Weltfremd - Roland Düringer - E-Book

Weltfremd E-Book

Roland Düringer

4,6

Beschreibung

Fühlen Sie sich manchmal Weltfremd? Liegt es vielleicht daran, dass Ihnen die Menschen um Sie das Gefühl vermitteln, in Ihrer Welt fremd zu sein? Ist die durch unser Denken erzeugte Wirklichkeit für Sie bereits zur Welt, wie sie ist geworden? In der Welt, wie sie ist sind wir Menschen. Als Teil der Wirklichkeit sind wir Personen, Verbraucher, Stimmvieh, Arbeitssklaven, ein Wirtschaftsfaktor. Warum hatte der Neandertaler die Zeit, wir aber haben bloß noch die Uhr? Liegt es nur daran, dass wir einen festen Klescher haben, oder sollen wir ganz einfach nur das wollen, was wir wollen sollen? Wie Weltfremd ist eigentlich unsere Wirklichkeit? Und besteht nicht die Möglichkeit, dass jede Gewissheit immer nur eine Möglichkeit ist?

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Seitenzahl: 389

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Roland Düringer: Weltfremd?

Alle Rechte vorbehalten

© 2015 edition a, Wien

www.edition-a.at

Lektorat: Anatol Vitouch

Cover: JaeHee Lee

Gestaltung: Hidsch

Gesetzt in der Premiera, Myriad Pro

Gedruckt in Europa

1  2  3  4  5  —  18  17  16  15

Print-ISBN: 978-3-99001-136-2

eBook-ISBN 978-3-99001-153-9

eBook-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim

www.brocom.de

Vorwort

Bei diesem Buch handelt es sich um ein Bilderbuch, hauptsächlich mit Bildern Ihrer Wahl. Wie das konkret funktioniert, können wir gleich hier vor Ort, in dieser Buchhandlung, ausprobieren. Stellen Sie sich einfach einmal hier, gleich neben dem Bestsellerregal, einen rosa Babyelefanten vor. Nur keine Scheu, versuchen Sie es einfach einmal …

Gar nicht so einfach, stimmts? Ist die Ablenkung zu groß? Dann versuchen wir etwas Einfacheres. Blicken Sie zur Lebenshilfeabteilung und stellen Sie sich dort eine Ihrer aktuellen Wichsvorlagen vor, die nackt und brummend wie ein Trafo im Regal stöbert und sich dabei anschickt zu masturbieren – falls es sich dabei zufällig ohnehin um einen rosa Babyelefanten handelt, dann sehen Sie sich diesen ruhig noch einmal an …

Leichter, oder? Sollten Sie jetzt der Meinung sein, dass der Autor dieses Buches eine ordinäre Drecksau ist, dann möchte ich nur darauf hinweisen, dass ich jetzt nichts gesehen habe, jedenfalls keine Obszönitäten in einer Buchhandlung. Was ich vor mir sehe, sind viele leere Seiten, die es zu füllen gilt, und ich werde mir erlauben, während ich die Seiten beschreibe und damit mit Ihnen in einen Dialog trete, Sie mir nackt vorzustellen. Ich hoffe, das stört Sie nicht. Für Sie ist es ja bedeutungslos, und ich habe dadurch einen zusätzlichen Anreiz.

Und nun liegt es an Ihnen, wie es mit uns beiden weitergeht. Ich werde schreiben, ob Sie es lesen werden, das ist letztendlich Ihre Entscheidung …

Nachwort

Das Nachwort steht relativ vorne, aber immerhin nach dem Vorwort. Warum? Weil es keine Garantie dafür gibt, dass Sie es bis zu einem Nachwort am Ende des Buches schaffen würden, denn ehrlich gesagt ist das teilweise schon ziemlich heftig, was da so aus mir herausgeronnen ist. Bist du deppert, da wird es so manchem die Sicherungen schmeißen. Da werden einige durch die Hölle gehen …

Heute ist der 18. September 2015. Dieses Buch geht in Kürze in Druck. Kein Zurück mehr also. Dafür vielleicht ein Schritt nach vorne. In den letzten Wochen hatte dieses Buch einen fixen Platz in meiner Lebensgeschichte, bekam dadurch eine Wichtigkeit und eine Bedeutung. Letztlich ist es nur ein Buch, eines von tausenden und abertausenden. Was ist schon wichtig? Nichts ist wichtig! Oder ist alles wichtig? Wahrscheinlich ist es beides. In ein paar Monaten, vielleicht in ein paar Wochen oder schon in wenigen Tagen, wird dieses Buch seine Wichtigkeit in meinem Leben verloren haben, für mich Vergangenheit sein. Wenn auch nicht mehr wichtig, wird es trotzdem nicht egal für mich sein, denn nichts, was ich tue oder getan habe, ist oder war egal, deswegen aber noch nicht unbedingt wichtig. Was ist wichtig in einer Welt, die zusehends aus den Fugen gerät? Ist es tatsächlich so, dass unsere Welt in Gefahr ist, oder ist nur die Wirklichkeit, unsere Vorstellung der Welt, wie sie sein sollte, im Zusammenbruch begriffen? Überall bröckelt der Verputz, die Fassade zerfällt, das Kartenhaus wackelt. Sie spüren das, ich spüre das. Wachstum, Beschleunigung, Expansion, Fortschritt, Wohlstandsvermehrung, Konsumzwang, Reglementierung, Überwachung, Finanzskandale, Arbeitslose. Das alles und vieles mehr liegt schwer auf unseren Herzen. Oder besser: Es liegt nicht, es lastet auf unseren Herzen, Verunsicherung und Angst hat nun auch die »Insel der Seligen« erreicht. Seit Tagen zieht eine für unsere Generation – die Generation der Macher und des Erfolgs – bislang unbekannte Welt durch unser Land, unseren Kontinent. Millionen Menschen sind auf der Flucht vor dem Leid und suchen ihr Glück in Europa. Sie suchen in der Regel Schutz und Sicherheit, manche von ihnen suchen vielleicht Streit und befinden sich im heiligen Krieg mit unserer »heilen Welt«. So oder so, ist das nicht beschämend, eine Schande für unsere ach so zivilisierte Kultur? Wie auch immer, sowohl tatsächlich verfolgte als auch gewaltbereite Menschen aus einem fernen Teil der Welt sind plötzlich Teil unserer Wirklichkeit. Plötzlich? Unerwartet? So als wär der Flüchtlingsstrom eine unvorhersehbare Naturkatastrophe, ein Tsunami, der unsere Küsten über Nacht erreicht und die Regierenden wie ein Blitz getroffen hat? Oder ernten die schon lange industrialisierten Länder Europas nun gerade, was sie gemeinsam mit den Vereinigten Staaten von Amerika gesät und fleißig »bewirtschaftet« haben?

Wobei Europa in diesem Fall den Erntehelfer gibt und die USA den Großgrundbesitzer mimen. Gerade vor einigen Minuten war ein Beitrag im Radio zu hören. Ö1, ein Qualitätssender, brachte in »Saldo, dem Wirtschaftsmagazin« einen Bericht über die wirtschaftlichen Folgen der Migration nach Österreich. Erwiesenermaßen, so die Experten, kurbeln Migranten die Wirtschaft an, sie steigern das BIP und sorgen für Wirtschaftswachstum. Das klingt plausibel, denn Menschen, die bei uns arbeiten, geben dann bei uns auch ihr Geld aus, nehmen eines Tages Kredite auf und bezahlen brav ihre Steuern und natürlich Zinsen.

Darüber ist zur Zeit viel zu hören und zu lesen. Sei es im Bezug auf die Flüchtlingsströme, auf die imperialistischen Stellvertreterkriege, auf die Auswüchse eines aufgeblähten Finanzsystems, die Zerstörung unserer Umwelt oder die wachsende Umverteilung von »fleißig« zu »reich«. Wie wenig hört man aber über die Ursachen, wie wenig denken wir über unser Denken nach? Jenes Denken, das die Welt, in der wir leben, erschaffen hat. Wir lehren die Kinder noch immer, was sie denken sollen, aber nicht, wie man denken könnte. Man kann einen lebendigen Organismus, einen in ständiger Bewegung befindlichen Prozess, wie es unsere Welt ist, nicht mit Wundpflastern heilen, die Situation mit den selben Mitteln verbessern, mit denen wir sie zyklisch verschlechtern.

Das Denken, Sprechen und Handeln von Menschen begleitet mich seit fast 35 Jahren beruflich. Um als Schauspieler Menschen spielen zu können, muss man versuchen, sie zu verstehen, die Funktionsweise ihres Denkens zu begreifen. Bleibt man an der Oberfläche an den Symptomen hängen, liefert man nur eine Karikatur ab. Versucht man, das Denken der Figur zu verstehen, so wie sie zu denken, dann hat man viel über das eigene Denken gelernt, und die Figuren verlieren immer mehr an Bedeutung. Die Beobachtung der eigenen Denkmuster schiebt sich in den Vordergrund. Was bin ich eigentlich, jenseits meines Denkens?

Die Antwort darauf habe ich bislang noch nicht gefunden, vielleicht ist sie ja auch nicht so wichtig. Denn was ist schon wichtig?

18. September 2015. Valentino Rossi führt mit einem Vorsprung von 23 Punkten vor Jorge Lorenzo die Motorrad-WM an. Nächstes Wochenende ist der Grand Prix von Aragon, und ich werde vorm Fernseher sitzen und mit Valentino mitzittern. Ganz einfach, weil es mir wichtig ist.

Ach ja, und eines noch zur Vergeschlechtlichung in diesem Buch: Manchmal habe ich es zur schwereren Lesbarkeit gemacht, manchmal nicht. Mir selbst ist das nicht wichtig. Falls es Ihnen wichtig ist, dann gratuliere ich Ihnen. Sie sind eine Glückspilzin, denn was ist es für ein Glück, wenn man sonst keine Sorgen hat und dadurch die Freiheit genießt, Buchstabenkombinationen Wichtigkeit zu geben. Vieles ist aus der Sicht eines Mannes erzählt. Warum? Vielleicht weil ich ein Mann bin und die Welt nur aus meiner Sicht wahrnehmen kann.

Das ist etwas, was wir beide, lieber Leser, liebe Leserin, teilen, und das ist doch ein guter Anfang, oder?

INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort

Nachwort

Erstes BuchDie Welt, wie sie ist

KAPITEL 1 – Leben

Sind Sie allein?

Ein Leben

I bin i und Se san Si

Kleine Götter?

Von Leben umgeben

Die Indianer lagen gar nicht so falsch

Die Wahnsinnigen

Zehn Seiten einfach nur Leben

Früher …

UNTERliebt, Herr Prehsler?

Die Affen erheben sich

Der Neandertaler hatte die Zeit

Prehslers Tag hat 23 Stunden

KAPITEL 2 – Geburt

Sie waren vor Ihrer Geburt schon da

Prehslers Speisekarten des Lebens

Ich – Mich – Mein

KAPITEL 3 – Heranwachsen

Was Prehsler gesagt hat, tut hier nichts zur Sache

Wissen und Weisheit

Nichtraucherkampagne

Du lernst nicht für die Schule, …

KAPITEL 4 – Fortpflanzung und Nahrungsaufnahme

Unsere Triebe

SEXualität

Der Tiger im Tank

Das Sättigungsgefühl

Ernährungswissenschaft

Verdauen und Entgiften

KAPITEL 5 – Überlebensangst

Säbelzahntiger

Freiheit auf Rädern

KAPITEL 6 – Krankheit

Die chronische Krankheit

Die entzündliche Krankheit

KAPITEL 7 – Tod

Heben wir uns den Tod noch etwas auf

Zweites BuchDie WIR-klichkeit

Zur Erinnerung

Loslassen

Abgeblitzt

Wer ist WIR?

Sie sind ganz sicher einer von den anderen, wenn …

Hätten wir auch einen festen Klescher, wenn wir allein wären?

Der schwarze Mann

Warum verhalten sich Eltern eigentlich so, Herr Prehsler?

Die Macht der WIR-klichkeit

80 Liegestütz in der Sauna

Die Erklärung der Welt

Prehslers »Nicht genügend« in Mathe

Bin ICH, weil ich denke?

Gibt es Gott?

Die Schlösselgasse

Unsere Tierliebe

Gesetzlos?

KRK

Die Natur des Menschen

Planetenretter?

Menschenkraftwerke

Haben wollen!

Herr Prehsler möchte nicht mit einem Faustkeil einen Reifen wechseln

Fortunat, der Hasenmagnat

Wollen und Brauchen

Ich bin Kapitalist

Sie tun Ihre Arbeit

Das Arbeitsamt – Flaschen schaffen Arbeitsplätze

Sinnlose Arbeit

Ein faires Angebot

Gesteuert durch Steuern

Ich habe nichts von meinen Einnahmen an den Staat abgeliefert

Reich werden durch Arbeit

Reich und Arm

Vielleicht ist es gut so, wie es ist?

Freizeit?

Das Semmerl

Meine Bank

Schulden machen! Schuldlos?

Ferdinand Ochsenhofer

Was halten Sie jetzt gerade in Ihrer Hand?

Zehn ÖS

Da Wimma Bertl

Punkterln in einem Computer

Drittes BuchZwischen den Welten

Kehren wir nun zu den einfachen Fragen zurück …

Big John

Das Zentrum des Universums

Der »Blade Willi«

Intelligenz

Das österreichische Selbstwert-Notfall-Pack

Der Kaiser ist nackt!

Der Notfall

Royal Flush

Ihre Entscheidung

Eigennutz

Unser Weltbild?

Steht der Schwanz, steht das Hirn

Denken und Handeln

Wichtige Informationen?

Das eitrige Nilpferd

Ich hab’ Sie lieb

Wer hat wann und wo an welcher Zitrone geschleckt?

Der Osterhase

Die Glaubensfrage

Bist Austrianer oder Rapidler?

Glaubensgeschichte

Auszüge aus Prehslers Kirchen-Marketing-Geschichte

Wer ist gerade am Ball?

Apokalypse

Geheimreligionen

Christliche Kultur?

Wollen, was wir sollen

Softporno

Haben Sie Zeit?

Die Zeit verrinnt

Ich werde niemals in meinem Leben:

Wir drehen uns im Kreis

Du kannst mich heute einmal

26. Juli 2015 – Das Ende naht

Der schöne Tod

Sie sterben jetzt nicht!

… ein guter Tag zu sterben?

Gibt es ein Leben nach dem Tod?

Das ist Eugen Prehsler

Ich will nur DANKE sagen.

Bücher, die Sie nicht ungelesen lassen sollten

Erstes Buch

Die Welt, wie sie ist

Kapitel 1 – LEBEN

Sind Sie allein?

Lassen Sie mich an dieser Stelle mit einem Zitat beginnen, denn Zitate lassen den Autor klüger erscheinen, als er eigentlich ist.

»Je mehr eine Kultur begreift, dass ihr aktuelles Weltbild eine Fiktion ist, desto höher ist ihr wissenschaftliches Niveau.«

Und lassen Sie mich nun aus dem Zitat ein wenig Unterhaltung für Sie machen, schließlich kann man ja heute aus allem Unterhaltung machen. Gut eignen sich dazu politische Diskussionen, Nachrichten, historische oder wissenschaftliche Dokumentationen, aber auch halblustige Pseudofachliteratur wie dieses Buch. Manipulation, gut gekleidet im Informationsmäntelchen mit Unterhaltungswert. Manchmal liegt ihr Wert nur in der Unterhaltung, das reicht aus, um die Unterhaltungskonsumenten »unten zu halten«. Wissen kann als Ratespiel unterhalten. Heben wir also den Unterhaltungswert und machen wir aus dem Zitat ein Quiz. Was glauben Sie, wer hat diesen klugen Satz gesagt? War es:

a) der Dalai Lama

b) Albert Einstein

c) Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner, oder

d) der Dakota-Häuptling »Crazy Horse«?

Und das wird jetzt nicht gegoogelt, da müssen Sie allein draufkommen. Vorausgesetzt Sie sind allein. Also ich bin nicht allein. Werfen Sie nur einen Blick auf das Coverfoto dieses Buches und schauen Sie mich doch einmal an. Ganz ehrlich »Ala is der Typ net«. Und wenn ich Sie mir ein wenig genauer ansehe, muss ich ehrlich sagen: »Sie sind auch nicht wirklich allein.« Machen wir uns doch nichts vor, wir haben beide unsere stillen Begleiter dabei. Unsere Erwartungen zum Beispiel. Ihre Erwartungen an dieses Buch kenne ich nicht, möchte ich eigentlich auch gar nicht kennen. Denn es könnte durchaus sein, dass Ihre Erwartungen meine Erwartungen zerstören könnten. Und das möchte ich so gut es geht vermeiden. Ich werde mir doch nicht von Ihnen meine Erwartungen zerstören lassen. Da ist es doch besser, wenn ich Ihre Erwartungen zerstöre und damit meinen Erwartungen gerecht werde. Jetzt wollen Sie sicher wissen, was ich mir von unserer Begegnung, unserem Dialog erwarte? Offen gestanden, nicht viel. Was ich mir schon erwarte, ist, dass Sie nicht dazu gezwungen wurden, dieses Buch zu lesen. Sie wissen, worauf Sie sich durch den Kauf dieses Buches eingelassen haben. Sie haben insgesamt drei Vorträge und damit fünf Jahre Zeit gehabt, sich zu informieren und auf unseren Dialog vorzubereiten, und es war Ihre bewusste, freie Entscheidung, dieses Buch zu lesen. Es sei denn, Sie lesen es aus beruflichen Gründen, als Lektor, Verleger, Kritiker oder Mitglied des Verfassungsschutzes. Oder aber es handelt sich für Sie um einen gesellschaftlichen Zwang: ein Weihnachts- oder Geburtstagsgeschenk. Aha … ich verstehe. Leider gibt es oft sehr unüberlegte Geschenke, aber Kopf hoch, vielleicht gibt es nächstes Jahr wieder einen Büchergutschein, und Sie dürfen dann selbst eine Entscheidung treffen.

Falls es Ihre eigene Entscheidung war, dieses Buch zu kaufen, um es zu lesen, Sie sich nach wenigen Seiten eingestehen müssen, dass es trotz Ihrer Überzeugung eine falsche Entscheidung war und Sie damit den Glauben an sich selbst verlieren sollten, dann sind wir auch schon bei einer der vielen Fragen, die ich Ihnen als Leser oder Leserin und mir selbst stellen möchte:

»Glaube ich nur das, was ich sehe, oder sehe ich nur das, was ich glaube?« Die Antwort darauf zu finden ist an sich ein Leichtes. Aber machen wir zwei es uns nicht unnötig leicht, sondern denken wir gemeinsam zuerst über das Leben nach. Was ist das eigentlich, ein Leben?

Ein Leben

Da sitzt so ein menschliches Wesen auf einem Stein und beobachtet die vorbeiziehenden Wolken. Mehr hat es nicht zu tun. Weil es eben jetzt, in diesem Moment, seine Bestimmung ist, auf einem Stein zu sitzen und vorbeiziehende Wolken zu beobachten. Und dafür braucht es nichts. Nicht einmal einen Namen und auch kein »Ich«.

Abertausende Jahre später ziehen noch immer die Wolken am Himmel vorbei und der Stein ist noch immer derselbe. Aber er ist leer, denn das menschliche Wesen hat jetzt einen Namen, und sein »Ich« ist jetzt gerade auf der Suche. Auf der Suche nach seiner Bestimmung, auf der Suche nach dem Sinn. Sinn und Bestimmung findet man bekanntlich nicht, indem man blöd auf Steinen herumsitzt. Dazu muss man schon etwas tun, da reicht es nicht, einfach nur auf einem Stein zu sitzen und in die Luft zu schauen. Sinn und Bestimmung muss das menschliche Wesen erst finden, und um zu finden muss man oft lange suchen. Oft sucht man in der Zukunft, dort wo ja alles einmal besser wird. Wenn dieses menschliche Wesen keine Mühen, Entbehrungen und Kämpfe scheut, mit ein wenig Glück und Fügung, wird es dann eines Tages seine Bestimmung gefunden haben. Es wird auf einem Stein sitzen und die vorbeiziehenden Wolken beobachten, weil es seine Bestimmung ist, jetzt gerade auf einem Stein zu sitzen und vorbeiziehende Wolken zu beobachten. Bis zu dieser Erkenntnis ist es aber noch ein langer Weg. Manchmal dauert er ein Leben oder, wie manche meinen, viele Leben lang.

I bin i und Se san Si

Haben Sie Angst, Ihr Leben zu verlieren? Nicht jetzt, während Sie diese Zeilen lesen, aber irgendwann in einer fernen Zukunft? Wenn ja, dann erlauben Sie mir, Ihnen diese Angst zu nehmen. Ganz einfach, weil es unmöglich ist, das Leben zu verlieren. Denn dies würde ja bedeuten, dass Sie eines Tages Ihr Leben verlieren, und Sie selbst sind noch da, um sich darüber zu ärgern, das Leben verloren zu haben. Das kann schon deswegen nicht passieren, weil wir beide gar kein Leben haben. Wir sind ein Leben. Möglicherweise ein ewiges, aber das ist bislang noch nicht bewiesen. Das, was wir so gerne als unser Leben bezeichnen, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung lediglich als unsere Lebensgeschichte, mit welcher wir uns dummerweise oftmals identifizieren, sie damit über das Leben stellen und dabei vergessen, was wir sind: Leben, das leben will, inmitten von anderem Leben, das auch leben will. Und das eint uns mit all den anderen Leben auf diesem Planeten.

Das, was wir fälschlicherweise als unser Leben betrachten, sich aber bei genauerer Betrachtung lediglich als unsere Geschichte entpuppt, ist vergleichbar mit einem Sprung von einem Hochhaus, der ungefähr 80 Jahre dauert. Es beginnt mit der Geburt, der Entscheidung zu springen, und endet mit dem Asphalt, dem Tod. Wobei natürlich so mancher dazwischen, an einer übersehenen Fahnenstange, einem offenen Fensterflügel und, wenn es ganz blöd hergeht, am F der Immofinanz-Leuchtbuchstaben hängen bleibt und dadurch schon vorher den Löffel abgibt oder dabei zumindest bewusstlos und in schwerer Ohnmacht vom Gehsteig zertrümmert wird. Bei manchen setzt diese Bewusstlosigkeit schon sehr früh ein. Und wenn ich früh schreibe, dann meine ich auch früh. Manche schlagen sich ja schon beim Absprung den Kopf so ungeschickt an der Dachkante an, auf dass sie ihre Lebensgeschichte in tiefer Bewusstlosigkeit verleben, ohne jemals gelebt, gespürt und sich selbst erfahren zu haben. Worum es im ersten Teil des Buches geht, ist allerdings das Leben, das wir unabhängig von unserer Geschichte, unabhängig von unserem Verstand und unserem ICH sind.

»Aber ich bin doch ICH. Da ist kein anderer, da bin nur ICH. In mir bin nur ICH. Was soll ich sonst sein außer ICH, das, was ich aus mir gemacht habe. I bin i und Se san Si.«

Aber glauben Sie mir: Ich bin nicht ich, und Sie sind nicht Sie. Wir beide haben ein Ich, wir sind aber keines. Wir haben beide ein Ich, weil wir es durch unser Denken konstruiert haben. ICH ist ein Konstrukt, die Summe unserer Erfahrungen, abhängig von äußeren Umständen.

Überlegen Sie, wenn Sie zu sich sagen: »I bin a festa Trottl«, und damit in der Situation natürlich recht haben, wer spricht da? Was in Ihnen weiß, dass ICH ohne Zweifel ein ziemlicher Idiot ist. Es ist das, was übrig bleibt, wenn Sie eines Tages Ihr ICH verlieren sollten.

Haben Sie schon jemals in der Vergangenheit Ihr ICH verloren? Wenn Sie sich nicht sofort daran erinnern können, hat es keinen Sinn, darüber nachzudenken, denn dann sind Sie mit an Wahrscheinlichkeit grenzender Sicherheit noch nie Ihres ICHs verlustig gegangen. Denn daran würden Sie sich in der Sekunde, ohne nachzudenken, erinnern. So etwas vergisst man nicht. Ich selbst habe mein ICH schon mehrmals verloren. Als Motorradfahrer passiert es fallweise, und das im wahrsten Sinn des Wortes, dass man sich vom Gerät trennt, und das oftmals unfreiwillig. Während sich das Motorrad in der Botanik kalt verformt, kann es schon vorkommen, dass, ausgelöst durch einen dumpfen Aufprall des Kopfes, der FI-Schutzschalter fällt und sich das Bewusstsein kurzzeitig verabschiedet. In der Regel springt dieser Schutzschalter wieder von selbst rein, und man wacht auf, abseits der Fahrbahn, neben einem verbogenen Eisenhaufen, und hat keine Ahnung, wo man sich gerade befindet.

»Was mach ich da? Wo bin ich hier? Wem gehört das verbogene Motorrad? Wie heiß ich eigentlich? Wer bin ICH?«

Alles ist weg. Kein Name, keine Geschichte, kein ICH. Aber du bist zweifellos da. Und genau in diesem Moment ist man dort, wo wir zwei schon einmal waren, aber wir können uns nicht mehr daran erinnern, weil es für Sie und mich schon sehr lange her ist. Für mich war es konkret die Zeit nach dem 31. Oktober 1963.

Kleine Götter?

Wir kommen als kleine göttliche Lebewesen auf die Welt, gesegnet mit der Weisheit des Universums, Teil der Schöpfung und zugleich selbst Schöpfer unserer Welt. Leider widerfährt diesem kleinen Gott aber zumeist etwas Dramatisches: die eigene Lebensgeschichte. Und diese Lebensgeschichte kann aus einem kleinen göttlichen Lebewesen innerhalb von relativ kurzer Zeit, in der Regel sind es 60 bis 80 Jahre, einen verbitterten, desillusionierten und oft hilflosen »alten Trottel« werden lassen. Was den »kleinen Gott« oder die »kleine Göttin« und den »alten Trottel« oder die »alte Trottelin« (alte Trottelin klingt vollkommen bescheuert, ist aber politisch korrekt, es soll ja niemand diskriminiert werden) eint, ist die Abhängigkeit vom Wohlwollen seiner Mitmenschen. Und dieses Wohlwollen verhält sich reziprok zur Dauer der Lebensgeschichte. Wenn der kleine Gott erstmals kräftig in die Windeln scheißt, so ist dies für die wohlgesinnten Mitmenschen ein sensationelles Naturereignis:

»Na so ein großes Haufi, na das glaub’ ich ja nicht. Was in so ein kleines Bauchi alles reingeht, was? Und stinken tut der wie ein großer. Da muss er lachen, was? Tun mir zwei jetzt einmal den Popo machen? Na sicher tun mir zwei jetzt den Popo machen, damit er wieder hübsch ist, gel?«

80 Jahre später. Das was es ist, ist noch immer das Gleiche, das Wohlwollen hingegen nicht:

»Jetzt friss net so vü, wonst das nimma dahoitst, heast. Jetzt hob i scho gnua vom Oaschauswischen. Wüst net endlich amoi ans Sterben denken!«

Das aber nur als sehr drastisches Beispiel, immerhin kann man ja auch jemanden anderen bitten oder dafür bezahlen, dem oft gar nicht so nahen Verwandten den Popo zu reinigen, und das mit ein paar aufmunternden Worten auf den Lippen.

Von Leben umgeben

Prinzipiell gehe ich davon aus, dass alle, die diese Zeilen lesen, leben. Es sei denn, Sie sind soeben vor Schreck, vor Hunger, vor Begeisterung oder vor Lachen gestorben. Obwohl, so lustig war’s ja bis jetzt noch nicht. Wird es auch nicht mehr. Wir leben also beide. Wobei es durchaus sein kann, dass während Sie dieses Buch lesen, die Lebensgeschichte des Autors bereits Geschichte ist, davon möchte ich aber jetzt nicht ausgehen. Wir zwei Hübschen (egal ob nun nackt wie Sie oder bekleidet wie ich) leben aber in einer anderen Realität. Jeder von uns lebt seine Lebensgeschichte in seiner Welt, und der moderne Mensch kann sich heute sehr viele Welten aussuchen, vollkommen unabhängig vom Ort. Selbst in einer natürlichen Umgebung, in einem Wald – auf neutralem Boden sozusagen – macht es einen großen Unterschied, ob man Mountainbiker ist oder Jäger. Zur gleichen Zeit am selben Ort, und doch ganz woanders, in einem Paralleluniversum sozusagen. Oder ein anderes Beispiel: Sie sind mit dem Auto unterwegs (denn da ist man in der Regel öfter, weil es dort so schön ist und viel bequemer als im Wald), dann ist die Geschwindigkeit, mit der Sie unterwegs sind, die einzig richtige, die man zu diesem Zeitpunkt auf dieser Landstraße fahren kann. 94,3 Stundenkilometer. Wenn nun jemand vor Ihnen mit 86,9 Stundenkilometern dahinschleicht, also um 7,4 Stundenkilometer langsamer als Sie, dann ist dieser Jemand für Sie:

• eine fahrende Schikane

• ein alter Trottel

• zu deppert zum Autofahren

• ein Woama (Homo, Schwuchtl, Schwulette) oder

• (falls Sie ein Mann sind) mit Sicherheit einmal eine Frau

Sollten Sie, an derselben Stelle dieser Landstraße, mit der einzig richtigen Geschwindigkeit von 86,9 Stundenkilometern unterwegs sein und dabei von einem anderen Fahrzeug mit einem Geschwindigkeitsüberschuss von 7,4 Stundenkilometern überholt werden, dann ist die Person in dem Fahrzeug:

• eine Gemeingefährdung

• ein verantwortungsloser Raser

• offenbar »schwa augsoffn« (alkoholisiert)

• mit Sicherheit (falls Sie ein Mann sind) keine Frau

• dem gehört der Führerschein sofort entzogen

• und der »Komplexler« hat sicher ein zu kleines »Zumpferl« (Penis)

Ihr Weltbild könnte nun durcheinander kommen, wenn in dem an Ihnen vorbeiziehenden Fahrzeug Gery Keszler oder, noch schlimmer, eine Nonne am Steuer sitzt. Aber ganz egal in welcher Realität das Individuum sich gerade befindet, wir sind immer von Leben umgeben. Manches offensichtlich, wie Tiere oder Pflanzen, und anderes für unser Auge nicht erkennbar, weil unser Auge als für uns wichtigstes Sinnesorgan nur acht Prozent der Schwingungen, die sich um uns befinden, in ein Bild umwandeln kann. Wobei, umgewandelt wird das gelieferte Bild erst durch unser Gehirn. Das Auge selbst wandelt nicht, das schaut bloß blöd. Den Rest, stolze 92 Prozent, sehen wir nicht. Einiges riechen wir, oft unangenehmerweise, anderes hören wir, auch oft unangenehmerweise (Radio zum Beispiel). Von den sichtbaren acht Prozent bleibt uns aber auch noch einiges verborgen, all das, was wir zwar technisch sehen können aber nicht sehen wollen. Wie zum Beispiel die Wahrheit. Man kann uns also mit Recht als durchaus betriebsblind bezeichnen. Wobei die Wahrheit letztlich nur das ist, woran die Mehrheit von uns gerade glaubt oder glauben soll.

Das heißt, wir haben die Gabe, Dinge, die da sind, ganz einfach nicht zu sehen. Nicht nur, weil wir sie nicht sehen wollen, auch weil wir es nicht können. Als Beispiel seien hier die Mikroorganismen genannt. In einer Handvoll Ackerboden leben einige Milliarden Bakterien, deren Leben aus unserer Sicht natürlich nicht wirklich spannend aber dafür wenigstens kurz ist. Schlimm hingegen muss ein fades aber langes Leben sein. Da gibt’s ja auch viele Beispiele, auch prominente. Selbst der Mount Everest hat zwar ein langes aber durchaus langweiliges Leben. Er selbst hat ja reichlich wenig davon, der höchste Berg der Welt zu sein. Vielmehr hätte er als kleine Erhebung in dem an der Landesgrenze zwischen Niederösterreich und dem Burgenland gelegenen Leithagebirge ein ruhigeres Leben. Zumindest wäre er keine Müllhalde geworden und hätte sich zahlreiche Bezwingungen erspart. Jetzt können Sie mit Recht behaupten: »Na Moment einmal, das ist jetzt aber wirklich ein bisserl weltfremd. Ein Berg lebt nicht, haben Sie in der Schule nicht aufgepasst, Herr Düringer? Tote Materie! Ein Haufen Steine, da lebt nichts!«

Nun ja, Ansichtssache, würde ich jetzt einmal sagen. In von uns so gerne als »primitiv« bezeichneten Kulturen war es selbstverständlich, dass alles in der Natur belebt und beseelt ist. Alles trägt einen Geist in sich, und mit diesem kann man falls erforderlich auch kommunizieren. Naturverbunde Kulturen, wie zum Beispiel die allseits bekannten Indianer, sprechen mit Bergen, dem Wasser und sehen im Feuer die Dämonen tanzen. Nun gut, tanzende Dämonen im Lagerfeuer sind schon ein wenig weit hergeholt. Da leben ja wir beide Gott sei Dank in einer anderen Zeit, der Zeit der Naturwissenschaft, fernab von jedem Aberglauben. Der moderne Mensch weiß nun, was Sache ist, wir sind in unserer Entwicklung und in unserem Wissen so weit wie noch niemals zuvor in unserer Menschheitsgeschichte, die größten Rätsel der Menschheit scheinen gelöst, und doch stehen wir möglicherweise knapp vor einem Quantensprung in unserer geistigen Entwicklung. Quantensprung im wahrsten Sinn des Wortes, vor allem in der Physik. Quantenphysiker kommen allmählich zu folgendem Schluss:

Die Indianer lagen gar nicht so falsch

So gesehen hätten die Eroberer sie ja damals einfach nur fragen müssen, anstatt sie abzuschlachten, aber wir haben es uns wieder einmal lieber rechnerisch bewiesen, als altem Wissen vertraut. Wir können nicht ausschließen, dass Berge ein Bewusstsein haben, vielleicht sogar Bewusstsein sind. Leben Steine nun, oder nicht? Zumindest schwingen sie, will man der populärwissenschaftlichen Quantenmechanik glauben. Steine sind möglicherweise keine feste Materie, sondern lediglich elektromagnetische Schwingungen, die eine Form angenommen haben. So gesehen leben auch Berge. Auch dieses Buch in Ihren Händen lebt vielleicht, also seien sie nett zu ihm.

Blicken Sie sich ein wenig um, werfen Sie einen Blick aus Ihrem Fenster …

… und erzählen Sie mir bloß nicht, dass Sie vor sich eine Wand sehen. Denn dann sind Sie wirklich von gestern, dann sind Sie nicht am neuesten Stand der Wissenschaft.

Das ist fein, wenn wir das alles wissen oder zumindest zu wissen glauben. Etwas zu wissen ist toll, ändert aber nicht immer etwas. Natürlich ist es beeindruckend, dass wir unseren Planeten, nach vielen tausenden Jahren der Unwissenheit, endlich als Kugel wahrgenommen haben und erkennen durften, dass sich die Erde um die Sonne dreht, aber für mich ist dieses Wissen nicht von sonderlicher Bedeutung. Ob Sie es glauben oder nicht, in meinem Garten geht die Sonne im Osten auf, steigt hoch Richtung Süden und geht im Westen wieder unter. Und mein Garten bewegt sich dabei keinen Millimeter. Wie gesagt, alles ist Ansichtssache.

Wie auch immer, wir sind jedenfalls von Leben umgeben. Und all das Leben um uns, ob Tiere, Pflanzen, Steine oder Bücher, haben aber eines gemeinsam: Sie machen sich keine Gedanken über das Leben, sie leben einfach. Nur eine einzige Spezies hat nichts Besseres zu tun, als sich ständig Gedanken über das Leben zu machen. Der Homo sapiens. Der weise Mensch.

Was ja schon von der Bezeichnung her eine grobe Themenverfehlung ist, wie ja jeder an sich selbst erkennen kann. Und diese ständigen Gedanken ums eigene Leben sind ganz schön anstrengend. Damit meine ich nicht die kreativen, schaffenden, schöpferischen Gedanken, ich spreche von Gedanken, die sich ständig im Kreis drehen. Noch dazu machen wir uns ja meistens nicht einmal Gedanken ums eigene Leben, vielmehr beschäftigen wir uns mit dem Leben der anderen (Prominenten, Politikern, Nachbarn, Ausländern, Andersgläubigen et cetera), um damit ein wenig von der eigenen Lebensgeschichte abzulenken. Wir laufen mit einer lärmenden Maschine im Kopf herum und verstehen nicht, weshalb wir nicht zur Ruhe kommen. Verrückt, oder? Apropos: Kennen Sie Verrückte? Und damit meine ich nicht verrückt im positiven Sinn, sondern offensichtlich Wahnsinnige.

Die Wahnsinnigen

Zumeist werden Wahnsinnige ja weggesperrt, zu unserem aber auch zum eigenen Schutz. Doch hin und wieder entkommen sie aus dem Schutz der Anstalt und man trifft sie in der freien Wildbahn. In Städten, welche als Lebensraum den Wahnsinn begünstigen, öfter als am Land. Dann sitzt so ein Wahnsinniger plötzlich in der U-Bahn und spricht in einer Lautstärke, als wäre er allein auf der Welt. Damit meine ich nicht die penetranten Mobiltelefonbenutzer, obwohl dies durchaus auch ein Hinweis auf eine milde psychische Störung ist, ich spreche von offensichtlich Wahninnigen, ohne technisches Gerät am Ohr oder in der Hand, die mit ihrem unauförlichen Redeschwall die Aufmerksamkeit auf sich lenken und damit für Unsicherheit und teilweise auch Angst im öffentlichen Raum sorgen. Zumal die Worte deutlich auf eine massive psychische Störung hinweisen:

»Diese Hitze, ein Wahnsinn, jetzt reicht’s schon wieder. Der heißeste Juli seit Jahren. Und es bleibt auch so heiß, haben sie gesagt. Ich brauch’s nicht, diese Hitze … Scheiße, jetzt hab’ ich den Erlagschein daheim liegen lassen. Ich Trottl, ich! Das gibt’s doch nicht, bitte! Ich leg’ mir den Erlagschein noch extra aufs Vorzimmerkastl, damit ich ihn nicht vergiss … so eine Hitze, und der Gestank in der U-Bahn, waschen sich die eigentlich nicht? … Und jetzt stopfen wir wieder den Griechen die Milliarden in den Rachen, wobei, was heißt den Griechen? Die sehen das Geld ja nicht einmal, das kassieren eh nur die Banken … ich Trottel, ich, lass’ doch glatt den Erlagschein liegen von der Versicherung. Leg’ ihn mir extra noch hin und dann lass ich ihn liegen … eh schon wieder teurer geworden, die Versicherung. Indexanpassung, diese Schweine … die werden sich noch so lange spielen, bis sich die Griechen mit die Russen auf ein Packl schmeißen, na und dann gute Nacht … so eine Hitze, und im August, wenn ich Urlaub hab’, regnet’s dann sicher wieder … wie man nur so blöd sein kann, leg’ mir den Erlagschein noch extra hin, ein Hirn wie ein Nudelsieb … die sitzen ja auf Gas, die Griechen, und das wollen die Amerikaner sicher haben, das wird sich der Russ’ aber nicht gefallen lassen, so schaut’s aus … jetzt hätt’ ich fast ein bissl an Hunger, obwohl bei der Hitz’ soll man eh nicht so viel essen … ein Eis vielleicht … ich bin eh schon wieder viel zu blad … jetzt krieg’ ich sicher eine Mahnung wegen der Versicherung … eigentlich eh nur mehr Ausländer in der U-Bahn, das haben wir übersehen, das haben sie wirklich übersehen, die Politiker, und jetzt ham mas … und ich Trottl lass den Erlagschein liegen … na, ein kleines Eis, oder?«

Also offensichtlich ein vom Wahnsinn zerfressenes Gehirn, gefangen in der Schleife eines endlosen Redeschwalls. Und hier wird der Unterschied zwischen einem psychisch kranken Individuum und Ihnen selbst sehr deutlich.

Der Wahnsinnige sagt es, Sie aber denken es sich nur. Wahnsinn ist also oftmals nur ein Lautstärkeproblem. Aber wir haben ja gottlob die Möglichkeit, die lärmende Denkmaschine in unserem Kopf abzuschalten. Entweder durch Meditation oder noch einfacher mit einem Knopfdruck.

Durch einen einfachen Druck auf die TV-Fernbedienung können wir jemanden anderen für uns denken lassen, bis die Gedanken des anderen schließlich zu unseren eigenen Gedanken werden. Kabelloser Datentransfer sozusagen. Das lenkt dann nämlich vom eigenen »Leben« ab, und wir beschäftigen uns dann mit dem »Leben« anderer, das meistens toller oder beschissener als unseres ist. Was man nicht im TV sehen wollte, wäre die Verfilmung des eigenen »Lebens«. Das wäre schlicht zu langweilig.

Und indem wir einen großen Teil unserer Zeit damit verbringen, übers Leben nachzudenken, vergessen wir dabei oft zu leben. Begeben uns gedanklich in eine fiktive Welt, namens Zukunft oder Vergangenheit. Das heißt, wir sind geistig gar nicht da. Drum fragt der Kasperl ja immer: »Seid ihr alle da?« Nicht weil er schlecht sieht oder eine Anwesenheitsliste hat, sondern er fragt die Kinder, ob sie alle im »Dasein«, im Jetzt sind oder mit ihren Gedanken noch irgendwo herumfliegen. Sind Sie noch da? Oder fliegen Ihre Gedanken gerade herum, sind Sie schon knapp vorm Einschlafen, verlieren Sie die Zeilen, verschwimmen die Buchstaben, oder lesen Sie diesen Satz bereits zum zweiten oder dritten Mal? Verlieren Sie die Zeilen, verschwimmen die Buchstaben, oder lesen Sie diesen Satz bereits zum zweiten oder dritten Mal? Verlieren Sie die Zeilen, verschwimmen die Buchstaben, oder lesen Sie diesen Satz bereits zum zweiten oder dritten Mal?

Ganz schön anstrengend, ständig über »das Leben« nachzudenken. Das kostet Energie. Energie, die letztendlich dem Leben geraubt wird. Daher mein Vorschlag: Wir hören jetzt gemeinsam auf, über »das Leben« nachzudenken und werden den Rest dieses Buches ganz einfach nur miteinander leben …

Zehn Seiten einfach nur Leben

Wie ist es Ihnen mit den leeren Seiten ergangen? Haben Sie sie genossen, in ihnen den Raum, den es zu füllen gibt, erkannt? Oder haben Sie sie rasch überblättert und nach einem beschriebenen Blatt gesucht? Ärgern Sie sich, dass Sie für leere Blätter Geld bezahlt haben, oder haben Sie die leeren Seiten genutzt, um zu leben? War es Ihnen möglich, die Stille zu genießen, gegenwärtig zu sein? Oder hat Ihr Verstand nach dem Sinn von leeren Seiten in einem Buch gefragt? Fragen Sie sich manchmal nach dem Sinn? Sind Sie auf der Suche nach Ihrer Bestimmung? Vielleicht wäre es einfach an der Zeit, sich auf einen Stein zu setzen und die vorüberziehenden Wolken zu beobachten.

Diese Sätze stammen zugegeben nicht von mir, sie stammen von einem nicht unbedingt klugen und weitsichtigen aber durchaus cleveren Mann, Nestlé-Konzernchef Peter Brabeck-Letmathe. Und der weiß natürlich, wie gut es allen Menschen auf diesem Planeten geht und dass es daher keinen rationalen Grund zur Traurigkeit gibt.

Tschuldigen Sie, Herr Düringer, darf ich kurz stören?

Ist schon passiert …

Mein Name ist Eugen Prehsler. Verzeihung, wenn ich mich da so einfach in Ihr Buch einmische, aber ich bin grundsätzlich schon der Meinung vom Chef von Nestlé.

Aha. Wie dieses? Besitzen Sie Nestlé-Aktien, Herr Prehsler? Haben Sie vor, ins Trinkwassergeschäft einzusteigen?

Nein, nein, aber im Ganzen betrachtet geht es dem Menschen schon besser als früher.

Jetzt sind’S aber schon ein bisschen weltfremd, oder?

Glaub’ ich nicht. Zumindest nicht in diesem Punkt. Allerdings ist es schon eine Frage, wonach wir das bewerten und auch, für wen das gilt. Nur generell: Die guten alten Zeiten waren meistens gar nicht so gut und vor allem: Sie sind vorbei. Ich sehe viele Fragen und Probleme im Heute, von denen ich die wenigsten beantworten und lösen kann. Aber ich sehe auch Entwicklungen, die mir gefallen, weil sie der Menschheit dienen. Auch und gerade bei der Ernährung.

Der Biotrend verstärkt sich immer mehr, vegetarisch und vegan sind für einen Gastronomen mittlerweile fast unumgänglich. Auf dem Wiener Genussfestival oder auf den vielen Märkten findet man jede Menge kleine Produzenten von wirklich guten Lebensmitteln. McDonalds hat den neuen Marktanforderungen mit seinem Salatangebot schon entsprochen und es gibt sogar schon grüne Mäkkis. Gerade aktuell bringt IKEA neben seinen legendären Köttbullar die vegetarische Variante Grönsaksbullar. »Dies ist der erste Schritt, eine größere Auswahl an gesünderen und nachhaltigen Lebensmitteln anzubieten«, tönt es dazu aus der IKEA-Zentrale.

Wenn etwas aus einer IKEA-Zentrale tönt, wäre ich schon auf der Hut, Herr Prehsler. Die wollen Profit machen.

Da bin ich ganz bei Ihnen. Aber es tut sich viel in die richtige Richtung. Mehr kann es immer sein und schneller auch. Und jede und jeder von uns kann seinen Beitrag dazu liefern. Also fast jeder. In manchen meiner Lebensbereiche und in vielen meiner Lebensdetails zähle ich sicher zu den braven Systemtrotteln, wie Sie uns ja gerne bezeichnen, Herr Düringer. Ich hab’ genug in meinem Leben falsch gemacht, einiges davon bereinigt und mache dafür jetzt wieder einiges falsch. Ich bin nirgends ein Experte – sonst würden Sie mich wohl gar nicht hier schreiben lassen –, aber ich beschäftige mich beruflich und privat sehr viel mit der Frage: »Woher nimmt eine Gesellschaft ihre Energie?« Die braucht’s ja, um die großen Aufgaben zu bewältigen. In Europa fehlt mir diese Energie zu oft. Das hat mit Selbstwert und Identität zu tun. Mein Befund lautet: Wir sind fast alle UNTERliebt.

UNTERliebt, Herr Prehsler?

Ja, Herr Düringer. Das ist ein von mir erfundenes Wort. Es heißt nichts anderes, als dass viele von uns zu wenig Liebe bekommen, dass sie uns bewusst vorenthalten wird und dass wir mehr davon verdienen. Wir sind mehrheitlich Selbstwertflundern, die einen hohen Fremdwert haben. Irgendwie gehören die meisten von uns jemand anderem. Stellt sich die Frage: Wer hat uns so gemacht, wer ist dieser andere, und wem nutzt das?

Schließlich kamen wir alle als kleine Götter zur Welt, wenn ich Sie zitieren darf. Davon haben wir uns doch ziemlich weit entfernt. Darüber schreib’ ich übrigens gerade ein Buch.

Sie schreiben ein Buch, aha. Das ist lustig, ich schreibe nämlich auch gerade ein Buch. Wie wird Ihr Buch heißen?

Das klingt ein wenig nach einer Mischung aus technischem Fachbuch und Lebensratgeber. Was ist das für eine Formel, dieses

Ich rede sehr gerne über die Formel und das UNTERliebt-Sein. Ich schreib’ ja sogar drüber. Wie und von wem an unserem Selbstwert gebastelt wird, damit wir einen möglichst großen Fremdwert haben. Aber ich möchte Sie und Ihre Leserschaft nicht länger stören.

Nein, nein, Sie stören nicht. Aber wenn es uns, wie Sie meinen, grundsätzlich immer besser geht, wo kommt dann diese diffuse Traurigkeit her, Herr Prehsler? Meinetwegen diese große UNTERliebe. Können Sie das mir und meiner nackten Leserschaft, und vor allem, können Sie sich das selbst erklären?

Möglicherweise handelt es sich dabei um ein mathematisches Problem. Genau dafür hab’ ich ja meine Formel entwickelt. Lieber Leser, liebe Leserin – darf ich dir meine Formel vorstellen?

Sie sind oft beim IKEA, oder?

Wieso?

Sie duzen meine Leserschaft?

Ja. Sie nicht?

Nein.

Sie können ja beim Sie bleiben, wenn Sie diese Distanz brauchen. Also ich stelle dir, lieber Leser, liebe Leserin, kurz meine Todes- oder eben auch Lebensformel vor.

Setze in die folgende Gleichung deine Werte ein, wobei wir der Einfachheit halber LG mit zehn annehmen (das ist völlig willkürlich – für die, die jetzt zu überlegen angefangen haben, wieso 10?):

L steht übrigens für LIEBE.

Was hast du gedacht?

Und was hast du bei G, E und F vorzuschlagen?

Schreib ruhig deine Zahlen da rein, ist ja dein Buch!

Herr Düringer, ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, wenn Ihre Leser in diesem Buch herumkritzeln.

Überhaupt nicht, aber wenn es möglich wäre, bitte nur mit Bleistift, falls jemand anderer dieses Buch sich von Ihnen ausborgen sollte. Aber was genau soll man hier eintragen, Herr Prehsler?

Wenn du dich selbst nicht sehr magst, dann setze zum Beispiel bei LE eine Zwei oder eine Drei ein (bei null oder eins bist du eh schon im psychischen Koma). Wenn du auch von anderen nicht sehr gemocht wirst – zum Beispiel von deinen Eltern oder deinen Kindern – sagen wir zum Beispiel nur im Ausmaß von 3, dann schaut deine persönliche Liebesgleichung zum Beispiel so aus:

Was natürlich mathematisch ein Schwachsinn ist. Und im Leben auch. Aber es trifft eine klare Aussage:

10 ≠ 5, und du bist um fünf unterliebt.

Du bist um fünf UNTERLIEBT !

Sag, gefällt dir das Wort? UNTERLIEBT? … Ich bin echt stolz drauf, dass ich es erfunden habe. Ist so richtig schön klar und einfach und so richtig ungut.

Weil dieses UNTERLIEBT-Sein nämlich ganz schön weh tut und auf den Selbstwert und damit auf die Lebensenergie geht!

Kein Mensch weiß wirklich, was Liebe ist.

Aber sie soll schön sein. Nein, sie IST schön!

Und kein Mensch kann diese Liebe gesamt-mathematisch wirklich definieren.

Aber eines sollte schon klar sein: Je geringer deine Eigenliebe ist, umso mehr Fremdliebe brauchst du. Und genau da werden wir alle in unterschiedlichem Ausmaß ausgehebelt, manipuliert und missbraucht.

Schauen wir uns die Logik in der Gleichung noch einmal an:

Leute, Leute – das ist die große Abhängigkeit ! Und das macht traurig!

Danke, Herr Prehsler, eine durchaus plausible Erklärung. Und davon handelt dann Ihr Buch?

Ja, und von Wertschöpfung durch Wertschätzung und wie man mit Liebe den Gewinn maximieren kann. Das geht allerdings oft zu Lasten unseres Glückes und tut uns nicht immer gut. Da ist dann halt ein anderer glücklich. Wie wir uns selbst und auch unsere Kinder rekonstruieren können und unter anderem auch, wieso »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst« so ein gefährlicher Satz ist und ob Jesus das wirklich konsequent zu Ende gedacht hat.

Herr Düringer, ich darf mich bei Gelegenheit wieder zu Wort melden und mich in Ihr Buch einschreiben?

Wenn’s passt, gerne. Und schicken Sie mir eines Ihrer Bücher. Manches in Ihrem Buch klingt ja, als hätte ich es geschrieben.

Gleich und gleich gesellt sich eben gerne. Nicht dass wir jetzt gleich wären, aber ich glaube, dass Sie, Herr Düringer, und ich uns Ähnliches wünschen, uns Ähnliches antreibt und ich nebenbei auch manchmal als »weltfremd« wahrgenommen werde.

Die Affen erheben sich

Vielleicht rührt die allgemeine Unzufriedenheit und Traurigkeit neben mangelnder Selbstliebe auch daher, dass unsere Zeit sich immer mehr zur Gegenzeit entwickelt. Falls Sie den Begriff Gegenzeit jetzt zum ersten Mal hören, dann liegt es daran, dass ich ihn jetzt erst erfunden habe. Das Gegen- oder auch Antizeitalter hat so Dinge wie Anti-Faltencremes, Anti-Aging-Diäten, Anti-Terroreinheiten, Anti-Babypillen, Anti-Raucherkampagnen, antibakterielle Mundwässer und natürlich Antidepressiva hervorgebracht.

Die man ja braucht, wenn man in einer Zeit, die gegen alles ist und gegen alles ein Mittel hat, leben muss. Unsere Mundwinkel hängen oft schon nach dem morgendlichen Erwachen bis zu den Fersen hinunter, weil uns wieder ein harter Kampf bevorsteht. Kein Überlebenskampf in dem Sinn, sondern ein Kampf gegen alles, wo man dagegensteuern muss. Kampf gegen Krankheiten, Kampf gegen Drogen, Kampf gegen den Klimawandel, Kampf gegens Unkraut. Kampf gegen den Hunger, Kampf gegen die Armut, Kampf gegen den Terror, Kampf gegen den Faschismus … und alle diese Kämpfe haben wir bis jetzt nicht gewonnen und werden wir auch nicht. Nicht mit heruntergezogenen Mundwinkeln und einem »Antileben« gegen das Leben. Nicht mit einem Denken, dass noch immer Konkurrenz präferiert und Kooperation verweigert. Warum gegeneinander?

Liegt es daran, dass es bei »Früher«, ganz oben, am Beginn unserer Geschichte mit einem beinharten Konkurrenzkampf begonnen hat? Das ist nicht wissenschaftlich belegt, könnte sich aber ähnlich zugetragen haben.

Die Geschichte der Menschheit begann mit einer ziemlichen Katastrophe. Vor mehreren Millionen Jahren zerbrach ein ganzer Kontinent: Afrika (hatte also offenbar schon zu Frühzeiten die Arschkarte gezogen). Ja, und wenn so ein Kontinent zerbricht, dann tut sich was, keine Frage. Die Erde speit Feuer, der Himmel verdunkelt sich, das Klima verändert sich, die Vegetation geht zurück, die Bäume sterben. Die Affen hatten aber schon immer auf den Bäumen gelebt, denn dafür sind sie ja gebaut. Wenn nun die Bäume weniger werden, ist es klar, dass da ein ziemlicher Konkurrenzkampf um die besten Plätze auf den Bäumen entsteht. Und wie es in der Natur nun einmal so ist, die kräftigen, intelligenten, überlebensfähigen Affen blieben oben und haben die patscherten und dümmlichen Affen ganz einfach von den Bäumen geworfen und ins Steppengras verbannt. Zorn, Frust und Missgunst darüber waren nun ständige Begleiter der Heruntergetretenen: »Es glaubts a, nua weus stärka und gscheida sats, sats wos Bessas. Oba woats nur, irgendwoan kummt unsa Zeit und doan sperr ma eich in Zoo.« Ja, und so zogen die heruntergetretenen Affen in der Hoffnung auf späte Rache durchs Steppengras. Einer von ihnen, ein etwas älterer und unter den nicht allzu Klugen ein etwas Klügerer, hatte aufgrund seiner ständig gebückten Haltung unter ständigen Kreuzschmerzen zu leiden. Um den Rücken zu entlasten, richtet er sich hin und wieder auf, um sich zu strecken. Dabei blickt er über das Steppengras und sieht vor sich die weite Welt und staunt, was es da jenseits vom hohen Gras zu sehen gibt.

Der erste Affe hatte sich aufgerichtet, und er sah unbeschreibliche Dinge. Nun stand er also aufrecht da … und bereits wenige Minuten später war er vom Säbelzahntiger gefressen, denn der aufrechte Affe sah nicht nur, er wurde auch gesehen. Jedenfalls war es einmal ein erster Versuch, und ein Anfang war getan. Dann dauerte es schon noch einige Zeit, bis die Steppengras-Affen so weit waren, dass sie aufrecht gehen konnten und nicht vom Säbelzahntiger gefressen wurden. Hunderttausende wenn nicht sogar Millionen Jahre.

Manche Dinge brauchen eben Zeit, man glaubt es kaum. Zeit ist ja heute Mangelware, sie ist knapp, und unser Leben ist oft ein Kampf mit und natürlich gegen die Zeit. Schauen Sie doch selbst einmal auf die Uhr, wie spät es schon wieder geworden ist. Sie und ich, wir beide haben die Uhr …

Der Neandertaler hatte die Zeit

Und die war aus heutiger Sicht nicht lang. Der durchschnittliche Neandertaler, damit mein’ ich nicht den Herrn Neandertaler, sondern die Gattung, also Herrn und Frau Neandertaler, die NeandertalerInnen (dieses Buch enthält auch keine Allergene und ich hoffe, dass Sie so wie ich ein Mensch mit besonderen Bedürfnissen sind, auch wenn Ihre Mobilität fallweise, insbesondere im Stau, eingeschränkt ist und sie dadurch behindert werden), der Neandertaler starb im zarten Alter von 25. Und jetzt haben Sie natürlich fast ein wenig Mitleid mit dem armen Neandertaler, denn nach nur 25