Wellness für das Gehirn - Manuela Macedonia - E-Book

Wellness für das Gehirn E-Book

Manuela Macedonia

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Beschreibung

Spa-Angebote für unseren Körper gibt es viele. Aber wie geht Wellness für das Gehirn? Dr. Manuela Macedonia zeigt verständlich und unterhaltsam den Zusammenhang zwischen gesunder Psyche und kognitiven Fähigkeiten. So bleiben wir auch in stressigen Zeiten psychisch stabil und behalten einen klaren Kopf.

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WELLNESS FÜR DAS GEHIRN

Dr. Manuela Macedonia:

Wellness für das Gehirn

Alle Rechte vorbehalten

© 2024 edition a, Wien

www.edition-a.at

Cover & Satz: Beatrice Bermond

Illustrationen: Klaus Pitter

Gesetzt in der Premiera

Gedruckt in Deutschland

12345—27262524

ISBN: 978-3-99001-716-6

eISBN: 978-3-99001-717-3

DR. MANUELA MACEDONIA

WELLNESS FÜR DAS GEHIRN

Wie wir unserem Gehirn Gutes tun, unser psychisches Wohlbefinden steigern und unsere kognitiven Fähigkeiten stärken

INHALT

VORWORT

1. Wo ist die Psyche im Gehirn?

2. Der böse Stress

3. Psyche und Kognition hängen zusammen

4. Für unsere Gehirnwellness brauchen wir unbedingt Schlaf!

5. Bewegung tut dem Gehirn gut

6. Essen, eine Wohltat für das Gehirn

7. Zusammen sind wir stark: Wie soziale Beziehungen unserem Gehirn guttun

8. Unser Gehirn braucht Ruhe und Spiritualität

DANKSAGUNG

QUELLENVERZEICHNIS

Für meine Freunde,

die mit mir des Weges gehen,

mich umarmen, wenn ich weine,

für jene, die die Wahrheit sagen, die wehtut,

jene, die mich geduldig ertragen,

und auch für jene,

die mich in ihr Gebet einschließen.

Aber auch für solche, die Freunde waren,

die mich enttäuscht haben, die ich enttäuscht habe.

Mit euch allen,

in Freude und Traurigkeit,

habe ich viel erlebt, viel gelernt.

Ohne euch wäre mein Leben nicht so reichhaltig

und so lebenswert.

Für alle und all das,was von euch kam und kommt,bin ich dankbar.

VORWORT

Liebe Leserin, lieber Leser,

„Was ist Gehirnwellness?“, werden Sie sich fragen, wenn Sie dieses Buch das erste Mal in die Hand nehmen. Körperwellness ist Ihnen ein Begriff: Man nimmt sich Zeit, um den Körper zu pflegen. So fährt man in ein schönes Hotel, geht in die Sauna, lässt sich massieren, isst gesund, schwimmt, wandert und schläft ausreichend. Nach einer gewissen Zeit stellt sich das Wohlbefinden ein: Die Kraft ist wieder da, der Körper hat sich regeneriert.

Ähnlich, wie Sie Ihrem Körper Gutes tun, können Sie auch Ihrem Gehirn dabei helfen, die negativen Auswirkungen von Stress zu mildern oder gar zu beseitigen. Gehirnwellness betreibt man allerdings nicht nur einmal im Jahr, nicht an einem speziellen Ort, sondern jeden Tag ein bisschen. Ausreichender Schlaf, Bewegung, gute Ernährung, soziale Beziehungen und Spiritualität wirken sich wie Balsam auf unser Denkorgan aus. Wenn Sie in Ihrer Lebensgestaltung diese Säulen der Gehirnwellness bewusst pflegen, halten Sie Ihre Psyche stabil und nutzen Ihre geistigen Fähigkeiten optimal. Ich freue mich, wenn ich Sie des Weges begleiten darf!

Herzlichst

Ihre Manuela Macedonia

1

Wo ist die Psyche im Gehirn?

Vor einigen Jahren führte ich ein Gespräch in der Ordination von Christine, meiner Hausärztin. Ich hatte ein Problem mit dem Rücken und litt an Schlaflosigkeit. Folglich konnte ich mich tagsüber schlecht konzentrieren und meine Arbeit ging nicht so voran, wie ich wollte. Im Lauf der Konsultation äußerte ich meinen Unmut zu meiner beruflichen und privaten Situation. Ich war der Meinung, dass diese Belastungen mich physisch und bald auch psychisch krank machen würden. Christine hörte mir gut zu. Danach sagte sie, man bekomme vom Leben jenes Paket zu tragen, das man auch tragen kann. Diesen Satz hole ich immer hervor, wenn mir das Leben etwas zumutet. Seit diesem Gespräch habe ich aber auch gelernt, mein Gehirn gut zu behandeln, damit ich jene Lasten, die mir regelmäßig vom Leben geliefert werden, auch besser trage.

Was passiert im Gehirn, wenn wir in einer Krise stecken? Man hört immer, dass unsere Psyche belastet sei, wobei der Begriff Psyche für die meisten von uns eher undurchsichtig ist. In diesem Buch betrachten wir die Psyche aus Sicht des Gehirns und beschreiben sie als Zusammenwirken von Gehirnregionen, Netzwerken und Botenstoffen. Abhängig von ihrer Interaktion entstehen unsere Emotionen, Gefühle und Gedanken. Von der Psyche hängt ab, wie wir Dinge und Erlebnisse bewerten, wie wir entscheiden und durch das Leben gehen, wie wir die Folgen unserer Entscheidungen wahrnehmen und erfahren. Für manche Menschen ist das Glas halb leer, für andere halb voll, selbst, wenn die Situation von außen betrachtet die gleiche ist. Im „Inneren“ des Menschen, in seiner Psyche, kann es aber völlig anders aussehen, abhängig von der Funktionsweise der verschiedenen Komponenten, wie sie interagieren.

Wir nähern uns dem Begriff Psyche, indem wir mit den Emotionen beginnen. Das Zentrum unseres emotionalen Erlebens befindet sich in der Tiefe des Gehirns, in den Mandelkernen1. Sie sind erbsengroße Strukturen, eine in der linken und eine in der rechten Gehirnhälfte, die ungefähr die Form einer Mandel haben und aus diesem Grund mit dem altgriechischen Wort Amygdala bezeichnet wurden. Die Mandelkerne erzeugen jegliche positive und negative Regung in uns. Jeder Reiz, der unser Gehirn über die Sinne erreicht, ob wir ein Gesicht, ein Tier, eine Landschaft oder ein Buch sehen, ob wir ein Geräusch, eine Musiksequenz oder die Stille hören, einen Geruch oder auch Geschmack wahrnehmen: Alles kommt zu den Mandelkernen. Dort entsteht eine Emotion, die positiv oder negativ ist.

Die Mandelkerne sind durch feinste Fasern mit dem gesamten Gehirn anatomisch stark verbunden. Durch sie wird ihre positive oder negative Beurteilung zur Wahrnehmung an alle möglichen Gehirnregionen in Millisekunden geschickt, die, wenn erforderlich, in Alarmbereitschaft versetzt werden. Denken Sie an eine Gefahrensituation, zum Beispiel, dass ein großer, aggressiver Hund auf Sie zuläuft und Sie nicht wissen, was er mit Ihnen vorhat. Die Mandelkerne alarmieren sofort alle möglichen Regionen Ihres Gehirns, dass Sie in Gefahr sind und flüchten oder angreifen müssen. Interessant dabei ist, dass die meisten anatomischen Verbindungen die Information von den Mandelkernen an die Rinde hinaustransportieren, aber nicht mehr zurück2,3. Bei Gefahr würde es keinen Sinn machen, dass Ihre visuellen Areale sich mit den Mandelkernen rückkoppeln und ihnen übermitteln, dass der Hund ein schönes Fell hat. Das wäre eine Schleife, die in einer solchen Situation, ohne einen Nutzen für Sie, Aufmerksamkeitsressourcen abziehen würde.

Die Amygdalae erledigen ihre Aufgabe nicht ganz von allein. Nach einer ersten Begutachtung reist die Information weiter in das Vorderhirn, in das vordere Cingulum (Gyrus cinguli). Ich bezeichne diese Region in meiner Einsteigervorlesung als „Gürtelwindung“, weil sie sich in der Mitte des Gehirns, von vorne bis hinten, wie ein Gürtel erstreckt. In dieser Windung legen wir im Lauf des Lebens Muster an, die uns helfen, Emotionen voneinander zu unterscheiden4.

Wir sprechen von „Mustern“ und meinen in diesem Zusammenhang Netzwerke: Sie entstehen, wenn die Gehirnzellen gleichzeitig aktiv werden und sich zu einem Netzwerk formieren, um einen Reiz zu verarbeiten. Bei Gefühlen entstehen diese Muster im Umgang mit Menschen und in der Interaktion mit der Welt. Wenn Eltern ihre Kinder umarmen und liebkosen, lernen die Kleinen diese Art der Liebe kennen und speichern sie in einem eigenen Muster ab5. Bellt uns plötzlich ein großer Hund an und fletscht die Zähne, spüren wir Angst, und auch dieses Gefühl wird zum Muster.

Vor einigen Jahren erlebte ich im australischen Great Barrier Reef eine Vogelnistinsel: Die Nester waren am Boden und auf Sträuchern auf meiner Augenhöhe. Als wir uns näherten, blieben die Vögel auf ihren Eiern sitzen. Ich wagte sogar, meine Hand auszustrecken und berührte vorsichtig ein gefiedertes Köpfchen. Das Tier schaute mich neugierig an, blieb aber im Nest. Diese Vogelkolonie dürfte noch keine schlechte Erfahrung mit Menschen gemacht und kein Muster der Angst angelegt haben. Ansonsten hätten die Tiere womöglich negative Lehren gezogen und wären ängstlich geworden, wenn sie Fremde erspähten.

Negative Gefühle gegenüber einem Menschen wie Antipathie, Verachtung bis hin zu Hass oder positive Gefühle wie Sympathie, Bewunderung, Zuneigung oder Liebe sind ein Muster im Gyrus cinguli. Je mehr Interaktionen wir mit Menschen im Lauf des Lebens haben, umso differenzierter werden diese „Schablonen“, also unsere Gefühle. Während die Emotion unbewusst entsteht, ist das Gefühl eine bewusste Wahrnehmung, die im Vorderhirn mit einem vorhandenen Muster abgeglichen wird. Haben wir nicht nur unsere Eltern umarmt, sondern auch unsere Großeltern, unsere Partner, unsere Kinder, unsere Freunde, und mit ihnen interagiert, werden wir unterschiedliche Muster haben, die wir als Eltern-, Großeltern-, Partner-, Kinder- und Freundesliebe kategorisieren.

Nun, wie kommt es, dass manche Menschen dazu tendieren, in negative Gefühle zu rutschen, und andere, trotz Probleme und Rückschläge, die Sonnenseite des Lebens erkennen? Zum Großgebilde Psyche gehört auch das Bewertungszentrum6,7. Es befindet sich auf der Gehirnrinde hinter den Augenhöhlen im ventromedialen orbitofrontalen Cortex8. Seine Funktion kann man sich wie eine Waage vorstellen: Auf eine Schale legen wir die für uns positiven und auf die andere die negativen Aspekte unserer Wahrnehmung. Denken Sie an ein Tortenstück in der Auslage Ihrer Lieblingskonditorei. Diese Buttercremetorte ist die beste, die Sie kennen, und jedes Mal bereitet sie Ihnen Genuss (Pro-Bewertung). Andererseits hat sie sehr viele Kalorien (Contra-Bewertung). Abhängig davon, wie die Pros und Contras die Waage beeinflussen, werden Sie in die Konditorei hineingehen oder vorbeispazieren.

Nehmen wir an, wir laden altgediente Freunde zu uns nach Hause. Während des Essens beginnen wir, über etwas zu diskutieren. Je länger das Gespräch dauert, desto mehr unterscheidet sich ihre Meinung von unserer, wider Erwarten. Wenn sie uns über Inhalte belehren, werden sie laut und ihr Gesichtsausdruck kippt in Aggressivität. Das Gefühl, das ursprünglich jenes der freundschaftlichen Verbundenheit war, sieht sich mit dieser „neuen“ Meinung unserer Freunde konfrontiert. Jedes Wort, jeder Blick, die Mundwinkel, die gerunzelte Stirn, auch der aggressive Ton, den wir gar nicht von unseren Freunden kannten, kommen auf die Waagschalen.

Nach der hitzigen Debatte gehen die Gäste nach Hause. Unser Gefühl ihnen gegenüber hat sich aufgrund des Besprochenen gewandelt. Vielleicht vertrauen wir ihrem Urteil nicht mehr wie früher, eventuell fühlen wir, dass wir nicht mehr zusammengehören. Unter diesen veränderten Umständen passen sie besser in das Muster der Bekannten als in jenes der Freunde. Wenn wir die Tür hinter ihnen schließen, wissen wir, dass wir uns nicht mehr um sie bemühen werden. Die Fähigkeit zu bewerten ist ein perfekter Mechanismus der Evolution. Wir können unser Urteil zum Erlebten immer anpassen, um uns in Zukunft adäquat zu verhalten.

Das Glas ist halb voll

Bewerten wir eine Situation, die Worte eines Menschen oder einen Gegenstand, hängt dies mit unserem Wissen und unserer Erfahrung zusammen. Die Diskussion mit den Gästen kann, abhängig von Ihrer Bewertung des Gesagten, uns tagelang beschäftigen oder auch nicht. Vielleicht haben Sie diese Erfahrung gemacht: Sie gehen ins Bett und grübeln die halbe Nacht. Ihr Partner legt sich hin und schläft sofort ein. Am nächsten Morgen tauschen Sie sich aus und er ist überrascht, dass Sie nicht schlafen konnten, denn er sieht kein Problem in den Äußerungen Ihrer Freunde. Er sieht es anders und das Gesagte würde ihm nie den Schlaf rauben. Obwohl Sie und Ihr Partner die gleichen Erfahrungen mit Ihren Freunden gesammelt haben, fällt die Beurteilung unterschiedlich aus. Wie ist das möglich?

In diesem Zusammenhang ist wichtig, zu wissen, dass die Bewertungszentren nicht wie eine Maschine starr eingestellt sind. Ihre Rechenfähigkeit ist enorm, also können sie alle möglichen Informationen aus mehreren Jahrzehnten in die Verarbeitung miteinfließen lassen, bewusst und unbewusst. Darüber hinaus verfügen sie über einen zusätzlichen Mechanismus: die Modulation, also die Beeinflussung durch Neurotransmitter. Es handelt sich um chemische Stoffe, die das Gehirn selbst produziert und die dazu dienen, die Kommunikation unter Gehirnzellen zu unterstützen. Manche Botenstoffe regen die Kommunikation an, andere hemmen sie, weitere beeinflussen die Arbeit der Netzwerke. Abhängig vom jeweiligen Botenstoff kann Ihre Bewertung der Diskussion mit Freunden unterschiedlich ausfallen.

Diesbezüglich wollen wir zuerst Serotonin ins komplexe Spiel der Bewertung bringen. Seine Funktion ist es, uns ausgeglichen zu machen, uns in der Balance zu halten. Ausgeschüttet wird es im Hirnstamm, in den Raphe-Kernen, aber auch im Darm durch spezielle Zellen in seiner Schleimhaut, die von ihrem Entdecker, dem Südtiroler Vittorio Erspamer, als enterochromaffine Zellen bezeichnet wurden. Haben wir ausreichend Serotonin, ist das Glas, so wie es ist, ganz in Ordnung.

Haben wir zu wenig Serotonin, ist das Glas halb leer, und es wird in unserer Vorstellung womöglich auch ganz leer werden. Menschen, die depressiv sind, weisen einen Mangel an diesem Botenstoff auf und ihre Bewertung der Dinge kann negativ ausfallen9. Über das Bewertungszentrum hinaus beeinflusst Serotonin auch jene Regionen, die den Schlaf steuern10. Ist zu wenig vom Botenstoff da, bekommt man Schlafstörungen. Umgekehrt, wenn genug Serotonin vorhanden ist, sind wir gelassen. Wir bewerten die Dinge positiv und schlafen gut. Jetzt verstehen Sie, warum Ihr Partner möglicherweise die Diskussion mit den Gästen unterschiedlich wahrnimmt, beurteilt, und auch sofort einschläft: Das kann mit seinem Serotoninhaushalt zu tun haben.

Ein weiterer Botenstoff, der in diesem Zusammenhang unsere Aufmerksamkeit verdient, ist Dopamin. Er steuert unsere Glücksgefühle, die Fähigkeit, uns zu freuen. Die Evolution hat uns mit Dopamin ausgestattet, damit das Überleben der Spezies gesichert ist: Wir schütten es aus, wenn wir Nahrung sehen und aufnehmen und im Paarungsverhalten11. Dazu gehören das Flirten, das Küssen und selbstverständlich die intime Begegnung. Für Essen und Sex brauchen wir keine großen Erklärungen, die Motivation ist intrinsisch12: Beides macht Spaß, wir freuen uns darauf und darüber, weil wir dadurch belohnt werden. Vorfreude ist übrigens auch mit Dopaminausschüttung verbunden13!

Denken Sie an den Menschen, der bei Ihnen eine große Verliebtheit ausgelöst hat! Wenn ich in meiner Jugend stöbere, ist die Erinnerung an Claudio, in den ich mit 13 Jahren unsterblich (und natürlich vergebens) verliebt war, sofort präsent. Ich weiß noch, wie schön er für mich war. Alles hat mir an ihm gefallen: Sein Lächeln, seine Art sich anzuziehen, auch seine Hakennase! Er fuhr mit seiner Vespa immer an unserem Haus vorbei, manchmal hupte er in einem angedeuteten Gruß. Allein bei seinem Anblick bekam ich Herzklopfen. Sie werden sich jetzt fragen: „Und seine Hakennase?“ Dopamin, das ich bestimmt in massiven Mengen ausschüttete, hat damals meine Bewertung beeinflusst. Vor einigen Jahren habe ich Claudio wiedergesehen. Ich musste über mich lächeln: Nicht nur, dass er in der Zwischenzeit gealtert ist, auch die Dopaminrosarote Brille ist schon ewig lang weg!

Über skurrile Verhaltensweisen in der verliebten Jugend braucht man sich nicht zu wundern. Dass Sie Ihren Freunden gegenüber in der Beurteilung eines verbalen Ausrutschers während der Diskussion nicht kulant sind, kann auch mit zu wenig Dopamin zusammenhängen. Haben Sie weniger Dopamin sozusagen „im Umlauf“, ist Ihre Sichtweise eine andere. Dopamin entsteht in der Tiefe des Gehirns, in Regionen mit exotischen Namen: Nucleus accumbens, Substantia nigra, Septum, Tegmentum. Von dort reist der Botenstoff ins Vorderhirn und beeinflusst zahlreiche Funktionen, darunter auch die Bewertung und Entscheidung.

Ein weiterer Botenstoff, der unsere Beurteilungszentren beeinflusst, ist Oxytocin. Entdeckt wurde er in weiblichen Ratten während des Säugens: Durch die Stimulierung der Zitzen am Muttertier wird die Aktivität in gewissen Regionen des Hypothalamus angeregt, die Oxytocin freisetzen. Der Botenstoff bewirkt zum einen den Milchausstoß bei der Rattenmama, zum anderen auch ihr hingebungsvolles Verhalten. Sie säugt ihre Kinder, sorgt für die Darmentleerung, pflegt ihr Fell, herzt und „streichelt“ sie, ähnlich wie wir Menschen mit Babys umgehen. Kinder aller Tierarten, denen die mütterliche Pflege angedeiht, schütten auch Oxytocin aus und binden sich an die Erwachsenen. So ist das Mutter-Kind-Verhalten von diesem Hormon sehr stark geprägt, auch das unerschütterliche Vertrauen, das kleine Kinder zu ihren Eltern haben14.

Vielleicht haben Sie auf einer Social-Media-Plattform schon einmal gesehen, dass eine Straßenhündin nicht nur ihre acht Welpen trinken lässt, sondern auch ein Katzenbaby. Das ist dem zuzuschreiben, dass die Hündin das Säugen als angenehm empfindet. Beobachten Sie auch das Gesicht von Müttern beim Stillen: Sie sind ganz selig und haben erweiterte Pupillen15. Sie genießen sichtbar den Vorgang, so wie ihre Kinder, die dabei satt werden. Früher dachte man, nur Frauen würden Oxytocin ausschütten. Dem ist nicht so, auch Väter tun das, wenn sie mit ihren Kindern interagieren16, also spielen, und vor allem, wenn sie mit ihnen kuscheln17.

Interessant ist die neueste Forschung zum „Kuschelhormon“, wie es oft umgangssprachlich bezeichnet wird: Mehrere Studien haben in den letzten zehn Jahren gezeigt, dass Menschen, die zusammenkommen und gemeinsam feiern, auch ohne Körperkontakt Oxytocin freisetzen. Wir sind soziale Tiere, die regelmäßig eine Portion Oxytocin brauchen18, von unseren Freunden, Bekannten, generell von anderen Menschen19! Dieser Botenstoff verbindet uns untereinander von der Wiege bis ins Grab. Wundern Sie sich nicht, dass Sie Ihren Kindern verzeihen, dass Sie immer zu ihnen stehen, auch dass Sie Ihre Freunde behalten möchten, trotz verbalen Ausrutschers. Es ist vorgesehen, dass der Mensch nicht allein durch die Prärie streift. Er ist stark im Rudel und Oxytocin ist die Substanz, die Rudelbildung ohne bewusstes Handeln ermöglicht.

Zurück zur Diskussion mit den Freunden: Sie können sich nun vorstellen, dass auch Oxytocin eine Rolle in der Bewertung der Aussagen eine Rolle spielt. Ebenso spielt es eine Rolle in der gesamten Bewertung der Freundschaftsbeziehung. Wenn wir mit diesen Menschen Tür an Tür aufgewachsen sind, wenn wir die Schuljahre am gleichen Tisch verbracht haben oder unsere Kinder gemeinsam großgezogen haben, im Guten und im Schlechten, wird unser Urteil mild sein. Aber es wird schwer sein, eine Ansicht zu akzeptieren, die zum ersten Mal diametral unserer entgegengesetzt ist. Sie wird uns zu denken geben, uns belasten und eventuell unglücklich machen, dank, nein wegen des Einflusses von Oxytocin auf unser Vorderhirn.

Das Glas ist halb leer

Vielleicht haben Sie in den letzten Jahren eine Situation, wie ich sie oben ausgeführt habe, erlebt. Und vielleicht ist die Debatte hitziger ausgefallen, als ich sie zu beschreiben vermag. Jetzt werden Sie sich möglicherweise die Frage stellen, warum Sie über diese Diskussion die ganze Nacht gegrübelt und nicht geschlafen haben. Überlegen Sie kurz, was Sie während des Gesprächs gespürt haben: Überraschung, Herzklopfen, Wut, Angst? Was hätten Sie am liebsten getan? Hätten Sie Ihren Freunden alles ins Gesicht geknallt, was Sie denken, sie des Hauses verwiesen, ihnen einen Gegenstand nachgeworfen, sie in die Flucht geschlagen? Innerhalb kurzer Zeit, im Vergleich zur Dauer der Freundschaftsbeziehung, haben Sie vielleicht Ihre Verbundenheit zu jenen Personen, mit denen Sie sehr viel geteilt haben, gegen die Bereitschaft eingetauscht, sie anzugreifen. Was hat diese divergierende Meinung in Ihnen bewirkt?

Sobald wir eine „Gefahr“ wahrnehmen, wird unser Stresssystem aktiv. Selbstverständlich ist nicht alles gefährlich. Auch unsere Freunde haben wir nicht in dieser Kategorie abgespeichert. Wenn sich die Interaktion mit ihnen aber verändert, bewerten wir sie neu, um die Beziehung anzupassen. Haben wir die Worte unserer Freunde als Gefährdung unseres Weltbildes verstanden, schalten sich die evolutionären Mechanismen des Schutzes automatisch ein. Wir brauchen nichts zu tun, alles nimmt seinen eigenen Lauf und die Stressreaktion wird unbewusst ausgelöst. Die Evolution hat uns mit diesem Mechanismus ausgestattet, damit wir immer gut davonkommen, unabhängig davon, ob es sich um einen bissigen Hund oder einen Menschen handelt, der nicht (mehr) unser Freund ist.

Die Stressreaktion beginnt in den Mandelkernen. Sie senden ein „Gefahrensignal“ aus, das in die Freisetzung von Hormonen in verschiedene Gehirnstrukturen mündet. Man spricht in diesem Zusammenhang von der HPA-Achse20. In ihrer furchterregenden Übersetzung aus dem Englischen, Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse, werden die drei Gehirnregionen beschrieben, die an der hormonellen Kaskade beteiligt sind, bis das Stresshormon Cortisol aus der Nebenniere freigesetzt wird.

Sobald das Stresshormon im Umlauf ist, ändern sich viele unserer Körperreaktionen, damit wir auf die (potenzielle) Gefahr – sagen wir einen Feind, ob Mammut oder Einbrecher – passend reagieren. Unsere Pupillen erweitern sich und wir sehen besser. Wir atmen öfter und nehmen mehr Sauerstoff auf, welcher in das Blut gelangt. Das Herz pumpt schneller, so versorgt das sauerstoffangereicherte Blut die Muskeln und stellt ihnen mehr Kraft zur Verfügung. In solchen Augenblicken nehmen wir nur das Herzklopfen wahr, aber im Hintergrund tut sich sehr viel: So können wir vor dem Mammut flüchten, es aber auch angreifen.

All diese Veränderungen in unserem Körper, die Anpassung an die Gefahr, bezeichnet man als Allostase. In der Diskussion mit den alten Freunden haben wir aufgrund einer bestimmten Äußerung womöglich auch Herzklopfen bekommen, vielleicht vor Empörung. Dennoch hat unser Stresssystem jene evolutionäre Reaktion an den Tag gelegt, die ähnlich erfolgte, als in der Urzeit plötzlich ein Mammut vor uns stand.

Wichtig ist an dieser Stelle die Unterscheidung zwischen dem „guten“ und dem „schlechten“ Stress. Der Erste betrifft meistens eine Aufgabe, die zu erledigen ist, wofür ein großer Aufwand mit einem gewissen Verzicht einhergeht. Dieser „gute“ Stress, der uns zu höheren Leistungen führt, uns antreibt, uns letztendlich zufrieden macht, nennt die englischsprachige Literatur eustress21. Der schlechte Stress ist jener, der uns zuerst aufregen lässt, später unglücklich macht und unserem Gehirn schadet, natürlich auch unserem Körper, auf Englisch distress genannt.

Meine Großmutter, Nonna Irene, war eine kleine Bergbäuerin im Aostatal. Zu gewissen Zeiten hatte sie richtig viel zu tun, heutzutage würde man das als „Stress“ bezeichnen. Sie musste das Heu händisch mit der Sense mähen, dann hoffen, dass das Wetter trocken bleibt, es wenden, um es danach in große Stofftücher zusammenzulegen und diese Ballen am Rücken den Hang hinunterzutragen, zum Haus, wo, oberhalb des Schlafzimmers, der Heuboden war. Mit 52 Jahren war sie verwitwet. So packten wir, die Familien ihrer Kinder, alle an, damit das Heu schnell ins Winterquartier kam. Ich erinnere mich gut an die sommerliche Hitze, an den mühsamen Gang auf die steilen Wiesen hinauf und hinunter, wo kein Traktor die Neigung geschafft hätte. Als Kind beobachtete ich, wie den Erwachsenen der Schweiß von der sonnenverbrannten Stirn hinunterperlte. Stundenlang und unermüdlich schwangen sie die Holzrechen, damit die Nonna vor dem nächsten Regen das Heu in Sicherheit bringen konnte. Abends, nach vollbrachter Arbeit, saßen wir an Omas Küchentisch, vor einem Teller Polenta und Hühnereintopf oder Polenta mit Milch, den wir hungrig auslöffelten. Wir waren zufrieden und stolz, es mit vereinten Kräften geschafft zu haben. Man las in den Gesichtsfalten der Erwachsenen von den Strapazen auf den Feldern. Aber das war kein Stress, es war „nur“ viel Arbeit: Oma Irene und ihre Kinder wussten vom Arbeitsaufwand, sie hatten das notwendige Know-How dazu, waren gut untereinander koordiniert, und wenn sie mit den Schwiegertöchtern und den Schwiegersöhnen anpackten, war die Arbeit auch zu schaffen. Das war ein guter Stress, viel Arbeit, die sie mit der Hilfe Gottes und der Menschen Jahr für Jahr schaffte.

2

Der böse Stress

Der englische distress ist als psycho-sozialer Stress