Wer heilt, hat recht - Sven Gottschling - E-Book

Wer heilt, hat recht E-Book

Sven Gottschling

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Beschreibung

»Die Frage ist nicht Schul- oder Alternativmedizin, sondern: Was hilft dem Patienten.« Sven Gottschling Sven Gottschling repräsentiert eine neue Generation von Medizinern: den Patienten gegenüber offen und zugewandt setzt er sich für die Therapieform ein, die wirklich hilft. Zum Wohle seiner Patienten überschreitet er dabei auch die starren Grenzen der konventionellen Schulmedizin und wendet alternative Heilmethoden an. Doch was hilft wirklich? Was ist Scharlatanerie? Was Geldmacherei? Als einer der anerkanntesten Schmerztherapeuten, macht Gottschlingden Praxistest: Von Akupunktur und Hypnose über Bachblüten und Bioresonanz bis hin zur aktuell viel diskutierten Cannabis-Therapie, bei der Sven Gottschling einer der führenden Experten in Europa ist, stellt er die Heilungsmethoden auf den Prüfstand. Erklärt gut verständlich die Wirksamkeit und Risiken der unterschiedlichen Therapien und gibt viele Tipps, worauf Patienten achten sollten: bei der Auswahl des Therapeuten, im Gespräch mit dem Arzt und bei der Anwendung der Heilmethode.

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Seitenzahl: 311

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Prof. Dr. Sven Gottschling | Lars Amend

Wer heilt, hat recht

Chancen und Grenzen der Alternativmedizin

FISCHER E-Books

Inhalt

[Motto][Widmung]VorbemerkungVon Glauben und GlobuliVertrauen ist das Fundament jeder erfolgreichen TherapieDie Medizin ist keine exakte WissenschaftWas ist Alternativmedizin eigentlich?Wo, wer und warum vertraut man auf alternative Heilmethoden?Höchste Vorsicht ist geboten, wenn …… die Methode sehr geheimnisvoll und abwegig klingt… die Einrichtung andere Ziele als das Wohl der Patienten im Sinn hat… von der einzig erfolgreichen und alternativlosen Therapie gesprochen wird… keine Nebenwirkungen aufgeführt werden… vorab erhebliche Geldsummen gezahlt werden müssen… das einzunehmende Mittel ausschließlich über den anbietenden Therapeuten zu beziehen ist… die Schulmedizin vehement bekämpft wird… unterschiedliche Therapieformen vermischt werdenDer Unterschied zwischen einem Arzt und einem HeilpraktikerDie Macht der ErwartungAktivierung der SelbstheilungskräfteNegative ErwartungshaltungWirkung des Placeboeffektes in der PraxisCannabis – Wirksames Medikament oder Kiffen auf Rezept?Erste Cannabinoide im EinsatzWie kommt es, dass unser Körper überhaupt auf Cannabis reagiert?Cannabis schlucken oder lieber rauchen?In welchen Bereichen kann man Cannabis therapeutisch nutzen?Das Cannabis-GesetzNebenwirkungen der CannabistherapieCannabis gegen Krebs?Methadon – Krebswundermittel oder lebensgefährliches Spiel mit der Hoffnung?Methadon – ein anspruchsvolles MedikamentWarum setzen wir Methadon als Ersatzmedikament für Drogensüchtige ein?Warum wird das Medikament in der Dritten Welt eingesetzt?Warum ist in Deutschland nicht viel mehr passiert?Einsatz sollte genauestens abgewogen werdenAkupunktur – Mehr als nur Nadeln in der HautWas genau ist Akupunktur und zu welcher Form der Medizin gehört sie?Wie funktioniert Akupunktur?Für wen ist Akupunktur geeignet?Die Nebenwirkungen einer AkupunkturbehandlungWie läuft eine Akupunktursitzung ab?Bei welchen Krankheitsbildern kann man Akupunktur einsetzen?Wie sieht es mit der wissenschaftlichen Beurteilung der Akupunktur aus?Besondere TherapierichtungenHomöopathieDie ÄhnlichkeitsregelWie funktioniert die Homöopathie?Verschiedene Richtungen in der HomöopathieHomöopathie – ein weltweites ErfolgskonzeptAktueller WissensstandHomöopathie bei KindernDie Mythen der HomöopathieAnthroposophische MedizinMisteltherapie gegen Krebs?Fieber zur Stärkung der PersönlichkeitUmgang mit ImpfungenPflanzenheilkunde/PhytotherapieWelche Krankheiten werden mit pflanzenheilkundlichen Methoden behandelt?Tiergestützte TherapieTiere im KrankenhausHunde als Therapeuten1. Der emotionale Bereich2. Der körperliche Bereich3. Der kognitive BereichWie läuft eine Therapiesitzung genau ab?Wie kann man die tiergestützte Therapie einsetzen?Warum Hunde?Gesteigerte LebensqualitätMusiktherapieDie rezeptive MusiktherapieAktive MusiktherapieKunsttherapieWie wirkt die Kunsttherapie?Was sind die wesentlichen Elemente der Kunsttherapie?Wo findet Kunsttherapie statt?Gibt es wissenschaftliche Studien zur Kunsttherapie?Kunsttherapie als KraftquelleHypnose – Die Kraft der SelbstheilungWas ist eigentlich Hypnose?Wie wirkt Hypnose?Anwendungsgebiete der HypnoseDie HypnotherapieMedizinische Anwendung der HypnoseHypnose bei SchmerzenWie läuft eine Sitzung ab?Wer darf eigentlich Hypnosen durchführen?Die Macht der SpracheSelbsthypnosetechnikenShowhypnoseBeliebtes, Skurriles und SpektakuläresBachblütenBioresonanztherapieDiätenDie Colon-HydrotherapieEigenblutTherapieOrthomolekulare MedizinSchüßlerSalzeVitamin B17Wer heilt, hat rechtDanksagungRegisterWollen Sie unsere Arbeit mit einer Spende unterstützen?

Gute Medizin besteht aus zwei wesentlichen Elementen. Das eine ist die Kunst der Medizin, das andere die Wissenschaft der Medizin. Moderne Medizin ist vielleicht zu sehr fokussiert auf das wissenschaftliche Element. Alternativmediziner wie die Homöopathen konzentrieren sich dagegen fast ausschließlich auf die Kunst der Medizin. Die können mit den Patienten sehr gut umgehen. Wenn eines der beiden Elemente fehlt, ist es keine gute Medizin. Das ist eine Kritik an der sogenannten Schulmedizin als auch an den sogenannten Alternativmedizinern.

 

Edzard Ernst

Emeritierter Professor für Alternativmedizin

Die wichtigsten Menschen im Leben fragen dich nicht nach dem Weg. Sie gehen ihn einfach mit. Für Katja

Vorbemerkung

Eigentlich hätte der Untertitel für dieses Buch »Chancen und Grenzen der integrativen Medizin, der Komplementär- und Alternativmedizin« heißen müssen, aber mir ist bewusst, dass viele Menschen mit diesen Begriffen nicht sonderlich viel anfangen können. Selbst Fachleute sprechen vom Blinddarm, wobei doch eigentlich der Wurmfortsatz gemeint ist. Daher werde ich auf den kommenden Seiten etwas vereinfacht, vor allem aber der besseren Lesbarkeit wegen, nur von Alternativmedizin sprechen, auch wenn zum Teil ergänzende Verfahren gemeint sind.

Von Glauben und Globuli

Ich bin in einem Umfeld aufgewachsen, in dem Themen wie Homöopathie, Naturheilkunde oder alternative Heilverfahren keine große Rolle spielten. Jedenfalls kann ich mich beim besten Willen nicht daran erinnern, während meiner Kindheit jemals damit in Berührung gekommen zu sein. Wenn man krank wurde, ging man zum Arzt und bekam Tabletten verschrieben. Ich hatte das Vergnügen, von einer schulmedizinisch ausgerichteten Kinderärztin behandelt zu werden, die streng nach Lehrbuch vorging und vor der ich, um ehrlich zu sein, ganz schön viel Angst hatte. Nach meinem kindlichen Empfinden war sie ziemlich autoritär, hatte einen Oberlippenbart und eine sehr tiefe Stimme, was mir in ebendieser Kombination mächtigen Respekt einflößte.

Mein erster bewusster Kontakt zur Alternativmedizin ergab sich erst viele Jahre später im Rahmen meines Medizinstudiums. Dort wurde ein Kurs im Bereich der Homöopathie angeboten – von Studenten für Studenten –, den ich auch einige Male besuchte, allerdings muss ich zugeben, dass ich nicht lange dabeiblieb. Er fand abends statt, und so beschloss ich ziemlich schnell, meine neben dem medizinischen Hauptstudium noch verfügbaren Energiereserven doch lieber in Partys zu investieren, anstatt mich durch Hunderte von homöopathischen Einzelsubstanzen zu quälen. Trotzdem hat mich dieses besondere Verfahren schon damals neugierig gemacht, und so landete ich eines Tages als interessiert-kritischer Patient (wenn auch ohne aktuelle Beschwerden) bei einem Arzt, der sich ausschließlich auf Homöopathie spezialisiert hatte, um aus erster Hand etwas mehr darüber zu erfahren. Dieser Arzt, der mit seinem weißen Vollbart ein bisschen wie ein Prophet aussah, nahm sich mehr als eine Stunde Zeit für mich und stellte mir wahnsinnig viele Fragen, die aus meinem damaligen Empfinden heraus ziemlich ungewöhnlich waren: über meine Charaktereigenschaften und Essgewohnheiten, meine Hobbys und Vorlieben, meine Familie, meinen Freundeskreis und vieles mehr. Er hörte mir sehr genau zu und verschrieb mir zum Schluss ein homöopathisches Arzneimittel, ein sogenanntes Konstitutionsmittel, das genau für meine Persönlichkeit passend sei und das ich bei Beschwerden aller Art oder auch nur zur Vorbeugung von Beschwerden aller Art künftig einnehmen sollte. Ich kann mich noch gut an den Stapel Rezepte erinnern, die auf dem Arbeitstisch seiner Arzthelferin lagen, auf denen für jeden Patienten die Diagnose bereits vorgedruckt war. Der Name meiner Erkrankung (und anscheinend der Erkrankung aller Menschen, die diesen Arzt aufsuchten) lautete: vegetative Dystonie. Übersetzt heißt das so viel wie »allgemeines inneres Ungleichgewicht« oder etwas griffiger ausgedrückt: Wohlstandsblähungen.

Der Besuch bei diesem Arzt liegt jetzt über 20 Jahre zurück. Im Zuge der Recherchen für dieses Buch habe ich den Begriff »vegetative Dystonie« einfach mal in meine Internet-Suchmaschine eingegeben, und was lachte mir als eine der ersten Seiten entgegen? Die Homepage von Klosterfrau Melissengeist. Auch hier ist von vegetativer Dystonie die Rede und davon, wie man sein inneres Gleichgewicht wiederherstellen kann. Die Überschrift liest sich knackig: »Früher war es die Flucht vor den Löwen, heute fliehen wir vor Terminen.« Dazu wird noch kräftig mit einer Naturarznei aus 13 Heilpflanzen geworben, die zur Besserung des Allgemeinbefindens beitrage, zur Stärkung oder Kräftigung und bei Belastung von Nerven und Herz-Kreislauf durch innere Unruhe und Nervosität helfe. Außerdem soll es die Schlafbereitschaft fördern. Ob die Förderung der Schlafbereitschaft und die Dämpfung innerer Unruhe nicht auch durch den Alkoholgehalt von 79 Volumenprozent zu erklären ist, sei dahingestellt.

Aber zurück zu meiner ersten homöopathischen Erfahrung. Ich bekam von dem vollbärtigen Arzt das Medikament Lachesis verordnet. Hierbei handelt es sich um das Gift der Buschmeisterschlange. Voller Neugier habe ich mir die Eigenschaften dieses homöopathischen Arzneimittels ganz aktuell noch einmal angeschaut und staunte nicht schlecht. Jahre nachdem ich mich nur ein einziges Mal mit diesem Arzt unterhalten habe, finde ich unter den Anwendungsbereichen dieses Arzneimittels eine zum Teil erschreckend zutreffende Beschreibung meiner Person und meiner körperlichen Schwachstellen. Zum Beispiel wird eine besondere Anfälligkeit des Herz-Kreislauf-Systems genannt, die ich damals mit Sicherheit noch nicht hatte – heute nehme ich mehrere Blutdruckmedikamente. Eine starke Blutungsneigung mit Hang zum Nasenbluten wird beschrieben – heute vergeht kaum ein Monat, in dem ich nicht mindestens einmal kräftiges Nasenbluten habe. Andere Dinge treffen ebenso erschreckend klar auf mich zu, zum Beispiel die Neigung zu häufigen Halsentzündungen, die bei mir letztlich dazu geführt haben, dass im jungen Erwachsenenalter die Mandeln rausoperiert werden mussten. Spannend finde ich auch die Beschreibung eines Beklemmungsgefühls durch das Tragen von zu enger Kleidung, insbesondere am Hals. Ich finde Krawatten furchtbar, und selbst im kältesten Winter friere ich mir lieber den Kehlkopf ab, als dass ich mir einen Schal um den Hals wickle. Andere Punkte, die eher im Bereich des Gemütes liegen, wie Redseligkeit, ein hohes Maß an Emotionalität, ein zum Teil etwas überschießendes Temperament sowie ausgeprägte sexuelle Bedürfnisse, ein starkes Verlangen nach Alkohol und Kaffee lasse ich an dieser Stelle einfach mal unkommentiert stehen. Andere Ausführungen zu Lachesis in der Anwendung haben mir dann aber doch ein leichtes Schmunzeln ins Gesicht gezaubert. So finden sich Beschreibungen, dass es besonders hilfreich bei Halsentzündungen sein soll, wenn diese links beginnen und nach rechts wandern oder lediglich linksseitig auftreten. Also, ich kenne Wanderdünen und Wanderbaustellen, aber Wanderhalsschmerzen mit Linkslastigkeit? Nachdenklich hat mich dann aber doch der Satz gestimmt, dass Lachesis ein hervorragendes Mittel bei einer beginnenden Blutvergiftung sein soll. Da wiederum muss ich als Schulmediziner ganz klar sagen, dass bei einer beginnenden Blutvergiftung Antibiotika angesagt sind, oftmals auch eine rasche intensivmedizinische Therapie, denn an so etwas kann man auch als junger, sonst gesunder Jugendlicher problemlos sterben, was ich als Arzt leider schon erlebt habe.

Doch zurück zu meinen ersten Erfahrungen mit alternativen Heilmethoden. Nach meinem Medizinstudium habe ich dann angefangen, auf der Kinderkrebsstation eines Universitätsklinikums zu arbeiten, wo Therapiemaßnahmen nach Datenlage neuester Studien entschieden werden und alternativmedizinische Überlegungen selbstverständlich keinen Platz finden. Oder doch?

Eines Tages erzählte mir ein Kollege, dass seine Tochter eine sehr hartnäckige Dornwarze im Bereich der Fußsohle habe, die sie sich im Schwimmbad eingefangen habe, und dass alle bisherigen Behandlungsversuche mit verschiedenen Tinkturen, Vereisungsmethoden und das chirurgische Herausschneiden nicht funktioniert haben. Er erzählte die Geschichte in einer größeren Medizinerrunde, und ein anderer Kollege sagte spontan: »Weißt du was? Diese Warze zaubern wir weg!« Erstaunte und skeptische Blicke allerorten, aber es wurde vereinbart, sich am nächsten Tag im Keller des Uniklinikums zu treffen, wo sich ein uraltes, schon längst eingestaubtes Bestrahlungsgerät befand. Der zehnjährigen Tochter wurde erzählt, dass es sich hier um ein extrem effektives, aber auch ebenso teures und nicht ganz ungefährliches Behandlungsverfahren zur Warzentherapie handeln würde und dass sie dazu ihren Fuß nach genauer Anweisung unter das Gerät halten müsse. Der Arzt würde dann den Raum verlassen, von draußen das Gerät mit Fernbedienung einschalten, die entsprechende Bestrahlungsdosis abgeben, und nach einer Woche würde die Warze verschwinden. Gesagt, getan. Der Fuß des Mädchens wurde unter dem Gerät platziert, sie wurde aufgefordert, sich keinen Millimeter zu bewegen, und bekam eine Bleischürze als Schutz gegen mögliche Streustrahlen umgelegt. Der Kollege gab durch die geschlossene Tür noch mehrere Kommandos, kam nach zwei Minuten zurück und erklärte die Behandlung für erfolgreich beendet. Und siehe da, knapp eine Woche später war die Dornwarze tatsächlich verschwunden. Zur Erinnerung: Dieses Gerät war schon seit über zehn Jahren außer Betrieb und nicht einmal am Strom angeschlossen. Was war passiert? Die Dornwarze ist schlicht und ergreifend durch die Erwartungshaltung des Mädchens und den damit augenscheinlich verbundenen Selbstheilungskräften verschwunden (mehr zu solchen erstaunlichen Effekten im Kapitel »Die Macht der Erwartung«).

Eine ähnliche Erfahrung habe ich mit einem kleinen Jungen aus meinem Bekanntenkreis gemacht, der unter außergewöhnlich vielen Dellwarzen litt. Das ist eine Warzenart, die durch Viren verursacht wird. Es können sich dabei überall auf der Haut viele kleine Knubbelchen bilden, mit denen man sich auch noch ständig an neuen Stellen am Körper selbst anstecken kann. Ich sage Ihnen, eine äußerst unschöne Angelegenheit. Auch hier sind alle schulmedizinischen Therapieversuche meisterlich fehlgeschlagen. Der arme Wicht sah mehr oder minder aus wie ein Mensch gewordener Streuselkuchen. Er war ebenfalls das Kind eines Kollegen, der sich lange verzweifelt und bis dato erfolgreich gegen den Wunsch seiner Frau gewehrt hatte, doch endlich einen homöopathisch tätigen Arzt aufzusuchen. Als alle klassischen Therapien letztlich versagten und eigentlich nur noch eine chirurgische Abtragung der Warzen von den Hautärzten als letzte Behandlungsmöglichkeit präsentiert wurde, gab er kleinlaut nach und sagte zu seiner Frau: »Bevor wir jetzt die Messer wetzen, geh von mir aus zum Homöopathen, aber sag’s bitte keinem.« Der Junge bekam sogenannte Thuja-Kügelchen verschrieben, und wie durch ein Wunder waren nur wenige Tage später alle Dellwarzen vollständig verschwunden. Glauben oder Globuli? Im ersten Fall mit dem »Bestrahlungsgerät« hat die alleinige Erwartungshaltung ausgereicht, um sich von der Warze zu trennen. Aber was hat im zweiten Fall geholfen? (Diesen Fragen gehen wir später im Kapitel über Homöopathie nach.)

 

Da war ich also, ein junger Arzt auf einer Kinderkrebsstation, der sein erlerntes schulmedizinisches Wissen nun hochmotiviert in der Praxis umsetzen wollte. Doch bereits nach wenigen Tagen kam der erste Dämpfer. Mehrere anthroposophisch ausgerichtete Eltern fragten nach ergänzenden Behandlungsmöglichkeiten für ihre an Krebs erkrankten Kinder. Sorgen auf der einen Seite. Fragezeichen auf unserer Seite. Und die Rufe nach diesen Methoden wurden von Tag zu Tag lauter. Mein damaliger Chef hat daraufhin, für mich im Nachgang folgenschwer, bestimmt: »Leute, wir haben hier so viele verzweifelte und zum Teil unzufriedene Familien, die uns um eine Einschätzung und um eine begleitende ergänzende Therapie bitten, und wir haben davon alle keine Ahnung. Das kann so nicht weitergehen. Einer aus der Abteilung muss sich mal intensiv mit diesen ganzen alternativen Methoden beschäftigen.« Um ehrlich zu sein, wurde mir das Thema eher aufgezwungen, da ich noch neu und unerfahren war und mich nicht – wie meine dienstälteren Kollegen – schnell genug weggeduckt hatte. Um noch eine Spur ehrlicher zu sein, war ich zu diesem Zeitpunkt der mit Abstand glühendste Verfechter der klassischen Schulmedizin und alternativen Heilmethoden gegenüber äußerst skeptisch eingestellt. Für einige Wochen war mir also der geballte Spott der Kollegen sicher, da ich mich nun notgedrungen, aber dennoch mit vollem Elan um das ungeliebte Thema kümmern musste.

Ich hatte zwei Optionen: Entweder ich beschäftigte mich rein theoretisch damit, wälzte Studien und las Bücher, aber schon bei dem Gedanken daran war mir klar, dass das nicht ausreichen würde. Mir war bewusst, dass ich eines dieser vielen Behandlungsverfahren selbst von der Pike auf lernen musste, um später glaubhaft mitreden und meinen Patienten wirklich helfen zu können. Ich schwankte damals zwischen klassischen Naturheilverfahren, Homöopathie und Akupunktur und entschied mich schließlich für das Erlernen der Akupunktur. Warum? Vor allem hat es mich fasziniert, dass es sich hierbei um ein Jahrtausende altes Heilverfahren handelt.

Voller Euphorie ging ich also in den ersten Akupunkturkurs und hätte nach wenigen Stunden fast schon wieder alles hingeschmissen. Für einen überzeugten Schulmediziner, wie ich einer war, war es schon nahe am Rande des Unerträglichen, wenn statt nachvollziehbarer Daten, Fakten und zitierten Studien auf einmal von Yin und Yang doziert wird, von der sonnenbeschienenen Seite und der Schattenseite des Hügels, und man darüber hinaus dazu ermutigt wird, zu spüren, wie die Lebensenergie Chi durch den eigenen Körper fließt. Fast wäre ich schreiend davongelaufen. Im Nachhinein bin ich allerdings mehr als dankbar, diese erste Hürde damals genommen zu haben. Denn das riesige Themenspektrum der Alternativ- und Komplementärmedizin (was diese Begriffe genau bedeuten, wird noch erklärt) hat mich sehr schnell unglaublich fasziniert und derart gefesselt, dass ich mich, auch als Wissenschaftler, mit ganz viel Schwung darauf gestürzt habe, was im Endeffekt zu meiner Habilitation und letztlich sogar zu meiner Professur geführt hat. Und das gegen sehr viele Widerstände von streng schulmedizinisch ausgerichteten Kollegen, die mir über lange Jahre alle nur erdenklichen Steine in den Weg gerollt haben, weil sie allein schon die Auseinandersetzung mit dem Thema – auch wenn sie wissenschaftlich nach den anerkannten Regeln erfolgt ist – zutiefst abgelehnt haben. Eigentlich genau wie ich, bevor ich mich damit befassen musste.

Zusammengefasst lässt sich sagen: Ich verdanke der Alternativmedizin eine erhebliche Horizonterweiterung und letztlich auch meine berufliche Karriere. Früher habe ich nicht an diese »Wunder« geglaubt, heute schon, weil ich sie mit eigenen Augen gesehen habe. Auch davon werde ich in diesem Buch erzählen.

Aber vor allem möchte ich den Leserinnen und Lesern etwas Orientierung auf dem weiten Feld der Alternativmedizin geben und die Wirksamkeit einzelner Therapien auf den Prüfstand stellen. In unserer täglichen Arbeit auf einer altersübergreifenden Palliativstation haben wir einige dieser Heilmethoden auch bei schwerwiegenden und sehr komplizierten Krankheitsfällen angewandt und so einem Härtestest unterzogen.

Erweitert werden diese Erfahrungen aus der Praxis noch mit von uns durchgeführten Studien zu alternativen bzw. komplementären Heilmethoden. Natürlich kann in diesem Rahmen bei weitem nicht das ganze Spektrum der Alternativmedizin behandelt werden, aber einige sehr populäre Methoden werden im Folgenden einer kritischen Betrachtung unterworfen. Vielleicht hilft das auch etwas dabei, den Blick für weitere, hier nicht erwähnte alternative Heilmethoden zu schärfen. Es ist ein riesengroßer, schier unüberschaubarer Markt: Cannabis, Colon-Hydrotherapie, Mistel, Heilsteine, Bachblüten, Bioresonanz, orthomolekulare Medizin, Schüßler-Salze und und und. Wo schon die Profis schnell den Überblick verlieren, wie soll denn da ein medizinischer Laie auch nur ansatzweise durchblicken? Keine Sorge, auf den folgenden Seiten werde ich Ihnen einige klare und einfache Tipps geben, wie Sie sich im Dschungel der vielfältigen Angebote und Möglichkeiten zurechtfinden können.

Vertrauen ist das Fundament jeder erfolgreichen Therapie

 

Ob man mit bloßem Hinterteil auf den Schlauch für die Darmspiegelung wartet oder mit weit geöffnetem Mund dem Bohrer des Zahnarztes entgegenfiebert, in vielen medizinischen Situationen fühlt man sich als Patient ausgeliefert. Je nach Schwere der Erkrankung oder Bedrohlichkeit bis hin zur wirklich existentiellen Notlage legen Sie vielleicht sogar Ihr Leben oder das eines geliebten Familienangehörigen in die Hände eines Arztes. Warum ist es so wichtig, nicht nur darauf zu hoffen, dass der Arzt aus dem, was Sie berichten und was er an Befunden erhebt, die richtigen Schlussfolgerungen und damit auch die wirksame und hoffentlich heilsame Therapie für Sie einleitet? Warum ist es aus meiner Sicht sogar von entscheidender Bedeutung, dass Sie ihm vertrauen?

Vertrauen ist ein subjektives Gefühl bezüglich der Richtigkeit oder Redlichkeit von Personen oder der Machbarkeit von Handlungen. Es ist also nicht das, was Sie nach sorgfältigem Abwägen und der Prüfung von Für und Wider mit dem Kopf entscheiden. Vertrauen ist Ihr originäres Bauchgefühl. Kann ich einem Menschen trauen? Fühle ich mich bei ihm sicher, wohl und geborgen? Traue ich ihm diesen operativen Eingriff an mir zu? Vertrauen bedeutet immer auch ein Stück weit, sich fallen zu lassen und sich auf eine oftmals unbekannte und angstmachende Situation einzulassen.

In der Arzt-Patienten-Beziehung bin ich davon überzeugt, dass gerade der erste Kontakt sehr oft darüber entscheidet, ob sich ein tragfähiges Vertrauensverhältnis entwickeln kann, das in meinen Augen für den Heilungserfolg bei Patienten von einer Bedeutung ist, die man gar nicht hoch genug einschätzen kann.

Ich möchte Ihnen an dieser Stelle von einem guten Bekannten erzählen, der sich einmal einem durchaus risikoreichen chirurgischen Eingriff unterziehen musste. Im Vorfeld hatte er sich Termine bei verschiedenen Chirurgen geben lassen, um ein Gefühl dafür zu entwickeln, bei welchem Arzt er sich wohl fühle und von wem er sich schließlich operieren lassen wollte. Einige Wochen nach dem Eingriff fragte ich ihn, nach welchen Kriterien er sich letztlich entschieden habe, und er antwortete: »Der Chirurg meines Vertrauens hatte riesengroße, ganz schwielige Hände, wie jemand, der jeden Tag stundenlang im Wald Holz hackt. Eigentlich ein Minuspunkt für einen Chirurgen, der ja doch sehr filigran arbeiten muss. Aber, und jetzt kommt der ausschlaggebende Faktor: Er war der Einzige, der mir beim Gespräch die ganze Zeit in die Augen geguckt hat. Schon nach wenigen Sätzen wusste ich, dem kann ich vertrauen, von dem lasse ich mich operieren.«

Der deutsch-amerikanische Psychoanalytiker Erik H. Erikson hat 1959 den Begriff des Ur-Vertrauens (Basic Trust) geprägt. Er bezeichnet damit ein Grundgefühl, das in jedem von uns steckt, welchen Menschen und welchen Situationen man vertrauen kann. Die Ursachen für ein gestörtes Ur-Vertrauen liegen nach Erikson schon in der frühen Kindheit. Wenn Säuglinge und Kleinkinder zum Beispiel das Gefühl haben, nicht angenommen zu sein, wenn also positive Bindungssignale fehlen, wenn niemand mit ihnen kuschelt oder sie nicht in den Arm genommen werden, kommt es unweigerlich zu einer Störung des Ur-Vertrauens. Diese Vernachlässigung, das heißt das Fehlen von wohltuender sozialer Interaktion und das Fehlen stabiler Bezugspersonen, führt dazu, dass ihnen im späteren Leben im Umgang mit Menschen die nötige Sicherheit fehlt. Wieso erwähne ich an dieser Stelle das Modell des Ur-Vertrauens, was ja eigentlich für Säuglinge und Kleinkinder entwickelt wurde? Ich mache das ganz bewusst, weil ich der Meinung bin, dass Menschen in gesundheitlich existentiellen Notlagen in ihrem Verhalten sehr oft auf Kleinkindniveau zurückgeworfen werden. So bin ich immer wieder total davon fasziniert, dass gestandene Geschäftsführer von Unternehmen mit Hunderten von Mitarbeitern, wenn sie, aus welchem Grund auch immer, einen stationären Krankenhausaufenthalt auf sich nehmen müssen, direkt nach dem Einchecken ins Zimmer ihre normale Kleidung ablegen, um sich schon nachmittags im Schlafanzug ins Bett zu legen. Und anstatt nur wenige Minuten später die paar Schritte nach vorne in den Stationsstützpunkt selbst zu gehen, um sich in der Küche eine Tasse Kaffee zu holen, klingeln sie nach der Schwester. Natürlich immer noch im Schlafanzug. Es lebe die Regression! Man muss Menschen, wenn es um ihre Gesundheit geht, also besonders zugewandt begegnen, um ein Vertrauen aufzubauen, das die Voraussetzung für einen optimalen Behandlungserfolg ist.

Dabei muss man genau hinschauen, wie der einzelne Patient tickt. Zwar sollte man Menschen nie in Schubladen stecken – erstens sind die viel zu klein, und zweitens erwischt man ohnehin fast immer die falsche –, dennoch teile ich in meiner Funktion als Arzt Menschen gerne in zwei große Kategorien ein: Auf der einen Seite stehen »die Chancendenker«, auf der anderen die »Bedenkenträger«. Chancendenker sind Menschen, die grundsätzlich mit einem großen Vertrauensvorschuss anderen Menschen begegnen. Bedenkenträger hingegen hinterfragen alles und benötigen das sichere Gefühl der permanenten Kontrolle. Einen Bedenkenträger erkennen Sie an folgender Formulierung. Sie erzählen ihm etwas oder schlagen eine Lösung vor, und er antwortet mit den Worten: »Ja, aber …« In meiner täglichen Arbeit erlebe ich immer wieder, wie schwierig es ist, zu diesen Patienten eine stabile therapeutische Beziehung aufzubauen. Man muss natürlich auch ehrlich zugeben, dass es genügend Gründe für Patienten gibt, uns Ärzten in vielerlei Hinsicht zu misstrauen. In dieser oftmals ohnehin schon komplizierten Ausgangslage zwingt uns dann auch noch die gültige Rechtslage dazu, neue Holzscheite in das bereits gut brennende Feuer des Misstrauens zu werfen – vor allem bei den Bedenkenträgern – mit fatalen Folgen. Aber aus juristischen Gründen sind wir Ärzte faktisch dazu gezwungen, unseren Patienten permanent das Vertrauen zu nehmen. Ein Beispiel für aktive Vertrauenszerstörung ist eines meiner Lieblingsthemen – der Beipackzettel von Medikamenten. Wie wunderbar wäre es, wenn ein Patient diesen Zettel auffaltet und dort Folgendes zu lesen bekäme: »Die allermeisten Menschen vertragen dieses Medikament exzellent, ohne dass irgendwelche belastenden Nebenwirkungen auftreten. Seien Sie unbesorgt, Ihr behandelnder Arzt hat sich sehr viel Mühe gemacht, um das exakt für Sie passende Medikament herauszusuchen. Wir wünschen Ihnen eine schnelle Wirksamkeit und baldige Genesung.« Das steht da aber nicht. Da stehen alle erdenklichen Nebenwirkungen, auch die ganz seltenen. Auch die ganz fürchterlich bedrohlichen. Und gerade diese Informationen sind Gift für jeden Bedenkenträger, der sich selbstverständlich absolut darin bestärkt sieht, dem Arzt nach der Lektüre des Beipackzettels noch mehr zu misstrauen. Nach der Devise: »Hab ich’s doch gewusst, dieses Medikament gefährdet mich mindestens, wenn’s mich nicht gar umbringt, und außerdem hat der Arzt wieder zwei Wechselwirkungen mit meinen anderen Medikamenten übersehen. Gott sei Dank habe ich mir eine Stunde Zeit genommen und alles akribisch studiert.«

Und schon werden die verordneten Medikamente entweder gar nicht oder unterdosiert oder nur sporadisch nach eigenem laienhaften Ermessen genommen, was dazu führt, dass in Deutschland die Mehrzahl der von Ärzten verordneten Medikamente entweder nicht oder nicht wie besprochen eingenommen werden.

Kommen wir jetzt zum Chancendenker. Sie können sicher schon erahnen, dass er kein echtes Problem darstellt. Er steigt ohne Probleme in ein Flugzeug und denkt sich: »Ach ja, das wird garantiert nicht der erste Flug des Piloten sein, und zudem möchte er ja auch ganz gerne lebend am Ziel ankommen.« Mit der gleichen Einstellung geht der Chancendenker mit einem medizinischen Problem zum Arzt: »Wie toll, endlich spreche ich mit einem Experten«, denkt er sich. »Vor mir sitzt der Spezialist und macht auch noch einen ganz netten Eindruck. Dem kann ich vertrauen. Was er mir sagt, werde ich umsetzen, dann geht’s bald wieder bergauf.« Das klingt jetzt vielleicht etwas naiv, und tatsächlich sind die Chancendenker deutlich in der Minderzahl, doch wenn Sie an die schon erwähnte enge Verbindung zwischen Vertrauen und Behandlungserfolg denken, ist das für diese Minderheit ein Gewinn. Aber mit einem Blick auf unser Gesundheitssystem frage ich mich, wie ich insbesondere bei wirklich gravierenden Erkrankungen in den fünf Minuten, die ich üblicherweise als Arzt in Kontakt mit meinen Patienten stehe, hinreichend Vertrauen aufbauen kann, um einen ohnehin schon misstrauischen Menschen mit einem guten Gefühl durch eine Behandlung oder hin zu einer Operation zu begleiten. Hier offenbart sich auch das erste riesengroße Problem im medizinischen Normalbetrieb. Wie wollen wir einem Menschen mit all seinen Nöten, Besonderheiten und Bedürfnissen in einem Fünf-Minuten-Gespräch ernsthaft gerecht werden? Das kann man schlichtweg vergessen. So ist es doch mehr als verständlich, dass sich Patienten bei einem Homöopathen oder Schmerztherapeuten wohl fühlen, die sich bei einem Erstgespräch mindestens eine Stunde Zeit nehmen, um jede Menge Details nicht nur zu aktuellen medizinischen Problemen, sondern auch zur Vergangenheit, zur familiären Situation, zu Wünschen, Vorlieben, Ängsten und allerlei anderen für den Patienten wichtigen Faktoren zu erfahren.

Als Patient fühlen Sie sich dabei doch wesentlich angenommener, verstandener und wertgeschätzter, als wenn Sie einem Arzt gegenübersitzen, bei dem Sie schon am Anfang des Gesprächs das Gefühl haben, gleich wieder aufstehen zu müssen. Dabei brauchen solche Gespräche Zeit. Als Schmerztherapeut weiß ich, dass es unter Umständen sehr lange dauert, Patienten mit sehr viel Ausdauer und Überzeugungskraft von ihrer mechanistischen und oft negativen Denkweise wegzubekommen. Wie viele Patienten mit Rückenschmerzen wünschen sich zum Beispiel, dass man ihre schon lange bestehenden Beschwerden mit einem kleinen operativen Eingriff einfach rausschneidet. Der Hinweis darauf, dass Schmerzen grundsätzlich im Kopf entstehen und dass die gefühlten Rückenschmerzen unter Umständen nicht durch Störungen im Bereich der Wirbelsäule, der umgebenden Muskulatur oder des Bandapparates verursacht werden, ist für sehr viele Menschen nicht leicht verdaulich. Das braucht Zeit, Geduld und ganz viele Wiederholungen. Nur so kann man den Patienten klarmachen, insbesondere denen, die schon zwei- oder dreimal erfolglos am Rücken operiert wurden, dass an dem Satz »fünfmal abgeschnitten und immer noch zu kurz« tatsächlich etwas dran ist. Nach meiner persönlichen Erfahrung dauert es zum Beispiel bei Schmerzpatienten während eines stationären Aufenthaltes mindestens zwei Wochen – und das bei mehrfach täglicher und wirklich intensiver Auseinandersetzung –, bis sie die einfachsten Grundregeln von Schmerzentstehung und Schmerzbehandlung verstanden haben. Und gerade hieran krankt unser Gesundheitssystem. Wenn uns doch klar ist, dass ein Patient zwei Wochen lang jeden Tag ein halbstündiges Gespräch benötigt, bis er einen bestimmten Sachverhalt wirklich verstanden und durchdrungen hat, dann brauche ich mich doch nicht der Illusion hinzugeben, dass ich das Ganze auch ambulant mit einem Fünf-Minuten-Gespräch lösen kann. In der Medizin können wir mittlerweile so viel, aber vieles davon ist überhaupt nicht für den einzelnen Patienten sinnvoll, und das will erklärt und begründet sein.

Ein wunderbares Beispiel dafür führt uns in den Bereich der Tumortherapie. So gibt es mittlerweile viele Patienten, die selbst bei metastasierten Tumorerkrankungen die persönliche Erfahrung gemacht haben, dass es auch dann immer noch Therapieangebote gibt, dass noch ein letzter Pfeil im Köcher steckt. Im angloamerikanischen Raum gibt es hierfür sogar einen Begriff: »AOC – Aggressiveness of Care«. Ins Deutsche übersetzt, steht das für »Aggressive Therapie am Lebensende«. Viele Patienten bekommen aufgrund ihres eigenen dringenden Behandlungswunsches auch in einem wirklich sehr schlechten gesundheitlichen Zustand noch eine Chemotherapie verabreicht. Aus Studien wissen wir mittlerweile sehr genau, dass eine Chemotherapie bei solchen Patienten zu einem früheren und in der Regel auch leidvolleren Sterben führt als bei jenen Patienten, bei denen diese Therapie nicht mehr durchgeführt wird. Ein amerikanischer Kollege hat einmal gesagt: »Ein Patient bekommt von mir nur noch dann eine Chemotherapie, wenn er zu Fuß zu mir in die Praxis laufen kann.« Viele Patienten, die in Deutschland noch eine Chemotherapie für ihre Erkrankung bekommen, werden hingegen in die Praxis hereingetragen. Ich denke, dass es wichtig und wesentlich ist, in diesem Zusammenhang die biopsychosozialen Zusammenhänge von Erkrankungen zu erklären und zu erfassen. Oft ist der Ruf nach einer weiteren Chemotherapie in Wahrheit eher der letzte Schrei der Verzweiflung: »Lass mich bitte nicht allein! Lass mich nicht fallen! Sag mir bitte nicht, dass du nichts mehr für mich tun kannst!«

Die moderne Medizin hat unglaubliche Möglichkeiten zu bieten, doch das ist nicht immer gut für die Menschen. Zu viel Therapie auf der einen Seite, zu wenig persönliche Zuwendung auf der anderen. Das Gleichgewicht im deutschen Gesundheitswesen ist völlig aus der Balance geraten. Wenn ich die Behandlung von alten und demenzkranken Menschen beobachte, dann kann man zu keiner anderen Schlussfolgerung kommen, als dass hier der völlig falsche Weg eingeschlagen wird. Das Motto lautet bei dieser Patientengruppe vielerorts: PEG (künstlich gelegter Zugang) statt Zuwendung! Lieber einen Schlauch durch die Bauchdecke ziehen und eine Betankung durch eine Maschine, statt liebevolles und zeitaufwändiges Essen mit einem Löffel anreichen. Lieber Ruhigstellung des leidenden Patienten, statt die Suche nach behebbaren Ursachen der Unruhe. Ich sage ganz klar: Das kann nicht sein und darf so nicht weitergehen.

Eines ist sicherlich unstrittig: Im weltweiten Vergleich haben wir in Deutschland eines der besten Gesundheitssysteme. Trotzdem ist in meinen Augen auch bei uns noch ganz viel Luft nach oben. Nach Vorgabe der Krankenkassen müssten wir am Patienten Therapien durchführen, die »wirtschaftlich, notwendig, zweckmäßig und ausreichend« sind. In anderen Worten: Wir sollen die Patienten »trocken, warm, sauber und satt« bekommen. Auf eine Schulnote bezogen bedeutet der Begriff »ausreichend« eine Vier. Fragen Sie sich selbst: Möchten Sie von Ihrem Arzt nur ausreichend behandelt werden? Und versuchen Sie sich mal in uns Ärzte hineinzuversetzen: Glauben Sie ernsthaft, dass wir unsere Patienten so schlecht behandeln wollen?

Vertrauen ist das zentrale Thema in der Medizin. Ich bin der Meinung, dass man Vertrauen nicht damit aufbauen kann, dass wir per Gesetz gezwungen sind, Menschen über schlimmstmögliche Komplikationen von Therapien aufzuklären.

Ich glaube auch nicht, dass es gelingt, in der Fünf-Minuten-Kontaktzeit, die ein normaler Haus- oder Facharzt pro Patient zur Verfügung hat, Vertrauen zu schaffen. Mir ist völlig klar, warum sich so viele Patienten unverstanden fühlen, lieber zu Heilpraktikern gehen oder ihr Heil in der Alternativmedizin suchen. Dort erfahren sie nämlich ganz oft genau das, wonach sie so lange verzweifelt gesucht haben. Dort begegnen sie endlich einem Menschen, der sich Zeit nimmt, der sich für sie interessiert und der auch persönliche Fragen stellt, die über den Tellerrand der Medizin hinausgehen. Grundsätzlich bin ich der festen Überzeugung, dass wir nicht zu wenig Geld in unserem Gesundheitssystem haben. Ich bin aber ebenso davon überzeugt, dass wir eine völlig falsche Gewichtung legen. Solange die Spritze in den Hintern des Patienten dem Arzt mehr Geld bringt als ein halbstündiges intensives Gespräch, wird sich auch nichts ändern. Wie auch? Nach meinem Empfinden ist es höchste Zeit, die Arzt-Patienten-Beziehung wieder in den absoluten Mittelpunkt unseres medizinischen Handelns zu rücken.

 

Noch eine kleine Randbemerkung: Ärzte sind eben keine Halbgötter in Weiß (auch wenn sich einige immer noch dafür halten). Ärzte sind auch nur Menschen, und Menschen machen Fehler. Wir tun gut daran, sie zuzugeben, offen darüber zu sprechen und unseren Patienten die ehrliche Antwort zu geben, dass auch wir an bestimmten Punkten der Therapie keine Antworten mehr haben, nicht weiterwissen und dass auch wir uns manchmal fachliche Beratung und Hilfe holen müssen.

In all den Jahren, in denen ich als Arzt praktiziere, habe ich noch nie erlebt, dass ein Patient sauer oder mit Unverständnis darauf reagiert hat, wenn ich ihm gesagt habe, dass ich seine konkrete Frage nicht kompetent beantworten kann und mich erst mal in Ruhe darüber informieren müsse. Ich glaube, der Schlüssel einer gelungenen Arzt-Patienten-Beziehung liegt in der Kommunikation, in der wertschätzenden Annahme des Patienten. Gerade Menschen mit gravierenden Erkrankungen haben sehr feine Antennen, auch was uns medizinische Profis anbelangt. Da sind sie im Prinzip wie Kinder. Die entlarven ja auch jeden Erwachsenen, der nicht wirklich authentisch ist und es nicht ehrlich meint.

Die Medizin ist keine exakte Wissenschaft

Man kann die Erkenntnisse der Medizin

auf eine knappe Formel bringen:

Wasser, mäßig genossen, ist unschädlich.

Mark Twain

Bestimmt werden auch Sie schon folgende Erfahrung gemacht haben: Sie saßen bei Ihrem Hausarzt oder irgendeinem Facharzt, sprachen ihn auf alternative Behandlungsverfahren an und bekamen im besten Fall ein müdes Lächeln, im schlimmsten Fall eine klar ablehnende Haltung präsentiert. Dabei wollten Sie doch gar nicht »auf die andere Seite« wechseln, sondern nur offen und entspannt darüber reden. Wie ist diese Reaktion von so vielen Ärzten zu verstehen? Die Antwort ist erschreckend einfach. Das komplexe, vielschichtige und sich täglich erweiternde Angebot auf dem Feld der Alternativmedizin wird im Medizinstudium nicht gelehrt, und es gibt so unendlich viele Methoden und Ansätze, dass sich die meisten Ärzte dabei einfach unglaublich unwohl fühlen, wenn sie darauf angesprochen werden. Und eine zutiefst menschliche, aber für den Patienten höchst unbrauchbare Reaktion des um Rat gefragten »Halbgottes« ist nun einmal, das Thema möglichst kurz und trocken wegzubügeln, damit der Patient ja nicht merkt, dass man auch als Arzt davon eigentlich keine Ahnung hat.

Selbst ich, der sich seit weit über einem Jahrzehnt täglich sehr intensiv mit der Thematik auseinandersetzt und auch vom wissenschaftlichen Standpunkt betrachtet und bewertet, muss immer wieder zugeben, dass es Therapieverfahren gibt, von denen ich noch nie etwas gehört habe. Meine Patienten sitzen manchmal mit Stapeln aus dem Internet ausgedruckter Informationen vor mir und erwarten eine fachliche Bewertung zu dieser oder jener Therapie. Der ein oder andere Patient ist dann durchaus perplex, wenn ich ihm offen sage, dass ich über diese Methode nichts weiß oder dass ich zwar den Namen kenne, mich aber noch nicht tiefgreifender damit auseinandergesetzt habe. Ganz schön peinlich für einen Professor an einer Universitätsklinik, der dieses Thema zu seinen fachlichen Schwerpunkten zählt, oder? Nein, gar nicht, und ich erkläre Ihnen auch gerne, warum. Erlauben Sie sich einmal den Spaß und googeln Sie die folgenden drei Begriffe: »Alternativmedizin«, »Komplementärmedizin« und »integrative Medizin«. Wenn Sie jetzt noch eine Schippe drauflegen wollen, verwenden Sie die englischsprachigen Begriffe, und siehe da, Sie bekommen allein für »Alternativmedizin« über 50 Millionen Treffer angeboten und auch bei der Komplementärmedizin und integrativen Medizin bewegt sich die Trefferanzahl in einem hohen einstelligen Millionenbereich. Was heißt das im Umkehrschluss?

Es gibt einfach so unfassbar viele verschiedene Methoden, Substanzen und Verfahren, dass jedem klar sein muss, kein einziger Mensch, auch kein Arzt, kann sich mit ALLEM auskennen. Schon in der Schulmedizin – und die ist im Vergleich zur Alternativmedizin ein wirklich überschaubares Gebiet, haben wir alleine in Deutschland über 30 verschiedene Fachärzte, jede Menge Subspezialisierungen, Weiterbildungen und Zusatzbezeichnungen. Es ist zwar wünschenswert, dass jeder Arzt einen groben Gesamtüberblick über das weite Feld der Medizin hat, so richtig gut und über die neuesten Erkenntnisse informiert sein kann man jedoch nur noch in einem sehr kleinen Bereich. Auch hier bin ich ehrlich zu Ihnen. Für mich als Profi ist schon diese Erkenntnis eine riesengroße Entlastung. Ich kann und muss nicht alles wissen. Ich kann das meinen Patienten auch mit einem guten Gefühl sagen und muss mich nicht unzureichend weitergebildet und erst recht nicht ertappt fühlen.

Was ist Alternativmedizin eigentlich?

Nach der Definition einer der führenden Organisationen, die sich nach strengsten wissenschaftlichen Kriterien mit medizinischen Studien auseinandersetzen, beinhaltet die Alternativmedizin »ein breites Spektrum an Therapiemöglichkeiten, deren Praktiken und Besonderheiten inklusive der zugrundeliegenden Theorien und Glaubensansätze nicht dem dominanten Gesundheitssystem eines Kulturkreises in einem bestimmten Zeitabschnitt zugeordnet werden können«. So, das klingt beim ersten Durchlesen ziemlich sperrig. Wenn man sich diese Definition jedoch genauer ansieht, ist sie doch sehr spannend. Hier ist die Rede von unterschiedlichen Gesundheitssystemen und dass es in unterschiedlichen Ländern oder Kulturkreisen durchaus sehr unterschiedliche Sichtweisen zum Thema »Was ist Schulmedizin?« und »Was ist Alternativmedizin?« gibt. Was die Definition auch noch beinhaltet, ist, dass sich das Ganze in einem permanenten Fluss befindet. Das bedeutet, dass Therapieformen, die im Verlauf intensiver erforscht werden, irgendwann Bestandteil der allgemein akzeptierten Schulmedizin sind – beziehungsweise – und auch das erleben wir immer wieder – dass Methoden, die über Jahre, Jahrzehnte oder Jahrhunderte angewandt wurden, hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und Effektivität angezweifelt oder gar nachweislich unwirksam entlarvt und darum konsequenterweise aus dem Bereich der klassischen Schulmedizin wieder entfernt werden.

Zwischen alternativen Heilmethoden und der Schulmedizin gibt es keine festen Grenzen, und dann unterscheidet man auch noch zwischen Alternativ- und Komplementärmedizin sowie integrativer Medizin.

Alternativmedizin bedeutet, einfach gesagt, ein »anstatt«. Das heißt, der schulmedizinische Ansatz wird durch eine Methode aus diesem Bereich ersetzt. Beispiele hierfür wären, im Rahmen eines fieberhaften Infektes statt eines fiebersenkenden Arzneimittels Heilkräuter einzusetzen.

Von Komplementärmedizin sprechen wir, wenn die Methoden »ergänzend« zu einer schulmedizinischen Therapie angewandt werden. Wenn zum Beispiel im Rahmen einer Chemotherapie Nux-vomica-Globuli gegen Übelkeit eingenommen werden. Oft sind aber gerade im Bereich der Komplementärmedizin der Therapeut, der die Schulmedizin steuert, und derjenige, der die ergänzende Therapie einleitet, nicht dieselbe Person. Und hier liegt ein dementsprechend großes Risiko für ungewollte und mitunter lebensgefährliche Wechselwirkungen.

Von integrativer Medizin spricht man, wenn Schulmedizin und komplementäre Behandlungsmethoden