Wenn der Kookaburra in die unendliche Weite führt - Georg E. Schäfer - E-Book

Wenn der Kookaburra in die unendliche Weite führt E-Book

Georg E. Schäfer

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Beschreibung

Viele nützliche Reiseinformationen, viel ansteckende Liebe zu dem Urlaubsziel Western Australia und manche Lebensweisheit sind in einem spannenden Krimi verpackt. Motivierende Schilderung eines herrlichen Landes, seiner jahrtausendalten Mythen und Bilder der Naturschönheiten, die man gesehen haben muss, verführen den Leser, gleich seine persönliche Reise zu buchen.

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Seitenzahl: 220

Veröffentlichungsjahr: 2015

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WIDMUNG

Für Paul Noah. Von Opa und Oma.

EINE WAHRE GESCHICHTE?

Dieses Buch bindet eine Fülle zutreffender Reisebeschreibungen und wahrer Geschichten zu einem erfundenen Krimi mit fiktiven Personen zusammen. Alle Bilder hat der Autor selbst fotografiert.

Die Landkarten sind aus Open Street View.

Szenarien wurden teilweise geografisch verschoben, damit die Geschichte als Ganzes möglich wird.

Inhalt

Der Kookaburra lacht

Auf in die Goldfields

Schuhschachtel mit Erinnerungen

Der Aufbruch

Die Welt unter uns

Sorge um die Zukunft

Das Zusammentreffen

Der Kookaburra lacht

Philosophy of the Road

Arglose Erpressung

Tod im Berg

Eintauchen in die Ferien bei Coral Bay

Fish Track

Träume der Urzeit

Paradiesisches Kalbarri

Die Offenbarung

Der Kookaburra lacht

Der Autor

Australisch – Literatur und Wörterbuch

Der Kookaburra lacht

Der Kookaburra ist der „King of the Bush“1

Der Kookaburra sitzt auf dem Eukalyptusbaum und lacht. Frühmorgens beginnt sein Lachen, auf Befehl des sagenhaften Gotts Baiame, solange gerade noch ein Blick auf den endlos ins All reichenden australischen Sternenhimmel möglich ist. Sobald die Sonne aufsteigt und die Konturen des Bushs beleuchtet und belebt, werden die Pausen zwischen seinem Lachen kürzer.

Der Kookaburra sieht eine Geschichte kommen, über seine Heimat, mit Menschen, die ihr Glück suchen. Manche finden Glück, sieht der Kookaburra voraus, andere werden sterben. Anders als die Ureinwohner leben die Eingewanderten nicht in der Kontinuität der Zeit und ohne Einklang mit Früher, Heute und Morgen. Als Geworfene, Hin- und Hertreibende, wie mancher Fischlaich, wollen sie nur dort anlegen, wo alles perfekt ist. Sein Glück verfolgen, erzwingen oder suchen und finden, heißt das wohl.

Doch niemand weiß, was Glück ist. Der Kookaburra lacht wieder, denn wie kann man etwas suchen, das niemand kennt? Flüchtig ist das Glück, das ist bekannt. Geld garantiert auch kein Glück, obwohl das Manche meinen. Plötzlich bist du glücklich und sobald du es bemerkst, ist es schon wieder am Gehen. Glück ist für den Kookaburra, bei Sonnenaufgang in der Frische des Morgens auf einem Eukalyptusbaum zu sitzen, den Kopf schräg zu halten und zu äugen. Dann kommt eine der dicken Fliegen. Er fängt sie. Oder es kommt eine Schlange. Das wäre besonderes Glück für ihn.

Glück ist uns nur auf Zeit vergönnt. Doch was ist Zeit? Urlaub ist das Experiment, in kurzer Zeit viel Glück zu empfangen. Oder: Viel Glück zu erschaffen? Viel Glück zu verbrauchen?

Der Kookaburra kennt die Mythen Australiens. Glück ist ein Geschenk, weiß er. Wer Geschenke sucht, macht sich lächerlich. Der Kookaburra lacht wieder.

Der Kookaburra weiß, dass in Australien, dem Land der Aborigines mit der historischen, jahrtausendalten Kultur der Dreamtime, vieles anders ist. Träume werden dort über unaufhörliche Zeiten gestreckt. Sie begleiten uns auf Wanderungen, Walkabouts, in diesem großen Land. Dennoch geschieht manchmal alles gleichzeitig. Vergangenes und Gegenwärtiges verweben sich und kristallisieren sich spontan in einem einzigen unerwarteten Ereignis. Der Kookaburra lacht. Wer wollte hier eingreifen?

1 Kookaburra sits in the old gum tree / Merry, merry king of the bush is he / Laugh, Kookaburra! Laugh, Kookaburra! / Gay your life must be. (Marion Sinclair)

Auf in die Goldfields

„Nein, Amy. Du kannst Sammy nicht knuddeln. Er beißt.“

Mit etwas Glück sehen wir, wie heute, den Seelöwen Sammy im Sand schnarchen. Er ist zu einem weltweit bekannten Wahrzeichen von Esperance geworden. Unter oder neben dem aus Holzbalken solid gezimmerten, alten Schiffsanlegesteg ist sein Lieblingsplatz. Das bezaubernde Städtchen Esperance liegt im Süden Westaustraliens, kurz bevor die Reisenden die Nullarbor – Wüste als zeitgemäßes Abenteuer durchqueren, falls sie mit dem Auto vom Westen aus nach Melbourne in den Osten fahren.

Auf dem Weg zur Nullarbor bei Esperance

Sammy bezeichnen Fremdenführer als letzte Attraktion vor der Wüste. Viele Besucher schütteln den Kopf ob dieser Blindheit. Bieten doch die ursprünglich belassenen Nationalparks, die makellos weißen, flachen Strände mit dem feinen Sand, die roten Tafelberge und auch die endlosen Straßen und Tracks so viele faszinierende Begegnungen mit Aborigines und kernigen Australiern sowie allerhand exotischen Tieren und Pflanzen des riesigen, roten Kontinents. Mineralien-Sammler, Meteoriten-Forscher und Goldsucher haben so viele Geheimnisse in der Region gefunden, dass sie dicke Büchern darüber schreiben könnten. Bloß im Kopf bewahren die meisten Wanderer, Radfahrer und Segler ihre Erlebnisse. Taucher und Schnorchler haben noch kein Millionstel der Schätze des Meeres, der Korallen, Krebse und Tintenfische um Esperance entdeckt.

Diese landschaftliche Vielfalt erwartet ganz zu Unrecht niemand, der auf der Landkarte nur zwei Straßen in einer grünen Fläche sieht. Die eine kommt von Albany, aus dem Westen, die andere führt nach Kalgoorlie und Melbourne in den Norden. Natürlich kann man aus dem Internet Fotos von Besuchern von Esperance herunterladen und im Internet virtuell die Straßen entlang fahren. Doch wir Europäer erkennen die unterschiedlichen Bäume, Büsche, Gräser und Blumen meist nicht. So wie für uns alle Menschen anderer Hautfarbe fast dasselbe Gesicht haben, sehen wir nur eine Art Baum, eine Art Gras.

Und die blaue Fläche, das Meer, auf der Landkarte bietet eine ebenso idyllische Welt. Das wären Gründe genug, hierher zu kommen. Schließlich sind da aber auch die australischen Mythen der Traumzeit, die – einmal verstanden – unserem Leben eine neue Dimension, mehr Inhalt, Genuss und Gestaltungsmöglichkeiten bieten. Die Kräfte der Dreamtime erklären, wo unser Ich seine Sehnsucht befriedigen könnte, wo die australische Vielfalt herkommt und wie Kräfte und Elemente zusammen wirken.

Beginnen wir unsere Reise bei Sammy. Rechts von diesem ehrwürdigen Schiffsanlegesteg der südlichen Hemisphäre, der Jetty2 von Esperance, liegt das Hafengelände. Dort verladen die marktbeherrschenden internationalen Rohstoffunternehmen in langen Hallen vor allem Eisen und Nickel. Staubfrei geschieht dies, fast hygienisch rein, seit das Umweltbewusstsein auch in dieser abgelegenen Ecke des Globus, etwa 750 km von Perth entfernt, angekommen ist. An Sammys alter Jetty legen keine Schiffe mehr an. Dort ist der Hafen zu seicht. Wer durch die vielen, Esperance vorgelagerten Inseln und Inselchen fahren und etwa auf die Öko-Insel Woody Island will, wird deshalb weiter zum Hafen gehen. Der liegt rechts von der alten Jetty.

Esperance ist das Küstenstädtchen, das von den Goldfeldern rund um Kalgoorlie leicht zu erreichen ist. Mondäne Villen säumen die Küste. Alle verfügen über eine mehrstöckige, oft nur mit Glasfenstern ausgebaute Front, die einen traumhaften Panorama-Blick auf das Meer bietet. Auffahrten wie für Hotels, bester englischer Rasen und ein, zwei dekorative Paperbark Trees, Bäume mit papierähnlicher Rinde, bilden die Vorgärten. Sofern die Häuser gerade bewohnt sind, was bei zwei Drittel meist nicht der Fall ist, stehen große Geländewagen in diesen Auffahrten, daneben noch ein oder zwei Autos der Premiumklasse. Exquisite Restaurants und hübsche, sportliche und offensichtlich vermögende junge Australierinnen und Australier fallen uns in den Straßen auf. Die meisten Einwohner des verträumten Städtchens dürften ihr Geld in den Goldfeldern gemacht haben. Manche arbeiten dort immer noch. Am Wochenende, in den Ferien sind sie immer wieder einmal in Esperance.

Strand bei Esperance

Mik, sonnengebräunt und selbstbewusst, hat auch sein Glück gesucht, in Norseman, dem ältesten Goldstädtchen der Goldfields. Norseman ist zwei Stunden Autofahrt von Esperance entfernt. In Norseman zweigt die Überlandstraße ab, in den Osten nach Melbourne und in den Norden nach Kalgoorlie. Der Legende nach wurde In Norseman das erste Gold gefunden, weil ein Pferd hinkte. Als der Besitzer genau nachsah bemerkte er einen Goldklumpen, der im Hufeisen eingeklemmt war. Viele Goldsucher hoffen dort immer noch auf solche Zufälle. Auch Mik hofft seit Jahren darauf.

Heute Morgen steht er aufrecht und fest in Esperance auf dem Fußgängerweg über der alten Jetty, betrachtet Sammy mit einer Gruppe anderer Besucher und trägt, lässig gekleidet, einen teuren und steifen Hut, mit australischem Schnitt und breiter Krempe. Stolz, nicht Angeberei, soll das demonstrieren.

Mit den Worten „Hi. Das ist Sammy. Unser Seelöwe.“ nimmt er Kontakt zu der zierlichen Asiatin auf, die mit einem älteren Herrn ebenfalls am Geländer, oberhalb der alten Jetty steht, neben Amy mit ihrer Puppe und ihren Eltern.

„Ja, habe ich gehört“, meint sie lachend, wirft die langen schwarzen Haare zurück, schaut ihn aufmunternd an und fragt: „Sind Sie aus Esperance?“

„Nun, ich bin in Westaustralien überall daheim. Sort of. – Kann ich Ihnen helfen?“, freut sich Mik, dass das Gespräch in der landesüblichen, einfachen Art auch hier so leicht in Gang kommt.

„Wir kommen aus den Tropen. Für uns ist dieses herrlich sonnige Land wie ein Paradies. Wenn ich morgens aufwache weiß ich, dass die Sonne scheint. Da muss ich nicht erst aus dem Fenster schauen“, meint die zierliche Asiatin.

„Ja. Das ist hier normal“, bestätigt Mik lächelnd.

Der grauhaarige Begleiter der Asiatin trägt einen hellen sportlichen Anzug und meint: „Wir haben jetzt zuhause Monsun-Regen. Kennen Sie Monsun?“

„Nein, Monsun kenne ich nicht. Als ich jung war, habe ich tagelangen Landregen zuhause erlebt“, sagt Mik. „Aber Monsun ist, glaube ich, warmer Regen, oder?“

„Ja. Jungs, lasst mich die unsäglichen Regengüsse vergessen. Hier ist es nur warm und sonnig. Das ist herrlich“, meint die Asiatin in ihrem grünen Kleidchen, indem sie genussvoll die Arme der Sonne entgegen streckt.

„Dann sind Sie in Urlaub hier? Wegen dem guten Wetter und der schönen Küste?“, fragt Mik, um im Gespräch zu bleiben.

„Ja. Himmlisch, nicht wahr! Aber: Das ist nur ein Grund. Unser Land will von Australien lernen. Wir beide würden gerne sehen, wie hier Erz gefördert wird“, gibt die Hübsche zurück.

„Keine Small-Talk-People!“, denkt Mik, lacht wieder und sagt: „Wie wir Gold schürfen, können Sie sich anschauen. In Kalgoorlie. Hier nicht. Gold ist in Westaustralien im Quarz. Wir holen also nur den Quarz aus dem Gestein, den Rest werfen wir weg. Im Abraum ist dann oft noch eine Menge Gold.“

„Den Abraum werft ihr dann doch nicht weg, oder?“

„Doch. Die Stadt hat damit mal eine Straße geschottert. Dann sind viele Autos darüber gefahren. Als die Sonnenstrahlen den Schotter zum Glänzen brachten wurde klar, dass dort noch viel zu viel Gold enthalten war“, erzählt Mik.

„Gibt’s doch nicht!“

„Doch. Das ist noch gar nicht lange her. Klar, die Stadt hat die Straße gesperrt und den Schotter für die Goldschmelze mahlen lassen.“ Mik lacht: „Das ist West Australien!“

Gold in Quarz

Der ältere Herr dreht sich zu Mik um, geht näher zu ihm hin.

„Das interessiert mich. Sie sind doch auch in meinem Alter. Wie Sie sagen, kennen Sie sich hier aus. Können Sie uns sagen, welche Bergbau-Industrien wir hier besichtigen können?“

„Gute Frage. Das Tourismus-Büro wird da auch nicht helfen können. Da müsste ich mich erst umhören. Und ein paar Freunde oder Bekannte anrufen“, sagt Mik. „Das kann dauern.“

„Stimmt. Das Tourist Office weiß nichts. Ein Hobby von mir“, erklärt sich der ältere Herr.

„Das ist hier Jedermanns Hobby. Aber keiner spricht über seine geheimen Grabungen im Outback“, lächelt Mik nickend.

„Aber? Kann man hier einfach irgendwo graben!“

„Ja, klar. Auf Crown Land. Mit einer Lizenz für ein paar Dollar.“

Die beiden Touristen lassen sich von Mik die Küstenlinie erklären. Auch das dauert, denn die vielen Inseln und Schifffahrtswege haben jede eine Geschichte, die Mik meint erzählen zu müssen. Mik strengt sich sichtlich an, schmückt aus, verheddert sich immer wieder oder wird vage. Offensichtlich ist er kein großer Erzähler. Seine Zuhörer verlieren den roten Faden.

„Können wir uns noch in einer Kneipe unterhalten? Ich bin müde, möchte aus der inzwischen stechenden Sonne und hätte auch Hunger. Ich lade Sie ein. Dann können wir weiter reden“, meint der ältere Herr schließlich energisch.

„OK. Ich bin Mik“, sagt Mik zu der Hübschen.

„Danke. Ich bin Mai Bi. Mein Onkel, Ni Wa.“

„Gehen wir zum Hafen hinüber. ‚Best Pizzas‘ heißt das Restaurant. Die bieten aber auch Fisch, Steak und Wok“, schlägt Mik vor.

Wer zu Fuß geht, empfindet den Strand von Esperance als elend lang. Ohne Wasserflasche in der Hand ist der Weg jetzt im australischen Sommer nicht zu machen. Jeder Villenbesitzer will direkt aufs Meer schauen. Die Stadtplaner haben diesen Wunsch gerne erfüllt, da sie den Sanddünen entlang der Küste keinen Wert beigemessen haben. Der neue Hafen ist eine Viertelstunde zu Fuß von der alten Jetty entfernt. Die Strandstraße „The Esplanade“ verläuft weiter oben, hinter dem flachen Dünenstreifen. Die Häuserreihe am Strand entlang der Goldfields Road und dem Castletown Quay ist noch viel länger und führt in den Osten bis zum Summys Park und dem kleinen Sportboote-Hafen am Bandy Creek.

Mik, Mai Bi und Ni Wa nehmen den sandigen Fußweg, der weitgehend der unbebauten und ursprünglich belassenen Küste folgt. Einige Schilder am Weg zeigen, wie der Stadtrat diesen Küstenabschnitt weiter befestigen will. Die bisherigen Beschlüsse, die kommenden Bürgeranhörungen und das genaue Verfahren sind neben einer Projektskizze auf den Schildern genau beschrieben.

„Die nehmen sich Zeit fürs Bauen!“, ruft Mai Bi aus.

„No hurry, no worry“, meint Mik.

Nach halbem Weg gehen die Dünen in einen Rasenstreifen über. Das gepflegte Grün, akkurat gemäht, wird heute Morgen mit entsalztem Meerwasser gesprengt. Die Bäume spenden durchsichtigen Schatten entlang der Häuserreihen rechts und den touristischen Gebäuden links. Dann kommen Souvenirläden, das Tourismusbüro und schließlich das gesuchte Restaurant.

„Best Pizzas“ steht in weißer Schrift auf einem knallroten Werbebanner des Restaurants, das an dem weiß gestrichenen Holzhaus über die ganze Giebelbreite angebracht ist. Davor ist ein breiter, überdachter Vorbau, eine Porch wie man hier sagt, mit Holzfußboden und einigen Tischen mit Stühlen. Das ist der ideale, schattige Platz für einen Morgenkaffee und den Lunch.

Geht man durch die Doppeltüre in das Restaurant, sieht man zuerst die Dekoration mit Messingbeschlägen von Segelschiffen, einigen Schiffsmodellen und ein paar großen Segeln an der Decke. Im hinteren Teil kommt man auf die große Terrasse, die sonnengeschützte Sitzplätze mit Blick auf den Hafen, das Meer und die vorgelagerten Inseln bietet. Jetzt, für ein Lunch, ist diese Terrasse besonders angenehm, denn der Wind vom Meer streicht kühlend über die Terrasse. Sie nehmen einen Tisch in einer ruhigen, schattigen Ecke und setzen sich auf die mit Segeltuch bespannten Holzstühle.

Mik genießt diese Terrasse mit ihren bequemen Stühlen immer wieder. Noch nie fand er sie zu mehr als einem Drittel besetzt. Wenn Glas und Teller leer sind, weisen die Kellnerinnen und Kellner anderswo deutlich darauf hin, dass Zeit zu gehen oder nachzubestellen wäre. Hier nicht. Ganz entspannt und zuvorkommend werden die Gäste behandelt. Sie dürfen bleiben, solange sie wollen. Das Restaurant ist also für viele ein Geheimtipp.

Der Blick schweift über den Sporthafen. Die Eco Ferry auf die Woody Island steht bereit. Eine Besuchergruppe wartet um einzusteigen. Der gelb lackierte Hafenkran hievt eine Segeljolle an Land und stellt sie auf einen Anhänger. Eindeutig mehr Zuschauer als Arbeiter sind auf dem Hafengelände. Alles nimmt gelassen und professionell seinen Gang

„Weißt du, was mich hier in Australien immer wieder fasziniert“, fragt Mai Bi und beugt sich etwas mehr zu Mik hinüber als nötig wäre, um gut verstanden zu werden.

„Nein. Was denn?“, will Mik wissen, indem er ihren leichten Parfümduft langsam durch seine Nase ziehen lässt.

„Der Gegensatz hier. Einerseits die wilde, feindliche Umwelt, wegen der ihr alle Geländewagen fahrt. Andererseits ist alles perfekt. Wohnung, Restaurants. Alles ist einfach spitze!“

Mik schaut ihr in die Augen und lächelt glücklich: „Ja. Not too bad!“

Ni Wa meint: „Die Bedienungen in den australischen Restaurants lassen sich immer sehr viel Zeit, bis sie an deinen Tisch kommen.“

„Das denke ich auch“, stimmt Mai Bi zu. „In Bali stehen immer einige Kellnerinnen oder Kellner herum und eilen gleich an den Tisch.“

Mik schaut sie erstaunt an.

„Hier gibt es keine Bedienung! - ‘Best Pizzas‘ ist ein Counter Meal Restaurant. Wir suchen hier am Tisch etwas aus der Karte aus, oder wir gehen gleich an die Theke. Dort bestellst du.“

Mik führt seine neuen Bekannten in die ihnen offenbar fremde Welt der australischen Counter Meal Restaurants ein. Wieso in Australien an der Theke bestellt wird, erklärt er.

„Das ist praktischer. Was es zu essen gibt, steht auf der Tafel an der Wand. Und, nun, die Arbeit einer Bedienung ist hier in Western Australia nicht hoch angesehen.“

„Oh!“

„Was wollt ihr trinken?“

„Keinen Alkohol, bei dieser Hitze. Irgendein Wasser“, meint Ni Wa.

„Wasser aus der Leitung ist in australischen Restaurants immer kostenlos zu haben. Tab Water ist das Beste.“

Und nach kurzem Überlegen ergänzt er, den Oberkörper gestreckt: „Ein Sixpack3 wäre noch besser. Aber die sind hier nicht lizenziert. Wir könnten Bier aus dem Liquor Store holen und zu unserer Mahlzeit trinken.“

„Später. Abends trinke ich Alkohol. Auf den Felsen, in der Abendsonne“, lacht Mai Bi.

„Die Felsen sind traumhaft. Glatt, gerundet. Als hätte sie jemand für Badegäste zum Sonnen gefertigt“, ergänzt Ni Wa.

„OK. Aber mit den Felsen da müsst ihr aufpassen. Wir haben hier im Süden immer wieder einmal King Waves. Das ist so was wie ein kleiner Tsunami. King Waves kommen aus der Antarktis. So sind schon einige Touristen von unseren sanft geschwungenen Felsen gespült worden und auf immer verschwunden“, führt Mik seine Erklärungen weiter aus. Die Beiden scheinen sehr beeindruckt zu sein und schweigen.

Warnung vor King Waves

„Die haben auch etwas aus dem Wok“, bringt Mik das Gespräch wieder mit einem erfreulicheren Thema in Gang und zeigt auf die Wand.

„Nein. In Australien essen wir wie Australier“, sagt Mai Bi.

Zusammen bestellen sie an der Theke, um das auch einmal erlebt zu haben. Ni Wa verspricht, während die Männer ihr Steak und Mai Bi ihren Salat essen, abends eine Runde Bier auszugeben.

„Was kann man hier besichtigen? Ein Museum oder einen Tempel habt ihr nicht?“.

Mik meint, in Esperance würde man die Natur genießen.

„The Great Outdoors“.

„Habt ihr Fischlokale im Fischereihafen?“, fragt Ni Wa.

Die Frage überrascht Mik.

„Der Fischereihafen ist für alle gesperrt, die dort nicht arbeiten! Ihr könnt gefrorenen Fisch aus Indonesien im Supermarkt kaufen“, erklärt Mik und fragt sich insgeheim, aus welchem hinterwäldlerischen Zipfel der Welt die Zwei wohl kommen. Am besten sei, von hier aus in einen Nationalpark zu fahren. Das trifft auf begeisterte Zustimmung, denn Mik verspricht zu fahren und die beiden in seinem Geländewagen mit zum Cape Le Grand National Park mitzunehmen.

Mai Bi bittet, die Klimaanlage nicht auf eisig zu stellen, da sie sonst in ihrem Sommerkleid friert. Mangels Restaurants im Nationalpark fahren sie vorher noch an einem Supermarkt vorbei und nehmen ein paar Tüten Chips, zwei Sixpack Bier und geröstete Nüsse mit. Das verspricht einen glücklichen, australischen Tag am Strand. Das Bier kommt in den Kühlschrank, der in Miks Wagen eingebaut ist.

„Damit kann ich auch Fische einfrieren, wenn ich welche im Outback fange. Gute Sache“, erläutert Mik sein Auto mit Stolz. Sein Blick geht fast verliebt über die breiten Sand Dweller Reifen, die Frontpartie des Wagens mit dem verchromten Schutzgitter und dem imposant geformten Kühler.

Auf der Fahrt überlegen sie, was sie noch zusammen machen könnten. Die beiden müssen in wenigen Tagen wieder zurück nach Bali. Mik denkt, er sollte auch wieder eine Arbeit suchen, irgendwo bei einer Minengesellschaft. Sie entscheiden deshalb, dass sie am nächsten Morgen nach Norseman fahren. Damit Mik zeigen kann, wie und wo Australier mit den Händen nach Gold graben können.

„Der Boom hat um 1970 angefangen. Da war‘s noch üblich, dass die Eltern ihre Kinder nach einem Regen in die Sandwüste geschickt haben, Gold zu sammeln. Das Gold hatte der Regen dort ausgewaschen. Es lag einfach so herum“, erzählt Mik.

„Man muss natürlich lernen, es zu sehen. Kannst du heute noch machen, Goldkügelchen sammeln“, meint er.

„Die Kügelchen liegen wie Eisenerzbrocken und Meteoriten in allen Größen auf dem Wüstenboden im Outback. Wir halten unterwegs ein paar Mal. Dann seht ihr das selbst.“

Entfernungen in Australien sind für Besucher aus anderen Kontinenten etwas gewöhnungsbedürftig. Mit zwei bis drei Stunden Fahrzeit darf man rechnen, wenn jemand sagt, dass ein Ort ganz in der Nähe sei und man schnell mal hinfahren könnte. So ist es auch jetzt.

Mai Bi und Ni Wa sind beeindruckt von der Schönheit und der Weite der australischen Landschaft um Esperance. Die schnurgerade Straße verschwimmt mit dem Horizont. Rechts und links steht Getreide in dünnen Reihen auf den Feldern, oder Zäune begrenzen Viehweiden, die immer wieder mit einem Gatter unterbrochen sind, wo Sandspuren dem Viehbesitzer oder den Road Trains, die das Vieh abholen, die Zufahrt ermöglichen. Sie passieren einen Fischereihafen, alle zig Kilometer eine landwirtschaftliche Station, die australischen Getreide-Farmen abseits der Straße, und immer wieder wilden Bush mit exotischen Blüten und Sandflächen zwischen Gruppen von feingliedrigen Bäumchen. Keine Wolke ist am Himmel. Je mehr die Mittagszeit naht, umso mehr umgibt Bäume und Landschaft ein wundervolles Glänzen.

Zwei Mal fährt Mik auf dem Weg zum Cape Le Grand von der Straße ab, in die Sandwüste, an Stellen ohne Zaun. Er zeigt ihnen, dass dort Eisenerz in großer Reinheit einfach so herum liegt. Beim zweiten Halt konnte er ihnen nach etwas Herumsuchen ein Stück von einem Meteoriten zeigen. Meteoriten seien nicht einfach zu erkennen, aber eigentlich nichts Besonderes, brummelt er. Einen Sixpack Bier nimmt er dann aus dem Kühlschrank.

„Für jeden zwei Flaschen. OK?“

„Danke, aber für mich nur eine Flasche“, antwortet Mai Bi.

„OK. Dann bekommst du die zweite Bottle später.“

Mik kommt zurück, mit den Chips, und erläutert fachmännisch:

„80% und mehr Eisengehalt. Nickel und Gold liegen auch so rum.“

„Wie ihr Nickel aus dem Stein löst, ohne der Umwelt zu schaden, interessiert mich“, sagt Ni Wa unterwegs.

„Können wir noch nach Ravensthorpe fahren und uns das anschauen?“

„Ravensthorpe ist der Mittelpunkt der Nickelfelder. Soviel ich weiß ist das kein Erfolg. Die Mine bringt nichts“, klärt ihn Mik auf.

„Aber ihr arbeitet dort noch, oder“, fragt Ni Wa nach.

„Ja. Ein Kumpel von mir ist dort. Ich rufe ihn mal an, wenn du willst. Wir sollten dann aber in Ravensthorpe übernachten. Habt ihr so viel Zeit“, erwidert Mik.

„OK, die Zeit haben wir schon noch. Danke. Und kannst du uns auch drei Zimmer im besten Hotel in Kalgoorlie buchen?“, fragt Ni Wa.

„OK. Mache ich. Ich lebe auf dem Campingplatz, in einer Hütte. Ist nicht schlecht, aber ein Hotel ist besser. Ich buche für euch zwei Zimmer.“

„Nein. Drei Zimmer. Ich lade dich und Mai Bi ein, Mik. An euch bleibt nichts hängen. Wir wollen doch zusammen frühstücken und zu Abend essen. Und auch ein Glas Wein trinken“, sagt Ni Wa freundlich und Mai Bi lächelt zustimmend. Da lässt sich Mik gerne überzeugen. Alkoholkontrollen sind inzwischen auch im Outback angekommen.

Die Fahrt ist zu lang, um sich ständig zu unterhalten. Mik hängt seinen Gedanken nach. Er überlegt, dass er so freundliche und großzügige Menschen kaum kennen gelernt hat. Wenn er zu sich ehrlich ist, denkt er, dann hat er eigentlich gar keine Freunde. Nur Leute, die er immer wieder in den Bars trifft. Wenn man länger mit jemand zusammen ist, kann man nicht verhindern, dass die Freunde unsere Herkunft mit bekommen. Mik spürt, dass sein Auto, das er zu einem Teil auf Kredit gekauft hat, den Eindruck erweckt, er sei reich. Er hängt seinen Gedanken nach: Je enger die Kontakte werden, umso weniger könne er verhehlen, dass vieles in seinem Leben Fassade ist. Das mit der Hütte auf dem Campingplatz ist ihm auch so herausgerutscht. Jetzt auf der stundenlangen Fahrt wird ihm das mehr und mehr klar. Mik spricht mit sich selbst.

„Ich lebe doch nur von Hoffnungen. Ich hoffe auf den dicken Goldklumpen in der Wüste. Das hat es einmal gegeben. Als der Junge mit seinem Vater in den Bush ging und den größten Nugget fand. Das kommt nicht nochmal.“ Und etwas später: „Ich bin einsam und alt. Das ist es doch.“

Mik sieht die zierlich-hübsche, grazile Mai Bi an und ihren offensichtlich reichen Onkel. Zuneigung zu Mai BI, trotz des erheblichen Altersunterschieds, und Neid steigen in ihm auf, wenn er sich fragt, ob auch er eine Platin Kreditkarte bekommen könnte, bei der keiner Fragen stellt, bei der jeder Empfangschef im Hotel eine Verbeugung macht, wenn er sie zurückgibt. Und dann so eine Frau dabei haben wie Mai Bi.

Mai Bi hängt ebenfalls ihren Gedanken nach.

„Das sind schon freie Menschen, in Australien. Unser Mik hier ist kein Reicher. Aber niemand gibt ihm Befehle.“ Sie denkt weiter über Mik nach und fragt: „Hast du hier Familie?“

„Nicht direkt.“, meint Mik. „Ich bin eingewandert, vor etwa dreißig Jahren.“

„Du hast es gut getroffen, wie ich sehe“, meint Ni Wa.

„Nicht zu schlecht.“

Im Cape Le Grand Nationalpark zeigt Mik den legendären, den weißesten aller weißen Sandstrände Australiens. In der sommerlichen Mittagssonne ist der so hell, dass jeder, auch ein Besucher mit dunkler Sonnenbrille, die Augen zukneift. Mik fährt auf den Sandstrand und dann weit hinaus immer am Meer entlang. Mindestens zehn Kilometer in beide Richtungen den Strand entlang, befindet sich kein Mensch. Die Stille würde den Besucher verrückt machen, würden nicht immer wieder kleine Wellen an den flachen Strand plätschern. Einige Mulgabäume bilden eine Gruppe, die am Rande des Sandstrands auf einer niederen Düne Schatten spendet. Dort hält Mik. Sie setzen sich auf den Sand. Eine Sitzdecke ist nicht nötig, denn der Sand rieselt einfach wieder von der Kleidung. Mik wäre auch nicht auf die Idee gekommen, man bräuchte eine Decke, um auf den Sand zu sitzen.

Ni Wa stellt viele Fragen zu Erzen, auch zum Sand. Sand ist in Bali offenbar wertvoll, hört Mik. Ob man hier Sand abbauen und exportieren dürfe, will Ni Wa wissen. Mik weiß es nicht. Das Interesse der beiden für Bodenschätze verwundert ihn nicht. Über Erze, Gold und dergleichen spricht man in Australien oft. Was soll’s! Jeder lebt irgendwie davon.

Ni Wa sagt, er wolle sich etwas die Beine vertreten. Mai Bi setzt sich in den Schatten. Mik holt sein Bier. Mai Bi bekommt ‚ihre‘ Flasche aus dem letzten Sixpack. Mik schaut sie an, gehemmt und schweigsam. Mit so einer hübschen Frau war er noch nie allein. Sie erscheint ihm so vertrauensvoll weiblich, duftend und kultiviert, doch auch so unerreichbar und – ja – auch so reich. Wie sie sein, so finanziell unabhängig, so weltgewandt und so selbstsicher in allen Bewegungen, das war, denkt Mik, von dreißig Jahren eigentlich sein Ziel.

Wieder kommt Mik ins Grübeln: „Nach der Bundeswehr bin ich nach Australien. Ja, Michael Armbruster, ich habe vor dem Kalten Krieg damals in Deutschland Angst gehabt. Und was bin ich jetzt?“, geht er mit sich ins Gericht.

„Ich bin bloß ein alter Tagträumer, ein Traumtänzer. Wo ist das große Geld, von dem ich dreißig Jahre lang geträumt habe? Nirgends. Wo sind die vielen Freunde? Auch nirgends. Ich kann froh sein, dass ich hier zwei habe, die etwas von mir halten. Selbst mit meiner Schwester vertrage ich mich nicht, obwohl sie wegen meinen übertriebenen Versprechungen schließlich nach langem Überlegen auch nach Australien gekommen ist. An dem Urteil komme ich nicht vorbei: Michael, du hast durchweg versagt.“

Doch gleich darauf fängt er sich: „Bloody winching German! Meine britischen Freunde aus dem Pub haben doch Recht. Ich bin ein mieser weinerlicher Deutscher!“ Mik schüttelt die negativen Gedanken ab.