Wenn ich einst alt bin, trage ich Mohnrot - Elisabeth Schlumpf - E-Book

Wenn ich einst alt bin, trage ich Mohnrot E-Book

Elisabeth Schlumpf

4,7
13,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
  • Herausgeber: Kösel
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2012
Beschreibung

Ein Buch für die Lebenslust im Alter

Was hindert uns daran, unser Alter zu genießen? Wieso denken wir bei alt werden vor allem an Mängel, klagen über Verlorenes und trauern Ungelebtem nach? Erwartet uns nicht auch eine neue Freiheit: Viele Dinge müssen nicht mehr getan werden, mit gesellschaftlichen Konventionen können wir lockerer umgehen.
Ein breiter Fächer an Gestaltungsmöglichkeiten tut sich für die späten Jahre auf.

Lassen Sie sich von der Autorin einladen, die Freiheiten des Alters zu entdecken. »Wenn ich einst alt bin, trage ich Mohnrot, weil ich das Brennen nicht missen möchte, in meinen Gliedern, in meinem Herz.« Mit diesen schwungvollen Worten beginnt Elisabeth Schlumpf ihr liebevolles Buch über das Altwerden.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 210

Bewertungen
4,7 (18 Bewertungen)
12
6
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

VorwortEinleitungTeil I - Sieben wichtige Aspekte des Altseins
Vielfältige GestaltungsmöglichkeitenGeheime Vorstellungen
Copyright

Vorwort

Ich widme dieses Buch meinen Eltern, die mir beide nicht zeigen konnten, wie man gut alt wird. Gerade deshalb war ich gefordert, mich mit meinem eigenen Alter zu beschäftigen und herauszufinden, wie ich es gestalten und erfüllen kann.

Ich habe zwar als Kind alte Menschen gekannt, sie gehörten zu meinem Leben. Ich liebte sie: meine Großmutter, die mir Geschichten erzählte, wenn ich zu ihr ins Bett schlüpfte. Meinen Großvater: Ihn bewunderte ich, er kam mir stets wie ein breitbrüstiger starker Baum vor. Sie lebten ihr Alter jedoch in einer anderen Welt, als es die heutige ist. Lebenskraft gaben sie mir als Erbe mit, ihre Lebensweise aber konnte ich nicht übernehmen.

Kein Modell zu haben bringt auch Vorteile. Man ist in keine Schiene gezwängt, hat kein vorgefertigtes Programm zu erfüllen oder sich davon zu lösen. Dafür muss man sich in einer unbekannten Landschaft zurechtfinden, die Ziele selber festlegen und die Pfade auf eigene Faust finden. Es ist äußerst hilfreich, über ein Thema zu schreiben, das einen selber betrifft. Ich konnte denn auch erst ein Altersbuch beginnen, als eindeutig feststand, dass ich selbst älter werde, und die Frage auftauchte, wie sich diese Lebensphase erfüllend gestalten lässt, was einem auf dem Weg begegnet und womit man sich – manchmal unfreiwillig – auseinander setzen muss.

Viel von meiner eigenen Lebenserfahrung ist in die Texte eingeflossen, aber nicht nur. Der Austausch mit meinen mehr oder weniger gleichaltrigen WeggefährtInnen über unser Älterwerden war von unschätzbarem Wert für mich, ebenso die Begegnungen mit KlientInnen zwischen sechzig und fünfundsiebzig Jahren, die ich begleitet habe. Ich werde mich im Nachwort einzeln bei ihnen bedanken.

Alle Beispiele in diesem Buch wurden mit ausdrücklicher Genehmigung der Betroffenen aufgenommen und so weit verfremdet, dass ein Erkennen der Personen nicht möglich ist.

Der Einfachheit halber verwende ich abwechslungsweise die männliche oder die weibliche Form, wo eine Doppelform die Verständlichkeit beeinträchtigen würde.

Einleitung

Dieses Buch ist für Menschen in unserer westlichen Kultur geschrieben worden. Hier, wo kaum jemand hungert und fast alle ein Dach über dem Kopf haben, möchte man so gerne alt werden, so alt wie möglich. Gleichzeitig ist alt sein verpönt – pfui über die Falten, die grauen Haare, die nachlassende Straffheit des Körpergewebes! Und also will man im Alter möglichst jung bleiben, oder wenigstens jugendlich. Kompliment, Sie sehen nicht aus wie siebzig, Sie sehen zehn Jahre jünger aus! Gut, aber wie sollen wir damit umgehen, dass trotz der Bemühung um Jugendlichkeit Alter und Tod uns überkommen, unwillkommen, unerwartet, weggewiesen, aber hartnäckig wie ein Postbote, der den Brief, dessen Annahme wir verweigern, schließlich unter der Türspalte hindurchschiebt?

Zugegeben: Sinnverarmt, beziehungslos und von Schmerzen geplagt ist das Alter ein Fluch. Wenn wir das Glück haben, bei einigermaßen guter Gesundheit und in befriedigenden Beziehungen älter zu werden, geht es wohl darum zu verstehen, was uns das Alter als Lebensphase anbietet, welchen Sinn wir darin finden können und welche Klippen auf uns warten. Weil die letzte Phase heutzutage bis zu einem Viertel der gesamten Lebenszeit ausmachen kann und noch immer weniger erforscht ist als beispielsweise die Kindheit oder die Pubertät und weil eine genormte gesellschaftliche Vorstellung darüber schwebt, haben wir Mühe, uns in ihr zurechtzufinden. Wir sind herausgefordert, einen persönlichen Weg durch die nicht genau vorgezeichnete Landkarte des Alters zu finden. Das vorliegende Buch möchte als Wegweiser dazu dienen.

Der erste Teil befasst sich mit dem allgemeinen Prozess des Altwerdens, der zweite nimmt spezifische Themen auf, und der dritte besteht aus einem Dialog zwischen zwei Frauen in verschiedenen Lebensphasen und -situationen. Die ältere Frau lebt in einem Altenheim, wo sie sich zunächst einsam fühlt und unzugänglich wirkt. Erst über den Kontakt zu einer warmherzigen Mitbewohnerin findet sie wieder Verbindung zum mitmenschlichen Austausch, auch über letzte Dinge. Sie schreibt ihre Erfahrungen in einem Tagebuch nieder. Die jüngere, in der Mitte des Lebens stehend, hat Familie und Beruf. Sie antwortet auf die Notizen, die sie erst nach dem Tod der alten Frau liest. Die Lebensform der Älteren stellt eine Möglichkeit dar, sie soll nicht als alterstypisch gelten. Der Akzent liegt auf dem Dialog zwischen den Generationen, dem wachsenden Verständnis der Jüngeren anhand des Tagebuches für die Lebensphase, die noch vor ihr liegt, sowie der Möglichkeit eines Wandels erst in der allerletzten Zeit des Lebens. Beide Personen sind fiktive Gestalten.

Teil I

Sieben wichtige Aspekte des Altseins

Vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten

Das Alter ist die letzte Phase unseres Lebens. Bedingt durch die steigende Lebenserwartung kann sie heutzutage ein Viertel und mehr unserer gesamten Lebensspanne ausmachen. Dass dies weitreichende soziale und gesellschaftliche Folgen hat, wissen wir alle. Die Formel für einen durchschnittlichen Lebenslauf:

»Aufwachsen – Beruf lernen – Arbeiten – kurzer Ruhestand  – Lebensende« gilt nicht mehr. An ihre Stelle ist die Aufforderung getreten, den letzten Lebensabschnitt von vielleicht fünfzehn bis zwanzig Jahren auf je eigene Weise zu gestalten. Dies ohne allgemein gültige Vorbilder, denn es gibt keine »altersgemäßen« Normen mehr, die eine Neunundsechzigjährige oder ein Sechsundsiebzigjähriger erfüllen müssten. Im Gegenteil: Wir tragen im Alter gewiss kein schwarzes Kopftuch, das uns als jenseits der Jugend kennzeichnet. Wir treiben jede Art Sport. Wir machen Reisen. Wir nehmen an allem teil, was uns interessiert. Nichts ist von Alters wegen verboten. So gesehen ist das Alter zu einer aufregenden Phase geworden, die einen breiten Fächer an Gestaltungsmöglichkeiten anbietet.

Andererseits unterliegen wir im Alter einem biologischen Formwandel. Wir kommen ja nicht zufällig als menschliche Wesen zur Welt und nicht als Eichhörnchen, Reh oder Löwe. Unsere Gestalt formt sich nach dem genetischen Code, den die befruchtete Eizelle in sich trägt. Unser Wachstum wird bestimmt durch die den Zellen innewohnende Matrix, so wie sich aus dem in der Eichel ruhenden Bauplan eine Eiche entwickelt, aus Körnern Getreide wird und aus Tulpenzwiebeln Tulpen hervorwachsen. Als Menschen entwickeln wir uns vom Baby zum Kleinkind, zum Schulkind, zum Jugendlichen, zum jungen und älteren Menschen, von da zum alten Menschen und zuletzt zum Greis, wenn es uns vergönnt ist, einen ganzen Lebenszyklus zu durchlaufen.

Die ersten Stufen dieses Entwicklungszyklusˡ sind uns vertraut. Wir sehen vor uns Kinder aufwachsen, zu jungen Erwachsenen werden, wir kennen das Im-Leben-Stehen als Tätige und etwas Bewirkende. Die späteren Lebensphasen sind uns in ihrer Gesetzmäßigkeit weniger vertraut. Häufig verbinden wir sie mit Reduktion und Verfall, wovor wir uns fürchten.

Immerhin gibt es einige Konzepte über den Verlauf der zweiten Lebenshälfte. Erik H. Erikson, ursprünglich Psychoanalytiker, befasste sich später auch mit den Sozialwissenschaften. Er stellte ein Diagramm auf über die menschlichen Entwicklungsstufen in der westlichen Gesellschaft. Es enthält deren acht. Bezeichnenderweise umfassen sechs die Stufen der Kindheit bis zum frühen Erwachsenenalter. Nur zwei sind dem mittleren und dem reifen Erwachsenenalter gewidmet, als deren Thematik Erikson die Generativität respektive die Integrität nennt. Was er mit Integrität meint, die er dem späteren Erwachsensein und damit auch dem Alter zuordnet, umschreibt Erikson folgendermaßen:

»Er (der seelische Zustand der Integrität) bedeutet die Annahme seines einen und einzigen Lebenszyklus und der Menschen, die in ihm notwendig da sein mussten und durch keine anderen ersetzt werden können. Er bedeutet eine neue andere Liebe zu den Eltern, frei von dem Wunsch, sie möchten anders gewesen sein, als sie waren, und die Bejahung der Tatsache, dass man für das eigene Leben allein verantwortlich ist.

Er enthält ein Gefühl von Kameradschaft zu den Männern und Frauen ferner Zeiten und Lebensformen, die Ordnungen und Dinge und Lehren schufen, welche die menschliche Würde und Liebe vermehrt haben. Obwohl ein Mensch, der Integrität besitzt, sich der Relativität der unterschiedlichen Lebensweisen bewusst ist, die dem menschlichen Streben Sinn verliehen haben, ist er bereit, die Würde seiner eigenen Lebensform gegen alle physischen und wirtschaftlichen Bedrohungen zu verteidigen. Denn er weiß, dass sein individuelles Leben die zufällige Koinzidenz nur eines Lebenskreises mit nur einem Segment der Geschichte ist; und dass für ihn alle menschliche Integrität mit dem einen Integritätsstil steht und fällt, an dem er teilhat.«

Das Konzept von Erikson stellt den reifen Erwachsenen als einen eigenständigen Menschen dar, welcher sein Leben und seine Biographie bejaht und ein Bewusstsein gewonnen hat von der Vernetztheit und Ganzheitlichkeit menschlichen Lebens.

Ein weiteres Konzept, das auf Ganzheitlichkeit zielt, stammt von C.G. Jung. Er betont, dass in der zweiten Lebenshälfte  – ab ungefähr vierzig Jahren – eine Umkehrung der Werte stattfindet. Während die erste Lebenshälfte nach außen gewendet verläuft, der Verankerung in der Welt gewidmet ist und dem Aufbau von Beruf und Familie, Fähigkeiten und Kompetenzen dient, ist die zweite darauf ausgerichtet, sich nach innen zu vertiefen, den Weg zu sich selber zu finden, als unverwechselbares Individuum vollständig zu werden. Jung nennt diesen Prozess »Individuation«. Nach seiner Lehre bedarf es dazu der Integration des eigenen Schattens, das heißt der unbewusst gebliebenen persönlichen Seiten sowie eines Ausgleichs zwischen männlichen und weiblichen Seelenanteilen.

Beide Konzepte stammen aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und beziehen sich auf Wachstumsprozesse geistig-seelischer Art. Vom körperlich-biologischen Aspekt und der eigentlichen Altersphase ist in ihnen noch wenig die Rede.

Erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts hat ein amerikanischer Forscher ein präziseres Konzept der mittleren und späten Phasen im menschlichen Lebenskontinuum entwickelt. Stanley Keleman, der Begründer der Formativen Psychologie, fasst Wachstum als formbildenden, somatisch-emotionalen Prozess auf. Nach ihm folgt menschliches Wachstum auch im Alter biologischen Gesetzen. Im Verlauf dieses Prozesses sinkt unser Körperschwerpunkt nach unten, ins Becken, sozusagen in die Küche des Körpers.

Wir werden auf natürliche Art mehr und mehr zu einem »Eingeweide-Menschen«. Der Vorteil dieses Geschehens liegt darin, dass wir uns von einem anderen Ort her auf die Welt beziehen können: von einem mehr die Seins- als die Handlungsqualität betonenden. Das berühmte »Ruhen in sich selbst« wäre damit von der Natur vorgesehen als ein altersentsprechender Zustand. Darum ist es uns bekömmlich, diesen Formwandel zuzulassen und mitzuvollziehen. Oft sträuben wir uns aber dagegen, weil wir unser Selbstbild aus einer früheren Lebensphase, das, womit wir uns auch körperlich identifiziert haben, nicht hergeben wollen.

Wir unterliegen jedoch alle diesem Formwandel, der alte Konturen auflöst und neue Dimensionen zugänglich macht. Unser Lebensbogen entspricht einem Kontinuum, in dem sich eine Gestalt aus der andern herausformt, eine Form die nächste als Keim in sich trägt, aus sich heraus entlässt und wieder zurücktritt. Dieser Vorgang entspricht in seinem Ablauf genau dem Sinn von Goethes »Stirb und Werde«.

So gesehen bedeutet Altern nichts anderes als Wachsen bis zur Formauflösung, etwas Urtümliches, aus der Tiefe menschlicher Existenz heraus Festgelegtes. Welche Bedeutung wir den einzelnen Lebensphasen geben, welche wir bevorzugen, welche wir ablehnen, hängt wesentlich von den zeitbedingten gesellschaftlichen Strömungen und dem kulturellen Rahmen ab, in welchem wir aufwachsen und leben. Außerdem kommt es darauf an, ob wir von Natur aus mehr zur Besinnlichkeit oder zum aktiven Tätigsein neigen. Für einen gemütsbetonten Menschen kann das biologisch bedingte Sich-in-sichselber-Hineinsetzen wie Heimkommen sein, während es einen Aktionsbezogenen zunächst fremd anmutet. In jedem Fall geht es darum, eine bewusste persönliche Einstellung zu der eigenen Lebensphase zu gewinnen, insbesondere zu der späten, obwohl wir damit in einen Gegensatz zu gängigen gesellschaftlichen Vorstellungen geraten können.

Der Kontrast zwischen dem natürlicherweise intendierten Wachstumsprozess und den allgemeinen Vor-stellungen vom Alter kann der Grund sein, welcher uns hindert, unser Alter anzunehmen wie ein Maler die Leinwand: bereit, sie mit farbigen Bildern zu füllen.

Wie Pioniere könnten wir uns in das Neuland des Alters hineinwagen, den eigenen Wachstumsprozess als Kompass benützend. Entlang den Veränderungen unserer biologischen Form haben wir die Chance, unser Alter individuell zu gestalten, vorausgesetzt, dass wir gesundheitlich und finanziell nicht so eingeschränkt sind, dass unsere erste Sorge den körperlichen Behinderungen oder dem Überleben gelten muss. Leidlich gesund und finanziell einigermaßen abgesichert könnten wir auf vielfältige Weise dem Alter Farbe verleihen.

Und, tun wir es? Nutzen wir die Chance? Leider stehen wir uns selber oft im Wege, um den Reichtum des Alters voll auszuschöpfen. Alt werden wollen wir nämlich, aber ja nicht alt sein.

Stufen

Wie jede Blüte welkt und jede JugendDem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,Blüht jede Weisheit auch und jede TugendZu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.Es muss das Herz bei jedem LebensrufeBereit zum Abschied sein und Neubeginne,Um sich in Tapferkeit und ohne TrauernIn andere, neue Bindungen zu geben.Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,An keinem wie an einer Heimat hängen,Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,Er will uns Stuf’ um Stufe heben, weiten.Kaum sind wir heimisch einem LebenskreiseUnd traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen.Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise.Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die TodesstundeUns neuen Räumen jung entgegensenden,Des Lebens Ruf wird niemals enden ...Wohlan denn, Herz, nimm Anschied und gesunde!

Hermann Hesse1

Geheime Vorstellungen

Was uns hindern kann, unser Alter zu genießen, sind geheime Vorstellungen, denen auf die Spur zu kommen sich lohnt. Sie können kollektiver Art sein, und wir haben sie uns unbemerkt zu Eigen gemacht. Sie können aber auch im Laufe unserer Lebensgeschichte durch prägende persönliche Erfahrungen entstanden sein. In jeder Familie gibt es eigene Vorstellungen, »wie man bei uns alt wird«. Diese können sehr abschreckend sein. Vielleicht halten Sie einen Moment inne, um sich zu erinnern, ob es in Ihrer Herkunftsfamilie Menschen gegeben hat, deren Altwerden für Sie wenig Verlockendes hatte. Mamas ewiges Färben der Haare, weil sie jünger erscheinen wollte, kann Sie genervt haben. Oder Onkel Tobias’ langatmige Weise, immer dieselben Geschichten zu erzählen, hat Sie bei jedem Besuch gelangweilt. So liebenswürdig diese Familienmitglieder sonst gewesen sein mögen, fürs Älterwerden haben sie Ihnen signalisiert: »So lieber nicht!«

Die kollektiven Vorstellungen beeinflussen uns auf jeden Fall, denn sie sind rund um uns mit Händen zu greifen, mit Auge und Ohr aufzunehmen. Wir können sicher sein: In unserer Gesellschaft alt zu werden heißt nicht, auf den Status einer geehrten und respektierten Person zuzugehen. Geld und Macht können uns zwar immer noch Einfluss und Ansehen verschaffen, aber keinesfalls das Alter an sich.

Die Ideale einer Leistungsgesellschaft verlangen Leistungen, die nur ein junger, kräftiger Körper erbringen kann. Es scheint sich ein Graben aufzutun zwischen den Jungen, Leistungsfähigen und somit Attraktiven und den unnützen Alten, den Rentenverzehrern, die den Buckel der Jüngeren belasten.

Eine Umfrage unter den Besuchern des kalifornischen Vergnügungsparkes Paramounts Great America ergab: »Die schlimmste Gänsehaut lösten unter den Befragten Schlangen aus, gefolgt von der Vorstellung, älter zu werden .«

Eine europäische Fernsehwerbung macht Reklame für die Hautpflege mit einer bestimmten Crème in drei Spots:

Der erste zeigt eine ganz junge Frau mit makellosem Teint.

Text: »Ich will keine Falten.«

Dann folgt eine vielleicht drei Jahre ältere Frau, immer noch makellos.

Text: »Und ich will eine straffere Haut.«

Zuletzt erscheint eine nochmals geringfügig ältere Frau, weiterhin makellos.

Text: »Und ich will keine Altersflecken.«

In diesen zwei beliebig herausgegriffenen Beispielen tritt uns grell die gesammelte kollektive Abwehr gegen das Alter und seine Spuren entgegen. Auch wenn wir die Reklamen, die uns Mittel zur Fettbeseitigung und Faltenentfernung, für straffere Brüste und immerwährende Potenz anbieten, als absatzförderndes Spiel mit der allgegenwärtigen Angst vor dem Alter durchschauen – gefeit sind wir deswegen gegen diese Angst durchaus nicht. Die insgeheim aufgebauten Vorstellungen sind wirksam.

5. Auflage 2006

Copyright © 2003 Kösel-Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH Umschlag: Elisabeth Petersen, München Umschlagmotiv: Imagebank München

eISBN 978-3-641-09550-5

www.koesel.de

www.randomhouse.de

Leseprobe