Wenn der Erfolg plötzlich Pause macht - Christian Greiser - E-Book

Wenn der Erfolg plötzlich Pause macht E-Book

Christian Greiser

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Beschreibung

So bringen Sie Ihren Motor wieder auf Touren! - Ein unverzichtbarer Ratgeber für LeistungsträgerInnen: von Startup bis DAX-UnternehmenHat ihr beruflicher Erfolg plötzlich eine Pause eingelegt? Kommen Sie mit Ihren alten Erfolgsrezepten nicht mehr weiter? Haben Sie das Gefühl, auf der Stelle zu treten? Kommen Sie mit Ihrer Kraft langsam an Ihren Grenzen? Dann wird es Zeit für einen Boxenstopp.  Karrieren verlaufen in Zyklen: Aufstieg auf der Karriereleiter, Wechsel des Unternehmens oder Gründung eines eigenen Geschäfts, irgendwann der Ruhestand. Mit jeder neuen Phase ändern sich die Erfolgsregeln. Hier gilt es innerlich umzuschalten und sich selbst neu auszurichten. Das bedeutet auch, dass Sie sich an bestimmten Wendepunkten von dem lösen müssen, was Sie bisher erfolgreich gemacht hat: bewährte Routinen, erlernte Fähigkeiten, alte Gewohnheiten, vielleicht sogar der Job. Das ist nicht leicht. Aber wenn Sie in einer neuen Phase versuchen mit alten Erfolgsrezepten nach alten Erfolgsregeln zu arbeiten, dann fühlen Sie sich schnell so erschöpft wie ein Sprinter, der mit bewährter Sprinttechnik an einem Marathon teilnimmt. Unzufriedenheit wird spürbar, der Erfolg bleibt aus. Der innere Kritiker wird lauter: Mach weiter, streng dich an! Aber jeder Versuch ist zwecklos. Sie fahren im falschen Gang, ihr Getriebe läuft heiß. Was nun?  Es wird Zeit, aktiv zu werden und der eigenen Persönlichkeit unter die Haube zu schauen. Sie müssen die inneren Antriebskräfte für Ihre bisherigen Erfolge besser verstehen. Sie müssen Handlungsmuster hinterfragen und destruktive Verhaltensweisen ablegen. Das schafft Raum, um neue Gewohnheiten zu etablieren und um mit neuen beruflichen Identitäten zu experimentieren. So gelingt der Übergang zum nächsten Karriere- und Lebenszyklus um nochmal richtig durchzustarten.  Der leidenschaftliche "Karrieremechaniker" Christian Greiser bringt Sie zurück in die Spur. Auf Basis seiner langjährigen persönlichen Erfahrung als Executive Coach sowie anhand von Forschungsergebnissen, Fallstudien und Übungen zeigt er Ihnen auf humorvolle Art und Weise, mit welchen Stellschrauben Erfolg und Erfüllung im Beruf "nachjustiert" werden können.

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Christian Greiser

Wenn der Erfolg plötzlich Pause macht

Eine Reparaturanleitung für Ihre Karriere

Externe Links wurden bis zum Zeitpunkt der Drucklegung des Buches geprüft. Auf etwaige Änderungen zu einem späteren Zeitpunkt hat der Verlag keinen Einfluss. Eine Haftung des Verlages ist daher ausgeschlossen.

© 2022 GABAL Verlag GmbH, Offenbach

Das E-Book basiert auf dem 2022 erschienenen Buchtitel »Wenn der Erfolg plötzlich Pause macht. Eine Reparaturanleitung für Ihre Karriere« von Christian Greiser © 2022 GABAL Verlag GmbH, Offenbach.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN Buchausgabe: 978-3-96739-114-5

ISBN epub: 978-3-96740-210-0

Lektorat: Dr. Michael Madel, Ruppichteroth

Umschlaggestaltung: Guido Klütsch, Köln

Autorenfoto: Christian Amouzou

Satz und Layout: Lohse Design, Heppenheim | www.lohse-design.de

© 2022 GABAL Verlag GmbH, Offenbach

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

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Inhalt

Prolog: Plötzlich ist der Motor aus

Ganghwa, Südkorea, 9. September 2007: Im Kloster

Hamburg, 11. September 2021: Im Homeoffice

Zwischen Erfolg und Erschöpfung

Erfolg in Zeiten von New Work und Pandemie

Wenn der Erfolg plötzlich Pause macht

Gebrauchsinformation für Anwender

REPARATURANLEITUNG, TEIL 1

Erkennen und beseitigen

Erst mal anhalten: Alarmsignale erkennen und handeln

Fallstudie: Sarah

Von Alarmsignalen, Auszeiten und Aufmerksamkeit

Alarmsignale: Warum es sich lohnt, auf die eigenen Gefühle zu hören

Auszeiten: Wie Sie die eigenen Ressourcen optimal nutzen

Aufmerksamkeit: Wie Sie die eigenen Gedanken unter Kontrolle bringen

Entkoppeln: Ursache und Wirkung verstehen

Fallstudie: Michael

Von Performance, Persönlichkeit und Prägung

Performance: Wie unsere Leistung bewertet wird

Persönlichkeit: Was uns wirklich ausmacht

Prägung: Warum wir tun, was wir tun

Entsorgen: Veraltete Verhaltensmuster ablegen

Fallstudie: Lucy

Vom Anpassen, Ablernen und Ankommen

Anpassen: Warum alte Erfolgsrezepte plötzlich nicht mehr funktionieren

Ablernen: Wenn es Zeit wird für eine Entrümpelung im Kopf

Ankommen: Wie es gelingt, sicher im neuen Job zu landen

REPARATURANLEITUNG, TEIL 2

Austauschen und neu starten

Ersetzen: Neue Gewohnheiten annehmen

Fallstudie: Jonas

Von Visionen, Verhaltensweisen und Vibration

Vision: Warum es besser ist, zu träumen als zu grübeln

Verhaltensweisen: Wie die persönliche Veränderung gelingen kann

Vibration: Wie Sie Ihre Veränderungsenergie neu aktivieren

Erproben: Mit neuen Identitäten experimentieren

Fallstudie: Yvonne

Vom Experimentieren, Entdecken und Erzählen

Experimentieren: Erst handeln, dann denken

Entdecken: Warum Kollegen beim Jobwechsel hinderlich sind

Erzählen: Wie Sie der eigenen Geschichte einen neuen Sinn geben

Erneut starten: Nach einer Pause in Schwung kommen

Fallstudie: Wolfgang

Vom Anlassen, Anfahren und Abbiegen

Anlassen: Wie Sie den Motor nach einer Auszeit wieder anwerfen

Anfahren: Wie der Neustart nach einem beruflichen Rückschlag gelingt

Abbiegen: Achtung, »Unruhestand« nächste Ausfahrt rechts!

Es ist kein Problem, wenn der Erfolg mal Pause macht

Epilog: Meine eigene Fallstudie

Der »Retter des deutschen Maschinenbaus«

Der holprige Weg zum Unternehmensberater

Quellen- und Literaturverzeichnis

Danke!

Der Autor

Prolog: Plötzlich ist der Motor aus

Wie mich die Stille mitten im Lärm aufschreckte … und warum das mein Weltbild völlig auf den Kopf stellte

Ganghwa, Südkorea, 9. September 2007: Im Kloster

Ich werde von einem dumpfen Klopfen wach. Es hört sich an, als ob jemand langsam einen Nagel einschlüge. Es ist dunkel und mein Rücken schmerzt von der harten Matratze. Ich taste nach meiner Uhr, 3:30 Uhr. Wo bin ich? Gedankenfetzen tauchen auf, »Busfahrt, Mönche, Kloster … Kloster! Ich bin in einem Kloster.« Statt Glocke gibt es hier Holzbrett und Hammer als Wecksignal, es ist Zeit für das Morgenritual. Zum Ankleiden bleiben nur ein paar Minuten. Der graue Meditationsanzug ist hart und kratzt, die schwarzen Stoffschuhe drücken. Vor meiner Zelle auf dem Flur treffe ich Jules, einen groß gewachsenen Belgier. »Sind wir zu spät?«, fragt er etwas ängstlich. »Ich hoffe nicht«, sage ich, während wir hektisch aus dem Schlaftrakt in das Dunkel draußen vor der Tür stürmen und uns eilig auf den Weg zum Tempel auf dem kleinen Hügel machen. Er liegt im Zentrum der Klosteranlage. Es regnet leicht.

Wir sind Gäste in einem Kloster und haben uns erst gestern kennengelernt. Ich bin als Unternehmensberater nach Südkorea gekommen. Zusammen mit meinem Team unterstütze ich einen großen Maschinenbau-Kunden bei der Restrukturierung seiner koreanischen Tochtergesellschaft. Es gibt viele Probleme: veraltete Produkte, schlechter Service, zu niedrige Preise, zu geringe Produktivität der Fabrik und damit hohe Verluste. Selbst über eine Teilverlagerung der Produktion nach China wird diskutiert. Aus Beratersicht geht es um das gesamte Programm. Der Kunde hat sich mit einer Übernahme verhoben. Da kurzfristig eine bilanzielle Überprüfung ansteht, arbeiten wird unter hohem Zeitdruck. Wir haben zwölf Wochen Zeit, ein tragfähiges Restrukturierungskonzept vorzulegen. Ich habe mich zu diesem Abenteuer von einem Kollegen überreden lassen. Es ist das erste Mal, dass ich in Korea bin.

Die Wochenenden habe ich bisher in Seoul verbracht. Meine Familie ist zu Hause in Deutschland. Nur einmal bin ich bisher zurückgeflogen. Ansonsten habe ich im Hotel gearbeitet oder die Stadt erkundet. Ich war häufig in Insadong, einem Künstler- und Antiquitätenviertel. Hier gibt es Pinselmacher, Schilderschnitzer, Galerien und zahlreiche kleine Restaurants. Die Straßen sind mit Menschen gefüllt, es ist bunt und riecht fremdartig. Jemand hat mir erzählt, dass es Ginseng-Duft ist. Ich habe mit meinem Handy kleine Filme gedreht und an meine Kinder geschickt. Ich vermisse meine Familie.

Im Fitnessraum des Hotels auf dem Laufband habe ich einen Film über Zen-Meditation gesehen. Hier in Korea gibt es die Möglichkeit, für ein Wochenende mit den Mönchen zu leben, ein sogenannter Templestay. Teilnehmer erhalten die Möglichkeit, an den Tagesabläufen und Ritualen teilzunehmen, die buddhistische Kultur kennenzulernen, in den schönsten Klöstern Koreas zu übernachten und vor allem zu entspannen, zu reflektieren und wieder Energie zu tanken. Ich habe mich für ein Wochenende angemeldet.

Gestern bin ich im Kloster angekommen. Die Anreise war ein Abenteuer. Ich spreche kein Koreanisch, der Busfahrer sprach kein Englisch. Ich habe versucht, mit Händen und Füßen zu kommunizieren, vergeblich. Eine Gruppe kichernder Jugendlicher hat mir schließlich geholfen. Einer von ihnen sprach ein bisschen Englisch und konnte dolmetschen. Anschließend wurde ich neugierig befragt, wo ich herkomme und warum ich in ein Kloster fahre. Als ich schließlich in einem kleinen Dorf in der Nähe des Klosters ausgestiegen bin, haben sie etwas mitleidig hinter mir hergeschaut. Als ob ich Schloss Dracula besuchen wollte.

Das Kloster liegt in einer herrlichen Hügellandschaft, umgeben von Laubwäldern mit hohen Bäumen. Am Eingang kam mir schon ein Mönch entgegengelaufen, mit einem breiten Lachen im Gesicht. Er hat mich direkt in mein Zimmer geführt und mir graue Kleidungsstücke übergeben, die ich als Teilnehmer hier vor Ort tragen muss. Dann habe ich die anderen Templestay-Teilnehmer getroffen. Jules ist Vertriebsmanager in einem Automobilkonzern. Dann sind da noch drei Studentinnen aus Frankreich, ein junger japanischer Mediziner und ein älterer Brasilianer, der früher Augenarzt war und jetzt als Aussteiger lebt. Bei einer Tasse Tee haben wir uns näher kennengelernt. Den Rest des Tages haben wir mit einer Einführung in die strengen Klostergepflogenheiten verbracht, zum Beispiel wie man einen Tempel betritt, wie man sich verbeugt, welche Mantras und Gesänge es gibt. Vor allem habe ich die Atmosphäre im Kloster gespürt, es ist eine seltsame Mischung aus Ruhe und Energie zugleich.

Mystische Atmosphäre

Ich weiß eigentlich nicht genau, warum ich an diesen Ort gekommen bin. Sicherlich ist es Neugierde, aber auch die Suche nach Ruhe. Die ersten Wochen waren unglaublich anstrengend. Seoul ist von Menschen überfüllt, es ist heiß, die Luftfeuchtigkeit macht mir zu schaffen, die endlosen Taxifahrten durch die lärmende Stadt sind zermürbend, der Druck auf dem Projekt ist hoch. Immer wieder gibt es im Team kulturelle Missverständnisse. Niemand sagt hier »Nein«, das heißt aber nicht, dass damit »Ja« gemeint ist. Ich muss zwischen den Zeilen lesen, das kostet auf Dauer Zeit und Kraft. Ich finde keine Zeit zum Nachdenken. Hier im Kloster kann ich zumindest für ein Wochenende Handy und Blackberry ausschalten.

Als Jules und ich an diesem Morgen fast im Laufschritt den Tempel betreten, sind die anderen bereits dort. Beim Morgenritual herrscht eine mystische Atmosphäre. Der Mantra-Gesang der Mönche vermischt sich mit dem Geräusch des frischen Morgenregens draußen vor den geöffneten Tempeltüren. Die vielen Kerzen und Laternen wirken geheimnisvoll, die Räucherstäbchen verströmen einen würzigen Duft. Wir nehmen an den 108 Verbeugungen vor Buddha teil. Anschließend gibt es eine Morgenmeditation. Gestern Abend haben wir eine erste Meditationseinführung erhalten: Sitzen in Kraft und Stille auf dem harten Meditationskissen, Konzentration auf den Atem, Zählen der Atemzüge von eins bis zehn beim Ein- und Ausatmen, immer wieder von vorn. Damit werden die Wogen der Gedanken geglättet – soweit die Theorie.

Mir fällt die Übung heute Morgen schwer. Die Einheit von Körper und Geist will sich einfach nicht einstellen, trotz der besonderen Atomsphäre im Tempel. Ich bin müde. Immer wieder schweifen meine Gedanken ab, ich bin kurz davor einzuschlafen. Der Rücken schmerzt vom geraden Sitzen auf dem Meditationskissen. Vielleicht ist es auch die Nachwirkung der harten Matratze in der Nacht. In den Knien spüre ich einen stechenden Schmerz. Einen Stuhl gibt es hier leider nicht. Ich beobachte Jules und die anderen. Sie sitzen alle ruhig auf ihren Kissen, alle scheinbar tief entspannt. Mein Wettbewerbsinstinkt erwacht. Was sind die Erfolgsfaktoren bei dieser Übung? Hier geht es doch nur darum, einfach zu sitzen und dabei an nichts zu denken. Was ist so schwer daran? Warum gelingt mir das nicht?

Wieder und wieder schweife ich beim Zählen in Gedanken ab und schaffe es bestenfalls bis fünf. Ich quäle mich und mache fast einen Leistungssport aus der Übung. Die Schmerzen im Rücken und in den Knien nehmen zu. Langsam macht sich bei mir eine innere Wut breit. Was um alles in der Welt mache ich hier eigentlich? Ich könnte um diese Zeit noch gemütlich in meinem komfortablen Bett im Westin-Chosun-Hotel in Seoul liegen. Ich würde ein hervorragendes Continental Breakfast bekommen statt sauer riechendem koreanischen Kimchi im Kloster. Außerdem müsste ich dringend eine Präsentation vorbereiten. Stattdessen sitze ich hier auf dem Fußboden inmitten der ganzen Tempelfolklore und spiele Freizeitmönch. Warum? Ich bin kurz davor aufzuspringen und rauszugehen.

Was bleibt, wenn alles weg ist?

Erst jetzt fällt mir auf, dass sich der Morgenregen gelegt hat, nur ein paar Vögel sind draußen zu hören. Es herrscht eine intensive Stille. Keine lärmende Stadt, kein Handy, kein Fernsehen, kein Radio. In diesem Moment habe ich das Gefühl, dass die Welt um mich herum plötzlich stillsteht. Als ob jemand auf Stopp gedrückt hätte. Zunächst spüre ich eine tiefe Ruhe. Dann, wie aus dem Nichts, höre ich auf einmal laut und deutlich eine innere Stimme: »Und? Wer bist du jetzt?«, »Wer bist du, wenn du mal nicht dem Erfolg nachhetzt?«, »Wer bist du jenseits von Beruf und Familie?« Dabei kommt es mir fast so vor, als ob ein Teil von mir für einen Augenblick verschwunden sei, ich fühle mich leer, stehe an einem Abgrund und klammere mich irgendwo fest. »Lass los und mach einen Schritt nach vorn«, sagt die innere Stimme ruhig. »Es wird dir nichts passieren.« Eine regelrechte Panik erfasst mich. Dann höre ich den Gong, die Meditation ist zu Ende. Erleichtert und verwirrt zugleich verlasse ich zusammen mit den anderen den Tempel. »Womit um alles in der Welt habe ich da gerade Bekanntschaft gemacht?«, frage ich mich. »Hat hier jemand etwas in die Räucherstäbchen getan?« Ich behalte diese Erfahrung für mich.

Am Nachmittag sind wir zu einer Teezeremonie beim Abt des Klosters eingeladen. Er spricht perfekt Englisch. Mit hoher Konzentration bereitet er die grünen Teeblätter vor und stellt die Tassen auf den tiefen Tisch am Boden. Er hat eine ruhige Ausstrahlung, eine angenehme Stimme und spricht mit einer Mischung aus Klarheit und Humor. Nachdem wir alle unseren Tee getrunken haben, schaut er uns lange an. »Ihr solltet nicht so viel meditieren«, sagt er mit ernster Miene. »Denn wenn ihr stillsteht, lauft ihr Gefahr, euch plötzlich zu erinnern, wer ihr seid.« Dann lacht er auf einmal laut los. Es kann purer Zufall sein, aber er schaut dabei genau in meine Richtung. Geschockt und wie versteinert sitze ich auf dem Boden. »Was bitte läuft hier gerade ab?«, frage ich mich.

Nach der Teezeremonie packen wir unsere Sachen und verabschieden uns. Einer der Mönche fährt uns in einem klapprigen Hyundai-Kleinbus zur nächsten Bushaltestelle. Erst gestern haben wir uns alle kennengelernt und trotzdem fühlt es sich so an, als ob wir schon viel länger als Gruppe unterwegs seien. Wir müssen nicht lange warten, der Bus zurück nach Seoul kommt schon nach 20 Minuten. Auf der Fahrt tauschen wir unsere Meditationserfahrungen aus. »Ich weiß gar nicht, ob ich stillstehen und mich erinnern möchte, wer ich wirklich bin«, sagt Jules und lächelt. »Bisher läuft eigentlich alles ganz gut in meinem Leben.« Ich blicke aus dem Busfenster. Die grüne Hügellandschaft verschwindet in der Ferne.

Hamburg, 11. September 2021: Im Homeoffice

Ich bin auf dem Sommerfest eines ehemaligen Beraterkollegen eingeladen. Es ist eine der ersten größeren Liveveranstaltungen nach dem Lockdown, an der ich teilnehme. Alles findet unter strengen Gesundheitsauflagen im Freien statt, wir können den Abend ohne Maske verbringen. Bei den Gästen ist Freude spürbar, dass physische Treffen in diesem Rahmen endlich wieder möglich sind. Ich treffe viele bekannte Gesichter.

»Hättest du noch ein paar Minuten Zeit für ein persönliches Gespräch?«, fragt Luca, ein früherer Kollege und Freund. Wir kennen uns seit vielen Jahren und haben als junge Berater gemeinsame Nachtschichten bei einem sehr intensiven Projekt verbracht. Heute ist Luca Partner in einer Private-Equity-Firma. Er hat eine Vorzeigekarriere hingelegt. Wir haben uns heute Abend nach langer Zeit wiedergetroffen. Gerade haben wir uns noch mit dem Jazz-Pianisten unterhalten, der soeben aufgetreten ist. Wir teilen die gleiche Leidenschaft für Musik. Jetzt stehen wir etwas abseits auf der Terrasse, jeder mit einem Bier in der Hand. Wir blicken auf die Elbe und die maritime Landschaft, es ist ein wunderbarer Ausblick.

Was bleibt, wenn alles stillsteht?

Luca schaut sich um, um sicherzugehen, dass wir ungestört sind. Er wirkt plötzlich ernst und nachdenklich. »Das bleibt bitte unter uns«, sagt er. »Ich will im nächsten Jahr die Firma verlassen. Ich weiß noch nicht genau, was ich danach machen werde, darüber muss ich noch in Ruhe nachdenken. Du bist doch jetzt Coach, darf ich mich dazu bei dir mal melden?«

»Jederzeit gern«, sage ich. »Aber was ist los? Braucht dein Erfolg mal eine Pause?«

»Das Geschäft läuft so gut wie noch nie, wir werden sogar ein Rekordjahr haben.«

»Was stimmt dann nicht?«, frage ich. »Work-Life-Balance?«

Luca lacht. »Du kennst mich doch. Klar, es gibt immer wieder intensive Phasen. Im Lockdown haben wir alle noch mehr gearbeitet als zuvor. Aber wenn ich damit ein Problem hätte, wäre ich längst weg.«

»Also, warum dann?«, frage ich hartnäckig. »Gehen ohne Ziel? Dafür muss es bei jemandem wie dir einen triftigen Grund geben.«

Luca denkt nach und trinkt einen Schluck aus seiner Flasche Flensburger.

»Ja, irgendwie schon. Ich habe in letzter Zeit viel nachgedacht, vielleicht weil ich plötzlich nur noch zu Hause und nicht mehr viel unterwegs war. Ich hatte endlich mehr Zeit für die Familie, und im Job lief es auch gut, eigentlich war das perfekt. Aber es hat sich plötzlich anders angefühlt als sonst, als wenn jemand das Karussell anhält. Ich habe mich gefragt, warum ich das immer noch mache. Jedes Jahr die Jagd nach dem nächsten Deal. Eigentlich habe ich keine Lust mehr dazu. Das ist mir erst jetzt bewusst geworden. Ich glaube, ich bin nur noch dabei, weil ich keine Alternative kenne. Ich weiß einfach nicht, was danach kommt.«

»Was genau meinst du mit ›Karussell anhalten‹?«

»Das Reisen zum Beispiel«, antwortet er. »Taxi, Flugzeug, Konferenzraum, immer die gleiche Hetze. Ich habe nie Zeit gehabt, mal richtig nachzudenken. Plötzlich ist alles weg und ich sitze nur noch zu Hause vor dem Bildschirm. Als wenn die Welt stillsteht und nur noch der Fernseher läuft.«

Gehen ohne Ziel

»Stillstehen« – immer wieder begegnet mir dieses Wort in den letzten Wochen. Gleich mehrere Coachinggespräche habe ich dazu geführt: ein junger Manager eines Automobilkonzerns, der das Gefühl hat, der Motor sei aus. Eine IT-Managerin, die sich wie in einem persönlichen System-Shutdown fühlt. Ein Investmentbanker, der glaubt, plötzlich festzusitzen. Die Liste ist lang. Auch an diesem Abend werde ich noch drei weitere Gespräche zum gleichen Thema führen.

Viele schildern mir, dass sie rauswollen aus ihrem Job und etwas ganz anderes machen möchten. Manche sind sogar bereit zu kündigen, ohne dass sie einen neuen Job in Aussicht hätten. Gehen ohne Ziel. Und scheinbar sind sie nicht die einzigen, denen solche Gedanken durch den Kopf gehen. Ich habe gerade einen Artikel dazu gelesen. Von einem »Talent-Tsunami«, von der »großen Mitarbeiterfluktuation« ist inzwischen die Rede. Was ist da los?

Es scheint, als ob die Pandemie die innere Einstellung verändert hätte und sich Werte und Prioritäten verschoben hätten. Viele waren vorher auf der Überholspur unterwegs, immer schneller, immer weiter. Täglich im Büro, im Taxi, im Flugzeug. Was Erfolg bedeutet, das war klar. Aber plötzlich findet die Karriere nur noch in den eigenen vier Wänden vor dem Bildschirm statt. Stillstand. Leere Flughäfen, leere Bahnhöfe, leere Straßen. Ein surreales Bild. Selbst der Erfolg mit all den bunten Facetten scheint eine Pause einzulegen. Als hätte die Welt, die sich eben noch so schnell gedreht hat, eine kollektive Vollbremsung hingelegt.

»Es fühlt sich jetzt so an, als käme das eigene Leben von hinten angerauscht, wie bei einem Auffahrunfall«, hat mir ein Kunde dazu gesagt. In den eigenen vier Wänden, ohne Ablenkung durch die bunte Welt da draußen, kann man den unbeantworteten Fragen nicht mehr entkommen: Warum immer dem Erfolg hinterherhetzen? Was ist Erfolg überhaupt? Und wer bin ich, wenn ich mich davon so abhängig gemacht habe? Stillstand. Genau wie vor 14 Jahren in Korea – das Nachdenken darüber, wer man ist.

Während viele noch über die unbequemen Fragen nachsinnen, kommt von vorn schon das Signal zum Weiterfahren. Wie der Gong nach der Meditation. Stillstand beendet. Die Welt dreht sich wieder. Weiter geht’s auf der Erfolgsspur. Aber der eigene Erfolgsmotor stottert plötzlich, er läuft nicht mehr so rund wie vor der Pause. Es sind die Fragen, die vielen nicht mehr aus dem Kopf gehen. Es ist der Wunsch, bei sich selbst einmal »unter die Haube zu schauen« und sich etwas näher mit dem eigenen »Erfolg« zu beschäftigen. Zeit, eine Anleitung dazu zu schreiben?

An diesem Tag in Hamburg

»Und wenn du keine Antwort findest? Wenn du nicht herausfindest, wo dein Weg jetzt weiterführt? Was machst du dann?«, frage ich Luca.

»Ich denke schon seit Wochen darüber nach, aber ehrlich gesagt komme ich nicht weiter, ich drehe mich im Kreis«, sagt er. »Aber auch wenn das mit der Pandemie irgendwann vorbei ist und ich immer noch keine Idee habe, was ich machen soll, ich glaube, dass ich trotzdem gehen werde. Mein bisheriger Weg endet hier, da bin ich mir ziemlich sicher.«

Für einen kurzen Moment blicken wir beide auf die Elbe. Ein großes Containerschiff fährt langsam vorbei und versperrt uns die Sicht. Wir werden uns in den nächsten Wochen zu einem längeren Gespräch treffen.

Zwischen Erfolg und Erschöpfung

Dieses Buch handelt vom Misserfolg. Genauer gesagt, von den Momenten, in denen wir unseren persönlichen Erfolg »vermissen« und er sich einfach nicht wieder einstellen will, ganz gleich, was wir auch versuchen. Als wäre er einfach in den Urlaub gefahren und würde eine Pause machen. »Bin bald zurück, liebe Grüße, Dein Erfolg«, lesen wir auf seiner imaginären Urlaubskarte. Eine Unverschämtheit! Wie kann er sich das herausnehmen? Das war doch ganz anders vereinbart! Oder?

Es sind viele Bücher über den Erfolg geschrieben worden. In drei Schritten geht es dort entweder vom Werksstudenten zum Vorstandsvorsitzenden, vom Berater zum Partner oder, etwas zeitgemäßer, vom Studienabbrecher zum millionenschweren Gründer. Ich habe viele von diesen Büchern gelesen. Seltsam nur, dass darüber bisher niemand mit mir in einer Coachingsitzung sprechen will. »Bin gerade bei Karriereschritt Nummer zwei, wollte nur kurz sagen, dass alles nach Plan läuft«, auf diesen Anruf eines Kunden warte ich bis heute.

Stattdessen lerne ich von meinen Kunden, dass es nicht immer nach Plan läuft und es auf dem Karriere-Highway eher unerwartete Pausen geben kann, weil der Erfolgsmotor plötzlich stottert. In letzter Zeit häufen sich die Probleme. Beim »Blick unter die Haube« sind mir dabei Muster aufgefallen. Und ich befürchte, es handelt sich um »Serienfehler« beim Umgang mit uns selbst. Vor allem das Umschalten beim Übergang von einer Karrierephase in die nächste scheint nicht richtig zu funktionieren. Ehrlich gesagt hat es in meiner eigenen Karriere in dieser Hinsicht auch schon geklemmt. Für eine »Rückrufaktion« wäre es in Anbetracht der zum Teil weit fortgeschrittenen Karrieren zu spät. Zeit also für ein Jetzt-helfe-ich-mir-selbst-Buch, als Lektüre für die Momente, in denen wir nicht erfolgreich sind. Denn möglicherweise stehen wir gerade dann vor einem der großen Wendepunkte in unserem Berufsleben. Aber was meinen wir eigentlich, wenn wir von Erfolg und Karriere sprechen?

Erfolg in Zeiten von New Work und Pandemie

Kurz vor dem Abschluss meines Maschinenbaustudiums 1993 fiel mir in einem Kaufhaus ein Buch in die Hände: Die 100 Gesetze erfolgreicher Karriereplanung (Kerler, von Windau 1992). Ähnlich wie in einem Formelbuch wurden 100 Regeln vorgestellt, mit denen eine Karriere gemeistert werden kann. Die einfach strukturierte Aufmachung war ein Traum für jeden Ingenieur, also griff ich zu. Es ging um Themen wie Persönlichkeit, Ausbildung, Familie, Chancen, Aufstieg und vieles mehr. Dem Zeitgeist entsprechend, wurde die Karriere hier als Abfolge eines sozialen und beruflichen Aufstiegs dargestellt. »Erfolg« ließ sich ganz einfach daran messen, ob und in welchem Zeitraum dieser Aufstieg »erfolgte«, natürlich verbunden mit Geld, Macht und Einfluss. Eine Philosophie für Yuppies, der Young Urban Professionals, wie die Karrieristen der 1990er-Jahre genannt wurden, bei denen der schnelle berufliche Aufstieg im Mittelpunkt des Lebens stand und deren schlimmste Auswüchse Figuren wie Gordon Gekko aus dem Film Wall Street waren. Erfolg wurde am Kontostand und an der Visitenkarte abgelesen. 30 Jahre sind seitdem vergangen – und unser Erfolgsbild hat sich radikal verändert.

Mein erster Chef stieg noch vom Entwicklungsingenieur zum Vorstand auf, ohne jemals das Gebäude zu wechseln. »Schornsteinkarriere« hieß das damals. So etwas gibt es heute nicht mehr. Wer heute aufsteigen will, muss sich vor allem in einer immer komplexeren Welt zurechtfinden. Aus den 100 Gesetzen sind inzwischen 200 Prinzipien des Erfolgs geworden, die im gleichnamigen Bestseller von Ray Dalio nachzulesen sind (Dalio 2021). Persönlicher Erfolg wird jetzt auch an Erfüllung gemessen und ist mehr als nur geschäftlicher Erfolg. Dazu zählen Elemente wie Weisheit, Staunen, Großzügigkeit und Wohlbefinden, wie die US-amerikanische Autorin und Journalistin Arianna Huffington in ihrem wunderbaren Buch Die Neuerfindung des Erfolgs schreibt (Huffington 2014). Und beide, Dalio und Huffington, sprechen offen über ihre transzendentale Meditationspraxis. Das kannten wir bisher nur von den Beatles. Vor 30 Jahren wäre so eine Selbstoffenbarung für jeden Topmanager das Ende der Karriere gewesen. Erfolg heißt heute eben auch, aktiv daran zu arbeiten, Erschöpfung zu vermeiden und das Leben in Balance zu halten. In Zeiten von »New Work«, in denen zwar einerseits Freiheit und Selbstbestimmung im Mittelpunkt stehen, andererseits aber die Grenzen von Berufs- und Privatleben zunehmend verschwimmen, werden physische und mentale Gesundheit zur neuen Maxime. Persönlicher Erfolg wird heute auch an den Fitnessdaten der Smartphone-App abgelesen.

Neue Erfolgsdefinition in Umbruchzeiten

Dass die Pandemie die Welt nachhaltig verändern wird, ähnlich wie zuvor der Fall der Berliner Mauer oder die großen Finanzkrisen 1929 und 2008, das ahnen wir inzwischen alle. Das gilt vor allem für unsere Arbeitswelt. In einem atemberaubenden Tempo hat sich gerade die weltweite Etablierung des Homeoffice als alternativer Arbeitsplatz vollzogen. Wir bedienen Videokonferenz-Apps wie Zoom oder Teams inzwischen sicherer als unsere elektrische Zahnbürste. Aber auch in den Köpfen hat eine Veränderung stattgefunden, das betrifft vor allem das persönliche Verständnis von Erfolg. Die Pandemie wirkt hier wie ein Brandbeschleuniger und verstärkt einen Trend, der ohnehin bereits begonnen hatte.

Wir erleben zurzeit einen Umbruch, der auch als »Talent-Tsunami« bezeichnet wird. Anfang 2021 machte eine Microsoft-Studie die Runde, nach der über 40 Prozent der weltweit Beschäftigten mittelfristig einen Jobwechsel planen (Microsoft 2021). Ende 2021 wurde die für die Unternehmen düstere Prognose in den USA zur Gewissheit: Mehr als 24 Millionen Amerikaner kündigten zwischen April und September 2021 ihre Jobs, ein Allzeithoch. Das zeigt eine aktuelle MIT-Studie (Sull 2022). Betroffen sind vor allem die Firmen, die für Innovation stehen und typischerweise einen großen Anteil talentierter und überdurchschnittlich ausgebildeter Mitarbeiter haben, wie etwa Techfirmen, Beratungen oder Investmentbanken. Die Kündigungsraten sind hier in den letzten zwei Jahren dramatisch angestiegen. Im Start-up-Umfeld kündigt ohnehin jeder vierte Mitarbeiter (Founders Circle Capital 2022). Was ist los?

Es geht nicht um die Enttäuschung bei der Bonuszahlung oder die ausgebliebene Beförderung, sondern vielmehr um Themen wie Unternehmenskultur, Arbeitsbelastung und Work-Life-Balance. Was fehlt, sind ein »Dankeschön« am Arbeitsplatz, Pausen ohne schlechtes Gewissen, ausreichend Schlaf und Zeit für die Familie. Alles menschlich nachvollziehbare Faktoren, die bei innovativen »High-Speed-Firmen« gern zu kurz kommen. Das rächt sich jetzt. Auch in Deutschland ist dieser Trend inzwischen angekommen, wie ich aus persönlichen Gesprächen mit Start-ups, Corporates- und Professional-Services-Firmen weiß. Die Bereitschaft, für die eigene Karriere Kompromisse in Bezug auf Lebensqualität und Gesundheit einzugehen, hat gerade bei den Toptalenten seit der Pandemie deutlich abgenommen. Die Karriere um jeden Preis hat ausgedient. Erfolg wird heute auch an persönlicher Wertschätzung gemessen.

Jenseits der Karriereplanung

Natürlich gab es in der Vergangenheit ähnliche periodisch wiederkehrende Trends. Aber in einem Punkt unterscheidet sich die aktuelle Situation fundamental von früheren Wirtschaftszyklen: Zwei Drittel der Mitarbeiter sind bereit zu kündigen, ohne dass sie einen neuen Job in Aussicht hätten (De Smet 2021). »Ich bin dann mal weg«, würde Hape Kerkeling sagen (Kerkeling 2006). Ehrlich gesagt hätte ich in dieser Situation, so ganz ohne den nächsten Job in Aussicht, schlaflose Nächte gehabt. Aber das mag an meiner Persönlichkeitsstruktur und Generationenzugehörigkeit liegen. Und ich habe in meiner aktiven Karriere auch keine Pandemie erlebt.

Gerade Berufseinsteiger haben heute eine andere Perspektive, und das ist in Zeiten der Lockdowns durchaus nachvollziehbar. Denn wenn die ersten zwei Jahre in der Arbeitswelt nur vor dem Bildschirm zu Hause stattfinden, ohne jeden physischen Kontakt zum Unternehmen, dann wird jeder Job austauschbar wie eine Netflix-Serie. Und wenn das nächste Jobangebot immer nur einen »Klick« weit im Internet entfernt ist, dann sinkt auch die Hemmschwelle, eine Zeit ganz ohne Job zu verbringen. In Deutschland kommt noch ein Sondereffekt hinzu: Die Erbengeneration muss sich weniger Gedanken um die langfristige Versorgungssicherheit machen. Wer schon das Haus der Großmutter geerbt hat, tut sich etwas leichter damit, auch mal eine Zeitlang ohne Job zu leben.

Wie ich aus Coachingsituationen weiß, spielen aber auch diejenigen, die bereits länger dabei sind, mit dem Gedanken, ohne konkrete Zukunftsaussicht zu kündigen. Das hat mit einer veränderten Perspektive zu tun. Für einige geht der »Deal« nicht mehr auf. Ohne die physischen Begegnungen mit Kollegen und Kunden, ohne Senator-Lounge und Businesshotel, ohne »Business-Kasper-Status«, wie es Michael Bully Herbig einmal wunderbar in einem Sketch persifliert hat, und ohne schicke Büros verliert so mancher Traumjob den Reiz. In der Gleichung »Work hard – play hard« fehlt plötzlich der angenehme Teil.

Andere wiederum hat die psychische und physische Dauerbelastung der Lockdown-Phasen, verbunden mit Nonstop-Arbeitszeiten vor dem Bildschirm, zum Nachdenken gebracht. Ohne den physischen Kontakt zu gleichgesinnten Arbeitswütigen im Büro ist vielen zum ersten Mal bewusst geworden, was für ein absurdes Leben sie eigentlich führen. Der unmittelbare Kontakt mit Familie und Freunden während der Arbeitszeit hat dieses Gefühl noch verstärkt. Es macht eben einen Unterschied, ob ich als Berater nachts fernab in New York im Businesshotel schufte oder ob ich zu Hause um Mitternacht in der Küche in einer Videokonferenz hocke, während Familie und Freunde im Wohnzimmer gemütlich bei einem Glas Wein zusammensitzen und Doppelkopf spielen oder, noch schlimmer, nebenan das Baby schreit.

Das kann zu dem Wunsch führen, so schnell wie möglich aus diesem Leben auszubrechen und aus dem fahrenden Zug zu springen, auch wenn nicht klar ist, wie weich die Landung wird und wo es danach zum nächsten Bahnhof geht. Vorausschauende Planung hat sich seit der Pandemie ohnehin als Makulatur erwiesen. Warum also zögern und vor dem Absprung erst noch den nächsten Schritt planen? Erfolg heißt heute auch, sich die Freiheit nehmen zu können, eine Zeitlang ohne Job zu leben.

Ein neues Verständnis von Erfolg und Karriere

Der Mindset-Wandel zeigt den Wunsch nach mehr Selbstbestimmung bei der Gestaltung der eigenen Karriere. Kaum jemand bleibt heute noch sein ganzes Berufsleben lang in einem Unternehmen. Die Bereitschaft, sich Richtung und Tempo der eigenen beruflichen Entwicklung durch starre Hierarchiestufen einer Firma vorgeben zu lassen, nimmt ab. Wo bisher der geradlinige Aufstieg das Maß für eine gelungene Karriere war, vorgegebene Karrierestufen abzuhaken waren und Unterbrechungen als Karriereknick interpretiert wurden, wird es nach und nach salonfähig, scheinbar unzusammenhängende Erfahrungen in Form unterschiedlicher beruflicher Episoden zu sammeln. Diese werden erst rückblickend zu einer Story verbunden und verleihen dem eigenen Weg ex post so einen Sinn. Karriere heißt heute freies Malen statt Malen nach Zahlen.

So entstehen neue Karrierebilder mit überraschenden Wendungen, Happy End inbegriffen. Steve Jobs hat das in seiner berühmten Stanford-Rede 2005 als »Connecting the dots« beschrieben. Und er ist nicht das einzige Beispiel, das zeigt, wie sich trotz vermeintlicher Brüche im Lebenslauf eine große Erfolgsgeschichte ergeben kann. Der Lebenslauf mit Brüchen kann heute sogar ein Vorteil sein. So wurde beispielsweise ein ehemaliger Kollege von mir, der seine Karriere bewusst abbrach, ein Start-up gründete, es erfolgreich verkaufte und sich danach ein Jahr lang nur um seine Familie kümmerte, schließlich Vorstandsmitglied in einem großen Handelskonzern. Manch einer mit einem geradlinigen »Musterlebenslauf« wartet möglicherweise noch heute auf solch ein Angebot. Karrieren verlaufen heute anders. Persönlicher Erfolg heißt heute vor allem Entfaltung. Brüche und Erfolgspausen gehören dazu.

Wenn der Erfolg plötzlich Pause macht

»Deine Entwicklung erfolgt in drei Stufen«, sagte mir ein sehr erfahrener Coach und Trainer einmal und bezog sich dabei auf ein Führungsmodell, das unter anderem GE populär gemacht hatte (Charan 2001). »Du lernst dich selbst zu führen, andere zu führen und die Organisation zu führen. Was glaubst du, ist die schwerste Stufe?«, fragte mich jener Coach. »Die dritte«, antwortete ich und dachte dabei daran, wie schwer es sein musste, eine große Organisation mit vielen Menschen zu führen.

»Es ist die erste Stufe«, sagte er. »Denn um dich selbst führen zu können, musst du erst verstehen, wer du bist und wer du nicht bist. Manche schaffen diese Stufe ihr ganzes Leben lang nicht, auch wenn sie schon eine große Organisation führen.«

»Erkenne dich selbst« stand nicht ohne Grund über dem Orakel von Delphi. Und vielleicht ist das heute noch wichtiger als vor über 2.000 Jahren. Denn wenn persönlicher Erfolg über Erfüllung, Entfaltung und Selbstverwirklichung definiert wird und wir damit mehr Verantwortung für unsere eigene berufliche Entwicklung übernehmen, ist es wichtig zu verstehen, wer wir sind und wer wir nicht sind. Ob ich mich mit einem eCar-Start-up selbstständig machen soll, um der deutsche Elon Musk zu werden, oder besser meine Karriere als Angestellter im Konzern fortsetze, hängt auch von meiner Persönlichkeitsstruktur ab. Und um endlich »mein Ding« zu finden und so etwas wie berufliche Erfüllung zu spüren, sollte ich mir erst einmal bewusst darüber werden, was mich jeden Morgen aus dem Bett springen lässt, welche Tätigkeiten ich im Schlaf beherrsche, worum ich lieber einen großen Bogen mache, wann ich mir selbst mal in den H… treten muss und wann ich es mit der Arbeit übertreibe und eigentlich Ruhe brauche. Kurz: Um uns selbst managen zu können, müssen wir uns selbst viel besser kennenlernen. Und dieser Lernprozess verläuft nicht linear. Er verläuft in Zyklen.

Betriebskurve für den persönlichen Erfolgsmotor

Wir betreten die Arbeitswelt mit vielen Ambitionen, Hoffnungen, Ängsten und Illusionen, aber mit vergleichsweise wenig Informationen über uns selbst. Niemand gibt uns ein Handbuch, in dem wir nachschlagen können, was zu tun ist, falls es nicht so gut läuft. Dieses Handbuch müssen wir uns im Laufe der Zeit selbst zusammenstellen. Bei jeder Karrierestation sammeln wir nicht nur fachliche Expertise und Erfahrung, wir lernen auch, welche Talente wir haben, was uns motiviert und was uns wichtig ist, aber auch, was wir nicht können. Dieser Lernprozess wird häufig in Form einer S-Kurve beschrieben, wie zum Beispiel in dem Buch Disrupt Yourself der US-amerikanischen Autorin Whitney Johnson (Johnson 2019), aber bereits auch schon vor 30 Jahren in den 100 Gesetzen erfolgreicher Karriereplanung. Die S-Kurve beschreibt gleichzeitig den Verlauf unserer Karriere, denn in dem Maß, ich dem wir Expertise aufbauen und etwas über uns selbst lernen, stellt sich auch der Erfolg ein.

Zunächst verläuft die Kurve flach. Wir müssen uns in einer neuen Karrierephase erst orientieren, lernen nur langsam, und es stellen sich nur kleine Erfolge ein. Nach einer Weile erreichen wir den sogenannten Tipping Point (Gladwell 2001), der einen Durchbruch markiert. Wir haben jetzt verstanden, wie der Job funktioniert, und in uns neue Talente und Stärken entdeckt. Der Erfolgsmotor kommt auf Touren, es geht jetzt steil nach oben. Typischerweise werden wir in dieser Phase auch ein hohes Maß an persönlicher Erfüllung erfahren. Irgendwann erreichen wir den Wendepunkt. Die Lernkurve flacht langsam wieder ab, Routine schleicht sich ein, und manchmal wird es sogar etwas langweilig. Irgendwann erreichen wir den Scheitelpunkt. Erfolge stagnieren, jeder Tag fühlt sich wie der andere an, es macht nicht mehr richtig Spaß. Es wird Zeit für die nächste Station, der nächste Karrierezyklus beginnt. Mit jedem Zyklus lernen wir mehr über uns selbst. Indem wir viele Zyklen aneinanderreihen, auch einmal mit einer Pause zwischendurch, gelingt ein erfülltes Berufsleben.

Der Karrierezyklus

Die S-Kurve zeigt quasi das Betriebsverhalten unseres persönlichen Erfolgsmotors. Ähnlich wie beim Autofahren sollten wir beim Umschalten von einer Karrierestation zur nächsten nicht einfach den nächsten Gang mit Gewalt einlegen, ohne zu kuppeln, und auch nicht versuchen, vom ersten gleich in den vierten Gang zu schalten. Dann besteht nämlich die Gefahr, den Erfolgsmotor abzuwürgen. Stattdessen gilt es, den Übergang weich zu gestalten und langsam in die nächste berufliche Phase hineinzugleiten und »hochzuschalten«. In der Praxis heißt das, dass wir den Wechsel gedanklich bereits dann einleiten, wenn wir uns im Wendepunkt befinden, wenn alles richtig gut läuft, aber wir intuitiv spüren, dass wir bald für den nächsten Schritt bereit sind. Dann haben wir ausreichend Energie und Motivation, um über die Zukunft nachzudenken, und genug Zeit, um uns frühzeitig vorzubereiten und für die nächste Phase zu qualifizieren. Das Hochschalten erfolgt dann ohne lästige Störgeräusche. Wir kennen das aus den Vorstandsetagen. Hier laufen sich Nachfolgekandidaten für die CEO-Position häufig über ein Jahr lang warm, bevor sie die Spitzenposition übernehmen.

Soweit die Theorie und die Erfolgsbeispiele. In der Praxis kann es aber doch auch Probleme geben. Das weiß ich nicht nur von meinen Kunden, sondern auch aus eigener Erfahrung.

Wenn der Erfolgsmotor stottert

Um es vorwegzusagen: Ich habe keinen Grund, mich zu beklagen. In meiner Karriere lief es meistens rund, mein persönlicher Erfolgsmotor zeigte über weite Strecken das beschriebene Betriebsverhalten. Allerdings bin ich an Punkte gekommen, an denen es auf einmal nicht mehr weiterging. Die alten Erfolgsrezepte versagten dann plötzlich. Das Geschäft lief nicht wie erhofft, ich hatte das Gefühl, die in mich gesteckten Erwartungen nicht zu erfüllen, machte mir selbst immer mehr Druck und arbeitete immer länger. Aber was ich auch versuchte, der Erfolg wollte sich erst mal nicht wieder einstellen. Mein Erfolgsmotor stotterte, ich hing auf der Erfolgskurve fest. Meistens passierte das, wenn ich gerade einen Karrieresprung gemacht hatte, beim Hochschalten quasi, um in unserem Bild zu bleiben. Ich musste dann einen inneren Schritt machen, um ihn wieder anzuwerfen. Hatte ich den Motor falsch bedient?