Wer vergibt, ist Gott ähnlich - Henri Boulad - E-Book

Wer vergibt, ist Gott ähnlich E-Book

Henri Boulad

4,8

Beschreibung

Vergebung betrifft jeden von uns, aktiv und passiv, denn so wie wir liebesbedürftig sind, so sind wir auch heilsbedürftig. Das neue Buch Henri Boulads widmet sich in bilderreicher Sprache diesem lebensnotwendigen Thema auf unterschiedlichen Ebenen: Auf der geheimen, intimen Ebene des Schuldgefühls und der stillen Reue; der schmerzenden Ebene unserer Beziehungswelt; der heroischen Ebene der Feindesliebe, welche friedenstiftend vom Privaten bis ins Politische reicht; der schwierigen Ebene der amtskirchlichen Vergebungsbitten, die Papst Johannes Paul II. in Gang setzte; und der sakramentalen Ebene der klassischen Beichte - nicht weniger wirksam als jene der Gläubigen untereinander. Auch scheut sich Pater Boulad nicht, flammende Warnsignale zu senden gegen die 'infektiöse' soziale Sünde, gegen die Tabuisierung der militanten Islamisierung des Westens oder der zunehmenden Christenverfolgung weltweit.

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Henri Boulad

WER VERGIBT, IST GOTT ÄHNLICH

Henri Boulad

WER VERGIBT,IST GOTT ÄHNLICH

Aus seinen Vorträgen herausgegebenund aus dem Französischen übersetztvon Hidda Westenberger

O T T O    M Ü L L E R    V E R L A G

www.omvs.at

ISBN 978-3-7013-1202-3eISBN 978-3-7013-6202-8

© 2013 OTTO MÜLLER VERLAG, SALZBURG-WIEN

Alle Rechte vorbehalten

Satz: Media Design: Rizner.at, Salzburg

Druck und Bindung: Druckerei Theiss GmbH, A-9431 St. Stefan

Coverbild: Anneliese Di Vora, DiVo-Art

INHALT

WER IST HENRI BOULAD?

Vorwort der Herausgeberin

GOTTÄHNLICHKEIT?

SEINE SORGE, SEIN BUND, SEINE GEDULD

SCHULD UND VERGEBUNG IM FAMILIENVERBAND

LIEBE AUF LEBEN UND TOD

VERGEBEN – JA, VERGESSEN – WIE?

MUTPROBE FEINDESLIEBE

WELCHE BEICHTE?

DER ZUKUNFT ZUVORKOMMEN

ZWEI GEBETE

KAPITEL EINS

WER IST HENRI BOULAD?

„Wenn du deinen Bogen der Wahrheit spannst, dann tauche die Pfeilspitzen in Honig.“

(arabische Weisheit)

Der ägyptische Jesuitenpater Henri Boulad, ein vom Geist entflammter Mystiker und zugleich intellektueller Denker westlicher Schulung, hält schuldhafte Vergangenheit für korrigierbar. Echte Reue und wahre Vergebungsakte sind kein psychologisches Thema, sondern geistiges Geschehen auf höherer Ebene und damit ein unerlässliches Element unserer individuellen Auferstehung. Nicht irgendwann, sondern „heute noch“ wird dem Verbrecher am Nachbarkreuz das Paradies versprochen. Dazu in der lebendigen Gemeinschaft mit Christus, „mit mir“, sagt er zu ihm. Schuldhafte Vergehen geistig ungeschehen machen? Ein Trost für jeden, der das versteht und annehmen kann. Pater Boulads Sehensweise hier und jenseits von Raum und Zeit und in gewisser Weise schon am Zielpunkt, wo der Mensch vollendet und „Gott alles in allem“ sein wird, erläutert dieses Buch in vielen Aspekten und Beispielen – getragen von einer unbesiegbaren geistlichen Freude.

Das Wesen der Vergebung betrifft ausnahmslos jeden von uns, aktiv oder passiv, aufgrund von Verletzungen und Schuldzuweisungen, von Gewissensplagen und Selbstanklagen oder gar Höllenängsten, oder in der bedingungslosen Liebe, die wir erfahren dürfen oder selber spenden. Ein Buch unter diesem Titel kann von diesem beliebten Autor, den wir bereits aus 14 Büchern kennen (sämtlich in Österreich verlegt), nur eine Werbeschrift für die Vollkommenheit der Gottesliebe sein, aus der niemand herausfallen kann. Seine Leserinnen und Leser wissen seit Jahren, dass das, was er sagt, auf persönlicher Erfahrung gründend, authentisch und leidenschaftlich dargebracht wird. Henri Boulad vermittelt Heilsgewissheit. Und was braucht unsere Christenwelt heute notwendiger als das? Die christlich orientierten Medien genieren sich nicht, ihn als einen „wahren Propheten unserer Zeit“ zu verkünden.

Henri Boulad ist arabischer Christ, 1931 in Alexandria geboren, wo er noch immer lebt, syrisch-libanesischer Abstammung. Seine Konfession ist griechisch-katholisch, also mit Rom uniert, sein Ritus byzantinisch. Er zelebriert die Heilige Messe in drei verschiedenen Riten: koptisch-katholisch, griechisch-katholisch und römisch-katholisch. Wenn er durch Europa tourt, seine begehrten Vorträge hält und Messen liest, dann singt er zuweilen unvermittelt einen arabischen Liedtext in fremdem Klang, oder er entlässt die Teilnehmer mit einem koptischen Segen.

Aus einer echten Levantinerfamilie des Orients stammend, sind seine Muttersprache und seine Kultur natürlich französisch. So erhielt er auch, ohne einen französischen Pass zu besitzen, hohe französische Verdienstorden (Ordre National du Mérite und Ordre des Palmes Académiques). Seine Bücher, die ich aus dem Vortragsmaterial bereite und ins Deutsche übersetze, enthalten bewusst einige französische Sprachspuren (mit Übersetzung), um dieses für ihn typische Flair zu erhalten.

Sechzehnjährig wurde Henri Boulad wie von einem geistigen Blitzstrahl getroffen – sein Berufungserlebnis! Das war so klar, dass er heute noch die Uhrzeit auf der alexandrinischen Terrasse des elterlichen Hauses abrufen kann, es war um drei Uhr nachmittags. Seit dieser Stunde änderte sich für ihn der Sonnenlauf. Alle Träume warf er über Bord und mit ihnen sein künstlerisches Talent. Ab sofort wollte er sein gesamtes künftiges Leben „Gott zur Freude im totalen Dienst am Menschen“ zur Verfügung stellen. Und bis heute gibt er sein Äußerstes, wobei weder die spirituelle Energie noch die Menschenliebe, die jeder in seiner Nähe spürt, nachlassen. Noch immer könnte er das Wort „Urlaub“ nicht einmal buchstabieren.

Ich verbürge mich für alles, was ich hier sage, da ich ihn seit über 30 Jahren kenne. Davon habe ich mehrere Jahre in seinem Land verbracht, wo mein Mann für die Weltgesundheitsorganisation tätig war. Jahre später schmunzelte ein Salzburger Bildungshausleiter, der ihn vor dem Vortrag einführte: „Frau Westenberger hat ihn in der ägyptischen Wüste entdeckt und ihn uns mitgebracht“. Aber schon bald zu Beginn dieser Entdeckung in Alexandria flüsterte mir meine dortige Freundin die unvergessenen Worte zu: „Wir müssen sein Terrain vergrößern, täglich sollte er im europäischen Fernsehen sprechen, dann wäre vieles gerettet“. Nun, es gibt die Bücher und die Vortragsreisen.

In diese lässt er sein Leben fließen, alles ist Erfahrung. Dank auch dem legendären „Bandwurm“ einer Jesuitenausbildung – 14 Jahre, die er zwar ungeduldig, aber folgsam in Beirut, Paris und Chicago absolvierte. Seine Fächer waren Theologie, Psychologie, Philosophie, Mystik und Literatur – herrliche Fächer! Der hochmobile Orden setzte ihn dann auf sehr gegensätzlichen Feldern ein, z.B. 12 Jahre als Leiter der CARITAS-EGYPT, fünf davon als Vizepräsident der CARITAS INTERNATIONALIS. Prägende Jahre! Deshalb finden wir auch in diesem vorliegenden Buch seine wiederholte Warnung vor der „infektiösen sozialen Sünde“, weltweit immer gefährlicher werdend, die er deshalb als Erbschuld klassifiziert. Er appelliert an alle Vernünftigen, die Weichen anders zu stellen, bevor es zu spät ist. Viele Jahre war er auch Direktor von drei Kairoer Jesuitenschulen mit 1.600 Schülern, 60 Prozent davon Muslime – mit nicht unkomplizierter Elternschaft.

Sein Markenzeichen als Exerzitienmeister und Vortragender zwischen Kanada, Europa und der arabischen Welt bleibt die Reisetasche mit dem Flugticket. Er liebt, ja er verehrt die Europäer und glaubt fest an ihr großes Projekt. Er kennt den Menschen. Er kennt unsere Welt. Er kennt den Islam. Er lebt mit Gott, seinem Geliebten, in zärtlicher Vertrautheit, setzt Signale für uns und sensibilisiert uns für unseren Auftrag. Und bei allen Begegnungen spüren die Menschen das Wahre, das Ehrliche, das Radikale. Dabei spricht er, fast möchte ich sagen, in der gelassenen Heiterkeit mancher Heiliger. Mit dieser Empfindung bin ich nicht allein.

Eigentlich ist dieses Buch bebildert. Es hat eine Fülle lebendiger Szenen in Kraft und Farbe. Denn das Erzählerische hat ein Orientale im Blut. Und wie oft ist von der Liebe die Rede, der Feindin des Bösen! Die Liebe vergibt, denn sie versteht, auf der geistigen Ebene zu handeln, zu opfern, und eine vergebende Person gottähnlich zu machen. Doch eines ist dieses Buch nicht – ein Studienobjekt für Theologen. Hingegen wird es mit spürbarer Hoffnung dem spirituell Suchenden und oftmals irritierten Laienchristen in die Hände gelegt. Der Stil bleibt auch im deutschen Text leicht eingängig wie wir ihn im französischen Original in freier Rede an den Mikrofonen kennen, immer im Augenkontakt mit seinem Publikum, fassbar, existenziell, temperamentvoll.

Sein Angelpunkt, sein Herzensanliegen, ist der Mensch und dessen Reifung zur Auferstehung. Es ist die Einzelperson in Gottes Hand, die sie für die Ewigkeit schützt und bereitet. Und er braucht unser Mitwirken in den Akten zwischenmenschlicher Vergebung. Reue und Versöhnung als Reinigungsvorgang auf dem gemeinsamen Weg zur Vollendung. Henri Boulad schaut in mystischer Kraft diesen Glutkern der Auferstehung in jedem von uns.

Für dieses lebenswichtige Thema der Vergebung entfaltet er diverse Ebenen. Die geheime, intime Ebene des Schuldgefühls und der stillen Reue. Die schmerzende Ebene unserer Beziehungswelt – Liebe und Ehe, Eros und Agape, Jugendarbeit. Die heroische Ebene der Feindesliebe, welche friedensstiftend vom Privaten bis ins Politische reicht. Die schwierige Ebene der amtskirchlichen Vergebungsbitten, die Papst Johannes Paul II. in Gang brachte, oder der neue ökumenische Ansatz. Die sakramentale Ebene der klassischen Beichte, aber auch eine Beichte im Zeichen des „Allgemeinen Priestertums“ (letztes Konzil) unter den Gläubigen, nicht weniger wirksam.

Und wie soll man diesen Geistlichen einordnen? Progressiv-liberal oder konservativ? Am besten in keiner Weise, er hasst für sich wie für andere Etiketten und Schubladen. Boulad hat Demut. Revolutionär ist er nicht, Tradition und Moderne mag er nicht streiten sehen, er will die Lager lieber verbinden und stärken, weil beide ihren Anteil an der Wahrheit haben. Christus, die Wahrheit selbst sammelt ein in Weisheit. Sein derzeitiger Vorgesetzter, der Provinzial im Libanon, gab ihm deshalb den Auftrag, eine Synthese des heutigen Glaubens zu verfassen – gemäß der von Papst Johannes Paul II. geforderten „Neuevangelisierung“. Aber seit Jahrzehnten schon lanciert Henri Boulad diesen Appell, denn er weiß nur zu gut, dass andere Wege in einer neuen Sprache der Lehrverkündigung gesucht und gefunden werden müssen. Wenn nötig, sogar über die Beschlüsse des letzten Konzils noch hinaus. Hinweise für eine erweiterte Handhabung der Sakramentenspendung können in diesem Buch gefunden werden.

Er sucht und ermutigt auch uns. Wir kennen ja seinen Ausruf: „Ich möchte dem Dekalog ein 11. Gebot hinzustellen – DU SOLLST SUCHEN!“

Hidda Westenberger

Herbst 2012

Klagenfurt am Wörthersee

KAPITEL ZWEI

GOTTÄHNLICHKEIT?

Vergebung und Versöhnung stammen aus Gott, es ist göttliches Tun durch den Menschen. So ist jeder versöhnungsbereite Mensch Gott ähnlich. Bereits beim leisen inneren Anruf und unserer heimlichen Zustimmung weitet sich unser Menschenherz und wird größer als das Erscheinungsbild einer fremden Schuld. Schadlos wird es diese dunklen Schatten absorbieren, weil es am stillen, tiefsten Grund um die Liebe aller weiß. Wir sind ausnahmslos Kinder Gottes, wir sind Geschwister. Wer diesem anspruchsvollen Modell der Gottähnlichkeit folgen will, wird auch äußerlich zum erkennbaren Gotteskind werden und damit zum Botschaftsträger.

Gott ist wesenhaft nicht nur jenseits von Gut und Böse denkbar, sondern viel mehr, Gott ist in seiner unerschöpflichen Freiheit selbst das Gute. Göttliche Freiheit überflügelt alle Bindungen und Vorstellungen, selbst jene, die sichtbar Gutes schaffen und erhalten wollen. In dieser souveränen Freiheit ist Gott auch stärker als alle irdischen Verschuldungen und das hat einen Namen: Liebe. Hier beginnen wir, ihn zu begreifen, denn die Liebe ist in all ihrer Vitalität und Schönheit nicht nur höher anzusetzen als das gepriesene Gute, sie ist mehr, sie ist immer noch mehr. Ja, ohne die Erhabenheit des Guten und Rechten zu mindern, kann die Liebe dich von jeglicher Schuld befreien! Christus verschenkt sein Verzeihen an uns millionenfach jeden Tag unter diesem Namen „Liebe“. Allerdings mit der stillen Bitte angebunden, dass auch wir uns sensibel in unserer Umwelt bewegen, um zu erspüren, wo eine Vergebung dringend gebraucht wird.

Und der Himmel wird sich immer beteiligen, denn jede „Alltagsvergebung“, jedes einzelne Pardon ist ein geistiger Sieg über das Böse und Schlechte, das die Welt in Atem hält. Denn es hat mit Liebe zu tun. Sie bleibt als göttliche Energie und Weisheit das tiefste Weltgeheimnis und sie inspiriert uns leise: „Du bist Gott ähnlich, weil du vergeben kannst.“ Jede Vergebung bringt dann Neubeginn, denn die Begriffe Vertrauen und Auferstehung wirken in ihr im Verborgenen und fordern das Böse heraus. Wie ist das möglich? Es ist möglich, weil das Verzeihen wissentlich oder unwissentlich auf der Basis der Liebe vollzogen wird und sie ist die Feindin des Bösen.

Wer vergibt, verliert nichts, er gewinnt! Er gewinnt, weil er wächst und er wächst über sich hinaus. Dieses Wachstum wird sich später erweisen und es wird ihm und anderen hilfreich sein. Zu jeder Zeit und in allem Umfang ist die Vergebung ein Anruf zur Selbstüberwindung, die fähig macht, das Unrecht des anderen in den eigenen stillen Grund hineinzunehmen, um dort vernichtet zu werden. Dann sprechen wir vom Ungeschehenmachen eines Vergehens und denken an den Sinn des christlichen Kreuzes. Schuld ungeschehen machen, indem sie im Abgrund der Liebe verlosch.

Aber, wie kann es anders sein, die groben Rückfragen dauern an: Der Mensch soll gottähnlich handeln? Das ist Hochmut oder Schwachsinn. Keineswegs, denn Christus selbst hat es uns geboten. In der Bergpredigt, die man auch die Rede von der wahren Gerechtigkeit nennt und in der selbst die Feindesliebe nicht fehlt, finden wir eine sachliche Mahnung: „Ihr sollt vollkommen sein, wie es auch euer himmlischen Vater ist.“ (Mt. 5, 48) Dieser bizarr anmutende Appell kommt also von göttlicher Seite, er traut es uns zu. Kein unmögliches Ideal wurde uns in unser Herz gesenkt, aber ein höchstmöglicher Anspruch, denn es geht hier nicht um menschenfreundliche Warmherzigkeit, sondern um das Totale, um eine Barmherzigkeit göttlicher Qualität.

Richtig. Wir sollen den Gottesqualitäten nacheifern, nichts weniger als das! Gerade dieses steile Ideal macht die Faszination unserer christlichen Religion aus, gerade das mutmaßlich Unerreichbare stimuliert, ist aber als geistiger Motor in unserer Geschichte nicht immer erkennbar. Ein unendlicher Raum der Sehnsucht liegt ständig vor uns, der unser Antrieb ist, einem bestimmten Stern etwas näher zu kommen. Das ist die göttliche Pädagogik und das ist unsere Berufung, die wir mit in diese Welt gebracht haben. Hoffentlich wird es uns gelingen, Schritt um Schritt Erkenntniswissen zu erwerben, vor allem über dieses leuchtende Prinzip. Und über den persönlichen Anruf Gottes, unsere Freiheit und Verantwortung in der bestmöglichen Weise einzusetzen.

Einfach stehen die Dinge nicht um das zwischenmenschliche Verzeihen, zunächst scheint der Weg vermauert, man urteilt in die falsche Richtung, oder verwirft das Neue Testament als unrealistisch. So etwa die literarische Gestalt des klagenden Dorfgeistlichen Don Camillo, der, obwohl stark wie ein Bulle, eines Tages eine saftige Ohrfeige aus seiner Gemeinde bezogen hatte. Als gelernter Priester reichte er sofort die andere Wange hin und schon klatschte es zum zweiten Mal. Originell liest sich darauf die Verwunderung des Betroffenen: „Da muss uns Jesus wohl etwas unterschlagen haben, denn wie geht die Sache weiter?“

Um die wahre Kunst des Verzeihens im Sinne Gottes zu meistern, müsste man die zahllosen Mäander eines Vergehens kennen und über das Blickfeld Gottes verfügen. Diesen Menschen gibt es nicht. Daher mag es den Doppelschlag geben. Oder wir lassen im Ausbleiben der Vergebung die eigene Schuldzuweisung im Innern wuchern bis hin zum Extrem von Selbsthass und Zerstörung. Was für eine Palette! Ein Verzeihen vollkommen gerecht auszusprechen setzt voraus, die verdunkelte Situation in ihrer Komplexität vollkommen zu kennen. Dafür braucht es den „Beistand“, den „Advokaten“ – den Heiligen Geist. Wir sind nicht allein. Bereits die Regung, sich unter Stöhnen und Ächzen, aber vergebungswillig, mit dem Fall zu beschäftigen, zeugt von Nächstenliebe im Sinne Gottes und er wird diesem Versöhnungsansatz Weisheit und Energie stiften. In Französisch nennt man es „un supplément d’âme“, ein Zuschuss an Seelenkraft, sprich Gnade, ohne die es nicht geht. Wenn es gelingt, dann nicht allein durch unsere freundlichen Worte und Zeichen, sondern durch Gottes geheime Beteiligung, nachdem wir uns geöffnet hatten und Versöhnungswillen zeigten. So fand er Zugang. Diese geheimnisvolle Kraft in uns ist göttlicher Natur, menschlich ist unsere Zustimmung.

Wie engherzig und kleinlich hingegen unsere Menschennatur sein kann! Sie misst und wägt und kalkuliert, als sei sie nur für merkantiles Zweckdenken programmiert: ich gebe..., du gibst. Ich zahle..., du zahlst. Ich liebe..., du liebst. Das ist nicht Gottes Wesen, nicht Gottes Liebe, diese hat die Wahrheit am Grund, sie ist Schöpferkraft, sie ist Erlösung für die Kreatur. Und ihr sollen wir ähnlich werden? Aber ja! Beginnen wir mit einem hohen Maß an Empathie. Stellen wir uns vor, wie sehr sich unser Nächster die Versöhnung wünscht, wie er auf eine Annäherung wartet, auf ein Zeichen, auf einen spürbaren Versuch. Gehen wir ihm doch entgegen! Retten wir ihn aus seiner heimlichen Einsamkeit, in die er sich mit seinem Problem hineinmanövrierte und das uns bekannt ist. Ringen wir uns durch, dem andern freimütig und völlig neu zu begegnen. Es kann nicht anders sein: Dem spirituell etwas Geübten werden sich die grenzenlos verzeihenden Augen Gottes über dem Geschehen zeigen.

Verzeihen macht demütig, es bringt uns zur Einsicht, dass wir uns miteinander noch im Prozess des Werdens befinden. Jeder bleibt einmal stecken, Schuldige wie Unschuldige, die mit in diesen Strudel gesogen werden. Unser Weg verläuft zögerlich, dafür ist das unschuldige Kleinkind in seinem Bemühen, gehen zu lernen, ein einfaches Symbol: wie oft verliert es sein Gleichgewicht!... Sollte Gott unter dem Niveau einer menschlichen Mutter handeln, die ihrem Kleinen unzählige Male wieder aufhilft, wenn es fällt? Oder wird sie es verprügeln, ihm den süßen Brei verweigern? „Der Gerechte fällt am Tage siebenmal“, heißt es. Wir alle sind Kleinkinder auf unsicheren Füßen, üben wir uns deshalb in der Geduld einer Mutter und vergeben wir einander. Gott wartet. Er hat für uns Menschen einen langen Erfahrungsweg geplant – wie eine Mutter. Und er weiß wie sie, dass wir eines Tages im vollen Wortsinn aufrecht gehen werden. Dafür ist das reinigende Verzeihen notwendig. Immer wieder.

Dann wendet er das Blatt und zwar ganz. Und nicht nur das, Gott lässt den Menschen „wie neu geboren“ sein. Wir kennen die liturgischen Flüsterworte des Zelebranten zur Opferbereitung am Altar: „Gott, du hast den Menschen in seiner Würde wunderbar geschaffen und noch wunderbarer erneuert...“ Die Erlösung des Menschen durch das Kreuz bedeutet kein glattes Pardon und alles ist wieder in Ordnung, nein, mit dieser Schuldauflösung am eigenen Leib, die uns sonst bis zur Wurzel zerstört hätte, begann die neue Schöpfung. Durch Gottes Liebeswillen wurde das Alte umgewandelt, weil es gefährlich falsch gelaufen war.