Wenn wir die Heiligen fragen könnten - Eberhard von Gemmingen - E-Book

Wenn wir die Heiligen fragen könnten E-Book

Eberhard von Gemmingen

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Beschreibung

Pater Eberhard von Gemmingen SJ war jahrelang als Leiter von Radio Vatikan die "Stimme des Papstes" und kritischer Beobachter von Kirche und Glaube. In seinem neuen Buch lässt er große und bekannte Gestalten, aber auch exotische Figuren des Christentums fiktive Ansprachen an die moderne Welt richten. Es sind Texte, die offen Fehlentwicklungen ansprechen, Lösungsvorschläge machen und manchmal auch mit einem Augenzwinkern die Situation der Kirche und der heutigen Christen kommentiert. Mit überraschenden Einfällen und originellen Wendungen ein Buch für alle, die modern glauben und die Welt verändern wollen.

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Eberhard von Gemmingen
Wenn wir die Heiligen fragen könnten
Was sie uns heute sagen würden  
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2018
Alle Rechte vorbehalten  
www.herder.de
Alle Bibelzitate wurden entnommen aus:
Die Bibel. Die Heilige Schrift  
des Alten und Neuen Bundes.
Vollständige deutschsprachige Ausgabe
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2005
Umschlaggestaltung: wunderlichundweigand, Stefan Weigand
Umschlagmotiv: Gustav Adolph Spangenberg: Die Vier Fakultäten (Ausschnitt: Predigt des Paulus zu Athen), 1883/1888, Fresco, Treppenhaus Universität Halle i. Sachsen; © akg-images/Schütze/ Rodemann
E-Book-Konvertierung: de·te·pe, Aalen
Inhalt
Vorwort
Gestalten aus der Bibel
Der heilige Josef – Vater eines schwierigen Sohnes
Apostel Matthäus – Heiliger Banker
Apostel Thomas – Zweifler und Glaubender
Erzmärtyrer Stephanus – Fanatischer Fundamentalist?
Die »arme Witwe« – Peinliches Lob
König Herodes – Kindermörder von Bethlehem
Gestalten des Mittelalters
Benedikt von Nursia – Vater des Abendlandes
Irmengard vom Chiemsee – Eine starke Frau
Franz von Assisi – Vagabund Gottes
Heiliger Antonius von Padua – »Patron der Schlamper«
Nikolaus von der Flue – Schutzpatron der Schweiz
Persönlichkeiten der Renaissance- und Reformationszeit
Martin Luther – Gläubiger Reformer
Ignatius von Loyola – Auf der Suche nach der Ehre Gottes
Teresa von Avila – Nonne auf Ochsenkarren
Johannes vom Kreuz – Geflohen aus dem Kerker
Leonardo da Vinci – Mann des Unendlichen
Galileo Galilei – Mensch des Staunens
Petrus Canisius – Erster deutscher Jesuit
Philipp Jeningen – Der schwäbische Apostel
Johannes Gutenberg – Mann des Jahrtausends
Persönlichkeiten der Moderne
Kardinal Galen – Der Löwe von Münster
Edith Stein – Schwester Teresia Benedicta a Cruce
Dietrich Bonhoeffer – Evangelischer Märtyrer
Pater Maximilian Kolbe – Opfer auf dem Altar von Auschwitz
Pater Rupert Mayer SJ – Apostel von München
Fritz Gerlich – Journalist gegen Hitler
Charles de Foucauld – Lebemann und Einsiedlermönch
Mutter Teresa – Im Haus für Sterbende
Über den Autor
Vorwort  
Oft frage ich mich angesichts der kirchlichen Situation in Deutschland: Was würden uns die Heiligen des Altertums sagen, die zu einer verfolgten Minderheit gehörten, die menschlich gesehen keinerlei Aussicht auf kirchlichen »Erfolg« haben konnten? Wie würden sie staunen über das, was aus dem Evangelium auf dem ganzen Kontinent ge­worden ist? Was würden uns die heiligen »Kulturpräger« sagen, wenn wir mit ihnen am runden Tisch säßen? Benedikt, Hildegard, Franz von Assisi, Brigitta von Schweden, Ignatius von Loyola.Und was würden die Männer und Frauen sagen, die ihr Leben eingesetzt haben gegen Nationalsozialismus und Kommunismus? Wie würden sie unsere Lage beurteilen, welche kritischen Fragen würden sie uns stellen, was würden sie uns raten? Ich fürchte nämlich: Viele von ihnen wären erschüttert, was wir aus der gewonnenen Freiheit gemacht haben. »So haben wir uns das nicht vorgestellt!«, wäre vielleicht ihr Ausruf.
Manchmal möchte ich meinen Mitchristen dieses oder jenes ans Herz legen. Aber wie mach ich das, ohne allzu ­besserwisserisch zu klingen? Ich kam auf den Trick: Leg es einem großen Christen in den Mund, er kann es sagen. Aus seinem Mund klingt es ganz anders, als wenn du selbst es deinen Zuhörern sagen würdest. So habe ich Predigten und Morgenandachten im Deutschlandfunk gehalten und einiges für dieses Buch neu geschrieben.
Ich fürchte, die Fragen, die um Glauben und Kirche in Mitteleuropa diskutiert werden, sind oft nebensächlich. Es wäre wichtiger, den Menschen von heute Jesus Christus als höchst aufregenden, herausfordernden, provozierenden Mann vorzustellen und in Erinnerung zu halten, als über die Frage zu debattieren, ob wir Feiertage für Muslime und Juden einführen sollen, ob wir Kopftücher tragen und Kruzifixe aufhängen. Meine Grundthese: Wenn wir den Mann am Kreuz vergessen oder das Kreuz abhängen, dann verliert Europa seine Identität, seine Schönheit, seine Stärke. Weder Goethe noch Bach, weder Michelangelo noch Dürer sind ohne den Mann am Kreuz zu verstehen. Die Dramatik heute ist das Vergessen des Mannes am Kreuz!
Eberhard v. Gemmingen SJ
München, im Februar 2018
Gestalten aus der Bibel
Der heilige Josef – Vater eines schwierigen Sohnes
Der heilige Josef ist der Vater Jesu-Christi und Ehemann Mariens. Freilich sagt das Neue Testament, dass Jesus ohne Mitwirkung Josefs gezeugt worden ist. Maria habe ihn durch den Heiligen Geist empfangen. Josef nahm aber gewissenhaft die Pflichten eines Vaters wahr. Gleich nach der Geburt Jesu im Stall von Bethlehem sorgte er für Maria und das Kind. Weil alle sonstigen Unterkünfte belegt ge­wesen seien, habe die heilige Familie in einem Stall Unterschlupf gefunden. Nach Bethlehem waren sie gekommen, weil die Familie hier ihren Stammsitz und der Kaiser in Rom befohlen hatte, dass alle seine Untertanen sich in ihrem jeweiligen Heimatort registrieren lassen sollten. Er wollte wissen, wie viele Untertanen er hatte. Dann ist Josef mit Maria und dem Jesuskind nach Ägypten geflohen, weil Häscher des Königs Herodes Jesus umbringen wollten. Josef hörte seine verschiedenen Aufträge im Traum, und er gehorchte. Über den Zeitpunkt des Todes von Josef er­fahren wir im Neuen Testament nichts. Josef wird seit ­Jahr­hunderten als sehr pflichtbewusster und treuer Mann verehrt.
Liebe Mitchristen,  
ich werde von den Theologen als der große Schweigende bezeichnet, weil im Neuen Testament kein einziges Wort aus meinem Munde aufgezeichnet ist. Manche Männer werden sagen: »Ich habe zuhause auch nichts zu sagen«. Aber Maria hat mich für heute dispensiert und hat mir geboten, Ihnen eine Predigt zu halten. So habe ich brav gehorcht. Etwas Spezielles aber ist von mir überliefert: Ich hatte viele Träume. Im Traum wurde mir eingegeben, was ich mit Jesus machen sollte, als Herodes beschlossen hatte, Jesus umbringen zu lassen. Weil ich so viele berechtigte Zweifel hatte, sind mir die Antworten im Traum gegeben worden.  
Denn mein Leben mit Jesus war auch keineswegs eine Idylle, wie sich das manche so vorstellen. Jesus war mir zwar – wie es heißt – untertan. Aber er verhielt sich von früh an seltsam: Als er zwölf Jahre alt war und wir der Tradition gemäß nach Jerusalem gegangen waren, ist er plötzlich verschwunden. Drei Tage lang haben wir – Maria und ich – ihn gesucht, uns schwere Sorgen um den Jungen gemacht, ihn dann endlich im Tempel gefunden, und dort gab er uns eine Antwort, die ich heute noch nicht verstehe: »Wusstet ihr nicht, dass ich im Haus meines Vaters sein musste?« Ich hätte ihm gerne eine runtergehauen. Er hätte es uns ja vorher sagen können, dass er noch bleiben wollte. Also – Jesus war für mich sehr oft ein Mysterium, ein Geheimnis. Das ging dann weiter, als er anfing, frühmorgens auf den Hügel vor dem Dorf zu gehen, um zu beten. Wir haben ihn gehen lassen, aber man macht sich seine Sorgen, ob bei ihm alles normal läuft. Erst recht, als wir ihm eine Braut ausgesucht hatten und er kühl ablehnte, er wolle nicht heiraten. Wir machten uns schwere Sorgen, was bei ihm möglicherweise schiefläuft, was wir falsch mit ihm gemacht haben. Wir hatten ja mit Kindern keine Erfahrung.  
Also, ich lernte durch Jesus und seine Eskapaden richtig beten, weil er uns immer wieder Sorgen machte. Schließlich – so mit dreißig Jahren – ist er von zuhause verschwunden. Fort war er! Und dann ist er nach etwa einem Jahr mit einer Gruppe von Freunden wieder aufgetaucht und hat angefangen zu predigen. Zwei Thesen von ihm haben mich besonders betroffen: »Wer Vater und Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert.« Und: »Streit wird es geben zwischen Vater und Sohn, Tochter und Mutter.« Man müsse seine Familie verlassen, um das Reich Gottes zu erwarten. Er stellte die heilige Ordnung auf den Kopf, denn schließlich hatten wir von Moses gelernt: Du sollst Vater und Mutter ehren, damit es dir lange gut geht auf Erden. Ich tat mich schwer mit meinem Sohn. Und ich hörte von vielen Bekannten: Auch sie taten sich schwer mit ihm. Manche meinten, man müsse ihn notfalls mit Gewalt zum Schweigen bringen. Manche meinten, er sei überspannt, durchgedreht, nicht ganz normal. Einmal sind Bekannte mit Maria in ein anderes Dorf gegangen, wo Jesus gerade war, und sie haben versucht, ihn nach Hause zu holen. Ohne Erfolg. Er war einfach störrisch. Bald wurden auch die Autoritäten in Jerusalem aufmerksam auf den »Störenfried vom Land«. Und weil er auch gegen die römische Besatzung kritisch war, haben sich der Hohepriester und seine Berater mit den Römern zusammengesetzt, um Jesus zu beseitigen. Wie hat Maria gelitten!  
Nun, liebe Mitchristen, muss ich einen Sprung machen: Ich springe aus meiner alten Zeit, in der der Glaube an Jahwe allen selbstverständlich war – genauso wie die Ordnung der Gesellschaft und der Familie –, in eure Welt. In ihr müsst ihr leben. Ich stelle mit Freuden fest: Ihr habt eine große Sensibilität, Lebendiges zu schützen: Tiere und Pflanzen, die Umwelt, die Meere, die Wälder. Gottlob habt ihr auch wunderbare Gesetze, die Gewissensfreiheit des einzelnen Menschen zu schützen, die Religionsfreiheit. Auch die geschlechtliche Orientierung des Einzelnen wird heute berücksichtigt. Gottlob wird vor allem in Europa auch das Leben des Einzelnen, des kleinen Kindes und des Greises, jedes Mannes und jeder Frau geschützt. Der Staat bestraft böse Taten, die früher gang und gäbe waren. Häusliche Gewalt wird bestraft, Kinder vor der Gewalt der Eltern. Ohrfeigen in der Schule sind verboten, sogar falsches Parken und vieles mehr. Gerade in Deutschland seid ihr großartig in der Bewahrung der Ordnung. Eines aber scheint mir noch nicht hinreichend geschützt: die Familie. Ich frage mich: Kann man Kinder schützen, indem man sie von ihren Eltern abgrenzt, indem man versucht, den Staat zum besseren Schützer des Kindes zu machen als Mutter und Vater, zum besseren Erzieher? Können Tagesmütter und Kindergärtnerinnen ebenso gut für Kinder sorgen wie deren Mütter? Tut ihr alles, damit der Vater hinreichend Zeit hat für die Familie, damit die Mutter sich Zeit nehmen kann für die Kinder, ohne ihre Berufsausbildung zu verlieren? Ihr schützt großartig viel Lebendiges, aber die Familie ist euch teilweise aus dem Blick geraten. Weil in den Familien manchmal etwas schiefläuft, meint ihr, die Frau gegen den Mann schützen zu müssen, die Kinder gegen Vater und Mutter. Ihr könnt aber niemanden gegen die Familie schützen. Sie selbst muss geschützt werden.  
Ihr nennt meine Familie in Nazareth die »heilige Familie«, und ihr meint, das sei eine Idylle gewesen. Das Gegenteil war oft der Fall. Jesus hat uns oft verwundert, provoziert, es war oft nicht leicht mit ihm. Aber wir haben uns zusammengerauft, wir haben nicht nach dem Staat gerufen, um unsere Konflikte zu lösen. Wir haben miteinander gerungen und miteinander gebetet. Idylle stellte sich durch das Gebet ein, nicht durch rechtliche Abgrenzung. Vor dem Vater im Himmel waren wir alle gleich. Wir haben vor ihm gemeinsam geschwiegen, und dann haben sich die Wolken aufgelöst, die manchmal über uns hingen. Gott ist keine Verzierung für Hochzeit und Beerdigung. Er ist der Stern, auf den wir uns immer wieder konzentrierten, und so wurde unser Leben orientiert. Orientiert heißt: ausgerichtet auf den Orient, auf die aufgehende Sonne. Sie hat uns immer wieder die Hoffnung geschenkt, dass Gott über uns aufgeht und scheint und mit uns wandert. Amen.  
Josefs-Gebet
»Heiliger Josef, Du bist im Laufe der Kirchengeschichte fast untergegangen. Es kamen die Großen der Kirche: Die Säulen Petrus und Paulus, die Märtyrer Stephanus und Laurentius, die Weisen Augustinus und Ambrosius, die Gelehrten Thomas von Aquin und Dominikus, die Reformer Franz von Assisi und Ignatius von Loyola, die heiligen Kirchenlehrerinnen Katharina von Siena und Teresa von Avila, und es kamen die ­Heiligen unserer Tage: Edith Stein und Maximilian Kolbe. – Wer denkt da noch an den Mann im Schatten, den Josef von Nazareth? – Sei uns nicht böse, heiliger Josef, dass alle Versuche, Dich ins Licht zu ziehen, immer wieder schiefgehen.«
Apostel Matthäus – Heiliger Banker
Den Zolleinnehmer Matthäus sah Jesus im Vorübergehen und forderte ihn offenbar unvermittelt auf, ihm nachzu­folgen, also auf seinem Weg des Verkündigens mitzu­kommen. Und nicht nur dies: Jesus hat sich dann auch noch bei Matthäus zum Essen einladen lassen. Es war ­vermutlich kein armer Haushalt. Und Matthäus hat noch Freunde und Berufskollegen dazugebeten. Vermutlich wollte er ein wenig angeben, dass er Jesus, diese be­­­kannte Persönlichkeit, bei sich zu Tisch hatte. Das sprach sich bald vor allem bei denen herum, die das mosaische Gesetz besonders ernst nahmen. Sie skandalisierten sich: »Wie kann dieser Wunderheiler, Prediger und angeblich Gott­gesandte Jesus mit dem Zöllner und den Berufskollegen essen? Er verunreinigt sich ja dabei rituell.« Matthäus war eine Ausnahme im Apostelkollegium, mehrere der anderen zwölf Gerufenen waren ein­fache Fischer und wesentlich ärmer als der Verantwort­liche an der Zollstelle.   
Predigt beim Sommerempfang des »Bundes katholischer Unternehmer«
Verehrte Kolleginnen und Kollegen vom Bund katholischer Unternehmer in München!
Wir sind hier nicht weit von der Deutschen Bank, von der Commerzbank, von den Bankhäusern Merck und Fink, Kühne und Nagel und von einigen anderen angesehenen Bankhäusern. Ich glaube, ein Verständnis für Sie zu haben, denn auch mein Leben drehte sich beruflich um Geld, um das Hinterlegen, Wechseln, Sparen. Daher erlaube ich mir, Sie anzusprechen als Kolleginnen und Kollegen.  
Jesus hat seine scharfen Augen einmal auf mich gerichtet. Sie kennen das Bild von Caravaggio. Auf ihm werde ich – Matthäus – als der wohlgekleidete Herr mit Hut dargestellt, der verwundert mit dem Finger auf sich zeigt und Jesus fragt: »Meinst du wirklich mich?« Und Jesus deutet an: »Ja – ich meine dich.« Ja, verehrte Kolleginnen und Kollegen, er meint auch Sie – die Unternehmer – ganz persönlich, ebenso wie er mich ganz persönlich meinte.  
Da gab es dann andere Menschen rund um mich herum. Die haben die Köpfe zusammengesteckt und geflüstert: »O Gott, o Gott, Jesus hat es mit einem Banker! Das sollte er als ethischer Mensch aber vermeiden, denn Banker sind fragwürdig, alle heimliche Betrüger, Egoisten, Nieten in Nagelstreifen!« Ja – Jesus hat sich ein wenig eingelassen auf zweifelhafte Menschen auf der männlichen und auf der weiblichen Seite. Er hat dann auch noch angefragt, ob er nicht zu mir zum Abendessen kommen dürfe. Ich war erstaunt, habe per Handy meine Frau gefragt. Sie hat geseufzt und zugestimmt. Am nächsten Tag ging dann das Geflüster durch die ganze Stadt: »Dieser Pseudoprophet Jesus lässt sich mit Bankern ein! Da kann nicht viel Gutes an ihm dran sein. Das tut man nicht.« Jesus hat aber dann nicht erklärt: »Ich rede mit jedem.« Sondern er hat gesagt: »Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken.«  
Das war aber ein Hammer! Er hat uns Banker als »Kranke« bezeichnet. Wo steht er also nun? Ist er auf unserer Seite oder auf der Seite der Sozis? Dieser Jesus ist nicht einzuordnen! Wir müssten ihn schon auffordern, sich klar zu bekennen. Man kann nicht täglich die Seite wechseln. Bei Bankern schön speisen und sie dann als Kranke bezeichnen! Unter uns wurde diskutiert. Manche meinten: Er hat ja nicht gesagt, wir seien böse, wir seien schlecht, wir seien unethisch. Er hat ja nur gesagt, wir seien krank. Sind wir Banker krank? Sollen alle Banker krank sein? Aber wovon leben denn die Firmen, die Unternehmen, auch die kleinen Handwerker und alle Häuslebauer, wenn nicht von unserem Service? Wir leihen Geld, damit die Leute was aufbauen können, und verlangen es dann auch zurück.  
Andere von uns meinten: Jesus darf man nicht als Fachmann für Sozial- und Wirtschaftsethik ansehen, als einen kleinen Nell-Breuning. Man muss ihn sehen als Propheten. Propheten dürfen und müssen übertreiben, um zu provozieren, um eine Diskussion anzustacheln, um nachdenklich zu machen. Das macht ja doch auch sein Repräsentant im Vatikan, der Argentinier Franziskus. Er sagt: Diese Wirtschaft tötet. Wohlgemerkt, er sagt nicht:DieWirtschaft tötet, sonderndiese Wirtschaft tötet.  
Wir Banker haben uns dann nach einer halben Nacht darauf geeinigt, dass man diesen Jesus richtig verstehen muss. Er sagt: Umgang mit Geld ist gefährlich. Es kann wie eine Droge sein. Man kann süchtig, abhängig werden, man kann krank davon werden. Das gilt für Banker, aber auch für alle anderen. Nur die Mütterchen – die haben nicht so viele »Kröten«. Da ist die Gefahr geringer, dass diese »Kröten« für sie zum Haschisch werden. Bei uns ist es schon die Gefahr, dass wir dann nur noch Dienstreisen machen und die Family vergessen. Bei uns ist vielleicht auch die Gefahr, dass wir unsere Selbsteinschätzung nur am Umsatz messen. Wir sind aber mehr wert als Geld. Wir Banker, von denen ich – Matthäus – einer bin, brauchen schon manchmal einen Provozierer wie Jesus, der auf die Pauke haut und uns nachdenklich macht. Danke dir, Jesus!  
Matthäus-Evangelium Kapitel 5, Vers 44f.
Jesus sprach:
»Ich aber sage euch: Liebt euere Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Söhne eueres Vaters im Himmel werdet; denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.«
Apostel Thomas – Zweifler und Glaubender
Thomas war einer der zwölf Apostel Jesu Christi. Bei der ersten Erscheinung des auferstandenen Christus vor seinen Aposteln war Thomas nicht dabei. So das Johannesevangelium im 20. Kapitel. Als ihm die anderen Apostel erzählten, dass Jesus ihnen erschienen sei, wollte er das nicht glauben. Er sagte: »Wenn ich nicht die Male der Nägel an seinen Händen sehe und meine Hand nicht in Jesu Seite lege, dann glaube ich nicht.« Daher wird Thomas im Allgemeinen als »ungläubiger Thomas« bezeichnet. Unter Christen ist es sogar üblich geworden, einen Menschen, der eine Behauptung nicht glaubt, »ungläubiger Thomas« zu nennen. Über die Tätigkeit des Apostels Thomas ist historisch wenig bekannt. Die »Didascalia« oder Apostellehre aus der Zeit um 250 enthält jedoch den Hinweis, dass Thomas Missionar in Indien gewesen ist. Hundert Jahre später entstanden die sogenannten »Thomas­akten«, die das Gleiche berichten. Der Kirchenhistoriker Origines schreibt, Thomas habe das Christentum im Irak und Iran verkündet. Die Christen im Osten Indiens nennen sich »Thomaschristen« und führen ihre Existenz auf die Predigt des Apostels Thomas zurück. Das berichten auch Gregor von Tours und Isidor von Sevilla um das Jahr 590.