Wenn du geredet hättest, Desdemona - Christine Brückner - E-Book

Wenn du geredet hättest, Desdemona E-Book

Christine Brückner

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Beschreibung

Es sind viele Reden berühmter Männer bekannt. Hatten Frauen nichts zu sagen? Oder wurde einfach nicht überliefert, was sie zu sagen hatten? Christine Brückner lässt diese kulturgeschichtliche Ungerechtigkeit nicht auf sich beruhen, gibt legendären Frauengestalten aus Literatur, Mythos und Geschichte eine Stimme. Entstanden ist ein sprachgewaltiger Chor starker Frauen: mal zornig und aufsässig, mal wehmütig und zärtlich. Vierzehn Texte von furioser Kraft und moralischer Stärke. Als Christine Brückners »ungehaltene Reden ungehaltener Frauen« 1983 erstmals erschienen, wurden sie zu einem überwältigenden Überraschungserfolg. Die Sammlung fiktiver Monologe wurde nicht nur in zahlreiche Sprachen übersetzt, sondern zählt bis heute zu den meistgespielten zeitgenössischen Theaterstücken. Jetzt ist sie endlich wieder lieferbar, in einer schönen Geschenkausgabe – für alle ungehaltenen Leserinnen und Leser.

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Seitenzahl: 210

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Christine Brückner

Wenn Du geredet hättest, Desdemona

Ungehaltene Reden ungehaltener Frauen

Hoffmann und Campe

Für Horst Janssen

Ich wär Goethes dickere Hälfte

Christiane von Goethe im Vorzimmer der verwitweten Oberstallmeisterin Charlotte von Stein

Die Frau verwitwete Oberstallmeisterin empfängt nicht? Sie fühlt sich nicht? Auch recht. Ich kann warten. Vielleicht fühlt sie sich demnächst wieder? Ich kann auch Platz nehmen. Vielleicht müssen Sie Ihren Salon mal verlassen und kommen durchs Vorzimmer, und da sitzt dann die ehemalige Vulpius. An der kommt man nun nicht mehr vorbei, Madame von Stein, auch Sie nicht. Soll ich lauter sprechen, damit Sie mich verstehen? Oder halten Sie sich die Ohren zu, weil ich ordinär rede? Thüringisch! Das tun Sie auch, nur gestelzter.

Ich passe nicht in Ihre Sessel, ich bin zu breit. Hier darf man sich’s wohl nicht commod machen? Hier muß man die Knie aneinander drücken und darf sich nicht anlehnen. Aber ich lehn mich gern wo an! Und jetzt setz ich mich erst recht lätschig, nur weil Sie’s erwarten.

Der Portwein ist für mich? Oder soll er noch für andere Besucher reichen? Wer kommt denn noch? Die Weimarer fürchten Ihre spitze Zunge. Haben Sie die Karaffe füllen lassen, als Sie die Kalesche der Vulpiussen haben vorfahren sehen? Wollen Sie wissen, ob ich die Karaffe leer mache? Kommt drauf an, Madame, wie lange Sie mich warten lassen. Wer mehr Geduld hat.

Jetzt sind Sie neugierig, ob der Meinige weiß, daß ich Ihnen einen Besuch abstatte. Er befindet sich zur Zeit auf Reisen, das weiß in Weimar jeder, und Sie wissen’s auch. Und wenn er zurückkommt, erzählt er, wie’s war, und ich erzähl ihm, wie’s in Weimar war, und vielleicht erzähl ich ihm auch, daß die Frau von Stein sich nicht fühlte, um die kranke Frau von Goethe zu empfangen. Ich dacht, wir hätten uns was zu sagen gehabt. Wenn’s dem Ende zugeht, muß es auch mit dem Streit zu Ende gehn. Wir sollten unsre Sach ins reine bringen. Vielleicht, daß Sie das eine oder andere gern zurücknehmen möchten? Worte wiegen schwer. Sie haben angeordnet, daß die Sargträger Ihre Leiche nicht am Frauenplan vorbeitragen sollen, wenn’s soweit ist. Ich bin vorher dran, Madame. Wenn’s meinetwegen ist, können Sie sich den Umweg sparen, und der Meinige wird nicht am Fenster stehn, er geht dem Tod aus dem Wege.

Ich schenk mir noch mal ein, wenn’s recht ist. Und jetzt werd ich Ihnen erzählen, wie alles gekommen ist. Ich hab nichts für mich gewollt von dem Herrn von Goethe. Ich hab ihm damals eine Bittschrift meines Bruders überreicht. Nur angesehen hat er mich, und ich hab geknickst und bin rot geworden und hab gelacht, weil ein armes Mädchen nicht stolz sein darf. Er hat mich eingeladen in sein Gartenhaus. Zuerst, da haben die Leut gedacht, die Demoiselle Vulpius putzt und kocht für ihn und weiter nichts. Aber das Weiternichts, das war die Hauptsach. Für ihn war ich keine Arbeiterin, die Kunstblumen in der Bertuchschen Fabrik macht, für ihn war ich ein Blumenmädchen. Ich war sein Mädchen. Er liebte Mädchen. Er hatte genug von den Damens! Ich hab mich heimlich durch die Gärten hingeschlichen, hintenherum. Das Wehr an der Ilm rauschte, da hat mich keiner gehört. Er sollte nicht ins Gerede kommen, und ich durfte auch nicht ins Gerede kommen. Aber die Weimarer! Da hat jeder drei Augen und drei Ohren! Als sie’s rausgekriegt hatten, daß ich bei ihm war, Tag und Nacht, da hieß es, ich wär ein Geschöpf aus der Gosse. Ich wär eine Hure. Ich käm aus einer Pöbelfamilie. Mein Vater wäre ein Trinker.

Aber der Meinige hat mir einen Schlüssel gegeben und hat ›unser Häusgen‹ gesagt. Ich hab im Garten gehackt und gejätet und Wasser von der Ilm geholt und die Blumen gegossen, und die sind gewachsen und haben geduftet. Das war mir am liebsten, draußen bei den Blumen, die Dornen hatten und welk wurden, anders als die Seidenblumen, die ich bei Bertuch machen mußte für Damens wie Sie. Wir Mädchen waren stolz, wenn wir hörten, daß die Frau Oberstallmeisterin von Stein unsere Blumen an ihrem Busen trug, an ihrer ›imponierenden Büste‹, sagten wir dazu.

Wenn der Meinige nach Jena fuhr, für mehrere Tage, und ich war allein im Häusgen, dann hab ich mich nützlich gemacht, und wenn er zurückkam, war ich nicht verdrießlich und hab nicht gefragt wieso und woher. Dann hatten wir unser Hätschelstündchen, darauf war er so erpicht wie ich. Die Frau Rath in Frankfurt hat ihn ihren Hätschelhans genannt und hätscheln, das hatte er gern und ich auch. Und gelobt hat er mich, ohne meinen Namen zu nennen. Er hätt jetzt ein Haus und gut Essen und Trinken und dergleichen, und die Leut wußten, was er mit dergleichen meinte und tuschelten und keiften, und ich traute mich nicht auf die Straße. Aber er, er hat’s als eine Gewissensehe angesehen, nur ohne Zeremonie. Er hatte ja noch nicht viele gute Ehen zu sehen bekommen, in Weimar nicht und in Jena auch nicht. Keine, die ihm Lust gemacht hätte. Da war alles standesgemäß und reputierlich, und von Lust und Lachen war nichts. Ich hab nicht viel gelernt, nur daß ich lesen und schreiben konnt, aber ich hab meine Augen und Ohren aufgesperrt, und meine Gedanken sind hinter seinen Gedanken hergerannt und sind Kobolz geschossen und oft nicht angekommen. Er hat mir vorgelesen, was er geschrieben hat, nicht nur Ihnen, Madame, und manchmal tut er’s heut noch. Ich hab zugehört und genickt und gelacht und losgeheult, wenn’s traurig war. Und wenn’s langweilig war, bin ich eingeschlafen. Ich war wie’s Publikum. Und Sie waren seine Kritikerin. Zu Haus will einer nicht kritisiert werden, da will er geliebt und bewundert sein. Und geendet hat’s meistens mit unserm Schlampampstündchen. Sie wissen nicht, was das ist? Hat’s das mit dem Herrn Oberstallmeister nicht gegeben? Ich sag’s Ihnen nicht! Jetzt brauchen Sie’s auch nicht mehr zu wissen.

Was haben Sie denn Ihrer Dienstmagd gesagt, als Sie die Vulpiussen im Spion entdeckt haben? Für die Dame Vulpia bin ich nicht zu Hause? Ich bin unwohl? Unpäßlich? Wird Ihnen schlecht bei meinem Anblick? Es riecht hier säuerlich, Madame, schon auf der Stiege. Ungelüftet! Ich komm aus kleinen Verhältnissen, aus der Gosse, oder wie drücken Sie das aus? Aber jetzt hab ich’s zu was gebracht, ohne daß ich drauf aus war. Es hat sich ergeben. Ich sag dem Kutscher: Fahr er mich zu der Frau Oberstallmeisterin von Stein! Er braucht nicht zu warten, wir haben miteinander zu reden, es wird dauern.

Jetzt seh ich’s mit eigenen Augen. Sie leben ärmlich. Die Dielen knarren. Keine Teppiche mehr, kein Kronleuchter. Aber eine silberne Schale für die Visitenkarten! Der Stuhl hat kein Polster. Und Sie sitzen am Fenster und gucken auf die Straße, was die Leut für Fehler machen, und mokieren sich. Sie sind ein Zugucker, aber ich mach überall mit, auch heut noch. Sie sind gekränkt, weil die Marodeure Ihnen alles zerschlagen und weggenommen haben. Wenn Krieg ist, passiert so was. Ich hab die Kerle rausgeworfen. Raus hier! hab ich geschrien, und das haben sie verstanden, auch wenn’s nicht französisch war. Sie, Sie konnten doch parlieren! Oder wollten Sie sich mit dem ordinären Kriegsvolk nicht einlassen?

Bei Ihnen friert’s mich, Madame! Vornehme Kühle und vornehme Blässe. Aber ich geh in die Sonne, weil ich’s gern warm hab und bin braun wie die Frauen in Sizilien. Und wenn’s regnet, wird’s Haar kraus, ohne Brennschere, und geschnürt bin ich auch nicht, alles Natur, wie’s der Meinige gern hat. Ich red, wie mir der Schnabel gewachsen ist. Ihm wär’s recht, aber er sagt nicht ›Schnabel‹, er sagt ›dein Mäulgen‹. Ich hab keinen spitzen Schnabel und keine spitze Zunge, bei mir ist alles rund. Besser rundlich als runzlig. Und Grübchens! Er hat sie gezählt. Zwölf hat er gezählt. Ich sag Ihnen nicht wo alles. Ich sag ›Meiniger‹ das hat er immer gesagt, als mir noch Madame Vulpius und Sohn waren. Ich sag ›mir‹ – stört Sie das? Der Meinige war abhängig von mir und ich von ihm. Was ist denn Schöneres, als wenn einer den anderen braucht? Sie waren seine Seelenfreundin. Gut! Die Seele hätt ich Ihnen gegönnt, wenn’s nur eine gute Seele gewesen wär! Erst waren Sie seine Lehrmeisterin, dann war ich’s, nur bei mir hat er was anderes gelernt. Sie waren sieben Jahre älter als er, ich war siebzehn Jahr jünger. Ich könnt Ihre Tochter sein, aber ich hätt’s nicht wollen. Dann hätten Sie mich erzogen und gedrillt, und aus mir wär womöglich ein Hoffräulein geworden. Auf die Dauer konnt er eine edle Seele leichter entbehren. Ans warme Bett gewöhnt man sich. Ich war seine Wärmkruke.

Wie’s so geht: ein Jahr, und ich kam nieder. ›Liebe bildete dich: werde dir Liebe zuteil‹, so hat er seinen Sohn begrüßt. Unser August! Unser Bübgen! Sie hätten sich doch mitfreuen können. Ein leiblicher Sohn von Johann Wolfgang von Goethe! Alle wußten es doch, und er hat’s auch nie geleugnet. Und Ihrem Sohn Fritz war er doch wie ein Vater, hat ihn erzogen und gebildet. Und jetzt reden Sie schlecht von unserem August, er wär ein Trinker, wie seine Mutter.

Der Meinige hatte viele Pflichten am Hofe und Ämter und mußte oft weg, aber nach dem Bübgen und mir hat er sich immer gesehnt. Er hat uns Briefe geschrieben und Präsenter mitgebracht, damit ich mich putzen konnte wie die Damen in Weimar. Hauben und Seidenstoffe. Und wenn ich mich langgeweilt hab, bin ich ausgegangen. Er wollt nicht, daß ich gramselig war, und wenn ich merkte, daß ich’s wurde, bin ich Tanzen gegangen und Weintrinken und Schlittschuhlaufen und Kartenspielen. Wenn er zurückkam, war ich so, wie er mich hat haben wollen, quirlig und lustig. Ich bin, wie ich bin, und er ist, wie er ist. Er wollt mich so, und ich wollt ihn so. Oft war ich richtig hasig, wie die Mädchen in Italien. Das ist, wenn man Lust auf einen Mann hat, Madame! Nicht auf irgendeinen. Auf den! Davon wird man dann leicht krabbskrallig. Und meine Krabbskralligkeit hat ihn jedes Mal belebt. Er schrieb ein neues Werk, und ich machte auch was Neues. Mir ist’s dann nicht mehr geraten. Egal, ob Sie wissen, was ich meine. Jetzt heul ich auch noch. Das könnt Ihnen so passen, die Frau Geheimrat von Goethe vergießt Tränen im Haus der Frau von Stein. Das ist ja zum Lachen! Bevor ich wein, lach ich lieber. Das war Gottes Strafe, haben Sie bei Hof gesagt, als mein Kind nur ein paar Tage gelebt hat, und eins hat nur ein paar Stunden geatmet. Und wenn Ihre Kinder tot auf die Welt gekommen sind, da war’s dann Gottes unerforschlicher Wille. Sie legen alles aus, wie’s Ihnen paßt.

Die Karaffe ist noch halbvoll. Ich hab noch einiges zum Sagen, Madame!

Seine Mutter, die Frau Rath in Frankfurt, hat mich ›liebe Freundin‹ genannt und auch ›liebe Tochter‹. Ich wär seine ›Gefährtin‹, hat sie gesagt, und das Wort trifft’s genau, da steckt Gefahr drin. Gefahren werden! Meine Equipage! Das war ein Triumph, als er mir die Kutsche geschenkt hat und ich hab anspannen lassen und bin durch die Straßen gefahren. Da bewegten sich die Gardinen! Inzwischen wohnten wir im Jägerhaus. ›Eroticum‹ hat er’s genannt, aber das durfte keiner hören. Eros in Weimar! Werden Sie rot, Madame? Wenn ihm unsere Gewissensehe genügte, und dem Herzog genügte es auch, dann konnte es mir auch genügen. Was hatte ich denn für eine Wahl? Wer hätte mich denn genommen? Ein Kanzleisekretär vielleicht. Besser die Freundin eines großen Mannes als die Frau eines kleinen. Wie der beste Hausvater hat er für uns gesorgt. Meine Tante, die mich großzog, hat er aufgenommen und meine Schwester auch, und um meinen Bruder hat er sich gekümmert wie ein Schwager, hat ihm eine Anstellung bei Hofe verschafft, und ein Testament hat er für mich und den August aufgesetzt, daß alles für uns sein sollte, wenn ihm mal was passieren tät.

Warum hassen Sie uns denn? Ich hab Ihnen doch nichts weggenommen. Was ich ihm gab, wollten Sie doch nicht hergeben, hatten’s ja auch gar nicht. Wie jemand nach dem Abschied ist, daran erkennt man, was die Sache vorher wert war. Das weiß ich vom Garten: Es geht nichts auf, was man nicht gesät hat.

Erinnern Sie sich noch an den vierzehnten Oktober achtzehnhundertsechs? Die Kinder lernen das Datum jetzt in der Schule. Die Schlacht bei Jena! Als die französischen Soldaten am Frauenplan alles verwüsteten und ins Haus drangen und sich mit den blanken Säbeln auf den Meinigen stürzen wollten, da hab ich mich dazwischen geworfen. Die Männer waren besoffen. Ich hab ihnen ein paar Silberleuchter in den Arm gedrückt, und da sind sie abgezogen. Der Meinige sagt, er verdanke mir sein Leben, und seither gehörten wir erst recht zusammen, und er hätt jetzt Verantwortung für mich. Drei Tage später wurden wir getraut. Heimlich, haben Sie gesagt, und nur in der Sakristei, weil Goethe sich mit der Vulpiussen geniert hätte. Aber das ist nicht wahr. Im Hauptschiff der Kirche lagen die Verwundeten. Deshalb. Der Herr Oberkirchenrat hat uns persönlich kopuliert, und hernach war ich eine Exzellenz, und unser August durfte sich ›von Goethe‹ nennen. Und ich bekam meine Honneurs! Das Zähneknirschen der Weimarer hab ich hören können, wenn sie die Geheimrätin von Goethe empfangen mußten. Und ich hab trotzdem weiter Karten gespielt und bin allein ins Theater gegangen, aber in die Loge! Der Meinige hat mich nicht eingesperrt und ich hab ihn auch nicht. Jetzt frag ich Sie mal was: Hätt der Herr verstorbene Oberstallmeister Sie noch mal geheiratet, als er Sie schon zwanzig Jahre gehabt hatte?

Ich feire gern Feste und bin gern dabei, wenn’s wo lustig hergeht, wie bei den Schauspielern. Sollen die Weimarer doch reden! Bei Ihnen hätt er seinen Prophetenmantel nicht tragen dürfen und seine weichen Schlappen auch nicht. Sie wollten einen Hofdichter aus ihm machen, mit Jabot und Perücke und mit gestickten Westgens. Wenn er seinen Katarrh hat und Fieber, dann mach ich ihm Wickel, und wenn er Schüttelfrost hat, zieh ich’s Hemd aus. Nicht seines! Meines, Madame, und wärm ihn. Ich beherrsche das Versmaß des Hexameters so gut wie Sie, aber mir hat er’s auf den nackten Rücken und aufs Hinterteil gezählt. Lang-kurz-kurz, lang-kurz-kurz. Skandieren nennt man das. Und mein Hinterteil nennt er Kallipigos. In Neapel hat er die Statue der Venus Kallipigos gesehen, die Venus mit dem schönen Hinterteil. Nach Ihrer Zeit, Madame! Wie hätte er denn von Ihnen loskommen sollen? Er mußte doch fliehen! Bis über die Alpen! Hat Ihnen keiner seine römischen Elegien zugesteckt? Heimlich? Hätte sich die Seelenfreundin vielleicht besudelt? Warum haben Sie ihm die römischen Mädchen nicht gegönnt? Ich gönn ihm seine Minchens. Ich nenn sie alle Minchens, ob sie nun Lilly oder Faustina oder Charlotte heißen. Er läßt mich tanzen, und ich laß ihm die Minchens. Wenn er nur jemanden hat, auf den er seinen Vers machen kann. Für die Mädchens ist er ein lieber alter Herr.

Er braucht Ruhe für seine Arbeit. Ich rumple und rumore, sagt er. Früher hat er’s gern gehabt, als wir noch allein im Gartenhaus waren, aber jetzt ist das Haus voller Leute, Knechte und Mägde und Kutscher und ein Sekretär und alle die Besucher, die ihm ihre Aufwartung machen wollen. Das ist ein Gedrängel und Gewimmel, und darum fährt er oft weg. Wenn er wiederkommt, da ›wird ihm die Nacht zur schöneren Hälfte des Lebens‹, hat er mir geschrieben.

Ich wär Goethes ›dickere Hälfte‹ haben Sie gesagt. Sagt das eine edle Seele? Als Kind hab ich oft Hunger gehabt, und später hab ich viel runterschlucken müssen, und manches hab ich runtergespült, sonst wär es mir vielleicht hochgekommen, und ich hätt auf der Straße oder im Gasthof gesagt, was ich jetzt nur zu Ihnen sage. Sie haben eine schlanke Taille, Madame. Wie lange braucht denn Ihre Dienstmagd, bis sie das Mieder so stramm gezogen hat? Sie haben wohl auch bei Tisch keinen Spaß gehabt? Ich eß gern, und ich trink gern, was Gutes und nicht so eine billige süße Plempe. Aber ich mach die Karaffe trotzdem leer! Damit Sie Ihre Meinung nicht ändern müssen und damit Sie nicht lügen, wenn Sie überall erzählen, daß die Dame Vulpius die Karaffe leergetrunken hat und Ihnen ihr Herz ausschütten mußte. Ich hab Schmerzen im Leib, von den Nieren, vielleicht ist es auch die Galle. Es tut mir wohl, mal alles auszusprechen. Goethe wär sinnlich geworden durch mich, haben Sie behauptet, als wär das was Schlimmes, als wär er nun nicht mehr der große Dichterfürst von Weimar. Ich hab Schmerzen, Madame, Koliken und Krämpfe. Der Schmerz macht die einen dünn und die anderen macht er dick.

Ich bin fünfzig, Sie sind sieben Jahre älter als der Meinige, dann sind Sie jetzt – egal, alte Frauen sind wir beide. Ich war nicht schön, vor den Schönen muß man sich in acht nehmen, die gibt’s nur in Büchern und auf der Bühne. Ich war nur hübsch. Für ihn war ich ein hübsches Mädchen mit schwarzen Augen und Locken und Grübchens. Ich hab immer weite Röcke angehabt, ich hab mich nicht eingeschnürt, ich spar nicht. Ich hab’s hergegeben. Aber an mich rangekommen ist keiner, außer dem Meinigen. Auf Ehr! Ich hab auch eine Ehr, nur eine andere. Als ich das gehört hab, das von der ›wildgewordenen Blutwurst‹, da hab ich Krämpfe gekriegt. Ich hätt die Frau von Arnim, die Bettina, gebissen, haben die Leute gesagt. Dabei hab ich sie nur gepackt und rausgeworfen, weil sie ihn belästigt hat. Stammt die wildgewordene Blutwurst auch von Ihnen? Unsere gute Thüringische Blutwurst!

So, Madame! Die Karaffe ist leer, und ich bin voll. Ich trink wegen der Schmerzen, dann geht’s für eine Weile, und ich mach ein lustiges Gesicht. Der schweflige Brunnen in Berka hilft nicht, aber ein Glas Punsch, das hilft, das ist meine Medizin.

Sie hätten mich empfangen dürfen, Frau Oberstallmeisterin! Ich bin schließlich hoffähig. Ich hab vor der Herzogin meinen Knicks machen dürfen. Der Herzog hat mich zum Tanz aufgefordert, und ich hab ihn gedreht wie meine anderen Tänzer. Wenn die Madame Schopenhauer der frischgebackenen Christiane von Goethe eine Tasse Tee anbieten konnte, dann darf Ihnen doch Ihr Portwein nicht zu schade sein. Ich werde Ihnen ein Kistchen von unserem Samos schicken lassen.

Und jetzt geh ich. Ich bin nicht mehr sicher auf den Beinen. Ich leg Ihnen keine Visitenkarte in die Silberschale, ich leg Ihnen einen Vers von dem Meinigen hin, an mich. Soll ich’s vorlesen? Oder haben Sie genug vom ordinären Thüringisch der Vulpiussen?

Wenn du geredet hättest, Desdemona

Die letzte Viertelstunde im Schlafgemach des Feldherrn Othello

Schweig und sei still! hast du gesagt.

Nein, Othello, nein! Ich werde nicht schweigen. Hier, in unserem Schlafgemach, habe ich mitzureden. Willst du aus unserem Liebeslager ein Schlachtfeld machen? Muß denn alles blutig enden? Du bist ein Feldherr. Willst du jetzt zum Mörder werden? Leg den Dolch weg, Othello! Rühr mich nicht an! Soll das deine letzte Heldentat sein? Die Frau umzubringen, die dich liebt und die dir treu war vom ersten bis zum letzten Atemzug? Eine Frau, die sich nicht wehrt? Töten kannst du mich auch noch in einer Viertelstunde. Dieses Viertel einer Stunde bitte ich mir aus. Ich habe dir mein ganzes Leben anvertraut, Othello, sei jetzt nicht geizig, mach mir eine Viertelstunde zum Geschenk.

Du hast die Wange, die du so oft mit Küssen bedecktest, geschlagen. Du hast einer Venezianerin ins Gesicht geschlagen. Wer bist du, daß du das tun darfst? Hast du nur Hände? Denkst und fühlst du nur mit deinen Händen? Jetzt ballst du sie zu Fäusten. Sind das dieselben Hände, die meinen Nacken zärtlich umfaßten? Ich beschwöre dich, Othello, schick deine Kraft zurück in dein Herz und in deinen Kopf. Mit Fäusten kann man nichts erreichen, auch ein Feldherr nicht. Sitzt denn in diesem großen schönen Kopf so wenig Verstand? In diesem schönen großen Leib so ein kleines Herz?

Du glaubst einem Fetzen Stoff, den man benutzt, die Nase drin zu schneuzen, die Stirn zu trocknen oder auch die Tränen abzuwischen. Habe ich einen Stoffhändler zum Mann, einen Leineweber? Dein Vater gab das Tüchlein deiner Mutter. Und du gabst es mir als Brautgeschenk, es war nicht eben viel, was du zu geben hattest. Ich war verwöhnt, Othello. Aber ich habe das Tüchlein aufbewahrt und es mit nach Zypern genommen. Hätte ich es sorgsamer verwahren sollen? Hätte ich ahnen können, daß man es mir entwenden würde? Daß ich von Dieben umgeben bin in deinem Haus? Hätte ich wissen müssen, daß du dies Liebespfand gegen mich ausspielen würdest? Ich war gutgläubig, Othello, war vertrauensselig! Ich ahnte nicht, daß ein Stück Stoff genügen würde, mich der Untreue zu beschuldigen. Mich, Desdemona! Wäre ich schuldig, würde mein Tod deine Eifersucht nicht lindern, bin ich aber unschuldig, fällt alle Schuld auf dich, du wirst nicht weiterleben können, auch nicht wollen. Ach, hätte mein Vater mich in Ketten gelegt, hätte er mich hinter Gittern eingesperrt. Aber ich hätte die Ketten gesprengt und mit meinen Händen die Gitter auseinandergebogen, um dem zu folgen, den ich liebte. Ich war geblendet vom Weiß deiner Augäpfel. Deine Haut war braun wie Muskat, keiner, den ich je zuvor gesehen hatte, war dir ähnlich. Neben dir wurden alle Venezianer blaß und kränklich.

Als du mir – zum erstenmal! – von deinen Heldentaten berichtetest, habe ich geseufzt und auch geweint. Ich habe dich bewundert und bedauert und beneidet. Mein Herz war angefüllt von Mitleid, aber auch von Neid. Damals wünschte ich ein Mann zu sein und mich herumzuschlagen mit allen Feinden Veneziens. Doch ich war nur ein Mädchen von guter Herkunft und Erziehung, ausgestattet mit Sanftmut und Schönheit.

Du warst ein Fremder, schienst ein Held zu sein. Habe ich dir nicht genug Beweise meiner Liebe gegeben? Wenn du behauptest, Desdemona war untreu, dann beleidigst du den, den sie liebt. Glaubst du, du wärest durch einen Mann wie Cassio zu ersetzen? Kennst du deinen Wert nicht, Othello? Hat mein Bekenntnis zu dir dich nicht wertvoller gemacht? Konntest du nicht an jedem Morgen sagen: Desdemona liebt mich! Desdemona achtet mich! Die Tochter des Brabantino, eines venezianischen Senators! Habe ich meine Liebe zu dir nicht in aller Offenheit bekannt? Vorm Herzog des Staates Venezia! Bin ich nicht mit dir gezogen in dieses ferne Land, fort von Venedig, fort von den Gespielinnen, fort von meinem Vater, der mir nun zürnt? Oder willst du den bösen Schwur meines Vaters wahrmachen, ich hätte ihn betrogen und so würd’s auch dir ergehen?

Sag jetzt nichts! Laß mich zu Ende reden. Hätte ich dich fester umarmen sollen? Dir jeden Abend aufs neue sagen: Du bist es, den Desdemona liebt? Sie liebt deine dunkle Haut, die braun ist wie der nasse Sand am Strand von Zypern. Hätte ich flüstern sollen, wie Kurtisanen flüstern? Man hat mich nicht gelehrt, über meine Gefühle zu sprechen. Eine Frau soll zurückhaltend und verschwiegen sein. Wie dumm das ist! Wie tödlich kann das enden! Hätte ich jeden Tag aufs neue deine Heldentaten rühmen sollen? Dir die Schlachtennamen aufsagen? Ich hatte einen starken Mann gewählt, und jetzt bist du so schwach, Othello. Mein Herz ist angefüllt von Mitleid. Ich beneide dich nicht mehr.

Du spreizt die Finger? Willst du mein Mitleid nicht? Bleib, wo du bist! Keinen Schritt weiter! Willst du mich erwürgen? Ich werde nicht um Hilfe schrein. Aber ich werde lauter sprechen, denn du scheinst taub zu sein. Jeder darf hören, was ich dir zu sagen habe. Oder hörst du nur auf das, war andere dir einflüstern? Warum fragst du nicht frei heraus? Man spricht nicht über jemanden, man spricht mit ihm! Statt mit deinem Gegner zu sprechen – und jetzt bin ich dein Gegner –, greifst du zur Waffe. Du glaubst jedem, wenn er nur flüstert, auf der Stiege, in den Gassen. Frag doch meine Kammerfrau, ob sie vielleicht das Tuch dem Cassio zugesteckt hat, sie ist doch Jagos Frau. Hat dieser Cassio nur ein einziges Mal meinen Namen genannt? In ungebührlichem Zusammenhang? Denk nach, Othello, es sind noch zehn Minuten, frag deinen Kopf. Und frag dein Herz. Vielleicht ist alles nur das Werk des Jago, der eifersüchtig ist auf deine Macht und auf dein Glück. Von allem Anfang an hat er Böses gestiftet. Besitzt du keine Menschenkenntnis? Bist du ein Tor an Reinheit? Jago hat aus dem braven Cassio – doch! brav ist er und war dir treu ergeben, und sein Schätzchen ist eine gewisse Bianca, das weiß hier jeder, außer dir. Warum hast du ihn nicht von Mann zu Mann gefragt? Jago hat ihn zum Trinker gemacht. Jago ist rascher als du, und er ist klüger, wenn Verschlagenheit denn Klugsein heißt. Er haßt dich, und er haßte Cassio, dem du den Vorzug gibst. Daß er auch mich haßt, habe ich nicht gewußt.