Weit außerhalb der Komfortzone und trotzdem nie am Ziel - Ernst Macher - E-Book

Weit außerhalb der Komfortzone und trotzdem nie am Ziel E-Book

Ernst Macher

0,0

Beschreibung

Die DigITellers sind wieder da! Nach ihrem unrühmlichen Ende in Band I wagt sich CEO Hoppenstett erneut aus der "Komfortzone", muss aber erkennen, dass weder in Europa noch in den USA Land in Sicht ist. Mit Dilettanten wie Harrer oder Nöhler ist einfach kein Staat zu machen, Wiener Urgesteine wie Ogris widersetzen sich wiederum hartnäckig seinem Willen zu maximaler Performance und Professionalität. Band II der Ernst Macher-Erfolgstrilogie berichtet erneut von den mittlerweile arg in Mitleidenschaft gezogenen DigITellers, greift aber auch gesellschaftliche Themen - wie z.B. die vollständige Kommerzialisierung unserer Welt oder den Einfluss von Social Media auf den politischen Diskurs - auf. In insgesamt sieben Kurzgeschichten wird deutlich, wie rasch gesellschaftliche (Pseudo)werte kollabieren, wenn die ökonomische Basis erodiert. Dem Grundsatz folgend "Humor ist, wenn man trotzdem lacht" überwiegt dennoch ein heiterer Grundton. Wenn Ihnen der erste Band der DigITellers gefiel, werden Sie auch über die sozialkritischere Fortsetzung herzlich lachen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 200

Veröffentlichungsjahr: 2024

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Zum Autor:

Ernst Macher studierte Wirtschaftswissenschaften in Wien und war zweieinhalb Jahrzehnte in internationalen Großunternehmen in den Bereichen Vertrieb & Marketing tätig. Seine beruflichen Erfahrungen und gesellschaftlichen Beobachtungen sind die Grundlage für diesen zweiten satirischen „DigITellers“-Kurzgeschichtenband.

Inhalt

Die neuen DigITellers

Bescheidenheit ist (k)eine Zier

Nöhlers amouröser Neustart

Wiener Schmäh 2.0

Ein Quantensprung kommt selten allein

Gestrandet in der Schönen Neuen Welt

Theater, Theater

Weinmann wählt

Ein kurzes Schlusswort

Die neuen DigITellers

Das Taschenbuch (oder E-Book), das Sie gerade in Ihren Händen halten, ist die Fortsetzung des satirischen Kurzgeschichtenbands „Einmal raus aus der Komfortzone und wieder zurück“. Anhand der fiktiven Firma „DigITellers“ werden erneut Buzzwords und Floskeln der Geschäftswelt thematisiert. Die insgesamt sieben Kurzgeschichten gehen diesmal aber weit über interne Unternehmensspielchen hinaus. „Weit außerhalb der Komfortzone und trotzdem nie am Ziel“ setzt sich auch mit gesellschaftlichen und politischen Fragen auseinander. Vor allem in der zweiten Hälfte des Buches werden auch ernstere Themen aufgegriffen, wie zum Beispiel die vollständige Kommerzialisierung unserer Welt oder der Einfluss von Social Media auf den politischen Diskurs. Dem Grundsatz folgend „Humor ist, wenn man trotzdem lacht“ überwiegt aber stets ein heiterer Grundton. Dieser ist bei den ersten vier Geschichten - „Bescheidenheit ist (k)eine Zier“, „Nöhlers amouröser Neustart“, „Wiener Schmäh 2.0“ sowie „Ein Quantensprung kommt selten allein“ - besonders ausgeprägt.

Bei „Gestrandet in der Schönen Neuen Welt“ sowie „Weinmann wählt“ schwingt hingegen auch ein gewisses Maß an Unbehagen und Ratlosigkeit mit. Es stellt sich die Frage, inwieweit sich aktuelle gesellschaftliche und politische Entwicklungen mit der Satire noch vertragen. Entscheiden Sie selbst.

Wie bereits im ersten Band wären etwaige Ähnlichkeiten der Protagonisten mit lebenden Personen rein zufällig und in keinster Weise beabsichtigt. In jedem Fall wünsche ich Ihnen bei der Lektüre viel Vergnügen. Es hat Spaß gemacht, die „DigITellers und den Rest der coolen Gang“ zwei Bücher lang satirisch zu begleiten.

Ihr Ernst Macher

Bescheidenheit ist (k)eine Zier

„Gütiger Himmel, hat sich der Bodensatz der Gesellschaft jetzt auch hier breitgemacht?! O tempora, o mores!“

Angewidert schüttelte Unger den Kopf und wandte sich Wohlfahrt zu. Dieser gab sich nicht so kritisch.

„Ach sei doch nicht so, Ferdinand! Sag mir noch einen Ort, wo der Schampus so köstlich prickelt und man noch dazu mit dem einfachen Volk auf Tuchfühlung gehen kann. Das geht nur im Schwarzen Dromedar!“

„Das vulgäre Gehabe dieser Zugereisten ist trotzdem enervierend. Nimm zum Beispiel diesen Ukrainer am Nebentisch! Der hat mir gerade meinen Stammparkplatz weggeschnappt und verschandelt jetzt mit seiner Proletenschüssel die Gegend! Wie kann man nur auf die Wahnsinnsidee kommen, sich einen knallroten Porsche Cayenne zu kaufen?! Bei einem solchen visuellen Affront ist es doch unmöglich, seinen Champagner zu genießen! Und über seine Rolex spreche ich erst gar nicht. Die ist ohnehin der feuchte Traum jedes Kellners!“

Wohlfahrt seufzte. „Da ist schon etwas Wahres dran. Aber kann man den Nouveaux Riches tatsächlich einen Vorwurf machen? Understatement, mein lieber Ferdinand, wird nicht jedem mit der Muttermilch mitgegeben.“

„Das mag schon sein“, erwiderte Unger, seines Zeichens Corporate Communication Leiter der Wiener Privatbank Märmarie. „Kann dieser Pöbel nicht unter sich bleiben? Mein Großvater pflegte immer zu sagen: „Setze nie einen Bettler auf den Thron. Er wird das Reich in seiner Einfalt in den Untergang führen.“

„Wie recht du hast! Vulgarität, so weit das Auge reicht!“

„Nimm zum Beispiel meine Uhr“, setzte Unger fort. „Ja, sie ist ein horologisches Meisterwerk und ja, sie ist eine Limited Edition! Aber muss das denn die ganze Welt wissen?“

„Natürlich nicht“, erwiderte Wohlfahrt. „Aber vielleicht kannst du trotzdem ein wenig aus dem Nähkästchen plaudern?“

Unger seufzte.

„Ist dir die Marke „Fromage Du Temps“ ein Begriff?“

„Vom Hörensagen durchaus, aber die Details, lieber Ferdinand …“

„Das ist eine winzig kleine Manufaktur in der französischsprachigen Schweiz. In jedes Ziffernblatt fließen mehr als dreihundert Stunden Handarbeit, und jedes Jahr verlassen gerade einmal zehn Stück die Manufaktur. Man muss sich auf eine Warteliste setzen lassen und vor dem Kauf beim Firmengründer vorsprechen. Ich dürfte ihm jedenfalls zu Gesicht gestanden haben.“

Stolz zwinkerte Unger seinem alten Studienkollegen zu.

„Wunderbar, Ferdinand. Das hast du dir wirklich verdient“, erwiderte dieser. „Darauf wollen wir einen trinken!“

Ein letztes Mal klirrten an diesem lauen Sommerabend die Champagnergläser. Dann empfahl sich Wohlfahrt aus familiären Gründen. Sein Sohn Julian, Handballnationaltorhüter in spe, hatte am Vormittag bei einem Kreisligaspiel eine ordentliche Abreibung bekommen. 33:5 war sein Team vom Platz geschossen worden. Ihm kam nun die unselige Aufgabe zu, seinen Sprössling zu trösten und ihm zu erklären, dass das Handball-Armageddon nicht das Ende der Welt sei.

„Vielleicht hat so ein Debakel ja auch was Gutes“, meinte er zum Abschied. „Fabian soll nächstes Jahr mal die Matura machen und dann Wirtschaft oder Jus studieren. Dass er nach diesem Fiasko noch Profitorhüter werden möchte, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. In diesem Sinne: Bis nächsten Freitag und Grüße an die Frau Gemahlin!“

„Werde ich ausrichten. Und lass dir wegen deinem Sohn keine grauen Haare wachsen. Unsere Söhne finden schon ihren Weg.“

„Wie recht du hast, lieber Ferdinand!“

Stinkwütend stieg Unger zehn Minuten später in seinen schneeweißen VW ID.7 und fuhr heim nach Klosterneuburg. Die letzte Stunde war für ihn eine einzige Demütigung gewesen. Zunächst hatte ihm dieser Ukrainer mit seinem knallroten Proloschlitten den Parkplatz weggeschnappt.

Dann hatte dieser ausgerechnet am Nebentisch Platz genommen und so laut gequasselt, dass ein zivilisiertes Gespräch mit Wohlfahrt unmöglich wurde. Dabei hatte Unger alles versucht, diesen Barbaren in seine Schranken zu weisen. Zuerst hatte er ihm einen strengen Blick zugeworfen, sich dann vornehm geräuspert und schließlich gesagt: „Excusez-moi, wir würden gerne in Ruhe parlieren.“ Doch alle Bemühungen waren vergeblich gewesen. Im Gegenteil! Der SUV-Protzer, der eine ausgesprochene Frohnatur zu sein schien, hatte sich entschuldigt und ihn und Wohlfahrt dann sogar auf ein Glas Champagner eingeladen.

„Ich bin der Yevgen“, hatte sich der Mann aus Kiew vorgestellt und dann mehrfach das Glas auf die ewige ukrainischösterreichische „Druschba“ erhoben. Unger war daher gezwungen gewesen, auf eine von seiner Seite aus nicht vorhandene Freundschaft mit einem proletenhaft gekleideten Emporkömmling anzustoßen. Er selbst hasste aufdringlich zur Schau gestellte Marken. Die Entdeckung einer neuen Luxusmarke mit dem Namen „The No Brand Company“, deren Logo „NBC“ nur auf der Innenseite der Kleidung appliziert war, begeisterte Unger. So sah wahres Understatement aus! Der Kleidungsstil des Ukrainers zeugte bedauerlicherweise vom genauen Gegenteil.

Am meisten ärgerte sich Unger aber über Wohlfahrts Handball-Anekdote. Die Niederlage von dessen Sohn beim Handball war sicherlich unangenehm gewesen. Trotzdem hatte dieser, im Unterschied zu seinem Tobias, die siebente Klasse ohne Probleme absolviert. Sein Sprössling hingegen hatte in den letzten Monaten zwar maximal beim weiblichen Geschlecht gepunktet, schulisch aber umso kläglicher versagt. Ende Juni waren schließlich drei Entscheidungsprüfungen angestanden, und nur durch eine „Sonderintervention“ Ungers hatte der lebenslustige junge Mann in Mathematik und Physik gerade noch die Kurve gekratzt.

Schuldirektor Blank war gegen eine diskrete „Turnhallen-Spende“ bereit gewesen, „mögliche Prüfungsfragen“ im Vorfeld offenzulegen. Nur bei der Entscheidungsprüfung in Psychologie hatte Unger auf jegliche Einflussnahme verzichtet, was sich furchtbar rächen sollte. Tobias war nach einer durchzechten Nacht mit einem Riesenkater angetreten, und sein Wissen zur Freud’schen Triebtheorie ließ sehr zu wünschen übrig. Seine Antwort „Triebe machen immer Freude“ wurde vom Professor jedenfalls als wenig profund beurteilt. Dass er sich anschließend vor der ganzen Klasse übergeben musste, machte die Sache nicht besser. Der Neo-Frauenschwarm war daher aufgefordert worden, bei der Nachprüfung Anfang September nochmals sein Glück zu versuchen. Nun war es bereits Mitte August, und Tobias hatte noch immer keinen Strich gelernt.

Als Unger eine halbe Stunde später die Hausgarage am Klosterneuburger Ölberg erreichte, atmete er tief durch.

Der Tag im Büro und der Ausklang im Schwarzen Dromedar waren herausfordernd gewesen, doch hatte er seiner Frau versprochen, Tobias noch an diesem Abend abzuprüfen.

Ursprünglich wäre Susanne diese Aufgabe zugefallen. Die Woche zuvor hatte sie ihren Sohn noch regelrecht bedrängt, sich endlich mit Freud & Co. auseinanderzusetzen, dann aber war ihr etwas dazwischengekommen. Ein Star-Yogi aus Sri Lanka war kurzfristig im Klosterneuburger Yogazentrum angekündigt worden, und Susanne ging dessen Foto nicht mehr aus dem Kopf. Der Typ war eine echte Kanone. Nicht nur beherrschte er die Yogatechniken Hatha, Vinyasa, Ashtanga und Kundalini, auch in Sachen Aussehen ließ er keine Wünsche offen mit seinem dunklen lockigen Haar, einem Blick tiefer als der Marianengraben und einem Körper wie Adonis.

Susanne musste bei diesem spirituellen Großereignis einfach dabei sein, und so bearbeitete sie ihren Mann ganze drei Tage lang, ihr das Abprüfen von Tobias doch ausnahmsweise abzunehmen. Dieser weigerte sich zunächst standhaft, da er mit seiner in Aussicht gestellten Turnhallenspende ohnehin schon alles Menschenmögliche getan hatte. Da Susanne aber stur blieb, zeigte er sich schließlich doch bereit, die bescheidenen Psychologiekenntnisse seines Sohnes auf Vordermann zu bringen.

„Also, welche Kapitel sind wirklich relevant? Dieser Psychologieheini muss dir doch irgendwelche ‚Tipps‘ gegeben haben", sagte er augenzwinkernd zu seinem Sohn, während er lustlos das Skriptum durchblätterte.

„Ursprung, Grund und Ausprägung der Umweltbewegung in den 70er und 80ern und deren Entwicklung bis heute“, gähnte Tobias.

„Das ist aber nicht dein Ernst, oder?“

„Wieso?“

„Na, weil das Thema so banal ist!“, erwiderte Unger. „Damals gab es Hainburg, die Antiatomkraftbewegung, dann natürlich den Reaktorunfall in Tschernobyl 1986, den sauren Regen …“

„Wahnsinn, das weißt du alles?“, fragte Tobias erstaunt.

„Natürlich, das ist doch Allgemeinwissen! Non vitae sed scholae discimus“[sic!], meinte Unger stolz und verwies dann auf die entsprechenden Seiten im Skriptum.

„Was?“, fragte Tobias.

„Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir.

Dieser Unterschied muss dir immer bewusst sein, hörst du? Sonst noch ein ‚Geheimtipp‘, was kommen KÖNNTE?“

„Ja, Professor Wegseher hat gemeint, ich soll mir irgendeine Maselpyramide anschauen. Keine Ahnung, was das sein soll.“

„Die was? Meinst du vielleicht die Maslowsche Bedürfnispyramide?“

„Hmm, kann sein. Das Ding sah jedenfalls aus wie ein Gugelhupf.“

Unger schüttelte den Kopf.

„Mein Gott, wie kann man so etwas Verstaubtes überhaupt noch unterrichten! Das ist irrelevanter als das geozentrische Weltbild!“

„Das was?“

„Vergiss es! Also prinzipiell gingen die Psychologen im letzten Jahrtausend davon aus, dass die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse immer denselben Gesetzen folgt und keine Stufe übersprungen werden kann. In einfachen Worten ausgedrückt: Zuerst kommt das Fressen, dann der Besitz und am Schluss die Selbstverwirklichung. Aber heute stimmt das natürlich nicht mehr. Nimm zum Beispiel deine Mutter und mich: Besitz war uns nie wichtig. Gegen gutes Essen und ein gutes Buch habe ich vielleicht nichts einzuwenden, aber eben alles in Maßen! Understatement und Bescheidenheit – darauf kommt es im Leben wirklich an, und dafür kämpfe ich jeden Tag privat und beruflich.“

Tobias verdrehte die Augen.

„Also dieser Maslow hat bei seiner Theorie auf Leute wie dich und Mama vergessen?“

„Möglicherweise ein wenig!“, antwortete Unger und senkte in tiefer Demut sein Haupt.

„Papa, darf ich vor der Prüfung noch zehn Tage runter nach Kroatien? Sebi hat mir geschrieben, dass sein Vater neue Jet-Skis gekauft hat und sie jeden Tag mit dem Motorboot rausfahren. Angeblich soll das Klima in Split ideal zum Lernen sein, da kann ich mein Wissen sicher perfektionieren.

Die Maturaklasse wird ohnehin sehr anstrengend werden.“

Unger überlegte. Sebastians Vater war ein hohes Tier im Bankwesen, und eine enge Freundschaft wäre seiner Karriere sicherlich zuträglich. Außerdem war Sebastian bereits zwei Jahre älter als sein Sohn, und diese Reife hätte gewiss einen positiven Einfluss auf dessen Lerneifer. Die Nachprüfung selbst war an Lächerlichkeit ohnehin nicht zu überbieten. Schuldirektor Blank hatte Wegseher nach Tobias' vergeigter Entscheidungsprüfung angewiesen, im Falle der Fälle „beim Unger ein besonders großes Auge“ zuzudrücken. Die Turnhallenspende war nämlich, das wusste Blank nur zu gut, noch nicht ganz in trockenen Tüchern.

Auf Basis der angestellten Überlegungen zeigte Unger daher Verständnis für seinen Sohn.

„Also gut, aber nur wenn du mir versprichst, dass du in Kroatien ordentlich lernst. Alles klar?“

„Du bist der Beste, Papa“, rief Tobias und fiel Unger um den Hals. „Den Masel habe ich im September sowas von drauf.

Du wirst stolz sein auf mich!“

„Maslow“, korrigierte Unger dezent. „Wenn du mich jetzt aber entschuldigst. Ich möchte mir diesen Buddenbrooks-Film auf Netflix anschauen.“

„Den was?“, fragte Tobias.

„Die Verfilmung eines berühmten deutschen Bildungsromans. Es geht um den Aufstieg und den Fall einer deutschen Kaufmannsfamilie.“

„Pfff“, meinte Tobias. „Stört es dich eh nicht, wenn ich heute noch kurz in den „Volksgarten“ schaue? Heute ist Techno Night – das ist einfach das Größte!“

Unger störte es nicht. Er war ohnehin schon in die opulente Thomas Mann-Verfilmung vertieft.

„Ja, ja“, sagte er geistesabwesend.

„Du bist der Beste!“, erwiderte Tobias daher ein zweites Mal an diesem Abend und salutierte ab. Jetzt war Party angesagt!

Unger konnte nun endlich entspannen. Die letzte Woche hatte ihm einiges abverlangt, und auch der morgige Abend würde es in sich haben. Er und Susanne waren zu einer „Save the Planet“-Gala im Wiener Prater eingeladen, wo sich die Creme de la Creme der Wiener Gesellschaft ein Stelldichein gab. Unger würde die Aufgabe zukommen, im Namen der Märmarie Bank dem WWF einen zehntausend-Euro-Scheck zu überreichen. Sein Arbeitgeber wollte mit dieser Summe einen Beitrag zur Rettung des geschundenen Planeten Erde leisten, und Unger sollte eine Rede halten, die an der wohltätigen Gesinnung seines Unternehmens keinen Zweifel ließ. Salbungsvolle Worte lagen ihm, und so fertigte er bereits während des Buddenbrooks-Films einen ersten Entwurf an.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Bereits letztes Jahr hat die Märmarie Privatbank fünftausend Euro für den Artenschutz gespendet. Im Haus des Meeres erfreut sich unser gesponserter und geliebter Goldfisch Rudi noch immer bester Gesundheit. Dieses Jahr verdoppeln wir die Summe und retten damit die ganze Erde! Zu besonderem Dank verpflichtet bin ich aber auch …“

brachte Unger zu Papier. Nach der Hälfte der Thomas Mann-Verfilmung übermannte ihn jedoch der Schlaf.

Susanne kam an jenem Abend sehr spät nach Hause. Leise, ganz leise, öffnete sie die Tür und schlich sich auf Zehenspitzen an Unger vorbei. Dieser brach beim Schnarchen gerade alle Lautstärkenweltrekorde.

Trotzdem wachte er auf, da seine Frau über Tobias‘ Lehrbuch, das dieser nach dem gemeinsamen Büffeln auf den Wohnzimmerboden geschmissen hatte, gestolpert war.

„Wo warst du so lange?“, murmelte er.

„Pssst“, wisperte Susanne. „Ich war im Yogazentrum. Spirituell gesehen war der Abend unglaublich. Wir treten bald in ein neues Zeitalter ein. Trotzdem bin ich jetzt todmüde.

Gute Nacht.“

Unger schlief in jener Nacht jedoch NICHT gut. Susannes Ausflüge ins Klosterneuburger Yogazentrum interessierten ihn zwar weniger als Goldfisch Rudis Gesundheit. Trotzdem ärgerte ihn, dass Susanne kein einziges Wort über den Abend verloren hatte und sich auch am nächsten Morgen in Schweigen hüllte. Irgendwann reichte es ihm.

„Was macht ihr eigentlich in diesem Zentrum? Wenn man sich bis zwei Uhr früh verrenkt, muss man sich ja wie ein Plastilinmännchen fühlen! Oder ist das Ganze ein Debattierklub?“, echauffierte er sich.

„Es ist immer dasselbe mit dir“, verteidigte sich seine Frau.

„Purer Materialismus und ein dunkelrot leuchtendes Wurzelchakra, das mit dem deines Freundes Wohlfahrt um die Wette leuchtet! Zigmal hat dir der Hatha-Yogi beim letzten Detox-Retreat geraten, barfuß zu gehen. Gib dem Spirituellen doch zumindest eine Chance!“

„Und kann mir der Hatha-Yogi auch sagen, wie ich barfuß durch die Bank laufen soll? Das ist gegen unseren Dresscode! Andererseits war dieses Schickimicki-Retreat so teuer, dass ich mir ohnehin bald keine Schuhe mehr leisten kann!“, legte Unger nach.

Susanne verdrehte die Augen. Dann warf sie ihre Serviette auf den Tisch und stand auf.

„Findet diese Spendengala heute Abend nun statt oder nicht?“

„Natürlich! Sag bloß, die hast du auch vergessen?“

„Nein, hab‘ ich nicht!“ giftete Susanne zurück. „Allerdings habe ich nichts Vernünftiges zum Anziehen, und einen Kosmetiktermin lässt dein Geiz wohl nicht zu, oder?“

Unger stöhnte. Jedes Mal, wenn seiner Frau etwas gegen den Strich ging, zückte sie die „Spiritualität schlägt Geiz“-Karte.

„Da hast du achthundert Euro. Das wird wohl reichen für ein strahlendes Lächeln in die Kamera, oder?“

Susanne verzog den Mund.

„Ich wiederhole: Knallrot leuchtet dein Wurzelchakra! Geh wenigstens einmal barfuß durch den Garten. Dann schaffst du es bis zum Abend vielleicht zum Homo semi-sapiens!“

Die Barfußwanderung durch den Garten entfiel. Nachdem es Unger zudem nicht gelungen war, den im Morgengrauen zurückgekehrten Tobias aufzuwecken, fuhr er erneut zum Schwarzen Dromedar. In Sachen Outfit beschloss er, diesmal dem so markenaffinen Pöbel ein wenig entgegenzukommen. Er verzichtete auf seine NBC-Klamotten, von dem am Tag zuvor niemand Notiz genommen hatte, streifte einen fliederfarbenen Lacoste-Pullover über, schlüpfte in graue Chinos von Boss und legte eine Rolex Daytona Limited Edition an.

„Ey, Druschba naswegda! (Freundschaft auf ewig)“, rief ihm die Kiewer Frohnatur diesmal schon von weitem zu und lud ihn sogleich auf ein Gläschen Champagner ein. Ungers ursprüngliche Skepsis wich einem ersten soziologischen Interesse. Man parlierte und sozialisierte, und so erfuhr er einiges über Yevgens steinigen Weg vom Gebrauchtwagenverkäufer zum erfolgreichen Firmeninhaber. Irgendwann landete man beim Thema Mode und Stil.

Himbeerfarbene Sakkos und Goldkettchen hätte er einst in den wilden Neunzigern in Kiew getragen und einen auf dicke Hose gemacht, erzählte Yevgen. In Wien hätte er aber aus seinen Fehlern gelernt und sich zu einem modischen Connaisseur entwickelt. Unger kommentierte diese Selbsteinschätzung nicht weiter, doch festigte sich mit jedem Schluck Champagner die Druschba zwischen den beiden Männern. Nach vier Gläschen Champagner ging es dann beschwingt zurück nach Klosterneuburg.

Dort war Tobias soeben aufgestanden und stellte fest, dass das Mischen unterschiedlichster alkoholischer Getränke für einen klaren Kopf am nächsten Morgen bedingt förderlich ist. Susanne war noch immer shoppen und hörte daher sein Jammern nicht. Als Unger die Haustür öffnete, vibrierte sein Handy.

„Warte nicht auf mich. Ich komme direkt zur Spendengala.

PS: Um Deinen Geldbeutel zu schonen, erscheine ich heute in meinen alten Fetzen und mit Pickel auf der Stirn. Ich hoffe, du findest Geiz dann noch immer geil und kannst schleimig in die Kamera grinsen!“

Unger schüttelte den Kopf. Die WhatsApp-Nachricht war typisch für Susanne. Jedes Mal, wenn sie auf etwas keine Lust hatte, packte sie ihre „In Wahrheit bin ich ein Hippie und brauche nur Luft und Liebe“-Masche aus. Zutiefst lächerlich war das Ganze. Seine Ehe war auch schon mal besser gewesen.

Dennoch entwickelte sich die abendliche Spendengala im Wiener Prater zu einem rauschenden Fest. Ein gut erhaltener 90-jähriger Immobilientycoon trumpfte mit seiner mittlerweile fünften Ehefrau auf, ein ehemaliger Opernballmoderator überzeugte erneut mit seinem blendenden Aussehen, und auch die anderen B-, C- und D-Prominenten küssten sich charmant durch den Abend.

Auch Unger war in Hochstimmung. Aufgrund der Zehntausend-Euro-Spende der Märmarie Bank war ihm und Susanne ein VIP-Tisch zugeteilt worden, an dem eine ehemalige Fernsehmoderatorin und der Leiter der Bildungsdirektion Wien saßen. Angeregt diskutierte man bis zum Hauptgang den Stellenwert der Digitalisierung im Bildungswesen und war sich einig, dass trotz aller Fortschritte noch die eine oder andere Extrameile zu gehen wäre.

„Non scholae sed vitae discimus, höhöhö“, meinte der Bildungsdirektor und stieß mit den Ungers dann auf den letzten Pisa-Test an.

„Hohoho“, erwiderte Unger und ergänzte dann „Quod erat demonstrandum!“

Mit „Hihihi“ zeigte sich schließlich auch Susanne solidarisch und lobte die österreichische Bildungspolitik über den grünen Klee.

Dann begann der offizielle Teil des Abends. Zu den Klängen von Michael Jacksons „Heal the World“ bedankte sich der Wiener Bürgermeister zunächst für die wunderbare Veranstaltung und übergab dann an den guterhaltenen Ex-Opernballmoderator. Dieser begeisterte mit charmanten Anekdoten zum Thema Klimawandel und betonte, dass jeder der Anwesenden seinen Beitrag für eine bessere Welt leisten müsse – eine Feststellung, die mit tosendem Applaus honoriert wurde. Dann folgte der monetäre Höhepunkt des Abends: Unger kam mit seiner Frau auf die Bühne und verkündete im Namen der Märmarie-Bank, dass es dieser ein Herzenswunsch sei, für Goldfisch Rudi und auch für die nächste Generation einen lebenswerten Planeten zu hinterlassen. Nun kannte die Begeisterung kein Halten mehr. Alle B-, C- und D-Prominenten klatschten, und der Head of Corporate Communication durfte strahlend den 2x1 Meter großen Hochglanzkartonscheck über zehntausend Euro in die Kamera halten. Ungers salbungsvolle Worte entfielen an jenem Abend. Die Welt zu retten machte einen Riesenspaß, und so konnte er sich im Anschluss mit ruhigem Gewissen seinem Dessert widmen.

„Good Job! Ich habe übrigens keinen Pickel auf deiner Stirn bemerkt. Wenn du noch fünf Kilo abspeckst, bekommen wir nächstes Jahr sogar den Platz am Bürgermeistertisch, hohoho“, sagte er gutgelaunt zu seiner Frau.

„Das glaube ich kaum, denn ich werde dich verlassen, hihihi“, erwiderte diese und prostete ihm zu.

Diese Antwort fand Unger weniger amüsant. Wie nach einem Tiefschlag von Mike Tyson verschluckte er sich am Champagner und musste husten. Hinzu kam, dass der Bildungsheini neben ihm Susannes Antwort offensichtlich mitgehört hatte. Verlegen lächelte ihn dieser jedenfalls an, was Unger in seiner Vermutung noch bestärkte – und wütend machte.

„So ein Scheck würde euch Bildungstotengräbern wohl auch guttun!“, schleuderte er diesem entgegen. „Wenn man das Schulsystem aber so gegen die Wand fährt wie Sie, wird daraus wohl nichts werden.“

Dann hustete er nochmals, tupfte sich die letzten Champagnerperlen von den Lippen und verkündete lautstark: „Wir gehen! Gegen dieses Trauerspiel ist sogar Goldfisch Rudi ein Entertainer!“

Auf der Heimfahrt herrschte dicke Luft. Susanne sagte kein Wort, und auch Unger wollte sich keine weitere Blöße geben.

„Hast du einen anderen?“, entfuhr es ihm kurz vor dem Kreisverkehr zum Stift Klosterneuburg dann aber doch.

Sie seufzte.

„Das ist es nicht. Es ist einfach dieses Festhalten am Materiellen und deine Arroganz. Das kannst du mit deinem Wurzelchakra aber nicht verstehen.“

„Also, du hast jemanden?“, bohrte Unger weiter.

„Ich habe jemanden kennengelernt, aber das ist es nicht …“

„Ich wusste es! Wahrscheinlich irgendein Schicki-Micki-Esoteriker mit vollem Herzchakra, langen braunen Locken, gütigem Blick und durchtrainiertem Body, richtig?“

„Ich kann nichts dafür. Er kam vor zwei Tagen in unser Yogazentrum. Es ist eine magische Verbindung, die nicht von dieser Welt ist“, verteidigte sich Susanne.

„Ich wusste es!“ brüllte Unger nun für ganz Klosterneuburg hörbar durch das Auto. Wir klären alles Weitere, wenn Tobias in Kroatien ist. Es interessiert mich jetzt schon brennend, wie du dir deine Zukunft mit Yogi ‚Schießmichtot‘ vorstellst!“

Tobias bekam von den Querelen seiner Eltern in dieser Nacht nichts mit. Von der letzten Nacht im „Volksgarten“

immer noch schwer gezeichnet, war er ausnahmsweise früh zu Bett gegangen, um sich für seine Reise nach Split auszuschlafen. Lernmotivator Sebi sollte ihn dort schon am nächsten Tag vom Bahnhof abholen. Zudem bemühten sich seine Eltern, die Klärung ihrer „unüberbrückbaren Differenzen“ teilweise zu vertagen. Eloquent und untergriffig, aber leise warfen sie sich die halbe Nacht Gemeinheiten an den Kopf, bevor sie todmüde und stinksauer in ihre getrennten Betten fielen. Am Ölberg hing der Hausfrieden nun echt schief.

Leider sollten die ehelichen Differenzen aber nicht das einzige Problem des Corporate Communication Managers bleiben. Auch in der Märmarie Bank zeigten sich kurz nach dem Spendengala-Debakel dunkle Wolken am Horizont.

„Kollege Unger, hätten Sie die Freundlichkeit, mir zehn Minuten ihre ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken?“, bat ihn Horner, sein Vorgesetzter, zwei Tage später in dessen Büro.

„Wie soll ich es ausdrücken, langjähriger Wegbegleiter?“, begann dieser. „‚Tempora mutantur, nos et mutamur in illis‘ pflege ich immer zu sagen.“

„Wie bitte?“, erwiderte Unger.

„Die Zeiten ändern sich, und wir ändern uns mit ihnen“, übersetzte Horner. „Wir werden in Zukunft wohl getrennte Wege gehen.“

„Was?“, entgegnete Unger.

„Ja, Sie haben richtig gehört. Der ROI unserer Events ist unterirdisch. Niemand nimmt mehr Notiz von Goldfisch Rudi, ‚Save the Planet‘-Kartonschecks oder ähnlichem Blödsinn.

Wir müssen den PR-Bereich völlig neu aufstellen, und für diesen Job sind Sie einfach der falsche Mann!“

„Wir machen nun also auch ‚Green Washing‘ und ‚Pink Washing‘?“

„Nennen Sie es ‚CO2 neutral‘ und ‚inklusiv‘. Aber das ist nur ein Teil des Problems. Es ist Ihre plötzliche Volksnähe, die mich irritiert. Nehmen Sie doch Ihre ständigen Ausflüge ins Schwarze Dromedar, Ihren Drang, sich dem Pöbel an den Hals zu werfen, ihre ungewohnte Lockerheit. Nun ja, ‚Amicus certus in re incerta cernitur‘“. „Wie bitte?“, erwiderte Unger erneut.

„‚Ein wahrer Freund zeigt sich auch in unsicherer Lage‘. Ich nehme aber an, dass sie diesbezüglich ohnehin keine Probleme haben werden. Unglaublich, mit welchen Leuten Sie in letzter Zeit Umgang pflegen. Für ein adrettes Pressefoto mag das opportun sein, aber im privaten Bereich? ‚O tempora, o mores‘ kann ich da nur sagen! Was für Zeiten!“

„Ja, ist das denn nun auch verboten?“, protestierte Unger.

„Aber nein! Ich habe durchaus Verständnis! Der Schampus fließt. Man stößt mit dem gewöhnlichen Volk an, sozialisiert ein wenig und so folgt eines auf das andere. Alles nicht tragisch, aber als Traditionsbank“, – und an dieser Stelle seufzte Horner – „haben wir eben einen Ruf zu verlieren.