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Carlo Masala

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Beschreibung

Carlo Masala warnt in diesem Buch vor den Illusionen des Westens: der Illusion, die Globalisierung würde automatisch zur Verbreitung der Demokratie führen, der Illusion einer zunehmenden Verrechtlichung der internationalen Beziehungen, aber auch der Illusion, durch militärische Interventionen ließen sich Demokratie und Stabilität exportieren. Seit der Niederlage in Afghanistan und Putins Krieg gegen die Ukraine stehen die Grundlagen westlicher Außen- und Sicherheitspolitik auf dem Prüfstand. Was muss sich ändern, damit wir in der neuen Weltunordnung bestehen können? Nach dem Ende des Kalten Krieges hofften die USA und ihre Verbündeten, das internationale System gemäß den eigenen Vorstellungen umgestalten zu können. Doch anstatt Ordnung zu stiften, wurde Chaos geschaffen. Der Traum von der Verwestlichung der Welt ist heute ausgeträumt. Zurück bleibt eine durch Multipolarität, Blockbildung und Unsicherheit geprägte Weltunordnung, die die internationale Politik noch lange bestimmen wird. Auf welche Herausforderungen müssen wir uns in Deutschland und Europa einstellen? Welche Machtmittel stehen uns zur Verfügung? Wir brauchen, so lautet die zentrale These von Carlo Masala, einen realistischen Blick auf die internationalen Beziehungen, der sich von Illusionen befreit, die geostrategischen Gegebenheiten berücksichtigt und wieder lernt, die Sprache der Macht nicht nur zu lesen, sondern sie auch zu sprechen.

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Carlo Masala

WELTUNORDNUNG

Die globalen Krisenund die Illusionen des Westens

C.H.Beck

Zum Buch

Carlo Masala warnt in diesem Buch vor den Illusionen des Westens: der Illusion, die Globalisierung würde automatisch zur Verbreitung der Demokratie führen, der Illusion einer zunehmenden Verrechtlichung der internationalen Beziehungen, aber auch der Illusion, durch militärische Interventionen ließen sich Demokratie und Stabilität exportieren. Seit der Niederlage in Afghanistan und Putins Krieg gegen die Ukraine stehen die Grundlagen westlicher Außen- und Sicherheitspolitik auf dem Prüfstand. Was muss sich ändern, damit wir in der neuen Weltunordnung bestehen können?

Nach dem Ende des Kalten Krieges hofften die USA und ihre Verbündeten, das internationale System gemäß den eigenen Vorstellungen umgestalten zu können. Doch anstatt Ordnung zu stiften, wurde Chaos geschaffen. Der Traum von der Verwestlichung der Welt ist heute ausgeträumt. Zurück bleibt eine durch Multipolarität, Blockbildung und Unsicherheit geprägte Weltunordnung, die die internationale Politik noch lange bestimmen wird. Auf welche Herausforderungen müssen wir uns in Deutschland und Europa einstellen? Welche Machtmittel stehen uns zur Verfügung? Wir brauchen, so lautet die zentrale These von Carlo Masala, einen realistischen Blick auf die internationalen Beziehungen, der sich von Illusionen befreit, die geostrategischen Gegebenheiten berücksichtigt und wieder lernt, die Sprache der Macht nicht nur zu lesen, sondern sie auch zu sprechen.

Über den Autor

Carlo Masala ist Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr und gefragter Kommentator für deutsche und ausländische Medien sowie häufiger Gast in den großen Polit-Talkshows.

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Die Illusionen des Westens

Die Illusion der Demokratisierung

Die Illusion der militärischen Interventionen

Die Illusion der Institutionalisierung

Die Illusion der Verrechtlichung

2. Die großen Mächte in der Weltunordnung

Das Ende des amerikanischen Jahrhunderts?

Aufstrebende Mächte im 21. Jahrhundert

Ad-hoc-Koalitionen als Alternative

3. Neue Herausforderungen

Staatszerfall

Nationalismus und Re-Nationalisierung

Hybride Herausforderungen

Eine Welt auf Wanderung

Digitalisierung

Fazit

Zeitenwende. Auf dem Weg zu einer neuen Ordnung?

Danksagung

Anmerkungen

Einleitung

1. Die Illusionen des Westens

2. Die großen Mächte in der Weltunordnung

3. Neue Herausforderungen

Fazit

Zeitenwende. Auf dem Weg zu einer neuen Ordnung?

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

«Wäre Tun so leicht wie Wissen, was gut zu tun ist, so wären Kapellen Kirchen geworden und armer Leute Hütten Fürstenpaläste.»

(Portia im «Kaufmann von Venedig»)

«And of course, stability isn’t nearly so spectacular as instability.»

(A. Huxley: Brave New World)

Einleitung

Als der Ost-West-Konflikt mit dem Fall der Mauer und der Implosion der Sowjetunion zu Ende ging, herrschte allerorten Euphorie. Das Ende der Geschichte, der Beginn des ewigen Friedens oder die gemeinsame globale Verantwortung aller Staaten für das Schicksal der Menschheit – dies sind nur einige Metaphern für den damals verbreiteten Optimismus, dass nach fast 45 Jahren harter Konfrontation zwischen den Blöcken nunmehr ein Zeitalter des Friedens und der Stabilität anbrechen würde.

Blicken wir auf die internationale Politik des 21. Jahrhunderts, dann bietet sich dem Betrachter ein gänzlich anderes, chaotisches, in Teilen beängstigendes Bild. Vermeintlich mächtige Staaten verlieren Kriege gegen schwächere Gegner; der Krieg zwischen Staaten, der vielen als ein Relikt der Politik des 18. und 19. Jahrhunderts galt, kehrt auf die globale Bühne zurück; multinationale Konzerne sowie unsichtbare Akteure wie Finanzmärkte scheinen eine kaum einzuhegende Machtfülle zu besitzen. An allen Ecken und Enden des Globus zerfallen Staaten, zumeist gewaltsam. Globale und regionale Institutionen verlieren zusehends an Einfluss.

Glauben Staaten, dass sie ein Problem im Griff haben, tritt ein neues zutage – oder die Lösung eines Problems bringt ein anderes hervor. Darüber hinaus treten eine Vielzahl neuer Sicherheitsrisiken auf den Plan (etwa Terrorismus, Pandemien, Klimawandel), deren Unberechenbarkeit und Anonymität den meisten Menschen Angst machen und Staaten vor bislang nicht gekannte Herausforderungen stellen.

«Die Welt ist aus den Fugen geraten. Wir erleben eine Krisendichte wie seit 20 Jahren nicht mehr. Aber es ist nicht nur die Krisendichte, sondern auch die unterschiedlichen Akteure und die asymmetrischen Konflikte, die die Lage so kompliziert machen», fasste Frank-Walter Steinmeier diese Eindrücke unlängst zusammen.[1] Wenn selbst führende Außenpolitiker die Welt als Chaos erleben, dann verwundert es nicht, dass der Eindruck, in einer unberechenbaren Zeit zu leben, auch in der Bevölkerung weitverbreitet ist.[2] Ein kluger Beobachter, Robert Kaplan, hat bereits Anfang des neuen Millenniums eine neue «Anarchie» vorausgesehen, und die Band R.E.M. liefert mit ihrem 1987 veröffentlichten Song «It’s the end of the World as we know it» scheinbar den Soundtrack für die internationale Politik des 21. Jahrhunderts.

Parallel zu diesem vermeintlichen Chaos, das die internationale Politik kennzeichnet, erleben wir seit nunmehr fast 30 Jahren unzählige Versuche und Bemühungen, eine neue Ordnung zu etablieren. Die Konzepte, die vorgelegt, entwickelt und in der politischen Praxis ausprobiert wurden, sind Legion. Sie reichen von Ideen wie einem neuen globalen Machtkonzert über mehr imperiale Führung, stärkere globale Organisationen und regionale Integration nach dem Vorbild der Europäischen Union bis zu utopischen Ideen wie der Gründung einer Weltföderation. Sie alle haben aber bislang nicht zu einer stabilen Ordnung für das 21. Jahrhundert geführt.

Im Gegenteil, die Versuche der «westlichen» Welt, nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes eine neue globale Ordnung zu schaffen, haben in einem nicht unerheblichen Maße dazu beigetragen, dass wir heute in einer Welt der Unordnung leben. Diese These mag verwundern, wird doch in der Politik, in den Medien und im Journalismus oftmals argumentiert, dass das Chaos, das in Regionen wie dem Mittleren und Nahen Osten oder in Teilen Afrikas herrscht, primär von einer fehlgeleiteten Politik der Akteure in der Region herrührt und nicht die Konsequenz der Politik des Westens ist. Und es ist auch erstaunlich, wie wenig der «Westen» aus seiner fehlgeschlagenen Politik der Universalisierung seiner Werte und Normen gelernt hat. So als ob es das Scheitern in Afghanistan (2001), im Irak (2003) oder in Libyen (2011) nie gegeben hätte, erschallt bei fast jeder neuen Krise, jedem neuen Konflikt sofort der Ruf nach Intervention des Westens und wird die Demokratisierung als Allheilmittel der Konfliktlösung propagiert. Aber die Versuche, die Demokratie global auszuweiten oder die internationale Politik immer stärker den Regeln des Rechts zu unterwerfen, stießen und stoßen auf den Widerstand eines nicht unerheblichen Teils der Staaten im internationalen System. Der Versuch, die Welt zu verwestlichen, ist, so kann man mehr als 25 Jahre nach dem Ende der globalen Machtkonfrontation zwischen den USA und der UdSSR mit Recht behaupten, gescheitert. Dies ist eine der zentralen Thesen dieses Buches.

Optimisten sehen die Gegenwart als ein Interregnum, einen Zwischenzustand, der über kurz oder lang zu Ende gehen wird.[3] Sie sind unterschiedlicher Auffassung darüber, wie dieses Ende aussehen wird. Gemein ist ihnen allen jedoch, dass sie schließlich eine neue Ordnung, Stabilität und, bis zu einem gewissen Grade, Berechenbarkeit erwarten. Pessimisten hingegen befürchten, oftmals in Szenarien, die von Oswald Spenglers Diagnose eines «Untergangs des Abendlandes» inspiriert erscheinen, dass das internationale System auf Dauer ins Chaos abgleiten wird,[4] in einen Zustand, den Thomas Hobbes vor Jahrhunderten als «Krieg aller gegen alle» bezeichnet hat.[5] Am Vorabend der hundertsten Wiederkehr des Beginns des Ersten Weltkrieges machten Analogien zu 1914 die Runde.[6] Hysterische Beobachter zogen angesichts des Russisch-Ukrainischen Krieges gar einen Vergleich mit dem September 1939.[7] Alle Pessimisten eint die Furcht, dass die Großmächte des gegenwärtigen internationalen Systems, wie einst 1914, wie Schlafwandler[8] oder gar bewusst[9] in eine erneute militärische Auseinandersetzung hineinschlittern, die diesmal jedoch unter Rückgriff auf Nuklearwaffen geführt werden würde. Als Motto könnte den Pessimisten der Warnruf Eddard Starks aus «Game of Thrones» gelten: «…now winter is truly coming. In the winter, we must protect ourselves…». Ihre Vorstellungen der Wiederherstellung von Ordnung in der internationalen Politik gehen zumeist mit dem Gedanken einher, dass ein Staat, mehrere Staaten oder gar eine internationale Organisation die Führung in diesem Prozess übernehmen muss.

Die Frage nach der möglichen zukünftigen Ordnung ist für Politiker, Wissenschaftler, aber auch für die Bürger zentral, denn in ihr drückt sich ein zutiefst menschliches Bedürfnis aus. Der Politikwissenschaftler Hedley Bull hat Ordnung sowohl im Zusammenleben einzelner Menschen als auch in sozialen Gruppen oder zwischen Staaten definiert als ein Muster, das zu einem bestimmten Ergebnis führt, als ein Arrangement des sozialen Lebens, das bestimmte Ziele oder Werte befördert.[10] Für Individuen bedeutet Ordnung Berechenbarkeit, Verhaltenssicherheit und letzten Endes auch die Garantie für ihr physisches Überleben.[11] Lebewesen versuchen Unordnung immer wieder in Ordnung zu überführen.[12] Sie soll den «Krieg aller gegen alle» verhindern, den der Philosoph Thomas Hobbes als den Urzustand allen menschlichen Zusammenlebens sah. Herrscht Unordnung, gibt es dagegen keine Vorhersagbarkeit. Entwicklungen folgen scheinbar keiner inneren Logik oder aus der Vergangenheit bekannten Prinzipien.[13] Mit einer Eskalation hin zu individueller oder kollektiver Gewaltanwendung muss jederzeit gerechnet werden. Dauerhafte Unordnung ist für Individuen und kollektive Akteure schwer zu ertragen.[14] Es scheint dem Menschen eine angeborene Erwartung zu sein, «Regelmäßigkeiten zu finden», wie es der Philosoph Karl Raimund Popper formulierte.[15]

Leider spricht heutzutage vieles dafür, dass genau diese Unordnung, die Akademiker, Praktiker und die an internationaler Politik interessierten Bürger beunruhigt, mehr als eine Übergangsphase ist; weniger Interregnum als vielmehr Stabilis. Sie ist der Zustand, an den wir uns, auch wenn er unserer ordnungsliebenden Natur zuwiderläuft, gewöhnen sollten – und an den sich staatliche Politik anpassen muss. Dies ist die zweite These des vorliegenden Buches.

Es geht der Frage nach, wie und warum die Versuche der westlichen Welt, nach 1990 eine «neue» globale Ordnung zu schaffen, gescheitert sind und unter welchen Rahmenbedingungen Staaten und nicht-staatliche Akteure im internationalen Bereich zukünftig handeln werden. Viel ist bereits darüber nachgedacht und geschrieben worden. Die bisherige Literatur zur neuen Weltordnung orientiert sich jedoch entweder an historischen Phasen der Neuordnung, aus denen sie Orientierung gewinnen will, oder sie beschreibt wünschbare Ordnungen.

Dieses Buch verfolgt eine andere Zielsetzung. Es geht davon aus, dass die sich in der internationalen Politik seit nunmehr fast 30 Jahren herausbildende (Un-)Ordnung keine historischen Vorläufer hat. Daher kann ein Blick in die Geschichte uns auch keinen Aufschluss darüber geben, was für eine Ordnung wir zukünftig zu erwarten haben und wie Staaten sich verhalten werden und sollen. Und dieses Buch stellt auch nicht den Versuch dar, eine bestimmte, vom Verfasser gewünschte Ordnung der internationalen Politik im 21. Jahrhundert zu entwerfen. Es wendet sich gegen all jene in Politik, Medien und Wissenschaft, die ihre Analysen und Kommentare der internationalen Politik oder gar ihre konkreten politischen Forderungen von dem gefährlichen Wunschdenken leiten lassen, dass es ein bestimmtes liberales Modell für eine neue Weltordnung gebe, dem man notfalls mit Gewalt zum Durchbruch verhelfen müsse. Wunschdenken ist jedoch kein guter Ratgeber für eine kluge Politik. Sie muss vielmehr mit den Realitäten rechnen und das Erreichbare gegen das Wünschbare abwägen. So sehr wir uns über bestimmte Potentaten aufregen mögen und so sehr wir politische Systeme verachten, die nicht unseren Maßstäben entsprechen: Wir können uns nicht aussuchen, wer in anderen Teilen der Welt die Macht besitzt. Kluge Politik muss auch mit Diktatoren verhandeln, die wir für ihre Taten verabscheuen. Wer versucht, die eigene Außenpolitik allein an moralischen Maßstäben auszurichten, und die Welt nach den Kategorien von Gut und Böse einteilt, der wird nicht Ordnung schaffen, sondern nur immer wieder neues Chaos anrichten – insbesondere dann, wenn er auf den Gedanken verfällt, das Gute herbeibomben zu wollen. Insofern ist das vorliegende Buch auch als ein Plädoyer für eine kluge, realistische Politik für das 21. Jahrhundert zu verstehen.

Daher soll hier zunächst einmal die (Un-)Ordnung der Gegenwart analysiert werden, von der der Verfasser glaubt, dass sie auf lange Sicht Bestand haben wird. Sie gibt den Rahmen vor, in dem sich die internationale Politik des 21. Jahrhunderts abspielen wird und zeichnet sich im Wesentlichen dadurch aus, dass sie keine festen Strukturen kennt. Sie ist von Ad-hoc-Entwicklungen gekennzeichnet, in denen sich immer neue Koalitionen oder Gruppen von Staaten zusammenfinden, um den Versuch zu unternehmen, Probleme zu lösen. Diese Bemühungen werden mal mehr und mal weniger von Erfolg gekrönt sein, doch es bildet sich keinerlei feste Ordnung heraus. Die internationale Politik wird auf lange Zeit unübersichtlich bleiben und wir müssen uns darauf einstellen. Das Klein-Klein der konkreten Problemlösung in wechselnden Koalitionen wird wichtiger als große Visionen einer neuen Weltordnung. Stabilität und Frieden rücken in den Vordergrund gegenüber Moral und Demokratie. Nichteinmischung in die Angelegenheiten anderer Staaten gewinnt wieder die Oberhand gegenüber humanitären Interventionen und Regimechange.

Anders als die meisten Pessimisten meinen, bedeutet die neue Weltunordnung jedoch keinesfalls, dass wir uns auf dem Weg in ein neues «dunkles Zeitalter» befinden. Wie ich im Verlauf des Buches darlegen werde, besteht einer der Vorteile der «neuen» internationalen Politik darin, dass ein großer, umfassender, mit Nuklearwaffen geführter Krieg zwischen den bereits existierenden und den zukünftigen Großmächten im internationalen System auf absehbare Zeit ausgeschlossen werden kann. Der «lange Frieden»,[16] der seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges zwischen den Großmächten herrscht, und den Ausbruch eines heißen Dritten Weltkrieges verhindert hat, wird uns auch im 21. Jahrhundert erhalten bleiben.

Allerdings werden wir uns daran gewöhnen müssen, dass Großmächte außerhalb ihres unmittelbaren Einflussbereichs nur noch begrenzt Macht ausüben können, dass sie neben dem Willen, einen umfassenden Krieg zu vermeiden, kaum gemeinsame Interessen und Vorstellungen dahingehend haben (und auch nicht entwickeln werden), wie eine stabile Struktur der internationalen Politik des 21. Jahrhunderts aussehen könnte und dass viele Regionen dieser Welt auf unabsehbare Zeit ins Chaos abgleiten, wodurch Krieg, Staatszerfall und terroristische Aktivitäten das Bild prägen werden, das sich uns dort bietet.

Dieses Buch ist aus einer realistischen Sichtweise heraus verfasst und wendet sich dezidiert gegen eine liberale Betrachtung der internationalen Politik. Liberale haben eine optimistische Perspektive auf das internationale Geschehen. Sie gehen davon aus, dass es möglich ist, die Konfliktanfälligkeit auf der internationalen Ebene durch gute und kluge Politik zu minimieren und den Wohlstand für alle in der Welt zu mehren. Zentral für liberales Denken ist die Überzeugung, dass es so etwas wie «gute» und «böse» Staaten gibt, wobei gute Staaten sich durch ihre demokratische Regierungsform auszeichnen. Daraus folgt aus liberaler Sicht, dass eine Welt voller Demokratien eine friedfertigere wäre, in der Macht und das Streben nach Macht zunehmend irrelevant werden. Je demokratischer die Welt wird, so die Auffassung liberaler Theoretiker, desto mehr Kooperation wird es zwischen Staaten geben, desto mehr wird sich internationale Politik am Allgemeinwohl orientieren. Wenn eine liberale Sicht auf die internationale Politik in Staaten mit großen Machtpotenzialen dominiert, dann wird sie gefährlich. Denn dann werden Staaten versucht sein, diese Sichtweise mit den ihnen zur Verfügung stehenden Machtmitteln umzusetzen.

Dem stelle ich eine realistische Sichtweise auf die internationale Politik entgegen, die von der Annahme ausgeht, dass internationale Politik primär durch das Streben nach Macht gekennzeichnet ist. In einer Welt, in der es keine den Staaten übergeordnete Instanz gibt, die darüber wacht, dass Regeln eingehalten werden und die, wenn Regeln verletzt werden, diese automatisch sanktioniert, sind Staaten stets um ihre eigene Sicherheit besorgt. Und um diese zu garantieren, streben sie nach Macht. Dadurch entsteht zwischen Staaten ein Wettbewerb, der durchaus in Krieg münden kann. Großmächte sind in dieser Sichtweise die eigentlichen und zentralen Antriebskräfte der internationalen Politik. Sie ringen miteinander um regionale und letzten Endes auch um globale Vorherrschaft. Ihr Handeln wird nicht durch eine Orientierung am Allgemeinwohl motiviert, sondern durch ihre nationalen Interessen (was immer sie dafür halten). Institutionen, Regeln und Normen sowie das Völkerrecht haben in meiner realistischen Sichtweise eine eher nachrangige Bedeutung zur Erklärung der internationalen Politik.

Dieses Buch ist auch als Einmischung eines Politikwissenschaftlers in die öffentliche Debatte in Deutschland gedacht und konzipiert. Es wendet sich zuvorderst an die interessierte und weniger an die Fach-Öffentlichkeit. Während Wirtschaftswissenschaftler und Historiker häufig als öffentliche Intellektuelle auftreten und auch Gehör finden, sind es oftmals Journalisten oder selbsternannte Experten, die zu Fragen der internationalen Politik in den Medien auftreten und die Debatten in Deutschland beeinflussen. Ursächlich hierfür ist u.a. der selbstgewählte Rückzug der deutschen Politikwissenschaft (ich spreche hier insbesondere von meiner Teildisziplin, den Internationalen Beziehungen) in den Elfenbeinturm der Wissenschaft. Politikwissenschaft, die sich in öffentliche Debatten einmischt, Position bezieht, gilt vielen Kolleginnen und Kollegen als unseriös und ist in der deutschen Wissenschaftslandschaft nicht karrierefördernd. Dabei, so ist meine Überzeugung, hat die Politikwissenschaft der Öffentlichkeit gegenüber nicht nur eine Verantwortung, sich mitzuteilen, sie hat ihr darüber hinaus auch einiges zu sagen. Nicht im Duktus eines Oberlehrers, sondern eher im Sinne eines Übersetzers, dessen Aufgabe es ist, wissenschaftliche Erkenntnisse oder Debatten um aktuelle Fragen der internationalen Politik in eine Sprache zu übersetzen, die «jeder versteht». Dies will das vorliegende Buch versuchen. Es will übersetzen und dabei auch Position beziehen, nicht im Akademischen verweilen. Dies wird hoffentlich zu Kontroversen führen, zu Debatten über zugespitzte Thesen und Argumente.

1. Die Illusionen des Westens

Am 11. September 1990, am Vorabend des zweiten Irakkrieges, hielt der 41. Präsident der Vereinigten Staaten, George H. W. Bush, anlässlich einer gemeinsamen Sitzung des US-Repräsentantenhauses und des US-Senats eine Rede, in der er seine Vorstellung einer neuen Weltordnung darlegte. Zwar existierte die Sowjetunion noch, aber der Ost-West-Konflikt neigte sich unweigerlich seinem Ende zu. Zudem hatte Moskau im UN-Sicherheitsrat mit den USA für die Resolution 678 gestimmt, die einer Koalition der Willigen und Fähigen erlaubte, mit allen notwendigen Mitteln (inklusive militärischer) den Irak zur Aufgabe der Besetzung Kuwaits zu zwingen.

In dieser Situation formulierte der Präsident seine Vision zukünftiger internationaler Politik. Laut George Bush gäbe es die einzigartige Möglichkeit, eine Welt zu erschaffen, in der die Menschen frei von der Angst vor Terror leben könnten, in der die Beziehungen zwischen den großen Mächten, zwischen allen Staaten, durch das internationale Recht und nicht das Recht des Stärkeren geprägt seien; eine Welt, die insgesamt sicherer und friedfertiger sein würde.[1]

Und in der Tat schienen 1990 die Voraussetzungen für diese andere Welt gegeben zu sein. Zum ersten Mal in der Geschichte der internationalen Beziehungen veränderte sich die Machtstruktur des internationalen Systems (von der Bi- zur Unipolarität) nicht infolge eines großen Krieges, sondern aufgrund der Tatsache, dass ein Akteur (die UdSSR) als Machtfaktor wegbrach. Und der Glaube, dass mit dem Ende der macht- und ordnungspolitischen Konfrontation zwischen Ost und West das Zeitalter des «ewigen Friedens» angebrochen sei, war nicht nur bei politischen Idealisten weitverbreitet.

Heute lässt sich mit Fug und Recht behaupten, dass der damalige Traum einer neuen Welt ausgeträumt ist. Vereinfacht gesprochen scheiterten westliche Ordnungsvorstellungen für das ausgehende 20. und das beginnende 21. Jahrhundert daran, dass sie versuchten, liberales Gedankengut zu universalisieren, um ihre eigene Sicherheit zu verbessern und die Welt zu einem sichereren Ort zu machen. Letzteres hat sich ins Gegenteil verkehrt.

Die großen, illusionären Träume des «Westens», allen voran der Vereinigten Staaten von Amerika, bestanden darin, Strukturen schaffen zu können, die die «westliche» Vorherrschaft über den Rest der Welt festschreiben. Intellektuell wurden diese Versuche durch zwei Strömungen beeinflusst, die in der Folgezeit eine unheilvolle politische Allianz eingingen (und bis auf den heutigen Tag eingehen). Auf der einen Seite standen Denker wie Francis Fukuyama, der von der These ausging, dass mit dem Zusammenbruch der UdSSR jegliche gesellschaftliche Alternative zu Demokratie und freier Marktwirtschaft auf lange Zeit diskreditiert sei und sich diese nunmehr als globale Ordnungsprinzipien durchsetzen würden. Mit seinem Buchtitel «Das Ende der Geschichte» wollte Fukuyama nicht behaupten, dass ab sofort keine großen Ereignisse mehr stattfinden würden. Gemeint war vielmehr, dass die der gegenwärtigen liberalen Ordnung zugrunde liegenden Prinzipien und Institutionen nicht mehr infrage gestellt werden könnten.

Von anderer Seite wurde argumentiert, dass aus dem unipolaren Momentum der USA[2] etwas Dauerhaftes erwachsen würde. Die Gründe hierfür sah William Wohlforth z.B. darin, dass die übergroßen Machtpotenziale der USA andere Staaten und Staatenkoalitionen entmutigen würden, Gegenmachtbildung zu betreiben, wissend, dass ein solcher Prozess ungeheure Ressourcen erfordern würde und langwierig sei. Wohlforth und sein zeitweiliger Ko-Autor Brooks verbanden mit einer andauernden Unipolarität des internationalen Systems auch Hoffnungen auf eine friedfertige Zukunft, denn das Faktum, dass die USA allen anderen Staaten oder möglichen Staatenkoalitionen machtpolitisch überlegen seien, würde Anreize zur Kooperation schaffen, Großmächtekonflikte reduzieren und die Möglichkeit eröffnen, lokale Krisen und Konflikte abzumildern.[3]

Diese optimistische Sichtweise auf die unipolare Stellung der USA wird von anderen Autoren nicht nur geteilt, sondern auch weitergedacht. Durch ihre Übermacht würde sich die Möglichkeit eröffnen, das westliche Modell der Demokratie und freien Marktwirtschaft zu universalisieren.[4] Insbesondere die während der ersten Amtszeit George W. Bushs (2001–2005) dominierende intellektuelle Strömung der Neokonservativen sah die Machtstellung der USA als eine einmalige Gelegenheit, die Spielregeln der internationalen Politik dauerhaft zu ändern, um dadurch die Vereinigten Staaten und letzten Endes die gesamte Welt sicherer zu machen.[5] Den Neokonservativen, aber auch anderen, des Neokonservatismus nicht verdächtigen Autoren[6] ist gemein, dass sie sich von der Vorherrschaft eines demokratischen Staates im internationalen System eine zivilisierende Wirkung erhoffen.[7] Andere wiederum plädierten dafür, dass die USA die Gunst der Stunde ausnutzen und ihre militärische Präsenz global ausweiten sollten.[8]

Die meisten Befürworter amerikanischer Unipolarität sowie des Endes der Geschichte sind sich darin einig, dass eine Welt unter US-Vorherrschaft besser sei als unter der Vorherrschaft jedes anderen potenziellen machtpolitischen Konkurrenten, weil es sich bei den USA um einen demokratischen Staat handelt und sie sich davon einen pazifizierenden Einfluss auf Entwicklungen im internationalen System erhoffen. Amerika müsse führen, um die Welt zu retten, so der alarmistische Ruf Robert Kagans.[9] Aber dieses Argument ist nur die eine Seite der Medaille. Vielen Protagonisten dieser Unipolarität, wie z.B. Dick Cheney, ging es lediglich darum, den amerikanischen Einflussbereich global auszudehnen und dadurch amerikanische Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen zu verfolgen. Der rhetorische Verweis auf die Vorteilhaftigkeit amerikanischer Führung diente diesen «America-First»-Protagonisten lediglich dazu, die eigentliche Intention ihres Handelns zu kaschieren.

In Europa wurde das Ziel einer friedfertigeren, demokratischeren Welt uneingeschränkt geteilt. Lediglich hinsichtlich der Mittel zu ihrer Erlangung gab es Differenzen. Während in den Vereinigten Staaten der Einsatz von Streitkräften zur Durchsetzung dieser Politik als ein wichtiges Mittel erachtet wurde, vertrauten die Europäer – in Ermangelung global einsatzfähiger Armeen – lieber auf Dialog, Inklusion, Konditionierung und notfalls Sanktionen.

Auf beiden Seiten des Atlantiks setzte sich damit ein liberaler Imperialismus durch. In den USA in einer harten und in Europa in einer weichen Form, aber letzten Endes war man sich in der Zielsetzung einig. Die Versuche, das internationale System nach westlich-liberalen Vorstellungen zu gestalten, sollten jedoch scheitern, denn sie beruhten gleich in mehrfacher Hinsicht auf Illusionen.

Die Illusion der Demokratisierung

Wie bereits erwähnt, herrscht in den USA und auch in europäischen Hauptstädten der Glaube vor, dass eine Welt, in der es mehr Demokratien als andere Staatsformen gibt, eine friedfertigere Welt sei, da Demokratien untereinander anders miteinander umzugehen pflegen als undemokratische Staaten. Präzise auf den Punkt gebracht geht es um die Annahme, dass Demokratien untereinander keine Kriege führen. Und Anfang der 90er Jahre sah es in der Tat so aus, als ob Fukuyama mit seiner These von der Konkurrenzlosigkeit der demokratischen Staatsform und des liberal-kapitalistischen Wirtschaftssystems recht bekommen würde. Die mittel- und osteuropäischen Staaten, die Russische Föderation und eine Reihe afrikanischer Staaten leiteten mehr oder weniger umfassende demokratische Reformen in ihren Ländern ein, und selbst im Mittleren und Nahen Osten ließen sich zaghafte demokratische Reformbestrebungen in einigen Staaten beobachten (z.B. in Algerien). Es gab somit Mitte der 90er Jahre genügend Anlass zur Hoffnung, dass das internationale System zukünftig durch mehr demokratische Staaten gekennzeichnet sein würde, als dies jemals in der Geschichte der Fall gewesen war.

In der Folge setzten die USA und die europäischen Staaten ihre Macht in den internationalen Institutionen dafür ein, diese Demokratisierung zu beschleunigen, auch in jenen Staaten, in denen es keine internen demokratischen Reformbestrebungen gab. So wurden etwa Kredite seitens des Internationalen Währungsfonds an die Erfüllung von Vorgaben geknüpft, die zumeist auf die Liberalisierung des betreffenden Wirtschaftssystems zielten. Die Auflagen, die den kreditnehmenden Staaten dabei gemacht wurden, reichten weit in die innere Politik des betroffenen Staates hinein und höhlten dessen Souveränität faktisch aus. Darüber hinaus engagierten sich sowohl die USA als auch die Staaten der Europäischen Union in vielen Ländern, indem sie mit zum Teil massivem finanziellen Aufwand Kräfte der sogenannten Zivilgesellschaft unterstützten, die in diesen Ländern für Demokratisierung oder Liberalisierung arbeiteten. Diese Unterstützung geschah über offizielle Kanäle, wie der amerikanischen Behörde für Entwicklungszusammenarbeit USAID oder den Finanzhilfen der EU im Rahmen diverser Partnerschaftsprogramme, sie erfolgte aber auch indirekt über politische Stiftungen oder NGOs, die von den USA oder den Staaten der Europäischen Union finanziell unterstützt wurden. Dabei schien es oftmals egal, wie stark die Kräfte, die in den diversen Staaten finanzielle Unterstützung erhielten, wirklich waren und ob sie eine realistische Chance auf die Umsetzung ihrer Forderungen hatten. Was jedoch bewirkt wurde, war die Brandmarkung dieser vom Ausland finanzierten Bewegungen als Agenten des Westens und damit die Diskreditierung der von ihnen propagierten Ideen bei ihrer heimischen Bevölkerung. Die Folge dieser Einmischung in die inneren Angelegenheiten von Staaten ist, dass Russland und China mittlerweile Gesetze verabschiedet haben, die das Wirken ausländischer NGOs in diesen Staaten erheblich erschwert.

Es verwundert nicht, dass diese Politik auf Widerstand seitens einer Reihe von Staaten stieß, die aus den unterschiedlichsten Gründen nicht dazu bereit waren, eine solch umfassende Transformation ihres Wirtschafts- und letzten Endes auch ihres politischen Systems zu akzeptieren. Solange aber diese zumeist afrikanischen Staaten keine Alternative zur Kreditvergabe durch den IWF hatten, sahen sie sich gezwungen, sich ihr zu «unterwerfen».