, was ich meine: die Sechzigerjahre, Haare wie Jackie O.« Sie vermisste den Körper, den sie gehabt hatte, die Wahlmöglichkeiten und den Selbstausdruck der gesunden Tessa.

Als sie sich an ihr Sozialleben erinnerte, die unzähligen, mit Freunden verbrachten Stunden, fragte sie sich, womit sie eigentlich ihre Zeit verbracht, was sie in diesen Momenten getan hatten. Sie vermutete, dass sie wohl etwas getrunken hatten, über Bücher geredet, über Menschen, Theater, Filme, Reisen, Kunst, Politik und all das, jedoch konnte sie sich an keine Einzelheiten mehr erinnern. Aber es war für sie in Ordnung, dass sie an diesen Teil ihres Lebens nur noch schwache Erinnerungen hatte, denn sie wusste, dass dies ihre »gute alte Zeit« gewesen war. Völlig grundlos hatte sie sich ständig Sorgen gemacht, was die Leute wohl von ihr denken mochten. »Wenn ich jetzt so überlege, dann weiß ich von den Freunden, die mich mochten, dass sie mich mochten und dass ich sie gernhatte. Diese Beziehungen waren eine Bereicherung für mein Leben. Aber ich habe mich das auch bei Leuten gefragt, an denen mir überhaupt nichts lag. Einfach Zeitverschwendung«, sagte sie. »Ein bisschen Zeitverschwendung ist ja okay, aber nichts anderes war das.«

Tessa hatte das Bedürfnis, noch einmal zu sagen, wie sehr sie sich doch wünschte, mit ihren Kindern mehr gekuschelt zu haben. Ans Bett gefesselt, hatten diese Gedanken und Gefühle sie nun eingeholt, und sie konnte ihnen nicht mehr entkommen. Schließlich musste sie akzeptieren, dass das, was sie empfand, schlicht ein tiefes Gefühl der Reue war. »Meine Jungs beteuern immer wieder, dass sie absolut zufrieden sind damit, wie die Dinge gelaufen sind. Sie haben sich nie wirklich beschwert. Im Moment sind sie auf dem Weg hierher nach London – ich werde sie morgen sehen.«

»Oh, wie schön!«, sagte ich. Dieser prosaische Einwurf war so ziemlich alles, was ich herausbrachte, neben ein wenig ermutigendem Gemurmel und anderen Geräuschen, die ich machte, um ihr zu signalisieren, dass ich jedem einzelnen ihrer Worte aufmerksam folgte. Ich war ganz und gar bei der Sache, und es bestand für mich keine Notwendigkeit, zu reden. Ich war für Tessa da. Und sie wollte, dass ich ihr zuhörte.

»Ich habe kein sehr inniges Verhältnis zu meinen Jungs. Ich liebe sie beide, sogar sehr. Sie lieben mich wahrscheinlich einfach deswegen, weil ich ihre Mutter bin. Aber ich wünschte, ich hätte mir erlaubt, diese Liebe stärker zu fühlen und zu zeigen. Wissen Sie, beide sind verheiratet und in den Dreißigern. Eigene Kinder haben sie noch nicht. Vielleicht später mal. Schon komisch, dass ich sie immer noch ›meine Jungs‹ nenne.« Sie ließ ein leichtes, bezauberndes Lachen hören. »Ich habe nicht das Gefühl, die beiden wirklich zu kennen. Da ist immer so ein Gefühl der Distanz. Vielleicht gäbe es das nicht, wenn ich sie nicht ins Internat geschickt hätte. Wenn ich mehr mit ihnen gekuschelt und ihnen öfter gesagt hätte, dass ich sie liebe.« Ihr Lachen verstummte, und auf ihrem Gesicht zeigte sich ein tiefer Kummer. Diese Veränderung geschah blitzschnell. Plötzlich waren ihre – weit aufgerissenen – Augen die eines zutiefst verängstigten Kindes.

»Können Sie den beiden nicht irgendetwas von dem sagen, was Sie mir gerade erzählt haben, wenn Sie sich morgen sehen?«, hakte ich nach. Ich konnte nicht anders. Meine Frage versetzte Tessa wieder in den Gesprächsmodus. Schon damals entging mir nicht, dass meine Frage nichts anderes war als eine Form von Vermeidungsverhalten, auch wenn ich eigentlich meinte, aufrichtig zu sein und nicht zu kneifen. Ich hielt es schlicht nicht aus, einfach nur dazusitzen, die Trauer eines anderen Menschen zu ertragen, ohne zu versuchen, unterstützend einzugreifen. Es ist schwer, zu sehen, dass jemand leidet, und nichts zu tun.

»Vielleicht, aber irgendwie habe ich meine Zweifel. Möglich. Wir werden sehen. Aber das bringt mich zu dem zweiten Thema, das ich mit Ihnen besprechen muss.«

»Bitte fahren Sie fort.«

»Ich weiß, dass mein Mann in Brasilien ein heimliches Kind hat, von einer Frau, mit der er vor Jahren eine Affäre hatte. Eine Tochter. Sie muss jetzt so um die zwanzig sein. David glaubt, ich wisse nicht Bescheid, aber das tue ich. In all diesen Jahren hatte er solche Schuldgefühle und schämte sich so sehr. Ich weiß das. Er hat dieser Frau mehrfach Geld überwiesen, von einem Konto, von dem ich seiner Meinung nach keine Ahnung hatte, aber so habe ich alles herausgefunden. Wahrscheinlich hat David panische Angst vor einem Skandal, weil er doch im diplomatischen Dienst ist, und er weiß recht gut, wie man geschickt und hinter den Kulissen agiert, doch ich bin auch nicht gerade auf den Kopf gefallen.«

Ich fragte sie, wie es ihr denn damit gehe.

»Es fällt Ihnen vielleicht schwer, das zu glauben, aber die Wahrheit ist: Ich weiß es nicht. Ich habe mich nie gefragt, wie es mir damit geht …«

Ich glaubte ihr.

»Wissen Sie, wahrscheinlich hat er sich mir gegenüber besser verhalten, gerade weil er getan hat, was er getan hat. Und vielleicht habe ich ihn nie zur Rede gestellt, weil mir das zupasskam … In all diesen Jahren hat er sich mir gegenüber immer von seiner besten Seite gezeigt …«

Sie sagte, David wäre zutiefst erschüttert, würde er erfahren, dass er sie und die Jungs verletzt hatte. »Das wäre zu viel für ihn.« Ich spürte, dass die Einzelheiten, die sich mit diesem Geheimnis verbanden, all die Hebel, die sie aus Sorge um das innerfamiliäre Gleichgewicht in Bewegung gesetzt hatte, sowie ihr Wunsch, allen Beteiligten Schmerz zu ersparen, ihre ganze Aufmerksamkeit beansprucht hatten. Eine Strategie, die sie zu sehr auf Trab hielt, um ihren eigenen Gefühlen zu seinem geheimen Kind nachgehen zu können. Ich fragte sie, wie sie sich damit fühle, dass sie mir diese Dinge anvertraute.

»Ich musste jemandem davon erzählen. Irgendwie ist das sehr wichtig. Ehrlich zu sein, wenigstens sich selbst gegenüber, das ist es doch, worauf es ankommt. Ich wollte nicht sterben, ohne diese Dinge laut ausgesprochen zu haben. Dass Sie das jetzt wissen, dass ich Ihnen das erzählt habe, hat in mir etwas gelöst. Noch besser wäre, wenn wir jetzt draußen in der Natur sein könnten. Ich hasse es, hier zu sein, an diesem Ort. Ich vermisse die Empfindung von feuchter Erde und nassem Gras. Stellen wir uns vor, dass wir jetzt an eben so einem Ort sind, auf einem grasbewachsenen, lehmigen Hügel, dass unsere Hintern nass werden, wenn wir uns setzen, und wir die frische, kühle Luft einatmen. Das ist meine einzige Flucht, das Einzige, was ich mir immer vorgaukle. Allem anderen blicke ich ehrlich ins Gesicht.«

Auch ihre Sehnsucht, von hier wegzukommen und in der Natur zu sein, fühlte sich aufrichtig an.

Als ich an jenem Tag die Station verließ, kam ich am Schwesternzimmer vorbei und dort an Tessas Mann. Er versuchte gerade, ein Einzelzimmer für Tessa zu organisieren. Ich konnte hören, wie er höflich auf die diensthabende Schwester einredete. Als er mich hinausgehen sah, unterbrach er das Gespräch und hielt mich an. Er schien nervös.

»Bevor Sie gehen, wollte ich Sie noch etwas fragen. Ich will Sie nicht aushorchen. Ich respektiere, dass solche Gespräche privat sind. Aber sagen Sie mir bitte eines: Hat Tessa mit Ihnen gesprochen? Sie musste mit jemandem reden. Ich bin dankbar, wenn sie das konnte.«

»Ja«, sagte ich, wobei mir die unklaren Abgrenzungen schwer zu schaffen machten. Ich wollte ihn nicht vor den Kopf stoßen, wollte mich aber auch auf keinen näheren Kontakt mit ihm einlassen. Ich spürte das Gewicht des Geheimnisses, das Tessa mir zu tragen anvertraut hatte. Und vor diesem Hintergrund empfand ich schon mein »Ja« als zu viel preisgegeben.

 

In der darauffolgenden Woche erschien ich also zur vereinbarten Zeit. Ich hielt nach ihr Ausschau, so wie ich ein Restaurant mit Blicken absuchen würde, hätte ich eine Verabredung mit einer beeindruckenden Persönlichkeit. Irgendwie brachte sie mich dazu, die beste Version meiner selbst sein zu wollen, was immer das heißen mochte. Von einer der Schwestern erfuhr ich, dass Tessa einen Stock höher in ein Einzelzimmer verlegt worden war. Hurra! Neben einigen anderen Dingen einer Therapie sehr förderlich. Also nach oben. David war da, aber er ging sofort und gab uns den nötigen Freiraum. Aufgefächert auf ihrem Nachttischchen lagen eine Reihe Zeitschriften sowie einige Kosmetikartikel, und mein Blick fiel auf ihre bestickten Samtpantoffeln. Alles um sie herum war eine sehr persönliche und geschmackvolle Auswahl von Annehmlichkeiten, die dem leiblichen Wohl förderlich sind.

»Ich spüre so ein starkes Bedauern, Charlotte«, sagte sie und ließ ihren Blick auf mir ruhen. In den Tagen seit unserem ersten Zusammentreffen war sie enorm gelb im Gesicht geworden. Ihre eingesunkenen Augen von durchdringendem Blau stachen intensiv daraus hervor.

»Erzählen Sie mir von diesem Gefühl des Bedauerns«, ermutigte ich sie.

»Es geht um das, was ich Ihnen schon erzählt habe. Mit meinen Söhnen kuscheln. Mehr liebevolle Nähe. Das ist alles, was ich möchte.«

Es fiel mir sehr schwer, sie so über ihre Reuegefühle, über ihre ungestillte Sehnsucht reden zu hören. Was sie sagte, war so aufrichtig und anrührend. Ich wusste einfach nicht, was ich tun sollte. Ich spürte eine Art verzweifelten Wunsch, die Dinge für sie in Ordnung zu bringen, ihr Linderung zu verschaffen, zumal ich wusste, dass sie unheilbar krank war. Obwohl sie ausdrücklich gesagt hatte, ich solle nicht versuchen, ihr ihre Gefühle auszureden, missachtete ich ihre Anweisung. Tessa hatte anderen Menschen schließlich auch ihre Fehler verziehen. Konnte sie denn sich selbst nicht vergeben? Ich fragte sie noch einmal, ob sie irgendetwas von dem, was sie bewegte, ihren Söhnen gegenüber zeigen könne. Aus der Rückschau erkenne ich, wie viel Selbstüberschätzung darin lag, zu glauben, ich könnte ihr geben, was sie sich so schmerzhaft wünschte.

»Ja, ich denke schon. Doch Sie müssen eines begreifen. Ich bedauere es nicht, dieses Bedauern zu fühlen. Es gibt mir vielmehr Hoffnung auf ein erfüllteres Leben. Möglicherweise ist das nicht mein Leben, aber es zeigt, was möglich ist. Ich hatte so viel Liebe in mir. Ich habe sie noch. Es ist nicht so, dass ich nicht genug Liebe in mir hätte. So ist es wirklich nicht. Alle haben mich immer für kalt gehalten. Meine Söhne. Sogar meine Freunde. Freundlich und gesellig, aber kalt. Doch so bin ich nicht. Ich gab mich kühl, um die Wärme zu verbergen. Eine flambierte Eistorte, so hat David mich mal genannt. Sehen Sie, er hat mich geliebt und hat mich, was das angeht, gut verstanden. Er kannte meine geheime Wärme. Ich konnte nur die Tiefe meiner Gefühle einfach nicht ertragen.«

Ihre Worte prägten sich mir ein, auch wenn ich Schwierigkeiten hatte, ihre ganze Bedeutung zu erfassen. Vielleicht hat sie mir mehr gegeben als ich ihr. In der restlichen Zeit, die von unserer Sitzung noch übrig war, sagte sie phasenweise einige sehr sinnvolle Dinge, hatte aufflackernde Momente totaler Präsenz, auch wenn sie dann wieder in verdrehte Satzfragmente und Wortsalat verfiel.

Wir trafen uns jede Woche zur gleichen Zeit, und in unserer Beziehung sowie in Bezug auf die Klärung bestimmter Themen war durchaus ein Fortschritt zu merken. Eine tragende Säule unserer Verbindung war die Tatsache, dass ich die Schwierigkeit ihrer Lage anerkannte, was sie als hilfreich und, wie sie es ausdrückte, »beruhigend realistisch« empfand.

Während sich unsere therapeutische Beziehung also weiterentwickelte, ging es mit ihrer körperlichen Verfassung stetig weiter bergab. Als ich zu unserer fünften Sitzung kam, musste ich zu meinem Entsetzen und meiner tiefen Enttäuschung feststellen, dass sie auf ein Organversagen zusteuerte. Kaum fähig, zu sprechen, brachte sie mit Mühe die folgenden zwei Worte heraus: »Mehr Zeit.« Diese ergreifenden Worte hallen in mir noch immer nach.

 

Als ich in der Woche darauf zu ihr ging, erfüllte ein fürchterlicher Gestank ihr Krankenzimmer. Tessa war zutiefst verzweifelt und läutete dauernd nach einer Schwester. Sie hatte die Kontrolle über ihren Darm verloren, ich konnte sehen, was passiert war, und sie wusste, dass ich es sah. Gutes Benehmen und Selbstkontrolle waren sozusagen die Grundausstattung ihrer Persönlichkeit. Sie musste das Versagen ihrer körperlichen Grenzen wie einen Verrat an ihrer Privatsphäre, ihrer Fähigkeit zur Selbstkontrolle und ihrer Würde empfinden. Sie konnte nur in ihrem Kot liegen, und mir wäre es unerträglich und lächerlich vorgekommen, einfach dazusitzen und nichts zu tun. Ich bot ihr an, Hilfe zu holen, und kam bald darauf mit einer Schwester zurück. Tessa behandelte sie ein wenig von oben herab. »Das ist wirklich inakzeptabel«, warf sie ihr vor. Wie wahr, und das in mehrfacher Hinsicht.

Von alldem stand nichts auf meinem Ausbildungsplan. Das hier deckte sich so gar nicht mit meinen Vorstellungen, wie eine Psychotherapie ablief, »Gesprächstherapie«, »das Heilen mit Worten« – dafür gab es keine Heilung.

Ich entschuldigte mich für ein paar Minuten. Als ich zurück in Tessas Zimmer kam, war sie wieder sauber, lag in einem frisch bezogenen Bett und war erneut in Stimmung, um mit mir zu reden. Wirklich zu reden. An diesem Nachmittag war sie völlig klar. Sie erzählte mir, dass sie ihre Söhne umarmt habe und dass es sich nicht gut angefühlt habe, weil es nicht gut war. »Es liegt nicht nur daran, dass ich körperlich so schwach bin«, sagte sie. »Es hat sich seltsam angefühlt, weil es für uns einfach nicht natürlich war, und wir alle wussten das. ›Natürlich‹ … ein sehr merkwürdiges Wort. Alles, was angeblich natürlich ist, ist mir nie leichtgefallen … stillen … umarmen … alles Natürliche fühlt sich für mich unnatürlich an …«

Ich fragte sie, welche Erfahrungen sie in ihrer Kindheit und Jugend mit Zuwendung gemacht hätte. Ihre Eltern waren distanziert und auch nicht eben aufs Kuscheln aus. Sie erinnerte sich, dass ihre Mutter ihr hie und da mal einen Klaps gegeben hatte, doch konnte sie sich beim besten Willen nicht daran erinnern, einmal liebkost worden zu sein. Ihr Vater war »ziemlich bärbeißig und allen gegenüber sehr förmlich, sogar zu sich selbst. Er ist bestimmt schon mit Anzug und Krawatte zur Welt gekommen.« Hin und wieder seien eher peinliche und oberflächliche Umarmungen ausgetauscht worden. Ihre Eltern waren scharfe Denker, mit Emotionen dagegen hatten sie so ihre Schwierigkeiten. Sie hätten schon Liebe empfunden, vermutet Tessa, aber diese zu zeigen fiel ihnen schwer.

»Meine Eltern, auch David, wir alle sind ein wenig seltsam, was das ›L-Wort‹ angeht. Manchmal haben wir am Ende eines Telefonats gesagt: ›Alles Liebe.‹ Und vor allem haben wir es auf Postkarten geschrieben. Manchmal sogar ›All meine Liebe‹. David unterschreibt seine Briefe damit. Was für ein Unsinn. Wann entspricht es denn jemals der Wahrheit, dass man ›all seine Liebe‹ gibt? Doch entspricht es ebenso wenig der Wahrheit, dass keine Liebe da ist, wenn man diese Worte nicht sagt … In gewisser Weise ist der Umgang mit Hunden einfacher. Hunde geben uns die Erlaubnis, ihnen unsere Zuneigung uneingeschränkt zu zeigen, und sie fordern keine Worte.«

Dann meinte Tessa, sie könne ihr Leben akzeptieren, sie könne das heimliche Kind ihres Mannes akzeptieren, sie könne all das akzeptieren. »Der Druck und die Belastung durch meine Krankheit haben einiges vereinfacht und geklärt. Der größte Teil meines Lebens ist schon vorüber, und das macht mir nichts aus. Ich kann loslassen. Ich muss nur noch diese wenigen losen Enden verknüpfen … Ich habe über die Frage nachgedacht, die Sie mir neulich gestellt haben, wie es mir mit Davids heimlichem Kind geht. Komischerweise komme ich damit klar. Wie ich gerade von meinen Eltern gesagt habe, haben einige von uns mit Nähe ein großes Problem. Selbst bei den Menschen, die wir lieben und von allen am besten kennen – tatsächlich ist es mit denen noch schwerer. Ich weiß, dass er mich liebt. Vielleicht hat er die andere Frau auch geliebt, doch er liebt mich von Herzen. Das hat er immer. Daran gibt es für mich keinen Zweifel. Ich wünsche mir wirklich, er hätte eine Möglichkeit gefunden, mir von dem Schlamassel zu erzählen, in den er sich gebracht hat, denn emotional muss er dafür einen hohen Preis gezahlt haben. Wie auch ich. Ich hätte für ihn da sein können. Er wollte sich der Verletzung, die das für mich bedeutet hätte, nicht stellen, aber wenn er es gekonnt hätte, dann wären wir einander vielleicht näher gewesen. Außerdem hat er mich so um die Möglichkeit gebracht, mich im Umgang mit der ganzen Sache als großmütig zu erweisen. Und mir tut auch das Mädchen leid. Wie ich Ihnen schon gesagt habe, Charlotte, hätte ich eine gute Lektorin abgegeben – wenn ich diese Geschichte überarbeiten könnte, dann würde ich sie in Ordnung bringen, das ganze raue, verwickelte Durcheinander, das David angerichtet hat, fein polieren, die Tochter willkommen heißen, David eine wütende Szene machen, ihm verzeihen und das Ganze in eine geschmackvolle Geschichte verwandeln. Doch diesen Triumph hat er mir versagt.«

»Aber jetzt gibt es doch einen Triumph in Ihrer Geschichte«, meinte ich.

Sie reagierte nicht auf meinen Einwurf. Vielleicht machte er sie verlegen, vielleicht war er nicht überzeugend genug. Und schließlich stand auch mein Wunsch nach einem triumphalen Abschluss dahinter. Sie kam wieder auf ihre Gefühle der Reue zu sprechen. »Wenn ich Ihnen von den Dingen erzähle, die ich bereue, dann hilft mir das sehr, und es hat auch meine emotionale Einstellung dazu verändert. Ich bedauere es immer noch, dass ich mit meinen Jungs nicht mehr gekuschelt habe. Dass ich ihnen nicht deutlicher gezeigt habe, dass ich sie liebe. Doch ich verstehe jetzt, warum. Das hat mit der Art zu tun, wie ich erzogen wurde, in gewisser Weise auch mit der Welt, aus der ich komme. Aber auch damit, dass ich nicht wirklich den Wunsch verspürte, sie zu berühren und im Arm zu halten. Mir schien das nicht wichtig zu sein. Ihnen ausdrücklich zu sagen, dass ich sie liebte – ich hatte immer das Gefühl, dass sich das von selbst versteht, aber vielleicht werden die Dinge, die sich von selbst verstehen, doch besser verstanden, wenn sie ausgesprochen werden … Mein Leben lang habe ich immer gedacht, dass irgendwann das Leben so sein würde, wie wir uns das vorstellten. David und ich hatten große Pläne für die Zeit nach seiner Pensionierung, wenn wir endlich einen Teil des Geldes, das wir zur Seite gelegt hatten, ausgeben könnten. Ich war mir so sicher, dass eines Tages alles wunderbar sein würde. Wie sich jetzt herausstellt, war dieser ›eine Tag‹ an jedem einzelnen Tag meines Lebens schon da.«

Ich fand ihren Scharfblick erstaunlich. Und er passte so gar nicht zu dem chaotischen Verfall ihres Körpers.

»Ich kann akzeptieren, dass mein Leben so gewesen ist, wie es war. Ich habe jetzt auch gar keine andere Möglichkeit mehr, als es zu akzeptieren. Doch ich halte immer noch an diesem Gefühl der Reue fest. Das heißt, ich kann darauf hoffen, dass Sie es einmal wertschätzen werden, zu kuscheln. Dass Sie sich erlauben werden, jemanden rückhaltlos zu lieben und sich ganz auf diese Person einzulassen. Dass Sie sich hingeben. Sie werden immer noch darüber nachdenken, was als Nächstes ansteht, ob es Ihre Pläne für den heutigen Tag sind oder was immer Ihnen durch den Kopf geht. Das ist unvermeidlich. Unsere Zufriedenheit hält nicht lange vor. Aber bitte denken Sie immer daran: Glauben Sie nur ja nicht, dass sich eines Tages, irgendwann später im Leben, der Sinn zeigen wird. Natürlich wird sich das auch später so anfühlen, aber der Sinn, das passiert jetzt. Er geschieht an jedem einzelnen Tag Ihres Lebens, wenn Sie nur aufmerksam sind.«

Ihr entfuhr ein leises Wimmern, und ich sah, wie sich ihr Körper unter Schmerzen krümmte. Über ihre körperlichen Beschwerden sprach sie kaum. Mein Herz fing wie wild an zu klopfen, als ich so dasaß und mit ansah, wie sie litt. Sie war ein Wrack.

»Sich hingeben«, sagte sie noch einmal. »Ich hätte mehr Liebe zu geben gehabt, aber die meiste Zeit meines Lebens habe ich mir nicht erlaubt, sie zu fühlen. Ich meine, sie wirklich zu fühlen. Das ist mittlerweile klar und offensichtlich, auch wenn ich noch dabei bin, die Wolken zu verscheuchen. Das, worauf es ankommt, und wie ich mich auf alle möglichen Arten zurückgehalten habe. Meine Liebe war nie total. Ich hatte immer Vorbehalte. Jetzt halte ich mich nicht mehr zurück und erlaube mir, mir mein Bedauern einzugestehen. Ich bin endlich aufrichtig, indem ich Ihnen all das erzähle.«

»Ihre Aufrichtigkeit ist bewundernswert«, sagte ich. »Doch ich glaube nicht, dass Liebe jemals total sein kann. Es gibt immer irgendwelche Komplikationen.«

»Komplikationen, ja, vielleicht. Doch die Liebe kann auch einfach sein. Ich könnte meinen Söhnen sagen, dass ich mir wünsche, ich hätte sie öfter in die Arme genommen. Doch bevor Sie jetzt auf die Idee kommen, ich könnte das doch machen, glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, dass uns das nicht schlagartig einander näherbringen wird. Vielleicht gäbe es ihnen eine Vorstellung von der Liebe, die ich nicht zeigen konnte. Ich weiß es nicht. Finden Sie heraus, wie Sie jetzt ein erfülltes Leben führen können. Warten Sie damit nicht. Wenn Sie darauf warten, irgendwann die Reichtümer des Lebens zu entdecken, stehen Sie am Schluss mit einem Haufen Asche da.«

Alles, was sie sagte, hatte für mich Hand und Fuß. Insgeheim hoffte ich immer noch, sie würde ihren Söhnen sagen, was sie wirklich empfand. Wir waren am Ende unserer Sitzung angelangt.

»Charlotte?«, rief sie mir nach. Ich machte kehrt. »Ich möchte, dass Sie wissen, dass ich David verzeihe, dass er ein anderes Kind hat. Und ich hoffe, meine Jungs können mir auch meine Unzulänglichkeiten vergeben. Wir alle wollen lieben und geliebt werden. Das ist alles, worum es geht, und das ist so verdammt schwer.«

 

Als ich in der folgenden Woche vor ihrem Zimmer stand, sagte mir eine Schwester, man habe Tessa ins Leberzentrum verlegt. Ich ging in das entsprechende Stockwerk, wo mir ein schlimmer, durchdringender Gestank entgegenschlug. Aber ich konnte Tessa nirgends finden. Eine der Schwestern deutete auf ein Bett, und ich sah mich um, sah sie aber nicht. Langsam verlor ich die Geduld mit der Schwester; sie schien mich nicht zu verstehen. Von oben herab wiederholte ich deutlich Tessas Namen und buchstabierte ihr laut den Familiennamen vor.

»Ja doch, Miss, sie liegt da«, sagte sie und deutete auf das Bett, an dem ich eben vorbeigegangen war. Also ging ich noch einmal hin. Das war nicht Tessa. Das war jemand anderer. Wo war Tessa? Ich konnte auch ihren Mann nirgends ausmachen. Also ging ich wieder zur Schwester.

»Das ist nicht meine Patientin«, sagte ich und deutete auf das Bett. Ich legte einen gebieterischen Ton in das Wort »Patientin«.

»Aber ja doch, Tessa liegt dort drüben«, widersprach sie.

Ich wanderte zurück zu dem bezeichneten Bett und studierte das Krankenblatt an dessen Fußende. Es war Tessa. Extrem angeschwollen und bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Ich konnte nicht fassen, dass das dieselbe Frau sein sollte wie eine Woche zuvor. Es war eine extrem verwirrende und schockierende Verwandlung. Das alles ergab überhaupt keinen Sinn. Sie sah mich an, ihr Gesicht war aufgedunsen und verzerrt, die Lippen einen Spaltbreit geöffnet. Und ich sah ihre blauen Augen, die jetzt glasig und verblichen wirkten. Nichts davon passte oder fühlte sich vertraut an. Ich hoffte nur, dass sie nicht mitbekommen hatte, dass ich sie nicht erkannt hatte.

»Hallo.«

Ich holte mir einen Stuhl ans Bett, zog die Vorhänge um uns herum zu und bereitete mich darauf vor, die folgenden fünfzig Minuten mit ihr zu verbringen. Dies war so ganz anders als unsere früheren Begegnungen. Sie sprach schwach und undeutlich flüsternd. Es kostete sie sehr viel Kraft, überhaupt etwas zu sagen. Ihr Atem ging schwer, ein stoßweises, flaches Keuchen. »Danke, meine Liebe«, sagte sie auf einmal, nachdem sie mehrere Minuten lang geschwiegen hatte, und »liebe dich«.

Kein »ich«. Ich weiß nicht, ob sie das ernst meinte, ob sie fantasierte und zu wem sie das genau sagte. Ich erwiderte nichts. Es hätte sich nicht richtig angefühlt, »Ich liebe dich« zu ihr zu sagen. Oder selbst nur »liebe dich«. Weder damals noch in all den Jahren, die diesem Moment folgten, habe ich diese Worte je zu jemandem gesagt, der bei mir in Therapie war. Ich habe starke Gefühle von Liebe verspürt, über Liebe gesprochen, Liebe im therapeutischen Rahmen zugelassen, doch habe ich nie in einer Therapie die Worte »Ich liebe dich« gesagt. Es fühlt sich zu offen, zu vertraut an. Zu bombastisch vielleicht.

Die Schwestern unterbrachen uns, weil sie irgendwas mit einer Sonde machen mussten, irgendwas entfernen und austauschen. Ich war außer mir, dass sie in unseren privaten Raum eingedrungen waren. Ich wollte ihr unbedingt das Gefühl der Verbundenheit geben, das Gefühl, dass sie geborgen und nicht allein war. Ich konnte mir kein Bild davon machen, wer sie war, wie es zu dem hier gekommen war, und ich wollte unbedingt an unseren geplanten Sitzungen festhalten. Wir hatten doch eine Vereinbarung getroffen! Wir arbeiteten doch immer noch ihre Geschichte heraus. Das war meine Vorstellung von Triumph, ihr helfen zu können, auf gute, schöne Weise von diesem Leben Abschied zu nehmen. Sie dämmerte immer wieder weg, war dann wieder kurz da, und ich weiß nicht, ob und wie viel sie von meiner Anwesenheit überhaupt mitbekommen hat, aber ich blieb die ganzen fünfzig Minuten an ihrem Bett und versuchte, die Verbindung zu ihr zu halten, wo immer sie war. Als ich aufstand, um zu gehen, schaute ich ihr in die Augen und sagte ihr, wie sehr ich unsere Gespräche geschätzt hätte und dass ich nie vergessen würde, was sie mir erzählt hatte. Sie kräuselte leicht die Lippen, und ich weiß nicht, ob sie meinen Worten folgen konnte. Dann sagte ich noch, ich würde mich schon auf unsere nächste Sitzung freuen. »Ich sehe Sie dann nächste Woche wieder«, waren meine letzten Worte zu ihr.

»Leben Sie wohl«, antwortete sie klar und deutlich.

 

Als ich Tessas Fall unter Tränen in meiner Supervisionssitzung vortrug, meinte die Supervisorin, ich hätte sagen sollen, dass dies für uns der Schlusspunkt gewesen sei – ich hätte die Augen vor der Wirklichkeit verschlossen und so getan, als würden Tessa und ich uns wiedersehen. Aber, wandte ich ein, selbst wenn sie offensichtlich bald sterben würde, wie sollte ich ihr das laut ins Gesicht sagen?

»Unsere Aufgabe ist es, schwierige Wahrheiten anzusprechen«, beharrte meine Supervisorin. Hätte ich Tessa gegenüber ehrlich gesagt, dass sie im Sterben lag, hätte ich mich von ihr verabschieden können (immerhin hatte sie mir ja Lebewohl gesagt), und wir hätten gemeinsam einen Abschluss finden können. So hätte ich mich wie die anderen Menschen in ihrem Leben verhalten, hätte ihr etwas vorgespielt und wäre zum realen Geschehen auf Abstand gegangen.

Aber vielleicht ist sie ja nächste Woche noch da, und dann werde ich mich von ihr verabschieden, dachte ich insgeheim. Doch Tessa starb vor unserer nächsten Sitzung. Als ich es erfuhr, ging ich nach draußen, schaute hinauf zu den Wolken und überließ mich meinem Schluchzen. Ich rief meine Mutter an und sagte ihr, wie gern ich sie hätte. Ich ließ all diese Gefühle zu, so irrational sie in mancher Hinsicht auch waren – ich kannte Tessa weder besonders gut noch besonders lange, warum also war ich so untröstlich? Eine Kollegin aus meiner Abteilung sah mich weinen. »Mein Beileid zu deinem Verlust«, sagte sie. Es war ein Verlust. Dennoch hatte ich das Gefühl, dass es nicht gerechtfertigt war, diesen Verlust als meinen zu reklamieren. Hatte ich irgendwo eine Linie überschritten, dass ich emotional so stark einstieg?

Das Ende von Tessas Leben markierte den Beginn meiner Arbeit als Psychotherapeutin. Ich war beruflich noch so grün hinter den Ohren und unerfahren, und die Kürze und die besonderen Umstände unserer Beziehung schützten den romantischen Schein, der diese umgab. Ich unterließ es, sie mit schwierigen Themen zu konfrontieren und Dinge zu sagen, die ich, hätte sie noch mehr Leben vor sich gehabt, vielleicht gesagt hätte. In dem bisschen Zeit, das wir miteinander hatten, konnten wir nicht gerade viel tun, aber wir haben etwas getan. Mir bedeutet dieses Gefühl der Möglichkeit sehr viel.

Sie hat mir mehr gegeben, als ich ihr geben konnte. In all den Jahren, die seit damals vergangen sind, hat mich das Gefühl der Freude, das in der Großzügigkeit wurzelt, immer zutiefst berührt. Obwohl von einer geradezu schreienden Augenfälligkeit, übersehen wir immer noch allzu leicht, wie sehr Geben unser Leben bereichert. Dabei geht es nicht um Selbstausbeutung oder darum, mehr zu geben, als wir haben – vielmehr darum, dass »Geben« ein Teil von »Haben« ist. Ich habe einmal ein Gespräch mit der Autorin Natasha Lunn4 geführt, bei dem sie mir erzählte, wie viel Freude darin liege, Liebe zu geben und nicht nur zu haben. »Wir bekommen so viel, wenn wir uns selbst lieben und verstehen. Doch Liebe zu geben ist ebenso lohnend«, sagte sie zu mir.

Tessa war jemand, der Geschenke mit Freude entgegennahm. Sie ließ mich ihr etwas geben. Und sie wusste Lebewohl zu sagen, auch wenn ich es damals nicht konnte. Sie lehrte mich etwas über den Mut, sich der Wahrheit zu stellen, über die Wichtigkeit, unsere Geschichten zu erzählen und sie zu korrigieren, über das Bewahren von Geheimnissen, das Loslassen, das Akzeptieren von Gefühlen der Reue und des Bedauerns sowie über das Privileg, Augenzeuge sein zu dürfen. Und darüber, wie schwer all das für uns sein kann.

Dabei fällt mir wieder der Psychotherapeut und Dichter Irvin Yalom5 ein und sein Bild der sich kräuselnden Wellen, wie eine Reihe kleiner Begegnungen auf überraschende Weise einen nachhaltigen Einfluss entfalten können.

Wir alle wollen lieben und geliebt werden, und das ist so verdammt schwer – dieser Satz fällt mir immer wieder ein, wenn ich von Beziehungskrisen höre, von schwierigen Familienverhältnissen, von Problemen am Arbeitsplatz und von inneren Konflikten. Und natürlich denke ich dann an Tessa und wie sehr sie sich danach sehnte, mit ihren Kindern zu kuscheln.

Wir schätzen das, was wir haben, erst dann, wenn wir wissen, dass wir es verlieren werden. Angesichts der sich abzeichnenden Bruchkanten ihres Daseins wusste Tessa, was sie wollte und was noch möglich war, und sie erkannte bestimmte Dinge, bevor es zu spät war. Jedes Ende kann sich abrupt und chaotisch anfühlen, auch wenn wir wissen, dass es kommt. Wir machen Fehler im Umgang mit den Menschen, die wir lieben. Es gibt immer neue Lektionen zu lernen. Warten Sie nicht auf die Reichtümer des Lebens.

Dass Tessa ihre erste Therapie auf dem Sterbebett machte, zeugte von ihrer Fähigkeit, zu lernen und sich ein ganzes Leben lang neuen Erfahrungen zu öffnen. Sie hieß die Frische der gelebten Erfahrung willkommen. Wie schnell von Begriff und lebendig sie in ihrer Offenheit war, als sie bereits im Sterben lag, machte mir Mut. Unsere Geschichte zu erzählen kann immer etwas verändern, solange wir unseren letzten Atemzug noch nicht getan haben.

Was Liebe bedeutet

Wir lieben, und wir verlieren. Möglicherweise lassen wir nicht zu, dass unsere Liebe zu nah, zu intensiv wird, weil immer das schmerzliche Damoklesschwert von Verlust und Ablehnung über uns schwebt. Vielleicht klammern wir uns auch an die Liebe, greifen nach ihr, wo immer es geht. So oder so, in Herzensangelegenheiten machen wir alles falsch und alles richtig. Oder in den Worten des Dramatikers Arthur Miller: »Vielleicht können wir nichts anderes tun, als zu hoffen, dass wir am Ende die richtigen Dinge bedauern.«6

Was tun mit unseren Gefühlen der Reue und des Bedauerns? Wir sagen uns: Was geschehen ist, ist geschehen. Aber Gefühle von Reue und Bedauern gehören nun einmal zu unserem menschlichen Dasein dazu, so unangenehm sie auch sein mögen. Das größte Problem an solchen Reuegefühlen ist, dass wir nicht gelernt haben, mit ihnen umzugehen. Und so werden daraus Selbstvorwürfe, Scham, Abwehr, Rechtfertigung, Wut, Schuldzuweisungen und – vielleicht am häufigsten – riesige Fantasiegebilde. Reuegefühle, mit welchen wir uns nicht auseinandersetzen, sind Nahrung für Fantasien, die uns durchspielen lassen, welches Leben, welche Liebe wir hätten haben können, all die Versionen von uns selbst, die uns nun versagt sind. Nicht aufgearbeitete Gefühle von Reue und Bedauern können sich als katastrophale Unruhestifter erweisen. Sich einzugestehen, dass man Dinge bedauert, ist ein ebenso mutiger wie liebevoller Schritt. Zuzugeben, dass man etwas gern anders gemacht hätte, ist ein Akt reiner Selbstliebe.

Lieben und Geliebtwerden äußern sich in Gestalt von Verlangen, Fürsorge, Verantwortlichkeit, Respekt, Nähe, Abgrenzung, Ideen und Großzügigkeit. Diese Dinge können sehr abstrakt sein und auch ganz konkret. Ein Kuscheln. Ein ausgesprochenes »Ich liebe dich«. Ein nicht ausgesprochenes »Ich liebe dich« und das Wissen, dass dieses Gefühl empfunden wird. Da zu sein. Zu trösten. Zu helfen. Sich helfen zu lassen. Zu akzeptieren. Liebe ist für jeden das universellste und zugleich das persönlichste Gefühl, und es scheint so, dass hier die großen Dinge (die Art von Liebe, die wir schätzen und als wesentlich empfinden) genauso viel zählen wie die kleinen (die kleinen, charmanten Eigenheiten wie die Kerzen, die Tessa so gerne anzündete). Lassen Sie den Zauber und die Zärtlichkeit zu. Was klein und nebensächlich scheint, kann trotzdem wichtig sein.

Wir alle wollen Liebe, doch selbst wenn wir liebevolle Beziehungen haben, können wir das Empfinden dafür im Alltagstrott verlieren. Alles wird uns zur Gewohnheit, und wir vergessen darüber, uns vor Augen zu führen, was wir haben. Das Auge kann die eigenen Wimpern nicht sehen. Mit ein bisschen Abstand aber vermag die Liebe sich selbst besser zu erkennen. Manchmal ergibt sich dieser Abstand aus der Empfindung, die kurz aufblitzt, wenn wir uns von jemandem verabschieden – ein flüchtiges Memento der Unvermeidlichkeit endgültiger Trennung, ein Hauch von Verfremdung –, die uns wieder mit unserer grundsätzlichen Wertschätzung verbindet.

Kapitel 2Verlangen

Die Konflikte rund um das Verlangen spielen in Beziehungen eine wesentliche Rolle. Sie bringen Menschen zusammen oder auseinander. In Kapitel 11