Welten - Anonymous - E-Book

Welten E-Book

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Beschreibung

Welten. Eine Sekunde.
Ich bin Miran, Champion im Käfig und Lernender im Scheinwerfer. Ich lese Atem – vier rein, vier raus. Wenn UFC auf Show trifft, zählt Haltung statt Lärm. Aiko ist Linie, nicht Dekoration. Zwischen den Welten – SEKUNDEN ist ein schneller einzigartiger Ich-Roman über Arbeit, Druck und leise Stärke. Klar erzählt, ohne Kitsch. Für alle, die Spannung wollen – präzise, unmittelbar, nah auf einer Psychologischen Ebene die den Leser in das Buch versetzt. 

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Emanuel Siebert

Welten

Sekunden

Autor & Herausgeber Emanuel Siebert, Schulstrasse 28, 67360 Lingenfeld, Rheinland-Pfalz, Deutschland Kontakt (E-Mail): [email protected] Erscheinungsjahr: 2025
UUID: 199f918a-8350-487d-8596-92f0169600eb
Dieses eBook wurde mit Write (https://writeapp.io) erstellt.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Akt 1

Cross-Promo

Um die Welt

Paris

Wutdisziplin

Grenzgang

Anmerkungen

landmarks

Titelseite

Cover

Inhaltsverzeichnis

Buchanfang

Prolog

Miran

Ich heiße Miran. 172 Zentimeter, 80 Kilo, amtierender UFC-Mittelgewichts-Champion, 36 Siege, keine Niederlage in der Bilanz, mehr Nachtschichten als Geburtstage in den Knochen. Geboren in Deutschland, irgendwo zwischen Familienfotos und Schweigen, neu geboren in Bangkok: Muay Thai, K-1, Boxen—Winkel, Gewichte, Geometrie. Alles ist nur Physik, wenn man lange genug hinschaut. Alles ist nur Atem, wenn man mutig genug zuhört.Vegas trägt heute Neon wie eine zweite Haut. Das Octagon steht in der Mitte wie ein Altar, auf den jemand ein Rätsel gelegt hat. In meiner Ecke Arjan—nicht laut, nicht zärtlich, aber auf gefährliche Weise genau. Er hat mich ein zweites Mal großgezogen, ohne das erste zu kritisieren. Er redet wenig, wenn die Luft teuer ist. Heute kostet sie jeden. Irgendwo zwischen Mischpult und Ausgang steht Nora, vier Telefone in drei Händen, weil die Nacht keinen Respekt vor Anatomie hat. Meine Managerin. Aus einer Sekunde macht sie hundert Hashtags, aus einem Schritt eine Silhouette, aus einem Schatten eine Bühne. Sie hat mir irgendwann einen Umhang umgeworfen—nicht aus Stoff, aus Idee. Hände und Füße bandagiert, Cape über die Schulter, Seitenprofil an die Kamera gelegt, als stünde ich auf einer Klippe und der Wind wüsste meinen Namen. Manchmal sehe ich mich selbst und denke: billiger Film. Manchmal denke ich: Anti-Held reicht. Und manchmal denke ich: Ich sehe aus, als würde ich bei der WWE arbeiten—der Zirkus, wo sie so tun, als würden sie zuschlagen, bis man einen Chop von zwei Paddeln abbekommt und lernt, was „so tun“ heißt. Nora nannte das „Aura farmen“. Klicks sind Korn, und die Kasse ist ein Mähdrescher mit Logo. Kein Spitzname für mich—nichts mit „Sensenmann“ oder „Soldat“. Nur „unbesiegt“. Ziemlich langweilig. Gut so. Ich bin hier zum Arbeiten. Das Geheimnis im Kampfsport ist kein Spruch, es ist ein Metronom. Meins? Vier ein, vier aus. Wenn’s brennt, zerbrechen die vier, und ich baue sie neu. Der Rest ist Physik. Kanten. Geometrie. Drehmomente, die Gedichten ähnlicher sind als Abschnitten in Lehrbüchern. Hinter dem Gitter kriecht der Bass durch den Gummiboden in meine Waden und fragt: Bereit? Southpaw. Linke Schulter vorn. Rechte Hand keine Faust, noch nicht, nur Möglichkeit. Gegenüber atmet einer zu laut. Das heißt nicht, dass er schwach ist. Das heißt, er glaubt, laut sein sei nützlich. Runde eins: Er stellt Fragen. Runde zwei: Er sucht zu früh Antworten. Runde drei: Ich schreibe das Urteil. Links von der Hardcam ein Block Anzüge: TKO Group. UFC und WWE unter einem Dach—gleiche Chefs, getrennte Altare, gemeinsame Kasse. Seit dem Netflix-Deal läuft RAW dort live; ein Bildschirm mit keiner Zunge, der in alle Zeitzonen spricht. Die Welt sieht zu, wenn jemand fällt und wenn jemand stehen bleibt. Ich mag das nicht, aber ich respektiere es. Zweite Reihe, schräg unter dem Geländer: Hunter Gray. Im anderen Haus der Mann für Inhalt. Dompteur ohne Peitsche. Er schaut nicht auf mich, er schaut auf Momente. Gute Leute tun das. Seine Augen springen nicht, wenn die Halle schreit. Sie warten, bis die Halle aufhört. Die Halle ist heute ein Tier. Sie schnaubt auf Englisch, Japanisch, Spanisch, Zahlen, die nur die Regie versteht. Der Ref tastet Handschuhe, Tapes, Kiefer, als hätte er meine Knochen lange gemietet und wolle prüfen, ob ich nichts darin verändert habe. Wir treten in den Kreis. Blaue Ecke, rote Ecke. Keine Geheimnisse mehr, nur noch Rechnungen. Die Glocke Kein Lärm mehr, nur Ton. Er kommt raus wie Unterricht: Jab, Jab, Schritt außen. Die Art Bewegung, die davon lebt, dass du mitmachst. Ich mache nicht mit. Ich lasse ihn zählen. Eins: Er feint hoch. Zwei: Er kippt tief. Schulbuch. Levelwechsel, Arme hinter die Knie, Kopf an meine Rippen. Der Takedown, den alle filmen wollen, weil er aussieht wie ein Zauber, den Kinder nachmachen und sich dabei die Stirn stoßen. Ich sehe nicht die Technik, ich sehe die Absicht. Und Absichten haben Kanten. Rechte Fußspitze quer, Hüfte kippt minimal, das Knie behält seinen Winkel. Linke Hand greift nicht nach Hals, sondern über die Schädelkrone, so dass die Wirbelsäule nicht beleidigt wird, aber die Welt sich schief anfühlt. Ich falle mit, nicht weg. Ein Komma in der Luft. Ein Atem, der kurz vergisst, wie Zahlen gehen. Schulter. Hinterkopf. Canvas. Es gibt Geräusche, die jeder kennt, auch wenn er sie nie hören will. Dieses hier ist nicht laut. Es ist ein Klicken, als würde jemand eine Lampe ausmachen, ohne den Schalter zu berühren. Der Ref schwingt den Arm, kniet, die Finger suchen Bewusstsein und finden Staub. Ich roll mich seitlich, knie, stehe. Meine Füße gehören wieder mir. Der andere bleibt, wo er ist, der Kopf ein bisschen schief, die Augen geschlossen, als hätte ihm jemand eine Pause geschenkt, nach der er nicht gefragt hat. Die Halle braucht zwei Atemzüge, um zu verstehen, was sie gesehen hat. Dann bricht der Ton. Nicht Jubel. So ein Bruch, als würde ein Fenster auf Reißverschluss gehen. Ich drehe mich, weil ich gelernt habe, dass man dankt, wenn man nicht gestürzt ist. Der Ref hebt meine Hand. Ich verbeuge mich minimal, nicht fromm, nur ordentlich. Mein Brustkorb will schreien, mein Hals will nicht. Ich beuge mich ans Mikro, das der Ringansager hinhält wie eine heilige Kelle. Ich grinse, weil der Körper noch genau weiß, was gerade passiert ist, und sage: „Scheiße. Das funktioniert wirklich.“ Es lacht nicht jeder. Das ist okay. Humor ist auch Physik. Ich werfe einen Blick in die zweite Reihe. Hunter Gray sieht nicht überrascht aus. Er sieht aus, als hätte er gewusst, dass jemand so etwas probiert, und als würde er sich gerade merken, wie es ausgesehen hat. Dompteur ohne Peitsche, aber nicht ohne Tiere. Ich hab mich eben über seinen Zirkus lustig gemacht—vielleicht unabsichtlich, vielleicht mit Absicht. Man nennt das Ding, das ich im Fallen gebaut habe, im anderen Haus einen Finisher. Diamond Cutter, sagen sie. Oder RKO, sagen sie noch lieber. Ein Sprung, der kein Flug ist, ein Sturz, der kein Unfall ist. Ich habe keinen Sprung gemacht. Ich habe nur die Achse gedreht, die Physik um einen Millimeter aus dem Takt geschoben, bis sie selber tanzen wollte. Kopf. Canvas. Licht. Arjan ist schon im Käfig, bevor mein Puls normal wird. Keine Umarmung. Ein kurzes Drücken der Trizepssehne, sein alter Trick, um zu sagen: du bist da. „Nicht hübsch“, brummt er, „aber richtig.“ Das ist sein größtes Kompliment. Seine Augen gehen kurz zu der Seite, wo der TKO-Block sitzt, dann zurück zu mir. „Du hast zugehört.“ Ich nicke. Manchmal ist Zuhören das Einzige, was man leisten kann, wenn die Halle so laut ist, dass man glaubt, man sei allein. Nora steht am Rand, die Telefone wie Kolibris um ihren Kopf, und zeichnet mit der Daumenkuppe ein Rechteck in die Luft. Ihr unsichtbarer Rahmen. Das Zeichen dafür, dass das Bild sitzt. Dass die Sekunde ein Zuhause hat. Später wird sie sagen: „Ich habe dich in ein Seitenprofil gestellt, weil der Wind dich mag.“ Später wird sie sagen: „Kinder nennen es Aura farmen, ich nenne es Arbeit.“ Jetzt sagt sie nichts, weil sie weiß, wie gefährlich Worte sind, wenn Adrenalin noch die Tasten drückt. Ich nehme das Cape nicht in die Hand. Das gehört in Räume, die Wind verdienen. Hier drin hat der Sauerstoff eine andere Aufgabe. Ich laufe am Gitter entlang, nicht in Siegerpose, eher wie jemand, der mit dem Teppich in einem Hotel flüstert. Hunter Gray bleibt sitzen. Er nickt kaum merklich, nicht mir, dem Moment. Der Moment nickt zurück. Auf dem großen Screen ziehen sie schon Pfeile und schreiben Erklärungen drunter. „Front Chancery Snap“ steht da, „Counter to Double Leg“. Die Kommentatoren reden von Timing, von Antizipation, von Halskontrolle, von Stoppwirkung. Keiner sagt „RKO“. Muss auch keiner. Es reicht, dass ich weiß, wie es aussah. Dass ich weiß, wie es sich angefühlt hat: Kein Trick. Nur Geometrie, die einen neuen Freund gefunden hat. Mein Gegner kommt wieder zu sich, noch im Sitzen, Augen auf, dann Blick auf die Ärzte. Respekt ist kein großes Wort. Ich tippe ihm mit den Fingerspitzen gegen die Schulter: Ich bin da. Du auch. Er nickt, die Stirn runzelt, dann glättet sich sein Gesicht. Wir haben nicht viel gemeinsam, außer dem, worauf es ankommt. Draußen, hinter den Kameras, sitzt die Welt. TKO summt. Netflix atmet. RAW gehört dem anderen Haus, aber die Leitungen sind die gleichen. Gleiche Kasse. Gleiche Kabel. Getrennte Gebete. Man kann darüber spotten oder man kann arbeiten. Heute arbeite ich. Und wenn der Zirkus morgen schreibt, ich hätte einen ihrer Tricks gestohlen, lächle ich und sage: Nein. Ich hab nur gezeigt, dass Physik überall dieselbe Sprache hat. Ich stehe am Gitter und lasse meinen Puls unter die Decke fallen. Vier rein. Vier raus. Vier, die wieder wie vier klingen. Ich denke an Bangkok und Reis ohne alles, an die Halle, in der Arjan den Boden so gehasst hat, dass er ihn uns lieben ließ. Ich denke an Deutschland und wie man dort lernt, leise zu sein, bis es wichtig ist. Ich denke an die Stille vor einem Sturm, der nie kommt, weil man ihn zu Ende gezählt hat, bevor er begonnen hat. Der Ansager ruft meinen Namen noch einmal, als müsste er ihn anschrauben, damit er hält—amtierender UFC-Mittelgewichts-Champion. Ich hebe die Hand, nicht hoch. Ein Mann, der gearbeitet hat und morgen wieder arbeiten will. Ich gehe die Stufen runter, der Gummi unter meinen Füßen gibt nach wie vernünftiges Holz. Nora fängt meinen Schatten ein, Hunter fängt den Moment, Arjan fängt die Kleinigkeit, dass ich gerade nicht über meine Füße nachdenke. Gute Leute tun das: Sie halten fest, was man lieber verliert. Am Käfigrand halte ich inne. Nicht dramatisch. Nur lang genug, dass mein Atem wieder wie ein Werkzeug klingt. Ich schaue noch einmal in die zweite Reihe. Hunter hat den Blick von jemandem, der gleich weiter muss, aber kurz noch die Tür im Rahmen streichelt, weil sie heute etwas Schweres leichter gemacht hat. Unsere Augen treffen sich nicht. Müssen sie nicht. Ich stehe auf dem Beton, der jeden Schritt zählt. Ich beuge mich, nehme kurz das Mattenkorn mit dem Finger auf, wische es an den Shorts ab, ohne Grund. Man braucht kleine Rituale, damit die großen nicht verrückt werden. Dann gehe ich. Der Gang zum Vorhang ist nicht lang. Er fühlt sich heute nicht an wie Flucht. Eher wie Rückweg. Hinter mir bleibt eine Halle, die gerade gelernt hat, dass ein Gesicht zuerst im Fallen entsteht. Vor mir ein Korridor, der nach Desinfektion und Möglichkeiten riecht. Irgendwann werde ich hören, wie sie es nennen. Heute nicht. Heute nenne ich es, was es war: ein Satz, der zu Ende ging, weil jemand ihn richtig gesetzt hat. „Scheiße. Das funktioniert wirklich“, habe ich ins Mikro gesagt. Und noch bevor die Producer darüber streiten, ob man „Scheiße“ piepsen muss, denke ich an den anderen Altar und seine Regeln. Sie nennen es Finishing Move. Diamond Cutter. RKO. Eine Geste, die eine Geschichte schließt. Vielleicht ist das der Witz des Abends: Ich habe nichts beendet. Ich habe nur gezeigt, dass Geschichten überall denselben Boden haben—und dass die Matte niemals lügt.

Akt 1

Sekunden

Cross-Promo

Der Preis des Lichts

Backstage wechselt die Temperatur. Eispack, medizinisches Licht. Mein rechtes Knie beschwert sich leise—ein alter Freund, der trotzdem mitläuft. Der Raum riecht nach Isopropyl und Gummi, nach Sieg, der noch feucht ist. Jemand sagt „Glückwunsch“ und meint „Geh weiter“. Der Cutman streicht mit den Daumen die Kleberänder am Tape glatt, als wolle er dem Abend die Falten aus dem Gesicht ziehen. Ich nicke, stelle den Fuß ab, teste den Winkel. Es knackt nicht. Es denkt nur laut. Nora fängt mich im Flur ab. Ihre Augen sind zwei offene Tabs, ihre Hände ein Knoten aus Kabeln und Vorbereitung. In der rechten ein Handy, das vibriert, als hätte es Fieber. „Die hier rufen an.“ Ein Blick aufs Display. „TKO Legal.“ „Wieso jetzt?“ „Wegen der Klausel. Und weil du eine Hassliebe bist.“ Ihr Mund zuckt, ohne zu lächeln. „Komm.“ Wir biegen in eine Nische ab, die alle Arenen haben: zu klein für Wichtiges, zu groß für Müll. Nora tippt, tippt, schweigt und hebt schließlich den Blick. „Kurzfassung: Cross-Property Activation. Wenn UFC und WWE gemeinsam PR fahren, dürfen sie limitierte Gastauftritte ziehen. Keine Kämpfe, keine riskanten Spots. Cameo, kurzes Segment, Interview. Sie nennen es Synergie.“ „Ich nenne es Pflicht in einer Sprache, die mir nicht gehört.“ „Ich nenne es: Du sagst mir, wie viel du tragen willst, und ich baue dir einen Rahmen.“ Ich nicke. Hinter ihr schiebt ein Stagehand ein Flightcase vorbei, das so tut, als wäre es eine Schrankwand. Jemand ruft „Clear“, und ich bin gemeint, obwohl ich nirgends stehe. Noch atmet der Gang wie ein Tier, das seinen Platz sucht. Presse. Lampenstaub. Immer die gleichen drei Fragen, nur die Reihenfolge wechselt. „War das geübt?“ – „War das legal?“ – „War das ein RKO?“ Ich sehe in die Linsen, nicht in die Menschen. „Ich habe nichts gestohlen“, sage ich. „Ich habe richtig gegriffen.“ Jemand lacht an der falschen Stelle. Ich lächle nicht, wenn jemand Zirkus sagt. Ich mag keine Zuckerwatte. Einer der Reporter versucht, mich „unbesiegbar“ zu nennen, als würde das meine Knochen beruhigen. Ich lasse ihn. Wörter sind heute billiger als Wasser. Unter der Dusche denke ich an Tee. Heiß, bitter, ehrlich. Das Wasser prügelt mir die Halle aus den Poren, die Kacheln antworten in Silben. Ich stelle den Kopf unter den Strahl, zähle nicht; die Vier ist in der Matte geblieben. Als ich herauskomme, dampft der Spiegel. Ein Gesicht, das noch schlägt. Ich trockne mich ab, als hätte ich Zeit, die ich nicht habe. Der Gürtel liegt auf dem Tisch, schwer und still. Ich wische Schweiß und Kreide von den Platten, als würde ich eine Wahrheit freilegen. Gold macht keine Menschen, es spiegelt nur die, die davor stehen. Mein Daumen bleibt an der Kante hängen, wo der Kampf zu dicht war. „Sauber“, sagt meine Hand. „Müde“, sagt mein Knie. Beides stimmt. Draußen legt mir Nora den Rahmen hin: ein ausgedruckter Plan, der aussieht, als wäre er an den Rändern schon einmal abgeflogen. „Drei WWE-Auftritte in sechs Wochen“, sagt sie. „Kein Ring. Maximal 90 Sekunden on-cam. Keine Physis ohne dein Okay. Keine dummen Ideen ohne meins.“ „Gut.“ Ich ziehe mir ein trockenes Shirt über nasse Haut. Stoff klebt, wie Pflicht klebt. „Tokio steht?“ „Tokio steht.“ Sie tippt mit dem Stift auf drei Zeilen. „Sponsor-Lab. Kinder-Clinic. Streaming-Panel. Kein WWE. Nur Käfig, nur Kassen, nur Hände schütteln, die Zahlen lieben.“ „Die Legal-Abteilung will eine kurze Zustimmung per Mail. Lea checkt’s gerade, legt dir Worte in den Mund, die keine Schlupflöcher haben. Sag nichts, was wie ‚mehr‘ klingt, wenn wir ‚genug‘ meinen.“ „Lea sagt immer genug.“ „Deshalb mag ich sie.“ Ein seltenes Geständnis, schnell versteckt. „Und Hunter?“ „Was ist mit ihm?“ „Hat geschrieben.“ Sie dreht das Handy, zeigt mir eine Zeile, die blinkt, als müsste sie nicht. „Starker Moment. TKO Cross-Property aktiv. Melde dich, wenn du atmen kannst.“ Ich nicke. Atmen kann ich immer. Nur nicht immer reden. Wir gehen. Der Korridor schluckt Lärm wie Tabletten. Arjan lehnt am Türrahmen unserer Kabine, Arme verschränkt, Blick offen. „Wie fühlt’s sich an?“ „Wie Arbeit.“ „Gut.“ Er deutet mit dem Kinn aufs Knie. „Das da?“ „Beschwert sich. Läuft mit.“ Er grunzt—seine weichste Zustimmung. Der Ringarzt schaut noch einmal vorbei, kaltes Licht unterm Blick, Finger, die an den Patellasehnen lesen wie an einer Landkarte. „Alles stabil. Eis drauf, keine Heldentaten beim Treppensteigen. Wenn du stolperst, stolperst du heute ohne Ausrede.“ „Versprochen.“ „Du versprichst nie“, murmelt Nora. „Heute schon“, sage ich. Wir packen in langsamen, geübten Bewegungen: Tape in den Beutel, Mundschutz in die Dose, Shorts in die Tasche, an der ein Karabiner so tut, als hielte er die Welt zusammen. Nora steckt den Gürtel in eine schwarze Hülle, die aussieht, als würde sie Geheimnisse schlucken. „Keine Selfies am Parkplatz“, sagt sie. „Keine Drink-Einladungen. Keine Dummheiten mit fremden Kameras. Heute waren wir die Regie.“ „Und morgen?“ „Morgen sind wir die Regie.“ Die Pressewelle ebbt ab. Zurück bleiben Kabel, die sich wie Schlangen benehmen, wenn niemand mehr hinschaut. Ich setze mich auf die Bank, die mehr über Sieger weiß, als Sprachen haben. Der Stoff auf meiner Haut trocknet endlich, wird von „Shirt“ zu „Kleidung“. Kleine Siege. Große Müdigkeit. Ein Praktikant steckt den Kopf zur Tür herein, zu höflich für seinen Job, zu wach für seine Uhrzeit. „Sir, could you…?“ Er bricht ab, als ich ihn ansehe. Ich nicke. Er will ein Poster. Er will einen Kringel. Er will erzählen, dass er heute nah war. Ich setze eine Unterschrift, die aussieht, als wüsste sie, wohin sie gehört. Er strahlt, hält das Papier wie einen dünnen Schild. „Danke.“ Er verschwindet. Nora wirft mir ein Hoodie zu. „Können wir?“ „Wir können.“ Der Parkplatz ist ein schwarzes Meer mit weißen Inseln. Nachtluft, die nach Generatoren schmeckt. Die Türen des SUVs sind schwer genug, um „Schluss“ zu sagen. Ich steige ein wie jemand, der gerade nicht abstürzt. Nora setzt sich vorn, tippt, schickt, löscht, atmet. „Die Clips laufen. Die Headline ist halbwegs intelligent. Die dummen Sprüche halten sich an die Ecke des Internets, in der sie wohnen. Wir haben zwei Anfragen für Late-Night und drei für Podcasts, die keiner braucht. Lea sagt Nein. Ich sage Nein. Du sagst gar nichts.“ „Ich mag gar nichts.“ „Ich weiß.“ Wir fahren an der Halle vorbei, die von außen tut, als wäre sie ein Einkaufszentrum. Drinnen war sie Kirche. Der Wechsel ist unverschämt und normal. Ich lehne den Kopf an die Scheibe und sehe mein Gesicht im Glas. Nicht Held. Nicht Geschichte. Nur ein Mann, der müde ist, aber nicht erschöpft. Ein Mann, der arbeitet. Manchmal reicht das. Im Hotel roch das Foyer schon vor zwei Stunden nach Teppichreiniger. Jetzt riecht es nach Feier, die keiner im Griff hat. Ein paar Anzüge mit losen Krawatten, zwei Fans, die nicht wissen, dass sie Fans sind, bis sie mich sehen. Nora schiebt mich in den Fahrstuhl, drückt die Sieben, drückt die Zehn, korrigiert, seufzt. „Ich brauche einen Fahrstuhl mit Favoritenliste.“ „Du brauchst Schlaf.“ „Du auch.“ Im Zimmer ist es still wie ein Satz ohne Verb. Die Klimaanlage tut so, als wäre sie Meer. Ich lasse mich auf den Stuhl fallen, der mehr Dekoration als Möbel ist. Mein Knie legt Widerspruch in die Polster. Ich lege Eis darauf und verhandle mit mir, ohne Wörter. Nora stellt den Gürtel aufs Sideboard, streicht einmal über die Hülle, als könnte sie Falten aus Zukunft streichen. „Also. Drei Auftritte. Kein Ring. Max neunzig Sekunden. Kein Zugriff ohne dein Nicken. Die Reihenfolge ist egal, der Inhalt nicht. Ich will: Präsenz, keine Pose. Ruhig, nicht stumm. Du bist kein Pettingzoo. Du bist—“ Sie bricht ab, sucht nicht weiter. „Du weißt, was du bist.“ „Arbeiter.“ „Arbeiter mit Kamera. Reicht.“ Sie tippt eine Nachricht, lehnt das Handy ans Glas. „Lea schickt dir gleich Textbausteine. Lies sie. Benutz sie. Wenn du improvisierst, improvisierst du später.“ „Tokio steht“, sage ich noch einmal, mehr für mich als für sie. „Tokio steht“, wiederholt sie. „Und Vegas hat angefragt, ob du für das Panel zwei Minuten länger bleibst. Ich habe gesagt: Er bleibt, wenn es sich lohnt. Sie haben gefragt, was sich lohnt. Ich habe gesagt: Ruhe.“ Ich lache kurz. Es passt nicht, und genau deshalb passt es. „Gute Antwort.“ „Guter Abend.“ Sie hebt die Augenbrauen. „Auch wenn ich ihn hassen will. Hassliebe, hab ich gesagt.“ „Ich weiß.“ „Ich gehe. Du schläfst. Morgen sortieren wir die Angebote. Hunter schreibt bestimmt wieder, wenn er die Wiederholung gesehen hat.“ Sie nimmt den Hoodie vom Bett, wirft ihn mir über die Schulter. „Zähne putzen. Eis auf Knie. Kein Held im Bad.“ „Kein Held im Bad“, wiederhole ich. Kleine Rituale gegen große Dummheiten. Die Tür fällt zu, macht kein Geräusch. Nur ein Klick, das sagt: allein. Ich gehe ins Bad, stelle den Wasserhahn, halte die Hände darunter, bis sie nicht mehr nach Tape riechen. Im Spiegel liegt noch ein Rest beschlagener Transparenz, als hätte jemand versucht, mich zu radieren. Ich wische ihn frei. Das Gesicht schaut zurück, nicht triumphierend, nicht leer. Dazwischen. Ein Platz, den ich kenne. Zurück ins Zimmer. Der Gürtel glänzt halb. Ich lasse die Finger kurz über die Kante gleiten, nicht wie über ein Relikt, eher wie über ein Werkzeug, das morgen wieder in den Koffer muss. Ich setze mich aufs Bett und lausche dem Lärm, der keiner mehr ist. Das Knie pocht derweil wie ein Nachbar, der immer noch eine Frage hat. Ich antworte mit Eis. Das Handy blinkt auf. Eine Nachricht, die keine Emojis braucht: Der Dompteur: Starker Moment. TKO Cross-Property aktiv. Ich starre auf die zwei Zeilen, als könnte ich darin etwas finden, das nicht offensichtlich ist. Er hat ein gutes Auge für Sekunden. Ich habe ein gutes Ohr für Schweigen. Ich tippe nichts zurück. Ich lege das Telefon verkehrt herum auf den Nachttisch, als würde ich eine Waffe entladen. Heute habe ich genug Geräusche. Vegas macht die Fenster früh auf. Neon klebt noch an den Scheiben, als wäre die Nacht zu stolz, die Stadt pünktlich freizugeben. Ich bin vor der Sonne wach, nicht aus Tugend, aus Restladung. Der Körper hat seine eigene Uhr: Schultern knistern, Knie murmelt, Knöchel sind sachlich. Ich trinke Wasser, das nach Hotel schmeckt, und binde das linke Handgelenk noch einmal, obwohl nichts anliegt. Gewohnheit ist ein zweiter Verband. Arjan wartet unten, als hätte er dort geschlafen. Kapuzenshirt, die Hände ruhig, der Blick ohne Geräusch. „Kein Heldentraining,“ sagt er, bevor ich Luft geholt habe. „Schweiß, aber mit Absicht.“ Er schiebt mir den Beutel zu – Springseil, Bandagen, Timer, zwei Worte fürs Hirn: weniger, sauber. Das Gym um diese Uhrzeit ist ehrlich. Keine Musik, nur Gummi, Eisen, Atem, Zählen. Ich springe Seil, bis die Schultern auf Linie sind. Vier ein, vier aus. Ich höre mich kommen, dann höre ich mich gehen. Schattenboxen ohne Spiegel, nur mit Wand – besser so: Eine Wand denkt nicht zurück. Winkel, Hüfte, kurze Wege. Ich treffe nicht, ich markiere. Der Raum nimmt die Markierungen und tut, als gehörten sie ihm schon lange. Nora trudelt ein, als das Herz sich beruhigt hat. Das Handy klebt an ihrer Handfläche wie eine zweite Haut, das Lächeln ist ein kleines Gesetz. „Guten Morgen, Mistkerle,“ sagt sie liebevoll. „Erstens: Presse mag dich heute ausnahmsweise ohne Fackeln. Zweitens: TKO will dich morgen im Flieger. Drittens: Tokio hat uns eine Woche verkauft, die aussah wie zwei.“ Sie wedelt mit einer Mappe, die sie nie liest und immer braucht. „Sponsor Labs am Dienstag, Kinder-Clinic am Mittwoch, Streaming-Panel am Donnerstag. Freitag frei, was im Klartext heißt: Training, Gesichter zeigen, nicht sterben. Samstag bist du längst wieder weg. Sonntag kann ich so tun, als würde ich schlafen.“ „Kein WWE?“ frage ich. „Kein WWE,“ sagt sie – und das „noch“ hängt hinter dem Wort, auch wenn sie es nicht sagt. „Aber dieselben Gesichter sind in derselben Stadt. Was für ein Zufall.“ Sie blinzelt. „Die Sorte, die man auf Kalendern züchtet.“ Lea kommt hinterher, so ordentlich, dass sogar die Luft neben ihr glatt sitzt. „Ich brauche zwei Unterschriften. Eine für die Labs – keine Exklusivität, nur Anwesenheit. Und eine für die Klinik – du gibst nichts Medizinisches vor, du bist nur du. Wenn jemand ‚RKO‘ sagt, sagst du ‚Nein‘ und lächelst nicht.“ „Ich lächle nie, wenn jemand Zirkus sagt,“ murmele ich. „Das ist gut,“ sagt sie trocken. „Es macht dich glaubwürdig.“ Arjan stellt den Timer auf drei Runden Nachschwitz. Die Beine sind da, die Hände auch. Der Kopf hält die Stellung. Ich spüre, wie die Müdigkeit wieder aus dem Fleisch rutscht, nicht aus Gnade, sondern durch Routine. Danach dusche ich kalt, bis die Haut nicht mehr weiß, ob sie protestieren oder applaudieren will. In der Umkleide hängt mein Gürtel über dem Stuhl wie ein Haustier. Ich streife mit dem Handrücken darüber, nicht sentimental, nur als Feststellung: Er ist da. Ich bin da. Das reicht für diesen Morgen. Der Flughafen ist überlaut und trotzdem effizient, eine Fabrik für Abschiede. Nora bugsiert uns durch Sicherheitslinien, als hätte sie die Linien vorher selbst gemalt. Lea hinter ihr, der Ordner gegen die Hüfte gedrückt, weil der Ordner sonst auf dumme Gedanken kommt. Arjan läuft wie immer einen halben Schritt hinter mir, kein Symbol, nur Gewohnheit. Er braucht den Überblick, ich brauche den Rhythmus. Vier Schritte zum Gate, vier bis zur nächsten Bank, vier bis zur nächsten Schlange. Einatmen, Ausatmen, Wiederholung, bis es Flugzeug heißt. Im Flieger versuche ich zu schlafen und tue es nicht. Ich sehe über der Lehne hinweg diese kleinen, nutzlosen Bildschirme, die alle denselben Himmel zeigen, nur mit unterschiedlichen Filmen. Ich wähle keinen. Ich sehe lieber zu, wie die Tragfläche zittert, wenn die Luft zu beschäftigt ist, um glatt zu sein. Nora tippt, tippt, tippt. Lea liest Sätze, die nur Juristen mögen, und streicht Wörter, die normaler Sprache weh tun. Arjan hat die Augen zu und den Rücken gerade. Er schläft nicht. Er ruht. Zwischen uns liegt die Stille, die wir vor Kämpfen ertragen können, ohne sie zu füllen. Ich zähle vier. Dann noch einmal. Irgendwann zählt mich die Maschine aus.

Um die Welt

Tokio - Los Angeles - Riad - New York - Orlando

Tokio liegt unter uns wie verschobenes Glas. Auf dem Weg zum Hotel riecht die Stadt nach Regen, Metall, Nudelsuppe und guten Ideen. Die Lobby, in die man uns kippt, hat einen Teppich, der so dick ist, dass jeder Schritt höflich klingt. Ich mag ehrliche Teppiche lieber. Aber höfliche sind besser als lügende. Nora verteilt Zimmerkarten, als wären es knappe Ressourcen. „Kurzes Hinlegen, dann Labs. Kein Ankommen. Wir sind schon da.“
---ENDE DER LESEPROBE---