Wenn Frauen Verbrecher lieben - Elisabeth Pfister - E-Book

Wenn Frauen Verbrecher lieben E-Book

Elisabeth Pfister

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Beschreibung

Verurteilte Mörder, Totschläger oder Sexualverbrecher werden im Gefängnis körbeweise mit Liebesbriefen überschüttet. Und nicht selten läuten dann in der Gefängniskapelle die Hochzeitsglocken.
Wer sind die Frauen, die sich in solche Männer verlieben? Was treibt sie dazu? Und wie leben sie die Beziehung mit dem Traummann hinter Gittern?
Anhand von authentischen, hochdramatischen und tragischen Schicksalen geht Elisabeth Pfister diesem weithin unerforschten Phänomen nach. Einfühlsam erzählt sie von den dunklen Seiten dieser Frauen, von bewussten und unbewussten Motiven und der späteren Realität außerhalb der Gefängnismauern.

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Seitenzahl: 354

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Elisabeth Pfister

Wenn Frauen Verbrecher lieben

Elisabeth Pfister

Wenn Frauen Verbrecher lieben

Sämtliche Zitate aus Briefen, Anzeigen etc. sind in ihrer Originalschreibweise übernommen worden.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet

über www.dnb.de abrufbar.

1. Auflage, Dezember 2013 (entspricht der 1. Druck-Auflage von September 2013)

© Christoph Links Verlag GmbH

Schönhauser Allee 36, 10435 Berlin, Tel.: (030) 44 02 32-0

www.christoph-links-verlag.de; [email protected]

Umschlaggestaltung unter Verwendung eines Fotos von iStock (186581264)

Satz: Katarina Wojtek, Ch. Links Verlag

ISBN 978-3-86284-272-8

Inhalt

Vorwort

Wie alles anfängt

Er sucht Sie und Sie sucht Ihn

Liebesbriefe

Briefromanzen

Die Macht des Schicksals

Interview mit Katja Grafweg, Gefängnisleiterin der Justizvollzugsanstalt Remscheid

Die Attraktion des Bösen

Helfen und Begehren

Die kriminellen »Stars« und ihre Frauen

Dieter Zurwehme – Der »Mörder von Remagen«

Dieter Degowski und Hans-Jürgen Rösner – Die Geiselnehmer von Gladbeck

Thomas Holst – Der »Heidemörder«

Frank Schmökel – Serienvergewaltiger

Jack Unterweger – Prostituiertenmörder und Liebling der Frauen

Interview mit Professor Reinhard Haller, Psychiater und Gerichtsgutachter

Die Unbeirrbare – Gisela Bartsch

Was Opfer und Täter verbindet

Das Drama der Wiederholung

Der Traummann hinter Gittern

Interview mit Professor Reinhard Haller, Psychiater und Gerichtsgutachter

Frauen, Mörder und ihr »Häuptling«

Ein Haus jenseits von »Afrika«

Der Traum vom Glück

»Liebeszellen«

Das Untier umarmen

Von Mythen und Märchen

Ein tödliches Spiel

Interview mit Professor Reinhard Haller, Psychiater und Gerichtsgutachter

Bis dass der Tod euch scheidet

Liebe im Todestrakt

Der Mann mit der Rose

Dead Man Loving

Die Todesbraut

Endlich in Freiheit

Die Tragödie der Nähe

Der Mann im Niemandsland

Ein Ende mit Schrecken

Happy End oder Zwei Engel für Karl

Nachwort

Anhang

Anmerkungen

Literatur zum Thema

Dank

Zur Autorin

Für Ursula

Vorwort

Ich mag Geschichten. Ich mag vor allem Lebensgeschichten von Menschen, die mir zunächst Rätsel aufgeben. Und die mich vielleicht gerade deshalb faszinieren. Dazu gehören die Frauen, über die Boulevardblätter unter Schlagzeilen wie »Frau liebt Serienkiller« oder »Sie heiratete einen Frauenmörder« berichten.

Da liest man dann, dass der legendäre österreichische Prostituiertenmörder Jack Unterweger sich nach seiner Verhaftung kaum retten konnte vor Zuschriften von Frauen, die Kontakt zu ihm suchten oder ihn sogar heiraten wollten. Dass Frank Schmökel, ein Mörder und Vergewaltiger, heftiges weibliches Interesse ausgelöst habe, was sich in unzähligen Briefen in seine Zelle ausdrückte. Oder dass Dieter Zurwehme, verurteilt und in Sicherungsverwahrung wegen mehrerer Vergewaltigungen und Morde, inzwischen mit einer Frau verheiratet ist, die ihm einst ins Gefängnis geschrieben hatte. Und völlig sprachlos macht es, wenn man hört, dass der norwegische Massenmörder Anders Behring Breivik unzählige Sympathie- und Liebesbekenntnisse von Frauen ins Gefängnis geschickt bekommt.

Diese Tatsachen werden in der Presse nur allzu gern kolportiert, aber über die Hintergründe des als Skandalon präsentierten Ereignisses erfährt man kaum etwas. Dafür sorgen die Meldungen immer wieder für große Empörung oder sexistische Häme gegenüber den betroffenen Frauen.

Irgendwann las ich ein Buch über den Kindermörder Jürgen Bartsch. Es ist die jahrelange Korrespondenz, die Bartsch nach seiner Verhaftung und während seiner Jahre im Gefängnis mit dem amerikanischen Journalisten Paul Moor führte.1 Der Deutschland-Korrespondent hatte 1967 dem gesamten Prozess gegen Jürgen Bartsch beigewohnt und darüber auch für deutsche Zeitungen berichtet. Er nahm schriftlich Kontakt zu ihm auf, und es kam bis zu Bartschs Tod zu einem einmaligen Briefwechsel zwischen beiden. Über acht Jahre lang korrespondierten die Männer miteinander, und die 250 Briefe, die Bartsch an Moor schrieb, erlauben einen einmaligen und erschütternden Einblick in die innere Hölle eines Triebtäters.

In diesen Briefen taucht irgendwann eine junge Frau namens Gisela auf, die Bartsch geschrieben hatte. Er beschreibt ihre zunehmende Annäherung und schließlich ihre Heirat im Gefängnis.

Spätestens jetzt hatte mich das Thema gepackt. Ich wollte wissen, wer diese Frauen sind. Warum verlieben sie sich ausgerechnet in einen Schwerverbrecher? Wie kann man sich einem Mann nähern, der gemordet, gefoltert, vergewaltigt hat? Oder einem Triebtäter, der sich an Kindern vergangen und sie umgebracht hat? Kann man so etwas überhaupt verarbeiten oder muss man es einfach verdrängen? Und wie lebt es sich dann mit solch einer Liebe?

Ich begann intensiv zu recherchieren, aber es war alles andere als einfach. Jeder hatte schon einmal von diesem Phänomen gehört. Ich fand Zeitungsartikel, aber keinerlei spezifische Buchpublikationen über dieses Thema, zumindest nicht im deutschsprachigen Raum. Auch meine Suche nach einer kriminologischen, psychologischen oder Gender-Studie blieb erfolglos.

So nahm ich Kontakt zu Gefängnispsychologen und Gefängnisseelsorgern auf, sprach mit Gefängnisleitern, Gerichtsgutachtern und Sozialarbeitern, die sowohl im Strafvollzug als auch in der Gefangenenhilfe tätig sind. Ich traf einige beeindruckende Menschen, die in diesem harten sozialen Sektor sehr engagiert arbeiten und die mir zu dem einen oder anderen Kontakt verhalfen. Ich lernte dadurch die Welt der Gefängnisse kennen, sah »Liebeszellen«, in denen sich die Paare dann und wann für ein paar Stunden ungestört treffen dürfen.

Außerdem konnte ich auf der Internetseite www.jailmail.de einen Aufruf platzieren, dass ich Gespräche mit Frauen suchte, die sich in einen Gefangenen verliebt hatten.

Allmählich bekam ich Kontakt zu Betroffenen, und ich bin sehr dankbar dafür, wie viel Vertrauen mir diese Frauen entgegenbrachten. Ihre Namen und die Ortsbezeichnungen sind anonymisiert.

Ich fuhr durch die Lande, traf sie in ihren Wohnungen oder in einem Café. Dann hörte ich einfach ihren Geschichten zu und stellte meinen Wunsch, Erklärungen für diese eigenwilligen Beziehungen zu finden, erst einmal zurück. Dieser Vorgehensweise entspricht auch die Struktur des Buches, das die Lebensgeschichten der einzelnen Frauen strikt von den Reflexionen über ihre Hintergründe und Motive trennt.

Ich lernte Frauen kennen, für die dieser Weg eine Lösung für andere Probleme zu sein scheint, bewusst oder unbewusst – so, wie es immer ist. Ich suchte nach Mustern, die diesen Lebensentscheidungen vielleicht zugrunde liegen und sie mitgeprägt haben. Ich wollte und will dabei aber nicht bewerten, sondern verstehen. Und am Ende das, was daran rätselhaft bleibt, als Rätsel belassen. Denn Rätsel sind wir alle: den anderen – und oft genug auch uns selbst.

Wie alles anfängt

Er sucht Sie und Sie sucht Ihn

Liebesgeschichten, die im Gefängnis spielen. Wie beginnen sie? Wie trifft eine Frau, die in Freiheit lebt, einen Mann, der ein Räuber, ein Totschläger, ein Mörder oder ein Kinderschänder ist, oft seit Jahren in einem Hochsicherheitsgefängnis sitzt und der dort noch lange bleiben wird?

Zufallsbegegnungen sind naturgemäß ausgeschlossen. Es sei denn, eine Frau besucht einen inhaftierten Freund, ihren Bruder oder Vater und verliebt sich dabei in einen Mitgefangenen. Das kommt vor, ist aber eher selten.

Wie findet man dann einen solchen Mann? Oder wie finden Gefangene eine interessierte Frau? Der Zugang zum Internet ist Häftlingen verboten, der Besitz von Handys ebenfalls. Festnetz-Telefonate, die zeitlich eng begrenzt sind, dürfen die Inhaftierten nur mit zuvor überprüften, genehmigten Anschlüssen führen.

In den meisten Fällen beginnt die Geschichte des späteren Liebespaares mit einer Anzeige unter der eher altmodischen Rubrik »Brieffreundschaften«. Da liest man dann zum Beispiel: »Einsamer Er (50), zur Zeit in Haft, sucht liebevolle Sie, die es ehrlich meint. Alter unwichtig«. Die Briefantwort geht dann via Chiffre direkt ins Gefängnis.

Aber das größte Kontaktangebot dieser Art findet sich im Internet.

Da gibt es einmal soziale und karitative Organisationen, die sich im Bereich der Straffälligenhilfe engagieren. Sie bieten auch Briefkontakte zu Gefangenen an. Bei manchen dieser Organisationen kann man sich den Gefangenen nicht aussuchen, sondern man übermittelt der Interessentin – denn es sind vorwiegend Frauen, die hier aktiv sind – einen Namen und eine Gefängnisanschrift. Die Schreiberinnen lassen sich dann von ihrem Briefpartner überraschen. In den meisten Fällen bleibt es bei einem Briefkontakt oder zumindest bei einer rein freundschaftlichen Begegnung. Aber es kommt auf diesem Wege eben auch zu Liebesbeziehungen.

Kontakte finden sich außerdem in Gefängniszeitungen, die ins Internet gestellt werden. Die Knastzeitung Lichtblick zum Beispiel, in der man zahlreiche Inserate unter der Rubrik »Er sucht Sie« findet, viele davon mit einem Foto versehen.

Das umfangreichste Angebot bietet die Website www.jailmail.de. Hier findet man gut 370 Anzeigen von inhaftierten Männern, die Kontakt zu einer Frau suchen. Fast alle sind mit einem Foto versehen. Das Angebot ist nach den Geburtsjahrgängen der Männer geordnet und bietet eine Auswahl von Inhaftierten im Alter von 20 bis 69.

Sie präsentieren sich lächelnd, cool, grimmig in die Kamera blickend, andere zeigen ihre Tattoos, einer posiert gar mit muskulösem, nacktem Oberkörper. Sie sehen aus wie andere Männer auch, und doch versucht man unwillkürlich zu ergründen, was sich hinter ihren Mienen verbirgt.

Die meisten Männer, die eine Brieffreundin oder Partnerin suchen, sind langjährige Sträflinge. Denn wer nur ein oder zwei Jahre im Gefängnis sitzt, hat meist noch Außenbeziehungen, eine Frau, Freundin oder Freunde, und ist daher weniger auf Kontakte dieser Art angewiesen. Darum stammen diese Anzeigen eher von Männern, die schwere Straftaten begangen haben, deren Familien und Freunde sich oft von ihnen losgesagt haben. Und die manchmal jahrelang ohne einen einzigen Besuch im Gefängnis leben müssen.

Sie sind darauf angewiesen, dass ihr Bild, ihr Text eine Frau anspricht – und dass die Art der Kommunikation, nämlich das Briefeschreiben, ihr zusagt.

Verblüffend ist, dass ein scheinbar längst ausgestorbener Begriff hinter Mauern überlebt hat: Federkrieg. Viele benutzen ihn in ihren Anzeigen. »Wollen wir einen lustigen Federkrieg führen?« heißt es zum Beispiel. »Suche einen Federkrieg per Retro-Post«, schreibt der 39-jährige Uwe in seiner jailmail- Anzeige. Die tot geglaubte Briefkultur, handgeschrieben und per Post, hat ausgerechnet in dieser Nische überlebt.

Eine solche Korrespondenz ist für viele der Männer die einzige Möglichkeit, ein bisschen Frischluftzufuhr von draußen zu bekommen, die Langeweile der sich hinziehenden Tage und Nächte zu unterbrechen und überhaupt noch Kontakt zur Außenwelt zu haben. Vielleicht wird der Briefwechsel zu einem Besuch führen, vielleicht auch zur finanziellen Unterstützung bei Anwaltskosten – vielleicht aber entsteht daraus sogar eine Beziehung, in der eine Frau dann aus Liebe alles für diesen Mann tun wird.

In keiner der Anzeigen ist die Rede vom Delikt des betreffenden Mannes. Dafür werden die eigenen guten Eigenschaften ausführlich dargelegt – oder vielleicht auch nur die Vorstellungen der Männer, was Frauen sich von ihnen wünschen könnten:

Horst – Geburtsjahr 1956

Hier kommt mein Herzenswunsch! Ich suche eine liebe Frau im Alter von ca. 35 – 50 Jahren für den ganz normalen Wahnsinn einer echten Brieffreundschaft. Bin eine rheinische Frohnatur, 185 cm groß, schlanke sportliche 82 kg schwer und von Beruf Drucker. Meine Hobbys sind u. a. Reiten, Schwimmen, Tanzen, Zeichnen, Kochen und Backen. Trotz meiner Inhaftierung bin ich ein ehrlicher Mensch, liebevoll, einfühlsam und romantisch veranlagt. Und nun wäre es toll, wenn Du mir schnell schreibst, damit ich dir sofort antworten kann.

Wie Horst beschreiben alle zunächst ihr Äußeres: Alter, Größe, Gewicht, oft auch Haar- und Augenfarbe. Bei der Aufzählung ihrer Hobbies fällt auf, dass viele Inserenten ausgerechnet »Kochen und Backen« nennen, außerdem Tanzen, Zeichnen oder Malen. Sie heben ihre häuslichen oder musischen Interessen hervor, erwähnen, dass sie Gedichte schreiben – alles Dinge, die viele Frauen bei ihren bisherigen Partnern vielleicht vermisst haben. Hier aber scheinen sie zu den Hauptinteressen inhaftierter Männer zu gehören.

Die charakterliche Selbstbeschreibung nimmt in den Anzeigen großen Raum ein. Die Inserenten bezeichnen sich fast durchweg als »ehrlich«, »liebevoll«, »einfühlsam« und vor allem »romantisch«. Sprechen von ihrem »Herzenswunsch« nach einer »lieben« Frau. Das sind eigentlich eher weibliche Attribute, ebenso wie die Fähigkeit, »ein guter Zuhörer« zu sein. »Treue ist meine Stärke, ebenso Aufrichtigkeit«, schreibt Dieter, ein 50-jähriger Mann. Auffällig viele von ihnen bezeichnen sich als »tier- und kinderlieb«, schreiben von ihren Hunden oder Katzen.

Heinz, 69 Jahre alt, sucht »Romantik, Gemütlichkeit und Geborgenheit«. Überhaupt spielt Romantik eine wesentliche Rolle in diesen Texten, viele schreiben von ihrer Sehnsucht nach einer »romantischen Frau«.

In den meisten Fällen geht es natürlich um mehr als um eine Brieffreundschaft. Die Texte spiegeln, oft nur leicht verbrämt, den Wunsch nach einem Liebesverhältnis. »Prinz im Kerker sucht seine Briefprinzessin, die ihn aus seiner Einsamkeit befreit«, schreibt der 39-jährige Häftling Daniel. Kontrastiert wird all dies durch Hinweise, dass es sich bei dem freundschaftssuchenden Häftling keineswegs um ein »Weichei« handelt, sondern um einen äußerlich ausgesprochen maskulinen, muskelbepackten Mann, der intensiv Kraftsport betreibt – übrigens eine der wenigen Sportarten, die Häftlingen zugänglich ist und die ihre Männlichkeit, die ihnen in der Haft oft verloren zu gehen droht, kompensieren soll. Der 28-jährige Fred bietet in seiner Anzeige »einen sportlichen Körper und eine feste Schulter zum Anlehnen«.

Die Anzeigen versprechen einer Frau nichts weniger als den Himmel auf Erden. Darin unterscheiden sich diese Inserate allerdings keineswegs von denen in der »freien Welt«.

Der 41 Jahre alte »Kuschelbär« Klaus etwa schreibt: »Ich bin offen für dich, deine Gedanken, deine Sehnsüchte sowie deine Geheimnisse und Träume. Lass mich teilhaben an deiner Welt, schau hin und spür, welch ein netter Gewinn ich für dich bin. Lass mich dich mit meinen Worten einfangen und verzaubern.«

Und Manfred, 41: »Wünsche es dir einfach. Wunder geschehen jeden Tag, warum nicht bei uns?«

Das Äußere der gesuchten Frau, Alter, Figur, Haarfarbe und so weiter, wird in diesen Inseraten erstaunlicherweise so gut wie nie benannt, im Gegensatz zu »normalen« Bekanntschaftsanzeigen, in denen Männer oft sehr dezidierte Wünsche diesbezüglich äußern. Hier hingegen stehen die »inneren Werte« einer Frau im Vordergrund. Bei Männern über 35 wird meist nicht einmal das Wunschalter der Frau angegeben. Da heißt es zum Beispiel: »Suche interessante und liebevolle Frau zwischen 25 und 99 Jahren.« Oder: »Suche Frau mit Herz und Verstand. Alles andere ist nebensächlich.« »Ehrlich soll sie sein«, »ein Herz haben«. »Wie alt du bist, welcher Nationalität du angehörst und wie du aussiehst, ist mir völlig egal«, schreibt der 44-jährige Michael. Wo sonst findet eine Frau, die vielleicht nicht mehr jung ist, oft eine oder mehrere enttäuschende Partnerschaften hinter sich hat, so viel Akzeptanz und Interesse eines Mittvierzigers? »Ich akzeptiere dich genau so, wie du bist«, schreibt ein anderer. Was für ein verlockendes Versprechen.

Wie es scheint, sind es vor allem die nicht mehr ganz jungen Frauen, für die es »draußen« schwer ist, einen Partner zu finden, die sich von diesen Anzeigen angezogen und fasziniert fühlen. Kann ein Mann, der mit so viel Emotion, mit so viel Sehnsucht schreibt, schlecht sein? Einer, der in seiner Anzeige von Ehrlichkeit und Verantwortung spricht, von seiner Fähigkeit zuzuhören und mitzufühlen, der einsam und verlassen in seiner Zelle sitzt und deshalb sicher dankbar ist für Zuwendung? Was schadet es, auf eine dieser Anzeigen zu antworten? Ihr kann ja nichts passieren, selbst wenn er ihre Adresse kennt, er sitzt ja sicher hinter Gittern. Und ein bisschen aufregend ist es auch, zu erfahren, was der eine, was der andere wohl verbrochen hat. Ein kleiner Kitzel im tristen Alltag.

Liebesbriefe

Es ist der schönste Liebesbrief, den sie je bekommen hat. Er liegt in ihrem Briefkasten, nur wenige Wochen, nachdem sie auf die Kontaktanzeige eines Unbekannten geantwortet hat:

Liebe Petra,

gestern Abend lag ich wieder lange wach und war mit meinen Gedanken bei dir. Romantik im Kopf und unerfüllte Sehnsucht im Herzen. Das flaue Gefühl in der Magengegend, das Empfinden, ein zweifelsfrei einzigartiges Kribbeln im Bauch, bei dem ich nicht nur die Schmetterlinge im gleichen gespürt habe.

Nein, ich habe die Berührungen der Flügel an den Innenwänden meines Bauches gefühlt und es wurde immer stärker, je öfter ich deinen Brief in meinen Händen hielt. Ich würde dir gerne sagen, dass ich dich liebe, aber das Wort Liebe hat einen schöneren und einen besseren Rahmen verdient als dieser, der uns im Moment zur Verfügung steht.

Sie hat in ihrem Leben noch nicht viele Briefe bekommen. Und schon gar nicht so gefühlvolle. Die Männer, die sie bisher kannte oder mit denen sie verheiratet war, schrieben kaum Briefe. Warum auch. Man lebte miteinander, war anfangs vielleicht verliebt. Doch das ist schnell vorbei. Es kommt der Alltag, es kommen die Kinder. Dann der Streit, der Alkohol, die Prügel. Wenn es überhaupt Briefe oder Postkarten gibt, steht darin nur das Nötigste.

Jetzt aber besteht das Kostbarste in ihrem Leben aus einer Flut von Briefen. Solchen, die sie bekommt und jenen, die sie schreibt. In einem, den ihr der Mann schickt, liegt sogar eine seiner Haarlocken, die er beim Gefängnisfriseur nach dem Haareschneiden mitgenommen hat. Diese Locke ist das einzige, das sie bisher von ihm gesehen oder berührt hat. Sie sind sich noch kein einziges Mal begegnet.

Dafür kennt sie die Umgebung und die Situation, in der er seine Briefe an sie schreibt, sehr genau: Es ist Abend oder früher Morgen. Er sitzt in seiner Einzelzelle. Sie sieht jedes Detail vor sich: Die Farbe der Gardinen vor dem Gitterfenster, das Regal mit den Büchern, Zeitschriften und persönlichem Krimskrams. Sie weiß, wo die Pritsche steht und wo die Toilettenschüssel ist. Er sitzt an einem kleinen Holztisch, darauf der linierte Schreibblock und der Stift. Er hat sich eine Pfeife mit Vanille-Aroma-Tabak angezündet und denkt an sie. Und schreibt.

Inzwischen hat sie schon einen ganzen Ordner mit seinen Briefen angelegt und ihm mindestens ebenso viele geschrieben. Jeder Tag beginnt mit dem Gang zum Briefkasten, voller Herzklopfen. Zwei bis drei Mal die Woche findet sie einen mehrseitigen Brief von ihm. Sie kann sich ein Leben ohne diese Korrespondenz gar nicht mehr vorstellen, die ihre Tage ordnet und inzwischen Mittelpunkt all ihrer Gedanken und Gefühle ist. Dabei ist es gerade einmal dreieinhalb Monate her, seit sie ihm im August ihren ersten Brief geschickt hat.

Mit Männern hat sie bisher nicht viel Glück gehabt. Ihre dritte und letzte Ehe war im Frühjahr endgültig zu Bruch gegangen. Siebzehn Jahre lang war sie mit dem Mann verheiratet, obwohl er sie immer wieder betrog. Und er schlug sie, vor allem, wenn er betrunken war. Im vergangenen Mai hat er sie von heute auf morgen wegen einer anderen, einer jüngeren Frau verlassen. Die ganze Nachbarschaft hatte von der Affäre gewusst, nur sie nicht.

Seither herrscht ein wüster Kampf darum, wem der Kühlschrank, der Fernseher, die Waschmaschine gehört. Sie hat keine großen Besitztümer. Sie wohnt nach wie vor in der gemeinsamen Zweizimmerwohnung. Das Wohnzimmer hat sie gelb gestrichen, darin stehen eine helle Couchgarnitur, ein Regal mit ein paar Büchern, mit Püppchen und Nippes, ein kleiner Schreibtisch mit einem Notebook. An der Wand darüber hängen Fotos von ihrem Sohn und ihrer Tochter sowie dem kleinen Enkel.

Das Wohnzimmer ist lediglich durch einen Vorhang vom Schlafzimmer getrennt. Das ist nur wenig größer als das Doppelbett, das darin steht.

Der Blick aus dem Wohnzimmerfenster ist weit und freundlich, man sieht hinunter zum Fluss, und sie hat den ganzen Tag Sonne.

Nur wenige Wochen, nachdem ihr Mann endgültig ausgezogen war, hat sie die Initiative ergriffen. Es ist Abend, sie sitzt vor ihrem Computer und surft. Dann beginnt sie, nach Kontakten zu suchen. Nicht, dass sie gezielt nach einem neuen Mann Ausschau hält. Sie ist jetzt 57, vollschlank bis üppig, färbt ihre kinnlange Ponyfrisur schwarz, hat eine tiefe Stimme vom vielen Rauchen. Sie fühlt sich allein. Und auch nicht mehr jung. Soll sie sich wirklich noch einmal auf einen Mann einlassen, nach den vielen schlechten Erfahrungen? Vielleicht sollte sie sich erst einmal etwas auf Distanz suchen. Eine Brieffreundschaft zum Beispiel, wo man ab und an telefoniert. Später kann man dann weitersehen.

Bei ihrer Suche stößt sie auf Internetseiten, auf denen Gefangene genau das suchen. Eigentlich ist das kein Zufall. Denn sie weiß von ihrem Sohn von diesen Annoncen. Als der wegen Drogendelikten und Alkohol am Steuer einige Zeit im Gefängnis saß, fand er auf diesem Weg eine Freundin.

Sie findet die Seite, die er damals erwähnte: www.jailmail.de. Ein großes Angebot von Männern, die Brieffreundschaften suchen. Die Inserenten sind in Rubriken eingeteilt: »Er sucht Sie«, »Er sucht Ihn« und dann nach Geburtsjahrgängen sortiert. Die Anzeigen enthalten fast alle ein Foto und die Information, wo der betreffende Mann einsitzt. So kann man sich einen in der Nähe aussuchen.

Sie bleibt an einer Anzeige hängen, die zwar kein Foto enthält, aber dennoch ihre Neugier weckt.

Henning – Geburtsjahr 1952

Hallo Lady! Bin schon 59 Jahre alt, aber das auch nur auf dem Papier! Bin 180 cm groß, habe blaue Augen, von Sternzeichen Löwe, volles längeres Haar, kein Opatyp und ein hoffnungsvoller Romantiker. Bin mehr Landei als Stadtmensch und trage lieber Jeans als Anzug. Mag Kinder, Tiere und bin auch sonst vielseitig interessiert. Bist du vorurteilsfrei und an einem langen Briefkontakt interessiert? Habe ich Deine Neugier geweckt? Dann greife zum Stift und schreibe mir doch ein paar liebe Zeilen. Antwort ist dir garantiert!

Ihr gefällt, dass dieser Mann offenbar keine junge Frau sucht wie andere Inserenten. Jedenfalls schreibt er es nicht. Das entspannt sie, denn sie fürchtet, dass sie zu alt ist und nicht mehr mithalten kann. Ihr gefällt auch, was er über sich selbst schreibt: Dass er tier- und kinderlieb sei und auch sehr romantisch. So einen Mann hat sie sich immer gewünscht. Als Romantiker hat sich bisher noch kein Mann bezeichnet, mit dem sie in ihrem Leben zusammen war.

Sie greift zum Stift und schreibt ihm. Dass ihr seine Anzeige gefällt. Dass er sicher einsam sei und sie ihm eine Freude machen wolle. Sie erzählt auch ein wenig von sich und ihrem Leben.

Es dauert gerade elf Tage, da bekommt sie Antwort. Absender: Henning F., JVA S. Er bedankt sich für den Brief, macht ihr Komplimente dafür. Er schreibt, dass ihn das »Knastniveau« herunterziehe und dass er deshalb Briefkontakte nach draußen suche. Es gebe drinnen so viele Ausländer und Kiffer, von denen er Abstand halten wolle. Darum hoffe er auf Anregungen durch eine Brieffreundschaft, und er freue sich sehr, dass sie auf seine Annonce geantwortet habe. »Sicher fragst du dich, wie so ein alter Esel wie ich noch im Knast landet.« Er sei kein Sittenstrolch oder gar ein Ki-Fi – es dauerte eine Weile, bis sie diesen Ausdruck aus dem Knastjargon verstanden hat. Er sei wegen Raub (»aber ohne Gewalt oder Verletzungen«) zu 13 Jahren Haft verurteilt worden. Er bastle gern, lese viel, und er hätte zwei Laster: Kaffeetrinken und Pfeiferauchen. Dann erzählt er von seiner Kindheit, schreibt über den Wald in der Nähe des Hauses, in dem er aufgewachsen ist, von den Katzen und Hunden, die er hatte. »Jetzt liegt es an dir, ob du einen Federkrieg beginnen willst.« Diesen Begriff hat sie seit ihrer Jugendzeit nicht mehr gehört. Alles, was er schreibt, gefällt ihr. Er gefällt ihr.

Und auf einmal wird alles leichter: Der Alltag, der Scheidungskrieg, die Einsamkeit. Sie schreibt ihm immer mehr über sich, erzählt von ihrer Vergangenheit und von ihrer Gegenwart. Sie berichtet von ihrem Ein-Euro-Job. Alles, was sie schreibt, scheint ihn zu interessieren.

Auf einmal hat sie wieder ein Privatleben. Ein aufregendes dazu. Die Briefe werden immer intensiver und zunehmend inniger. Solch einen Austausch hat sie noch nie mit einem Mann gehabt. Kein Mann hat ihr je so viel Einblick in sein Alltagsund in sein Innenleben gegeben.

Wie in einem Film kann sie seinen Tagesablauf vor sich sehen. Sie kennt die Werkstatt, in der er arbeitet, seine Kumpels, sieht die Beamten vor sich, weiß, wen er mag und wen nicht und warum. Sie sieht ihn allein in seiner Zelle. Dieses Bild tut ihr weh und zieht sie gleichzeitig unglaublich an.

Er beschreibt, wie er jeden Morgen um vier Uhr aufsteht, und wie still es da noch auf den Gefängnisfluren sei. Sie sieht ihn den Wasserkocher füllen, den Kaffee aufbrühen, seine erste Pfeife stopfen. »Dann sehe ich, wie der Tag anbricht und denke dabei an dich«, schreibt er. Sie fühlt eine Nähe wie zu keinem Mann zuvor.

Sie erzählen sich von ihren Beziehungen, von ihren gescheiterten Ehen. Er sei zwar noch verheiratet, schreibt er, aber längst getrennt von der Frau, mit der er auch zwei Kinder habe. Neben der Ehe hatte er – mit Wissen seiner Ehefrau, wie er schreibt – elf Jahre lang eine Freundin. Diese Beziehung habe bis vor wenigen Monaten bestanden. Vor kurzem hätte sich seine Freundin von ihm getrennt.

Irgendwann bittet er sie um ein Foto und verspricht ihr seines. Davor hat sie sich gefürchtet. Sie weiß aus einem seiner Briefe, welchen Frauentyp er bevorzugt: schlank und blond. In dieses Beuteschema passt sie nicht. Nun fürchtet sie seine Reaktion auf das Bild, das sie ihm schickt.

Aber im nächsten Brief reagiert er freundlich, nennt sie einen »Glücksgriff«, schreibt, dass Gefühle viel wichtiger seien als Äußerlichkeiten. Sein Foto zeigt einen kräftigen Mann mit viriler Ausstrahlung, einen »richtigen Kerl« mit einem etwas vierschrötigen Kopf. Den früheren Fernfahrer glaubt man ihm sofort. Er hat Sonnenbrand, das Foto muss also vor seiner Inhaftierung entstanden sein und ist daher mindestens sieben Jahre alt. Er gefällt ihr sehr gut.

Eines Abends klingelt das Telefon und sie denkt, es sei ihre Tochter. Doch dann meldet sich eine Männerstimme. Es ist Henning, der aus dem Gefängnis anruft. Sie ist so verwirrt und eingeschüchtert, dass sie kaum ein Wort herausbringt. Er hat eine richtige Reibeisenstimme, und die mag sie sofort. Sie wirkt sehr männlich und passt gut zu dem Mann auf dem Foto. Hinterher ärgert sie sich, dass sie so aufgeregt war und sich an kaum eines seiner Worte erinnern kann.

In zwei Monaten wird sie ihn zum ersten Mal sehen. Sie haben schon einen Termin ausgemacht. Er müsse gut haushalten mit seinem Besucherkontingent, hat er geschrieben. Da sei seine getrennte Ehefrau mit den Kindern, die ihn besuchen wollten, da ist sein alter Vater, der sehr zu ihm halte und dem er viel verdanke. Aber an einem Sonntag Mitte Februar könne sie ihn besuchen, wenn es ihr passe. Er würde sich dann um die Formalitäten kümmern.

Sie ist aufgeregt, wenn sie daran denkt. Sie hat auch Angst. Was wird er denken, wenn er sie sieht? Wie wird er reagieren, wenn er diese nicht blonde, nicht schlanke, nicht mehr junge Frau erblickt? Oft fürchtet sie auch, dass die Ex-Freundin wieder auftauchen könnte, die Blonde, die Schlanke. »Wenn Schluss ist, ist bei mir Schluss«, antwortet er auf ihre Befürchtungen. Aber sie ist sich da nicht wirklich sicher.

Vor dem Besuch im Gefängnis an sich hat sie keine Angst. Wie es dort zugeht, weiß sie von den Besuchen ihres Sohnes. Sie kennt die Kontrollen, das Schlüsselrasseln, die endlosen Gänge, die nach alter Suppe und Putzmitteln riechen. Sie kennt die nüchternen Besucherräume, und sie weiß, wie man sich dort unter den Augen der Aufsichtsbeamten verhalten muss. Sie werden sich sicher umarmen dürfen, aber mehr auch nicht.

Er wird ein Straftäter unter anderen sein, die dort mit ihren Freundinnen, Ehefrauen, Eltern oder Kindern an Resopaltischen sitzen und reden.

Inzwischen weiß sie mehr über sein Delikt. In einem seiner Briefe schrieb er ihr, dass er den Raubüberfall, aufgrund dessen er verurteilt wurde, einzig und allein begangen habe, um seiner kleinen Tochter zu helfen. Die habe eine schwere Augenkrankheit gehabt und drohte zu erblinden. Nur eine Operation in den USA hätte helfen können, aber die kostete 15 000 €. Die Kasse hätte sich geweigert, das zu bezahlen, und einen Kredit habe er bei der Bank nicht bekommen. Er sei verzweifelt gewesen und hätte als letzten Ausweg nur noch den Überfall auf einen Supermarkt gesehen. Ein paar Kumpels seien mit eingestiegen. Der Überfall aber ging schief, und einer der Kumpels hätte sich herausgeredet und ihm allein die Schuld zugeschoben. Dem habe das Gericht geglaubt und ihn daraufhin zu mehr als 13 Jahren Gefängnis verurteilt.

Er deutet dann noch an, dass es nicht sein erster Raub gewesen sei. Mehr weiß sie nicht darüber, und sie fragt auch nicht nach.

Das Wichtigste ist, dass sie ihm glaubt, dass er seine Tat nur aus Liebe zu seiner Tochter begangen hat. Das zeigt ihr, was für ein liebesfähiger und warmherziger Mensch er ist. Er hat einen Fehler gemacht, sicher auch keinen kleinen, aber das geschah mit den besten Absichten. Was aus der Erkrankung der Tochter wurde, vergisst sie zu fragen. Sie scheint offenbar nicht erblindet zu sein.

Sie haben sich so viel anderes zu erzählen. Zum Beispiel will er eines Tages wissen, was sie für erotische Vorlieben hat. Er wünscht sich einen entsprechenden Brief von ihr. Das macht sie erst verlegen, doch dann macht es ihr Spaß, einfach aufzuschreiben, was sie noch nie preisgegeben hat. Erzählt von heimlichen Wünschen und nie geäußerten Phantasien. Als sie es noch einmal liest, zögert sie, doch dann schickt sie die Blätter ab. Erst später wird ihr bewusst, dass das vielleicht auch ein Beamter bei der Briefkontrolle lesen wird.

Er scheint sehr angetan von ihren erotischen Schilderungen und schreibt zurück: »Ich sage dir: Alles was du dir erträumst, alles was du aus meinem Munde hören möchtest, habe ich dir in meinen Träumen schon gesagt und gegeben.«

Auch die konkrete Erfüllung dieser Träume ist jetzt Thema ihrer Briefe. Nach zwei sogenannten Regelbesuchen im Besucherraum, so schreibt er ihr, wird sie zukünftig vielleicht auch zu sogenannten Langzeitbesuchen kommen dürfen. Vorausgesetzt, die gefängnisinternen Psychologen und Sozialarbeiter unterstützen einen entsprechenden Antrag und halten den Kontakt für »sozial förderungswürdig«.

Dann dürfen sie sich für drei bis fünf Stunden ungestört in einer sogenannten Liebeszelle treffen. Sie ist mit einer Schlafcouch, einer Kochnische und einer Dusche ausgestattet, aber sicherlich alles andere als ein Romantikhotel. Sie bekommt trotzdem Herzklopfen, wenn sie daran denkt. Nach all dem, was sie ihm anvertraut hat.

Sie wird keine Angst haben, sich mit ihm einschließen zu lassen, auch wenn andere ihn für einen Verbrecher halten. Sie weiß, er ist ein guter Mensch. Sie vertraut ihm. Und er ihr. Warum sonst hätte er ihr neulich das Gutachten der Gefängnispsychologin geschickt, in dem es heißt: »Herr F. weiß, dass er zukünftig mit seiner Gesinnung und seiner Affinität zu Waffen einen anderen Umgang finden und sich nach dieser Haft ein anderes Umfeld suchen muss. Als Therapieziele hat er sich selbst gesetzt, mehr zu überlegen und toleranter zu werden. Auch möchte er seinen Zynismus dosierter einsetzen und sich im zwischenmenschlichen Umgang mehr öffnen.«

Sie schrieb ihm daraufhin zurück, dass er bei ihr zuhause keine Waffen finden werde, »höchstens die Waffen einer Frau«. Sie ist sich sicher, dass er mit ihrer Unterstützung und ihrer Liebe zu dem Menschen wird, der er wirklich ist. Und dass er dann keine Waffen und keinen schlechten Umgang mehr braucht.

Doch bevor er das Gefängnis auch nur zu einer Ausführung unter Aufsicht verlassen darf, wird noch einige Zeit vergehen. Und seine Freilassung ist auf Jahre hinaus nicht absehbar. Doch das schreckt sie nicht. Dass er eingesperrt ist, hat sogar etwas Romantisches. Sie wird ihre Liebe zu ihm gegen alle Widerstände verteidigen. Ihm treu sein und auf ihn warten. Er sei auch treu, schreibt er. Das Gefängnis gibt ihr sogar eine Art Sicherheit dafür. Obwohl - würde sie wirklich etwas davon erfahren, wenn seine frühere Freundin wieder zu Langzeitbesuchen kommt?

Als sie ihrem Sohn von ihm erzählt und sagt, dass ihr die gefühlvollen Briefe und die romantische Art ihres neuen Freundes sehr gefallen, lacht er sie aus: »Mutter, im Gefängnis sind die alle romantisch. Die wissen, was Frauen wollen!« Die Tochter reagiert noch harscher: »Hast du noch nicht genug von den Kerlen?«

Ein ganzes Jahr lang haben die Tochter und sie einmal nicht mehr miteinander gesprochen. Als sie ihrem letzten Mann, dem Stiefvater der Tochter, wieder und wieder verzieh, trotz seiner ständigen Trinkerei und trotz der Prügel, brach ihre Tochter eines Tages jeden Kontakt zur Mutter ab. Sie wollte sich nicht mehr mit deren Nachgiebigkeit und den ständigen Klagen abfinden.

Ihre Tochter stammt aus ihrer ersten, so kurzen wie unglücklichen Ehe. Sie war nach der Mittleren Reife auf der Handelsschule gewesen und hatte einen Bürojob bei einer Wirtschaftsauskunftei bekommen, der ihr viel Spaß machte. Dann wurde sie ungewollt schwanger. In der Kleinstadt, in der sie aufwuchs, gehörte es sich, dass man heiratete. Sie war evangelisch, der Mann katholisch, und nicht zuletzt deswegen machte ihr die Schwiegermutter das Leben zur Hölle. Ihr Mann, immer auf Seiten der Mutter, schützte sie nicht, und nur vier Jahre später ließ sie sich scheiden. Einige Zeit danach lernte sie ihren zweiten Mann kennen. Mit ihm bekam sie einen Sohn. Aber auch diese Ehe war unglücklich. Ihr Mann war Alkoholiker und trank sich schließlich zu Tode.

Dann traf sie ihren dritten Mann, der nicht nur trank, sondern sie auch schlug. Glück mit Männern sieht anders aus. Und mit ihrem Sohn hatte sie dann auch viel Kummer.

Jetzt aber sind beide Kinder auf einem guten Weg, und jetzt will sie auch einmal Glück haben.

Sie beginnt, mit Henning Zukunftspläne zu schmieden. Es kann schlimmstenfalls noch sieben Jahre dauern, bis er entlassen wird. Dann ist sie 64.

Nach seiner Entlassung wolle er, so schreibt er, auf jeden Fall zunächst bei seinem Vater unterkommen, dem er so viel verdanke. Mit ihr wolle er auf keinen Fall sofort zusammenziehen, sie müssten sich beide Freiräume zugestehen. Dass sie sich aber gemeinsame Ziele schaffen sollten. Und sich intensiv kennenlernen. Das sieht sie ein. Vielleicht aber könnten sie nach seiner Entlassung erst einmal 14 Tage gemeinsam Urlaub machen. Da, wo es schön ist und warm vielleicht.

Aber jetzt denkt sie fast ausschließlich daran, wie es sein wird, wenn sie sich zum ersten Mal sehen. Das wird in genau zehn Wochen sein. Dieser Termin steht wie ein Tag der Entscheidung vor ihr. Manchmal kann sie nachts nicht schlafen.

Wird sie zuerst im Besucherraum sein, oder wird er dort schon auf sie warten? Wie viele andere Leute werden dabei sein? Werden sie sich die Hand geben oder sich gleich umarmen? Und das Wichtigste: Wie wird er auf ihr Äußeres reagieren? Wird sie ihm vielleicht gleich ansehen, dass sie ihm nicht gefällt? Das wäre das Allerschlimmste. Dass er ihr nicht gefällt, kann sie sich nicht vorstellen.

Aber vielleicht schauen sie sich auch in die Augen, und es springt sofort der Funke über. Liebe auf den ersten Blick. Obwohl sie sich dann schon seit sechs Monaten gut kennen. Es ist das Verrückteste, was sie je getan hat. Und das Gefährlichste. Was, wenn er sie ablehnt? Was macht sie dann mit ihrem Leben?

Briefromanzen

Im Grunde unterscheiden sich viele dieser Brieffreundschaften kaum von den leidenschaftlichen Liebesbriefromanzen des 18. Jahrhunderts. Das voneinander getrennte oder heimliche Liebespaar beschwört die Vision einer unauflöslichen Verbundenheit, und jeder Brief betont die Absolutheit ihrer Liebe. Das Schreiben selbst ist wie ein magischer Vorgang, in dem man sich in seine eigenen Gefühle versenkt und die Gegenwart des anderen herbeiträumt.

Die Liebe wird zur Himmelsmacht und zur Schicksalsprüfung, vor allem, wenn sie bedroht oder gar verboten ist. Überträgt man diesen Topos auf die Korrespondenz zwischen »drinnen« und »draußen«, gilt dies vor allem für die schreibenden Frauen. Denn die Männer sind in einer vollkommen anderen Situation, leiden unter der brutalen Welt des Knastes und seiner ganz und gar unromantischen Realität. Sie sind Bedürftige, die – wenn sie erfolgreich sein wollen – erfühlen müssen, was eine Frau, die in Freiheit lebt, sich wünscht. Und es muss ihnen gelingen, dass sie die Erfüllung dieser Wünsche durch den inhaftierten Mann für möglich, wenn nicht für wahrscheinlich hält.

Die Frau – und das macht vielleicht den Reiz einer solchen Gefängnisliebe für sie aus – hat die Wahl. Sie kann den Kontakt jederzeit abbrechen – oder sich eben in die Romantik einer solchen Beziehung hineinphantasieren. Liebesbriefe sind aus der Mode, vielleicht hat sie bisher keinen einzigen bekommen. Jetzt besteht das reizvolle Spiel, aber auch die Gefahr darin, den Verbrecher zum verfolgten Helden zu idealisieren. Und sich selbst als Mit-Heldin, die ihn als Einzige aus seiner Einsamkeit erlösen kann.

Plötzlich ist es da, das Lebensabenteuer, vielleicht zum ersten Mal. Und gerade, wenn es zunächst verheimlicht wird, gibt es dem grauen Alltag endlich Würze. Briefe setzen Distanz, hier das Getrenntsein der Liebenden voraus. Und eben dies ist der Hintergrund für die unendlichen Träume, die jetzt geträumt und als Realität betrachtet werden, weil sie weder geprüft noch wirklich bedroht werden können. Kein Alltag kann sie in Frage stellen, und die Männer werden es tunlichst vermeiden, sie zu stören.

Viele der betroffenen Frauen, die auf diese Anzeigen reagieren, schlagen sich allein durchs Leben, nicht selten mit Kindern, haben gescheiterte Ehen oder Beziehungen hinter sich. Die Männer ihres Alters sind entweder in festen Händen, oder aber – man schaue sich Partnerschaftsgesuche in Zeitungen und im Internet an – sie suchen wesentlich jüngere Frauen. Hier aber, bei jailmail oder anderen Partnerbörsen für Gefangene, suchen hunderte von Männern eine Frau, egal, wie alt sie ist.

Die Gitter, hinter denen der Mann sitzt, geben der Frau noch eine andere Sicherheit: Dass der Mann nicht nur von Treue spricht, sondern dass er tatsächlich treu ist. Wie sollte er sie im Gefängnis betrügen können? Sie weiß aus seinen Briefen, wo er sich zu welcher Tageszeit befindet: in der Zelle, in der Werkstatt, beim Sport, beim Aufschluss in den Gefängnisgängen. Und bis auf die Gefängnisangestellten sind außerdem alles Männer.

Bei diesen Beziehungen hat die Frau die Kontrolle über den Mann und nicht er über sie. Darüber hinaus ist sie sicher vor ihm, gleichgültig, welche Verbrechen er zuvor begangen hat.

Und wenn die Frauen gar Gewalt- und Ohnmachtserfahrungen erlebt haben, sei es in ihrer Kindheit oder in früheren Beziehungen – jetzt hat sich das Machtverhältnis umgekehrt. Jetzt sind die Frauen die Stärkeren. Sie sind in Freiheit, haben Geld und die Möglichkeit, so zu leben, wie sie wollen. Die sozial entmachteten und von ihnen abhängigen Gefangenen müssen um ihre Zuwendung werben – und locken mit dem, was die Frauen oft selten erlebt haben: Verständnis, Treue, Interesse an ihren Gefühlen und Gedanken, vertraute Zweisamkeit.

Damit verwoben sind die Verlockungen des Männlichen. Der zwar sozial verstoßene Gefangene trägt durch seinen gestählten Körper und durch seine Vergangenheit die Zeichen und die Aura der Gewalt, archetypisch geradezu ein Attribut des Männlichen. Nichts anderes macht auch den Eros des Westernhelden, die Figur des Rächers der Entrechteten oder eines James Bond aus.

Die Anziehung dieser Art von Männlichkeit mag auch ein Reiz für Frauen sein, die sich in Gewalttäter verlieben.

Nicht selten verdrängen sie, dass die Männer, in die sie sich verliebt haben, tatsächlich Räuber, Mörder oder gar Triebtäter sind. Lässt sich das wirklich auf Dauer ignorieren?

Und was, wenn die Verdrängung nicht mehr aufrecht zu erhalten ist? Wenn der Schleier eines Tages zerreißt und die harte Wirklichkeit enthüllt?

Die Macht des Schicksals

Ich bin 47, aber in zwei Wochen werden es 48 Jahre sein, die ich schon auf der Welt bin. Grausige 48 Jahre. Oft schaue ich mit einem gewissen Neid auf andere Paare, gemixt mit einer gehörigen Portion Torschlusspanik. Dann habe ich die berechtigte Befürchtung, dass ich als alte Jungfer ende.

Gesundheitlich geht es mit mir bergab. Seit einem Jahr leide ich unter Angst- und Panikattacken und war deswegen auch in psychiatrischer Behandlung. Ich kämpfe mit schweren Depressionen – dabei kreist alles um einen einzigen Namen.

Mein Herz und auch der Rest von mir fahren täglich Achterbahn. In guten Momenten bin ich voller Hoffnung. Dann bin ich mir sicher, dass Ahmed mich liebt, so wie ich ihn liebe. Dass wir beide zwar jetzt nicht zusammen sein können, aber dass wir es irgendwann sein werden. Irgendwann, später.

Schließlich ist es ja nicht so, dass wir einander nicht wollen. Nur sind die Umstände nicht danach, unser Wollen auch zu leben. Aber nicht mehr lange, dann können wir probieren, ob es mit uns beiden auch dauerhaft funktioniert.

Ich habe immer noch meine ganze Zukunft auf ein gemeinsames Leben mit Ahmed ausgerichtet. Nur deshalb habe ich sechs Jahre meines Lebens und meine Gesundheit für ihn geopfert. Und auch meine Ersparnisse. Ich befinde mich ununterbrochen auf einer emotionalen Berg- und Talfahrt aus Hoffnung und Enttäuschung, Hilflosigkeit, Angst, Freude, Trauer, Verzweiflung, Ärger, Wut und Hass. Und dann zwischendurch immer wieder Liebe. Trotz allem.

Nie hätte ich gedacht, dass ich mich eines Tages ausgerechnet in einen Strafgefangenen, in einen rechtskräftig verurteilten Verbrecher verlieben würde, in einen Türken, der auch noch viel jünger ist als ich. Aber das war Schicksal, und ich würde alles wieder genauso machen.

Nun habe ich ein ganzes Jahr lang nichts von ihm gehört, keine Zeile von ihm bekommen. Ich weiß nicht, wie es ihm geht, ob er krank ist, verzweifelt – manchmal denke ich, ich werde verrückt. Dann rette ich mich in den Traum, dass ich eines Tages doch mit ihm in der Türkei zusammenleben werde, wenn er aus dem Gefängnis kommt. Als seine Ehefrau. Denn er hat mir oft versprochen, mich zu heiraten.

Ich würde dann keineswegs erwarten, dass er sich mir ganz und gar gibt. Er sollte ehrlich zu mir stehen, aber er könnte weiterhin seine Freiheit und seinen »Spaß« haben. Wenn er nur immer wieder zu mir zurückkehrt.

Ich fühle mich wie in einer Warteschleife, aus der ich nicht herauskomme.

Ich lebe nach wie vor in T., wo ich geboren wurde und auch aufgewachsen bin. Am Fluss, der durch die Stadt fließt, habe ich oft gespielt. Am Ufer liegt ein wunderschönes Schloss. Als kleines Mädchen habe ich geträumt, ich wäre eine Prinzessin und würde dort wohnen.

Ich habe überhaupt viel geträumt, vielleicht weil meine Kindheit alles andere als glücklich war. Mein Vater arbeitete als stellvertretender Verwaltungsleiter in einem Krankenhaus, und für ihn kam sein Beruf an allererster Stelle. An zweiter Stelle kamen seine Freunde, mit denen er sich oft in der Gastwirtschaft traf. Irgendwo am Rande rangierte dann die Familie. Jeden Sonntag hat er mit uns einen Ausflug gemacht, der aber höchstens zwei Stunden dauerte. Dann setzte er uns wieder zuhause ab. Er hatte seine Pflicht als Familienvater erfüllt und ging seiner Wege. Zuhause war er kaum. Meine Mutter ist Ausländerin, sie stammt aus Dänemark. Sie musste die Familie ganz allein managen, in meinem Vater hatte sie keine Stütze. Wenn mein Bruder oder ich Probleme in der Schule oder auch sonst hatten, wurde nie darüber gesprochen. Wenn ich meiner Mutter dann doch einmal etwas anvertraute, das mir Kummer machte, ist sie sofort zu meinem Vater gelaufen und hat es ihm erzählt. Dieser Vertrauensbruch hat mir wehgetan, und ich habe mich noch mehr in mich verkrochen. In meiner Familie habe ich mich nie beschützt oder sicher gefühlt. Meinem Bruder ging es genauso. Wir mussten beide sehen, wie wir allein klarkommen.

Die Schule habe ich ganz gut hinter mich gebracht, auch wenn ich nie viele Freundinnen hatte.

Danach machte ich eine Ausbildung im Verwaltungsbereich und bekam schließlich eine Stelle als Sachbearbeiterin bei einer Behörde hier in der Stadt. Die Arbeit hat mir gut gefallen.

Aber privat hatte ich nur wenig Kontakte. Ich war schüchtern und fühlte mich irgendwie fremd unter anderen Menschen. Vielleicht liegt das daran, dass ich Skorpion bin. Ich überlege sehr, sehr gründlich, wen ich in meine kleine Welt hineinlasse. Nach typischer Skorpionart und aufgrund meiner Erfahrungen unterziehe ich meine Mitmenschen überkritisch und abschätzend einer längeren Prüfung, bevor ich sie in mein Leben lasse. Aber habe ich erst einmal jemanden zum Freund auserkoren, bin ich eine treue und zuverlässige Partnerin. Meine Freunde verteidige ich vor aller Welt, kämpfe unter den schwersten Umständen für sie und schere mich den Teufel darum, was andere über sie sagen oder was andere von ihnen – und mir – denken.

Das Jahr 2006 war mein Schicksalsjahr. Da ist nicht nur sehr viel Schlimmes passiert, dieses Jahr hat mein Leben auch völlig verändert.

Ich war damals Anfang dreißig. Im Büro fühlte ich mich wohl und hatte ein paar nette Kollegen. Aber von meinem Vorgesetzten fühlte ich mich ständig unter Druck gesetzt und hatte Angst vor ihm. Ich hatte das Gefühl, dass er mich nach seinem Bild formen will. Dass ich so, wie ich bin, nicht genüge.