Welche Zukunft hat die soziale Marktwirtschaft? - Michael Hüther - E-Book

Welche Zukunft hat die soziale Marktwirtschaft? E-Book

Michael Hüther

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Beschreibung

Die soziale Marktwirtschaft ist grundlegend für Deutschlands Gesellschaftsordnung – freier Wettbewerb, Preisstabilität und sozialer Ausgleich haben dieses Modell so erfolgreich gemacht. Jedoch wurde spätestens mit der Finanzmarktkrise 2008 deutlich, dass dieses Modell im 21. Jahrhundert weiterentwickelt werden muss. Digitalisierung, Dekarbonisierung und geopolitische Machtkämpfe erhöhen den Druck. Michael Hüther bietet einen Überblick zum Zustand und zu den Perspektiven der sozialen Marktwirtschaft.

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Wirtschaft ist Gesellschaft, Bd. 1

herausgegeben von Siegfried Russwurm und Joachim Lang Bundesverband& der Deutschen Industrie e. V.

Michael Hüther

Welche Zukunft hat die Soziale Marktwirtschaft?

Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2022

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlagkonzeption und -grafik: Michel Arencibia, Bundesverband der Deutschen Industrie

Umschlaggestaltung: Verlag Herder

E-Book-Konvertierung: Daniel Förster, Belgern

ISBN Print: 978-3-451-07229-1

ISBN E-Book (EPUB): 978-3-451-82712-9

ISBN E-Book (PDF): 978-3-451-82714-3

Inhalt

Vorwort – Welche Zukunft hat die Soziale Marktwirtschaft?

1. Soziale Marktwirtschaft: Wirtschaftsordnung als deutsche Legende

Soziale Marktwirtschaft als Versöhnungsidee

Vom Wirtschaftswunder bis zur Agenda 2010

Soziale Marktwirtschaft in einer multiplen Legitimationskrise

2. Der lange Schatten der Hyperinflation: Währungsreform, Sicherheitspräferenz und Korporatismus

Die Währungsreform 1948 als Gründungsmythos

Die Folgen der Hyperinflationen des 20. Jahrhunderts

Die Nachwirkung in der Wirtschaftsordnung

3. Die prägende Kraft der Weltwirtschaftskrise: Ordoliberalismus, Marktmacht und Wettbewerb

Weltwirtschaftskrise als Urkrise der kapitalistischen Wirtschaftsweise

Ordoliberalismus als konsistente Vorstellung einer robusten Marktwirtschaft

Erweiterung der Ordnungsökonomik in der Angebotspolitik

4. Herausforderungen der Sozialen Marktwirtschaft: Säkulare Konflikte und systematische Bedarfe

Soziale Marktwirtschaft im demokratischen Selbstgespräch

Globalisierung: Chancen für Souveränität?

Finanzmärkte: Chancen für Stabilität und effiziente Steuerung?

Digitalisierung: Chancen für Ordnung und fairen Wettbewerb?

Klimaneutralität: Chancen für einen geordneten Strukturwandel?

Identitätsegoismus: Chancen für Mitverantwortung?

5. Die Zukunft der Sozialen Marktwirtschaft

Literatur

Über den Autor

Vorwort – Welche Zukunft hat die Soziale Marktwirtschaft?

von Siegfried Russwurm und Joachim Lang

Die Soziale Marktwirtschaft hat in Deutschland an Popularität gewonnen: 56 Prozent der Bürgerinnen und Bürger haben demnach eine gute Meinung vom deutschen Wirtschaftssystem. Das ist der höchste Wert seit 1996. Ihnen stehen 15 Prozent gegenüber, die das Wirtschaftssystem kritisch sehen bzw. keine gute Meinung haben (Institut für Demoskopie Allensbach, 2021, Nachhaltigkeit in der sozialen Marktwirtschaft). Auch die Coronakrise hat an der grundsätzlich positiven Einschätzung nichts geändert. Aus Sicht der Wirtschaft sind die Studienergebnisse erst einmal eine gute Nachricht, zumal in früheren Krisen das Vertrauen in unser Wirtschaftssystem und in wesentliche Akteure wie Finanzinstitute und Unternehmen stark erschüttert wurde.

Die grundsätzliche Zustimmung zum Wirtschaftssystem ist indes nur ein Indikator für seine Funktionsfähigkeit, darf aber den Blick auf globale Umwälzungsprozesse nicht verstellen, die es künftig unter Druck setzen werden. Vieles hat sich verändert, seit Ludwig Erhard zusammen mit anderen Vordenkern wie Alfred Müller-Armack die Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft in praktische Politik umgesetzt hat. Dabei hat sie sich über die Jahrzehnte hinweg als anpassungsfähig erwiesen. Die Soziale Marktwirtschaft ist »kein fertiges System, kein Rezept, das, einmal gegeben, für alle Zeiten im gleichen Sinne angewendet werden kann. Sie ist eine evolutive Ordnung, in der es neben dem festen Grundprinzip, dass sich alles im Rahmen einer freien Ordnung zu vollziehen hat, immer wieder nötig ist, Akzente neu zu setzen gemäß den Anforderungen einer sich wandelnden Zeit.« (Alfred Müller-Armack, 1974, Genealogie der Sozialen Marktwirtschaft)

In Deutschland stehen Industrie und industrienahe Dienstleistungen immer noch für etwa 30 Prozent der Wirtschaftsleistung. Das ist im internationalen Vergleich herausragend. Als Industrieland sind wir zugleich Innovationsland und Exportland – daher müssen wir, um unser Wirtschaftsmodell zukunftsfähig zu machen, unsere industrielle Basis sichern.

Wir stehen vor gravierenden Umbrüchen, die Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gemeinsam meistern müssen. Der demografische Wandel wird sich in den nächsten Jahren massiv bemerkbar machen – auf dem Arbeitsmarkt mit einem größer werdenden Mangel an qualifizierten Fachkräften, aber auch mit Blick auf die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme. Digitalisierung und Dekarbonisierung sind zwei dominierende Megatrends, die unser industriebasiertes Wirtschaftsmodell auf die Probe stellen. Und die Globalisierung, die das Exportland trägt, steht unter Druck durch Protektionismus und Systemkonflikt zwischen dem transatlantischen Westen und China.

Mit der Reihe »Wirtschaft und Gesellschaft« wollen wir Anstöße zur Debatte geben, wie die Zukunft der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland erfolgreich gestaltet werden kann. Wir danken Herrn Professor Dr. Michael Hüther dafür, in einem grundlegenden ersten Beitrag zu erläutern, wo er die größten Herausforderungen für die Soziale Marktwirtschaft in Deutschland sieht und wie wir diesen erfolgreich begegnen können.

1.Soziale Marktwirtschaft: Wirtschaftsordnung als deutsche Legende

Soziale Marktwirtschaft als Versöhnungsidee

Mal wieder ein Buch, so wird der eilige Beobachter denken, das sich in Erinnerungen an gute, aber vergangene Zeit ergeht und das die Hoffnung zu vermitteln versucht, dass es wieder so werden könnte. Ein Buch, das einer längst überkommenen deutschen Besonderheit nachtrauert und aussichtsloserweise eine Renaissance der Sozialen Marktwirtschaft in Zeiten versucht, in denen alles ganz anders zu werden scheint, die historische Dimension des globalen Wandels unserer Wirtschaftsweise von nahezu jedem betont wird. Jetzt, wo so viel so schnell und gleichzeitig zu tun ist, da soll mit der Sozialen Marktwirtschaft der Blick auf ein historisches Konzept, das in Deutschland entwickelt und nur dort praktische Bedeutung erlangte, gerichtet und damit mehr über Ordnungspolitik als Prozesspolitik gesprochen werden. Zugleich wird der Blick auf die dafür grundierende Ordnungsökonomik gelenkt, die in der Wirtschaftstheorie ein ebenso abseitiges – deutsches – Dasein fristet.

Das lässt für viele Langweiliges erwarten. Motiviert doch jede deutsche Legende, Affäre, Sonderlösung dazu, in stimmigen, aber blutleeren Bildern das Prinzipielle immer wieder neu zu betrachten und neu zu begründen. »Deutsch sein heißt, eine Sache um ihrer selbst willen so gründlich zu betreiben, bis alle schlechte Laune haben.«1 Das trifft auf viele Beiträge zur Sozialen Marktwirtschaft zu, indem entweder jede Abweichung und jede Ergänzung zum Verrat übersteigert oder der Begriff selbst zum ultimativen Argument in der Auseinandersetzung wird. Nun wäre es leichtsinnig, dagegen das Versprechen zu setzen, in und mit diesem Buch für gute Laune sorgen zu wollen. Aber die Gründlichkeit der Argumentation soll sich nicht auf die Textexegese beziehen, sondern sowohl darauf, was diese deutsche Idee einer Wirtschaftsordnung erklärt und prägt, als auch darauf, was die Herausforderungen unserer Zeit an Fragen aufwerfen und an Neuformulierungen verlangen.

Die Soziale Marktwirtschaft als deutsche Wirtschaftsordnung hat mit Ludwig Erhard einen Inspirator, einen Ideengeber, dessen Rolle jedenfalls in der öffentlichen Wahrnehmung weitgehend unbestritten ist. Ihm kommt trotz aller Relativierung2 und Kritik3 in der Erinnerungskultur unseres Landes der Status einer Ikone zu, seine programmatische Schrift »Wohlstand für alle« erlebte immer wieder neue Auflagen.4 Historischer Ausgangspunkt war die Währungsreform 1948, mit der bereits vor der Gründung der Bundesrepublik ein unverzichtbarer Schritt zur Stabilisierung des Geldes und damit des Vertrauens in die neuen Institutionen der Demokratie gemacht worden war – quasi als Import der Alliierten. Das Lob der Sozialen Marktwirtschaft war dadurch stets eng mit der Würdigung der Deutschen Mark verbunden; beides begründete die deutsche Legende. Der Gründungsmythos der Bundesrepublik Deutschland ist die Deutsche Mark.5 Die Erzählung dazu stand unter dem vermittelnden Begriff der Sozialen Marktwirtschaft, die vertrauenswürdige Personifizierung bot – trotz historischer Brüche in seiner Biografie – der Wirtschaftsminister Ludwig Erhard. Das ging erstaunlich lange gut.

Seitdem hatte die Soziale Marktwirtschaft in der (deutschen) öffentlichen Debatte stets dann Aufmerksamkeit erhalten und in der medialen Darstellung immer dann Raum, wenn es gesamtwirtschaftlich eher schlecht stand oder wenn große Herausforderungen zu bewältigen waren, mithin Orientierung in besonderer Weise verlangt war und diese aus dem Tun sowie Unterlassen im Tagesgeschäft weder ableitbar noch erkennbar war. Wenn in besonderem Maße Orientierung verlangt ist, und zwar in einer die Lebensbedingungen umfassenden und tiefgehenden Weise, dann jetzt. Denn der Ausstieg aus dem fossilen Zeitalter bedeutet ja nichts anderes als das Ende der energietechnischen Grundlagen der in den vergangenen zwei Jahrhunderten – zunächst im transatlantischen Westen, dann in den Schwellenländern – erfahrenen Industrialisierung. Der vollständige Umstieg auf eine nichtfossile Energieversorgung benennt die historische Größe der Aufgabe, von der keiner weiß, wie sie gelingen kann, aber alle hoffen, dass sie gelingen wird. Das mag den gegenwärtig großen Zuspruch zur Sozialen Marktwirtschaft erklären.6

Es geht heute um die Frage, wie das Wirtschaften aller Akteure – private Haushalte, Unternehmen, Staat, Zivilgesellschaft – unter den Bedingungen transnationaler Strukturen so organisiert werden kann, dass die Koordination dieser einzelnen Akteure im Sinne der gewünschten Transformation stattfindet, dass Zuständigkeiten, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten sowohl konsistent als auch deckungsgleich sind, dass die Steuerung im Zeitablauf die Innovationspotenziale hebt und die dadurch sich neu definierenden Anpassungsleistungen moderiert. Es geht um die zeitgemäße Ordnung der Wirtschaft. Der Begriff der Wirtschaftsordnung ist von hoher Abstraktheit, nicht anders als der Begriff der Verfassungsordnung.

Die Verfassung ordnet im Generellen, damit wir uns im Alltäglichen weitgehend konfliktfrei bewegen können. Die Verfassung definiert Prinzipien und Rechtsgrundsätze, die dafür maßgeblich sein sollen und die Rechtssystematik des Landes prägen; Freiheit des Einzelnen, Volkssouveränität, Wahlrechtsgleichheit, Gewaltenteilung und Repräsentativität, Rechtsstaatlichkeit sowie uneingeschränkte Wirksamkeit der universellen, mehrheitsresistenten Menschenrechte. Nicht anders gilt das für die Ordnung der Wirtschaft, indem sie in der Verfassungsordnung Strukturen schafft, um dem Alltag einen Rahmen zu geben und Entlastung zu gewähren.

Wie die Verfassung so bedarf die Wirtschaftsordnung der zeitgemäßen Deutung und gegebenenfalls der Anpassung. Wirtschaftliche Ordnung und politische Ordnung müssen den gleichen Grundsätzen folgen, wobei das Menschenbild dafür zentral ist. Eine der Demokratie gemäße Wirtschaftsordnung ist nach unserem kulturellen Verständnis eine, die auf folgenden ­Prinzipien ­beruht: (1) Grundsatz der Freiheit und Selbstverantwortung auf der Basis geschützten Eigentums, (2) Grundsatz der Subsidiarität für staatliches Handeln, (3) Grundsatz der Solidarität in der Mitverantwortung, (4) Primat des Rechts, (5) Wirksamkeit der universellen, mehrheitsresistenten Menschenrechte.

Der Sinn der Politik – so hat Hannah Arendt es formuliert – ist die Sicherung der Freiheit. Eine Wirtschaftsordnung in der Demokratie hat dem genauso zu entsprechen, ohne das Gemeinsame der Gesellschaft aus dem Auge zu verlieren. Eine Wirtschaftsordnung in der Demokratie ist – wegen der Dynamik eines entscheidungsoffenen Systems – zwingend eine laufende Gestaltungsaufgabe, um die grundsätzlichen Orientierungen mit den Bedingungen und Bedürfnissen der Gegenwart zu verbinden. Wenn dies kontinuierlich gelingt, dann erlangt eine spezifische Lösung hohes Ansehen. So verhält es sich mit der Sozialen Marktwirtschaft.

Dabei wird deutlich, dass die Soziale Marktwirtschaft stets mehrere Gesichter aufweist; manche Betrachter begnügen sich mit dem Begriff und den zugeordneten Ideen sowie Erwartungen, Interessierte mit theoretischem Anspruch suchen nach der systematischen sowie konsistenten Beschreibung des Regelwerkes, und handlungsorientierte Personen fragen nach der Praxis der Wirtschaftspolitik als Reflex der Wirtschaftsordnung. In der Wirklichkeit der Politik zeigen sich die Prozesse aus Versuch und Irrtum angesichts sich wandelnder Herausforderungen, damit auch als Geschichte von Fortschritt und Krisen. Das macht den Blick zurück so attraktiv.

Dabei wird deutlich, dass für die Soziale Marktwirtschaft gilt, was für die Demokratie eher zweifelhaft diskutiert wird: Es ist eine deutsche Affäre, und zwar wegen ihrer versöhnenden Kraft.7 Denn das Verhältnis der Deutschen zur liberalen Wirtschaftsweise, das durch die Erfahrungen der Zwischenkriegszeit – durch Hyperinflation und Weltwirtschaftskrise – zerrüttet worden war, ist mit diesem Konzept versöhnt worden, es greift in seiner Wirkung weit über den engeren Sachzusammenhang der Wirtschaftspolitik hinaus, in dem Fragen der Bildung (duale Berufsausbildung, Tradition der technisch orientierten Hochschulbildung) und des sozialen Ausgleichs (Tarifautonomie, Sozialpartnerschaft, Sozialversicherung) besonders beantwortet oder zuvor entwickelte deutsche Lösungen integriert wurden. Versöhnend wirkte auch die schnelle Einbindung Deutschlands in die Weltwirtschaft aufgrund dieser wirtschaftsordnungspolitischen Grundlage.

Vom Wirtschaftswunder bis zur Agenda 2010

Die Soziale Marktwirtschaft erlangte durch ihre für die Menschen im Lebensstandard und der Kaufkraft der Währung sehr schnellen und so nicht erwarteten greifbaren Erfolge nach dem tiefen ökonomischen, politischen und moralischen Bankrott des Jahres 1945 eine hohe Strahlkraft. Auch im Ausland – in Frankreich gab es mit den »Trente Glorieuses« eine im Ergebnis, aber nicht in den Ursachen (staatliche Industrie- und Infrastrukturpolitik) vergleichbare Erholung – wurde diese mit Erstaunen gewürdigt. Der Economist interessierte sich bereits 1952 für die starke Erholung Deutschlands als Phönix aus der Asche: »First, there was the currency reform, and the accompanying restoration of freedom to the price system. … The currency reform, could not have been succeeded without the food and raw materials that American aid supplied, and the currency would have collapsed again if it had not been for the new monetary policy.«8

Ludwig Erhard hatte wirtschaftspolitisch die Richtung vorgegeben: »Ein moderner und verantwortungsbewusster Staat kann es sich einfach nicht leisten, noch einmal in die Rolle des Nachtwächters zurückversetzt zu werden. Diese falsch verstandene Freiheit ist es ja gerade gewesen, die die Freiheit sowie eine segensreiche freiheitliche Ordnung zu Grabe gebracht hat.«9 Ihm selbst galt: »Ich nehme für mich in Anspruch, nichts anderes zu wollen und nichts anderes zu erstreben, als durch eine soziale Marktwirtschaft ein Maximum an Lebensmöglichkeiten und ein Maximum an Lebenssicherung für unser Volk sicherzustellen.«10

Der Anfang war aber alles andere als konfliktfrei. Als die D-Mark eingeführt wurde und die Preise freigegeben wurden, blickten die Deutschen zurück auf drei Jahrzehnte mit nur wenigen Jahren stabiler, spannungsfreier wirtschaftlicher Entwicklung, stattdessen geprägt durch zwei Hyperinflationen, Reparationswirtschaft, Weltwirtschaftskrise, Preisbindung (seit 1936), Kriegswirtschaft und Zerstörung. Dass danach nicht alles durch eine neue Währung bereinigt und die funktionale Herstellung des Preismechanismus gelöst werden konnte, sollte im Rückblick nicht übersehen werden. Und schließlich gelang der Wiederaufbau auch deshalb relativ zügig, weil dieser mit einem weitgehend intakten Kapitalstock industrieller Prägung aus der Vorkriegszeit beginnen konnte, der nach dem Krieg schnell auf Friedenswirtschaft umgerüstet wurde.11

Halten wir überblickshaft fest (Übersicht 1): Währungsstabilisierung und Wiederaufbau waren der Startpunkt einer über 15 Jahre gehenden spannungsfreien Entwicklung, die bereits ab 1956 mit gezielter Zuwanderungspolitik (Anwerbeabkommen) unterstützt wurde. Erst Mitte der 1960er-Jahre kam es zu einer ersten spürbaren Rezession und einem konjunkturellen Anstieg der Arbeitslosigkeit. Ludwig Erhard, seit 1963 in der Nachfolge Konrad Adenauers und gegen dessen Widerstand Bundeskanzler, verlor mitten in der Rezession und ein Jahr nach einem überragenden Wahlsieg sein Amt. Die regierende Koalition zerbrach an dem Streit über die Konsolidierung des Bundeshaushalts, genauer der Frage, ob es dazu – wie von Erhard gewünscht – Steuererhöhungen geben sollte. Die erstmalige Regierung aus CDU/CSU und SPD inszenierte mit Karl Schiller für die Wirtschaftspolitik ein neues Stück: Der Staat sollte im Sinne von John Maynard Keynes die gesamtwirtschaftliche Entwicklung aktiv über Konjunkturpolitik steuern und sich nicht scheuen, in der Rezession temporär mutig den öffentlichen Kredit zu nutzen, aber in Boomzeiten restriktiv zu wirken. Die Rezession 1966/67 – so schien es den Zeitgenossen – wurde erfolgreich gemanagt, die Dynamik kehrte schnell zurück, die konjunkturelle Arbeitslosigkeit verschwand ebenso zügig, wie sie zuvor entstanden war.

Wirtschaftsminister Schiller sprach davon, dass mit dem Stabilitäts- und Wachstumsgesetz 1967 die deutsche Tradition der Sozialen Marktwirtschaft mit den makroökonomischen Entwürfen von John Maynard Keynes versöhnt werde, so dass nun alle wirtschaftspolitischen Herausforderungen zu lösen seien. »Die Inflation ist tot, sie ist so tot wie ein rostiger Nagel«, erklärte Schiller selbstbewusst 1968. Karl Schiller, das ist bemerkenswert, war mit der keynesianischen Brille als Wirtschaftsminister gestartet, ohne dabei seinen Blick zu verengen.

Übersicht 1: Phasen der Sozialen Marktwirtschaft in Deutsch­land

I. Ordnung durch Währungsstabilisierung 1948: Währungsreform und Preisfreigabe

1. D-Mark als Gründungsmythos der Bundesrepublik

2. Die Ausblendung der ererbten Schulden

II. Wiederaufbau mit Zuwanderung: Robuste Expansion von 1950 bis Mitte der 1960er-Jahre

1. Zügige Erneuerung des Kapitalstocks ohne Konjunkturmuster

2. Flüchtlinge und Gastarbeiter als komplementäre Wachstumskräfte

III. Krisen und Krisenmanagement 1966 bis 1975: Stockungen im Strukturwandel

1. Von der Globalsteuerung in die Stagflation, flexible Wechselkurse, Objektivierung der Geldpolitik

2. Reformen ohne Markt: Wasserscheide 1975

IV. Stagflation und Angebotsprobleme 1976 bis 1989: Marktöffnung, Deregulierung, Privatisierung

1. Perspektivenwechsel auf das Investieren: Stabilisierung der Erwartungen und Standortpolitik

2. Ausweitung und Stärkung des Wettbewerbs: EU-Binnenmarkt

V. Wiedervereinigung und zweite Globalisierung 1990 bis 2009: Überforderung und Enttäuschung

1. Währungsunion und Sozialunion für eine Generation prägend

2. China als Motor und Opportunität

VI. Die »Goldene Dekade« nach der Finanzkrise 2009: Überraschung und Verzagtheit

1. Das ausgereifte deutsche industriebasierte Geschäftsmodell

2. Beschäftigungsaufbau und veränderte Arbeitszeitpräferenzen

Quelle: Basiert auf Hüther, 2021a, S. 103.

Denn grundsätzlich war er ebenso Ordnungspolitiker wie sein Vorgänger, nur dass er die Notwendigkeiten und Möglichkeiten einer prozesspolitischen Ergänzung (Konjunkturpolitik) erkannte und positiv einschätzte. In der Rede zu seinem goldenen Doktorjubiläum hat Schiller rückblickend diese Einordnung betont und deutlich gemacht, dass eine ordnungspolitische Orientierungslosigkeit beim Einsatz der Konjunkturpolitik zu deren Verderben führen müsse.12

Der Optimismus, gar die Euphorie neuer wirtschaftspolitischer Machbarkeit in den 1960er-Jahre war allerdings verfehlt. Denn aus einer Melange unterschiedlicher Ursachen und Quellen wurde das neue Jahrzehnt durch qualitativ ebenso neue Herausforderungen geprägt, so dass die erweiterte staatliche Verantwortung schnell zu einer Überforderung mutierte. Erstmals wurde sehr grundsätzlich nach der Zukunftsfähigkeit der Sozialen Marktwirtschaft gefragt, als Mitte der 1970er-Jahre aus der Mischung von steigender Inflation und schwachem Wachstum erstmalig in der deutschen Nachkriegszeit, aber nicht nur hierzulande eine Erfahrung zu machen war, die unter dem Begriff Stagflation Eingang in die ökonomische Debatte fand.13 Auf einmal hatte man sowohl in der realen Sphäre – durch einen beschleunigten und überfordernden Wandel bei der Produktion (Stichwort Automation) sowie bei der Beschäftigung – als auch in der monetären Sphäre Probleme durch das Ende von Bretton Woods und die Ölverteuerung bei einer ohnehin seit den späten 1960er-Jahren schon angestiegenen Inflation. Die früher als realistisch angesehene Möglichkeit, durch Inflation realwirtschaftliche Probleme zu lösen oder jedenfalls zu verschieben, war geschwunden.

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung schrieb in seinem Jahresgutachten 1975/76 ein ganzes Kapitel unter der Frage »Krise der Marktwirtschaft?«.14 Die danach entwickelte Konzeption einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik15