Welt der Zombies - Band 2 - sigrid lenz - E-Book

Welt der Zombies - Band 2 E-Book

Sigrid Lenz

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Beschreibung

Was bisher geschah: Die Welt ist nicht mehr dieselbe, nachdem sie von Zombies überrannt wurde. Zwei Männer verschiedener Herkunft und Geschichte begegnen sich in den Wirren des Unterganges. Bedroht werden sie durch den bösartigen Mogul, einen Zombie mit Macht und Geschick, dem es gelingt, Alejandro zu überwältigen und ihn in einen seiner Anhänger zu verwandeln. Doch Marek gibt nicht auf. Fortsetzung des ersten Buches.

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sigrid lenz

Welt der Zombies - Band 2

Der Untote in ihm - Gay Romance

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Welt der Zombies Band 2

Welt der ZombiesDer Untote in ihmGay RomanceBand 2

 

Sigrid Lenz

 

 

Band 1 erhältlich als Print- und Ebook

 

 

Buchbeschreibung:

 

In einer apokalyptischen Welt, in der Zombies eine wachsende Gefahr darstellen, begegnen sich zwei während einer Zeit des Kampfes und des Widerstandes aufgewachsene, junge Männer, und lernen sich lieben. Doch die Bedrohung wächst, und bald werden auch Verbündete zur Gefahr. Dass die Monster keine hirnlosen Fressmaschinen sind, sondern sich weiterentwickeln, wird unter weiten Teilen des Widerstandes geleugnet und treibt Marek und Alejandro in die Flucht. Dass Alejandro dem Anführer der Zombies aufgefallen ist, wird ihm zum Verhängnis. Wird er Marek vergessen oder überwindet ihre Liebe jedes Hindernis.

 

 

 

 

 

Diese Geschichte wird empfohlen ab 18 Jahren.Sie enthält Szenen, die grausam sind und übermäßig deutlich. Empfindlichen Lesern und solchen, die gelegentliche Rechtschreibfehler, Stilbrüche und andere Unvollkommenheiten als schmerzhaft erleben, sei herzlich angeraten, von der Lektüre abzusehen. Allen anderen viel Freude beim Abtauchen in die Tiefen finsterer Abgründe menschlicher Fantasien. Es handelt sich hier um eine Liebesgeschichte der Gay-Dark-Fantasy unter Zombie-Einflüssen. Verfasst dereinst im Zombiemonat Juli, lange vergessen, jedoch nicht verloren und nun in aller Brutalität und ohne weitere Bedenken auf die Welt losgelassen. Frohes Grauen!

 

 

 

 

 

 

Impressum:Text Copyright © 2015 Sigrid LenzAlle Rechte vorbehalten.

 

 

 

 

 

Was bisher geschah:

 

Die Welt ist nicht mehr dieselbe, nachdem sie von Zombies überrannt wurde. Zwei Männer verschiedener Herkunft und Geschichte begegnen sich in den Wirren des Unterganges. Bedroht werden sie durch den bösartigen Mogul, einen Zombie mit Macht und Geschick, dem es gelingt, Alejandro zu überwältigen und ihn in einen seiner Anhänger zu verwandeln. Doch Marek gibt nicht auf.

Kapitel 1

 

Zuvor

 

 

Es war dunkel, als die Schwere von Alejandro abfiel, er sich bewegen und begreifen konnte. Er wusste nicht, wie lange er starr und bewusstlos auf dem Boden gelegen hatte, wie oft die Sonne über ihm auf und wieder unter gegangen war. Seine Erinnerung schien getrübt, nur der Schmerz eine Konstante. Somit konnte er nicht tot sein, dachte er und blinzelte. Fragte sich entfernt, ob es Kälte oder Wärme war, die er spürte, ob er überhaupt etwas fühlte. Er lauschte. Sein Herz schlug nicht. Für einen Augenblick flammte Panik auf. Er erstickte sie. Seine Hand ließ sich anheben. Vorsichtig bewegte er jeden Finger, führte sie an seine Brust. Kalt war sie und feucht. Als er die Hände vor das Gesicht hob, roch er, fühlte er Blut. Sein eigenes Blut. Der Gedanke sollte ihn erschrecken, doch er tat es nicht. Stattdessen war er taub, alles an ihm und in ihm reglos, gefühllos. 'Schock', dachte er abwesend. Als er sich über die Lippen leckte, schmeckte er Metall. In diesem Augenblick kehrte das Gefühl zurück, der Schrecken, die Angst, die Panik. Der Mogul war sein Verderben gewesen, er hatte ihn getötet. Alejandro spürte ein hysterisches Lachen in sich aufsteigen. Denn tot konnte er nicht sein. Er lebte, dachte, bewegte sich. Es war lächerlich anzunehmen, das sei das Ende.

Er fuhr hoch, tastete mit tauben Fingern nach seinen Beinen, seinen Knien. Alles war vorhanden, mit ihm verbunden, befand sich an seinem Körper. Er war nicht zerrissen worden, nicht entzwei geteilt. Er existierte, sah durch seine Augen, hörte, roch und schmeckte. Seine Sinne funktionierten, und dass sie stumpf erschienen, mochte an dem Schock liegen. Doch sein Herz schlug immer noch nicht. Und inzwischen fragte er sich, ob es jemals wieder schlagen würde.

Hochzukommen dauerte seine Zeit. Er weigerte sich, darüber nachzudenken, wie er keuchen konnte, ohne zu atmen. Ihm war schwindlig, die Dunkelheit kreiste um ihn und Lichtpunkte sammelten sich vor seinen Augen, flitzten auseinander und verschwanden in der Finsternis. Sie erloschen, als habe es sie nie gegeben und Alejandro glaubte sich für einen Augenblick schwebend im All, hoch und nieder taumelnd, ohne dass es einen Unterschied ergab. Doch seine Hände spürten den rauen Grund. Fingerspitzen gruben sich in Sand, glitten über Stein und plötzlich rollte er zur Seite. Der Geruch nach Beton und Staub überwältigte ihn für einen Augenblick. Er lag wie erstarrt. Stumm und ohnmächtig, bis ein Knacken ertönte, und er sich an den Ort erinnerte, an dem sein Leben beendet worden war. Wieder keuchte er, der Laut heiser. Dass er überhaupt Derartiges dachte, wenn er doch offensichtlich existierte. Wenn sein Körper, so schlecht, so krank er sich auch fühlte, doch fraglos ihm gehörte. Seine Seele, sein Wesen nicht losgelöst, befreit von dessen Schwere in eine Ewigkeit einging, von der kein lebender Mensch eine Vorstellung besaß. Das war unmöglich, ein Traum.

Und doch, als er seine Finger erneut durch den Sand wandern ließ, als es ihm gelang, einen Arm aufzustützen, als sein Körper sich wie von selbst erhob, wuchs der Verdacht, dass seine Wahrnehmung gelitten hatte. Ausreichend gelitten, dass er sich nicht mehr auf sie verlassen konnte.

Es war kalt, doch er fror nicht. Eine Hand fuhr über seine Brust, fand erneut die Wunde, zuckte zurück, und er erschauerte. Während er hilflos um sich blickte, erneut blinzelte, war ihm, als wiche die Dunkelheit zurück, als würde sie fliehen, wie er vor ihr fliehen wollte. Denn das, was er sah, war unfassbar. Wie er es sah, konnte er nicht glauben. Die Konturen zeichneten sich scharf ab, schärfer als gewohnt. Und dort, wo es eben noch finster gewesen war, erkannte er in feinen, grauen Abstufungen jedes Detail in weitem Umfeld. Sein Mund stand offen. Kälte füllte ihn. Er schlug eine Hand vor die Lippen, doch kein Atem entwich ihnen, keine Wärme stellte er fest. Es war beängstigend. Plötzlich, ohne zu merken, wie es geschehen war, stand er auf den Füßen, drehte sich um sich selbst, sah die Ebene, die Häuserruinen im Hintergrund, Steine, Felsen, kümmerliche, trockene Wüstenpflanzen. Als könnte er jeden einzelnen Stein sehen, mit jedem seiner Sinne das noch so winzigste Detail wahrnehmen, so bohrten sich die kleinsten Punkte, Linien, Kratzer in sein Bewusstsein und überwältigten ihn zugleich.

Er hörte ein Wimmern, fühlte, dass es aus seiner eigenen Kehle kam, spürte die Vibration, ohne sie zu begreifen.

Es war leer um ihn, nichts und niemand zu sehen. Doch er wirbelte herum, registrierte die Bewegung, die Veränderung der Umgebung um sich herum, vor sich, in seinem Rücken, überall.

Sie kamen näher, blieben schließlich stehen und er zuckte zusammen, als die Erinnerung an seinen Tod ihn einholte. Sein Körper, der ihm so fremd vorkam und doch seiner war, zitterte, als sich eine Gestalt löste.

Das Grinsen des Moguls leuchtete.

„Du wirst dich daran gewöhnen.“ Alejandro hörte ihn sprechen, noch bevor er den Mund bewegte. Im nächsten Augenblick stand er vor ihm und der Geruch drängte Alejandro zurück. Um ein Vielfaches intensiver, als er ihn je zuvor erfahren hatte, brannte er sich in seinen Körper, weckte ein Bedürfnis in ihm, das er nicht kannte, sich nie vorzustellen vermocht hatte.

„Es liegt daran, dass ich dein Schöpfer bin.“ In den Augen des Moguls glitzerte es. „Und daran, dass du ein Erleuchteter bist.“ Er nickte zufrieden. „Ich wusste es, wusste gleich, dass du das Potential dazu besitzt. Du bist nicht nur fortgeschritten, sondern du besitzt Fähigkeiten, die dich von den stumpfsinnigen Kreaturen, die unglücklicherweise noch zu uns gehören, abheben. Weit abheben.“ Er streckte seine Hand nach Alejandro aus und den erfüllte plötzliches und überwältigendes Grauen. Sein Körper schwang rückwärts, als befände er sich an einem Faden, der ihn mit dem Mogul verband, und er schnellte er wieder zurück, konnte den Abstand nicht halten. Der ließ die Hand sinken, schnalzte mit der Zunge. „Sei nicht albern“, zischte er. „Du spürst es doch. Ich merke das deutlich. Das Band ist fest und sicher. Niemand kann es kappen.“ Seine Augen verengten sich, als er Alejandro musterte. Der bebte unter dem Blick, glaubte zu schwanken, glaubte sich in einem Albtraum, einer dunklen Vision gefangen.

„Bin ich tot?“, flüsterte er und Funken sprühten aus den rotumrandeten Pupillen des Moguls. Bevor Alejandro begriff, was geschah, war der nach vorne gestürzt und hatte seinen Arm um Alejandros Hals geschlungen, presste ihn so fest gegen den Knochen, übte einen solchen Druck aus, dass Alejandro glaubte, sein Genick bräche. Die andere Hand des Moguls fuhr in seine Brust.

Schmerzen empfand er nicht, nach Atem rang er nicht, nur der Druck auf seinen Oberkörper, um seinen Hals bahnte sich den Weg in seine Erkenntnis. Die Hand des Moguls hob sich und er roch Blut, sein eigenes Blut, sah das tote Organ in den klauenartigen Fingern. Der Mogul hob es vor seine Augen, bohrte seine Finger in regloses Gewebe, in einen blutenden, unbewegten Muskel.

„Frag mich ein weiteres Mal“, grollte der Mogul und bewegte die rote Masse vor Alejandros Augen.

Alejandro schüttelte den Kopf. Das Würgen kam wieder hoch. Sein Herz schlug nicht, schlimmer noch, war seinem Körper entrissen worden und in den Händen des Moguls gefangen. Er starrte es an, fern davon zu verstehen. Und verstand doch, schrie auf. Der Mogul lachte. „So ist es recht. Du kannst sprechen, rufen, atmen. Alles, nur viel besser, schneller, schärfer.“

Die Erkenntnis des Grauens, die Grausamkeit des Geschehenen arbeitete sich in sein Bewusstsein vor und der Schrei in ihm erstickte, bevor er fühlte, wie seine Lungen sich dehnten, Luft einsogen, sich füllten und in der unbewussten und doch seit der Geburt in ihm verankerten Reaktion seinen Atem wieder entließen. Oder etwas, das seinem Atem entsprach. Er blutete, glaubte zu zerfließen, sich aufzulösen, während unzählige Wunden weiter aufrissen, Gewebe zerstörten, das seit Stunden nicht mehr intakt war, das sich jetzt auf eine Weise veränderte, die niemand begreifen konnte. Ein schauerlicher Laut entfuhr ihm, verwandelte sich in ein Heulen, das in die Luft stieg, und wieder auf ihn herabfiel, ihm den Schrecken des Geschehens bewusst zu machen suchte. Der Mogul lachte, als er ihn um den Nacken fasste, näher an sich zog, bis ihre harten, kalten Körper sich gegeneinander pressten. Er bohrte seine Hand, das Herz darin, in Alejandros Brust und Alejandro schrie erneut. Der Druck drohte, ihn zu zersprengen. Und doch handelte es sich nicht um Schmerz, entdeckte er keine körperliche Empfindung bis auf das Gefühl, zusammengepresst zu werden. Als halte der Mogul ihn in seiner Hand, um ihn in ihr langsam zu zerquetschen. Blutige Finger legten sich um seinen Hals und der Mogul neigte den Kopf, flüsterte in sein Ohr. „Doch du brauchst nicht zu atmen, benötigst keine Luft, keinen Sauerstoff.“ Er drückte Alejandros Hals zusammen, seine Finger bohrten sich in die Haut, in die Wunde, verschlossen Luft- und Speiseröhre, brachen die Halswirbel mit präziser Gründlichkeit.

„Du spürst es nicht“, wisperte der Mogul. „Keine Zerstörung, keinen Schmerz. Du bist mehr und weitaus besser als ein Leib aus Muskeln, Sehnen und Knochen. Es ist der reine Wille, der uns zusammenhält. Unsere Überlegenheit, die uns den Sieg verleiht.“

Langsam lösten sich die Finger und Alejandro unterdrückte das Bedürfnis, nach Luft zu ringen. Instinktive, über Jahre, Jahrzehnte eingeübte Reaktionen waren bedeutungslos geworden. Als er das begriff, als ihm das Ausmaß dessen, was geschehen war, deutlich wurde, flammte Wut in ihm auf, befähigte ihn, sich aus seiner passiven Rolle zu befreien. Er zuckte und wand sich in dem Griff des Moguls, der ihn immer noch umklammerte. Der lachte, als er Alejandros Anstrengungen wahrnahm und ihn erneut fester an sich presste. „Auch das bräuchten wir nicht“, sagte er leise in Alejandros Ohr. „Als Schöpfer sind wir zu mehr befähigt, als alle hier je verstehen werden.“ Er löste eine Hand, drehte Alejandro um, so dass er sich gegen seinen Rücken presste, beide Arme um seine Brust schloss.

Alejandro sah die schwarze Masse der Beißer, die sich immer in respektvoller Entfernung aufhielten, die ihn anstarrten, als erwarteten sie eine Reaktion, eine Verkündung, etwas Neues. Der Mogul lachte. „Schafe sind sie alle“, wisperte er in Alejandros Ohr. „Dumme Schafe, selbst die meisten der Fortgeschrittenen. Befehle können sie annehmen und mit etwas Glück umsetzen, doch die Fähigkeit zum eigenständigen Denken, die ist nur wenigen vorbehalten. Bis jetzt zumindest.“

Alejandro spürte eine Zunge auf der Haut, in seinem Nacken. Der Mogul leckte eine Spur, während die Hand sich in seine Brust krallte. Alejandro sah an sich herab, beobachtete, wie sich Finger in seinem Inneren vergruben, blutige Knöchel zu sehen waren, während der Mogul erneut sein Herz in der Hand hielt, es zusammenpresste, als versuchte er es auszuwringen.

„Ich könnte jeden Tropfen Blutes herausquetschen“, flüsterte er mit einem heiseren Unterton. „Und es würde dir nichts anhaben. Du setzt es wieder ein und wenn du willst, bringst du es zum Schlagen. Wenn du es willst, wird Blut durch deine Adern fließen, werden deine Muskeln und Nerven arbeiten. Du wirst atmen und wirst fast aussehen wie einer von ihnen. Du kannst dich näherschleichen, sie täuschen und über sie herfallen. Deshalb werden sie verlieren.“

Alejandro biss sich auf die Lippen. Rot glühende Augen hefteten sich auf ihn, hielten ihn gefangen. Je länger er dort stand, im Griff des Moguls eingeschlossen, desto mehr Schärfe erhielt sein Bild.

„So ist es“, flüsterte der Mogul weiter. „Du wirst besser, du veränderst dich. Deine Talente werden sich noch entfalten, wenn erst der Hunger eintritt und dich nie wieder verlässt.“

„Lass mich los“, keuchte Alejandro. „Ich flehe dich an.“ Seine Stimme brach. „Lass mich los, bitte.“

Das Lachen in seinem Ohr wechselte, wurde von schrill zu sanft. Inzwischen erkannte er jedes Gesicht der Beißer, die ihn beobachteten. Er sah die schwarzen Mäntel, die ausdruckslosen, bleichen Gesichter. Er sah, wie sie in vorderster Reihe standen, die Monster hinter ihnen zurückhielten. Grauenvoll waren sie anzusehen, zerstört, Monster wie die, welche sich ohne Kontrolle auf ihn gestürzt hatten, denen er so oft entkommen war. Doch nicht oft genug.

„Marek“, flüsterte er und das leise Lachen des Moguls verstummte. „Zerstückelt“, fauchte der plötzlich. „Nichts mehr von ihm ist übrig.“

Und in diesem Augenblick verspürte Alejandro einen Schmerz, der mit nichts zu vergleichen war. Heftig und brutal, einen Stich, der durch seine Eingeweide fuhr, die er nicht mehr gespürt hatte, die tot waren, zerfetzt, Fleisch. Doch genau dieser Schmerz, der seinen Verstand erreichte, brachte sein Herz zum Schlagen, vibrierte in ihm und entzündete eine Kette, die seinen Körper durchlief, ihm einen gequälten Laut entlockte.

„Vergiss ihn“, knurrte der Mogul. „Oder ich vernichte dich. Wehr dich gegen mich, gegen uns, gegen das Schicksal und ich werde dich auslöschen. Keine Spur von dir wird bleiben, kein Bild, keine Erinnerung. Du wirst vergangen sein, wie die Menschheit bald vergangen sein wird. Gib auf.“

„Dann vernichte mich.“ Die Verzweiflung verwandelte sich in einen Schrei, in Wut, in Zorn, der ihm Kraft verlieh, zusätzlich zu einer neuen Stärke, die er erst begann zu begreifen. Er wirbelte herum, stieß den Mogul von sich, rammte ihm seinen Ellbogen in die Brust, sein Knie in den Unterleib. Der keuchte überrascht, lachte rau, während er zurücktaumelte. „Du willst es wirklich wissen“, rief er, während Alejandro schwankte, erstaunt von seiner eigenen Kraft, verblüfft, dass es ihm gelungen war, sich zu befreien. Sein Zögern wurde ihm zum Verhängnis, denn auch wenn er schnell war, der Mogul blieb schneller. Bevor er begriff, was geschah, sprang der nach vorne und seine Faust traf Alejandro an der Schläfe. Das schrille Lachen in seinen Ohren begleitete den Sturz. Doch nur, bis er sich von harten Armen aufgefangen fühlte und wieder hochgeschoben auf die Füße. Er holte aus, wollte zurückschlagen, doch eine Hand packte seine, hielt ihn auf, und der Mogul landete einen weiteren Treffer, ohne dass Alejandro sich nur zur Seite zu neigen vermochte.

„Misch dich nicht ein“, zischte der Mogul. Doch er wandte sich an den Zombie, der sich hinter Alejandro befand, ihn immer noch aufrecht hielt. Alejandro wandte den Kopf nur ein wenig und sah ein Büschel fast weißer Haare, den Schimmer roter Augen, halb vertraute Gesichtszüge. Dann ließ der Beißer ihn los und er schwankte wieder.

Der Mogul starrte ihn an und Alejandro spürte die Lücke in seinem Rücken. Die Arme verschränkt, die Lippen zusammengepresst, musterte der Mogul ihn stumm, schüttelte den Kopf, den Ausdruck des Ekels in seinem Gesicht. „Ich setze wirklich große Hoffnungen in dich. Und so dankst du es mir?“ Er grinste verbittert, löste die Arme und zwirbelte seinen Kinnbart. „Ich habe gewartet, dir Zeit gelassen, deine Persönlichkeit zu festigen, deine Ziele zu formulieren.“ Er runzelte die Stirn. „Vielleicht war es zu viel Zeit. Vielleicht bist du nur noch ein weinerlicher Haufen Schwäche.“ Er schüttelte den Kopf. „Das habe ich nicht nötig. Und du auch nicht.“ Alejandro sah, wie es um die Mundwinkel des Moguls zuckte. „Meine Geduld ist jedoch nicht unerschöpflich. Wenn ich jemanden an meine Seite fordere, dann sofort.“ Er legte den Kopf schief. „Es reizt mich immer noch, mich mit dir zu schmücken. So anders, so unverfälscht. Keine Bindung durch Blut oder verlogene Heimatgefühle. Ich war mir sicher, dass du den perfekten Erleuchteten abgibst.“

„Vergiss es.“ Alejandro hörte sich selbst kaum, so heiser, tonlos war seine Stimme. Der Mogul zog die Augenbrauen hoch. „Ist das dein Ernst? Dein letztes Wort?“

„Rate doch mal.“ Alejandro fand sein Gleichgewicht, den sicheren Stand verspätet wieder, stürzte sich in demselben Augenblick nach vorne, ging dem Mogul an die Kehle. Das hässliche Lachen in seinen Ohren, biss er zu, senkte neue, verlängerte Zähne in den verabscheuten Körper. Vage fragte er sich, ob er auf diese Weise nicht einen Teil seines Lebens oder wenigstens die Illusion desselben zurückholen könnte. Es kam ihm vor, als bisse er auf Stein. Seine Sinne füllten sich, der Geschmack nach scharfem Benzin und Leder verbrannte ihm die Zunge. Das Gewebe in seinem Mund war kalt und tot. Plötzlich traf ihn ein Schlag in die Magengrube, ein weiterer seitlich gegen sein Kinn, und öffnete seinen Biss. Er hörte sich selbst stöhnen und den Mogul lachen, als er zu Boden ging, unter zu schnellen Tritten und Hieben zusammenbrach.

„Macht ihn fertig“, kommandierte der Mogul. „Aber lasst ihn in einem Stück. Man weiß nie, wann er seine Meinung ändert.“

Als Alejandro blinzelte, näherte sich die schwarz gekleidete Übermacht, warf sich auf ihn, bedeckte ihn mit Schlägen und Tritten. Er wartete darauf, etwas zu fühlen, glaubte, das Echo eines entfernten Schmerzes wahrzunehmen, doch das Einzige, dessen er sich sicher war, lag in der Verzweiflung, die ihn umfasste und stärker in die Tiefe zog, als Arme, Beine oder Zähne der Monster es vermochten.

Wie die Nacht schien es kein Ende zu finden. Sich zu wehren hatte er längst aufgegeben. Es war der Anstrengung nicht wert. Er fühlte sich ausgelaugt und ein Stück von ihm wurde nicht müde, ihn davon zu überzeugen, dass er die Misshandlungen verdient hatte, dass es das Mindeste sei, was er zu einer irrationalen, surrealen, eingebildeten Gerechtigkeit beitragen konnte. Wenigstens nachdem er versagt hatte, was Marek anging. Nichts von dem, was er erlebte, kam dem gleich, was Marek ertragen hatte.

Als sie von ihm abließen, hatte sich das Echo des Schmerzes in ein stumpfes Dröhnen in seinem Schädel verwandelt. Knochige, klauenartige Finger zogen ihn hoch und er roch den Mogul, roch Metall und Kardamom, lange bevor seine Sinne ihn erkannten.

„Ist es das, was du willst?“, flüsterte der Mogul. „Dann freu dich. Denn genau so wird es sein, bis du dich besinnst.“ Eine raue Zunge leckte über seine Schläfe. „Und alles, was du jetzt durchzumachen glaubst, ist nichts gegen das erste Aufflammen des Hungers.“

Alejandro schloss die Augen, als könne er den Mogul aus seinem Bewusstsein aussperren. Der ließ ihn los und Alejandro krümmte sich zusammen. Stärker als jede Verletzung, als Tritte, Bisse oder Schläge, spürte er das Rebellieren seiner Eingeweide. Es kam ihm vor, als versuchten sie, ihn von innen aufzufressen. Er ächzte, bohrte Zähne in die Unterlippe. Seiner Kehle entrang sich ein heiseres Stöhnen, ein grauenvoller Laut, den er nicht aufzuhalten vermochte. Was der Mogul sagte, verstand er nicht. Doch begriff, dass man ihn zusammenfaltete wie einen Karton und mit sich zog. Dass er umgeben war von Tod, Gestank und Wahnsinn.

Endlich ließen sie ihn los, erlaubten ihm, zu Boden zu stürzen. Die Krämpfe wurden qualvoll bis unerträglich. Er hielt die Augen geschlossen. War es nicht einerlei, wohin sie ihn gebracht hatten? Sein Schicksal war besiegelt. Niemand musste ihm verraten, was es war, das seinen Leib peinigte. Er erkannte es daran, wie ihm bei dem Gedanken, seine Zähne in ein Stück Fleisch zu schlagen, das Wasser im Munde zusammenlief. Wie sich die Erinnerungen an Weggefährten, an Freunde mit Bildern von abgerissenen Gliedmaßen und aufgetrennten Oberkörpern mischten. Wie die Vorstellung eines Zombies, der im Begriff war, sein Opfer auszuweiden, keine Übelkeit mehr erregte. Schlimmer noch, wie er sein Vorgehen, sein Handeln begriff. Doch es war mehr, erkannte er mit Grauen. Er konnte es nachvollziehen. Ein winziger, abartiger Teil von ihm sah sich selbst in der Gestalt des Monsters, sah sich jagen, zupacken und seine Beute verzehren. Winzig, doch das würde er nicht bleiben. Bereits jetzt spürte Alejandro wie die Krankheit in ihm wuchs, wie die Gier an den Wänden kratzte, in denen er sie gefangen hielt. Als wüsste sein Körper, der nicht mehr sein Körper war, was er brauchte. Und das besser, genauer als jede logische Schlussfolgerung, an der Alejandro sich festklammerte.

Er lag gekrümmt auf der Seite und zuckte, spürte gleichzeitig die Krämpfe, die seinen Körper schüttelten, den Schmerz, der ihn wie Elektroschocks, wie Blitze, die in seine Organe einschlugen, überwältigte. Sein Mund war voller Sand und er wusste nicht, wie lange er auf der Erde gelegen hatte, über sie gekrochen war, in dem hilflosen Bemühen, fortzukommen. Auch jetzt bewegten sich seine Glieder, zogen ihn vorwärts. Er versuchte, durch Staub und Schmutz zu robben. Doch seine Hände und Knie, seine Füße hielten ihn nicht, knickten immer wieder ein und er rutschte zurück. Bis er begriff, dass er gehalten wurde, dass sich Stricke um seine Beine wanden. Er heulte auf, drehte sich um, blinzelte. Seine Augen stellten sich auf den Mangel an Licht ein und nun sah er den Pfosten, an den er gebunden war. Er keuchte, erkannte die Trümmer verrosteter Autos und anderer Maschinen. Der Ort erinnerte an einen Schrottplatz und mit dem nächsten Krampf, der ihn zurück auf die Erde presste, während seine Arme und Beine hilflos ausschlugen, gebremst nur durch seine Fesseln, stand der Mogul vor ihm. Dessen Stiefel glänzten in der Dunkelheit und dann beugte er sich zu ihm herab. Sein Gesicht erfüllte Alejandros Blickfeld, sein Grinsen schob sich in den Vordergrund.

„War mir doch so, als wärst du einer von denen, die es nicht erwarten können.“ Er spitzte die Lippen und dann fühlte Alejandro die kalte Hand, die in sein Haar griff, seinen Kopf hochriss, bis er gezwungen war, in die bleichen Züge zu starren.

„Koste nur den Hunger“, flüsterte der Mogul. „Du willst es auf die harte Tour? Dann soll es so sein. Verleugne, was du bist, leide bis du zerbrichst. Denn der Moment wird kommen. Doch erkennst du erst die Wahrheit, dann wird es dich zurück zu mir ziehen. Dann erst wirst du erkennen, was ich für dich bin.“ Er ließ Alejandro los und dessen Kopf prallte zurück auf die Erde, fühlte sich an, als stünde er in Flammen, während der Rest seines Körpers unkontrolliert auf dem Boden zuckte.

Der Mogul lachte erneut. „Wie du darum winseln wirst, dass ich dich füttere. Dass ich dir gebe, was du brauchst. Dich zu den Quellen führe, ins gelobte Land.“ Sein Grinsen wurde diabolischer. „Wie bereits zu einer anderen Zeit, in einer anderen Welt. Aus der Wüste und der Not, dorthin wo reiche Ernte winkt.“ Er neigte sich tiefer, berührte Alejandros Stirn. „Du glühst bereits, mein Kind. Ich werde auf dich warten. Früher oder später wirst du zu mir kommen. Dann lassen wir das Elend und die Einöde hinter uns, schwelgen im Reichtum dieses Kontinents. Wir überqueren die saftigen Weiden und nähren uns von der üppigen Frucht. Wir schlagen unsere Zähne in deren Fleisch, bis der rote Saft in Strömen fließt.“ Seine Finger lösten sich. „Doch beeile dich lieber damit, zur Vernunft zur gelangen“, mahnte er. „Die Quelle hier ist beinahe ausgetrocknet. Und die Primitiven unter uns kennen keine Scham oder Zurückhaltung. Nur den Respekt vor uns. Sind wir erst gegangen, werden sie sich gegenseitig zerfleischen.“

Unter fast geschlossenen Lidern beobachtete Alejandro, wie der Mogul sich aufrichtete. Er ballte die Fäuste, versuchte, die Zuckungen unter Kontrolle zu halten. Er fühlte die Wut in sich und ahnte, dass sie ihm Kraft verlieh. Spürte, dass die Krämpfe, die Schmerzen, der Hunger, ihn nicht zerstörten. Etwas in ihm, jemand ließ nicht zu, dass er sich dem Mogul ergab, dass er sich der Schwäche und der Gier unterwarf. Dass er zusammenbrach und um Gnade flehte. Er fühlte den Blick des Moguls auf sich, fühlte wie der ihn abtastete, jede der unkontrollierten Spasmen seines Körpers in sich aufnahm, trank. Wie er auf seinen Zusammenbruch wartete. Alejandro biss die Zähne zusammen, als ein weiterer Anfall ihn schüttelte, als sein Inneres zu explodieren schien und nach der Explosion einen gähnenden Hohlraum öffnete, der nichts mehr übrig ließ als dunkles, finsteres Verlangen. Quälender als jede Sehnsucht, jeder Hunger, jeder Durst, jeder Schmerz, den Alejandro je kennengelernt hatte.

Er unterdrückte das Wimmern, das aus ihm herausbrechen wollte, zwang seinen Körper, die Krämpfe soweit unter Kontrolle zu halten, dass er nicht um sich schlug, sich nicht vom Boden abstieß, um zu schreien, sich nicht an das erste Wesen klammerte, das ihm nahe war, um es dazu zu bewegen sein Leiden zu beenden. Sein erstickter Schrei hallte umso lauter und brutaler in seinem Inneren, verriet ihm mit ohrenbetäubender Deutlichkeit, dass er verloren war. Dass es sich nur um eine Frage der Zeit handelte und er würde der Verstand verlieren. Oder - die furchtbarere Alternative - er würde werden wie der Mogul.

„Ich wusste, dass du es so willst“, flüsterte der Mogul. Seine Stimme eindringlicher, lauter als jeder Schrei es sein konnte. „Du brauchst Zeit. Du denkst, dass du dagegen ankämpfen willst, aber ich kenne dich besser. Und ich kann warten.“ Als Alejandro blinzelte, war die Welt rot, leuchtete der Mogul in bedrohlichen Schattierungen, drang dessen Lachen wie ein Speer in sein totes Herz.

„Ich werde warten“, sagte der Mogul. „Und wenn ich zurückkehre, bringe ich dir, was du brauchst.“

Alejandro schloss die Augen. Der Schrei in ihm war ebenso wenig verstummt wie der Nachhall des heiseren Flüsterns. Er konnte nicht antworten, nicht sprechen, nicht reagieren, ahnte mehr, als dass er bemerkte, wie der Mogul sich entfernte.

Wie viel Zeit verging, konnte er nicht ermessen. Das Loch in seinen Eingeweiden dehnte sich aus. Seine Ränder fühlten sich an als, verkohlten sie, als kräuselten sie sich mit zischenden Lauten. Darin befand sich nur Leere und der Schmerz, der darin wisperte.

Eine Ewigkeit später oder nicht lange danach hörte er eine Stimme. „Die Krämpfe werden nicht aufhören“, sagte sie. „Besser du gewöhnst dich daran.“

Er öffnete die Augen und das Licht stach in sein Gehirn. Er krümmte sich wieder, kam auf seine Knie, biss in seine Faust, schmeckte das Leder der Haut, den fauligen Nachhall von Tod. Wenn seine Muskeln nicht krampften, waren sie starr und steif. Er stöhnte, als er sie bewegte.

Jemand schnalzte mit der Zunge und Alejandro drehte den Kopf zur Seite. Für einen Augenblick glaubte er zu spüren, wie seine Netzhäute verbrannten, doch dann klärte sich sein Blick. Er sah hellblondes Haar vor grauem Himmel, ein bleiches, bekanntes Gesicht.

„Du?“, keuchte er und erhielt ein Grinsen. „Nenn mich Fendrick“, sagte der Beißer. „Ich wollte mich schon längst für die Abwechslung bedanken. War ziemlich öde in dem Knast dieser Spinner. Auch wenn ich nie gedacht hätte, dass du einer von uns wirst.“

„Das wollte ich nicht“, keuchte Alejandro und Fendricks Grinsen wurde breiter. „Beschwer dich nicht. Du bist erleuchtet, fortgeschritten. Sozusagen unbesiegbar. Wirst schon noch merken, dass das Vorteile mit sich bringt.“

Alejandro stöhnte wieder und Fendrick zog die Nase kraus. „Stell dich nicht an. Da mussten wir alle durch. Wird besser, wenn du dein erstes Opfer gerissen hast.“

„Das werde ich nicht - niemals“, keuchte Alejandro.

„Der Mogul hat schon gemeint, dass du verstockt bist“, nickte Fendrick. „Hilft dir nicht weiter. Ich würde dir sogar raten, Tempo vorzulegen. Die ersten ziehen bereits ab.“

Alejandro blinzelte und Fendricks Gesichtszüge wurden deutlicher. Er stöhnte, als es ihm gelang, sich aufzusetzen. Mit beiden Händen hielt er seinen Kopf, presste die Finger gegen die Schläfen.

Fendrick nickte. „Dein Körper wartet noch auf das Einsetzen des Kreislaufs, das verleiht der Angelegenheit zusätzlich Pfeffer.“ Er grinste, entblößte blutige Zähne.

Alejandro würgte.

„Ganz genau“, fuhr Fendrick fort. „Es gibt immer noch welche, die sich in den Kellern verkriechen. Gut, dass wir sie riechen. Sie wissen nicht, dass sie keine Chance besitzen.“ Er verzog die Lippen. „Zu wenig Nahrung für uns alle, deshalb machen die Fortgeschrittenen den Abflug. Die Zurückbleibenden können sich meinetwegen gegenseitig die Köpfe abreißen.“

„Der Mogul?“, keuchte Alejandro.

„Der organisiert sich natürlich einen exklusiveren Transport.“ Fendricks Grinsen wurde schief. „Ich soll dir ausrichten, dass er dir einen Platz reserviert hat.“ Er schüttelte den Kopf. „Siehst du nicht, dass dir alles in den Schoß fällt? Er mag dich, warum auch immer. Und unter denen, die das Sagen haben, ist er der erfolgsversprechende. Glaub mir, ich weiß wovon ich rede. Da gibt es ganz andere und auch für die habe ich gearbeitet. Ein Glück, dass sie den Herzog abgeschoben haben.“

„Ich versteh das nicht.“ Alejandros Stimme war heiser. Der Geschmack von Blut war überall.

„Was?“ Fendrick hörte sich fast neugierig an. „Was gibt es da nicht zu verstehen? Dafür, dass du ein Erleuchteter sein sollst, scheinst du mir recht dämlich.“ Er schob die Unterlippe vor und runzelte die Stirn, seufzte dann. „Von Anfang an? Also gut, du bist schließlich einer von uns. Die Verwandlung dauert und ist qualvoll. Erträglich wird die Sache erst, wenn du dich satt gegessen hast. Von da an hast du es unter Kontrolle - wenigstens als Fortgeschrittener. Das heißt, du kannst lange ohne Nahrung auskommen, ohne verrückt zu werden. Nicht dass es schön ist, aber möglich.“ Er zog die Augenbrauen zusammen. „Aber das kriegst du alles noch mit. Wofür rede ich überhaupt?“ Er schnaubte, sichtlich verärgert.

Alejandro stützte sich auf, versuchte, auf die Füße zu kommen, doch die Fesseln hielten ihn zurück. „Was soll das?“

Wieder zuckte Fendrick mit den Schultern. „Der Mogul wollte sicher gehen, dass du keine Dummheiten machst?“

„Was für Dummheiten könnte ich denn noch machen?“ Alejandro brachte kaum die Zähne auseinander.

„Das fängt damit an, dass du dich selbst zerfleischt“, bemerkte Fendrick. „Gelingt natürlich nie, aber du gibst dann ein ziemlich hässliches Bild ab. Und der Mogul schätzt dich wohl hauptsächlich aufgrund deines hübschen Gesichtes.“ Er grinste schief. „Wenn es dir nicht aufgefallen ist, die Verletzungen bleiben.“

„Aber du ...?“ Alejandro starrte Fendrick an. Der stand auf, hob sein Hemd, offenbarte eine klaffende Wunde, einen geöffneten Brustkorb. Das Herz dahinter bewegte sich.

Alejandro schluckte. „Wie?“

Fendrick grinste. „Der Chef hat was übrig für Herzen.“ Er zuckte mit den Schultern. „Und wenn ich esse, wird es angekurbelt. Für einen Moment.“ Er leckte sich die Lippen.

Alejandro fiel nach vorne. Sein Magen versuchte, sich umzustülpen, doch nichts geschah. Fendrick sah ihn fast mitleidig an. „Vergiss es“, wiederholte er. „Vergiss am besten alles, woran du dich erinnerst. Zuallererst vergiss Moral oder Regeln. Es gibt weder das eine noch das andere.“ Er presste die Lippen zusammen, schüttelte den Kopf. „Ich weiß echt nicht, was er an dir findet. So hat sich noch selten einer aufgeführt. Keiner, den er nicht ein zweites Mal angesehen und dann vernichtet hätte.“

Alejandro sah hoch. „Du willst mich loswerden? Dann sag mir, was ich tun kann.“

Fendrick hob die Augenbrauen, schnaubte dann. „Du willst dich umbringen? Wie idiotisch kann man sein? Du weißt wohl nicht, dass der Mogul seit Jahren Ausschau hält. Dass er unzählige Menschen ausgewählt und verwandelt hat. Mit keinem war er zufrieden. Mit keinem zeigte er eine Geduld wie mit dir. Und glaub mir, du willst, dass er Geduld zeigt. An ihm hängt unsere Zukunft. Er hat uns bis hierher gebracht, und wird uns noch viel weiter bringen.“

„Das ist mir egal.“ Alejandros Arm zitterte und er stützte sich auf den anderen. Der Schmerz in seinem Inneren tobte unvermittelt. „Ich werde nie nachgeben“, ächzte er und Fendrick lachte kurz. „Ganz genau - du bringst dich lieber um, oder zumindest das, was von dir übrig ist.“ Seine Miene wurde ernst. „Meinetwegen. Such dir ein paar Jäger, zwei oder drei torkeln hier vielleicht noch rum. Oder fackel dich ab wie dein Freund.“

„Wie wer?“, krächzte Alejandro.

„Na der hübsche Junge, mit dem du unterwegs warst. Von dem der Mogul gesagt hat, wir sollten ihn nicht anrühren.“

„Marek?“ Die Welt schien stillzustehen. „Ihr habt ihn umgebracht.“

Fendrick schnaubte. „Kann sein, kann nicht sein. Eher nicht, weil was ich gehört habe, legte er ein Feuer, in dem einige von uns verkohlten. Er selbst gleich mit.“ Er grinste gehässig. „Was die Neigung zum Suizid angeht, seid ihr euch wohl eng verbunden.“

„Er war nicht tot?“ Alejandro brachte die Worte kaum heraus. Fendrick kniff die Augen zusammen, entblößte seine immer noch blutigen Zähne.

„Jetzt ist er es. Also was soll‘s.“ Er schüttelte den Kopf, drehte sich zum Gehen.

„Du wirst es spüren, wo wir sind. Vergiss deine altmodischen Vorbehalte und mach dich zum Sklaven des Moguls. Oder verrotte hier. Ist mir egal, wenn ich das so sagen darf.“

Alejandros anderer Arm gab nach und er lag wieder auf dem Boden. Doch seine Augen blieben offen, fixierten das verbogene Metall ihm gegenüber, den offenen Kühlschrank und das Wrack eines Motorrads. Er dachte nach. Fragte sich, ob Marek, wenn er den Zombies entkommen war, auch einem Feuer entkommen sein konnte. Seine Haut kribbelte, juckte und er rieb die Wange gegen den trockenen Boden. Fendricks Schritte verhallten und er war allein.

Was, wenn Marek tatsächlich noch am Leben war, vielleicht verletzt, vielleicht Hilfe brauchte. In dem klaffenden Loch aus Schmerz regte sich ein Funke, kämpfte sich durch die Verzweiflung. So unsinnig, so abergläubisch der Gedanke auch schien, er war weitaus erträglicher als das Wissen um Mareks Tod.

Wieder stützte Alejandro sich auf. Entgegen jeder Vernunft begann er zu hoffen, klammerte sich an diesem Strohhalm fest, so brüchig und dünn der schien. Und als er auf die Füße kam, sich an dem Pfosten festhielt und die Abstufungen des Graus um ihn, die feinen, scharfen Konturen, die er nun so gestochen scharf erkannte, fixierte, bis sich jede Linie, jeder Umriss in seinen Verstand einbrannte, da glaubte er, dass sich eine Tür für ihn öffnete. Und durch die Tür hindurch sah er Marek, der ebenso Ausschau nach ihm hielt, der ihn ebenso suchte und hoffte, wie er selbst es tat.

„Marek“, flüsterte er und wollte vorwärts. Doch der Strick hielt ihn auf und er stolperte zu Boden. Wut stieg in ihm hoch und er drehte sich um, während ein tiefes Knurren in seiner Kehle grollte. Ohne nachzudenken, nur aus Instinkt heraus, fletschte er seine Zähne, spürte ungewohnt scharfe Kanten an seinen Lippen vorbeigleiten, spürte Spitzen, lang und gefährlich. Im nächsten Augenblick stürzte er sich auf das Seil und biss es durch. Seine Fingernägel wuchsen, erweckten den Eindruck von Klauen, die nun die Stricke zerfetzten, wie seine Zähne sich nun auf Autopilot in dieselben schlugen. Es war so leicht, wie es nicht sein dürfte, und Alejandro spürte die Vorboten einer Kraft, die jenseits seiner Vorstellungskraft lag. Die - einmal entfesselt - dazu bestimmt war, Vernichtung und Zerstörung über die Welt zu bringen.

Er heulte auf, als sich der Abgrund in seinem Inneren öffnete, als Blitze durch seine Nerven und Muskeln zuckten, und er plötzlich erkannte, dass sein Körper mehr verlangte. Dass die Stricke nicht mehr als ein Hinweis auf das Verlangen waren, das in ihm tobte. Auf den Hunger, der ihn drängte, seine Zähne in Fleisch zu bohren, auf den Durst, der nach Blut verlangte. Er taumelte vorwärts, ließ den Pfosten hinter sich, presste beide Handflächen gegen die Stirn. In seinem Kopf quoll ein dumpfer Ton auf, schwoll an, dunkel und vibrierend. Setzte sich fort und schüttelte seinen Körper.

Er schloss die Augen, wankte vorwärts, getrieben von Hunger und von Sehnsucht. Wenn er Marek erst fände, wenn er erst wüsste, dass der am Leben war, dann wollte er alles ertragen. Er stieß gegen eine Mauer aus Brettern, kratzte sich an ihr seine Finger auf, bevor es ihm gelang, die Augen wieder zu öffnen. Splitter standen ab und er beobachtete, wie seine Hände hilflos über die Oberfläche fuhren.

Warum nur sollte der Mogul Marek am Leben halten wollen? Warum ihn erst glauben lassen, dass der tot sei. Als wollte er, dass Alejandro ihn suche. Als habe er ihn zurückgehalten, um ein As im Ärmel zu besitzen. Das ergab keinen Sinn.

Alejandro krümmte sich vornüber. Ein neuer, blutiger Schleier legte sich über seine Augen, färbte das Grau ein. Endlich gelang es ihm, sich zur Seite zu drehen, sich an den aufgetürmten Brettern vorbei zu schleppen. Mit dem nächsten Schritt stand er auf der Straße. Er spürte die Anwesenheit fremder Geschöpfe, deutlicher als er jemals dazu imstande gewesen war. Fühlte Augen auf sich, roch Untote von allen Seiten. Sie befanden sich über ihm in eingestürzten Wohnhäusern, unter ihm in den Kanälen und in den Schatten, die eine verfallene Stadt ihnen bot.

Und er roch Menschen, roch das tote Fleisch der Leichen, lauschte auf das Schmatzen der Beißer, die sich von ihnen nährten. Hörte es aus der Ferne und fiel auf die Knie, presste seine Hände gegen die Ohren.

Er glaubte zu zerspringen, die Fülle der Eindrücke nicht mehr zu ertragen und sein Heulen stieg gegen den Himmel.

Es dauerte, bis er sich gefangen hatte, bis er in der Lage war, wieder aufzustehen und weiterzugehen. Sein Hunger wuchs und sein Kampf schien verloren. Aussichtslos zu glauben, es gelänge ihm, auch nur die notwendigen Meter zurückzulegen, die ihn bis zum nächsten Schatten führten. Jedes Mal, wenn er glaubte, einen Menschen zu riechen, einen Zombie zu hören, der sich an seinem Fleisch gütlich tat, drängte ihn jeder Impuls, die Richtung zu ändern und auf die Ursache des Geräuschs und des Geruchs zuzusteuern.

Doch stärker noch war sein Verlangen, Marek zu finden. Mochte es Einbildung sein, Wunschdenken vielleicht, doch seine Sehnsucht wurde stärker mit jedem Schritt. Er sah die Garage vor sich, die Anlage, in der sie Fendrick gefunden hatten, in der alles zusammengebrochen war, und zugleich alles begonnen hatte.

Er quälte sich an dem Ort vorbei, in dem sie für kurze Zeit Zuflucht und falsche Sicherheit gefunden hatten. Mit jeder Sekunde, die er dort verharrte, nahmen seine geschärften Sinne mehr Nuancen wahr, gelang es ihm, die Gerüche zu differenzieren und zu deuten.

Auch wenn anderes um ihn verschwamm, so erinnerte er sich doch an jede Einzelheit, die Marek für ihn bedeutete. Er sah ihn vor sich, als er sich durch die Trümmer schob, die nun die Anlage blockierten, als er das Blut an den Wänden ignorierte und die Zerstörung des Bettes, in dem sie geschlafen hatte. Er spürte Marek hier so deutlich, dass er nicht anders konnte, als zu glauben, dass der noch bei ihm war, dass er ihn finden konnte. Sei es auch nur, um ihn zu sehen, um zu wissen, dass er am Leben war. Und um sich danach fern von ihm zu halten, unsicher, ob sein Hunger die Anwesenheit, die Nähe eines Menschen, eines jeden lebenden Menschen ertragen konnte.

Er irrte weiter, doch je länger er lief, umso klarer wurde ihm auch, dass er einer Spur folgte.

Als er vor dem Lagerhaus stand, die Container darin betrachtete, die Menschen witterte, die sich noch vor Kurzem hier versteckt hatten, deren Duft ihn umgab und ohne seine Hilfe in ihn eindrang, bis er ihm nicht mehr entkommen konnte, da fühlte er den Nachhall einer Wärme, die er nur mit Marek in seinen Armen empfunden hatte.

Hier war er gewesen. Alejandro wusste es, so wie er wusste, dass er selbst hier stand. Wer er auch war, was er nun auch sein mochte, so verschwommen seine Gedanken, Gefühle und Sehnsüchte sich aus dem Sumpf erhoben, in den er gefallen war, immer noch fiel, so sicher konnte er sich sein, dass es sich hier um eine kranke, irrsinnige Abart der Realität handelte. Aber einer Realität, in der Marek lebte, in der er sich an diesem Ort befunden hatte, sein Geruch sich mit dem anderer, fremder Menschen vermischte.

Und einer Realität, in der Alejandro, in der sein neues Ich, imstande war, dem Geruch zu folgen und Marek aufzuspüren. Und er würde es tun, so sehr ihm sein Gewissen, der Teil seiner Selbst, in dem ein Rest von Vernunft verankert blieb, auch riet, loszulassen. Er konnte es nicht, würde es nie können.

Langsam, immer noch mit unsicheren Schritten, folgte er der unsichtbaren Spur. Wurde sicherer mit jedem Schritt, wurde schneller und fester. Marek war die Lösung, war immer die Lösung gewesen. Marek wusste, was zu tun war, er kannte ihn, kannte seinen Wunsch, kannte die Unmöglichkeit, die Perversion der Situation, in der er sich befand. Vielleicht musste er nichts sagen. Vielleicht las Marek in seinem Auftauchen von der Ausweglosigkeit einer Existenz wie seiner. Die letztendlich nur enden konnte, je schneller, desto besser.

Die Krämpfe ließen ihn schwanken, das Loch in seinem Inneren drohte ihn zu überwältigen, doch er blieb stark, gewann Kraft aus jedem Schritt, der ihn Marek und seinem Ende näher brachte.

Als er ihn sah, sackte die Kraft aus seinen Knien. Nur ein Wille, von dem er nicht gewusst hatte, dass er ihn noch besaß, hielt ihn auf den Beinen. Und mit einem Mal wurde ihm der Zustand bewusst, in dem er sich befand. Die Fetzen blutiger Kleidung, die an ihm herabhingen, die offenen Wunden, die er nicht spürte, doch die keineswegs unsichtbar waren, der Ausdruck in seinen Augen, der den Hunger widerspiegeln musste, den er empfand. Seine Augen - er hatte nicht daran gedacht, sich nicht darum gekümmert, welche Farbe sie nun aufwiesen. Wie sein Äußeres sonst wirkte, welchen Schrecken sein Anblick verbreitete.

Doch er sah es in Mareks Gesicht. Und das war weniger schrecklich, als zu erkennen, was mit Marek geschehen war in der doch nur kurzen und zugleich so langen Zeit, in der sie getrennt gewesen waren.

Marek starrte ihn an, die Augen dunkel trotz des Tageslichts, das Alejandro erst jetzt, verspätet bemerkte. Seine Haut war ungesund blass, die Haare klebten an seiner Stirn und seine Brust hob und senkte sich, als sei er eben erst gerannt. Mareks Lippen zitterten und sein Geruch, der Geruch aus gemeinsam verbrachten Nächten, der Geruch nach Nähe und Zusammengehörigkeit umfing Alejandro, bis ihn plötzlich und unvermittelt das Verlangen mit Wucht erfasste, so stark, dass es ihn taumeln ließ. Seine Welt wurde rot und er hörte Mareks Herz schlagen, roch dessen Fleisch. Die Gier überwältigte ihn und er bohrte seine Füße in den Boden, krallte seine Hände in die Arme und hielt beide vor seinen Körper, als könnte er sich auf diese Weise daran hindern, nach vorne zu stürmen und zu tun, was das Verlangen ihm gebot. Und war es nicht auch ein Teil der Liebe, wenn nicht gar deren höchste Stufe und Ausprägung, sich danach zu sehnen, sie zu verzehren? Sie ganz und gar für sich zu vereinnahmen, zu verschlingen? Marek zu verschlingen? Entsetzen packte ihn und er sah Marek an, als könne sein Blick ihn dazu zwingen, eine Waffe zu ziehen, als könnte der Anblick des Hungers in seinen Augen in Mareks Miene Abscheu erregen, Furcht und schließlich den Hass, den er benötigte, um ihn zu vernichten. Doch nichts geschah. In Mareks Gesicht zeigten sich Erstaunen, Erschrecken, aber auch der Hauch von Wärme, von Zuneigung, der Alejandro das Herz brach. So konnte, durfte der nicht empfinden. Nicht, wenn die Gefahr so groß war.

„Bitte“, brachte er hervor. „Töte mich.“

Alejandro sank auf die Knie und richtete den Blick auf den Boden. „Du musst mich töten“, flüsterte er und wartete auf die Kugel, auf den Hieb, auf den letzten Akt.

Er spürte, roch, dass Marek alleine war, und hoffte mit all seiner verbliebenen Kraft, dass dem dies allein Warnung war, dass er die Vernunft und den Ekel aufbrachte, um Alejandros jämmerlicher Existenz ein Ende zu bereiten.

Doch dann geschah das Schlimmste, was er sich vorstellen konnte. Kein Schuss durchschnitt die Luft, kein Angriff erfolgte. Keine Attacke, auf die er wartete, die er sich zwang, unbewegt zu erdulden. Auf die er hoffen wollte, solange er dazu noch imstande war. Zu dünn war der Faden, der das Tier in ihm, den Hunger zurückhielt. Er spannte bereits, kaum noch konnte er ihn ertragen. Der Schmerz, die Qual sprengte sein Bewusstsein, seinen Körper, seine Existenz.

Marek näherte sich, zielbewusst und sicher, ohne Zögern. Und doch auch ohne Hass, ohne die Wut, die doch so notwendig war. Und ohne Waffe. Alejandro wusste es, ohne aufzusehen.

„Geh“, stieß er hervor. „Lauf.“ Er biss die Zähne zusammen, drängte den Hunger zurück, den Geruch des Menschen, von dem er wusste, dass er ihn brauchte, dass jede Zelle seines Körpers nach ihm gierte.

„Lauf“, wiederholte er gebrochen. „Ich kann nicht, kann es nicht aufhalten.“ Seine Kehle brannte, seine Zähne kribbelten. Er wollte, sein ganzer Körper schrie danach, sie in weiches Fleisch zu schlagen, in harten Muskel. Mit ihnen die Barriere der Haut zu durchbrechen und das Blut zu trinken, das hervorquoll.

„Bitte?“ Nun sah er doch auf, sah durch den roten Schleier Mareks vertraute Züge, sah dessen Blick, in dem keine Furcht lag. „Töte mich“, flehte er. „Schnell, bevor ich -“

Doch Marek beugte sich über ihn. Plötzlich lag dessen Hand unter Alejandros Kinn, hob es leicht an, und die Wärme seines Körpers umarmte Alejandro, bevor Mareks Arme ihn umfingen.

„Du lebst“, flüsterte Marek und Alejandro spürte Tränen an seinen Wangen. Er riss sich los, kam auf die Füße, taumelte rückwärts. „Nein“, schrie er, spürte immer noch Mareks Puls an seiner kalten Haut, roch dessen Fleisch, verzehrte sich nach ihm mit jeder Faser seines Seins. „Ich bin tot“, brüllte er und wich weiter zurück, stolperte. „Du musst mich aufhalten. Halte mich auf. Ich - ich werde dich töten.“

„Nein.“ Das Wort durchschnitt die eingetretene Stelle und Alejandro krabbelte rückwärts, nur weg von der Versuchung. Als er hochsah, flammte in der Dunkelheit von Mareks Augen ein Licht auf, funkelte kurz, bevor es verlosch. Mareks Schultern sackten herab und die Haltung seines Körpers spiegelte Traurigkeit. „Ich kann nicht“, sagte er leise.

„Du - du hast es versprochen“, keuchte Alejandro. Doch Marek schüttelte nur den Kopf. „Das wolltest du. Aber ich wusste, dass ich es nicht fertigbringe. Es geht nicht. Ich kann es nicht.“

Alejandro zog sich hoch. Seine Hände rutschten an dem Stein ab, sein Blick glitt über das leere Feld, über die Ebene, die ihm vage bekannt vorkam und von der er erst jetzt erkannte, dass es sich um den Ort handelte, an dem der Mogul ihn gebissen, ihn getötet hatte. Er richtete die Augen erneut auf Marek und in dessen Gesicht spiegelte sich unfassbar Erleichterung, eine seltsame Abklärung, als habe der sich längst und lange vor Alejandro mit dem Geschehenen abgefunden. Als bliebe nur eines für ihn wichtig, dass er Alejandro nicht verloren hatte, noch nicht.

Es kam ihm vor, als bräche sein stummes Herz erneut und Alejandro schwankte, krümmte sich vorwärts, presste seine Fäuste gegen den Oberkörper, in die Wunde.

„Ich bitte dich“, sagte er heiser. „Du kannst es doch. Du hast es bereits getan.“ Seine Gedanken verschwammen, verwirrten sich, als Marek sich bewegte und dessen Geruch mit ihm. Als er jede Nuance des Dufts wahrnahm und noch mehr. Intensiv, verlockend, so unwiderstehlich, dass er aufschreien wollte. Es ging nicht, würde nicht funktionieren. Er konnte sich nicht zurückhalten. Und Marek war nicht schnell genug. War schon früher nicht schnell genug gewesen, hatte ihn nie einholen können. Und jetzt, angezogen von seinem Geruch, gequält vom Hunger, würde Alejandro ihn nicht gehen lassen.

„Ich werde dich töten“, sagte er. Doch was wie eine Drohung klingen sollte, hörte sich an wie ein Jammerlaut, wie ein schwaches, leises Versprechen. So süß in seinen eigenen Ohren, dass er die Augen schloss und Blut auf seiner Zunge zu schmecken glaubte. Als er die Augen wieder öffnete, hatte sich roter Nebel über die Welt gelegt, das letzte Grau verdrängt. Er spürte, wie sich seine Krallen in die Brust bohrten, wie seine Zähne gegeneinander rieben, als er stöhnte. Der letzte Teil seines Willens, seiner Stärke, der Stärke, die ihn zurückhalten sollte, wich hinter der Gier zurück. Und die noch vorhandene, allzu menschliche Sehnsucht nach Marek verwandelte sich das fleischliche Verlangen, das Marek zerstören würde.

„Sieh mich an“, krächzte er und bot seine letzten Kräfte auf, um sich zurückzuhalten. „Ich bin ein Monster. Ich weiß nicht, wozu ich fähig bin.“

Durch den Dunst und den Nebel hindurch vernahm er Mareks Stimme. „Aber ich weiß es“, sagte der. „Ich vertraue dir. Du bist stark. Du bist besser als das hier. Gemeinsam finden wir einen Weg.“

Alejandro glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen, traute seinen Augen nicht, die einen Beweis für Mareks Naivität lieferten. Die ihn zeigten, während sein Blick an Alejandro hing, die falsches Vertrauen, naive Zuversicht aufwiesen. Ein perverses Abbild des Marek, der doch so viel gesehen und erlebt hatte. Zu vieles, um sich einer sinnlosen Hoffnung hinzugeben.

„Wenn es Fortgeschrittene gibt, Erleuchtete“, sagte Marek leise. „Dann habt ihr auch alle eine Wahl. Dann hast du eine Wahl.“ Er schluckte. Alejandro folgte der Bewegung in Mareks Hals, dachte daran, wie seine Zähne die weiße Haut durchbohrten, den Kehlkopf herausrissen. Sein Körper zitterte. Er stand kurz vor dem Sprung.

„Und ich glaube an dich“, hörte er Marek sagen. „Du wirst mir nichts tun.“

Alejandro heulte auf und sprang. Seine Hände griffen nach Marek, packten ihn. Dessen Duft war köstlich, dessen Haut salzig und aromatisch zugleich. Er hörte sein Herz schlagen, fühlte, das Blut pulsieren, die zerbrechliche Hülle unter seinen Händen. Er stand kurz davor diese zu zerbrechen.

Musste es tun, wollte es tun, konnte sich nicht gegen den Instinkt wehren, der so neu war, so fremd und doch das Einzige, was er wahrnahm, was ihm bewusst war, während er seine Zähne Mareks Hals näherte, dessen Duft ihn umfing. Er sah Blut, spürte Blut, badete darin und blieb zugleich unbeweglich, starr. Marek in seinen Armen. Etwas stimmte nicht. Stimmte ganz und gar nicht. Sein Körper schrie, brüllte nach Nahrung. Sein Instinkt sagte ihm, dass der Schmerz, die Qual in ihm ein Ende fände, und mehr noch, dass es ihm vorherbestimmt, richtig und wahrhaftig sei. Dass sich Marek einzuverleiben für sie beide die Erfüllung und mehr war.

Er glaubte, zu spüren, dass Marek sich bewegte, doch der rote Schleier vor seinen Augen war so dick, dass er nichts dahinter erkennen konnte. Nur Schatten, nur Regungen, die täuschten wie die Stimmen, die sich näherten, die unter dem Brausen in seinen Ohren Bestand behielten, nicht wichen, sondern sprachen.

Der Teil von ihm, der nicht Monster war, lauschte auf sie, versuchte zu sehen, zu fühlen, zu begreifen, wen er in seinen Armen hielt. Dieser Teil gefror den Rest seines Körpers, lähmte den Instinkt, lähmte ihn.

Wärme existierte, doch sie befand sich nicht in ihm, sie kam von außen, von jemand Anderem, von Marek. Und einmal, er konnte sich nicht daran erinnern, vor langer Zeit, war sie ihm wichtig gewesen, hatte sie ihm alles bedeutet. Doch das war lange vorbei. Nun schlug sein Herz nicht mehr. Im Gegenteil, es schrumpfte zusammen, vertrocknete und nur eines konnte es retten, nur ein Biss, nur ein einziger und alles wäre anders.