9,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 3,99 €
Der Tod der Kriegerin.
Irland im Jahr 672: Prinzessin Gelgéis und König Colgú von Muman haben endlich geheiratet. Das soll mit einem großen Jahrmarkt gefeiert werden. Da wird eine der Töchter des Sturms, so nennen sich die Kriegerinnen der Leibgarde der Prinzessin, ermordet. Kurz darauf findet man die allseits beliebte Haushälterin vergiftet auf. Wer fühlt sich jetzt noch sicher in der Burg? Fidelma und Eadulf müssen schnell sein mit ihren Ermittlungen, bevor noch mehr passiert und der Jahrmarkt abgesagt werden muss ...
Die erfolgreichste historische Krimi-Serie in Deutschland.
»Peter Tremayne gehört auf den Krimithron Großbritanniens.« Literaturmarkt.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 549
Veröffentlichungsjahr: 2024
Irland im 672: Prinzessin Gelgéis hat zu ihrer Hochzeit mit König Colgú von Muman ihre Leibgarde mit nach Cashel gebracht: Kriegerinnen, die sich die Töchter des Sturms nennen. Da wird Cera, eine der Kriegerinnen, die zugleich Zofe der Prinzessin ist, ermordet neben dem Schlafgemach des frisch vermählten Königspaares aufgefunden. Kurz darauf wird die allseits beliebte Haushälterin vergiftet. In wenigen Tagen soll die Heirat des Königspaares mit einem großen Jahrmarkt gefeiert werden. Aber ist das nicht zu gefährlich? War der Mord an der Kriegerin eigentlich ein Attentatsversuch auf den König und seine Gemahlin?
Fidelma und Eadulf müssen schnell sein mit ihren Ermittlungen, bevor es der Mörder vielleicht noch einmal versucht.
Peter Tremayne ist das Pseudonym eines anerkannten Historikers, der sich auf die versunkene Kultur der Kelten spezialisiert hat. Seine im 7. Jahrhundert spielenden Romane mit Lady Fidelma sind zurzeit die älteste und erfolgreichste historische Krimiserie auf dem deutschen Buchmarkt. Fidelma, eine mutige Frau von königlichem Geblüt, ehemalige Nonne und Anwältin bei Gericht, löst darin auf kluge und selbstbewusste Art die schwierigsten Fälle. Wegen des großen internationalen Erfolgs der Serie wurde Peter Tremayne 2002 zum Ehrenmitglied der Irish Literary Society auf Lebenszeit ernannt.
Mehr Informationen unter www.sisterfidelma.com
Einmal im Monat informieren wir Sie über
die besten Neuerscheinungen aus unserem vielfältigen ProgrammLesungen und Veranstaltungen rund um unsere BücherNeuigkeiten über unsere AutorenVideos, Lese- und Hörprobenattraktive Gewinnspiele, Aktionen und vieles mehrFolgen Sie uns auf Facebook, um stets aktuelle Informationen über uns und unsere Autoren zu erhalten:
https://www.facebook.com/aufbau.verlag
Registrieren Sie sich jetzt unter:
http://www.aufbau-verlage.de/newsletter
Unter allen Neu-Anmeldungen verlosen wir
jeden Monat ein Novitäten-Buchpaket!
Peter Tremayne
Wer Sturm sät
Historischer Kriminalroman
Aus dem Englischen von Bela Wohl
Cover
Titel
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Titelinformationen
Informationen zum Buch
Newsletter
Widmung
Zitat
Hauptpersonen
Anmerkung des Autors
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Historische Nachbemerkung
Fidelmas Abenteuer in chronologischer Reihenfolge
Erläuterungen
Impressum
Wer von diesem historischen Kriminalroman begeistert ist, liest auch ...
Für meine »griechische Schwester« Maria V. Soteriades Zur Feier unserer schon seit fünfundfünfzig Jahren währenden Freundschaft
Si acuero ut fulgur gladium meum, et arripuerit judicium anus mea; reddam ultionem hostibus meis, et his qui oderunt me retribuam.
Wenn ich mein blitzendes Schwert schärfe und meine Hand zur Strafe greift, so will ich mich rächen an meinen Feinden und denen, die mich hassen, vergelten.[1]
Deuteronomium 32,41 Vulgata, lateinische Übersetzung des Hieronymus aus dem vierten Jahrhundert
Schwester Fidelma von Cashel, eine dálaigh oder Anwältin bei Gericht im Irland des 7. Jahrhunderts
Bruder Eadulf von Seaxmund’s Ham aus dem Lande des Südvolks im Königreich der Ostangeln, ihr Ehemann
Colgú, König von Muman, Fidelmas Bruder
Gelgéis, Prinzessin von Durlus Éile in Osraige, seit Kurzem mit Colgú verheiratet
Alchú, ihr Sohn
Muirgen, die Kinderfrau
Nessan, ihr Ehemann
Finguine, Prinz von Glendamnach, Colgús tánaiste oder Thronfolger
Dar Luga, banmhaor oder Verwalterin und frühere Haushälterin im königlichen Haushalt in Cashel
Fíthel, Oberster Brehon von Muman
Urard, Schreiber und Sekretär von Fíthel
Cuán, Abt von Imleach Iubhair und Oberster Bischof von Cashel
Bruder Dáire, der Bibliothekar
Rodaige, ein Baumeister
Vater Socra, der neue Priester in Cashel
Schwester Sárait, eine Gehilfin in der Kapelle
Síonna, eine Ärztin oder sui-liaig
Enda, Befehlshaber der lucht-tighe oder Leibwache
Luan, ein Krieger
Dego, ein einarmiger Krieger
Aidan, ein Krieger
Cano, ein junger Krieger
Luchar-súil, ein Wachposten
Crédh, die Meisterin und Befehlshaberin
Cera, die jüngste Kriegerin und Zofe von Gelgéis
Corbach, eine Kriegerin
Gormán, Befehlshaber eines Bataillons von Colgús Kriegern
Aibell, Gormáns Frau
Della, Mutter von Gormán und enge Freundin von Fidelma
Lassar, Dar Lugas Schwester aus Ráth na Drinne
Rumann, ein Gastwirt
Gobán, ein Schmied
Corruine, ein wandernder Apotheker
Fianamail, König von Laighin
Tuaim Snámha, Herrscher von Osraige
Bruder Conchobhar, Fidelmas verstorbener Mentor und früherer Apotheker auf der Burg Cashel
Die Geschichte spielt im Jahr 672 n. Chr. Es ist der irische Monat lúghnasadh, der dem heutigen August entspricht; gelegentlich nennt man ihn auch mí ag siúl léis an ghria, den Monat, in dem man mit der Sonne geht. Fidelma und Eadulf sind nach dem Abenteuer, das sie während ihres Aufenthalts in der Abtei Imleach Iubhair erlebten und das in Der Tod des Ketzers erzählt wird, wieder nach Cashel zurückgekehrt. Anschließend fand dort die Hochzeit von Fidelmas Bruder, König Colgú, mit Prinzessin Gelgéis aus Durlus Éile in Osraige statt. Auf diese Vermählung haben wahrscheinlich viele Leser gewartet, seit die beiden sich in dem Buch Die Pforten des Todes zum ersten Mal begegnet sind. Nach den Festlichkeiten ist inzwischen einige Zeit vergangen, und die Mehrzahl der prominenten Gäste ist abgereist. Nun steht noch das letzte feierliche Ereignis bevor, ein großer Jahrmarkt (Aenach Caiseal) in der Stadt Caiseal Muman (Cashel); sie liegt am Fuße des schützenden Felsens, auf dem sich die Burg der Eóghanacht erhebt, der Könige von Muman.
Regelmäßige Leser dieser Buchreihe werden wissen, dass die Frauen jener Zeit unter den althergebrachten irischen Gesetzen den Männern gleichgestellt waren; sie konnten Erbschaften antreten, sie konnten Anwältinnen, Richterinnen, Ärztinnen und Gelehrte sein, Oberhaupt kirchlicher Einrichtungen und sogar Kriegerinnen. Ihr Recht, Waffen zu tragen oder einen hohen Rang in ihrer Einheit zu bekleiden, war zwar nicht mehr so weit verbreitet wie früher in der irischen Gesellschaft und ganz allgemein im Kulturkreis der Kelten, aber immerhin durften Frauen damals in Irland noch Kriegerinnen sein, bis sich die Gesetze gegen Ende des siebten Jahrhunderts änderten. Man sollte stets daran denken, dass die gelegentliche Erwähnung von Kriegerinnen sowie die Tatsache, dass sie in späteren historischen Dokumenten totgeschwiegen werden, zweifellos mit diesen Gesetzesänderungen zusammenhängen, die von christlichen Institutionen vorangetrieben wurden. Oft heißt es, der Niedergang der gesellschaftlichen Stellung der Frau in Irland habe unmittelbar im Anschluss an die Entscheidungen des Konzils von Birr (Biorra) im Jahr 697 n. Chr. begonnen.
Der junge Krieger blieb wie angewurzelt stehen, als wäre er urplötzlich zu Stein erstarrt. Die Schwertspitze seines Gegners berührte seinen Hals. Wenn er jetzt eine Schluckbewegung machte, das spürte er ganz deutlich, würde die Spitze der Klinge die Haut an seinem Kehlkopf ritzen. Enda, der Befehlshaber der lucht-tighe, der Leibwache von Colgú, dem König von Muman, begriff, dass die Schwertspitze zu dicht vor seinem Kehlkopf war, um sie noch abwehren zu können. Er hatte zugelassen, dass Schild und Schwert seine Brust freigaben, denn er hatte vorgehabt, seinem Gegner aus dieser Position heraus den entscheidenden Schlag zu versetzen. Zu spät erst begriff er, dass sein Herausforderer ihn absichtlich zu diesem Manöver verleitet hatte, um mit dem Schwert von unten nach oben zuzustoßen und mit der Spitze der Klinge genau diese tödliche Stelle zu treffen.
Die zwei Krieger verharrten in längerem Schweigen, bis Enda hervorstieß: »Airmaisid!« und damit anzeigte, dass das Schwert sein Ziel unbestreitbar erreicht hatte.
»Logad?«, fragte ihn sein Gegenüber scharf.
»Logad!«, gab sich Enda geschlagen.
Sein Herausforderer ließ die bedrohliche Schwertspitze augenblicklich sinken, machte einen Schritt nach hinten und brachte das Schwert in die vorgeschriebene Ausgangsposition.
Die Zuschauer, die sie umringten, Männer und Frauen, bedankten sich mit einem kurzen Applaus und begannen, sich auf dem Marktplatz in alle Richtungen zu zerstreuen. Offensichtlich stammten sie aus sämtlichen Gesellschaftsschichten des Städtchens: von Händlern über Handwerker bis zu verschiedenen Arbeitern war alles vertreten; von vermögenden Frauen bis zu solchen, die jeder sich bietenden Gelegenheitsarbeit nachgingen. Sie lebten in der kleinen Stadt, die sich Schutz suchend unter den beeindruckenden Kalksteinfelsen duckte, auf dem sich die mächtige Burg von Colgú, dem König von Muman, erhob; von dort aus regierte er das südwestlichste und größte der Fünf Königreiche von Éireann.
Enda unterdrückte einen Seufzer des Bedauerns, schob sein Schwert zurück in die Scheide und übergab sein Schild an seinen Waffenträger, der diensteifrig auf ihn zueilte, während der Waffenträger seines Gegners auf jenen zueilte. Dann betrachtete Enda die weibliche Gestalt, die vor ihm stand, mit neidvoller Bewunderung. Sie war einen ganzen Kopf kleiner als er; eigentlich noch kleiner, jetzt, da sie ihren Kampfhelm aus Bronze abgenommen hatte, der besonders hoch war, weil er einer sich zum Angriff duckenden, zischenden Gans nachgebildet war. Die Gans war das Symbol der uralten heidnischen Kriegsgöttin. Endas Gegnerin war ein junges Mädchen, das erst vor wenigen Jahren das Alter der Wahl erreicht hatte; sie hatte walnussbraune Locken, die im Sonnenlicht rötlich schimmerten. Zu sagen, das Mädchen sei schön, wäre womöglich übertrieben gewesen, doch hübsch war sie zweifellos. Vielleicht waren ihre Wangen etwas zu kantig und die Lippen zu schmal, und die strahlenden haselnussbraunen Augen standen etwas zu weit auseinander.
Ihre Haut war auffallend gebräunt, obwohl sie nicht draußen auf dem Feld arbeitete. Ihr wohlproportionierter Körper war geschmeidig und doch muskulös. Wie muskulös, das sah man an den Wadenmuskeln ihrer nackten Beine, denn sie trug keine Schienbeinschoner aus Metall, sondern nur einen kurzen Kilt, ein buntes Leinenhemd und darüber eine Jacke aus einem schützenden Kettengeflecht. Diese Art von Schutzkleidung benutzten keltische Krieger schon lange vor ihren ersten Begegnungen mit den Römern. Das Mädchen machte einen Schritt nach hinten und sah Enda mit breitem, triumphierendem Grinsen an.
»Du wirst wohl deine Deckung noch verbessern müssen, bevor wir bei dem Wettkampf in vier Tagen wieder gegeneinander antreten, Enda«, riet ihm das Mädchen scherzend, während Enda seinen Helm abnahm und sich mit der Hand über die Stirn fuhr.
»Es kommt nicht oft vor, dass ich Gelegenheit habe, meine Fähigkeiten mit einer Meisterin von den Töchtern des Sturms zu messen.« Er erwiderte ihr Lächeln mit einem kurzen Kopfnicken. »Mein Kompliment, Cera.«
»Es kommt auch nicht oft vor, dass unsere Prinzessin Gelgéis den König von Muman heiratet und wir sie begleiten dürfen, um unsere Kampfkünste vorzuführen«, antwortete das Mädchen ernst. »Meine Kameradinnen und ich freuen uns auf den großen Jahrmarkt, auf dem wir unsere Fähigkeiten in zahlreichen Schaukämpfen unter Beweis stellen werden.«
Enda und seine junge Kameradin überließen es ihren Dienern, die Waffen, Schilde und Rüstungen einzusammeln und zur Burg zurückzubringen; sie drehten sich um und spazierten nebeneinander über den Marktplatz des Städtchens zu Rumanns Gasthaus. Dort würden sie einen kühlen Apfelwein zu sich nehmen, eine höchst willkommene und angemessene Belohnung für ihre Mühen, sich auf die Schaukämpfe vorzubereiten.
Enda war sehr beeindruckt gewesen, als Prinzessin Gelgéis ihre Einheit weiblicher Kriegerinnen zu ihrer Hochzeit mitgebracht hatte. Er hatte schon von den Töchtern des Sturms gehört und sie in Gelgéis’ Burg in Durlus Éile auch gesehen. Er hatte sie allerdings noch nie in Aktion erlebt. Als Prinzessin von Durlus Éile und als Mitglied der Herrscherfamilie von Osraige hatte Gelgéis das Recht, sich auszusuchen, wer ihrer Leibgarde angehörte. Auch wenn weibliche Kriegerinnen als Leibwächterinnen längst nicht mehr so verbreitet waren wie früher, folgte Gelgéis offenbar der uralten Tradition, die Bewachung ihres Haushalts einer Einheit weiblicher Kriegerinnen anzuvertrauen. Enda fühlte sich zu der jüngsten Kriegerin unter ihnen hingezogen – zu Cera, die gleichzeitig die Zofe der Prinzessin war. Die Anziehung zwischen Enda und Cera beruhte auf Gegenseitigkeit, und jetzt übten die beiden sich im Kampf gegeneinander, weil sie auf dem bevorstehenden Jahrmarkt ihre Kampfkunst öffentlich vorführen wollten.
Cera hatte Enda erklärt, dass der Legende nach Óengus Osrithe vor einigen Jahrhunderten das Königreich Osraige gegründet hatte, dessen Bewohner man nach ihm benannte: »Volk des Rotwilds«. Er hatte eine Sondereinheit aus Kriegerinnen aufgebaut, denn seine Mutter Cindnit war selbst eine berühmte Kriegerin gewesen. Er heiratete Sadb, die Dreifach Unschlagbare, ebenfalls eine große Kriegerin. Ihr schlagkräftiges Bataillon aus weiblichen Kämpferinnen nannte sich Na Scaileadha, die Beschützerinnen oder Schilde. Doch die Tradition der Kriegerinnen war im Verschwinden begriffen. Heute war Gelgéis die Einzige, die noch eine weibliche Elite-Leibgarde unterhielt: die Töchter des Sturms. Meistens traten sie auf den zahlreichen großen Jahrmärkten überall in den Fünf Königreichen auf und stellten dort ihre herausragenden Kampfkünste unter Beweis.
Die Tradition der Kriegerinnen hatte in der irischen Gesellschaft große Bedeutung. Glaubte man den einstigen Geschichtenerzählern, dann war es Scáthach gewesen, die an ihrer Schule alle großen Helden und Meister in den Kampfkünsten unterrichtete. Hatte nicht auch Cúchullain seine Kampfkunst bei ihr gelernt? Sie hatte ihm seinen berühmten Sprung des Kriegers, den torann chless oder Donnerfuß, beigebracht. Hatte er nicht den meisterhaften Umgang mit seinem berühmten Speer, dem Gae Bolga oder Bauchaufschlitzer, dank ihrer Unterstützung gelernt? Schließlich hatte er sämtliche Fertigkeiten, die sie ihm beigebracht hatte, gebraucht, um eine der gefürchtetsten Kriegerinnen, Éis Énchenn, zu besiegen. Auch Aoife, Scáthachs Zwillingsschwester, hatte an ihrer Schule für Kampfkunst berühmte Krieger und Kriegerinnen ausgebildet. Bec von den Gamanrad und die Elitekrieger von Connacht erwarben sich dort ihren furchterregenden Ruf, ebenso wie Cathach Chatchenn, Ceidne, Erc und andere Meisterinnen der Fianna, der weiblichen Leibgarde des Hochkönigs. Sogar Fidelmas Namensvetterin Fidelma, die Neunfache Schönheit, wurde als eine der großartigsten Meister-Kriegerinnen verehrt.
Heutzutage existierten zwar nach wie vor kleinere Einheiten von Kriegerinnen, die in ihren Akademien auch weiterhin die Kampfkunst unterrichteten, doch die Provinzkönige und ihre Adligen griffen selbst in Kriegszeiten nur im äußersten Notfall auf deren Dienste zurück. Enda wusste, dass Frauen nach dem Gesetz das Recht und häufig auch die Pflicht hatten, Waffen zu tragen, um ihr Volk zu verteidigen; sie wurden jedoch niemals dazu gezwungen, wie gewisse fanatische Anhänger des Neuen Glaubens immer wieder behaupteten, um so ihre Ablehnung der alten Gesetze zu begründen und darauf zu drängen, dass man den Frauen ihre angestammten Rechte entzog.
Enda war trotz allem jedes Mal überrascht, wenn er einer Kriegerin wie Cera begegnete, die ihm nicht nur im Zweikampf tapfer standhielt, sondern auch eine geschickte Reiterin war, beim Speerwerfen fast alle Krieger, die er kannte, ausstach und im Bogenschießen eine so überragende Treffsicherheit bewies, dass er in der Schlacht viel lieber sie an seiner Seite gehabt hätte als die meisten altgedienten Kameraden, mit denen er gekämpft hatte.
Die Idee, auf dem Jahrmarkt ihre Kampfkünste vorzuführen, stammte von Prinzessin Gelgéis und König Colgú. Sie glaubten, ein Wettbewerb zwischen den Kriegerinnen, die zu Besuch hier waren, und den Mitgliedern von Colgús Leibwache, den Nasc Niadh oder Kriegern vom Goldenen Halsreif, würde allseits auf breites Interesse stoßen. Enda und Cera hatten schon seit geraumer Zeit gemeinsam geübt, doch es war nicht nur Ceras Geschicklichkeit als Kriegerin, die ihn in ihren Bann zog. Cera vertrat bei vielen Gesprächsthemen ihren eigenen Standpunkt. Sie konnte die Werke irischer Dichter aus dem Gedächtnis aufsagen und hatte damit sogar Bruder Dáire, den Schreiber und Bibliothekar der königlichen Burg, beeindruckt. Enda gestand sich ein, dass er sie auch körperlich sehr anziehend fand, und war überrascht, dass sie seine Gefühle zu erwidern schien.
In Rumanns schummrigem Gasthaus, das am Marktplatz des Städtchens lag, suchten sich Enda und Cera mit einem Becher starken, kühlen Apfelwein einen Platz und begannen, über den bevorstehenden Jahrmarkt zu sprechen. Die Unterhaltungen der anderen Gäste drehten sich meist um die Schwierigkeiten und Rivalitäten zwischen den Prinzen und Adligen, die nicht nach Cashel gekommen waren, um Colgú und Gelgéis bei ihrer Hochzeit den gebotenen Respekt zu zollen. Von den nicht erschienenen Gästen waren zwei besonders bemerkenswert. Der eine war Gelgéis’ Cousin Tuaim Snámha, der unbedeutende König von Osraige, das wie eine Pufferzone zwischen den Königreichen Laighin und Muman lag. Manchmal ergriff Osraige für Laighin Partei und manchmal für Muman, je nachdem, von wem es sich größere Vorteile versprach. Im Augenblick war Tuaim Snámha vertraglich verpflichtet, Tribute an Cashel zu entrichten. Eigentlich war Colgú Gelgéis zum ersten Mal begegnet, als er einen Aufstand in Osraige niederschlug.
Der andere ferngebliebene Gast, von dem man allerdings nichts anderes erwartet hatte, war Fianamail, der König von Laighin, der ständig danach trachtete, seinen Machtbereich über die Grenzen Mumans hinaus auszuweiten.
»Glaubst du, Tuaim Snámha wird seine Meinung in letzter Minute noch ändern und Colgús Einladung folgen, unseren Jahrmarkt zu besuchen?«, fragte Enda, während er seinen Apfelwein trank; das Thema, das die Gäste um sie herum diskutierten, hatte sein Interesse geweckt. Es war schon eine heftige Beleidigung gewesen, dass der Herrscher von Osraige nicht an der Hochzeitsfeier teilgenommen hatte. Manch einer schien zu glauben, sein Erscheinen auf dem Jahrmarkt könnte das wiedergutmachen.
Cera schüttelte den Kopf. »Tuaim Snámha denkt, es stärkt seine Position, wenn er Colgús Einladung ignoriert. Falls Colgú Osraige seinen Ärger über diese Beleidigung spüren lässt, könnte das ein böses Ende nehmen. Jeder Schritt gegen Osraige könnte Fianamail zum Eingreifen veranlassen. Er ist ein gerissener Herrscher; das beweist schon allein die Tatsache, dass er immer noch an der Macht ist.«
Enda stimmte ihr zu. »Als Fianamail sein Heer auflösen musste – sein Heer, das er an den Grenzen von Osraige stationiert hatte, um Tuaim Snámha zu unterstützen –, konnte Tuaim Snámha sich auf dem Thron halten, obwohl er nachweislich in die Verschwörung gegen Cashel verstrickt gewesen war.«
Im Auftrag des Hochkönigs hatte der Oberste Brehon der Fünf Königreiche erkannt, dass Fianamail Osraige benutzen wollte, um seine territorialen Bestrebungen zu verfolgen und Teile des Königreichs Muman zu besetzen. Der Oberste Brehon hatte Fianamail im Zaum gehalten, indem er ihm drohte, ihm den bórama-Tribut aufzuerlegen, falls sich herausstellen sollte, dass er weiterhin gegen Muman intrigierte; so herrschte seit zwei Jahren ein unsicherer Frieden.
Bórama nannte man den Viehtribut, der zum ersten Mal König Eochaid von Laighin auferlegt wurde, als er Fithir, die Tochter des Hochkönigs, heiratete, nachdem er ihre Schwester Dáirine vergewaltigt hatte. In der Folge waren die beiden jungen Frauen gestorben. Zur Vergeltung hatte Hochkönig Tuathal Techtmar Eochaids Heer vernichtend geschlagen, den König von Laighin getötet und seinen Nachfolgern den bórama auferlegt, der jährlich zu entrichten war.
»Es ist bedauerlich, dass zwischen Laighin und Muman kein Frieden herrscht«, bemerkte Cera seufzend, als sie über die Situation nachdachte. »Für uns in Dúrlus Éile waren es sehr angespannte Zeiten; es stand zu befürchten, dass Laighin Prinzessin Gelgéis’ Heirat als Vorwand nutzen könnte, um sich erneut mit Tuaim Snámha zu verbünden und Muman anzugreifen.«
Enda verzog das Gesicht. »Es wäre töricht, wenn Fianamail von Laighin und Tuaim Snámha von Osraige den jetzigen Zeitpunkt für geeignet hielten, um Cashel zu provozieren. Sie können absolut nichts dabei gewinnen, wenn sie den Hochkönig und seinen Obersten Brehon geradezu herausfordern, ihnen den bórama aufzuerlegen.«
»Vielleicht geht Fianamail davon aus, dass der neue Hochkönig, Cenn Faelad, weniger Entschlossenheit an den Tag legen wird als sein verstorbener Bruder Sechnussach. Fianamail wollte den Hochkönig und den Rat der Brehons schon immer dazu bringen, ihm nicht länger mit dem bórama zu drohen.«
Enda nippte seufzend an seinem Apfelwein. »Man kann Prinzessin Gelgéis’ Cousin genauso wenig trauen wie Fianamail von Laighin. Wir müssen ein wachsames Auge auf alle beide haben.« Nach kurzem Zögern fuhr er fort: »Eine Sache verwirrt mich allerdings …«
»Nur eine?« Die junge Frau lächelte.
»Ganz im Ernst. Du gehörst zu den Töchtern des Sturms, zu einer Einheit von Elitekriegerinnen, die geschworen haben, Osraige zu verteidigen. Wie könntest du dich also weigern, für Osraige zu kämpfen, wenn dir das befohlen wird?«
Cera sah Enda vorwurfsvoll an. »Wir haben geschworen, die Prinzessin von Durlus Éile zu verteidigen«, verbesserte sie ihn. »Unsere Einheit stammt aus Durlus Éile, das zu Osraige gehört, und wir sind in allererster Linie Durlus Éile verpflichtet. Außerdem zahlt Tuaim Snámha momentan Tribute an Cashel, und es wäre der reine Wahnsinn, wenn er sich auf ein Bündnis mit Laighin einlassen würde, um unsere Prinzessin anzugreifen.«
Enda rieb sich nachdenklich den Nacken. »Immer diese Politik! Davon verstehe ich nicht viel. Wenn du ein Bataillon aufstellen könntest, das so hervorragend ist wie die Töchter des Sturms, dann müssten wir uns wegen der Drohungen von Tuaim Snámha oder Fianamail keine Sorgen machen.«
Cera lachte geschmeichelt. »Ich wünschte, du hättest recht. Aber es ist schon viele Generationen her, seit wir an einer großen Schlacht beteiligt waren. Du bist vermutlich alt genug, um vor sechs Jahren am Cnoc Áine dabei gewesen zu sein?«
»Eine traurige Angelegenheit«, gab Enda zu. »Die Uí Fidgente hatten die Spannungen zwischen sich und den Eóghanacht von Cashel jahrelang geschürt, bis es schließlich zu dieser Schlacht kam. Und heute … heute ist Prinz Donennach von den Uí Fidgente einer der besten Freunde von Colgú von Cashel geworden.«
»Ich habe gehört, das Bündnis zwischen ihnen sei vor allem Colgús Schwester Fidelma zu verdanken?«
»Das stimmt. Ich hatte das Glück, während ihrer Vermittlungsbemühungen die ganze Zeit als Leibwächter an ihrer Seite zu sein … Natürlich gemeinsam mit ihrem sächsischen Ehemann.« Enda verzog das Gesicht. »Er selbst bezeichnet sich nicht als Sachsen, sondern als Angel, denn er stammt aus dem Königreich der Ostangeln. Das scheint ein merkwürdiger Ort zu sein.«
»Ich wünschte, ich hätte auch am Cnoc Áine kämpfen können«, sagte Cera bedauernd.
»Es ist besser, wenn man nirgendwo kämpfen muss«, entgegnete Enda nachdenklich.
»Wie kannst du als Krieger so etwas sagen?«, erwiderte Cera, die sein kritischer Unterton überraschte.
»Selbst im mächtigen Römischen Reich mit seinem gewaltigen Heer schrieb jemand, der Krieg sei der Schrecken aller Mütter. Das sehe ich genauso. Krieg ist etwas Schreckliches.«
»Warum bist du dann Krieger geworden?«
»Vermutlich, weil ich eine sehr einfache Einstellung habe«, antwortete Enda. »Als Krieger glaube ich an den Ehrenkodex, der für jeden Krieger gilt: die Schwachen und Verletzlichen vor denen zu schützen, die ihnen gewaltsam ihren Willen aufzwingen möchten und dazu weder durch moralische noch gesetzliche Leitlinien befugt sind.«
»Dann sollten sich bei einer Einberufung also nur die zum Dienst melden, die das aus moralischen oder rechtlichen Gründen tun?«
Enda lächelte zustimmend. »Deshalb brauchen wir ja Elitetruppen, die nicht nur im Gebrauch der Waffen geübt, sondern auch vom Geist ihres Berufsstandes durchdrungen sind, und der beinhaltet meiner Meinung nach moralische und juristische Gesetze. Dabei steht die Moral immer an erster Stelle. Wenn eine Einberufung notwendig wird wie zum Beispiel damals für die Schlacht am Cnoc Áine, dann ist es die Aufgabe dieser Elitekrieger, das Verhalten derer im Auge zu behalten, die sich freiwillig zu den Waffen gemeldet haben. Sie müssen sicherstellen, dass man den Kriegern nicht vorwerfen kann, gegen den Moralkodex verstoßen zu haben. Zum Glück finden solche Auseinandersetzungen nur selten statt.«
Cera dachte ein Weilchen nach. »Aber was, wenn ein König oder dessen adliger Befehlshaber unmoralische Ziele verfolgen? Wie können Elitekrieger, die dem König einen Eid geschworen haben, sich gegen ihn stellen und sein ganzes Heer davor bewahren, gegen die Moral zu verstoßen, indem es für seine unmoralischen Ziele kämpft?«
»Du denkst vermutlich wieder an Fianamail von Laighin?«
»Ich habe eher ganz allgemeine Überlegungen angestellt«, antwortete Cera. »Fianamail ist allerdings ein gutes Beispiel dafür. Bischof Molling Luach aus Fearna unterstützt seine Bestrebungen. Er lässt sich sogar von Fianamail als dessen Gesandter zum Hochkönig schicken.«
»Leider verfolgen viele Kirchenmänner eigene politische Interessen. Molling ist einer von ihnen, doch es gibt in den Fünf Königreichen noch jede Menge andere.«
»Ich bin Bischof Molling und Fianamail schon begegnet«, sagte Cera zu Endas großer Überraschung.
»Du bist dem König von Laighin begegnet?«, fragte er beeindruckt.
»Unsere Truppe ist auf dem Jahrmarkt in Loch Garman aufgetreten, der alle drei Jahre stattfindet. Wir haben unsere Fertigkeiten in der Kampfkunst vorgeführt. Außerdem mussten wir uns Fianamails Denunziationen anhören; er behauptete, alle anderen Königreiche hätten sich gegen ihn verschworen. Meiner Meinung nach hat er sich selbst viel zu wichtig genommen. Es ging ihm um allgemeine Aufmerksamkeit und Bewunderung, und als er die nicht bekam, verlor er jedes Maß.«
»Aber du hast ihn dort höchstpersönlich erlebt? Was für ein Mensch ist er?«
»Als er zu uns kam und die Auszeichnungen für die besten Teilnehmerinnen im Bogenschießen, Reiten und Speerwerfen verlieh«, antwortete Cera, »fühlte ich mich in seiner Gegenwart sehr unbehaglich. Ihm fehlt jede Tiefe oder Wärme. Sein Blick ist hart, und er schaut die Menschen an, ohne ihnen wirklich in die Augen zu sehen; fast schien es, als wäre er selbst sehr unsicher. Sein Blick schweifte in die Ferne; es war der Blick eines Mannes, dem man nicht trauen kann.«
Enda schnaubte abschätzig. »Dann hat er sich offenbar nicht geändert, seit ich ihm zum ersten Mal begegnet bin.«
Jetzt war Cera sichtlich beeindruckt.
»Er hatte gerade als Nachfolger von Faelan, dem Sohn von Colmán, den Thron von Laighin bestiegen. Auf mich wirkte er wie ein beleidigter junger Bursche. Man hatte mich und meine Kameraden Dego und Aidan ausgewählt, um Lady Fidelma bei einem Auftrag nach Fearna zu begleiten. Die fanatische Äbtissin Fainder hatte Eadulf, der damals noch nicht mit Fidelma verheiratet war, gefangen genommen. Sie war entschlossen, Eadulf hinrichten zu lassen, und wollte damit irgendein neues Kirchengesetz aus Rom befolgen, das ihre Abtei übernommen hatte. Man berief eine Versammlung im großen Saal von Fearna ein. Fianamail sollte darüber befinden, ob Fainder und ihre Anhänger gegen die Gesetze der Fünf Königreiche verstoßen hatten.«
»Wer hat denn dafür gesorgt, dass Fianamail unsere Gesetze nicht falsch auslegt?«
»Glücklicherweise hatte der Hochkönig seinen Obersten Brehon Barren zu der Versammlung geschickt. Nach der Anhörung hat man den jungen Fianamail nach Tara beordert, wo der Hochkönig ihm eine Verwarnung erteilt hat. Ich muss dir mal die ganze Geschichte erzählen, wenn wir mehr Zeit haben …«
Den letzten Satz hatte Enda gesagt, weil er eine hochgewachsene Frau entdeckt hatte, die, wie Cera, schon an ihrer Kleidung als Kriegerin zu erkennen war und gerade das Gasthaus betrat. Ihr pechschwarzes Haar wallte wie eine Löwenmähne um ihren Kopf. Ihre Augen waren dunkel und tief liegend, und die dünne Linie ihrer Lippen war missbilligend nach unten gezogen. Ihr Gesicht war vielleicht ein wenig zu knochig und kantig, um anziehend zu wirken. Sie sah jung aus, hatte jedoch eine recht kurvenreiche Figur, die offensichtlich gut durchtrainiert war. Sie machte ein finsteres Gesicht, während sie zu ihnen herüberkam. Enda erkannte sie: Es war Créth, die Befehlshaberin der Töchter des Sturms.
»Ich habe dich gesucht, Cera«, sagte sie, als sie an ihrem Tisch stehen blieb.
»Enda und ich sind gerade mit den Schwertübungen für den Jahrmarkt fertig geworden«, antwortete Cera und war sofort in Verteidigungshaltung. »Wir haben uns noch über ein paar Feinheiten bei unserem Zweikampf unterhalten.«
Die hochgewachsene Befehlshaberin schnaubte sichtlich verärgert.
»Es geht um einen Wettkampf, für den du engagiert bist, und nicht um ein gemeinsames Vorhaben.« Ihr Ton war noch vorwurfsvoller als ihre Miene. »Wie auch immer, Prinzessin Gelgéis ist auf der Suche nach dir.«
»Nach mir?«, fragte Cera verblüfft.
»Ich denke, ich habe mich klar und deutlich ausgedrückt«, herrschte Crédh sie an. »Vergiss nicht, dass dir als die Jüngste in unserer Truppe auch die Aufgabe einer inaillt für unsere Prinzessin zufällt.«
Der Ausdruck bezeichnete keine Dienerin, sondern eher eine Zofe, die sich um eine hochgestellte Dame kümmerte, wenn man ihrer bedurfte.
»Ich werde mich augenblicklich bei ihr melden«, antwortete Cera und errötete. Sie stand auf, warf Enda verlegen einen entschuldigenden Blick zu und eilte hinaus.
»Du solltest diejenigen, die unter meinem Befehl stehen, nicht von ihren Pflichten ablenken«, sagte Crédh mit tadelndem Blick zu ihm, als sie allein waren.
Als Befehlshaber der Leibwache des Königs betrachtete Enda Crédh als ihm gleichgestellt und hatte ihr das bei früheren Gelegenheiten bereits zu verstehen gegeben, denn ihm war schon aufgefallen, dass sie ein überlegenes Gehabe an den Tag legte.
»Ich habe das nicht als Ablenkung verstanden«, entgegnete er ernst. »Wir sind beide Krieger und haben über die Feinheiten in unserem Beruf diskutiert. Das ist so kurz vor der Vorführung unserer Kampfkunst auf jeden Fall hilfreich.«
»Für uns ist das eher ein Wettkampf«, wiederholte die hochgewachsene Frau barsch. »Bei einem Wettkampf gibt es einen Sieger und einen Verlierer. Die beiden Gegner diskutieren vor dem Turnier nicht über ihre Möglichkeiten. Schließlich geht es hier darum, vorzuführen, wer in einem Kampf auf Leben und Tod der Bessere ist.«
Enda sah sie nachdenklich an.
»Dann wollen wir hoffen, die Krieger beider Parteien haben begriffen, dass der Wettkampf nur eine Veranschaulichung ist und kein Ernstfall«, sagte er leise.
Warum sollte jemand mitten in der Nacht eine mit Ziegenleder bespannte Trommel schlagen? Das war die erste Frage, die Fidelma durch den Kopf schoss, als sie in ihrem warmen Bett widerwillig erwachte und sich bemühte, zu unterscheiden, was Traum war und was Realität.
Sie blieb sekundenlang liegen und lauschte den Trommelgeräuschen, bevor sie allmählich begriff, dass jemand hartnäckig an ihre Schlafzimmertür klopfte. Sie blinzelte, um in der Dunkelheit klarer zu sehen. Dann warf sie die dicke Wolldecke ab und schwang sich aus dem Bett. Eadulf neben ihr stöhnte leise, weil man seinen Schlaf störte. Fidelma beobachtete besorgt, wie er sich herumwälzte. Er hatte in letzter Zeit nicht gut geschlafen und ein paar Mal auch im Schlaf gesprochen, aber da er seine Muttersprache benutzte, konnte sie seine Worte nicht wirklich verstehen. Das dringliche Klopfen hörte nicht auf, und Fidelma tastete sich zur Tür hinüber.
Draußen stand eine Gestalt, die in ihrer zitternden Hand eine flackernde Kerze hielt.
Es war Muirgen, die Kinderfrau von Fidelmas und Eadulfs Sohn Alchú, die außerdem als Haushaltshilfe für sie arbeitete. Fidelma war augenblicklich hellwach.
»Ist was mit Alchú? Ist meinem Sohn etwas passiert?«, fragte sie, bevor Muirgen etwas sagen konnte.
»Nein, Lady«, beschwichtigte sie die ältliche Kinderfrau. »Der Junge schläft, und es geht ihm gut. Es ist Enda, der dich dringend sprechen möchte.«
Fidelma wusste, dass Enda als Befehlshaber der königlichen Leibwache sie niemals ohne guten Grund mitten in der Nacht stören würde. Sie sah sich nach ihrem Gewand um, und ihr Blick fiel auf Eadulf, der ächzte und sichtlich Mühe hatte, wach zu werden.
»Was ist los?«, brummte er und setzte sich benommen auf.
»Ich weiß es nicht genau. Enda möchte mich sprechen«, antwortete Fidelma und wickelte ihr Gewand fester um sich. »Es muss wichtig sein.«
Kaum hatte sie das gesagt, da war Eadulf auch schon aufgestanden und kleidete sich an.
»Es ist noch nicht mal Tagesanbruch«, murrte er, als er aus dem Fenster schaute.
Muirgen führte sie im Kerzenschein in ein angrenzendes Zimmer, in dem Fidelma und Eadulf normalerweise ihre Gäste empfingen.
»Ruf mich, wenn du mich brauchst, Lady«, sagte sie und machte einen Schritt zur Seite, damit sie eintreten konnten.
Vor dem Kamin stand wartend die hochgewachsene, jugendliche Gestalt von Enda; er konnte seine Anspannung nur schlecht verbergen. Man hatte bereits eine Laterne angezündet und das Holzfeuer, das kurz zuvor bis auf ein Häuflein rauchender grauer Asche heruntergebrannt war, wieder neu entfacht.
Als Fidelma und Eadulf den Raum betraten, drehte Enda sich um und begrüßte sie beide flüchtig. Im Nachhinein wurde ihnen bewusst, dass er ihnen sofort auffallend blass und verstört vorgekommen war. Es war ungewöhnlich, dass man dem sonst so stoischen Krieger überhaupt ansah, wie ihm zumute war.
»Verzeih mir, dass ich dich störe, Lady, aber dein Bruder, der König, möchte dich unverzüglich sehen.« Endas Stimme verriet eine Gefühlsregung, die Fidelma nicht einordnen konnte.
»Ist alles in Ordnung mit meinem Bruder?«, wollte sie sofort wissen.
»Es ist alles in Ordnung, Lady.« Nach dieser Versicherung zögerte Enda einen Moment, bevor er hinzufügte: »Man hat in den königlichen Gemächern einen Leichnam gefunden.«
Fidelma starrte ihn entgeistert an.
»Und Prinzessin Gelgéis, geht es ihr gut?«, hakte sie nach. Es war erst einen Monat her, seit ihr Bruder und Gelgéis endlich geheiratet hatten.
Als Enda gerade zu einem Kopfnicken ansetzte, sprach Eadulf die drängendste Frage aus: »Wessen Leichnam hat man gefunden?«
Alle schwiegen, und Fidelma bemühte sich, ihren Ärger darüber im Zaum zu halten, dass sie dem jungen Krieger alles aus der Nase ziehen musste.
»Deinem Bruder und seiner Gattin geht es gut, aber sie sind äußerst bestürzt und brauchen deine Unterstützung.« Enda sprach merkwürdig stockend; es war mehr als deutlich, dass er ihnen nicht alles verriet, was er wusste.
»Weißt du, wer der Tote ist, den man gefunden hat?«, fragte Fidelma.
Endas Gesichtsmuskeln zuckten. »Cera«, antwortete er mit erstickter Stimme.
Eadulf wechselte einen Blick mit Fidelma. In den letzten Tagen, nach den Hochzeitsfeierlichkeiten, hatten sie beide den jungen Krieger mehrmals in Gesellschaft des Mädchens gesehen, und nicht immer nur während ihrer Übungen für den bevorstehenden Jahrmarkt.
Nach kurzem Zögern stellte Fidelma Enda die unvermeidliche Frage.
»Du sagst, man habe ihren Leichnam in den königlichen Gemächern gefunden? Wie ist sie gestorben?«
Wieder kam die Antwort nur langsam. Es fiel Enda sichtlich schwer, seine Gefühle unter Kontrolle zu halten. Seine Stimme war nur noch ein leises Murmeln.
»Komm schon, Enda, sprich laut und deutlich«, ermahnte ihn Eadulf, der zwar Mitgefühl mit ihm hatte, aber auch überlegte, wie man aus einer von Gefühlen überwältigten Person am besten etwas herausbekommen konnte. »Du warst schon in vielen Situationen unser Gefährte und bist mit dem Tod vertraut.«
Enda zuckte die Schultern, doch es blieb unklar, was das bedeuten sollte. Fast schien es, als würde er gleich in Tränen ausbrechen.
»Wir wissen, dass du das Mädchen gekannt hast, Enda.« Fidelma bemühte sich um einen mitfühlenden Ton. »Sag meinem Bruder, dass Eadulf und ich bei ihm sind, sobald wir uns kurz frisch gemacht haben.«
Enda neigte zur Bestätigung leicht den Kopf und verließ den Raum. Es war ungewöhnlich, ihn so, mit gebeugtem Kopf, weggehen zu sehen, als würde ihn eine schwere Last niederdrücken. Fidelma und Eadulf brauchten nicht lange, um sich Hände und Gesicht in einer Schüssel zu waschen, die Muirgen ihnen gebracht hatte, und sich fertig anzuziehen. Fidelma schaute noch kurz nach ihrem Sohn Alchú. Der Junge schlief friedlich. Muirgen versicherte Fidelma, dass sie gut auf ihn aufpassen würde, falls er in irgendeiner Weise in Gefahr wäre. Dann gingen Fidelma und Eadulf über den dunklen Innenhof hinüber zur königlichen Residenz. Der Eingang war von brennenden Fackeln erleuchtet, die zu flackern begannen, als die allmorgendliche Brise aufkam, die stets die nahende Dämmerung ankündigte.
Am Haupteingang zur Residenz stand ein Krieger Wache. Es war der einarmige Dego. Eadulf hatte Dego das Leben gerettet, auch wenn er dabei dessen rechten Arm nicht retten konnte. Dego hatte eine beachtliche Anpassungsfähigkeit bewiesen und konnte nach monatelanger Übung das Schwert mit seiner linken Hand ebenso geschickt führen wie vorher mit der rechten. Die Entschlossenheit, mit der er seinen körperlichen Nachteil auszugleichen versuchte, hatte König Colgú so beeindruckt, dass der Krieger weiterhin Mitglied der lucht-tighe, der Leibwache in der Königsburg, bleiben durfte.
Dego trat ihnen einen Schritt entgegen, erkannte sie und grüßte sie mit seiner Linken.
»Der König und seine Gattin erwarten euch in ihrem privaten Empfangszimmer. Enda ist auch gerade reingegangen.«
»Wo ist der Leichnam?«, fragte Fidelma.
»Niemand hat ihn angefasst, er liegt noch dort, wo man ihn gefunden hat, Lady. Das war in einem der Zimmer im neu erbauten Sicherheitstrakt des Königs.«
Fidelma war verblüfft. Tech-termonn oder »Sicherheitstrakt« war der Name, den ihr Bruder dem neuen Anbau mit vier Zimmern gegeben hatte, den er zusammen mit seinem Baumeister Rodaige entworfen hatte. Man hatte den Anbau während Fidelmas und Eadulfs letzter Reise errichtet. König Colgú war zweifellos von seinem ausgeprägten Sicherheitsbedürfnis dazu angeregt worden sowie von Rodaiges Beschreibungen der neuen Anlagen, die viele Adlige im Norden in Auftrag gaben, nachdem sie von Missionaren, die aus Rom und dem Heiligen Land zurückgekehrt waren, von solchen Gebäuden gehört hatten.
Colgú hatte die königlichen Gemächer ohnehin erweitern wollen, damit er und seine Gattin nach der Hochzeit die Wohnräume in ihrer Residenz nicht mit wichtigen Besuchern oder Verwandten, die bei ihnen zu Gast waren, teilen mussten. Seine Idee war, an der Süd-West-Seite des Hauptgebäudes eine besonders abgeschottete Wohnung auf einem eigens dafür konstruierten, vier Meter hohen künstlichen Unterbau aus Felssteinen errichten zu lassen. Sie war nur vom Hauptgebäude aus zugänglich, und nur über eine schmale Treppe. Diese führte zu einem Flur, von dem vier Türen abgingen, zwei an jeder Seite. Hinter diesen vier Türen lagen die Zimmer. Es gab drei Schlafzimmer und ein fothrucadh, ein Badezimmer, in das man auch durch eine Tür vom Hauptschlafzimmer aus gelangte, wo Colgú und Gelgéis schlafen würden.
Die zwei anderen Zimmer auf der rechten Seite des Flurs waren für Colgús banmhaor oder Verwalterin Dar Luga und für Gelgéis’ Zofe vorgesehen.
»Willst du damit sagen, dass man den Leichnam in einem der Schlafzimmer gefunden hat?« Fidelma wollte es ganz genau wissen.
»Man hat die Tote im fothrucadh gefunden, gleich angrenzend an das Hauptschlafzimmer«, antwortete Dego. »Das war für Colgú ein Schock, denn er hat diesen Trakt ja aus Sicherheitsgründen gebaut. Trotzdem muss sich jemand dort Zutritt verschafft haben, obwohl eigentlich niemand hineingelangen kann, ohne dem Posten zu begegnen, der den einzigen Zugang zu diesem Bereich bewacht.«
»Und doch hat jemand genau das getan?«, fragte Fidelma.
»Man hat niemanden bemerkt«, räumte Dego ein. »Der Mörder ist anscheinend einfach verschwunden.«
Fidelma sah ihn mit großen Augen an.
»Befindet sich der Leichnam jetzt im Sicherheitstrakt?«, fragte Eadulf.
»Selbstverständlich. Dar Luga, die Verwalterin, bewacht ihn. Colgú hatte das Gefühl, die Prinzessin sollte den Sicherheitstrakt besser verlassen, und brachte sie in das kleine Empfangszimmer hier unten. Wie gesagt, sie sind dort jetzt zusammen mit Enda.«
»Hat sich Dar Luga während des Angriffs auf Cera im Sicherheitstrakt aufgehalten?«, fragte Eadulf verwirrt.
»Ja, aber dazu sollten sich andere äußern«, erwiderte Dego achselzuckend. »Ich habe zu dem Zeitpunkt hier am Haupteingang Wache gestanden und weiß deshalb nicht wirklich, was genau passiert ist. Ich möchte noch hinzufügen, dass dein Bruder, abgesehen von den Kriegern der Leibwache, die hier Dienst taten, niemanden von den Vorfällen in Kenntnis gesetzt hat. Er wollte nicht Alarm schlagen, bevor er sich mit dir beraten hat.«
Fidelma ging mit Eadulf zur Eingangstür. Dort zögerte sie und drehte sich noch einmal zu Dego um.
»Wer hat denn den Eingang zum Sicherheitstrakt bewacht, als sich der Vorfall ereignete?«
»Luan, Lady.«
Fidelma bedankte sich bei Dego, der den Arm ausstreckte, die Türklinke herunterdrückte und die Eingangstür zur königlichen Residenz öffnete.
Bei ihrem Eintreten tauchte ein zweiter Krieger im schummrigen Lampenlicht des Flurs auf. Es war Aidan, ebenfalls Mitglied der königlichen Leibwache, den sie gut kannten. Er hatte am Fuß der Haupttreppe gegenüber den großen Flügeltüren zum Festsaal Posten bezogen. Nachdem er sie begrüßt hatte, ging er schweigend einen Schritt zurück. Weiter hinten im Flur entdeckten sie Luan, einen Gefährten bei früheren Abenteuern. Er bewachte die Tür zu Colgús privatem Empfangszimmer im Erdgeschoss, das sich genau gegenüber dem Eingang zu einer schmalen Holztreppe befand, dem einzigen Zugang zum Sicherheitstrakt.
Luan sah Fidelma und Eadulf herbeieilen, drehte sich um, klopfte an die Tür hinter ihm, wartete kaum eine Antwort ab und schwang sie auf, damit die beiden eintreten konnten, ohne anzuhalten. Enda stand verstört im Zimmer. Prinzessin Gelgéis wandte ihnen ihr blasses Gesicht zu und war bei ihrem Anblick sichtlich erleichtert. Sie saß auf einem Sofa neben dem Kamin. Trotz der sommerlichen Temperaturen hatte sie sich fest in ein dickes Schultertuch aus Wolle gewickelt, und ihr Haar fiel offen herunter. Anscheinend war sie in höchster Eile aus dem Bett gestiegen und hatte keine Gelegenheit gehabt, sich zu kämmen oder zu frisieren.
Vor dem Kaminfeuer stand zerzaust Fidelmas Bruder Colgú; er hatte sich einen Mantel übergeworfen, die Hände hinter dem Rücken verschränkt und sein Gesicht in sorgenvolle Falten gelegt. Sein rotes Haar stand ihm wirr vom Kopf ab, und er hatte, seit man ihn geweckt hatte, offenbar keinen Versuch unternommen, sich frisch zu machen.
»Hat jemand die Tote untersucht?«, fragte Eadulf gleich beim Eintreten und vergaß dabei ganz die Benimmregeln, die besagten, dass man in Anwesenheit des Königs nicht als Erster sprechen durfte.
Niemand hielt es für angebracht, ihn an diese Vorschrift zu erinnern.
»Es war nicht schwer, festzustellen, dass das arme Mädchen tot ist«, entgegnete Colgú mürrisch und trat von einem Fuß auf den anderen. »Angesichts ihrer Verletzung stand das für mich außer Zweifel. Man hat ihr die Kehle durchgeschnitten. Ihre Brust ist voll Blut.«
»Bevor wir fortfahren«, unterbrach ihn Fidelma, als Eadulf anscheinend noch eine weitere Frage stellen wollte, »erklär mir, was passiert ist, Bruder. Ich nehme an, du hast die Tote gefunden? Wie kam es dazu?«
»Ich bin mitten in der Nacht durch ein ungewöhnliches Geräusch aufgewacht«, antwortete Colgú nach kurzem Nachdenken. »Etwas war im Nebenraum, unserem Badezimmer, auf den Boden gefallen. Ich bin aufgestanden, habe eine Kerze genommen und sie an einem glühenden Span im Kamin angezündet. Dann ging ich dorthin, woher das Geräusch gekommen war, um nachzusehen.«
Colgú sah die gerunzelte Stirn seiner Schwester und lächelte humorlos. »Ich war so geistesgegenwärtig, mein Schwert mitzunehmen, um mich zu schützen.« Er überlegte kurz. »Gelgéis schlief noch. Ich ging zu der Tür, die von unserem Zimmer aus ins Bad führt, drückte die Klinke herunter und öffnete sie mit einem Ruck. Im trüben Licht der Kerze sah ich den Körper einer Frau, der über einer Bank lag, aber sonst war niemand im Raum. Der Mörder kann nur durch die gegenüberliegende Tür entkommen sein, die auf den Flur hinausführt. Ich ging hin, um sie zu öffnen, doch sie war abgeschlossen. Im Schloss steckte kein Schlüssel, und auch auf dem Fußboden lag keiner. Man musste sie von außen abgeschlossen haben. Ich eilte zurück ins Schlafzimmer. Gelgéis wurde gerade wach, und so schloss ich die Schlafzimmertür zum Flur auf und spähte hinaus. Als ich dort niemanden sah, rief ich laut und schlug Alarm. Ich drehte mich um, um sicherzugehen, dass Gelgéis wach war, und sagte ihr, sie solle sich etwas anziehen.«
»Wer hat auf deine Alarmrufe reagiert?«
»Luan stand am Fuß der Treppe Wache und kam heraufgerannt. Sekunden später öffnete Dar Luga, die im Zimmer gegenüber schläft, ihre Tür und trat heraus. Sie war noch im Halbschlaf.«
»Dann war also niemand durch den Mörder geweckt worden?«
»Das ist ja das Beunruhigende. Keiner der beiden hatte irgendwas gesehen oder gehört, bevor ich gerufen habe. Ganz sicher war niemand die Treppe hinunter an Luan vorbeigekommen. Dabei ist das der einzige Ausgang.«
»Ist jemand in den Raum zurückgegangen, in dem die Tote lag?«
»Ich habe Luan befohlen, alle Räume im Sicherheitstrakt zu durchsuchen. Es sind ja nur vier. Dann sollte er die Krieger alarmieren, die sich unter der Treppe aufhalten. Ich wollte Gelgéis hier in dieses Zimmer hinunterbringen und bat deshalb Dar Luga, bei der Toten zu bleiben, bis dich jemand informiert hatte. Dar Luga musste noch einmal in ihr Zimmer zurückkehren; vermutlich, um sich etwas anzuziehen. Ich vergewisserte mich, dass Gelgéis hier in Sicherheit war, während Aidan sie bewachte. Dann ging ich wieder zu Dar Luga und Luan hinauf. Wir betraten nun wieder den Raum, in dem ich die Tote gesehen hatte. Erst da konnte ich eine große Lampe anzünden, und wir erkannten, dass es sich bei der Leiche um Gelgéis’ Zofe Cera handelte.«
Colgú schwieg und warf einen Blick zu Enda hinüber, der scheinbar gleichmütig und mit auf dem Rücken verschränkten Händen dastand; sein Blick ging ins Leere, als hätte er nichts mit den Versammelten zu tun.
»Und du hast die Leiche identifiziert?«, fragte Fidelma ihren Bruder.
»Wir alle haben sie gekannt«, bestätigte Colgú. »Cera war Gelgéis’ Zofe; ihr Zimmer liegt gegenüber dem Badezimmer. Enda wurde von dem allgemeinen Lärm herbeigerufen und tauchte bei uns im Sicherheitstrakt auf. Ich habe ihn dann losgeschickt, um dich zu wecken.«
»Wo genau lag die Leiche in dem Raum … Du sagst, es ist ein Badezimmer?«
»Wir benutzen den Raum als Toilette und um uns zu waschen und anzukleiden«, antwortete ihr Bruder. »Cera lag halb auf einer Bank, als wäre sie nach hinten gefallen. Man sah deutlich die Wunde und das Blut, das herausgeflossen war.«
»Du sagst, die Tür zwischen Bad und Flur ist normalerweise verschlossen?«, fragte Fidelma.
»Ich habe mir angewöhnt, die Türen zu meinem Schlafzimmer und zum Bad abzuschließen, bevor wir uns hinlegen. Die Schlüssel lasse ich immer innen in der Tür stecken. Wie ich schon sagte, steckte der Badezimmerschlüssel diesmal nicht dort.«
»Soll das heißen, das Mädchen hielt sich mitten in der Nacht in eurem Bad auf, hatte aber keinen Schlüssel, um dort hineinzugelangen? Hatte sie vielleicht einen Ersatzschlüssel?«
»Sie hatte keinen Schlüssel«, seufzte Colgú bedrückt.
»Und du sagst, man hat Cera die Kehle durchgeschnitten?«, fragte Eadulf.
»Richtig«, bestätigte Colgú.
Gelgéis konnte ihr Schluchzen nicht länger unterdrücken. Colgú nahm einen Becher vom Tisch und reichte ihn ihr. Sie trank ein paar kleine Schlucke daraus und schaute Fidelma an.
»Es tut mir leid. Cera stand erst seit kurzer Zeit in meinen Diensten, sie hatte ihre Kampfsportausbildung abgeschlossen und war in meine Leibgarde eingetreten. Sie war sehr jung.«
»Ich möchte noch etwas klären«, sagte Fidelma nach einigem Überlegen. Sie sah Enda an. »Das Mädchen war jung, gehörte aber trotzdem schon einer Einheit Kriegerinnen an – den Töchtern des Sturms. Dazu musste sie ihre Ausbildung abgeschlossen haben. Und doch wurde sie, soweit wir bisher wissen, überwältigt und getötet, bevor sie auch nur um Hilfe rufen konnte. Sie ist geräuschlos und schnell gestorben. Erst als sie tot zusammensank, wachte Colgú auf. Heißt das, dass ihre Fähigkeit zur Selbstverteidigung noch nicht perfekt war?«
Enda rührte sich, als sei er soeben aus dem Schlaf erwacht. Er klang wütend.
»Ganz im Gegenteil, Lady. Cera und ich haben in den letzten Wochen häufig gemeinsam unsere Kampfkunst geübt. Ich kann sagen, dass sie zu den stärksten Gegnern gehörte, die ich je hatte.«
»Enda, soll das heißen, dass der Mörder einfach nur Glück hatte oder dass er besser ausgebildet war als sie?«
»Das soll heißen, dass der, der sie getötet hat, nicht einfach ein Mörder war. Es war entweder jemand mit außergewöhnlichen Fähigkeiten oder zumindest jemand, den sie gut kannte, so dass sie nicht im Verteidigungsmodus war und er sie kalt erwischt hat.«
Alle schwiegen, während sie über seine Worte nachdachten. Dann fragte Fidelma: »Wir wissen also weder, warum Cera ihr Zimmer mitten in der Nacht verlassen hat und über den Flur hierherlief, noch wie sie das Badezimmer, in dem man sie gefunden hat, betreten konnte, obwohl es abgeschlossen war?«
Niemand antwortete ihr. Sie brauchte eine Weile, um die nächste Frage zu formulieren.
»Enda, ich nehme an, du bist hier aufgetaucht, nachdem Luan Alarm geschlagen hat?«
»Nachdem Dego den Alarm weitergegeben hatte, um genau zu sein. Er stand vor der Residenz, als er mich von dem Vorfall in Kenntnis setzte.«
»Gut, dann möchte ich mir jetzt ein Bild von den ersten Minuten machen, nachdem die Tote entdeckt wurde.«
Fidelma ging zur Tür, öffnete sie und bat Luan, der draußen Wache stand, hereinzukommen.
»Im Augenblick habe ich nur ein paar Fragen, Luan. Du warst im Dienst und hast heute Nacht die Treppe, die zum Sicherheitstrakt führt, bewacht?«
»Richtig. Mein Dienst begann im ersten cadar.«
Man unterteilte den Tag in vier Abschnitte, der erste cadar begann um Mitternacht.
»Als mein Bruder Alarm geschlagen hat, wo genau stand er da?«
»Er stand im Flur, vor der Tür zu seinem Schlafzimmer, und die war geöffnet.«
»Und während dieser Zeit ist niemand an dir vorbei die Treppe zum Sicherheitstrakt hinauf- oder hinuntergegangen?«
»Niemand ist an mir vorbeigekommen, Lady. Als man mich rief, hat man mich gefragt, ob ich einen Eindringling gesehen hätte; dann befahl man mir, Alarm auszulösen. Dar Luga trat gerade aus ihrem Zimmer, das dem Schlafzimmer des Königs gegenüberliegt. Nach meinem Alarmruf habe ich das Bad, in dem die Tote lag, schnell untersucht und kann bestätigen, dass die Tür abgeschlossen war und der Schlüssel fehlte. Ich meine die Tür zum Flur. Der König hatte seine Gattin hier in dieses Zimmer heruntergebracht, und Aidan sollte sich um sie kümmern, während wir wieder zu Dar Luga hinaufgingen. Ich hatte vorher bereits alle Zimmer kontrolliert, um mich zu vergewissern, dass sich dort niemand versteckt hielt. Ich ging durch das Schlafzimmer des Königs und bestätigte, dass die Badezimmertür abgeschlossen war. Der Schlüssel steckte weder drinnen noch draußen im Schloss. Dann traf Enda ein und wurde sofort losgeschickt, um dich zu holen, und ich ging einen Ersatzschlüssel besorgen.«
»Einen Ersatzschlüssel? Wo hat man ihn aufbewahrt?«
»Genau hier in diesem Zimmer, in dem wir uns jetzt befinden. Der König bat Dar Luga, bei der Toten zu bleiben, und ich trug ihr auf, aufzupassen, dass man nichts in dem Raum veränderte, während wir noch mal alle vier Zimmer durchsuchten. Aber wir fanden kein Anzeichen dafür, dass sich jemand dort Zutritt verschafft hatte.«
»Hatte denn zu diesem frühen Zeitpunkt außer dir noch jemand Wachdienst oben an der Treppe?«, fragte Fidelma.
»Nachdem sich alle Bewohner des Sicherheitstrakts für die Nacht zurückgezogen hatten, durfte niemand mehr dort hinein.«
»Und wer hat sich als Letzter zurückgezogen?«
»Die banmhaor, Dar Luga, zog sich als Letzte zurück. Sie kam noch spät mit einem Krug Wasser aus der Küche herauf. Ich glaube, das war, kurz nachdem die Glocke den Beginn des ersten cadar eingeläutet hatte.«
»Danach hast du niemanden mehr gesehen, der den Sicherheitstrakt betrat?«
»Alle, die sich dort aufhalten dürfen, waren bereits eingetroffen. Ich habe meinen Posten nicht verlassen, bis ich den König rufen hörte.«
»Dann kann also niemand, nachdem du deinen Dienst angetreten hast, über die Innentreppe hinein- oder herausgekommen sein?«
»Niemand, Lady«, bestätigte Luan selbstsicher. »Und die Treppe ist der einzige Ein- und Ausgang.«
»Also hielten sich zu diesem Zeitpunkt nur Colgú, Gelgéis, Dar Luga und Cera im Sicherheitstrakt auf?«
»Und natürlich der Mörder«, bestätigte Luan. »Wie ich schon sagte, habe ich die vier Zimmer einer ersten Prüfung unterzogen, um sicherzugehen, dass sich dort niemand versteckt hielt. Ich behaupte, da war niemand, aber ich muss zugeben, dass ich sie nur kurz in Augenschein nehmen konnte. Möglicherweise hat sich doch jemand irgendwo versteckt. Allerdings muss das geschehen sein, bevor ich meinen Dienst antrat. Es gibt da ein paar kleine Wandschränke, aber ich hätte Hilfe gebraucht, um sie gründlich zu kontrollieren.«
»Hat man denn eine gründliche Kontrolle durchgeführt, bevor sich alle zur Nachtruhe begeben haben?«, erkundigte sich Fidelma.
»Es gehört zu den Pflichten des Befehlshabers der Leibwache, die Zimmer zu überprüfen, bevor sich der König und seine Gattin zur Nachtruhe zurückziehen«, antwortete Luan und sah dabei Enda an. »Ich bin sicher, Enda hat sich vergewissert, dass sich dort niemand versteckte.«
Fidelma drehte sich zu dem jungen Krieger um.
»Ich habe die Kontrolle selbst durchgeführt, Lady«, bestätigte Enda mit rauer Stimme. »Nichts deutete auf einen Eindringling hin, als sich dort alle zurückzogen.«
»Eadulf und ich werden uns gleich noch einmal alles ansehen«, sagte Fidelma. »Wir müssen das persönlich überprüfen, denn uns sind schon einige Methoden begegnet, wie man bei einer Durchsuchung unentdeckt bleibt, egal, wie gründlich sie durchgeführt wird.«
Eadulf sagte ungeduldig: »Ich sollte den Leichnam untersuchen, es sei denn, es gibt einen Arzt, den du rufen möchtest …«
Colgú war mit seinen Gedanken woanders. »Der neue Arzt wird erst in wenigen Tagen hier eintreffen. Du weißt, dass wir seit ein paar Wochen keinen Arzt in der Burg haben.« Er warf Fidelma einen Blick zu. »Eadulf ist kein ausgebildeter Arzt, und das Gesetz …«
»Eadulf hat uns in seiner Eigenschaft als medizinischer Berater schon unzählige Male große Dienste geleistet«, erwiderte Fidelma schnell, als sie sah, dass sich Eadulfs Miene verfinsterte. »Wir sollten ihn darum bitten.«
»Dann werde ich mir die Tote unverzüglich ansehen«, unterbrach sie Eadulf verärgert. »Vermutlich hat niemand anders Einwände dagegen?«
»Alle hier wissen, dass du an der medizinischen Hochschule von Tuaim Brecain im Norden von hier die Heilkunst studiert hast. Du hast die Ausbildung jedoch nicht beendet, sondern beschlossen, nach Rom zu reisen, um dich mit den jüngsten Auslegungen des Neuen Glaubens dort zu beschäftigen«, erklärte Colgú. »Aber wenn Fidelma nichts dagegen hat …«
Fidelma sah ihren Bruder überrascht an.
»Eadulfs Kenntnisse haben wesentlich dazu beigetragen, dass ich viele komplizierte Fälle erfolgreich lösen konnte. Das weißt du. Meistens hatte er die traditionelle lés oder Arzttasche auf unseren Reisen dabei, und das war ausgesprochen hilfreich.«
»Wie du sagst«, entgegnete Colgú langsam, »wird Eadulfs Meinung in diesen Fragen von uns stets hoch geschätzt. Mir ist nur durch den Kopf gegangen, dass unsere Gesetze einem Arzt ohne Berufsabschluss nicht erlauben zu praktizieren.«
»In diesem Fall wird wohl niemand etwas dagegen haben, dass Eadulf den Leichnam untersucht«, antwortete Fidelma spitz.
»Enda kann dich und Eadulf zu der Toten begleiten. Ich und Gelgéis werden hier warten.«
Eadulf und Enda verließen das Zimmer, während Fidelma stehen blieb, als sie Luans verblüffte Miene sah.
»Ist dir irgendwas eingefallen, Luan?«
»Würdest du kurz mit mir hinausgehen, Lady?«, fragte er.
Fidelma schaute ihren Bruder an, der jedoch in ein Gespräch mit Gelgéis vertieft war. Sie verließen das Zimmer, und Fidelma schloss die Tür hinter sich.
»Was ist los?«
»Mir ist da so ein Gedanke gekommen«, gestand ihr Luan mit gesenkter Stimme. Er flüsterte: »Es ist ein Gedanke, der mir nicht gefällt, aber …« Er hob ratlos die Schultern.
»Alle Gedanken sind nützlich, Luan.«
»Cera war die Zofe von Prinzessin Gelgéis. Sie war außerdem das jüngste Mitglied ihrer Leibgarde, und sie hat mir erzählt, dass die Jüngste traditionell als Zofe bei der Prinzessin dient, die ihre Schirmherrin ist.«
»Ich habe davon gehört, als man mir die Aufgaben der Töchter des Sturms erklärt hat«, erwiderte Fidelma geduldig. »Worauf willst du hinaus, Luan?«
»Auf zwei Dinge. Erstens: Wieso war sie mitten in der Nacht nicht in ihrem Zimmer? Zweitens: Was wollte sie im Badezimmer? Dessen Tür war doch ohnehin nachts verschlossen? Wie ist sie überhaupt dort hineingekommen?«
»Hast du eine Erklärung?«, fragte ihn Fidelma leise.
Der Krieger schaute sich ängstlich um: »Ich habe ja gesagt, dass mir der Gedanke nicht gefällt.«
»Ob er dir gefällt oder nicht, erklär mir deine Schlussfolgerung und wie du darauf gekommen bist.«
»Wir glauben alle, dass es sich hier um einen versuchten Mordanschlag auf Colgú oder Prinzessin Gelgéis oder auf alle beide handelt.«
»Das ist nur logisch und das Erste, was einem einfällt«, bestätigte Fidelma. »Aber warum bist du nicht dieser Meinung?«
»Mein Gedanke war: Was, wenn nicht Colgú und Gelgéis die eigentlichen Opfer des Anschlags waren? Was, wenn es um Cera ging, die schließlich auch ermordet wurde?«
»Ich kann dir nicht folgen.«
»Was, wenn man Cera die Schlüssel zum Bad neben dem Schlafzimmer des Königs gegeben hatte?«
»Du sprichst in Rätseln«, sagte Fidelma ungeduldig. »Willst du damit sagen, dass sie versucht hat, meinen Bruder und seine Frau umzubringen? Und wer hat dann sie ermordet?«
Luan zögerte einen Augenblick, bevor er antwortete. »Die letzte Person, die den Sicherheitstrakt inspiziert hat, war der Befehlshaber der Leibwache.«
»Was willst du damit andeuten, Luan?«, fragte Fidelma leise.
»Ich will damit sagen, dass die letzte Person, die in den Sicherheitstrakt hinaufging, um die Räume zu überprüfen, bevor sich alle zurückzogen, der Befehlshaber war. Wir wissen, dass Enda eine Art Beziehung mit Cera hatte. Außerdem hatte er Zugang zu den Schlüsseln der Zimmer. Vielleicht ist etwas zwischen den beiden schiefgelaufen.«
»Etwas ist schiefgelaufen?«, wiederholte Fidelma.
»Die beiden haben den Schwertkampf stets mit blanken Klingen geübt. Ich glaube allerdings, sie haben nicht immer nur geübt.«
Fidelma zögerte. »Wir reden später darüber, Luan«, sagte sie ruhig, aber bestimmt. »Sprich mit niemandem über deine Gedanken. Jetzt werde ich nachsehen, was Eadulf bei der Untersuchung der Toten herausgefunden hat.«
Sie stiegen die Treppe hinauf, die in den Sicherheitstrakt führte, und blieben vor der ersten Tür stehen. Fidelma rief nach Dar Luga und Eadulf, die bereits hier waren, um ihr Eintreffen anzukündigen. Gleich darauf öffnete die mollige, matronenhafte Verwalterin die Tür und sah sie ängstlich an. Es irritierte Fidelma, die stets lächelnde frühere Köchin der Burg, die jetzt zu ihrer Verwalterin befördert worden war, ganz bleich, abgespannt und verstört vor sich zu sehen. Schweiß bedeckte ihr Gesicht wie ein Nebelschleier. Im ersten Augenblick schien Dar Luga Fidelma nicht zu erkennen.
»Ich bin froh, dass du gekommen bist, Lady«, flüsterte sie schließlich. »Wer kann einem so jungen Mädchen so etwas angetan haben?«
Sie machte einen Schritt zurück in den Raum, so dass Fidelma eintreten konnte. Eadulf kniete hinter einer Gestalt, die quer über einer Holzbank lag. Enda stand neben der Tür an der gegenüberliegenden Seite, die ins Schlafzimmer des Königs führte. Luan war hinter Fidelma eingetreten und hatte sich neben der Tür, die auf den Flur hinausging, aufgebaut. Man sah auf den ersten Blick, dass es sich um ein ganz normales Badezimmer handelte. In der Wand gegenüber dem Flur befand sich ein Fenster mit mehreren Scheiben; wahrscheinlich würde man bei Einbruch der Dunkelheit erkennen, dass man für die Scheiben farbiges Glas verwendet hatte. Eine auffällige Konstruktion aus Stein in der Ecke diente offenbar dazu, Wasser zu erhitzen, und daneben stand eine große Wanne aus Holz, in der man baden konnte. Fidelma dachte, dass sie später noch Zeit haben würde, sich das Bad genauer anzuschauen. Sie drehte sich zu Dar Luga um.
»Du siehst gar nicht gut aus. Setz dich doch hin.« Dabei zeigte Fidelma auf einen Stuhl, auf dem man die Tote nicht ständig vor Augen hatte.
»Es war ein Schock für mich, als man mich mit dieser Nachricht aufgeweckt hat«, stimmte die ältliche Frau zu und setzte sich. »Jetzt scheint es mir schon eine Ewigkeit her zu sein, seit Colgú gesagt hat, er würde dich rufen lassen, und die ganze Zeit sitze ich hier mit … mit …« Sie deutete zu der Leiche auf der Bank hinüber.
»Wir werden uns bemühen, dich nicht mehr lange aufzuhalten.« Dabei warf Fidelma einen fragenden Blick zu Eadulf hinüber. Der zuckte vielsagend die Schultern. Eigentlich konnte er wenig Neues berichten, sondern lediglich bestätigen, dass man dem Mädchen mit einer scharfen Klinge die Kehle durchgeschnitten hatte. Fidelma musste daran denken, dass Cera zweifellos ein sehr hübsches Mädchen gewesen war, als sie noch lebte. Dar Luga, fiel ihr ein, hatte einmal über Cera gesagt, sie sei noch im »Alter der langen Zöpfe« – ein volkstümlicher Ausdruck dafür, dass sie gerade mal das Alter der Wahl erreicht hatte, auch wenn Fidelma schätzte, dass sie fast zwanzig war.
»Ein äußerst blutiger und brutaler Angriff«, erklärte Eadulf jetzt. »Wer auch immer dem Mädchen die Klinge mit einem kräftigen Schnitt über die Kehle gezogen hat, war kein Amateur, sondern jemand, der genau wusste, was er tat.« Dann runzelte er die Stirn. »Eine Sache beunruhigt mich allerdings.«
»Nur eine?«, fragte Fidelma mit ihrem trockenen schwarzen Humor. Ihr entging jedoch nicht, dass Eadulf einen verstohlenen Blick zu Enda und Luan hinüberwarf; sie drehte sich zu den beiden um.
»Vielleicht können wir Zeit sparen, wenn ihr zwei schon anfangt, die anderen Zimmer in diesem Sicherheitstrakt einmal gründlicher zu durchsuchen und darauf zu achten, ob sich dort irgendwo jemand verstecken könnte?«
»Aber wir haben doch schon …«, begann Luan, bevor er Endas Blick bemerkte. Er zuckte die Schultern und ging mit Enda hinaus, um den Auftrag zu erledigen. Fidelma drehte sich wieder zu Eadulf um und bedeutete ihm fortzufahren.
»Ich wollte etwas über die Art und Weise sagen, wie man sie getötet hat«, erklärte Eadulf. »Die Wunde beweist eindeutig, dass der Mörder wusste, was er wollte. Sein Schnitt war tödlich, entweder sofort oder innerhalb von Sekunden.«
»Soll das heißen, dass sie von einem … einem Fachmann getötet wurde? Von jemandem, der die Kampfkunst beherrscht?«
»Mir ist noch etwas durch den Kopf gegangen. Vergiss nicht, dass dieses Mädchen nicht nur die Zofe von Prinzessin Gelgéis war, sondern auch ein Mitglied der Töchter des Sturms, der professionellen Leibgarde der Prinzessin. Das bedeutet, dass sie sowohl in der Kampfkunst als auch im unbewaffneten Kampf bestens ausgebildet war. Doch die Art, wie man sie getötet hat, beweist eindeutig, dass sie von hinten angegriffen wurde und kampflos gestorben ist.«
Fidelma begriff auf einmal, dass Eadulf genau das aussprach, was Luan ihr gegenüber angedeutet hatte. Ceras Mörder beherrschte offenbar ebenfalls die Kampfkunst; es war ihm auf seine Weise gelungen, ihre Verteidigungsbereitschaft vollständig auszuschalten.
»Zurzeit sind jede Menge Leute in der Burg, die eine gute Ausbildung zum Krieger oder zur Kriegerin genossen haben«, murmelte sie vor sich hin und bemerkte gar nicht, dass sie sich fast zwangsläufig gegen die Vorstellung wehrte, die Luan ihr in den Kopf gesetzt hatte.
Eadulf schaute zu Fidelma hoch, als könne er ihre Gedanken lesen. Er verkniff sich jegliche Reaktion, wandte sich rasch wieder seiner Aufgabe zu und widmete sich der Untersuchung des Leichnams.
Die Peinlichkeit dieses Augenblicks wurde von Dar Luga unterbrochen, die leise stöhnte. Fidelma hatte völlig vergessen, dass die Verwalterin krank aussah und in einer Ecke des Raums saß. Jetzt wandte sie sich der Frau besorgt zu.
»Wir sollten dir zuerst einen bequemeren Sitzplatz suchen, bevor ich dir wenigstens die allernötigsten Fragen stelle. Danach kümmerst du dich um den Fieberschub, der dir ziemlich zuzusetzen scheint.«