Cross-Promo
Der Preis des Lichts
Backstage wechselt die Temperatur. Eispack,
medizinisches Licht. Mein rechtes Knie beschwert sich leise—ein
alter Freund, der trotzdem mitläuft.
Der Raum riecht nach Isopropyl und Gummi, nach Sieg, der noch
feucht ist. Jemand sagt „Glückwunsch“ und meint „Geh weiter“. Der
Cutman streicht mit den Daumen die Kleberänder am Tape glatt, als
wolle er dem Abend die Falten aus dem Gesicht ziehen. Ich nicke,
stelle den Fuß ab, teste den Winkel. Es knackt nicht. Es denkt nur
laut.
Nora fängt mich im Flur ab. Ihre Augen sind zwei offene Tabs,
ihre Hände ein Knoten aus Kabeln und Vorbereitung. In der rechten
ein Handy, das vibriert, als hätte es Fieber. „Die hier rufen an.“
Ein Blick aufs Display.
„TKO Legal.“
„Wieso jetzt?“
„Wegen der Klausel.
Und weil du eine Hassliebe bist.“ Ihr Mund zuckt, ohne zu
lächeln. „Komm.“
Wir biegen in eine Nische ab, die alle Arenen haben: zu klein für
Wichtiges, zu groß für Müll.
Nora tippt, tippt, schweigt und hebt schließlich den Blick.
„Kurzfassung: Cross-Property Activation. Wenn UFC und WWE gemeinsam
PR fahren, dürfen sie limitierte Gastauftritte ziehen.
Keine Kämpfe, keine riskanten Spots. Cameo, kurzes Segment,
Interview.
Sie nennen es Synergie.“
„Ich nenne es Pflicht in einer Sprache, die mir nicht gehört.“
„Ich nenne es: Du sagst mir, wie viel du tragen willst, und ich
baue dir einen Rahmen.“
Ich nicke. Hinter ihr schiebt ein Stagehand ein Flightcase
vorbei, das so tut, als wäre es eine Schrankwand. Jemand ruft
„Clear“, und ich bin gemeint, obwohl ich nirgends stehe.
Noch atmet der Gang wie ein Tier, das seinen Platz sucht.
Presse. Lampenstaub. Immer die gleichen drei Fragen, nur die
Reihenfolge wechselt. „War das geübt?“ – „War das legal?“ –
„War das ein RKO?“ Ich sehe in die Linsen, nicht in die
Menschen. „Ich habe nichts gestohlen“, sage ich. „Ich habe richtig
gegriffen.“ Jemand lacht an der falschen Stelle.
Ich lächle nicht, wenn jemand Zirkus sagt. Ich mag keine
Zuckerwatte. Einer der Reporter versucht, mich „unbesiegbar“ zu
nennen, als würde das meine Knochen beruhigen. Ich lasse ihn.
Wörter sind heute billiger als Wasser.
Unter der Dusche denke ich an Tee. Heiß, bitter, ehrlich. Das
Wasser prügelt mir die Halle aus den Poren, die Kacheln antworten
in Silben. Ich stelle den Kopf unter den Strahl, zähle nicht; die
Vier ist in der Matte geblieben. Als ich herauskomme, dampft der
Spiegel. Ein Gesicht, das noch schlägt. Ich trockne mich ab, als
hätte ich Zeit, die ich nicht habe.
Der Gürtel liegt auf dem Tisch, schwer und still. Ich wische
Schweiß und Kreide von den Platten, als würde ich eine Wahrheit
freilegen.
Gold macht keine Menschen, es spiegelt nur die, die davor
stehen. Mein Daumen bleibt an der Kante hängen, wo der Kampf zu
dicht war. „Sauber“, sagt meine Hand. „Müde“, sagt mein Knie.
Beides stimmt.
Draußen legt mir Nora den Rahmen hin: ein ausgedruckter Plan, der
aussieht, als wäre er an den Rändern schon einmal abgeflogen. „Drei
WWE-Auftritte in sechs Wochen“, sagt sie. „Kein Ring. Maximal 90
Sekunden on-cam. Keine Physis ohne dein Okay. Keine dummen Ideen
ohne meins.“
„Gut.“ Ich ziehe mir ein trockenes Shirt über nasse Haut.
Stoff klebt, wie Pflicht klebt. „Tokio steht?“
„Tokio steht.“ Sie tippt mit dem Stift auf drei Zeilen.
„Sponsor-Lab. Kinder-Clinic. Streaming-Panel. Kein WWE. Nur Käfig,
nur Kassen, nur Hände schütteln, die Zahlen lieben.“
„Die Legal-Abteilung will eine kurze Zustimmung per Mail. Lea
checkt’s gerade, legt dir Worte in den Mund, die keine
Schlupflöcher haben. Sag nichts, was wie ‚mehr‘ klingt, wenn wir
‚genug‘ meinen.“
„Lea sagt immer genug.“
„Deshalb mag ich sie.“ Ein seltenes Geständnis, schnell versteckt.
„Und Hunter?“
„Was ist mit ihm?“
„Hat geschrieben.“ Sie dreht das Handy, zeigt mir eine Zeile,
die blinkt, als müsste sie nicht. „Starker Moment. TKO
Cross-Property aktiv. Melde dich, wenn du atmen kannst.“
Ich nicke. Atmen kann ich immer. Nur nicht immer reden.
Wir gehen. Der Korridor schluckt Lärm wie Tabletten. Arjan lehnt am
Türrahmen unserer Kabine, Arme verschränkt, Blick offen.
„Wie fühlt’s sich an?“
„Wie Arbeit.“
„Gut.“
Er deutet mit dem Kinn aufs Knie. „Das da?“
„Beschwert sich. Läuft mit.“
Er grunzt—seine weichste Zustimmung. Der Ringarzt schaut noch
einmal vorbei, kaltes Licht unterm Blick, Finger, die an den
Patellasehnen lesen wie an einer Landkarte. „Alles stabil. Eis
drauf, keine Heldentaten beim Treppensteigen. Wenn du stolperst,
stolperst du heute ohne Ausrede.“
„Versprochen.“
„Du versprichst nie“, murmelt Nora.
„Heute schon“, sage ich.
Wir packen in langsamen, geübten Bewegungen: Tape in den Beutel,
Mundschutz in die Dose, Shorts in die Tasche, an der ein Karabiner
so tut, als hielte er die Welt zusammen. Nora steckt den Gürtel in
eine schwarze Hülle, die aussieht, als würde sie Geheimnisse
schlucken. „Keine Selfies am Parkplatz“, sagt sie. „Keine
Drink-Einladungen.
Keine Dummheiten mit fremden Kameras. Heute waren wir die
Regie.“
„Und morgen?“
„Morgen sind wir die Regie.“
Die Pressewelle ebbt ab. Zurück bleiben Kabel, die sich wie
Schlangen benehmen, wenn niemand mehr hinschaut. Ich setze mich auf
die Bank, die mehr über Sieger weiß, als Sprachen haben. Der Stoff
auf meiner Haut trocknet endlich, wird von „Shirt“ zu „Kleidung“.
Kleine Siege. Große Müdigkeit.
Ein Praktikant steckt den Kopf zur Tür herein, zu höflich für
seinen Job, zu wach für seine Uhrzeit. „Sir, could you…?“ Er bricht
ab, als ich ihn ansehe. Ich nicke. Er will ein Poster. Er will
einen Kringel. Er will erzählen, dass er heute nah war. Ich setze
eine Unterschrift, die aussieht, als wüsste sie, wohin sie gehört.
Er strahlt, hält das Papier wie einen dünnen Schild. „Danke.“ Er
verschwindet.
Nora wirft mir ein Hoodie zu. „Können wir?“
„Wir können.“
Der Parkplatz ist ein schwarzes Meer mit weißen Inseln. Nachtluft,
die nach Generatoren schmeckt. Die Türen des SUVs sind schwer
genug, um „Schluss“ zu sagen. Ich steige ein wie jemand, der gerade
nicht abstürzt. Nora setzt sich vorn, tippt, schickt, löscht,
atmet. „Die Clips laufen. Die Headline ist halbwegs intelligent.
Die dummen Sprüche halten sich an die Ecke des Internets, in der
sie wohnen.
Wir haben zwei Anfragen für Late-Night und drei für Podcasts,
die keiner braucht. Lea sagt Nein. Ich sage Nein. Du sagst gar
nichts.“
„Ich mag gar nichts.“
„Ich weiß.“
Wir fahren an der Halle vorbei, die von außen tut, als wäre
sie ein Einkaufszentrum. Drinnen war sie Kirche. Der Wechsel ist
unverschämt und normal. Ich lehne den Kopf an die Scheibe und sehe
mein Gesicht im Glas. Nicht Held. Nicht Geschichte. Nur ein Mann,
der müde ist, aber nicht erschöpft. Ein Mann, der arbeitet.
Manchmal reicht das.
Im Hotel roch das Foyer schon vor zwei Stunden nach
Teppichreiniger. Jetzt riecht es nach Feier, die keiner im Griff
hat. Ein paar Anzüge mit losen Krawatten, zwei Fans, die nicht
wissen, dass sie Fans sind, bis sie mich sehen.
Nora schiebt mich in den Fahrstuhl, drückt die Sieben, drückt
die Zehn, korrigiert, seufzt. „Ich brauche einen Fahrstuhl mit
Favoritenliste.“
„Du brauchst Schlaf.“
„Du auch.“
Im Zimmer ist es still wie ein Satz ohne Verb. Die
Klimaanlage tut so, als wäre sie Meer. Ich lasse mich auf den Stuhl
fallen, der mehr Dekoration als Möbel ist. Mein Knie legt
Widerspruch in die Polster. Ich lege Eis darauf und verhandle mit
mir, ohne Wörter.
Nora stellt den Gürtel aufs Sideboard, streicht einmal über die
Hülle, als könnte sie Falten aus Zukunft streichen. „Also. Drei
Auftritte. Kein Ring. Max neunzig Sekunden. Kein Zugriff ohne dein
Nicken. Die Reihenfolge ist egal, der Inhalt nicht. Ich will:
Präsenz, keine Pose. Ruhig, nicht stumm.
Du bist kein Pettingzoo. Du bist—“ Sie bricht ab, sucht nicht
weiter. „Du weißt, was du bist.“
„Arbeiter.“
„Arbeiter mit Kamera. Reicht.“ Sie tippt eine Nachricht, lehnt das
Handy ans Glas.
„Lea schickt dir gleich Textbausteine. Lies sie. Benutz sie.
Wenn du improvisierst, improvisierst du später.“
„Tokio steht“, sage ich noch einmal, mehr für mich als für
sie.
„Tokio steht“, wiederholt sie. „Und Vegas hat angefragt, ob du für
das Panel zwei Minuten länger bleibst.
Ich habe gesagt: Er bleibt, wenn es sich lohnt. Sie haben
gefragt, was sich lohnt. Ich habe gesagt: Ruhe.“
Ich lache kurz. Es passt nicht, und genau deshalb passt es.
„Gute Antwort.“
„Guter Abend.“ Sie hebt die Augenbrauen. „Auch wenn ich ihn
hassen will. Hassliebe, hab ich gesagt.“
„Ich weiß.“
„Ich gehe. Du schläfst. Morgen sortieren wir die Angebote.
Hunter schreibt bestimmt wieder, wenn er die Wiederholung
gesehen hat.“ Sie nimmt den Hoodie vom Bett, wirft ihn mir über die
Schulter. „Zähne putzen. Eis auf Knie. Kein Held im Bad.“
„Kein Held im Bad“, wiederhole ich. Kleine Rituale gegen
große Dummheiten.
Die Tür fällt zu, macht kein Geräusch. Nur ein Klick, das sagt:
allein. Ich gehe ins Bad, stelle den Wasserhahn, halte die Hände
darunter, bis sie nicht mehr nach Tape riechen. Im Spiegel liegt
noch ein Rest beschlagener Transparenz, als hätte jemand versucht,
mich zu radieren.
Ich wische ihn frei. Das Gesicht schaut zurück, nicht
triumphierend, nicht leer. Dazwischen. Ein Platz, den ich kenne.
Zurück ins Zimmer. Der Gürtel glänzt halb. Ich lasse die Finger
kurz über die Kante gleiten, nicht wie über ein Relikt, eher wie
über ein Werkzeug, das morgen wieder in den Koffer muss. Ich setze
mich aufs Bett und lausche dem Lärm, der keiner mehr ist. Das Knie
pocht derweil wie ein Nachbar, der immer noch eine Frage hat. Ich
antworte mit Eis.
Das Handy blinkt auf. Eine Nachricht, die keine Emojis braucht:
Der Dompteur: Starker Moment. TKO Cross-Property aktiv.
Ich starre auf die zwei Zeilen, als könnte ich darin etwas
finden, das nicht offensichtlich ist. Er hat ein gutes Auge für
Sekunden. Ich habe ein gutes Ohr für Schweigen. Ich tippe nichts
zurück. Ich lege das Telefon verkehrt herum auf den Nachttisch, als
würde ich eine Waffe entladen. Heute habe ich genug Geräusche.
Vegas macht die Fenster früh auf. Neon klebt noch an den
Scheiben, als wäre die Nacht zu stolz, die Stadt pünktlich
freizugeben. Ich bin vor der Sonne wach, nicht aus Tugend, aus
Restladung. Der Körper hat seine eigene Uhr: Schultern knistern,
Knie murmelt, Knöchel sind sachlich. Ich trinke Wasser, das nach
Hotel schmeckt, und binde das linke Handgelenk noch einmal, obwohl
nichts anliegt.
Gewohnheit ist ein zweiter Verband.
Arjan wartet unten, als hätte er dort geschlafen. Kapuzenshirt, die
Hände ruhig, der Blick ohne Geräusch. „Kein Heldentraining,“ sagt
er, bevor ich Luft geholt habe. „Schweiß, aber mit Absicht.“ Er
schiebt mir den Beutel zu – Springseil, Bandagen, Timer, zwei Worte
fürs Hirn: weniger, sauber.
Das Gym um diese Uhrzeit ist ehrlich. Keine Musik, nur Gummi,
Eisen, Atem, Zählen. Ich springe Seil, bis die Schultern auf Linie
sind. Vier ein, vier aus. Ich höre mich kommen, dann höre ich mich
gehen. Schattenboxen ohne Spiegel, nur mit Wand – besser so: Eine
Wand denkt nicht zurück. Winkel, Hüfte, kurze Wege. Ich treffe
nicht, ich markiere.
Der Raum nimmt die Markierungen und tut, als gehörten sie ihm
schon lange.
Nora trudelt ein, als das Herz sich beruhigt hat. Das Handy klebt
an ihrer Handfläche wie eine zweite Haut, das Lächeln ist ein
kleines Gesetz. „Guten Morgen, Mistkerle,“ sagt sie liebevoll.
„Erstens: Presse mag dich heute ausnahmsweise ohne Fackeln.
Zweitens: TKO will dich morgen im Flieger.
Drittens: Tokio hat uns eine Woche verkauft, die aussah wie
zwei.“
Sie wedelt mit einer Mappe, die sie nie liest und immer
braucht. „Sponsor Labs am Dienstag, Kinder-Clinic am Mittwoch,
Streaming-Panel am Donnerstag. Freitag frei, was im Klartext heißt:
Training, Gesichter zeigen, nicht sterben. Samstag bist du längst
wieder weg. Sonntag kann ich so tun, als würde ich schlafen.“
„Kein WWE?“ frage ich.
„Kein WWE,“ sagt sie – und das „noch“ hängt hinter dem Wort,
auch wenn sie es nicht sagt.
„Aber dieselben Gesichter sind in derselben Stadt. Was für
ein Zufall.“ Sie blinzelt. „Die Sorte, die man auf Kalendern
züchtet.“
Lea kommt hinterher, so ordentlich, dass sogar die Luft neben ihr
glatt sitzt. „Ich brauche zwei Unterschriften. Eine für die Labs –
keine Exklusivität, nur Anwesenheit. Und eine für die Klinik – du
gibst nichts Medizinisches vor, du bist nur du. Wenn jemand ‚RKO‘
sagt, sagst du ‚Nein‘ und lächelst nicht.“
„Ich lächle nie, wenn jemand Zirkus sagt,“ murmele ich.
„Das ist gut,“ sagt sie trocken.
„Es macht dich glaubwürdig.“
Arjan stellt den Timer auf drei Runden Nachschwitz. Die Beine
sind da, die Hände auch. Der Kopf hält die Stellung. Ich spüre, wie
die Müdigkeit wieder aus dem Fleisch rutscht, nicht aus Gnade,
sondern durch Routine. Danach dusche ich kalt, bis die Haut nicht
mehr weiß, ob sie protestieren oder applaudieren will. In der
Umkleide hängt mein Gürtel über dem Stuhl wie ein Haustier. Ich
streife mit dem Handrücken darüber, nicht sentimental, nur als
Feststellung: Er ist da. Ich bin da. Das reicht für diesen Morgen.
Der Flughafen ist überlaut und trotzdem effizient, eine Fabrik für
Abschiede. Nora bugsiert uns durch Sicherheitslinien, als hätte sie
die Linien vorher selbst gemalt. Lea hinter ihr, der Ordner gegen
die Hüfte gedrückt, weil der Ordner sonst auf dumme Gedanken kommt.
Arjan läuft wie immer einen halben Schritt hinter mir, kein Symbol,
nur Gewohnheit.
Er braucht den Überblick, ich brauche den Rhythmus. Vier
Schritte zum Gate, vier bis zur nächsten Bank, vier bis zur
nächsten Schlange. Einatmen, Ausatmen, Wiederholung, bis es
Flugzeug heißt.
Im Flieger versuche ich zu schlafen und tue es nicht. Ich sehe über
der Lehne hinweg diese kleinen, nutzlosen Bildschirme, die alle
denselben Himmel zeigen, nur mit unterschiedlichen Filmen. Ich
wähle keinen. Ich sehe lieber zu, wie die Tragfläche zittert, wenn
die Luft zu beschäftigt ist, um glatt zu sein. Nora tippt, tippt,
tippt. Lea liest Sätze, die nur Juristen mögen, und streicht
Wörter, die normaler Sprache weh tun. Arjan hat die Augen zu und
den Rücken gerade. Er schläft nicht. Er ruht. Zwischen uns liegt
die Stille, die wir vor Kämpfen ertragen können, ohne sie zu
füllen. Ich zähle vier. Dann noch einmal. Irgendwann zählt mich die
Maschine aus.