Wenn die liebe Sucht nach Liebe sucht - Thomas Neukum - kostenlos E-Book

Wenn die liebe Sucht nach Liebe sucht E-Book

Thomas Neukum

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Beschreibung

 Ein Erzählband über hemmungslose Liebe, Sucht und Zwänge  1) Colette, eine Millionärstochter aus Hamburg, nimmt Morphium aufgrund einer Rückenverletzung und besucht mit ihrer koksenden Freundin einen Sex-Club. Dort lernt sie einen Pharmavertreter kennen. Obwohl er Colette liebt, wird sie in eine katastrophale Sucht therapiert. 2) Eine Mathematikstudentin mit einem Faible für die teuerste Unterwäsche macht Bekanntschaft mit einem attraktiven Schuldenberater. Bald entsteht ein leidenschaftliches Dilemma. 3) Aufgrund ihres Misserfolgs bei einer Castingshow lässt sich die hübsche Diät-Assistentin Vanessa gehen und verfällt maßlos dem Lustprinzip. Allerdings verliebt sie sich in einen ehemaligen Star, der nach einem Gerichtsprozess seinen Glauben an die Menschheit verloren hat. 4) Der Deutschkurde Ronak gerät ständig in Schlägereien und freundet sich trotzdem innig mit der Achtsamkeitstrainerin Tiara an. Sie hat einen blinden Sohn. Doch zugleich flüchtet sie sich in eine sadomasochistische Affäre mit einem rechtsradikalen Sanitäter. 

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Thomas Neukum

Wenn die liebe Sucht nach Liebe sucht

Sammelband

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Titel-Info

 

 

Thomas Neukum

 

 

Wenn die liebe Sucht

 

nach Liebe sucht

 

 

Sammelband © 2022

Inhalt

 

INHALT

 

 

Colette

Der Pfirsich ohne Kern

 

Letizia

Die Untergefieder der Elster

 

Vanessa

Rache ist der süßeste Bissen

Tiara

Eine Faust voll Liebe

Colette

C O L E T T E

 

Der Pfirsich ohne Kern

 

 

 

 

 

Prolog

 

 

Colette legte im Zug eine Morphin-Tablette auf ihre makellos rote Zunge und spülte sie mit aromatisiertem Mineralwasser aus einer Plastikflasche herunter. Dann rauschte wieder das tragische Erlebnis wie ein Bilderkarussell hinter ihrer blonden Stirn vorüber.

Sie hatte in jener Nacht eine Rasierklinge an ihre Pulsadern gehalten, als diese kleine Schlampe ins Zimmer geschlichen war. Colette versuchte ihren Namen zu vergessen. Denn ihre Freundschaft war so unecht wie ihre Titten. Sie hatte Colettes Partner – jetzt ihrem Ex-Partner – zugeflüstert, dass er wieder und wieder betrogen wurde. Es gab einen Streit.

Aber war es das wirklich wert, Selbstmord zu begehen? Und warum hatte Colette die Wohnungstür nicht verschlossen? Jedenfalls wich sie vor der Schnalle zurück, die ihr aufgrund eines schlechten Gewissens und zugleich einer guten Intuition eigentlich zur Hilfe eilen wollte. Dabei stürzte Colette allerdings so unglücklich in die Zimmerpalme, dass sie sich an der Wirbelsäule verletzte.

Ohne verschreibungspflichtige Medikamente konnte sie die Schmerzen unmöglich aushalten. Das alles hatte sich in Bayern zugetragen. Colette war nach einem schwachen Abitur dorthin gezogen, um eine Ausbildung zur Hotelfachfrau zu machen und somit unabhängiger von ihren reichen Eltern zu werden. Doch nun kehrte sie wie ein Flüchtling durch die vorbeiziehende Herbstlandschaft zurück in ihre Heimatstadt Hamburg.

„Alles klar?“, fragte Mona auf dem Sitz nebenan. Sie war auf Colettes ausdrücklichen Wunsch alleine nach Bayern geeilt, um alles Nötige zu regeln und sie abzuholen. Monas schlanker Körper steckte in einem silbernen Mäntelchen, und ihr schwarzes Haar fiel zackig bis zur Mitte ihres hellen Halses.

Colettes Mutter mochte sie nicht. Obwohl Mona ihren Abschluss als Journalistin im zweiten Anlauf geschafft hatte, verdiente sie ihr Geld nun mit einer ganz anderen, ganz unanständigen Sache. Solche Menschen fühlten sich grundsätzlich zu Colette hingezogen. Doch Mona war in der Nähe wie in der Ferne eine echte Freundin geblieben.

„Kennst du diese Bonbons, die nicht mehr schmecken, sobald die Füllung rausläuft?“, sagte Colette. „Genau so fühle ich mich.“

Mona tätschelte sie. „Wir rollen bereits auf den Hauptbahnhof zu.“

In der riesigen Halle wartete Colettes Familie, die Goldschmidts.

Ihr Vater erschien stämmig, rotblond und fröhlich. In jüngeren Jahren war er durch Belgien gereist. Inspiriert durch die dortige Küche, hatte er in Deutschland eine Firma für Tiefkühlpommes namens GoldschmidtZ gegründet und wurde Millionär. Manchmal hob er halb im Spaß den Zeigefinger und raunte, dies sei der Beweis für die Familienlegende, dass der Name von Juden abstamme.

Die Mutter, eine brünette Belgierin, arbeitete in einem Hospiz. In ihrer Jugend hatte sie vor Romantik geglüht. Obwohl sie noch immer Verständnis für die Leidenschaften ihrer Mitmenschen aufbrachte, bedeuteten ihr heute die stillen Freuden mehr.

Colettes jüngere Schwester, Stefanie, studierte Soziologie und Englisch mit Bestnoten. Hochgewachsen stach sie mit ihrer kastanienbraunen Mähne und einer jadegrünen Jacke aus der Masse. Sie sparte ihre Unschuld für den Richtigen auf.

Aus den Waggontüren strömten die Fahrgäste.

„Colette, mein Liebes!“, öffnete der Vater grüßend seine Arme und drückte sie leicht. „Immerhin wirkst du gar nicht so bucklig wie nach einem Trip zur Pfefferkuchenhexe. Dafür schnaufst du ziemlich stark. Lass mich das Gepäck tragen. Hallo auch, Mona.“

„Hallo zusammen!“

„Danke für deine aufopferungsvolle Hilfe“, lächelte Stefanie.

„Ach wo“, erwiderte Mona. „Meiner besten Freundin nicht zu helfen, das wäre ein Opfer.“

„Ihr habt die Reise also gut überstanden“, sagte die Mutter zu Colette. „Oder sind deine Beschwerden schlimm?“

„Müde bin ich hauptsächlich.“

„Ein altbewährtes Zuhause hat noch jeden Menschen neu zusammengefügt“, sagte ihr Vater. Er wandte sich zur Rolltreppe und lud Mona ein: „Du kommst doch noch auf einen Willkommensschluck mit, oder?“

„Sicher.“

Auf dem dämmrigen Parkplatz stieg Mona in ihren kleinen VW. Die große Limousine der Goldschmidts fuhr voraus.

Colette fühlte sich neben Stefanie so unsicher, dass sie deren Mitgefühl und Freude über das Wiedersehen gar nicht realisierte. Die jüngere Schwester war für die ältere in Moralfragen überlegen. Exemplarisch lebte Stefanie in einem Studentenwohnheim und beanspruchte nur selten die Annehmlichkeiten ihres Elternhauses. Dagegen würde Colette dort wieder einziehen.

Als die Autos im Hof parkten, wich die Beklemmung ein wenig von ihr. Zusammen gingen sie in die mondweiße Villa.

Eine bunte Girlande begrüßte Colette im Wohnzimmer, als hätte sie Geburtstag. Dumpf hörte sie einen Korken knallen und den Champagner in die Gläser sprudeln.

Doch ihre Mutter zögerte. „Darfst du unter Schmerzmitteln überhaupt Alkohol trinken?“

„Na, ein Glas“, nahm Colette es gedankenlos in die Hand, „das wird mich schon nicht ins Grab bringen.“

Peinliches Schweigen trat ein.

Mona wischte die Befangenheit weg: „Ja, nur in Massen genossen, macht es die Menschen verdrossen. Auf Colette!“

„Auf Colette!“

Die Blondine süffelte es leer. Doch sowie ihre Mutter das Abendessen zubereiten wollte, entschuldigte sich Colette mit schleppender Stimme: „Ich will mich einfach nur ins Bett legen.“

Stefanie hatte noch nicht mal ihren Schaum getrunken. Aber natürlich beabsichtigte niemand, Colette ihre Bedürfnisse abzusprechen.

Mona bedankte sich für das Glas Champagner. „Hiernach kann man wenigstens noch geradeaus fahren“, zwinkerte sie herausfordernd. Schließlich flüsterte sie Colette an der Haustür zu: „Erhol dich gut! Morgen machen wir 'ne richtige Party.“

 

 

 

 

 

1. Kapitel

 

 

Mona war die stellvertretende Managerin eines Sexclubs namens Hedonica. Als großer Raum mit roten Ledersofas, nachtblauer Bar und Drogenecken konnte er zwar nicht als innovativ gelten. Doch zum einen war das Rotlichtviertel St. Pauli nicht mehr das quirlige Mordsloch, das es in den 1980er-Jahren gewesen war, und zum anderen verstand sich Mona auf gute Publicity. Wenn sie nicht gerade Edelnutten einlud, pflegte sie auch selber Kontakt mit den Kunden und Kundinnen.

„Wir sorgen mit Kondomen und medizinischen Tests für Sicherheit“, erklärte sie Colette am Handy. „Nichtsdestoweniger bleibt jeder in unserem Club ein freies Individuum. Du musst dich am Treiben nicht beteiligen, du kannst auch einfach nur zugucken. Hast du Lust, mitzukommen?“

„Lust ... ja, schon ... aber mein traumatisches Erlebnis ...“ Colettes Antwort verlor sich in Keuchen und Schnaufen.

Gemeinsam gingen sie zu Dr. Singer, einem Allgemeinmediziner und Lungenfacharzt. Er war etwa fünfunddreißig Jahre alt, ein brillanter Auswendiglerner, sportlich, einem mittelmäßigen Lebensstil treu und gleichwohl Monas Cousin. Daher tadelte und bewunderte er sie dafür, wie sie aus dem Vollen lebte.

Nach Röntgenaufnahmen, Lungenfunktions- und Blutgastests diagnostizierte er, dass Colette an Asthma litt.

„Und woher kommt das?“, fragte Mona im Sprechzimmer. „Das hatte sie doch vorher nicht.“

„Vorher hat man auch nicht, nun ja, ein gebrochenes Bein oder Krebs“, antwortete Dr. Singer und wandte sich an Colette. „Opiate wie Morphin können zwar die Atmung beeinträchtigen, aber nicht auf diese Weise. Da Sie mir gesagt haben, dass Sie unter Stress und Ängsten leiden, würde ich das für die Ursache halten.“

Colette hörte mit den Händen im Schoß zu.

„Hinsichtlich der Rückenverletzung muss ich meinem bayerischen Kollegen zustimmen, dass eine Physiotherapie sinnvoller als eine Operation ist. Ich halte insgesamt aber das Folgende für angebracht. Erstens würde ich Ihnen gerne ein Asthmaspray verschreiben, Viani. Zweitens empfehle ich ein Beruhigungsmittel als Angstblocker, und zwar einfach Valium, das Sie allerdings nur schwach dosiert in kritischen Situationen einnehmen sollten. Und drittens sollten wir das Morphin auf Tapentadol umstellen. Obwohl dieses Opioid nicht so stark ist, hat es sich bei chronischen Rückenschmerzen hervorragend bewährt. Ohne diese Änderung könnten Sie in Kombination mit dem Valium nämlich zu müde und kurzatmig werden. Sind Sie damit einverstanden?“

Woher soll ich das wissen?, dachte Colette. Dann antwortete sie: „Ja.“

„Prima, meine Assistentin wird Ihnen die Rezepte geben, die genauen Erklärungen zur Anwendung und einen weiteren Termin. Gute Besserung!“ verabschiedete sich Dr. Singer.

 

 

Colette gammelte zu Hause rum. Abends knabberte sie neben ihren Eltern gelangweilt Salzstangen, während alle drei eine Fernsehreportage anschauten. Ihre Mutter erzählte unaufgefordert:

„Im Hospiz haben wir einen neuen Koch, so einen Katholiken. Er wollte gesunde Gerichte wie braunen Reis mit Fenchelsalat und Olivenöl zubereiten, damit es den Sterbenden besser gehe. Aber sie haben sich alle beschwert. Was zum Henker heißt hier ‚besser‘?, krächzte einer. Wenn ich Pech, wenn ich noch MEHR Pech habe, dann wird schon dieses Weihnachten im Welttheater ohne mich stattfinden. Drum will ich noch einmal die überzuckerten Gerichte aus meiner Kindheit schmecken! Jetzt hat es der Koch kapiert.“

Ihre vielen Jahre der Sterbebegleitung hatten Colettes Mutter dem Jenseits nicht nähergebracht. Im Gegenteil, sie lehnte die Bibel als schiere Dichtung ab.

Die Tatsache, dass ihrer Tochter beim Champagner nach der Zugfahrt so leicht das Wort „Grab“ über die Lippen gekommen war, hatte der Mutter offenbar einen falschen Eindruck vermittelt. Denn nun verkrampfte sich Colette.

 Zu allem hin erwiderte der Vater mit Blick auf die Lebensmittelreportage etwas ungeschickt: „In diesem Fall muss man deinen beklagenswerten Patienten auch diese Pommes mit Transfettsäuren von der Konkurrenz empfehlen.“

Colette stand schlagartig auf. „Leider muss ich ins Bad. Mona wird mich abholen, weil wir noch ausgehen möchten.“

Ihre Eltern seufzten voller Bedauern.

 

 

Mit einem Mantel und einem roten Kleidchen sprang Colette in Monas Auto. Sie fuhren erst mal zur Wohnung der Freundin.

„Echt schick siehst du aus“, meinte Mona. Doch gleich danach zeigte sie fragend auf die glänzende Stofffaser an Colettes Beinen.

„Eine Strumpfhose“, sagte die Blondine. „Na und? Es ist kalt.“

„Colette, du solltest nicht unbedingt mit 'ner Strumpfhose in einen Sexclub gehen. Was, wenn du nicht nur zuschauen, sondern mal schnell die Beine breitmachen willst?“

„Ach so.“

„Ich habe noch halterlose Strümpfe bei mir daheim.“

Mona wohnte in einem Hochhaus. Während sie die Kommode in ihrem Schlafzimmer öffnete, schlenkerte Colette nervös durch das aufgeräumte Wohnzimmer. Dort entdeckte sie zwei Albino-Kaninchen.

„Die sind ja fetzig“, sagte sie und beugte sich zu dem halb offenen Kasten. „Aber mit ihrem weißen Fell und den roten Alkoholiker-Augen sehen sie auch irgendwie krank aus.“

„Alkoholiker-Augen!“, schmunzelte Mona. Sie brachte Colette ein Paar Strümpfe. „Hier, probier mal. Ich werde uns einen Bacardi-Orange mit Guarana machen.“

Colette stülpte ihr Kleid hoch und wechselte die Reizwäsche. Doch plötzlich lief ihr ein heißkalter Schauer über den Rücken, und sie sank hustend in den Sessel.

„Was ist los? Panik?“ Mona stellte die Getränke auf dem Glastisch ab und sah ihre Freundin nicken. „Dann nimm doch 'ne halbe Valium. Hast du die Tabletten zusammen mit dem Asthmaspray in deiner Handtasche?"

„J-ja, danke“, antwortete Colette.

Sie goss das Beruhigungsmittel ihre Kehle hinab. Anschließend inhalierte sie das Spray.

Mona schabte eine Pulverspur auf dem Glastisch zurecht und schnupfte sie mit einem Röhrchen die Nase hoch. „Ah!“, zwitscherten ihre Lebensgeister.

„Das war doch nicht etwa Kokain, oder?“, fragte Colette verdattert.

„Na, welcher zivilisierte Mensch braucht nicht irgendein Medikament?“, erwiderte die Kokserin.

Ihre alleinerziehende Mutter war erzkonservativ gewesen, so dass Mona am liebsten schon mit dreizehn Jahren abgehauen wäre. Stattdessen ging sie oft zu ihrem älteren Bruder, der mit seiner Freundin in einer mülligen Bude lebte. Die Schlampe überredete ihn, Sex vor den Augen seiner kleinen Schwester zu haben. Uninteressant war das auf keinen Fall. Jede Beziehung, die Mona später selbst ausprobierte, hinterließ dagegen einen schalen Beigeschmack. Übrigens starb ihr Bruder, als er bei einer Mutprobe von Balkon zu Balkon springen wollte.

Colette versuchte kritisch nachzudenken. Aber ihr Verstand rutschte in rosigen Schlamm. Sie zupfte am Spitzensaum der halterlosen Strümpfe, stand auf und fragte: „Zu eng? Es quetscht ein bisschen mein Fett raus.“

„Du bist doch nicht fett! Ich sag dir, Männer wollen genau solches Fleisch und nicht dünne Modeknochen anfassen. Perfekt bist du.“

Je mehr Colettes Wille aufweichte, desto ungehemmter und sorgloser fühlte sie sich. Sobald sie und Mona ausgetrunken hatten, brachen die beiden ins Hedonica auf.

 

 

Sie gingen an den hartgesottenen Türstehern vorbei und betraten den parfümgeschwängerten Nachtclub. Colette, die sich für gewöhnlich mit Musik von Taylor Swift bestärkte, fühlte bei dem dunklen und flatternden Tempel-Pop ihr Blut anders pulsieren.

Bis auf die eine oder andere hervorschielende Titte waren die Gäste noch bekleidet. Sie tanzten in kleinen Gruppen, lümmelten auf den Ledersofas oder standen an der Bar. Hübsche Hostessen stöckelten mit neonfarbenen Drinks hin und her. Während der Begrüßungen bemerkte Mona stolz, dass Colette sehr gut aufgenommen wurde.

Der glatzköpfige Clubbesitzer im Muskelshirt war zugleich der Barkeeper, weil er hierbei alles voyeuristisch unter Kontrolle hatte. Mona wirkte auf ihren Stöckelschuhen kein bisschen kleiner als er. Allerdings wog er dank anaboler Steroide und massenweise Hühnchenbrustfilets hundert Kilogramm. Manchmal zog sie ihn damit auf, ein Abstinenzler zu sein, denn sie hatte ihn noch nie betrunken gesehen.

„Ich bin Mick“, sagte er zu Colette und gab ihr ein Küsschen auf die Wange. Schüchtern setzte sie sich mit einer Pobacke auf den Hocker.

Mona fragte ihn: „Was macht deine Honigbiene?“

„Da drüben ist sie doch. Sie kann's wieder mal nicht abwarten und befingert sich selbst.“

„Schön, aber die meinte ich nicht.“

„Dann meinst du wohl meine Grille, meine langbeinige Grille? Erinnerst du dich daran, wie ich ihr mal sagte, dass sie von der Taille abwärts kurz gebaut sei? Jetzt hat sie sich ihre Beine brechen lassen.“

„Bitte was?“

„Sie lässt sich in einem ausländischen Krankenhaus die Beine langziehen. Tolles Grillenlied, nicht? Was wollt ihr zwei trinken?“

Colette musste sich nicht sehr für ein Lächeln anstrengen. Ein knalliger Cocktail hob ihre Stimmung noch weiter.

Allmählich kamen die männlichen Gäste in die Überzahl. Mitten aus dem schwülen Wirbel heraus kristallisierte sich die Orgie.

Colette wurde ein wenig schwindlig, zumal Monas helle Brüste wie Eiskugeln aussahen. Warum schmolzen sie nicht? Für einen Moment führte dieser Anblick zu einer Verunsicherung zwischen den Freundinnen.

Beide waren heterosexuell, und die lesbischen Verrenkungen hatten Mona am meisten ins Schwitzen gebracht, als sie im Club anfing. Doch jetzt beruhigte sie Colette mit einer lässigen Geste: „Bleib einfach hier sitzen, wenn dir das lieber ist. Ich muss nur mal – arbeiten.“

Mona half einer knienden Latina beim Schwanzlutschen. Daneben wand sich eine Dame unter der geschickten Zunge einer anderen, und mehrere Jungs bumsten schon mit knackigem Gestöhne.

Indem Colette alleine an der Bar diese triebhafte Menge beobachtete, fühlte sie sich von deren Sinnenfreuden furchtbar angestachelt. Unerwartet kam ein Pärchen auf sie zu. Das pinkgesträhnte Mädchen trug eine Halskette mit Opal, die bis zu ihrem Bauchnabel baumelte. Ihr schlaksiger Freund erinnerte Colette an irgendeinen Prominenten, und vielleicht traf das sogar zu. Er sagte einfach nur kein Wort. Stattdessen grinste er Colette mit einem Ständer an. Sie musste mehrmals hinsehen, denn er blieb ohne die geringste Berührung steif.

„Glaub ruhig, was du siehst“, schäkerte das schrille Mädchen. „Du bist die Ursache für seinen Zustand. Hey Mick, stimmst du uns nicht zu, dass sie reizend ist?“

Der Clubbesitzer tat das, was Barkeepern angeblich am besten steht – polieren. „Ja, sie ist reizend“, blickte er durch das lupenreine Glas.

Geschmeichelt hob Colette eine Schulter und fasste sich an den Nacken, wobei sie die Träger ihres roten Kleids bis zu den Hüften rutschen ließ. Ihre Wirbelsäule war schmerzfrei durchgestreckt.

Der schweigsame Bursche streichelte über den Spitzenbesatz ihrer Strümpfe. Obwohl oder gerade weil er nicht ganz ihr Typ war, brauchte sie vor ihm und seiner Freundin keineswegs zu zittern.

Mona erspähte diese verheißungsvolle Annäherung trotz des Trubels um sich herum. Komm schon, Colette, dachte sie, genieße dein Leben ...!

Mit feuchtem Atem bekam die Blondine ihren Slip ausgezogen. Ah, was für ein Segen, dass es fortschrittliche Menschen wie Dr. Singer gab!

Die Hostessen sortierten die abgestreiften Kleidungsstücke und hingen sie auf Bügel, während sich Colette auf einem Sofa wiederfand. Dort bumste der schlaksige Kerl abwechselnd sie und seine Freundin.

Schließlich stopfte sich das pinkgesträhnte Mädchen ihre Opalkette in die Möse. Sie rieb ihren anschwellenden Kitzler und drängte wie hypnotisiert:

„Spritz ihr alles auf den Bauch … auf den Bauch musst du ihr spritzen!“ Doch vor der Verwirklichung außerhalb ihres Kopfes wurde sie bereits von ihrer Ekstase durchgeschüttelt.

Befriedigt schlenderte das Paar davon und winkte Colette zum Abschied. Plötzlich kam ihr jedoch in den Sinn: „Meine Handtasche!“

„Keine Sorge, ich hab sie Mick gegeben“, rief Mona.

„Puh, du bist die rechte Hand zu meinen zwei linken“, seufzte Colette. Sie stand auf, schwankte und musste sich für einen Moment auf einen Tisch stützen. Nichtsdestotrotz spazierte sie dann zur Toilette.

Als sie sauber zurückkam, stieß sie beinahe mit einem attraktiven Mann zusammen, einem Nachzügler. Sein weißes Hemd stand am Kragen offen. Er war einen halben Kopf größer als sie und hatte ein gepflegtes Gesicht, wenn auch einen etwas stoppeligen Bart. Vielleicht wollte er sich nachts einfach nicht mehr rasieren. Freimütig ließ er seinen Blick über die Blondine schweifen, bevor seine grünen Augen in ihre wasserblauen eintauchten.

„Colette“, gluckste sie mit Schluckauf.

„So heißt du?“

„Ja, wenn ich nicht völlig gaga bin.“

„Hallo also, schöne Colette! Ich bin Arnold.“

Sieht so aus, als wäre sie schon beschwipst, dachte er. Wenn ich will, dass sie meine Leidenschaft noch erwidert, sollte ich ihr nicht das stärkste Zeug anbieten. Sie ist eine von denen, die nicht widerstehen können.

Somit fragte er: „Darf ich dich auf einen Gin Basil Smash einladen?“

„Keine Ahnung, was das ist, aber ich würd’s gern probieren", strahlte sie.

Die beiden tranken und unterhielten sich auf einem Sofa. Aufgrund der höflichen Unmoral, die an diesem Ort herrschte, zog auch Arnold seine Kleidung aus. Colette kuschelte sich an ihn und strich über seine Lenden, als würde sie einen Pinsel anfassen.

Auf einmal kam Mona zu ihnen und wischte sich die Innenschenkel mit einem Taschentuch trocken. Sie schmunzelte.

„Na, Arnold, ob du da nicht gerade deine Traumfrau in den Armen hältst? Colette, er ist definitiv ein netter Kerl und frei von Eifersucht! Ich wünsche euch endloses Vergnügen“, sagte Mona. Dann verschwand sie wieder.

Arnold küsste Colette vom Fußknöchel bis zum Hals. „Deine Haut ist so weich wie ein Pfirsich. Ich lieeebe Pfirsich“, knutschte er sie auf den Mund.

O ja, sie fühlte sich gut, sie fühlte sich sogar sehr gut. Und sie ließ sich fallen. „Füll mich!“

 

 

 

 

 

2. Kapitel

 

 

Arnold Schliermann war Pharmavertreter. Im Auftrag seiner Firma belieferte er Krankenhäuser, Apotheken und lukrative Arztpraxen. Seinem Marketingserfolg war es auch zu verdanken, dass sein Kunde Dr. Singer das teure Tapentadol verschrieb.

Privat hatte sich Arnold von einer akademischen Schickse scheiden lassen, die argwöhnisch und insgeheim prüde war. Nicht, dass er infolgedessen die Ehe missachtete. Aber er war der Meinung, dass ein Individuum frei bleiben und nicht zum Sklaven seiner oder anderer Bedürfnisse werden sollte.

In seiner Jugend hatte er glühend für seine Tante geschwärmt, eine genusssüchtige Schauspielerin auf der niederländischen Bühne. Sie erkrankte früh an Parkinson und nahm sich das Leben, weil es so freudlos geworden war. Als ihre Asche auf der Nordsee verstreut wurde, brannte sich dieses Ereignis für immer in Arnolds Herz ein.

Colette gestand ihm alle sinnlichen Schwächen und stammelte von ihrem Selbstmordversuch. Für ihn spielte es in seiner Beziehung mit ihr nicht die entscheidende Rolle, dass sie die Tochter des Millionärs Goldschmidt war. Denn Arnold besaß aufgrund seines Ehrgeizes bereits ein eigenes Haus.

Sogar zwischen Dezember und Januar war er auf Geschäftsreisen. Ungeachtet dessen organisierte Mona an Silvester eine exzessive Party im Hedonica. Bis dahin war Colette noch regelmäßig zur Physiotherapie gegangen, aber bald vergaß sie alle ihre guten Vorsätze.

Sie ließ sich von Arnold stattdessen in Kinos und Restaurants ausführen. Er kaufte ihr Schmuck, er lachte gemeinsam mit ihr auf der Rodelbahn, und er ließ sich bei ihren Eltern zum Kaffee blicken.

Über die Eroberung ihrer Tochter schienen beide erfreut zu sein. Ihr Vater fragte: „Wo habt ihr euch denn kennengelernt?“

Colette saß still bei Arnold, als er antwortete: „In einem Tanzclub. Wie es das Schicksal oder der Zufall so will, bin ich auch mit ihrem Arzt bekannt.“

„Nennen wir es eine glückliche Fügung“, sagte der Vater in seinem Sessel und hob die Kaffeetasse. „Wenn mir die Frage erlaubt ist, so behandeln Pharmazeutika aber nur die Symptome, heilen nicht und sind auf Dauer sogar schädlich, oder?“

„Nein, nicht unbedingt. Die gesetzlichen Bestimmungen sind sehr streng, denn man hat längst die Lehren aus falschen Experimenten wie Contergan gezogen. Außerdem gibt es Medikamente – denken Sie zum Beispiel an Penicillin –, die wirklich die Ursachen beseitigen und heilen. Doch auch in jenen Fällen, wo nur die Symptome bekämpft werden, sind Pharmazeutika von hohem Wert. Wir können mit ihnen die Naturgemeinheit im Leben ebenso wie im Sterben überwinden.“ Arnold drückte schützend Colettes Hand, bevor er ihre Mutter fragte: „Würden Sie mir nicht recht geben, Frau Goldschmidt?"

„Doch, das stimmt.“

 

 

Ihre Eltern wohnten in einem Stadtteil westlich von St. Pauli, während Arnold östlich davon lebte. Demgemäß konnte man diese Wege zu Fuß bewältigen. Doch Colette fand Sitzen so viel bequemer als Gehen. Weil ihr gleichzeitig bewusst war, dass sie nicht Auto fahren sollte, ließ sie sich von jemandem abholen oder nahm die Straßenbahn.

Als sie Arnold zum ersten Mal besuchte, lief sie fast schüchtern durch die puristischen Räume. Nichtsdestoweniger hatten die Möbel auch warme Farbtöne. Dadurch fühlte sie sich wohler.

„Aber bist du hier denn nicht einsam?“, fragte sie.

„Sehr sogar.“ Er schaute sie versonnen an.

Sie war gerührt, dass er ihre Existenz wertschätzte. Dennoch redete sie sich ein, dass sie ein bisschen unwürdig war und selber nichts zu geben hatte. Konnte er so tief in ihren Augen lesen? Wahrscheinlich nicht.

„Und diese tollen Bilder?“, Colette stand vor einem eingerahmten Schloss. Damen mit weißen Regenschirmen lehnten aus den Scharten.

„Die habe ich gemalt.“

„Echt?! Die sehen aus, als wären sie mit 'ner scharfen Nadel gezeichnet worden.“

Er fühlte sich von ihrem Kompliment befeuert. „Ich würde gerne ein ganz persönliches Denkmal von dir anfertigen.“

Also posierte Colette für ihn nackt im Wohnzimmer. Seltsamerweise wollte er ihre Rückansicht in den Sonnenuntergängen der Februar- und Märzabende malen. Ihr Körpergewicht ruhte auf dem rechten Bein, wogegen ihr linker Fuß den Boden nur leicht berührte und angewinkelt war. Gleichzeitig blickte sie über ihre Schulter zum Betrachter, und ihr Zeigefinger lag über den roten Lippen.

Allerdings ermüdete sie in dieser Pose schon nach jeweils einer Stunde. Aus diesem Grund brauchte Arnold viele Tage mit dem Ölpinsel, bis er das Werk vollendet hatte.

Er hing es ins Schlafzimmer. Allerdings sah er in dem Bild hundert kleine Unvollkommenheiten, ohne darüber zu sprechen. Colette hätte seine Selbstkritik ohnehin nicht verstanden.

 

 

Während sie das Tapentadol und Viani regelmäßig einnahm, konnte sie ihren Konsum des Beruhigungsmittels noch auf Angst- oder Spannungszustände beschränken. Hierzu gehörten die Momente, wenn sie aus ihrem langweiligen Alltag in die aufregende Club-Atmosphäre sprang.

Einer der Stammgäste war ein großer Polizist mit schwarzen kurzen Haaren und ziviler Kleidung, Valentin Sliwowitz. Im Gegensatz zu seinem Nachnamen, der an einen osteuropäischen Schnaps erinnerte, wirkte er nüchtern und trank nur Fruchtsäfte an der Ecke der Bar. Er kannte die teils zu engen, teils zu weiten Maschen von Rechten und Pflichten überaus gut.

Mit seiner Frau – verflixt, darüber wollte er nicht sprechen – hatte Valentin nur einmal einen Ausflug ins Hedonica gemacht. Seitdem blieb sie zu Hause, tobte vor Eifersucht bei seiner Rückkehr und beruhigte sich wieder. Er schwärmte für Mona.

Sie begrüßte ihn mit einem Zungenkuss und sagte dann: „Darf ich dir meine Freundin vorstellen? Valentin, das ist Colette. Bitte schwärme auch für sie.“

„Hallo!“ Die Blondine umarmte ihn herzlich.

Erfreut fragte er: „War ich immer zur falschen Zeit am richtigen Ort, oder warum lerne ich dich erst jetzt kennen?“

Colette fiel keine Antwort ein und errötete leicht, weil eine irre prickelnde Vorstellung über sie kam. Warum leckt er nicht einfach meine Muschi, statt zu reden! So feucht, so inbrünstig würde ich mich dann auf seinen Schwanz setzen ...

„Lediglich sie war am falschen Ort, nicht du“, erwiderte Mona. Ungezwungen holte sie ein nummeriertes Tütchen heraus und schüttete ihr weißes Pulver auf die dunkel lackierte Bar. „Aber die Zeiten werden sozusagen besser, nicht?“

„Nein, nein, denkst du, ich werde dir hierbei zusehen?“ Valentin schnippte ihr mit dem Finger gegen die Nase.

„Autsch! Und ob du zusehen wirst. Du bist doch keiner dieser sturen Böcke, die ihre praktische Moral nicht an die jeweilige Situation anpassen können, oder? Bestimmt nicht, mein Lieber.“ Mona zog sich das Kokain rein. „Gott, das tut so verdammt gut! Worüber haben wir gerade geplaudert? Ach ja, wir wissen beide, dass du mich charmanter findest als angerostete und stachelige Paragraphen. Soll ich dir auch Stoff vom Schwarzmarkt besorgen?"

Natürlich ging Valentin nicht darauf ein.

„Was ist mit dir, Colette? Möchtest du?“

In ihren Augen schimmerte eine labile Gier. Doch dann begegnete sie dem abratenden Blick des Polizisten und schüttelte den Kopf. „Vielleicht sollte ich mir lieber“ – sie begann plötzlich zu kichern –, „einen Sliwowitz genehmigen. Mick, heute darf's ein Sliwowitz pur sein!"

Valentin hatte diesen Witz schon tausendmal gehört, aber noch nie so unschuldig und verführerisch wie von Colettes Lippen. Er, sie und Mona trieben's die halbe Nacht.

 

 

Am nächsten Tag klopfte jemand behutsam an Colettes Schlafzimmertür. Sie war schlampig in die Decke gewickelt und dünstete Mundgeruch aus, als ihre jüngere Schwester hereinkam. Stefanie trug einen Kaschmirpullover und besuchte wie jeden Sonntag ihre Eltern zum Mittagessen.

Sanft wiegte sie Colette an der Schulter, bis die ältere Schwester ihre Lider öffnete. Ihr Make-up war verschmiert und das Sperma in ihrer Unterwäsche eingetrocken.

Erschrocken richtete sie sich auf und zog hinterher die Decke über ihre Brüste. Was für Kopfschmerzen sie hatte! Was für ein Kater! Und ihre Blase war so knallvoll, dass sie das dringendste Bedürfnis hatte zu pinkeln, wodurch sie sich vor ihrer jüngeren Schwester noch säuischer fühlte.

„Ich wollte dich nur wecken, damit du dich noch in Ruhe waschen und anziehen kannst.“ Das war alles, was Stefanie sagte. Rücksichtsvoll verließ sie das Zimmer wieder.

Colette öffnete ihr Nachtschränkchen und nahm zwei Kopfschmerztabletten. Danach huschte sie ins Bad.

 

 

In einem Café zwischen Jungfernstieg und Europa Passage trank sie mit Arnold heißen Schokoladenlikör. Doch was auch immer er sagte, sie konnte sich nicht auf seine Worte konzentrieren. Plötzlich fragte sie ihn: „Kann ich bei dir wohnen?“

Ein Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. „Du bist sowieso schon lebensgroß bei mir zu Hause. Also warum nicht, Schatz? Zieh bei mir ein!“

Als ihre Eltern die Koffer für sie packten, klagte Frau Goldschmidt: „Jetzt verlieren wir unsere Tochter schon wieder. Colette, wirst du dort nicht den größten Teil des Tages alleine sein? "

Ihr erwachsenes Mädchen stand nur untätig im Türrahmen.

„Ich seh schon“, sagte die Mutter, „mit uns warst du auch allein.“

 

 

Im Frühjahr, nur eine Woche nach dem Umzug, lag Colette mit einer Grippe im Bett. Sie bekam zwar kein Penicillin, dafür wies Arnold Schliermann aber Dr. Singer an, ihr ein anderes Antibiotikum zu geben. Denn gegen dieses hatte das Virus noch keine Resistenz entwickelt.

Mona kam jeden Tag vorbei. Anfangs brachte sie ihrer kranken Freundin asiatische Nudeln mit, wobei der Imbisskoch das Gericht auf Wunsch nur milde angebraten hatte. Doch Colette seufzte nur: „Ich müsste mich zwingen, um es zu essen, und das kann ich nicht.“

Darum rührte Mona nun in Arnolds Küche ein Bananen-Porridge an und servierte es ihr im Bett. Colette setzte sich gequält auf.

„Irgendwie sind die Rückenschmerzen durch die Infektion schlimmer geworden“, ächzte sie. „Kannst du mir bitte noch 'ne Tapentadol und ein Glas Wasser bringen?"

„Klar, deshalb flitze ich hier doch rum wie deine Krankenschwester. Ist diese Erhöhung der Dosis aber auch mit meinem Cousin abgesprochen?“

„Mit Doktor Singer? Ja. Wie hat er sich noch gleich ausgedrückt ...?"

Während Colette grübelte, holte Mona die Pille und das Glas Wasser für sie.

„Oh, danke. Er sagte: Das Kriterium für die Dosierung von Schmerzmitteln richtet sich natürlich nach den Schmerzen der Patienten. Außerdem habe ich mich nachts ständig hin und her gedreht, obwohl ich mir Sorgen machte, Arnold zu stören. Ich wachte alle halbe Stunde auf und träumte ein bizarres Zeug zusammen. Vielleicht träume ich noch immer so etwas, aber ich kann mich nicht daran erinnern. Denn seitdem nehme ich zwei Valium und schlafe so fest, als wäre ich im Garten Eden.“

„Und was ist mit deinem Asthma?“

Colette schob sich einen Löffel Brei in den Mund. „Mmh, wenn ich aufstehe, dann brauche ich mehr von dem Spray. Aber das ist ja harmlos. Ich kann es wieder mit Leichtigkeit reduzieren.“

 

 

Sobald es ihr besser ging, überredete Arnold sie zu einem Zoobesuch. Obwohl sie erst keine Lust hatte, hellte der Spaziergang durch die blühende Anlage ihre Stimmung auf.

Vor dem Gehege der Flamingos, wo fast keine Leute standen, holte Arnold ein zierliches Etui hervor. Er war aufgeregt, auch wenn er nicht stammelte wie so einige Gentlemen in romantischen Filmen.

„Colette, mein Schatz, ich wünsche mir, dass du immer hoch oben am offenen Himmel fliegst. Dennoch bist du für mich durch keine aus der großen Schar zu ersetzen. Aus diesem Grund möchte ich dich fragen – willst du mich heiraten?“ Und er enthüllte die goldenen Ringe.

Schönen Schmuck habe ich zwar schon, dachte sie. Aber die Idee klingt gut. „Ja, ich will."

 

 

 

 

 

3. Kapitel

 

 

Das Ehepaar schwirrte aus dem Standesamt und in den heißen Sommer von 2015. Da sie von einer kleinen Gruppe begleitet wurden, standen drei Autos bereit. Sie fuhren zu einem riesigen Hausboot auf der Nordsee.

In dem vorausfahrenden Mercedes-Cabrio saßen Arnold und Colette. Sie trug ein cremeweißes Hochzeitskleid, wobei ihre Haare wie glänzende Ähren über ihrem schwitzenden Nacken hochgesteckt waren.

Colettes Eltern und ihre Schwester saßen in der zweiten Limousine. Stefanie hatte sich für ein türkisgrünes Kleid entschieden.