Wenn sich die Welt erklärt - Reiner Fischer - E-Book

Wenn sich die Welt erklärt E-Book

Reiner Fischer

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Beschreibung

Rufus Chrommick, Professor für Astronomie und tiefgläubiger Christ, hat die Blasphemie seines Kollegen, des Astrophysikers Robert Seaman, endgültig satt. Verkündet dieser doch immer und immer wieder hochmütig, früher oder später, die Existenz Gottes zu widerlegen. Als Seaman eines Tages öffentlich ein Experiment ankündigt, welches diesen Beweis tatsächlich erbringen könnte, sucht Rufus Chrommick, von seinen Kollegen und Studenten längst alleine gelassen, Rat bei Pfarrer Thomas Bergström.

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Inhalt

Großdiözese der Kirchenstadt St. Chrishen

Tagebucheintrag, 29. Oktober 2012 Ankunft in Chrishendale

Ein ganz normaler Tag im Leben von Rufus Chrommick

Kathrin Seaman

In der Petruskirche in Chrishendale-Süd

Tagebucheintrag, 30. Oktober 2012 Mein zweiter Tag und eine seltsame Begegnung

Im Labor von Robert Seaman

In der Universität für Astronomie und Astrophysik in Chrishendale

Kathrin Seamans Grab

Tagebucheintrag, 31. Oktober 2012 Meine Bekanntschaft mit Kathrin Seaman

Eine fremde Welt

Im Büro von Robert Seaman

Wahrheiten

Das Exempel

Erkenntnisse

Wieder zu Hause

Antworten

Robert Seaman und Rufus Chrommick

St. Chrishen, 31.Oktober 2112, St. Rufuskirche

Großdiözese der Kirchenstadt St. Chrishen

„Mr. Seaman. Vermutlich ist ihnen klar, dass sich die Beamten des Kardinalgroßpönitentiar um ein Gespräch mit ihnen förmlich gerissen haben - ich korrigiere - sie hätten sich beinahe zerfleischt. Letztendlich aber wurde die Ehre mir zuteil und als Vertreter des Kardinalpräfekten kann ich ihnen versichern, dass sich unser Gespräch dadurch weitaus angenehmer gestalten wird, als es unter der Apostolischen Pönitentiarie der Fall wäre. Freuen Sie sich darüber und ich bin gespannt was mich erwartet. Können wir anfangen?“

„Ja, Kardinalbeamter Cole, wir können anfangen.“

„Nun denn. Was mich natürlich vordergründig interessiert, ist der Grund für diesen konsequenten Schritt, schließlich gab es so etwas noch nie. Wollen Sie etwa ein Märtyrer werden? Aber wenn ja, Seaman, wofür?“

„Bei Gott dem Allmächtigen liegt mir nichts ferner, als ein Märtyrer zu werden. Es stünde mir gar nicht zu, treibt sich die Blasphemie doch derweil ausschließlich in meinem Kopf herum.“

„Was genau meinen Sie mit Blasphemie?“

„Erkenntnisse. Bilder, die meinen fundamentalen Glauben erschüttern und mich bei allem Bemühen nicht loslassen wollen. Ich sehe sie nachts, bei Tag.Immer. Jeglicher Versuch sie auszublenden scheitert kläglich.“

„Um welche Art Bilder handelt es sich dabei?“

- längeres, nachdenkliches Schweigen -

„Formeln, es geht um Formeln.“

„Formeln?“

„Ja. Mathematische Gleichungen, die mir ein Bild der Welt vermitteln, welches mit Gott nicht mehr vereinbar ist.“

„Gott aus unserer Welt verbannen? Das ist in der Tat Blasphemie, Seaman. Gott ist allgegenwärtig, wir alle wissen das.“

„Genau aus diesem Grunde entschied ich mich diesen Weg zu gehen. Ihre erste Frage dürfte somit bereits beantwortet sein.“

„Scheint so, als verließe Sie der Glaube. Sie könnten sich einer Glaubensanalyse unterziehen.“

„Das würde nichts nützen. Der Wille all die Zahlen ihrer Bestimmung zuzuführen wird immer stärker in mir. Mein Glaube ist nicht mehr länger in der Lage dem standzuhalten. Eine Glaubensanalyse würde daran nichts ändern. Ich bliebe zweifelsohne eine Gefahr.“

„Für die Gemeinschaft?“

„Und darüber hinaus.“

„Sie maßen sich an, eine Gefahr für Gott zu sein?“

„Nein, Kardinalbeamter Cole. Ich bin nur ein einfacher Mensch. Kein Mensch könnte je eine Gefahr für Gott darstellen. Auch wird kein Mensch je die von Gott gesetzten Grenzen der Natur überschreiten. Diese Welt wurde uns gegeben wie er sie schuf und wir nahmen sie dankbar an.“

- kurzes Schweigen -

„Wir alle wissen, dass sie ein brillanter Denker sind, Seaman. Wer hat noch nicht profitiert von ihrem breiten Wissen und ihrer begnadeten Vorstellungskraft, mit der Sie der Natur ein Geheimnis nach dem anderen entlocken und der Gemeinschaft so zu immer mehr Wohlstand verhelfen. Viele Menschen bewundern Sie, wäre es da nicht möglich, dass ihnen dieser kollektive Schwall der Begeisterung mit der Zeit die Sinne vernebelte? Sie, in ihren eigenen Augen, Gott gleich erscheinen ließ? Wenn dem so ist, warum genießen Sie es dann nicht, sind stattdessen hier? Ich werde es ihnen sagen, Seaman. Sie sind hier, weil sich der Herr ihrer längst angenommen hat. Er appelliert bereits an ihr Gewissen, welches Sie zielstrebig zu uns führte. Das bedeutet es gibt noch Hoffnung. Sie müssen diesen Weg nicht gehen, Seaman. Wir werden eine andere Lösung finden.“

„Sie haben es nicht verstanden, Kardinalbeamter Cole. Nicht ich bin die eigentliche Gefahr, ich trage sie in mir.“

- Kardinalbeamter Cole erschrocken -

„Den Teufel etwa?“

„Wenn ich Recht behalte - und leider werde ich Recht behalten - wäre der Teufel beileibe das geringere Übel.“

„Jetzt machen Sie mich aber wirklich neugierig. Worüber sprechen wir hier eigentlich?“

„Über Zahlen, Kardinalbeamter Cole. Wir sprechen über Zahlen. Leblose Zahlen, die sinnvoll vereint einer Sprache mächtig sind, die, versteht man sie, eine Welt offenbart, welche sich unserer Vorstellungskraft gänzlich entzieht.

Eine Welt die real ist und doch nicht existieren darf. Eine Welt in der unsere Gesellschaft keinen Platz mehr hat. Eine Welt ohne Gott.“

„Sind Sie sich da absolut sicher?“

„Absolut sicher.“

„Was genau erzählen ihnen diese Zahlen?“

„Sie würden es nicht verstehen, Kardinalbeamter Cole.“

„Würden andere es denn verstehen?“

„Nein. Nicht einmal Kathrin, meine Gattin, würde es verstehen - und das ist auch gut so.“

„Existieren denn Aufzeichnungen dieses Wissens?“

„Nein, alles befindet sich ausschließlich in meinem Kopf.“

„Und da ist es auch bestens aufgehoben. Sie haben mich überzeugt, Seaman. Mit einem derartigen Wissen werden Sie ohnehin keine Fürsprecher finden. Ich werde ihrer Bitte daher stattgeben, denn derlei Probleme sollten schnellstmöglich aus der Welt geschafft werden. Ich bin froh und dankbar, dass Sie so eng und auf freiwilliger Basis mit uns zusammengearbeitet haben. Begeben Sie sich am besten auf direktem Weg in die Kapelle. Bruder Lucio wird alles weitere veranlassen. Sie sind ein mutiger Mann, Seaman, aber ihnen muss auch klar sein, dass die Welt da draußen nie etwas von ihrer selbstlosen Tat erfahren wird. Die Atheisten würden aufhorchen und wenn der Staat eines nicht gebrauchen kann, dann sind es Märtyrer die für das Heidentum einher halten.“

„Ich verstehe.“

- Kardinalbeamter Cole erhob sich -

„Wie ich draußen sehen konnte, wartet ihre Gattin auf Sie. Sicher wollen Sie sich noch gebührend von ihr verabschieden. Wissen Sie was? Ich schicke Sie, gemeinsam mit Bruder Lucio, herein. Er wird Sie dann auch zur Kapelle geleiten. Gott segne Sie, Seaman. Ich bin sicher, der Herr wird ihre Tat belohnen.“

Kardinalbeamter Cole verließ den Raum. Zwei Atemzüge später betrat Bruder Lucio das Büro, dann Kathrin. Sie wirkte angespannt, war sich nicht sicher was sie erwarten würde. Sie blickte in die Augen ihres Mannes und ihre Anspannung ging über in Zittern. Ihr Blick wirkte ängstlich und ihre Lider bebten.

„Du hast es also wirklich getan.“

Seaman nickte.

„Warum, Robert, warum nur?“

Er senkte sein Haupt.

„Ich habe keine andere Wahl. Du musst jetzt einfach stark sein, Kathrin. Denke immer daran wie sehr ich dich liebe.“

„Liebst du mich denn wirklich?“

Robert warf ihr einen fragenden Blick zu.

„Sind es nicht Gott und deine Forschung die du liebst? Wo stand ich eigentlich die ganze Zeit, Robert? Sag es mir?“

„Wir hatten eine wunderschöne Zeit. Sicher wirst du dich oft daran erinnern.“

Sie lachte gequält.

„So ist es also. Ich muss mich mit Erinnerungen zufrieden geben. Ich hatte in deinem Leben niemals einen Platz, Robert. Ich bin mir nicht einmal sicher ob du Gott einen zugestehst, denn vermutlich ist selbst für ihn kein Platz in deinem Ego. Du verlässt mich. Das ist die nackte Wahrheit.“

„Du verstehst es einfach nicht, Kathrin, ich habe keine andere Wahl.“

„Doch, die hast du. Aber sie entzieht sich gänzlich deinem Blickfeld.“

Er warf ihr einen analytischen Blick zu, was sie jetzt erst richtig wütend machte.

„Du nimmst für dich in Anspruch ein großer Denker zu sein. Ein brillanter Forscher, der selbst der Natur ihre Kräfte entlockt und sie zu nutzen vermag, aber du versagst bei alltäglichen Entscheidungen. Entscheidungen wie dieser. Du hättest deine Forschungen einfach nur beenden müssen. Du hättest es niemandem erzählt und wir hätten zufrieden unser Leben gelebt.“

„So einfach ist es nicht, Kathrin.“

„Doch, Robert, genau so einfach ist es. Dein Handeln ist falsch.“

Erschrocken blickte er Sie an.

„Wie kannst du nur so etwas sagen? Es ist die einzige

Möglichkeit …“

„Es ist falsch!“

Robert senkte erneut sein Haupt.

„Ich verstehe deinen Unmut durchaus, Kathrin …“

„Gar nichts verstehst du! Du verstehst schon lange nichts mehr, dafür warst du all die Zeit viel zu sehr mit dir selbst und deinen Forschungen beschäftigt. Wann hast du mich denn das letzte Mal beachtet, außer im Bett, und selbst da warst du zuletzt mit den Gedanken nicht mehr bei der Sache!“

Robert warf Lucio einen beschämten Blick zu, aber der zeigte sich uninteressiert.

„Sicher hast du dir unser letztes Gespräch etwas anders vorgestellt, Robert, aber es wäre falsch von mir, dir die trauernde Witwe in Spe vorzuspielen, denn du hast es nicht verdient. Ich liebe dich, Robert, und vermutlich werde ich es auch weiterhin tun, aber du lässt mich im Stich. - Du verlässt mich - einfach so - ohne mit der Wimper zu zucken und das ist falsch. Deine Entscheidung ist falsch. Lebe wohl

Robert. So lange du noch kannst.“

Ohne zu zögern, drehte Sie sich um und verließ eilig das Büro. Bruder Lucio räusperte sich und folgte ihr. Im Flur positionierte er sich neben der Tür und wartete geduldig auf Robert. Der atmete noch einmal tief durch, dann stand er auf, verließ das Büro und ging gemeinsam mit Bruder Lucio zur Kapelle. Bruder Lucio öffnete die Tür. Sie traten ein und Robert sah sich um. Noch nie hatte er diesen Raum betreten. Normalerweise kannte man diese speziellen Kapellen nur vom hören-sagen. Es gab keine Fenster. Nur ein Kronleuchter, gespickt mit lichtschwachen Glühbirnen, hing an der Decke. In den Ecken des Raumes, welcher etwa zehn Meter in der Länge und sieben Meter in der Breite maß, standen große, einfach gehaltene Kerzenständer mit dicken, roten Wachskeulen. Dieser Raum war ein trostloser Ort. Lediglich das große Kreuz, an der Wand gegenüber der Tür, gab diesem Ort noch ein wenig Hoffnung.

„Sind Sie soweit, Mr. Seaman?“

Seaman nickte und begab sich zur Bare, welche inmitten des Raumes stand. Es handelte sich um eine große, einfach gehaltene Marmorplatte, gestützt von vier runden, etwa zwanzig Zentimeter dicken Marmorsäulen. Seaman legte sich auf den Rücken. Es war unbequem, aber das spielte keine Rolle.

„Ich bin soweit.“

Bruder Lucio nickte. Er öffnete ein kleines Holzetui und entnahm ihm eine Spritze, welche mit einer milchigen Flüssigkeit gefüllt war. Robert Seaman schloss die Augen. Lucio formte andächtig ein Kreuz, dann begann er vorsichtig Seamans Ärmel hochzukrempeln. Noch einmal überprüfte er den fachgerechten Zustand der Spritze, dann versenkte er die Nadel in Roberts Arm und drückte die weiße Flüssigkeit in dessen Vene. Robert atmete ein letztes Mal tief durch, dann schlief er friedlich ein, für immer.

Tagebucheintrag, 29. Oktober 2012 Ankunft in Chrishendale

Ein trostloses Viertel soll es sein, aber das bin ich ja gewohnt. Chrishendale ist nunmehr meine fünfte Station, im Kampf gegen °die Gottlosen° unserer Gesellschaft. „Bergström“ verkündeten sie auf der Gemeindeversammlung einmal wieder einig „Sie sind der Richtige! Wenn Sie nicht, wer sonst?“ Pastor Wilhelm meinte gar, „Thomas, sie sind ein wahrer Genius, wenn es ums Flanieren mit dem Pöbel geht.“

Idiot.

Entschuldige Herr, aber es ist doch wahr. Wie soll man denn die Nähe zu all den Menschen dort draußen finden, wenn man dermaßen unüberlegte Worte von sich gibt? Worte die von unermesslicher Arroganz zeugen, nichts weiter ausdrücken als Ignoranz und bodenlose Selbstgefälligkeit. Leider bin auch ich ein Teil dieses Apparates, welcher, wie ich glaube, seinen Auftrag bei weitem nicht so ernst nimmt wie ich es tue (wobei ich mich natürlich keineswegs hervorheben will, doch beherrscht mich dieser Gedanke mehr und mehr). Es fällt mir wirklich nicht leicht dir diese Worte zu schreiben, doch häufen sich zunehmend Zweifel in mir. Zweifel, ob ich das Seelenheil ganzer Gemeinden wirklich in Rekordzeit heilen kann. Bin ich denn dazu in der Lage? Zweifel, ob es überhaupt einen Sinn hat, denn leben wir nicht in einem Zeitalter, wo die Menschen Gott nicht mehr brauchen und erst dann wieder auf ihn aufmerksam werden, wenn ihre alternden Knochen sie darauf hinweisen. Aber auch hinsichtlich meiner selbst zweifle ich zuweilen, denn es stört mich doch tatsächlich, dass ich in all den Jahren als Pfarrer niemals ein Wort des Dankes erfahren habe. - Lob von Pastoren zählt nicht, denn die denken dabei ausschließlich an ihren eigenen Vorteil. Ist ein Hauch Dankbarkeit denn zu viel verlangt? Ein Lächeln, welches einem das Gefühl gibt gebraucht zuwerden? Ist es denn falsch über so etwas nachzudenken? So etwas zu vermissen? Oder ist es einfach nur menschlich, sich immer mehr den Kopf zu zerbrechen, um dann langsam aber sicher abzustumpfen? Verändere ich mich etwa schon? Schleicht sich die Ignoranz bereits in mein Bewusstsein, wo sie langsam zu einem Tumor namens Arroganz heranwächst?

Und jetzt auch noch dieser Traum, den ich heute Nacht so realistisch erleben musste und der es mir nicht gerade leichter macht. So real als wäre ich dabei gewesen, jedoch nur als stiller Beobachter. Welches Geheimnis nahm dieser ominöse Robert Seaman letzte Nacht mit ins Grab? - wenn er denn eins bekam, denn das weiß ich leider nicht, endete mein Traum doch abrupt als Seaman verstarb. Ein Ableben das Fragen aufwirft, denn in welcher Welt kann ein Geistlicher als Henker fungieren? In meiner eigenen etwa? Waren es meine eigenen finstersten Gedanken, die ich heute Nacht durchlebte? Diese Vorstellung lässt mich erschaudern.