„Wer folgt auf Merkel?“ - Moritz Stumvoll - E-Book

„Wer folgt auf Merkel?“ E-Book

Moritz Stumvoll

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Beschreibung

Nach sechzehn Jahren Kanzlerschaft verzichtete die amtierende Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Bundestagswahl 2021 auf eine erneute Kanzlerkandidatur. Wer würde also ihre Nachfolge antreten? Gleich drei Spitzenkandidaten lieferten sich ein enges Rennen um das Kanzleramt: Armin Laschet (CDU/CSU), Olaf Scholz (SPD) und Annalena Baerbock (Grüne) standen im Mittelpunkt des Bundestagswahlkampfs 2021. Informationen über die Kanzlerkandidaten sowie Eindrücke, die für Wähler im Hinblick auf die Wahlentscheidung relevant sind, erreichen die Bürger vor allem über Massenmedien und ihre Berichterstattung. Im Fokus dieses Buches steht die deutsche Presseberichterstattung über die Kanzlerkandidaten während des Bundestagswahlkampfs 2021. Die Beiträge deutscher Print- und Leitmedien werden dabei aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive mithilfe einer quantitativen Inhaltsanalyse untersucht.

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Seitenzahl: 162

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Inhaltsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1 „Wer folgt auf Merkel?“ – Der Bundestagswahlkampf 2021

1.1 Forschungsvorhaben und Relevanz

1.2 Leitfrage, untergeordnete Forschungsfragen und Einordnung der Studie

1.3 Aufbau der Arbeit

2 Massenmedien, Berichterstattung und Wahlkampf

2.1 Massenmedien und Funktionen politischer Berichterstattung

2.1.1 Massenmedien: Begriffsverständnis

2.1.2 Funktionen politischer Medienberichterstattung

2.2 Tageszeitungen in Deutschland

2.3 Rolle, Funktionen und Einflüsse der Massenmedien im Wahlkampf

2.3.1 Massenmedien im Wahlkampf-Dreieck

2.3.2 Funktionen der Massenmedien im Wahlkampf

2.3.3 Agenda-Setting, Priming und Einflüsse auf die Kandidatenwahrnehmung

2.4 Darstellung von Kandidaten in der Medienberichterstattung

2.4.1 Formale Eigenschaften der Berichterstattung und Präsenz der Kandidaten

2.4.2 Themen in der Berichterstattung

2.4.3 Bewertungen, Bewertungsdimensionen und Akteure

3 Theorien der Nachrichtenauswahl: Der News-Bias-Ansatz

3.1 Verleihen publizistischer Prominenz und Bewertung von Kandidaten

3.2 Einsatz ,opportuner Zeugen‘

3.3 Instrumentelle Aktualisierung

4 Der Forschungsgegenstand im Modell

5 Methodisches Vorgehen: Die quantitative Inhaltsanalyse

5.1 Untersuchungszeitraum und Auswahl des Untersuchungsmaterials

5.2 Auswahlverfahren und Aufgreifkriterium

5.3 Das Untersuchungsinstrument: Aufbau des Codebuchs

5.4 Formale Kategorien

5.5 Inhaltliche Kategorien

5.6 Pretest & inhaltsanalytische Gütekriterien

6 Ergebnisse der Inhaltsanalyse

6.1 Formale Eigenschaften der Presseberichterstattung und Präsenz der Kandidaten

6.2 Themen in der Presseberichterstattung

6.3 Bewertungen der Kandidaten und Akteure in der Presseberichterstattung

6.4 Instrumentelle Aktualisierung von Themen in der Presseberichterstattung

6.5 Einsatz opportuner Zeugen in der Presseberichterstattung

7 Fazit

7.1 Zusammenfassung & Diskussion der wichtigsten Ergebnisse

7.2 Kritische Würdigung: Stärken & Limitationen der Arbeit

7.3 Ausblick

Literaturverzeichnis

Anhang: Codebuch

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Bewertungsdimensionen für Spitzenkandidaten

Tabelle 2: Anzahl der Artikel und Aussagen pro Medium

Tabelle 3: Kategorien des Codebuchs

Tabelle 4: Reliabilitätstest auf Artikelebene

Tabelle 5: Reliabilitätstest auf Aussagenebene

Tabelle 6: Mittlere Tendenzen der wertenden Aussagen über die Kandidaten nach Bewertungsdimension

Tabelle 7: Redaktionelle Linien der Tageszeitungen

 

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Wahlkampf-Dreieck

Abbildung 2: Forschungsgegenstand im Modell

Abbildung 3: Berichterstattungsumfang im Zeitverlauf des Bundestagswahlkampfs 2021

Abbildung 4: Ressorts der Presseberichterstattung über die Kanzlerkandidaten

Abbildung 5: Journalistische Darstellungsformen der Presseberichterstattung über die Kanzlerkandidaten

Abbildung 6: Präsenz der Kandidaten in der wertenden Presseberichterstattung von SZ, Welt und Bild

Abbildung 7: Themen in der Presseberichterstattung über die Kanzlerkandidaten

Abbildung 8: Themen der wertenden Aussagen über Armin Laschet (Top 15)

Abbildung 9: Themen der wertenden Aussagen über Olaf Scholz (Top 15)

Abbildung 10: Themen der wertenden Aussagen über Annalena Baerbock (Top 15)

Abbildung 11: Bewertungen: Mittlerer Gesamttenor der Artikel im Zeitverlauf

Abbildung 12: Bewertungen: Mittlere Tendenz der Aussagen im Zeitverlauf

Abbildung 13: Bewertungsdimensionen aller wertenden Aussagen über die Kandidaten

Abbildung 14: Urheber der wertenden Aussagen in der Berichterstattung über die Kandidaten

Abbildung 15: Thematischer Kontext der wertenden Aussagen über Laschet im Vergleich der drei Medien

Abbildung 16: Thematischer Kontext der wertenden Aussagen über Scholz im Vergleich der drei Medien

Abbildung 17: Thematischer Kontext der wertenden Aussagen über Baerbock im Vergleich der drei Medien

Abbildung 18: Mittlere Bewertung der Kandidaten durch Journalisten und zitierte Quellen in den drei Medien

Abbildung 19: Urheber der wertenden Aussagen über Laschet im Vergleich der drei Medien

Abbildung 20: Urheber der wertenden Aussagen über Scholz im Vergleich der drei Medien

Abbildung 21: Urheber der wertenden Aussagen über Baerbock im Vergleich der drei Medien

„Wer folgt auf Merkel?“ – Der Bundestagswahlkampf 2021

Der Bundestagswahlkampf 2021 stand in mehrfacher Hinsicht unter ganz besonderen Vorzeichen. „Wer folgt auf Merkel?“ – das war die zentrale Frage, die sich ihren potenziellen Nachfolgern1, den Wählern sowie den Medien im Rahmen der Wahl zum zwanzigsten Deutschen Bundestag stellte. Nach sechzehn Jahren Kanzlerschaft verzichtete die amtierende Bundeskanzlerin Angela Merkel auf eine erneute Kanzlerkandidatur – eine erste Besonderheit des Wahlkampfs 2021. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland trat bei einer Bundestagswahl kein Amtsinhaber als Kanzlerkandidat an, abgesehen von der Wahl zum ersten Deutschen Bundestag 1949 nach dem Zweiten Weltkrieg (Korte, 2021).

Die Entscheidung Angela Merkels bedeutete, dass es nach der Bundestagswahl am 26. September 2021 in jedem Fall einen neuen Regierungschef geben würde. Wer würde also ihre Nachfolge antreten? Für die Bundestagswahl nominierten die drei aussichtsreichsten Parteien jeweils einen Kanzlerkandidaten: Armin Laschet (CDU/CSU), Olaf Scholz (SPD) und Annalena Baerbock (Grüne) kandidierten als Spitzenkandidaten ihrer Parteien für das Kanzleramt und standen im Mittelpunkt des Bundestagswahlkampfs 2021. Hinsichtlich der Nominierung der Kandidaten ergab sich ein weiteres Novum: Zum ersten Mal in ihrer Parteigeschichte haben die Grünen mit Annalena Baerbock eine Kanzlerkandidatin benannt (Korte, 2021). Somit hatten erstmals zwei Spitzenkandidaten und eine Spitzenkandidatin die Chance, die Regierungsführung zu übernehmen (Hausen, 2021).

Nominierung mit Hindernissen und vielfältige Koalitionsoptionen

Während die SPD-Führungsspitze Olaf Scholz bereits im August 2020 als ihren Kanzlerkandidaten nominierte, gaben Union und Grüne ihre Kandidaten verhältnismäßig spät bekannt (Korte, 2021). Armin Laschet und Annalena Baerbock wurden von ihren Parteien zeitgleich am 19. April 2021 als Kanzlerkandidaten nominiert. Die damalige Parteivorsitzende der Grünen wurde nach einer parteiinternen Einigung und dem Verzicht des Co-Vorsitzenden Robert Habeck auf die Kandidatur als Kanzlerkandidatin bekanntgegeben (Steffen, 2021).

Der Entscheidung für Laschet war ein unionsinterner Machtkampf zwischen dem damaligen CDU-Vorsitzenden und seinem Rivalen Markus Söder (CSU) vorausgegangen. Beide Politiker erhoben Anspruch auf die Kanzlerkandidatur, lange konnten sich die beiden Schwesterparteien nicht einigen. Sowohl Laschet als auch Söder erhielten Zuspruch aus beiden Lagern der Union. Nach einem deutlichen CDU-Vorstandsvotum am 19. April 2021 zugunsten Armin Laschets, erkannte Markus Söder das Ergebnis der Abstimmung an und verzichtete auf die Kanzlerkandidatur (Reuter & Ripperger, 2021). Die Folgen des intensiven Machtpokers begleiteten die Union und ihren Kanzlerkandidaten im gesamten Bundestagswahlkampf (Korte, 2021).

Die neuartige Konstellation der zwei Spitzenkandidaten und der Spitzenkandidatin sowie die wechselhafte politische Stimmung während des Wahlkampfs sorgten dafür, dass viele verschiedene Koalitionsoptionen in Betracht kamen (Brettschneider, 2021). Eine Wahlumfrage verdeutlichte knapp einen Monat vor der Wahl, wie eng es im Rennen um das Kanzleramt zuging: In der Sonntagsfrage zur Bundestagswahl von Infratest dimap (2021) lagen Union (23%), SPD (21%) und Grüne (17%) Ende August 2021 sehr nah beieinander. Noch nie gab es vor einer Bundestagswahl – mit Blick auf die Stimmungslage in Umfragen während des Wahlkampfs – so vielfältige Möglichkeiten der Regierungsbildung (Greive & Hildebrand, 2021).

Bundestagswahlkampf unter Corona-Bedingungen

Besonders war die Bundestagswahl 2021 auch deshalb, weil der gesamte Wahlkampf im Zeichen der Corona-Pandemie stand. Das weltweit grassierende Coronavirus wirkte sich auf die Themen des Wahlkampfs aus und veränderte außerdem die Formate und Instrumente der Wahlkampfkommunikation (Brettschneider, Güllner & Matuschek, 2021). Die Corona-Pandemie beschäftigte nicht nur Medien und Politiker, sondern spielte auch im Alltag der Wähler sowie im Hinblick auf die Wahl eine wichtige Rolle. Im September 2021, wenige Wochen vor der Bundestagswahl, bezeichneten 23 Prozent der Wahlberechtigten die Corona-Pandemie als sehr wichtiges Thema für die eigene Wahlentscheidung – direkt hinter den Themen soziale Gerechtigkeit (51%) auf Platz eins und Klimaschutz (39%) auf Platz zwei (Forschungsgruppe Wahlen, 2021).

Als eines der dominierenden Themen in der Gesellschaft, der Medienberichterstattung und der Politik beeinflusste die Corona-Pandemie indirekt viele politische und gesellschaftliche Themenbereiche (Korte, 2021). Die Coronapolitik sowie der Umgang der Kanzlerkandidaten und ihrer Parteien mit der Krise waren von wesentlicher Bedeutung für die Wählerschaft, die von beschlossenen Maßnahmen unmittelbar betroffen war. Dass die Pandemie auch für den zukünftigen Kanzler eine Herausforderung sein würde, zeigte eine gemeinsame Studie von Forsa und der Universität Hohenheim: Die größte Gruppe der Wahlberechtigten (37%) traute vor der Bundestagswahl keiner Partei zu, die Probleme der Corona-Krise zu lösen (Brettschneider, Güllner & Matuschek, 2021).

Zu den wesentlichen Maßnahmen hinsichtlich der Eindämmung des Coronavirus zählten die Kontaktbeschränkungen. Abstandseinhaltung, Distanz und Maskenpflicht prägten das persönliche Miteinander in der Bevölkerung und veränderten auch die Formate der Wahlkampfkommunikation (Korte, 2021). Auswirkungen hatte die Corona-Pandemie demnach auch auf die „generelle Sichtbarkeit der Kandidatinnen und Kandidaten“ (Korte, 2021, S. 18). Wahlkampfinstrumente wie öffentliche Wahlkampfveranstaltungen, Wahlkampfstände auf Straßen oder Hausbesuche, welche allesamt durch direkte Ansprache bzw. interpersonale Kommunikation gekennzeichnet sind, konnten aufgrund der Pandemie nur eingeschränkt eingesetzt werden. Darüber hinaus wurden Wahlkampfkanäle der direkten Ansprache auch von den Wählern nur sehr selten wahrgenommen: Lediglich 15 Prozent der Wahlberechtigten gaben an, Wahlkampfstände der Parteien zu besuchen und nur neun Prozent informierten sich bei Wahlveranstaltungen oder Kundgebungen (Brettschneider, Güllner & Matuschek, 2021). Zudem wurden einige Wahlkampfinstrumente durch digitale Formate ersetzt oder durch diese ergänzt (Korte, 2021). Mit sinkenden Fallzahlen und niedrigeren Inzidenzwerten im Sommer 2021 konnten im Endspurt des Wahlkampfs, unter besonderen Corona-Bedingungen, wieder vermehrt öffentliche Wahlkampfformate stattfinden (ebd.).

Superwahljahr mit erfolgreichem Ende für die SPD und Olaf Scholz

Neben der Bundestagswahl im Herbst fanden 2021 fünf Landtagswahlen statt. Eingeläutet wurde das Superwahljahr im März mit den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, bevor die Landtagswahl im Juni in Sachsen-Anhalt als letzter großer Stimmungsbarometer vor der Bundestagswahl fungierte. Zeitgleich mit der Bundestagswahl wurden am 26. September die Landtage von Mecklenburg-Vorpommern und Berlin gewählt (Korte, 2021).

Mit 25,7 Prozent aller Stimmen hat die SPD mit ihrem Kanzlerkandidaten Olaf Scholz die Bundestagswahl gewonnen und landete damit knapp vor Armin Laschet und der Union, die 24,1 Prozent der Stimmen erhielt und ihr historisch schlechtestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl erzielte (Klasen, 2021). Die Grünen und Annalena Baerbock wurden drittstärkste Kraft, sie erzielten mit 14,8 Prozent der Stimmen das beste Bundestagswahlergebnis ihrer Parteigeschichte (Süddeutsche.de, 2021). Die FDP erhielt 11,5 Prozent der Stimmen, die AfD 10,3 Prozent. Die Linke (4,9%) scheiterte zwar an der Fünf-Prozent-Hürde, zog aufgrund der Grundmandatsklausel dennoch in den Bundestag ein (tagesschau.de, 2021). In den anschließenden Sondierungsgesprächen für eine Regierungsbildung einigten sich die Parteien auf eine sogenannte Ampelkoalition, bestehend aus SPD, Grünen und FDP. Am 8. Dezember 2021 wurde Olaf Scholz mit 395 Stimmen der Bundestagsabgeordneten zum neunten Kanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt (zdf.de, 2021). Die erste Bundestagswahl ohne Titelverteidiger, die erste grüne Kanzlerkandidatin und ein Wahlkampf unter Corona-Bedingungen – allein das sind drei wesentliche Besonderheiten, die den Bundestagswahlkampf 2021 prägten. Zu einem speziellen Ereignis wurde der Wahlkampf somit auch für die Medien und ihre Berichterstattung über die Kanzlerkandidaten.

1.1 Forschungsvorhaben und Relevanz

Das Forschungsinteresse dieser Arbeit gilt der deutschen Presseberichterstattung über die Kanzlerkandidaten Armin Laschet (Union), Olaf Scholz (SPD) und Annalena Baerbock (Grüne) während des Bundestagswahlkampfs 2021. Massenmedien und ihre Berichterstattung spielen eine wichtige Rolle im Wahlkampf, denn Wähler nehmen das Handeln von Politikern, Parteien und ihren Kanzlerkandidaten u. a. über die Medienberichterstattung wahr (Brettschneider, Güllner & Matuschek, 2021). Informationen über das politische Geschehen und Kandidaten sowie Eindrücke, die für Wähler im Hinblick auf die Wahlentscheidung relevant sind, „erreichen den Großteil der Wählerinnen und Wähler durch die Berichterstattung der Zeitungen und Zeitschriften, über die zahlreichen Sondersendungen im Fernsehen und vor allem über die Fernsehnachrichten“ (Brettschneider, 2005, S. 20). Wie Massenmedien während des Wahlkampfs über Kandidaten berichten, nimmt Einfluss auf deren Popularität sowie das Image der Kandidaten „und daher auch auf ihre Chance, gewählt zu werden“ (Koch & Holtz-Bacha, 2008, S. 49).

Auch für die Medien und ihre Berichterstattung über den Wahlkampf war die Bundestagswahl 2021 in vielerlei Hinsicht besonders, denn sie markiert eine Zäsur: Erstmals fand eine Wahl ohne ,Titelverteidiger‘ statt – Bundeskanzlerin Angela Merkel trat nach sechzehn Jahren Amtszeit nicht mehr an. Aus der Forschung zur Wahlkampfberichterstattung ist bekannt, dass amtierende Kanzler, die erneut kandidieren, öfter Teil der Berichterstattung als gegnerische Parteien und deren Kanzlerkandidaten sind (Wagner, 2007, S. 152). Dieser mediale ,Amtsbonus‘ entfiel bei der Bundestagswahl 2021. Laschet, Scholz und Baerbock starteten diesbezüglich sozusagen unter ,gleichen Voraussetzungen‘ in den Wahlkampf.

Die Corona-Pandemie veränderte die Wahlkampfformate, reduzierte die persönlichen Kontakte zwischen Wählern und Politikern und nahm Einfluss auf die Sichtbarkeit der Kandidaten (Korte, 2021, S. 18). Umso mehr waren Wähler auf die durch Massenmedien vermittelten Informationen angewiesen – womöglich nahm die Medienberichterstattung deshalb eine noch wichtigere Rolle als bei bisherigen Wahlkämpfen ein. Es lässt sich vermuten, dass die Corona-Thematik an sich auch innerhalb der Medienberichterstattung von zentraler Bedeutung war.

Über die Inhalte der Medienberichterstattung entscheiden Journalisten, die über das politische Geschehen berichten. In der Regel geben Journalisten das Verhalten und die Botschaften von Parteien sowie Kandidaten nicht ungefiltert wieder, „sondern sie wählen aus (Selektion) und sie interpretieren und kommentieren das Geschehen“ (Brettschneider, 2021, S. 142). So legen Journalisten u. a. anhand verschiedener Nachrichtenauswahlkriterien fest, welche Themen und Inhalte für das Publikum relevant erscheinen (Brettschneider, 2005; Brettschneider, Güllner & Matuschek, 2021). Politische oder persönliche Einstellungen und Sichtweisen der Journalisten bzw. Redaktionen können dazu führen, dass unausgewogen, einseitig oder tendenziös – z. B. über einen Kanzlerkandidaten – berichtet wird (Bachl & Vögele, 2013, S. 346).

Aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht ist die Medienberichterstattung über die Kandidaten deshalb speziell während des Wahlkampfs von besonderem Interesse, denn Journalisten tragen mit ihrer Berichterstattung wesentlich dazu bei, welches Bild die Öffentlichkeit bzw. die Wähler von den Kandidaten erhalten. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die deutsche Presseberichterstattung über die Kanzlerkandidaten Armin Laschet (Union), Olaf Scholz (SPD) und Annalena Baerbock (Grüne) während des Bundestagswahlkampfs 2021 inhaltsanalytisch zu betrachten. Hierzu werden Beiträge der drei deutschen Print- und Leitmedien Süddeutsche Zeitung, Die Welt und Bild mittels einer quantitativen Inhaltsanalyse untersucht.

1.2 Leitfrage, untergeordnete Forschungsfragen und Einordnung der Studie

Vor dem Hintergrund des im vorherigen Kapitel beschriebenen Ziels der Forschungsarbeit und auf Basis der gesellschaftlichen und politischen Relevanz des Themas, fokussiert sich die vorliegende Studie auf folgende übergeordnete Leitfrage: Wie berichten die deutschen Tageszeitungen Süddeutsche Zeitung (SZ), Die Welt und Bild über die Kanzlerkandidaten Armin Laschet, Olaf Scholz und Annalena Baerbock während des Bundestagswahlkampfs 2021? Zur Untersuchung der Berichterstattung und Beantwortung der Leitfrage dienen die folgenden fünf untergeordneten Forschungsfragen:

FF1: Welche formalen Eigenschaften kennzeichnen die Presseberichterstattung über die Kanzlerkandidaten während des Wahlkampfs und wie präsent sind die Kandidaten in den Medien?

 

FF2: Über welche Themen wird im Zusammenhang mit der Presseberichterstattung über die Kanzlerkandidaten während des Wahlkampfs berichtet?

 

FF3: Wie und von welchen Akteuren werden die Kanzlerkandidaten in der Presseberichterstattung während des Wahlkampfs bewertet?

 

FF4: Sind in der Presseberichterstattung über Armin Laschet, Olaf Scholz und Annalena Baerbock Hinweise auf die instrumentelle Aktualisierung bestimmter Themen zu identifizieren?

 

FF5: Lassen die analysierten Tageszeitungen verstärkt solche Akteure zu Wort kommen, die ihre Beurteilung der Kanzlerkandidaten unterstützen (opportune Zeugen)?

 

Mit der ersten Forschungsfrage wird betrachtet, durch welche formalen Eigenschaften die Presseberichterstattung gekennzeichnet ist und wie groß die Präsenz der Kandidaten in den Medien ist. Die zweite Forschungsfrage fokussiert sich auf die thematischen Inhalte der Berichterstattung: Welche Themen spielen eine Rolle? Mit welchen Themen werden die Kanzlerkandidaten in der Berichterstattung in Verbindung gebracht? Die dritte Forschungsfrage widmet sich den Bewertungen der Kanzlerkandidaten und den Akteuren in der Berichterstattung: Wie werden Laschet, Scholz und Baerbock bewertet, welche Kandidateneigenschaften spielen eine Rolle und welche Unterschiede lassen sich bezüglich der Bewertungen zwischen den Tageszeitungen feststellen? Welche Akteure äußern sich in der Berichterstattung? Während die ersten drei Forschungsfragen in erster Linie einer umfangreichen deskriptiven Analyse der Berichterstattung dienen, fungieren die letzten beiden Forschungsfragen als erklärende Elemente der Untersuchung. Erkenntnissen aus der News-Bias-Forschung folgend, soll die Berichterstattung mittels dieser beiden Fragen auf die Phänomene der instrumentellen Aktualisierung (Kepplinger, 1989) und der opportunen Zeugen (Hagen, 1992) hin untersucht werden.

Einordnung der Studie

Im Folgenden wird die vorliegende Forschungsarbeit in die Systematik der empirischen Kommunikationsforschung eingeordnet. Hierfür bietet sich die Lasswell-Formel (1948) an, welche die fünf zentralen Forschungsfelder der Kommunikationswissenschaft darstellt: „Who says what in which channel to whom with what effect?“ (Beck, 2013, S. 182). Dabei sind die Logik und die einzelnen Bestandteile der Formel folgendermaßen zu verstehen: Das „Who“ bezieht sich auf die Kommunikatorforschung, „says what“ konzentriert sich auf die Inhalts- und Aussagenanalyse (ebd.). „In wich channel“ fokussiert sich auf die Medienforschung, „to whom“ bezieht sich auf die Mediennutzungsforschung. „With what effect“ stellt die Medienwirkungsforschung dar (ebd.). Das Forschungsvorhaben der vorliegenden Studie ist in den ersten beiden Teilbereichen der Lasswell-Formel zu verorten. Gegenstand der Untersuchung ist die Presseberichterstattung über die Kanzlerkandidaten – im Fokus stehen demnach zum einen die Medieninhalte und die wertenden Aussagen über die Kandidaten in der Berichterstattung („Says what?“). Zum anderen wird untersucht, welche Akteure in der Printberichterstattung auftreten und wie sich Journalisten bzw. weitere Urheber über die Kanzlerkandidaten äußern („Who?“). Medien- und Mediennutzungsforschung sind nicht Bestandteil dieser Arbeit. Die Medienwirkungen der Presseberichterstattung (z. B. auf das Wählerverhalten) werden ebenfalls nicht untersucht, jedoch sind sie im Hinblick auf die Relevanzbegründung und den theoretischen Rahmen der Untersuchung von Bedeutung. Medienwirkungen werden aus diesem Grund innerhalb der vorliegenden Arbeit an verschiedenen Stellen thematisiert (siehe bspw. Kapitel 1.1 und Kapitel 2.3.1).

1.3 Aufbau der Arbeit

Die vorliegende Forschungsarbeit ist in mehrere Kapitel unterteilt. In diesem Abschnitt wurde zunächst in das Untersuchungsthema eingeführt und das Forschungsinteresse dargestellt. Nachdem anschließend die Forschungsfragen erläutert und die Studie systematisch eingeordnet wurden, steht in Kapitel 2 die Bedeutung von Massenmedien und der Wahlkampfberichterstattung im Fokus. Hierbei wird zunächst auf Massenmedien und wichtige Funktionen der politischen Berichterstattung eingegangen. Im Anschluss daran werden die Tagespresse in Deutschland sowie Qualitäts- und Boulevardzeitungen thematisiert. Weiterhin werden die spezielle Rolle und die Funktionen der Massenmedien in Wahlkämpfen erläutert. In weiteren Abschnitten werden außerdem bedeutsame Wirkungen der Wahlkampfberichterstattung beleuchtet. Darüber hinaus sollen bisherige Forschungserkenntnisse zur Darstellung von Kandidaten in der Medienberichterstattung dargestellt und zentrale Konstrukte empirischer Analysen betrachtet werden. Den Abschluss der theoretischen Grundlagen bildet Kapitel 3, in dem der Ansatz der News-Bias-Forschung aufgegriffen wird. Hierbei wird der theoretische Ansatz zur Erklärung journalistischer Nachrichtenauswahl zunächst vorgestellt, anschließend werden die einzelnen Konstruktionsmechanismen von News Bias und der Forschungsstand betrachtet. In Kapitel 4 wird der Forschungsgegenstand grafisch in einem Modell zusammengefasst. Im fünften Kapitel wird auf die methodische Vorgehensweise der vorliegenden Arbeit eingegangen. Dazu wird die durchgeführte quantitative Inhaltsanalyse detailliert beschrieben. In Kapitel 6 stehen die Ergebnisse der Inhaltsanalyse im Mittelpunkt, die entlang der Forschungsfragen vorgestellt werden. Zum Abschluss erfolgt in Kapitel 7 eine Zusammenfassung und Diskussion der wichtigsten Ergebnisse. Basierend auf den Ergebnissen wird die übergeordnete Leitfrage beantwortet. Außerdem sollen Limitationen und Stärken der Studie diskutiert sowie ein Ausblick auf weitere mögliche Forschungsvorhaben gegeben werden.

1 Aufgrund der besseren Lesbarkeit wird in der vorliegenden Arbeit ausschließlich die grammatikalisch-maskuline Form verwendet. Sie bezieht sich auf Angehörige beider Geschlechter.

Massenmedien, Berichterstattung und Wahlkampf

Der grundlegende Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Forschungsarbeit ist die Medienberichterstattung über die Kanzlerkandidaten während des Bundestagswahlkampfs 2021. Im folgenden Kapitel wird daher zunächst auf Massenmedien sowie die Funktionen politischer Berichterstattung eingegangen. Da speziell die Printberichterstattung im Fokus der vorliegenden inhaltsanalytischen Untersuchung steht, erfolgt anschließend eine Betrachtung der deutschen Tagespresselandschaft. Die Bedeutung und die Funktionen von Massenmedien im Wahlkampf – in Anbetracht der vorliegenden Arbeit von besonderer Relevanz – werden in einem weiteren Kapitel herausgearbeitet. Damit zusammenhängend wird im Anschluss auf die Darstellung von Kanzlerkandidaten in der Medienberichterstattung eingegangen.

2.1 Massenmedien und Funktionen politischer Berichterstattung

In modernen pluralistischen Demokratien werden Massenmedien, neben den staatlichen Gewalten Legislative, Exekutive und Judikative, häufig als ,vierte Gewalt‘ bezeichnet (Mast, 2012, S. 26). Diese Bezeichnung, oft als Synonym verwendet, lässt bereits erahnen, welche wichtige Leistungen Massenmedien mit ihrer politischen Berichterstattung für die Gesellschaft erbringen. Bevor auf die Funktionen des Politikjournalismus eingegangen wird, soll zunächst der Begriff der Massenmedien eingeordnet und definiert werden.

2.1.1 Massenmedien: Begriffsverständnis

Der Journalismus im traditionellen Sinn spielt sich in klassischen Massenmedien ab (Mast, 2012, S. 70). In der Kommunikationswissenschaft wird der Journalismus als Kommunikationsprozess zwischen Journalisten (den Kommunikatoren) und ihren Rezipienten (dem Publikum) verstanden (ebd., S. 68). Dabei verbreiten Journalisten ihre Inhalte und Botschaften über Medien an ihr Publikum. Dieser Vorgang wird als Massenkommunikation bezeichnet und läuft über Massenmedien ab (ebd., S. 69). Damit Massenkommunikation möglich wird und die journalistische Berichterstattung Rezipienten erreicht, sind also Massenmedien notwendig (Burkart, 2021, S. 110). Als spezifische Form sozialer Kommunikation beschreibt Maletzke (1963, S. 32) Massenkommunikation im klassischen Sinn anhand folgender Merkmale: Massenkommunikation erfolgt öffentlich und ist an ein disperses (räumlich bzw. zeitlich verstreutes) Publikum gerichtet. Dabei werden die Inhalte durch technische Verbreitungsmittel (Medien) vermittelt. Massenkommunikation spielt sich außerdem indirekt – bei zeitlicher und räumlicher Distanz zwischen Kommunikator und Rezipient – und einseitig (ohne Rollentausch zwischen Kommunikator und Rezipient) ab (ebd., S. 32).