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Sicher und selbstbewusst Konflikte um Regelverstöße lösen
»Nein!« – So tönt es täglich aus Millionen Kehlen, wenn Kinder und Jugendliche zu Hause, in Kindergärten, in Schulen und anderswo aufgefordert werden, sich an aufgestellte Regeln zu halten. Im Konflikt nach dem »Nein!« zeigt sich aber erst, ob eine Vereinbarung wirklich gilt. Wenn Nervensägen an unseren Nerven sägen, dann heißt es, standhaft und konsequent, aber auch respektvoll und wertschätzend für die Beachtung der Regeln einzutreten.
Rudi Rhode und Mona Sabine Meis zeigen mit vielen Tipps und Hilfestellungen,
wie sich Eltern, ErzieherInnen, LehrerInnen und Sozialtherapeuten sicher und selbstbewusst in Konflikten um Regelverstöße durchsetzen. Die innere Haltung hat dabei ebenso Bedeutung wie die Körpersprache. Wer zudem konstruktiv streiten kann,
hat beste Voraussetzungen für ein erfolgreiches Konfliktmanagement.
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Seitenzahl: 185
Veröffentlichungsjahr: 2012
»Nö, mach ich nicht; ich bin doch nicht blöd!« – So oder ähnlich tönt es täglich aus Millionen von Kehlen, wenn Kinder oder Jugendliche aufgefordert werden, Regeln einzuhalten oder Grenzen zu beachten. Erst im Konflikt nach dem »Nein« stellt sich aber heraus, ob die betroffenen Erwachsenen überhaupt in der Lage sind, die von ihnen markierten Grenzen zu sichern und die aufgestellten Regeln souverän und selbstsicher zu vertreten. Immer wieder erleben wir:
Eltern ziehen sich während eines Konflikts um einen Regelverstoß kleinlaut zurück und überlassen den Kleinen und Großen kampflos das Feld.Pädagogen oder Erzieher fahren aus der Haut und versuchen mithilfe massiver verbaler und körpersprachlicher Einschüchterungen Grenzen zu sichern.Lehrer oder Sozialarbeiter flüchten mit der Drohung »Wenn du das nicht machst, dann ...« auf die rettende Insel der Sanktionen und verhängen aus purer Hilflosigkeit schon bei harmlosesten Regelverstößen drakonische Strafen.Zweifellos: Kinder und Jugendliche brauchen Regeln und Grenzen. Aber die Wirksamkeit von Grenzen und Regeln erweist sich nicht dadurch, dass sie aufgestellt werden. Ob sie tatsächlich gelten, zeigt sich erst dann, wenn sie übertreten und missachtet werden. Daher werden wir in unserem Buch Möglichkeiten aufzeigen, wie wir durch konsequentes und zugleich wertschätzendes Konfliktverhalten dafür sorgen können, dass Grenzen und Regeln mehr sind als bloße Lippenbekenntnisse. Deren Gültigkeit hängt maßgeblich von unserem verbalen und nonverbalen Auftreten ab: Für einen sicheren Auftritt benötigen wir sowohl klare Worte als auch eine klare und eindeutige Körpersprache. Kinder und Jugendliche brauchen starke Erwachsene, die ihr Amt als Erzieher oder Pädagoge nicht nur bekleiden, sondern auch verkörpern können.
»Mama, ich will fernsehen!« Die angesprochene Mutter ist genervt und hat Angst vor einem langen und nervenaufreibenden Konflikt mit ihrem trotzigen Sohn. Also entgegnet sie: »Nein, Sven, eigentlich hatten wir vereinbart, dass es heute kein Fernsehen gibt.« Ihre Grenzziehung ist halbherzig und gibt dem Sprössling durch die Verwendung des Wortes »eigentlich« zu verstehen: »Die Grenze steht zur Verhandlung.« Das unbedachte mütterliche Verhandlungsangebot wiederum verleitet den Sohn zum Widerstand gegen die nur schwach markierte Grenze, denn schließlich geht es ihm nicht um eine abstrakte Regel, sondern um einen spannenden Film – er brüllt wie ein Löwe. Fazit: Die genervte und ängstliche Mutter macht ihren Sohn erst stark.
Das Beispiel zeigt, dass eine klare innere Haltung die notwendige Voraussetzung für eine klare äußere Haltung ist. Wer Angst vor Konflikten hat oder zu einer Regel innerlich nicht steht, kann diese auch äußerlich nicht in Form eines eindeutigen Verhaltens vertreten. Wer an der eigenen Durchsetzungsfähigkeit zweifelt, der wird im Streit nach einer Grenzverletzung »kein Bein auf die Erde kriegen«. Und umgekehrt gilt: Nur wer innerlich einen festen Standpunkt einnimmt, kann diesen auch äußerlich fest vertreten, ohne aus dem Gleichgewicht zu geraten:
Wenn wir von der Berechtigung und Gültigkeit einer Regel nicht überzeugt sind, wird sie auch für die betroffenen Kinder und Jugendlichen nicht gelten.Konfliktängste gehen auf Kosten unserer gewinnenden Ausstrahlung. Wir brauchen die Selbstgewissheit, dass wir unsere Grenzen sichern werden. Nur dann können wir einer Grenzverletzung erfolgreich Einhalt gebieten.Daraus folgt, dass sich unser Buch nicht nur mit unseren verbalen Äußerungen oder unserer äußeren Haltung – unserer Körpersprache – beschäftigt, sondern auch mit unserer inneren Klarheit. Denn oberflächliche Tipps und Tricks zur Konfliktbewältigung bleiben äußerlich und wirken aufgesetzt, wenn die innere Basis nicht stimmt – unsere Einstellung. Wir werden Ihnen daher in den folgenden Kapiteln einen ganzheitlichen Ansatz vorstellen, den wir in den letzten Jahren auf der Grundlage von Hunderten von Konflikttrainings entwickelt haben: das »Modell der kontrolliert-eskalierenden Beharrlichkeit« (KEB-Modell). Vom Aufstellen einer Regel bis zur Verhängung von Konsequenzen nach fortgesetzter Regelmissachtung – das Modell der kontrolliert-eskalierenden Beharrlichkeit gibt Ihnen umfassende und systematische Hilfestellungen, wie Sie künftig selbstsicher und wertschätzend für die Gültigkeit von Grenzen und Regeln eintreten können.
Die wichtigsten Prinzipien der kontrolliert-eskalierenden Beharrlichkeit werden wir anhand einfacher Beispiele erläutern, die wir den unterschiedlichsten privaten und beruflichen Bereichen entlehnt haben: Sie werden häusliche und familiäre Konflikte erleben, aber auch Auseinandersetzungen um Grenzverletzungen und Regelverstöße aus Kindertagesstätten, Schulen, Jugendhäusern oder Heimen. Dabei haben wir unser Buch so konzipiert, dass wir das KEB-Modell anhand exemplarischer Einzelfälle erläutern, die Sie jedoch problemlos auf jeden Ihrer persönlichen Konflikte um einen Regelverstoß übertragen können.
Und bedenken Sie: Selbstbewusste und selbstsichere Erwachsene sind die beste Voraussetzung dafür, dass unsere Kinder und Jugendlichen ihr eigenes Selbstbewusstsein und ihre eigene Selbstsicherheit entwickeln. Und unser wertschätzendes Verhalten gegenüber Kindern und Jugendlichen bildet die beste Voraussetzung dafür, dass auch sie uns mit Respekt und Wertschätzung gegenübertreten. Denn im Zweifelsfall gilt noch immer das uralte Sprichwort: »Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus.«
Um allen Missverständnissen vorzubeugen: Unser Buch handelt zwar von Grenzen, aber das Zusammensein zwischen Erwachsenen und Kindern und Jugendlichen sollte primär nicht aus Abgrenzungen bestehen, sondern aus gemeinsamen Erfahrungen, Erlebnissen, Lernprozessen und gemeinsamer Freude. Und sosehr in den nächsten Kapiteln auch die Durchsetzungsfähigkeit nach Regelverstößen betont werden mag – die Basis von Erziehung im Allgemeinen und von Konflikt im Besonderen ist und bleibt Wertschätzung. Das Gemeinsame steht vor dem Trennenden. Wo Respekt, Empathie und Liebe fehlen, mutieren Grenzen, die wir den Kindern und Jugendlichen setzen, zu unüberwindbaren Mauern, hinter denen die Seelen verkümmern.
Bei jeder Grenzziehung stehen wir also vor der großen Herausforderung, dass bei aller notwendigen Durchsetzungsfähigkeit die Wertschätzung gegenüber der grenzverletzenden Person nicht auf der Strecke bleiben darf. Die Minimalanforderung an Wertschätzung in einem Konflikt besteht darin, unser Gegenüber nicht persönlich herabzustufen und zu erniedrigen. In diesem umfassenden Sinne muss unser gesamtes Vorgehen in einem Konflikt um einen Regelverstoß oder eine Grenzverletzung gewaltfrei sein – das heißt frei von jeglicher Form von Verletzung. Am Maßstab der Gewaltfreiheit werden sich alle Hilfestellungen, die wir Ihnen in den folgenden Kapiteln geben werden, messen lassen.
Beginnen wir dieses Kapitel über das Markieren von Grenzen mit einer alltäglichen Szene aus einem x-beliebigen Supermarkt. Der Konflikt beginnt mit der lauthals vorgetragenen Begierde: »Mama, ich will ein Eis.« Die Entgegnung der Mutter folgt unmittelbar: »Nein, wir hatten vereinbart, dass es heute kein Eis gibt!«
Mit ihrem »Nein« begrenzt die Mutter den Wunsch des Kindes nach Eis. Und wenn sie ihren Satz in einem klaren und deutlichen Tonfall und mit einer unmissverständlichen Körpersprache äußert, sendet sie obendrein die versteckte (das heißt nicht verbalisierte) Botschaft an ihr Kind: »An meinem klaren Ton kannst du hören, dass ich es ernst meine. Ich wünsche keine weiteren Diskussionen oder gar Streitigkeiten über dieses Thema. Und an meinem energischen Auftreten kannst du erkennen, dass du auch keinerlei Chance hast, deinen Wunsch nach Eis erfüllt zu bekommen. Daher akzeptiere diese Grenzziehung, sonst werde ich weitere Maßnahmen ergreifen, die unangenehm für dich werden!«
Die Mutter schlägt mithilfe ihrer offenen und versteckten Botschaften zwei Fliegen mit einer Klappe: Sie begrenzt nicht nur den Wunsch nach Eis, sondern auch jedes weitere Betteln und Quengeln des Kindes.
Stellen Sie sich als Kontrast den mütterlichen Satz »Nein, wir hatten vereinbart, dass es heute kein Eis gibt« in einem weinerlich-leidenden Ton vor. Zum besseren Verständnis streuen wir Füllwörter und Dehnungen ein, die diese Lesart erleichtern: »Och neeeiiiin, wir hatten doch vereinbart, dass es heute kein Eis giiibt.«
Der jammernde Unterton lässt die mütterliche Klarheit und Entschiedenheit aus dem ersten Beispiel vermissen. Die Grenze wirkt schwammig und schlecht
gesichert. Das Jammern der Mutter fungiert als Einladung an das Kind, gegen die undeutlich markierte Grenze in Form von weiteren Angriffen anzurennen. Der Ton macht die Musik: Aus dem »Stopp!« wurde ein »Stöppchen«.
Noch etwas wird klar: Die Formulierung »wir hatten doch vereinbart« weist darauf hin, dass die Mutter bereits im Vorfeld des Einkaufs den Konflikt im Supermarkt vorhergesehen hat. Vermutlich hat sie schon des Öfteren Erfahrungen mit ihrem Sprössling gesammelt, wie dieser sich verhält, sollte er das begehrte Eis in einer Kühltruhe entdecken. Um also zu vermeiden, dass dieser Streit im Supermarkt entflammt, hat die Mutter kurz vor dem Verlassen des Hauses ihrem Kind deutlich zu verstehen gegeben: »Du hattest gestern schon ein Eis. Und eben erst hast du ein paar Bonbons gegessen. Deswegen gibt es heute kein Eis. Und ich möchte auch kein Gequengel im Supermarkt. Ist das klar?« »Ja, Mama.«
Die Zustimmung des Kindes soll das Aufkeimen einer Auseinandersetzung im Supermarkt verhindern. Denn ein in der Öffentlichkeit lauthals ausgetragener Eltern-Kind-Konflikt ist unangenehm. Die Angst vor sozialer Beschämung ist groß, wird doch ein schreiendes, brüllendes oder quengelndes Kind von Zuschauern üblicherweise als schlecht erzogen wahrgenommen: Die Eltern haben versagt in ihrer Erziehung. Das Schreien wird den Eltern angelastet – nicht dem Kind!
Doch alle guten Vorsätze des Kindes sind vor Ort wie weggeblasen: »Mama, ich will ein Eis!«, so tönt es, dass die Regale im Supermarkt fast wackeln. Der Geist des Kindes ist willig, doch das Fleisch ist schwach ...
Erweist sich mit diesem Aufschrei die im häuslichen Schutz getroffene Vereinbarung als nutzlos? Nein. Sie kann helfen, den Konflikt im Supermarkt zu verkürzen.
Denn Erklärungen und Begründungen, warum es heute kein Eis gibt, hat die Mutter ihrem Kleinen bereits im Wohnzimmer gegeben. Diese im
Supermarkt zu wiederholen, wäre nicht nur unnötig und zeitraubend, sondern auch kontraproduktiv. Also kann die Mutter sich im Supermarkt darauf beschränken, einfach nur zu betonen: »Es gibt kein Eis. Denk an die Abmachung. Und jetzt Schluss!«
Das bedeutet: Ist eine Grenzziehung bereits im Vorfeld erklärt und begründet worden, kann sie in der aktuellen Auseinandersetzung kurz und knapp ausfallen.
Im Gegensatz zu dem Konflikt um das Eis im Supermarkt sind die meisten Grenzverletzungen nicht so leicht vorhersehbar. Begründungen für Grenzziehungen müssen dann – wie das folgende Beispiel zeigt – den Kindern und Jugendlichen im aktuellen Streit gegeben werden.
Ein Jugendlicher besucht die Jugendeinrichtung eines öffentlichen Trägers und parkt sein Mofa direkt vor der Eingangstür. Ein Sozialarbeiter spricht den Jungen an:
»He, Sven, ist das dein Mofa vor der Tür?«
»Warum?«
»Weil es im Weg steht. Setz es bitte weg. Wir haben doch einen Parkplatz.«
»Warum das denn? Das stört doch gar nicht!«
»Doch. Andere müssen drum herumgehen und außerdem ist das ein Fluchtweg.«
»Da kommt man doch locker drum herum. Was soll denn der Scheiß?«
»Ich möchte keinen Ärger mit der Feuerwehr oder dem Ordnungsamt. Wir hatten schon oft Schwierigkeiten mit denen und die kosten Zeit und Nerven. Komm, setz es bitte weg.«
»Aber das steht doch gar nicht im Weg.«
»Doch, setz es bitte weg.«
Vermutlich wird das Geplänkel zwischen Sozialarbeiter und Sven noch eine Weile dauern, bis der Jugendliche entnervt und mürrisch das Mofa auf den Parkplatz setzt. Die Grenzziehung ist mühsam und kostet den
Sozialarbeiter Zeit und Energie. Aber er weiß: Der Jugendliche kennt die Gründe nicht, warum er sein Mofa auf den Parkplatz setzen soll. Also legt er ihm diese dar. Durch die Begründung mindert der Sozialarbeiter den Druck auf den Jugendlichen und vermittelt ihm die versteckte Botschaft: »Ich handle nicht willkürlich und um dich zu schikanieren, sondern weil ich meine guten Gründe habe. Mir ist wichtig, dass du sie verstehst.« Die Begründung einer Grenzziehung signalisiert Wertschätzung.
Und noch eine weitere – versteckte – Botschaft wird durch
3. Auflage 2007
Copyright © 2006 Kösel-Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH Umschlag: Kaselow Design, München Umschlagmotiv: F. Verhagen / Getty Images Illustrationen: Mona Sabine Meis, Wuppertal
eISBN 978-3-641-08459-2
www.koesel.de
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