Wenn Steine sprechen - neu denken, frisch wahrnehmen - Gerd Köhler - E-Book

Wenn Steine sprechen - neu denken, frisch wahrnehmen E-Book

Gerd Köhler

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Beschreibung

Die Vorstellung, dass auch ein Stein zur belebten Natur gehört, genau wie die Luft, das Wasser, die Erde, die Sonne und alle Gestirne, hat in der Menschheitsgeschichte eine lange Tradition. Diese Vorstellung ist mit dem Siegeszug der Naturwissenschaften fast völlig in den Hintergrund gedrängt worden. Die Quantenphysik hat diese Lebendigkeit nun wieder entdeckt und beschreibt Materie als Abfolge von lebendigen, schöpferischen Prozessen. Die Prozesse folgen einem grundlegenden Muster, das auch unser Erleben, Denken und Fühlen in jedem Augenblick frisch und neu hervorbringt. Diese ganzheitliche Sichtweise auf eine lebendige Wirklichkeit gibt uns nicht nur Orientierung und Hilfe im Alltag, sondern bietet auch die Chance für einen Brückenschlag zwischen Naturwissenschaften und Religionen.

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Seitenzahl: 144

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Der Autor

Gerd Köhler studierte an der Technischen Univer- sität München Maschinenbau und arbeitete als Lehrer an einer Technikerschule und als Entwick- lungsingenieur in verschiedenen Unternehmen. Seit mehr als 35 Jahren ist er Schüler der tibeti- schen Meditationsmeister Chögyam Trungpa Rinpoche und Sakyong Mipham Rinpoche. Gerd Köhler lebt in Hamburg und ist Meditations- lehrer und Seminarleiter im Shambhala-Zentrum Hamburg.

Gerd Köhler

Wenn Steine sprechen

- neu denken, frisch wahrnehmen

© 2019 Gerd Köhler

Umschlaggestaltung, Illustration: Gerd Köhler

Verlag & Druck : tredition GmbH Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN: 978-3-347-04995-6

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Inhalt

Vorwort                                                              7

1. Das Radio                                                       9

2. Wo kommen die Töne her?                         11

3. Der Reichtum des Universums                   18

4. Ich sehe was, was du nicht siehst               22

5. Die Achterbahn                                             25

6. Wahrnehmen ist ein Naturgesetz               29

7. Wahrgenommene und gedachte Welt       37

8. Wahrnehmen ist wie ein Akkord               42

9. Einzigartig und allein                                  50

10. Die Erde ist eine Scheibe                           52

11. Hamlet und die Streichholzschachtel      56

12. Die optische Täuschung                             6013. Erleben ist immer jetzt                                6514. Der gedachte Mörder                                  7015. Spielwiese Universum                                7616. Berühren und berührt werden                  80

17. Licht                                                              8418. Aufblitzen erleben                                       9519. Sehen                                                            10020. Sprechen                                                      10921. Kommunikation                                          11722. Rechnen und lernen                                   12723. Materie                                                         13324. Bewegen                                                       14325 Geben und Nehmen                                    14926. Logik des Lebendigen                                15327. Alte und neue Physik                                 16728. Wenn Steine sprechen                                17829. Begegnungen mit Wasser                          18530. Riechen - mal anders                                  19231. Das Universum tanzt                                 19732. Leiden als Alarmsignal                              20133. Der Weg                                                       208Hinweise und Fundstellen                              211

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Vorwort

 Die Vorstellung, dass auch ein Stein zur beleb- ten Natur gehört, genau wie die Luft, das Wasser, die Erde, die Sonne und alle Gestirne, hat in der Menschheitsgeschichte eine lange Tradition. Diese Vorstellung ist mit dem Siegeszug der Naturwis- senschaften fast völlig in den Hintergrund ge- drängt worden. Die Quantenphysik hat diese Le- bendigkeit nun wieder entdeckt und beschreibt Materie als Abfolge von lebendigen, schöpferi- schen Prozessen. Die Prozesse folgen einem grund- legenden Muster, das auch unser Erleben, Denken und Fühlen in jedem Augenblick frisch und neu hervorbringt. Diese ganzheitliche Sichtweise auf eine lebendige Wirklichkeit gibt uns nicht nur Ori- entierung und Hilfe im Alltag, sondern bietet auch die Chance für einen Brückenschlag zwischen Na- turwissenschaften und Religionen.

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In den ersten Kapiteln meines Buches geht es um unsere erlebte Welt, danach dann um die Leben- digkeit der materiellen Welt. Die grundlegenden Muster beider Welten werden graphisch darge- stellt im sogenannten Quantenmodell. Bei der Ent- wicklung dieses Modells habe ich mich u.a. auch bezogen auf die Aussagen von Prof. Dr. Hans-Peter Dürr, dessen Bücher und Vorträge mich sehr inspi- riert haben. Die zweite wichtige Inspirationsquelle waren die Lehren des tibetischen Buddhismus und der Shambhala-Tradition, mit denen ich seit mehr als 35 Jahren verbunden bin, und die auch Grund- lage meiner Meditationspraxis sind.

An dieser Stelle geht mein Dank insbesondere an meine Lehrer Chögyam Trungpa Rinpoche und Sakyong Mipham Rinpoche, deren Weisheit Hilfe und Ansporn für mich waren. Danken möchte ich auch Christine Behrens, Beate Kirchhof-Schlage und Priya Windisch, die meine Arbeit an diesem Buch unterstützt haben.

Im Text habe ich ab und zu die Regeln der deut- schen Rechtschreibung ganz bewusst kreativ um-gangen und z.B. Begriffe nicht groß sondern klein geschrieben. Damit will ich deutlich machen, dass diese Begriffe nicht für Dinge stehen, sondern Aus- druck sind für lebendige Prozesse.

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Das Radio

Unser erstes Radio nach dem Krieg war ein NORDMENDE. Das Radio hatte ein poliertes Ge- häuse aus edlem Holz und vorne eine schmale, von hinten beleuchtete Glasscheibe mit vielen Na- men von Radiostationen: Hamburg, München, Ber- lin, London... Wenn ich den Senderknopf drehte, wanderte ein weißer, schmaler Balken hinter der Glasscheibe von Station zu Station. Zwischen den Stationen zwitscherte und pfiff das Radio und zeigte damit an, dass hier keine Sendung zu emp- fangen war. Und dann war da noch das Magische Auge. Das faszinierte mich besonders. Es schim- merte so geheimnisvoll grünlich, und wenn man am Senderknopf drehte, bewegten sich die leuch- tenden Sektoren und öffneten oder schlossen einen Spalt. Wenn der Spalt zwischen den leuchtenden Sektoren am kleinsten war, hatte man den Sender

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genau eingestellt. Das Magische Auge strahlte dann immer mit kräftigem, sattem Grün.

Ich erinnere mich, dass ich als Kind einmal hin- ter das Radio kroch. Da war diese Rückwand am Radio, die lauter Löcher hatte. Durch diese Löcher strömte ein rötliches Licht, und als ich durch eins der Löcher hindurch spähte... da war es: Da saß das ganze Orchester, eingetaucht in ein sanft glü- hendes Licht, vorne die Geigen und hinten die Pauken, so wie ich es auf einem Foto gesehen hat- te, ein ganzes Orchester mit winzigen Menschen und noch kleineren Instrumenten. Die machten diese wunderbare Musik. Ich hatte ein Geheimnis entdeckt und ich fühlte, dass es mein ganz persön- liches Geheimnis war. Ich erinnere mich, dass ich die Augen schloss und lauschte. Die Musik war so klar und so brillant, die Töne, fast greifbar, schwebten wie schwerelos durch den Raum. Die Musik umströmte mich, und ich fühlte mich reich beschenkt und glücklich.

Es ist nun schon mehr als 70 Jahre her, aber wenn ich an den Augenblick von damals hinter dem Radio denke, blitzt ein Geschmack von die- sem Erleben wieder auf. Ich spüre, dass da eine tie- fe Sehnsucht ist, und das Gefühl kommt auf, dass die Magie eines solchen Moments die wirkliche Er- füllung im Leben sein könnte.

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Wo kommen die Töne her?

Natürlich habe ich schnell herausbekommen, dass das Orchester nicht wirklich hinten im Radio sitzt, und dass das schimmernde, rötliche Licht vom Glühen der Röhren stammt. Später habe ich dann die Erklärung bekommen, dass die Töne aus dem Lautsprecher kommen. Aber dann taucht so- fort die Frage auf, wie sie denn da hineinkommen. Heute kann ich viele Details nachlesen in Fachbü- chern über Radiotechnik. Man findet da Abhand- lungen über Radiowellen, die vom Sender ausgestrahlt und über die Antenne des Radios empfangen werden. Die Signale werden vom Ver- stärker im Radio zum Lautsprecher geleitet, wo dann die Membran des Lautsprechers zum Schwingen gebracht wird. Dann sagen wir, dass die Musik aus dem Lautsprecher kommt. Aber stimmt das wirklich? Ist es vielleicht nur einfach schwingende Luft, die vom Lautsprecher erzeugt wird? Diese Luftschwingungen treffen dann auf

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mein Ohr, werden in elektrische Impulse umge- wandelt und zum Gehirn weitergeleitet. Aber wie kann aus diesen elektrischen Impulsen ein wahrge- nommener Ton werden? Da hat die Wissenschaft noch keine wirkliche Erklärung geliefert. Und weil ich dazu auch keine Antwort habe, bleibe ich neu- gierig und stelle weitere Untersuchungen an. Ich setze mich einfach vor meine Stereoanlage, lege eine CD mit guter Musik ein und lausche. Und wenn ich einfach nur lausche, kann ich feststellen, dass die Töne tatsächlich nicht aus den Lautspre- chern kommen. Ich höre das Orchester weiter ent- fernt von mir, die ersten Geigen von vorne links, die zweiten Geigen von vorne rechts, die Bläser höre ich in der Mitte und die Pauken weiter hinten links. Die ganze Musik spielt irgendwo vor mir, ich erlebe das Orchester wie in einem Konzertsaal mit großartiger Akustik. Ich höre nicht nur die Töne, sondern auch die Stille zwischen den einzelnen Sätzen. Ich erlebe auch den Raum, in dem das Or- chester spielt. Diesmal sitzt das Orchester nicht hinten im Radio, sondern direkt vor mir, wie im Konzertsaal. Jetzt könnten Sie einwenden, dass das bloß eine schöne Täuschung ist, nicht wirklich real. Und diese Täuschung ist nur deshalb so wirkungs- voll, weil ich viel Geld für eine gute Stereoanlage ausgegeben habe. Wenn ich im Konzertsaal sitzen würde, wäre das real. Aber auch wenn ich wirklich

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im Konzertsaal sitzen würde, bleibt die Frage wei- terhin offen: Wo entsteht der Ton? Kommt der Ton von der schwingenden Saite der Geige oder macht die schwingende Saite nur Luftschwingungen, die dann erst in meinem Erleben zu einem Ton wer- den? Zu diesem Thema haben sich schon viele Menschen Gedanken gemacht, z.B. mit folgender Fragestellung: Im Urwald von Brasilien steht ein alter Baum. Stellen wir uns vor, dass sich im Um- kreis von vielen Kilometern kein Mensch und kein Tier aufhält. Der Baum ist altersschwach und stürzt plötzlich um. Gibt es da ein Krachen?

Ich lasse diese Frage einfach mal so im Raum ste- hen und wende mich zunächst mal einer einfache- ren Frage zu. Was ist alles nötig, damit ich etwas hören kann? Es soll eine ganz einfache Aufzählung der Voraussetzungen werden, in ungeordneter Rei- henfolge und ohne irgendeine Bewertung.

Um Musik von einer CD aus meiner Stereoanla- ge zu hören, muss ich die Anlage einschalten und die CD einlegen. Vorher brauche ich dann noch Strom aus der Steckdose. Dazu muss irgendwo ein Kraftwerk den Strom erzeugen. Wenn der Strom aus einem Gaskraftwerk kommt, muss das Gas durch eine Pipeline zum Kraftwerk geleitet wer- den. Zum Betreiben der Pipeline und des Kraft- werks sind jetzt gerade Ingenieure und Arbeiter

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tätig, und nur deshalb habe ich jetzt den Strom für meine Stereoanlage.

Was brauche ich sonst noch, um Musik zu hö- ren? Natürlich meine Ohren, zwei intakte Trom- melfelle, eine gesunde Nervenleitung zum Gehirn, genügend Sauerstoff im Gehirn, damit ich nicht einschlafe. Selbstverständlich muss ich lebendig sein, und das verdanke ich neben vielen anderen Umständen auch der Tatsache, dass sich meine El- tern getroffen haben, eine hoffentlich romantische Nacht verbracht haben und ihre Erbanlagen an mich weitergegeben haben. Ich bin in meiner Ju- gend an klassische Musik herangeführt worden, und deshalb habe ich eine CD mit einem Klavier- konzert von Mozart eingelegt. Wenn ich jetzt die Starttaste drücke, kann ich das Konzert hören, aber nur dann, wenn alle Voraussetzungen, die ich eben aufgezählt habe, erfüllt sind. Diese Voraussetzun- gen machen es nicht nur möglich, sondern jede einzelne dieser Voraussetzungen ist zwingend not- wendig, damit ich das Konzert hören kann. Ohne Trommelfell kein Hören, ohne Strom kein Hören, ohne Eltern kein Hören… Jede einzelne Bedingung muss erfüllt sein, damit ich jetzt hören kann. Und ich habe hier nur ganz wenige Voraussetzungen aufgezählt. In Wahrheit sind es Tausende und Abertausende von Bedingungen, die alle erfüllt sein müssen, damit ich hier das Konzert hören

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kann. Die CD muss aufgenommen und verkauft worden sein. Die Musiker müssen ihr Instrument gelernt haben, die Geigen müssen gebaut worden sein. Dazu müssen Bäume gewachsen und gefällt worden sein… Wenn Sie wollen, können Sie hier kurz innehalten und selbst noch ein paar Bedin- gungen herausfinden, die zwingend nötig sind, damit Sie Musik aus Ihrer Stereoanlage hören kön- nen. Sie haben noch keine Stereoanlage? Dann wäre für Sie eine Bedingung zum Hören, dass Sie sich zunächst eine Anlage besorgen. Wenn Sie die- se Überlegungen für ein paar Minuten machen, können Sie leicht bei Adam und Eva landen, oder wenn Sie es mehr mit der Wissenschaft halten, beim Urknall. Doch es geht hier nicht um eine his- torische Betrachtungsweise nach dem Motto: Weil der Urknall stattgefunden hat, existiert diese Welt, und weil diese Welt sich so entwickelt hat, kann ich heute auch Musik von einer CD hören. Diese Betrachtung hier bezieht sich genau auf diesen Au- genblick, in dem ich die Musik erlebe. Genau in diesem Moment schwingen meine Trommelfelle, die aus organischen Molekülen bestehen. Diese Moleküle enthalten Kohlenstoffatome, die bei der Explosion von einem Riesenstern im Universum entstanden sein sollen. Ich könnte also sagen, dass meine Trommelfelle jetzt aus diesem Sternenstaub

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bestehen, und dieser Sternenstaub schwingt jetzt, genau in dem Augenblick, wo ich den Ton höre.

Sie mögen sich jetzt vielleicht fragen, was dieser kleine Denkausflug soll. Ist das nicht nur sinnlose Hirnakrobatik? In der Praxis reichen doch zwei Bedingungen, nämlich die CD einzulegen und zu starten. Das ist eine sehr pragmatische Annähe- rung, die im Alltag ja auch gut funktioniert. Es ist auch gar nicht die Idee, dass wir ständig über die Vielzahl der Bedingungen nachdenken sollten, denn dann kämen wir vor lauter Denken nicht mehr zum Leben. Es kann jedoch hilfreich sein, es in einer ruhigen Stunde einmal zu tun. Dann merkt man, dass in unserer Welt sehr vieles zu- sammenhängt, dass unser Leben sehr komplex ist. Manchmal findet man beim Nachdenken auch hu- morvolle Situationen, wenn man sich z.B. fragt, was wohl dazu geführt haben könnte, dass unsere Eltern gerade in dieser, für uns so entscheidenden Nacht, romantische Gefühle bekommen haben. Vielleicht haben sie sich ja vorher gerade gestrit- ten, und diese Nacht hat sie wieder miteinander versöhnt. Wir können auch sehen, wie viele soge- nannte Zufälle dazu geführt haben, dass wir jetzt hier sind und das tun, was wir gerade tun. Zu wis- sen, dass es immer sehr viele Bedingungen gibt für das, was wir gerade jetzt erleben, kann wirklich hilfreich sein. Wir sehen eine größere Welt, und

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diese Welt ist auf wundersame Art und Weise ver- netzt. Wenn wir uns das vor Augen führen, steigt vielleicht unsere Neugier auf das, was nun als Nächstes kommt. Wir erleben vielleicht das, was wir gerade erleben mit größerer Wertschätzung. Manchmal sehen wir auch, dass viele dieser Bedin- gungen uns einfach auf wundersame Weise zuge- fallen sind. Wir sind z.B. vor 33 Jahren gerade an einem Café vorbei gegangen und bekamen Lust auf einen Kaffee. Und wen treffen wir da? Eine alte Schulfreundin, die wir seit Ende der Schulzeit nicht mehr gesehen hatten… Nun sind wir schon seit 30 Jahren mit dieser Frau verheiratet und die Kinder alle schon aus dem Haus. Wenn wir da- mals, an jenem Tage vor 33 Jahren, in das Café ne- benan gegangen wären?

Diese Kontemplation über die vielen Bedingun- gen, die nötig sind für das, was wir gerade erleben, kann vielleicht auch bei ganz alltäglichen Situatio- nen hilfreich sein. Oft denken und handeln wir so, als ob es nur eine Ursache gäbe. Unser Partner hat schon wieder den Müll nicht runter gebracht, ob- wohl wir ihn extra darum gebeten haben. Wir wer- den wütend und haben gleich auch den einen Schuldigen für unsere Wut. Dann poltern wir los und brechen einen handfesten Streit vom Zaun mit dem Resultat, dass wir beide leiden.

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Der Reichtum des Universums

Mit dem Urknall soll alles vor ca. 13,7 Milliar- den Jahren angefangen haben. Seitdem expandiert das Universum, die Galaxien driften mit rasendem Tempo nach außen. Zunächst nahm man an, dass diese Bewegung vom Punkt des Urknalls ausge- hend nach außen gerichtet sei. Neuere Messungen haben jedoch ergeben, dass dies nicht der Fall ist. Die Bewegungen der Galaxien gehen nicht von ei- nem gemeinsamen Ursprung, einem Mittelpunkt, aus. Und so lassen die Wissenschaftler heute die Frage nach einem Mittelpunkt des Universums entweder offen, oder sagen, dass der Mittelpunkt in jedem beliebigen Punkt des Universums liegen kann.

Wenn der Mittelpunkt des Universums überall liegen kann, dann könnte ich für mich den Mittel-

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punkt ja auch an den Ort legen, wo ich gerade bin. Ich sitze hier, vor mir mein Laptop, hinter mir mein Bücherregal, rechts von mir hängt ein Bild an der Wand, links von mir steht die Schreibtischlam- pe, über mir ist die Zimmerdecke und unter mir der Fußboden. Dies ist der Ort, an dem ich mich befinde, und um mich herum mein kleines Univer- sum. Ich bin also im Mittelpunkt dieses Univer- sums aus Laptop, Bücherregal, Bild, Schreibtisch- lampe, Decke und Fußboden. Und wenn ich jetzt aufstehe und in die Küche gehe, bin ich in einem neuen, kleinen Universum. Und auch hier bin ich im Mittelpunkt, diesmal im Mittelpunkt von Herd, Küchentisch, Kühlschrank und Küchenfenster. Wo immer ich hingehe, erlebe ich ein neues Vorne, Hinten, Rechts, Links, Oben und Unten. Ich erlebe immer eine neue Umgebung, und jedes Mal bin ich im Mittelpunkt dieser erlebten Welt, dieses erleb- ten Universums. Wenn ich nachts am Meer spazie- ren gehe, kann ich sicherlich ein weit größeres Uni- versum erleben. Dann umfasst mein Universum auch Mond und Sterne und ferne Galaxien. Die er- lebe ich dann über mir, den festen Boden unter mir, links der Deich, rechts von mir das Meer und vor und hinter mir erstreckt sich der weite Strand, auf dem ich gehe, ein wirklich großes Universum. Dieses subjektiv erlebte Universum ist wundervoll und einzigartig, und es umfasst weit mehr als nur

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meine Wahrnehmungen. In diesem erlebten Uni- versum gibt es neben meiner wahrgenommenen Welt auch noch die Welt meiner Gedanken, Gefüh- le und Träume. In Träumen kann ich auch am Meer spazieren gehen, Mond und Sterne über mir, der Deich links von mir, das Meer rechts und der weite Strand vor und hinter mir. Und auch hier, im Traum, fühle ich mich im Mittelpunkt meines er- lebten Universums.

Wenn ich jetzt sagen würde: Ich bin der Mittel-punkt des Universums, dann könnten Sie sicherlich denken: Es geht doch nichts über einen gepflegten Größenwahn. Aber hier bezieht sich der Begriff Mittelpunkt nicht auf die Frage, ob ich bedeutend und wichtig bin, sondern einfach darauf, dass ich meine Welt um mich herum ganz persönlich erle- be. Mein erlebtes Universum aus Wahrnehmun- gen, Gedanken, Gefühlen und Träumen ist einfach da, es ist ungeheuer vielfältig und unermesslich reich. Wie groß dieser Reichtum wirklich ist, wird schnell klar, wenn ich mir vorstelle, was ich alles nicht hätte, wenn ich z.B. blind wäre. Aber selbst dann würde mein erlebtes Universum immer noch vor Reichtum überquellen. Dieser Reichtum steht mir immer und überall zur Verfügung, ich muss nur wirklich hinschauen, anfangen, mich wirklich für mein wahrgenommenes Universum zu interes- sieren. Wahrnehmen bedeutet wahr-nehmen und so

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denke ich, dass es im wahr-nehmen auch Wahrhei- ten zu finden gibt. Ich werde also in den folgenden Kapiteln genauer in meine Wahrnehmungen schauen und versuchen, die offensichtlichen und die verborgenen Wahrheiten zu finden.

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Ich sehe was, was du nicht siehst

Wie beim Hören braucht es auch bei den ande- ren Wahrnehmungen bestimmte Bedingungen. Beim Sehen brauche ich z.B. Licht, meine Augen müssen in Ordnung sein und die Sehnerven müs- sen die Signale in die richtigen Hirnareale weiter- leiten. Ähnlich wie beim Hören muss also auch beim Sehen eine Vielzahl von Bedingungen zusam- mentreffen, damit ich etwas sehe. Nicht zuletzt muss ich zum Sehen die Augen aufmachen. Dann kann ich z.B. meinen Freund sehen, der mir am Tisch gegenüber sitzt. Wenn ich dann meinen Blick ein wenig entspanne, sehe ich aber nicht nur mei- nen Freund, sondern gleichzeitig mit meinem Freund auch den Tisch, an dem wir sitzen und die Gläser auf dem Tisch. Ich sehe die Wand des Wohnzimmers hinter meinem Freund und das Bild

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an der Wand, das vom Kopf meines Freundes halb verdeckt ist. Wenn ich jetzt meinen Freund bitten würde zu sagen, was er sieht, dann könnte er viel- leicht sagen: Ich sehe dich vor mir sitzen, den Tischmit den Gläsern und hinter dir die Wand des Zimmers