Wer glaubt denn schon an Elfen? - Elke Edith - E-Book

Wer glaubt denn schon an Elfen? E-Book

Elke Edith

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Beschreibung

Auch heute noch leben Elfen unter uns! Sie haben sich uns Menschen angepasst und sind nicht unbedingt gleich zu erkennen, doch sie haben besondere Fähigkeiten, die sie auszeichnen und die sie für gute Zwecke nutzen können. In den Adern der jungen Sandra Henderson fließt zu einem Viertel noch das Blut einer Elfe. Damit ist sie in der Lage, Schwingungen, Gedanken und Gefühle anderer Personen wahrzunehmen. Beim Versuch, mit ihren Fähigkeiten einen verschwundenen Jungen wiederzufinden, lernt sie den Polizisten Jameson Richards kennen. Da er sie nicht so akzeptieren kann, wie sie ist, benehmen sich die beiden zunächst wie Hund und Katze. Erst als sie beide in eine Dämonendimension verschlagen werden und nach gefährlichen Kämpfen ihre Rettung nur Sandras Können zu verdanken haben, entdecken sie ihre Liebe zueinander.

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Seitenzahl: 309

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Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhalt

Personenverzeichnis

1 Wer glaubt denn schon an Elfen?

2 Wer glaubt denn schon an Elfen?

3 Wer glaubt denn schon an Elfen?

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2014 novum publishing gmbh

ISBN Printausgabe: 978-3-99038-970-6

ISBN e-book: 978-3-99038-971-3

Lektorat: Isabella Busch

Umschlagfoto: Katalinks, Fcsabi, Leeloomultipass, Dusan Kostic | Dreamstime.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

www.novumverlag.com

Inhalt

Seit nunmehr fünfundzwanzig Jahren, die Sandra Henderson auf dieser Welt weilte, musste sie mit dem Erbe ihrer Mutter, einer Halbelfe, leben. Und auch wenn sie nicht ihr Aussehen mit den spitzen Ohren geerbt hatte, so machten ihr in all den Jahren ihre anderen Fähigkeiten das Leben doch manchmal recht schwer. Nicht zuletzt waren zwei Beziehungen gescheitert, weil sie immer wieder unter Visionen und Empfindungen anderer Menschen litt, die sie zuvor nicht einmal gekannt hatte, bis sie schließlich ihr Erbe akzeptierte und daraus eine Tugend machte.

Wenn es ihr schon möglich war, Schwingungen, Gedanken und Gefühle anderer Personen wahrzunehmen, dann konnte sie diese Gabe doch auch mit etwas Gutem verbinden. Schließlich wusste sie ja, dass es zwischen Himmel und Erde noch mehr gab, als die Wissenschaft zu ergründen vermochte. Sie wusste von anderen Lebensformen, kannte Geistwesen und auch solche, die sich der schwarzen Magie verschrieben hatten. Und auch wenn Sandra klar war, dass die meisten Leute ihre Voraussagen oder Warnungen gerne in den Wind schlugen und als Unsinn abtaten, so war sie doch dazu bereit, denen zu helfen, die sich vertrauensvoll an sie wendeten, denn inoffiziell wurde ihr Name doch längst unter Wahrsagern und Hellsehern groß geschrieben und geachtet. Ihre Erfolge beim Aufspüren verlorener Dinge oder auch beim Auffinden verschwundener Personen waren nicht von der Hand zu weisen.

Aus diesem Grund wendete sich auch das Ehepaar Stanford an die junge Frau, von der sie nur Gutes gehört hatten, nachdem ihr kleiner Sohn Jerry entführt worden war. Denn ganz im Gegensatz zur örtlichen Polizei, die den Fall bearbeitete und zu keinem Ergebnis kam, wollten sie Sandra vertrauen und taten ihr Können und ihre Fähigkeiten nicht als Humbug ab. Und die Frau, in deren Adern noch immer ein Viertel Elfenblut floss, nahm die Herausforderung an, ohne aber selbst zu ahnen, wie sehr sie damit auch ihr eigenes Leben verändern würde, denn sie war gezwungen, mit einem Polizeiinspektor zusammenzuarbeiten. Aber die beiden benahmen sich leider wie Hund und Katze! Das waren die denkbar schlechtesten Voraussetzungen für eine gemeinsame Arbeit!

Personenverzeichnis

Sandra Henderson: Die junge Frau ist die Tochter einer Halbelfe und eines Menschen. Sie ist zwar nicht unsterblich, hat aber viele Fähigkeiten ihrer Mutter geerbt und versucht daraus das Beste zu machen, auch wenn man ihr immer wieder mit Unverständnis begegnet. Als sie schließlich von den Eltern eines entführten Jungen um Hilfe gebeten wird, lernt sie Jameson Richards kennen, der den Fall in seiner Eigenschaft als ermittelnder Inspektor betreut.

Jameson Richards: Der Inspektor, der die Entführung eines Jungen aufklären will, kann sich zunächst nicht mit Sandras angeblichen Fähigkeiten abfinden, bis ihm schließlich sein Herz den Weg zu ihr weist.

Jerry Stanford: Der kleine Sohn des wohlhabenden Ehepaars Stanford wird entführt, und man vermutet dahinter zunächst nur eine Lösegeldforderung. Doch als diese ausbleibt und der Junge nicht wieder auftaucht, entschließen sich die Eltern dazu, Sandras Dienste in Anspruch zu nehmen, um ihr Kind wiederzufinden.

Ehepaar Stanford: Sie sind die Eltern von Jerry, der spurlos verschwunden ist.

Benjamin Weston: Der Dämon entführt den kleinen Jerry, der in Wirklichkeit sein Sohn ist, und führt einen erbitterten Kampf auf Leben und Tod gegen Sandra Henderson und Inspektor Richards.

Mary: ist das Hausmädchen der Stanfords

Conny: Die junge Frau arbeitet als Kindermädchen des kleinen Jerry und musste sein Verschwinden miterleben.

Albert: Der Diener im Hause Richards ist auch der Vertraute des Inspektors.

Jenny: Sandras Mitbewohnerin

Mrs. Summers: die Wirtin kennt Jameson noch aus Kindertagen

Mr. Baker: arbeitet als Küster des Friedhofs, auf dem Richards Mutter begraben ist

Richards Senior: Jameson Richards Vater ist einer der reichsten Firmeninhaber der Stadt.

1 Wer glaubt denn schon an Elfen?

Aus dem winzigen Spiegel in unserem ebenfalls kleinen Badezimmer schaute mir mein Konterfei entgegen, mit dem ich doch nun wirklich zufrieden sein konnte. Ich hatte eigentlich ein ganz hübsches, vielleicht ein bisschen zu rundes Gesicht, braune Augen und einen wohlgeformten Mund mit nicht zu breiten und nicht zu schmalen Lippen und eine gerade Nase. Das zarte Make-up, das ich aufgelegt hatte, schmeichelte mir noch mehr und unterstrich mit dem blassen Blau die Farbe meiner Augen. Den Lippenstift hatte ich nur ganz dezent aufgetragen, damit es nicht aufdringlich wirkte.

Meine Mitbewohnerin Jenny lugte um die Ecke und nickte wohlwollend, wobei sie erklärte: „Du kriegst den Job, du wirst schon sehen.“

Ich seufzte auf, wandte mich ihr zu und erklärte: „Da gehört schon mehr dazu, das weißt du ganz genau. Ich muss den Sohn dieses Ehepaares finden, und dazu muss ich doch erst einmal Kontakt zu dem Kleinen aufnehmen. Wer weiß, ob mir das gelingen wird.“

„So etwas hast du doch schon öfter gemacht“, wollte sie mich beruhigen, die Gute. „Warum so skeptisch?“

„Weil mir auch noch nie eine so hohe Belohnung in Aussicht gestellt worden ist. Das ist es, was mich nervös macht“, gab ich zu.

In der Tat hatte sie recht, denn meine Dienste bestanden darin, dass ich verloren gegangene Gegenstände oder auch Menschen wiederfand, jedenfalls dann, wenn sie gefunden werden wollten. Ich stellte Kontakte zu Verstorbenen her, leitete verirrte Seelen auf den richtigen Weg ins Jenseits, oder ich sorgte auch mal dafür, dass ein störender Geist ein Haus verließ, wo er noch festgehalten wurde, weil er vielleicht noch vor seinem Tod etwas zu erledigen gehabt hatte und nun die Bewohner in Angst und Schrecken versetzte.

Das mag sich jetzt seltsam und verrückt anhören, aber ich konnte diese Dinge tatsächlich vollbringen, denn in meinen Adern floss zu einem Viertel Elfenblut! Ja, Elfenblut, denn meine Großmutter mütterlicherseits war noch eine waschechte Elfe gewesen! Nun ja, aber dann traten in das Leben meiner Großmutter und später auch in das meiner Mutter menschliche Partner, was dazu führte, dass ich zwar noch viele Fähigkeiten geerbt hatte, jedoch nicht mehr das Aussehen. Meine Ohren waren nicht spitz, sondern sahen völlig normal aus, sodass ich mich unter den Menschen ganz unauffällig bewegen konnte. Doch von all den Dingen wusste nur Jenny etwas, meine Freundin und Mitbewohnerin einer viel zu kleinen Wohnung in einem schäbigen Haus in einer noch schlechteren Gegend Londons.

Jenny war Künstlerin und versuchte manchmal, meine Eindrücke und Bilder aus einer anderen Welt, die ich ihr beschrieb und erklärte, auf Glas und Porzellan zu bannen, denn sie malte für ihr Leben gern. Leider hielt sich der Verkauf ihrer Werke in Grenzen, und auch meine Arbeit wurde selbst bei Erfolg nicht immer gebührend entlohnt. Deshalb wohnten wir in dieser Wohnung, die nicht mehr als vier Löcher als Zimmer zu bieten hatte. Nun ja, wir hatten wohl das Beste daraus gemacht!

Und jetzt winkte mir plötzlich dieser Auftrag, der uns allein für ein ganzes Jahr die Miete sichern würde, gesetzt den Fall, ich bekam den Job und konnte einen Erfolg vorweisen. Mein Name hatte sich trotz allem in einschlägigen Kreisen herumgesprochen, da meine Erfolgsquote sich sehen lassen konnte. So musste wohl auch das Ehepaar Stanford auf mich aufmerksam geworden sein, sodass sie mir einen Brief geschickt hatten. Ihr kleiner Sohn war verschwunden und sie schienen der örtlichen Polizei wohl keinen großen Erfolg mehr zuzutrauen. Deshalb wünschten sie sich, mich kennenzulernen und stellten mir bei Erfolg meiner Arbeit einen wahrlich fürstlichen Lohn in Aussicht. Und nachdem wir dann auch miteinander telefoniert hatten, war ich von ihnen, mein Interesse vorausgesetzt, für diesen Nachmittag zum Tee in ihr Haus in einer sehr feudalen Wohngegend eingeladen worden.

Deshalb stand ich die ganze Zeit vor dem Spiegel und versuchte zumindest, mich angemessen herzurichten. Aber natürlich konnte auch mein ganz passables Äußere nicht darüber hinwegtäuschen, dass meine Kleidungsstücke schon bessere Tage gesehen und meine Schuhe abgelaufene Absätze hatten. Ich musste viel laufen, weil ich kein Auto besaß, obwohl ich im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis war. Aber auf Schusters Rappen zu gehen, war nun mal die preiswerteste Methode. Heute würde ich allerdings mit dem Bus fahren, denn die Strecke war viel zu weit, und die Stanfords wollten mir meine Auslagen ersetzen.

Also packte ich denn entschlossen meine Jacke und eine kleine Tasche, lächelte meiner Freundin noch einmal zu, die mir viel Glück wünschte, und machte mich auf den Weg zu meinem Treffpunkt. Eine Stunde würde ich wohl bestimmt benötigen, um dort anzukommen, zweimal umsteigen inbegriffen. Zum Glück schaffte ich es pünktlich, stand staunend vor dem großen Haus mit Garten und drückte auf den Klingelknopf auf einem Messingschild in der Mauer.

Die Stimme einer jungen Frau ertönte aus dem Lautsprecher neben dem Tor und fragte nach meinem Begehren, doch kaum dass ich meinen Namen genannt hatte, wurde mir sofort geöffnet. Der Summer brummte und ich konnte die kleinere Tür in dem großen schmiedeeisernen Tor aufdrücken, um dann den langen Kiesweg der Auffahrt hinaufzugehen. In der geöffneten Tür des Hauses stand bereits ein Dienstmädchen, jedenfalls ihrer Kleidung nach zu urteilen, mit kleiner Schürze und altmodischem Spitzenhäubchen und begrüßte mich freundlich.

„Die Herrschaften erwarten Sie im Salon, Miss Henderson. Möchten Sie ablegen?“

Ihre Stimme klang zwar nett aber irgendwie gedrückt, oder kam mir das in dem großen Haus nur so vor? Ich reichte ihr meine Jacke und nickte ihr freundlich zu. Ich war es gewohnt, die Aura von mir fremden Personen sofort aufzunehmen und zu erspüren. Nur mit Berührungen wie Händegeben musste ich vorsichtig sein, da hatte ich schon schlimme Überraschungen erlebt, wenn ich plötzlich von den fremden Emotionen überflutet wurde.

„Wenn Sie mir bitte folgen möchten.“

Sie führte mich durch einen langen Flur zu einem Raum, dessen große Flügeltüren einladend offen standen. Alles in diesem Haus spiegelte den Reichtum der Stanfords wider, doch ich fühlte auch die emotionale Kälte in diesen Wänden, die ich mir noch nicht erklären konnte. Aber ich spürte mit meinen Elfensensoren, wie ich das gerne nannte, auch sehr deutlich, dass dieses Haus und seine Bewohner ein Geheimnis umgab.

„Miss Henderson“, nannte das Mädchen noch einmal meinen Namen und meldete mich damit an. Dann zog sie sich knicksend zurück, die beiden Flügeltüren hinter sich ins Schloss ziehend.

Das Ehepaar Stanford, das sich im mittleren Lebensabschnitt befand, erwartete mich und sah mir gespannt entgegen, als ich eintrat. Ich fühlte mich gemustert und abgeschätzt, während der Hausherr sich bereits aus seinem Sessel erhob und mir entgegenkam. So kühl auch alles hier zu sein schien, aber die Stanfords begrüßten mich herzlich, doch die Trauer, die in diesem Haus und zwischen diesen Wänden hing, die Stille, die nach dem tragischen Verschwinden des kleinen Sohnes eingetreten war, die spürte ich sofort und mit aller Macht. Bei Mr. Stanford empfand ich bei seinem Händedruck sofort die psychische Kraft, die er ausstrahlte und die Härte in seinem Wesen. Mrs. Stanford hingegen schien eine sehr gütige Frau zu sein, doch ich erschrak fast sichtbar, als ich ein dunkles Geheimnis bei ihr zu erkennen glaubte. Ich verbarg meine Überraschung schnell hinter einem leichten Lächeln, mit dem ich auf den Herrn des Hauses zutrat. Sein Brief und auch sein Anruf hatten mich erst gestern erreicht, und ich war sofort bereit gewesen, ihm und seiner Frau, die hinter ihm in ihrem Sessel sitzen geblieben war, zu helfen. Dann nahm ich in einem anderen Sessel, den der Hausherr mir anbot, Platz. Rasch hatte ich meine Blicke durch das Zimmer schweifen lassen, das mit jeder Kleinigkeit ausdrückte, wie betucht die Stanfords waren.

Die alten Möbel, die Gemälde an den Wänden, die edlen Teppiche und der Kronleuchter unter der Decke zeigten das nur allzu deutlich. Doch nicht diese Tatsache, dass das Ehepaar wohl in der Lage war, mir ein gutes Honorar zu zahlen, sondern allein die Tatsache, dass ich bereits bei dem verzweifelten Anruf des Vaters gespürt hatte, dass er voll und ganz meinen Fähigkeiten vertraute, hatte den Ausschlag gegeben, dass ich diesen Fall überhaupt angenommen hatte und bereit war, die Suche nach dem Kind mit meinen Fähigkeiten zu unterstützen, soweit dies in meiner Macht lag.

Während sich der Herr des Hauses sehr gefasst gab, konnte Mrs. Stanford kaum ihre vom Weinen geröteten Augen verbergen. Auch durch die dicke Schicht von Make-up waren die dunklen Augenränder durch Schlafmangel nur allzu deutlich zu erkennen. Mir waren die beiden auf Anhieb sympathisch, und die Frau tat mir wirklich leid, auch wenn ich kaum nachempfinden konnte, was es bedeutet, das eigene Kind auf solch eine Art und Weise zu verlieren und der Ungewissheit ausgesetzt zu sein, nicht zu wissen, was passiert ist.

Ich wollte schon mit einer Frage das Gespräch beginnen, als das Mädchen, das mir bereits geöffnet hatte, noch einmal den Raum betrat und ein Tablett mit Kaffee und Tee brachte und auf den flachen Tisch mit der dünnen Marmorplatte abstellte.

„Danke, Mary“, wies der Hausherr sie an. „Wir bedienen uns selbst. Sie können gehen.“

„Wie Sie wünschen.“

Mit einem Kopfnicken verließ sie denn auch sofort den Raum, und Mr. Stanford übernahm es selbst, mir den Tee einzugießen, um den ich gebeten hatte. Erst nachdem er auch seine Frau mit einem Getränk versorgt hatte, sah er mich offen an und begann von sich aus mit dem Gespräch.

„Zunächst einmal möchte ich Ihnen danken, Miss Henderson, dass Sie sich bereit erklärt haben, zu uns zu kommen, nachdem ich Sie angerufen hatte.“

„Das war doch selbstverständlich, Mr. Stanford. Immerhin sagten Sie, Ihr Sohn sei verschwunden. Da habe ich mich geradezu verpflichtet gesehen, mir Ihre Geschichte genauer anzuhören, um dann zu entscheiden, ob und wie ich Ihnen helfen kann“, erklärte ich ehrlich und war bereits auf die Geschichte gespannt, die er zu berichten hatte, denn sehr viel hatte er in dem Schreiben an mich noch nicht preisgegeben.

„Also gut, dann will ich Ihnen alles erzählen. Es ist jetzt auf den Tag genau zwei Wochen her, dass unser kleiner Jerry verschwunden ist. Unser Sohn ist erst vier Jahre alt, und er hat hinter dem Haus im Garten gespielt, als es passierte.“

Als er eine Pause einlegte, da ihn seine Gefühle zu überwältigen drohten, wagte ich nicht nachzuhaken, sondern nutzte die Gelegenheit, sein Gesicht genau zu studieren. Er war meines Erachtens bestimmt schon Ende vierzig, was für einen Mann ja nichts bedeuten mag, doch auch Mrs. Stanford musste die Vierzig wohl schon längst überschritten haben. Da erschien es mir doch etwas seltsam, dass die beiden ein so kleines Kind hatten.

Anscheinend hatte ich meine Gesichtszüge wohl nicht ganz unter Kontrolle gehabt, denn Mr. Stanford erklärte sofort: „Wundern Sie sich nicht, Miss Henderson, aber wir haben lange probiert und den Wunsch nach einem eigenen Kind längst schon aufgegeben gehabt, als meine Frau dann plötzlich doch noch schwanger wurde. Jerry ist unser Sonnenschein! Bitte helfen Sie uns, ihn wiederzufinden!“

Verzweiflung stand ihm ins Gesicht geschrieben und seine braunen Augen blickten mich so flehentlich an, dass ich gar nicht anders konnte, als ihm meine Hilfe zuzusichern.

„Aber natürlich helfe ich Ihnen, soweit das in meiner Macht steht. Doch zunächst benötige ich noch mehr Informationen.“

„Was wollen Sie wissen?“

„Konnte der Junge vielleicht unbemerkt den Garten verlassen und davonlaufen?“, fragte ich zögernd, um erst einmal das Nächstliegende abzuhaken.

Doch der verzweifelte Vater schüttelte den Kopf: „Nein, das hat die Polizei doch auch schon gefragt, aber sie haben nichts herausgefunden. Außerdem war doch Conny, unser Kindermädchen, bei ihm. Und auch sie hat nichts gesehen. Sie hat nur ausgesagt, dass der Junge von einer Sekunde zur anderen wie vom Erdboden verschwunden war.“

„Das hat sie wörtlich gesagt?“

„Ja, und da es auch keine Lösegeldforderung gegeben hat, weiß die Polizei nicht weiter. Dabei würde ich doch jede Summe bezahlen, wenn wir nur unseren Jerry zurückbekommen!“

„Das bezweifle ich nicht, Mr. Stanford. Ich möchte Ihnen und Ihrer Frau auch gerne helfen, und deshalb bitte ich Sie, mir das Zimmer Ihres Sohnes zu zeigen. Dort befindet sich doch auch bestimmt sein Lieblingsspielzeug, nicht wahr?“

„Ja, gerne, Miss Henderson. Es befindet sich oben im ersten Stock. Kommen Sie.“

Ich war kaum aufgestanden, als Mrs. Stanford zaghaft sagte: „Ich will auch mit nach oben.“

Es waren überhaupt die ersten Worte, die ich von ihr hörte, und die Schwäche, die Sorge und die Angst, die darin mitschwangen, waren einfach nicht zu überhören.

„Willst du nicht lieber hier unten …“

Doch ihr Mann kam nicht weiter, da schrie sie regelrecht mit schriller Stimme: „Nein, ich will nach oben!“

Diese arme Frau musste unter einem sehr starken psychischen Druck stehen, doch ihr Mann schien recht gut damit umgehen zu können, regte sich nicht über ihren Ton auf, sondern half ihr galant aus dem Sessel hoch. Erst jetzt konnte ich feststellen, dass sie recht klein war, noch kleiner als ich, und auch bei mir hatte es die Natur in dieser Beziehung nicht gerade gut gemeint. Dabei schätzte ich Mr. Stanford auf mindestens eins achtzig.

An seinem Arm schritt sie denn langsam, ja mit regelrecht müden Schritten die Stufen der breiten Treppe hinauf, die mit Teppich belegt waren. Hier spiegelte sich der Wohlstand dieser Familie sogar in dem kunstvoll gedrechselten Geländer wider, über dessen edles Holz ich meine Hand gleiten ließ, während ich hinter den beiden herging. Gleich die erste Tür auf der rechten Seite wurde dann vom Hausherrn geöffnet, und während seine Frau bereits eintrat, ließ er mir den Vortritt.

Neugierig ließ ich meine Blicke durch das typische Kinderzimmer eines kleinen Jungen schweifen, in dem auch nicht wieder aufgeräumt worden war. Bauklötze, kleine Spielzeugautos und ein paar Stofftiere lagen auf dem Boden verstreut herum. Süße Tierbilder zierten die Wände, und in einer Ecke stand ein recht großes Schaukelpferd. Alles war liebevoll und in frohen Farben hergerichtet. Nur am Rande registrierte ich, dass sich Mrs. Stanford regelrecht erschöpft auf die Kante des Kinderbettes sinken ließ, um dort wie abwesend sitzen zu bleiben.

Ich hingegen blieb mitten im Raum stehen, schloss die Augen und versuchte das Flair dieses Zimmers und die Schwingungen, die der kleine Junge hier hinterlassen hatte, aufzuspüren. Noch sah ich keine Bilder, aber ich vermochte eindeutig das helle Lachen eines Kindes zu hören. Jerry musste hier sehr glücklich gewesen sein. In die herrschende Stille hinein wandte ich mich schließlich an Mr. Stanford.

„Welches ist Jerrys Lieblingsspielzeug?“

Er musste nicht lange überlegen, trat auf seine Frau zu, die inzwischen wie geistesabwesend einen Stoffbären gestreichelt hatte, den er ihr jetzt mit sanfter Gewalt aus den Händen zog, um ihn mir zu reichen.

Vorsichtig nahm ich das Stofftier entgegen und befühlte den Bären mit geschlossenen Augen, um meine Sinne ganz und gar auf den Jungen einzustellen. Ein seltsames Vibrieren schien von dem Spielzeug auszugehen, bis ich plötzlich Kontakt bekam. Deutlich sah ich Jerry vor mir, wie er den Bären liebevoll an seine kleine Brust gedrückt hielt. Und ich konnte sogar die Worte verstehen, die er leise vor sich hin flüsterte.

„Er hat den Bären Bobby genannt, nicht wahr?“

Überrascht sahen die Stanfords zu mir, und der Vater erwiderte erstaunt: „Ja, das stimmt! Es ist sein Bobby. Woher wissen Sie das?“

„Ich habe die positiven Erinnerungen Ihres Sohnes vor meinem geistigen Auge gesehen. Er liebt dieses Spielzeug wirklich sehr und hätte es wohl nicht freiwillig zurückgelassen. Er ist nie und nimmer weggelaufen.“

„Nein, ganz sicher nicht!“

Mr. Stanfords Blicke ruhten fragend auf mir: „Können Sie sonst noch etwas sagen? Können Sie sagen, wo er sich aufhält?“

„Geht es ihm gut?“, fragte seine Frau verzweifelt dazwischen.

Es tat mir in der Seele weh, ihr keine positive Antwort geben zu können, aber ich musste bei der Wahrheit bleiben: „Das kann ich noch nicht sagen. Bisher habe ich nur vergangene Empfindungen Ihres Sohnes gespürt. Tut mir leid. Vielleicht könnten Sie mir jetzt den Platz zeigen, von dem er verschwunden ist.“

„Gerne, dann müssen wir in den Garten. Ich werde Conny rufen. Sie ist dabei gewesen.“

„Danke, das wäre sehr hilfreich. Vielleicht kann sie mir genau die Stelle zeigen, wo Jerry zuletzt gestanden hat.“

Nur wenige Minuten später betrat ich in Begleitung von Mr. Stanford und einem jungen Mädchen, jener Conny, die hier als Kindermädchen arbeitete, den weitläufigen Garten. Nie und nimmer hätte ich hier mitten in der Stadt ein solch großes parkähnliches Gelände erwartet, das aber von einer hohen Mauer umschlossen war. In der Nähe des Hauses gab es einen Pavillon, der mit Rosen umrankt war. Der Rasen war gepflegt und lud geradezu dazu ein, darauf zu spielen, sich zu sonnen und es sich einfach nur gut gehen zu lassen. Der gemauerte Brunnen, der weiter im Hintergrund stand, war jedoch nur eine Attrappe und mit einer Blumenampel geschmückt, und das Schwimmbecken, das zum Planschen für ein Kind wie geschaffen war, enthielt kein Wasser. Nur ein paar Blätter und Grashalme lagen auf dem gefliesten Boden.

Auch Jerrys Mutter hatte inzwischen den Garten betreten, sich aber wortlos auf einen der weißen Holzstühle niedergelassen, ohne sich um uns zu kümmern. Überhaupt kam mir die Frau etwas abwesend vor. Hatte ihr das Verschwinden ihres Kindes so zugesetzt, oder steckte da noch etwas anderes dahinter? Die Empfindungen, die ich gehabt hatte, als ich ihr die Hand reichte, hatte ich noch nicht vergessen.Doch zunächst bat ich das Kindermädchen, mir die Stelle zu zeigen, an der sie Jerry zuletzt gesehen hatte. Die junge Frau war zwar etwas schüchtern, doch zweifelte ich nicht daran, dass sie mit Kindern umzugehen verstand. Sie nickte mir freundlich zu und deutete mir an, ihr zu folgen.

Schließlich zeigte sie auf eine Stelle im Gras und wandte sich mir direkt zu: „Hier hat der kleine Jerry gestanden, Miss Henderson, genau hier.“

Ich blickte sie forschend an und hakte nach: „Wieso sind Sie sich so sicher, Miss Conny? Der Garten ist groß, aber Sie bezeichnen genau diesen Fleck hier.“

Jetzt spielte ein leichtes Lächeln um ihre Mundwinkel, als sie mir erklärte: „Sehen Sie hier noch die verwelkten Blüten? Diese Blume hat Jerry so gut gefallen, dass sie beim Rasenmähen stehen bleiben musste. Jeden Tag hat er seine Blume sehen wollen, und kurz bevor es … es passiert ist, hat er auch hier gestanden.“

Sie schluchzte auf, da sie die Erinnerung anscheinend überwältigte. Conny musste den Jungen sehr mögen, sie hatte mit seinem Verschwinden sicher nichts zu tun, daran glaubte ich ganz fest. Ich hockte mich vor der verblühten Pflanze nieder und besah sie mir genauer. Es war ein Buschwindröschen, wobei ich mich wunderte, dass diese Pflanze hier in einem gepflegten Garten wuchs, wo sie sonst doch nur am lichten Waldrand zu finden ist. Noch interessanter war aber die Tatsache, dass diese Wildblume im Volksmund auch als Hexenblume bezeichnet wird. Noch sagte ich nichts dazu, nahm mir jedoch vor, die Stelle sehr genau zu untersuchen.

Da Mr. Stanford meinen skeptischen Blick bemerkte, nachdem er hinzugetreten war, fragte er interessiert: „Ist an diesem Grünzeug denn etwas Besonderes?“

„Das kann ich noch nicht sagen, aber es ist schon mal sehr ungewöhnlich, dass die Blume gerade hier wächst.“

„Aber sie ist doch nicht giftig, oder?“

„Nein, nein, sie dürfte nur eigentlich nicht hier wachsen, denn …“

Aber in diesem Moment wurde ich unterbrochen, da nach meinem Auftraggeber verlangt wurde.

„Mr. Stanford?“

Das Hausmädchen Mary trat in den Garten hinaus und unterbrach unser Gespräch.

„Ja?“

„Inspektor Richards ist gekommen, Sir, und wünscht Sie zu sprechen.“

„Gut, dann führen Sie ihn bitte in den Garten und bringen Sie bitte auch den Tee heraus.“

„Sehr wohl, Sir!“

Sofort wendete sich der Hausherr wieder mir zu und erklärte: „Mr. Richards ist der Beamte, der die Suche nach unserem Sohn leitet. Aber da es keine Lösegeldforderung gegeben hat, tappt er sozusagen im Dunkeln.“

Die leichte Ironie in seinem Tonfall war mir nicht entgangen, sodass mir sofort klar war, dass er von der Leistung dieses Polizeibeamten wohl nicht allzu viel hielt. Nun, ich würde mir meine eigene Meinung über diesen Mann bilden, sobald ich ihn kennengelernt und einen Einblick in seine Arbeitsweise erhalten hatte. Vielleicht konnten wir uns ja ergänzen. Doch als dieser Inspektor hinter Mary schließlich den Garten betrat, war ich zunächst einmal positiv überrascht. Eine so stattliche und vor allem junge Erscheinung hatte ich nun wirklich nicht erwartet. Nur … was hatte ich denn eigentlich erwartet?

Wahrscheinlich doch eher einen etwas älteren Mann mit Brille, der schon etwas gebückt ging, ganz bestimmt aber nicht diesen großen gut aussehenden Herrn, der nicht viel über dreißig sein konnte. Seine braunen lockigen Haare standen leicht wirr von seinem Kopf ab. Sein Gesicht zeigte gut geschnittene Züge mit einem schmalen Oberlippenbärtchen. Naja, vielleicht war sein Nasenrücken ein bisschen zu schmal. Sein bartloses Kinn reckte sich etwas neugierig nach vorn, und seine braunen Augen erfassten im Nu die Begebenheiten im Garten, um dann mit fragendem Blick auf meiner Person haften zu bleiben. Mr. Stanford begrüßte seinen Gast mit Handschlag, bemerkte seinen neugierigen Blick in meine Richtung und sah sich dadurch genötigt, uns einander vorzustellen.

„Miss Henderson, dürfte ich Sie mit Inspektor Richards bekannt machen? Er ist der Leiter der Sonderkommission, die nach Jerry sucht.“

Der Inspektor reichte auch mir die Hand, lächelte freundlich, während mich seine Augen regelrecht fixierten und es mir so vorkam, als ob er meine Hand einen kleinen Moment länger festhielt, als das nötig gewesen wäre. Er konnte ja nicht wissen, dass er mir damit die Gelegenheit gab, einen kleinen Moment in seinen Wesenszügen zu studieren, wobei mir aber nur Positives auffiel.

„Es freut mich sehr, Sie kennenzulernen“, tönte mir seine sehr angenehme Baritonstimme entgegen, die in meinem Inneren tatsächlich irgendeine Saite zum Klingen zu bringen schien. „Sind Sie vielleicht eine Verwandte der Familie Stanford?“

„Nein, ich …“

Doch weiter kam ich erst gar nicht, da Mr. Stanford sich sofort einmischte und mit festem Tonfall erklärte: „Nein, Miss Henderson befindet sich auf ausdrücklichem Wunsch von meiner Frau und mir hier, um uns bei der Suche nach unserem Sohn zu unterstützen!“

Einen Moment lang hatte Richards seine Gesichtszüge nicht unter Kontrolle, und sein Tonfall verriet nur allzu deutlich seine Anspannung, als er fragte: „Wie darf ich das verstehen, Mr. Stanford? Sie haben diesen Fall doch der Polizei übergeben! Was soll diese Dame denn dann tun?“

Der Tonfall, in dem er das Wort ‚Dame‘ aussprach, gefiel mir ganz und gar nicht. Doch der Hausherr bemühte sich sofort um Schadensbegrenzung, indem er eine Erklärung hinzufügte.

„Wir haben Miss Henderson gebeten, mit anderen Mitteln als denen, die der Polizei zur Verfügung stehen, nach Jerry zu suchen. Und sie war gerade dabei, den Platz, von dem er so plötzlich verschwunden ist, genauer zu untersuchen.“

Richards’ Nasenflügel blähten sich leicht, als er nun zu begreifen begann, was ihm Stanford da gerade gesagt hatte, was diese Worte wirklich zu bedeuten hatten. Mit zu Schlitzen verengten Augen sah er geradezu auf mich herab. Unglauben zeichnete sein Gesicht, und trotzdem fragte er noch einmal nach.

„Mit anderen Mitteln? Heißt das etwa, Sie sind so eine Wahrsagertante, die angeblich mit Geistern redet oder so?“

„Oder so!“, stieß ich, erzürnt über seinen abfälligen Tonfall, hervor, da ich schon wieder diese Zweifel spürte, diese Abneigung, die mir immer dann entgegenschlug, wenn ich es mit Menschen zu tun bekam, für die etwas anderes als ihre reale Welt nicht existieren durfte und die die bloße Möglichkeit, dass es anders sein könnte, deshalb von vornherein kategorisch ausschlossen. Ein regelrecht mitleidiger Blick streifte mich und sagte mir deutlich, dass er mich für völlig übergeschnappt hielt.

Aber er setzte noch einen obendrauf, indem er fragte: „Und was glauben Sie an dem Platz, an dem der Junge zuletzt gestanden hat, zu finden, wenn mir die Frage erlaubt ist?“

Seine braunen Augen, die mich zuvor noch an weichen Samt erinnert hatten, fixierten mich jetzt mit einem belustigten Grinsen, aber ich hielt auch diesem Blick, der einer einzigen Herausforderung gleichkam, stand und gab ihm eine ehrliche Antwort.

„Ich wollte an diesem Ort die Restenergie, die der Junge dort zurückgelassen hat, aufspüren und versuchen, darüber eine Verbindung zu ihm aufzubauen.“

Jetzt sah er mich regelrecht mitleidig an und begann zu lachen, ja er lachte mich doch tatsächlich aus, sodass ich mich wütend umdrehte, ihm meine Rückansicht zeigte und zu der Stelle marschierte, die mir Conny gezeigt hatte. Am liebsten hätte ich diesem arroganten Kerl eine runtergehauen! Richards hingegen wurde von Stanford in ein heftiges Gespräch verwickelt, in welchem er ihm wohl seinen Standpunkt klarzumachen versuchte. Trotzdem glaubte ich seine schon fast abfälligen Blicke zu spüren, die meinen Rücken trafen. Wahrscheinlich bezeichnete er mich in Gedanken schon als „arme Irre“, und gerade deshalb wollte ich jetzt den Beweis erbringen, dass ich es sehr wohl verstand, mit einer anderen Welt Kontakt aufzunehmen.

Während die beiden Männer auf den Gartenmöbeln Platz nahmen, besah ich mir die bewusste Stelle am Boden noch einmal näher und setzte mich kurzerhand genau dort ins Gras. Die Handflächen auf den kühlen Boden gedrückt, versuchte ich mich zu konzentrieren und meinen Kopf von allem anderen zu leeren, aber es gelang mir einfach nicht. Meine Gedanken gingen weiterhin spazieren, bis ich begriff warum. Natürlich, ich blickte in seine Richtung, Richards lenkte mich so sehr ab. Also erhob ich mich, drehte mich um 180 Grad und ließ mich erneut im Schneidersitz nieder, presste meine Hände auf den Boden, atmete ein paarmal tief durch und konzentrierte mich. Alle überflüssigen Gedanken schob ich weit von mir, vor allem die an den Inspektor.

Und nachdem ich es endlich geschafft hatte, mich völlig freizumachen, spürte ich auch das Kribbeln unter meinen Handflächen. Ja, da war sie – die Restenergie! Ich ließ vor meinem geistigen Auge das Bild des Jungen entstehen und versuchte, es mithilfe eben jener Energie mit Leben zu versorgen. Und tatsächlich bewegte sich seine kleine Gestalt plötzlich, und als ich ihn gedanklich rief, zuckte er zusammen.

„Jerry! Hörst du mich?“

„Mama, bist du das?“

Ich hätte jubeln können! Ich hatte Kontakt bekommen, aber ich musste ihn enttäuschen.

„Nein, Jerry, mein Name ist Sandra. Aber ich kenne deine Mama und deinen Daddy.“

„Warum holen sie mich nicht heim? Ich will hier nicht bleiben! Zu Hause ist es viel schöner!“

„Ja, Jerry, das glaube ich dir. Aber du musst mir sagen, wo du bist.“

Da ich um ihn herum nur ein diffuses Licht sehen und nichts weiter zu erkennen vermochte, konnte ich auch keine Schlüsse über seinen Aufenthaltsort daraus ziehen.

„Bist du in einem Haus, in einer Höhle oder an einem freien Platz?“

„Ich … ich weiß nicht. Ich glaube, ich bin …“

Plötzlich war seine Stimme weg! Über sein Bild hatte sich eine Art schwarze Wolke geschoben, sodass ich heftig erschrak und aufschrie, denn die Wucht des Bösen hatte mich mental voll getroffen. Kein Kontakt mehr, keine Gefühle, keine Bilder! Was war das bloß für eine Macht? So stark, so drohend und auch gefährlich?

Ich sprang auf, konnte einfach nicht mehr an diesem Platz verharren und wurde sofort von einem starken Schwindel erfasst, der mich zu Boden werfen wollte. Rasend schnell schien die Erde auf mich zuzukommen, obwohl für mich doch alles wie in Zeitlupe ablief. Alles schien so unwirklich. Und dann packten mich kurz vor dem unvermeidlichen Aufprall plötzlich zwei starke Arme und hielten mich fest, hoben mich hoch, und ich blickte erstaunt in Inspektor Richards braune Augen. Er hatte mich aufgefangen. Er musste wohl schon bei meinem Aufschrei aufgesprungen sein. Er hielt mich fest gepackt, drückte mich an sich, und ich spürte die Wärme seines Körpers, was mir ein absolutes Wohlgefühl vermittelte. Bis mir plötzlich klar wurde, was da gerade passierte.

„Sofort runterlassen!“, schimpfte ich. „Was fällt Ihnen ein?“

Doch Richards grinste nur, sodass sich sofort erneut Wut in mir breitmachte. Aber er ließ mich nicht los, sondern trug mich zu einer Gartenliege, auf die er mich behutsam ablegte. Und auch wenn ich ihn am liebsten geohrfeigt hätte, musste ich mir verwundert eingestehen, dass mir seine Berührungen gefallen hatten, dass ich seine Arme und Hände regelrecht vermisste, als er mich losließ. Man merkte ihm an, dass er einen durchtrainierten Körper mit starken Muskeln besaß. Ich hatte seine breite Brust und seine Kraft fühlen können.

„Miss Henderson, ist Ihnen nicht gut?“

Besorgt beugte sich Mr. Stanford zu mir herunter und reichte mir ein Glas Wasser. Ich nahm dankbar einen Schluck und versuchte meine Gedanken zu sammeln, um ihm antworten zu können. Dieser Inspektor verwirrte mich richtiggehend.

„Entschuldigen Sie bitte, Mr. Stanford, aber so stark hat mich ein Kontakt nur selten mitgenommen. Irgendeine Kraft hat mich behindert und die mentale Brücke zu Jerry zerstört.“

„Sie hatten Kontakt zu meinem Sohn?“

„Ja“, nickte ich und nahm noch einen Schluck Wasser. „Ich habe gedanklich mit ihm gesprochen. Es geht ihm gut, soweit ich das beurteilen kann, aber er will natürlich nach Hause.“

Inspektor Richards hatte sich aufgerichtet und sah halb mitleidig und halb belustigt auf mich herab, während der Vater des Jungen mir sichtlich erleichtert zugehört hatte.

„Und wo ist er? Konnten Sie ihn fragen?“

„Nein, Mr. Stanford, genau in diesem Moment riss die Verbindung ab. Eine sehr starke, wahrscheinlich dunkle Macht hat sie zerstört, bevor er mir antworten konnte.“

„Wie praktisch“, hörte ich Richards leise murmeln.

Der Vorwurf und die ironische Unterstellung in diesen Worten waren mir nicht entgangen, doch ich reagierte mit Absicht nicht darauf, tat, als hätte ich es nicht gehört. Dass Stanford mir glaubte, stand außer Frage, das konnte ich ihm ansehen. Richards hingegen starrte mich an, als habe er weiße Mäuse gesehen, während die Mutter des Jungen ziemlich teilnahmslos in einem Gartenstuhl saß, als ginge sie das alles gar nichts an.

Doch ich ließ mich nicht beirren und versicherte meinem Auftraggeber: „Sobald ich meine Kräfte wieder gesammelt habe, werde ich es noch einmal versuchen. Der Kontakt war so stark, dass einfach noch genug Energie an diesem Platz vorhanden sein muss. Allerdings werde ich diesmal den Stoffbären noch als Verstärker benutzen.“

Ich setzte mich langsam auf und begegnete dem Blick des Polizeibeamten, der anscheinend nicht wusste, ob ich nun völlig durchgedreht oder nur eine Fanatikerin war, die von dem, was sie von sich gab, auch noch felsenfest überzeugt war. Und trotzdem las ich in seinen Augen auch noch etwas anderes, ein Gefühl, das es mir regelrecht warm ums Herz werden ließ, zu vergleichen mit dem, was ich empfunden hatte, als er mich zu dieser Liege getragen hatte. Doch ich wischte diese Regung ganz schnell beiseite, denn mit einem Mann, der mich so, wie ich nun einmal war, nicht akzeptieren konnte, auf dessen nähere Bekanntschaft konnte ich sehr gut verzichten.

Mein Blick, mit dem ich ihn bedacht hatte, musste wohl sehr giftig ausgefallen sein, da er zur Seite schaute, als ob er kein Interesse hätte, sich mit mir noch weiter abzugeben. Doch da ich nun sein Profil aus nächster Nähe erblickte, durchzuckte mich ein sehr seltsamer Gedanke, den ich mir nicht erklären konnte, zumindest nicht zu diesem Zeitpunkt. Meine Gefühle, das heißt meine Elfengefühle, sagten mir in diesem Moment, dass mich mit diesem Mann irgendetwas verband oder verbinden würde. Nur was?

Es war nur ein ganz flüchtiger Gedanke, eine Sekunde, die ich nicht so recht zu fassen bekam, um ihr näher nachspüren zu können. Doch ich hatte auch nicht die Zeit, mich gerade jetzt damit zu befassen, sondern versuchte, meine geistigen Reserven wieder zu füllen, um einen erneuten Versuch zu starten, mit Jerry in mentalen Kontakt zu treten.

Während dieser Inspektor sich angeregt und wohl auch leicht erzürnt mit Mr. Stanford besprach, konzentrierte ich mich auf mein inneres Ich, auf meine Fähigkeiten, und schon nach kurzer Zeit schienen alle äußeren Einflüsse an mir abzuprallen wie an einem Schutzschirm. Weder die Gesprächsfetzen noch andere Geräusche schafften es, jetzt noch zu mir durchzudringen. Ich fühlte regelrecht, wie sich meine Speicher füllten, wie meine geistige Kraft gestärkt wurde, sodass ich nun bereit war, einen neuen Versuch zu starten.

Langsam richtete ich mich auf, wartete, dass auch mein Kreislauf mitspielte, und erhob mich von der Liege. Von Conny, die in meiner Nähe geblieben war, ließ ich mir den Teddybären des Jungen reichen und ging zurück zu der Stelle, an der Jerry verschwunden war. Erneut ließ ich mich dort wieder ins Gras nieder, obwohl ich mir wahrscheinlich damit Grasflecke einhandelte und auch noch meine letzte einigermaßen gut aussehende Hose ruinierte. Ich nahm eine Haltung im Schneidersitz ein, legte das Stofftier auf meinen Schoß und presste die Handflächen auf den kühlen Boden.

Als ich die Augen schloss, meinen Blick gewissermaßen nach innen richtete und mich auf meine Aufgabe konzentrierte, schaffte ich es diesmal sofort, alle störenden Einflüsse und meine Umwelt auszublenden. Ich ließ meine Sensoren gewissermaßen auf Wanderschaft gehen. Ließ die Energie vom Boden in meine Gliedmaßen steigen und verspürte schon bald die Schwere einer beginnenden Trance, in die ich mich diesmal ganz leicht hineingleiten lassen konnte. Nichts störte mehr, keine Stimmen, keine Straßengeräusche, kein Windhauch, nicht einmal ein Vogel. Ich trat völlig weg, saß starr am Platz und riss die Augen auf, als das erste Bild vor meinem geistigen Auge erschien, das mir erneut diesen Raum oder die Höhle zeigte, die ich schon vorhin gesehen hatte.

Auch wenn ich geradeaus starrte, hinein in diesen parkähnlichen Garten, so sah ich ihn nicht wirklich. Natürlich war er noch da, aber für mich war er nicht mehr existent. Immer tiefer drang mein Blick in diesen mir fremden Bereich, in dem ich schließlich eine Bewegung bemerkte, nur ein Schatten anfangs, der sich aber schon bald schärfer abhob und die Gestalt eines kleinen Jungen annahm – Jerry!

Für mich existierte nur noch dieses Kind, alles andere war nebensächlich und so rief ich ihn erneut in meinen Gedanken: „Jerry? Hörst du mich?“