Werkbuch Psalmen I - Beat Weber - E-Book

Werkbuch Psalmen I E-Book

Beat Weber

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Beschreibung

Das "Werkbuch Psalmen" will eine Brücke schlagen zwischen theologischer Wissenschaft und kirchlicher Praxis. Neue Einsichten der Psalmenforschung sollen für die Arbeit mit den Psalmen in der kirchlichen Praxis bereit gestellt und Impulse zur eigenen wie zur gemeindlichen Verwendung der Psalmen gegeben werden. Jeder der insgesamt 150 Psalmen wird nach einem einheitlichen Raster bearbeitet: Übersetzung - Vokabular - Sprache und Form - Poesie und Struktur - Kontexte (religionsgeschichtliches Umfeld; Verhältnis zum Psalter sowie zum Alten Testament bzw. zum biblischen Gesamtkanon) - Anregungen für die Praxis (mit Angaben zur Aufnahme des jeweiligen Psalms in den deutschsprachigen Kirchengesangbüchern). Als Lese- und Arbeitshilfe will dieses Werkbuch somit zur vertieften, die Spiritualität des Menschen fördernden Beschäftigung mit dem Psalmenbuch anleiten. Unter dem Link "Zusatzmaterialien" auf der Verlagshomepage finden Sie eine aktuelle Gesamtbibliographie für alle Bände.

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Das 'Werkbuch Psalmen' will eine Brücke schlagen zwischen theologischer Wissenschaft und kirchlicher Praxis. Neue Einsichten der Psalmenforschung sollen für die Arbeit mit den Psalmen in der kirchlichen Praxis bereit gestellt und Impulse zur eigenen wie zur gemeindlichen Verwendung der Psalmen gegeben werden. Jeder der insgesamt 150 Psalmen wird nach einem einheitlichen Raster bearbeitet: Übersetzung - Vokabular - Sprache und Form - Poesie und Struktur - Kontexte (religionsgeschichtliches Umfeld; Verhältnis zum Psalter sowie zum Alten Testament bzw. zum biblischen Gesamtkanon) - Anregungen für die Praxis (mit Angaben zur Aufnahme des jeweiligen Psalms in den deutschsprachigen Kirchengesangbüchern). Als Lese- und Arbeitshilfe will dieses Werkbuch somit zur vertieften, die Spiritualität des Menschen fördernden Beschäftigung mit dem Psalmenbuch anleiten. Für die vorliegende 2., aktualisierte Auflage wurden einzelne Psalmen teilweise neu bearbeitet. Unter dem Link 'Zusatzmaterialien' auf der Verlagshomepage finden Sie eine aktuelle Gesamtbibliographie für alle Bände.

Dr. Beat Weber war Gemeindepfarrer in Linden/Bern, daneben Fachdozent für Altes Testament. Er lebt und arbeitet freiberuflich in Basel. Sein dreibändiges 'Werkbuch Psalmen' (insbesondere Band III: Theologie und Spiritualität des Psalters und seiner Psalmen) wurde 2011 mit dem Johann Tobias Beck-Preis ausgezeichnet.

Beat Weber-Lehnherr

Werkbuch Psalmen I

Die Psalmen 1 bis 72

Verlag W. Kohlhammer

Den Kolleginnen und Kollegen von der Arbeitsgemeinschaft für biblisch erneuerte Theologie (AfbeT) und des Fonds zur Erneuerung von Kirche und Theologie (FEKT)

2., aktualisierte Auflage 2016 1. Auflage 2003   Alle Rechte vorbehalten © W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print: ISBN 978-3-17-032266-0

E-Book-Formate

 

pdf:

ISBN 978-3-17-032267-7

epub:

ISBN 978-3-17-032268-4

VORWORT

Die Psalmen begleiten mich seit vielen Jahren: als bibellesender Christ, der bei ihnen Gebetshilfe, Wegweisung und Trost sucht, später als wissenschaftlich arbeitender Theologe an der Universität und gegenwärtig auch als Pfarrer in einem emmentalischen Landpfarramt, wo ich sie namentlich bei Haus- und Spitalbesuchen, v.a. aber bei Abdankungen lese und auslege. Dazu kamen in den letzten Jahren Seminare und Vorträge über die Psalmen und die Psalmenforschung bei Studierenden und in Pfarrkollegien. Meine Zeit als Doktorand und wissenschaftlicher Forschungsassistent im vom Schweizerischen Nationalfonds getragenen Basler Psalmenprojekt von Prof. Dr. Klaus Seybold ermöglichte mir die vertiefte Beschäftigung mit der Psalmenpoesie und die Durcharbeitung des gesamten Psalmenbuchs. Die aus dieser Zeit gesammelten Notizen bilden die Grundlage dieses "Werkbuch Psalmen" (Wb Pss). Bei der Arbeit an diesem Buch begleitete mich der notvolle Umstand, dass die an der Universität betriebene wissenschaftliche Theologie einerseits und die kirchliche bzw. pfarramtliche Praxis andererseits immer stärker auseinanderdriften. Die Folge ist eine Theologie, die sich immer weniger in den kirchlichen Dienst gestellt weiss und eine Kirche, die immer mehr auf die Einsichten und Ergebnisse der Theologie verzichten zu können meint. Beides erachte ich als verhängnisvoll. Das Anliegen dieses Buches ist es, auf dem Teilgebiet der Psalmen einen Brückenschlag zu versuchen. Das Wb Pss bemüht sich demzufolge, wissenschaftlich abgestützte Psalmenforschung für die kirchliche Praxis fruchtbar zu machen. Es geht um eine "Lesehilfe" für die Psalmen aus der Einsicht heraus, dass die stets neue Orientierung an der Schrift für die sich auf die Reformation berufende Kirche und Theologie unverzichtbar ist. Das Risiko, dass bei einem derartigen Unterfangen eines Brückenschlags zwischen Theologie und Kirche nur eine oder gar keine der beiden Seiten befriedigt ist, ist mir bewusst. Die Einsicht in die Wichtigkeit und Notwendigkeit solcher Arbeit hat aber die Bedenken überwogen. Die Anlage als "Werkbuch" trägt sowohl dem fragmentarischen Charakter dieses Buches als auch dem Ansinnen Rechnung, Hilfestellungen zu geben, Ressourcen bereitzustellen und Anstösse zu vermitteln. Das Wb Pss ist kein Psalmenkommentar mit abgerundeten Auslegungen zu den einzelnen Psalmen. Es beschränkt sich vornehmlich darauf, Textbeobachtungen philologischer, poetologischer und kanon- bzw. bibeltheologischer Art darzubieten. Zugleich lädt es den Leser ein, diese zu ergänzen, zu diskutieren und daran weiterzuarbeiten. Das Wb Pss möchte zur Beschäftigung mit dem Bibeltext (wenn möglich in der Ursprungssprache) zurückführen, kann aber auch von Leserinnen und Lesern ohne Hebräischkenntnisse verwendet werden. Das Buch der Psalmen eignet sich aus folgenden Gründen besonders gut für einen Brückenschlag zwischen Theologie und Kirche: 1. In den Psalmen spiegelt sich die Vielfalt alttestamentlichen Lebens und Glaubens; es ist gleichsam eine Theologie des Alten Testaments im Kleinen. 2. Die überragende Wichtigkeit der Psalmen bei Jesus und in der frühen Kirche zeigt sich darin, dass sie zu denjenigen alttestamentlichen Schriften gehören, die im Neuen Testament am häufigsten zitiert werden oder auf die angespielt wird. 3. Die Psalmen hatten und haben durch die Geschichte der Kirche bis heute für die Spiritualität des einzelnen Christen wie für das gottesdienstliche Leben der Gemeinde weitreichende Impulse vermittelt. 4. In der praktischen Gemeindearbeit gehört der Psalter zu denjenigen biblischen Büchern, die vielfach und vielgestaltig Verwendung finden, sei es für die eigene Spiritualität, die gottesdienstliche Liturgie (Lesungen, Psalmen-Vertonungen), Predigten und Kasualreden, im seelsorgerlichen Gespräch, im Unterricht oder bei andern Gelegenheiten. 5. Die Psalmen gehören in unserer Zeit zu den populärsten biblischen Büchern; zu den Psalmen mit ihrer offenen Art des Aussprechens von Freude und Leid finden selbst kirchenferne Menschen oft guten Zugang. Als Zielpublikum des Wb Pss stehen mir zunächst die Kolleginnen und Kollegen vor Augen, die wie ich im kirchlichen Dienst (Pfarramt und andere Dienste) stehen. Als Psalmenfachmann möchte ich ihnen, die es in unterschiedlicher Weise immer wieder mit den Psalmen zu tun haben, aber vielfach unter zeitlicher Belastung stehen, den Zugang zu diesem biblischen Buch erleichtern. Die Erfahrung zeigt, dass viele im pfarramtlichen Dienst – gerade für das Alte Testament – nur noch zu deutschen Bibelausgaben greifen, da ihnen die Erarbeitung des hebräischen Textes ein zu grosser Zeitaufwand bedeutet. Dadurch können – gerade bei einer so subtilen Sprachform wie der Psalmenpoesie – viele Schätze nicht mehr erkannt und gehoben werden. Das Wb Pss möchte Hilfestellungen für das Lesen der Psalmen in der Ursprungssprache geben. Auch an die Studierenden der Theologie habe ich bei diesem Wb Pss gedacht. Schliesslich mag das Wb Pss auch einem weiteren Kreis von Bibellesern dienen – sei es, dass sie Hebräischkenntnisse haben und das Buch damit voll nutzen können, sei es, dass sie diese Kenntnisse nicht mitbringen und ihnen hoffentlich dennoch Manches hilfreich sein kann. Um handlich zu sein und den Leser nicht durch zu grossen Textumfang abzuschrecken, wird im Wb Pss auf Manches verzichtet, was auch noch zu sagen wäre. Dafür sei ausdrücklich auf die verschiedenen Kommentarwerke zu den Psalmen verwiesen. Das Wb Pss erscheint in zwei Bänden. Band I enthält die ersten beiden Bücher innerhalb des Psalters (Ps 1–72), Band II das dritte, vierte und fünfte Psalter-Buch (Ps 73–150). Das Erscheinen von Band II ist auf Herbst 2003 vorgesehen. Ich danke den Vielen, die mich auf dem Weg zum Wb Pss ermutigt, beraten und mir in verschiedenster Weise geholfen haben. Unter ihnen verdienen drei Kollegen besondere Erwähnung: Die Freunde Prof. Dr. Peter Wick (Basel), der mich überzeugt hat, ein solches Buch überhaupt zu wagen, und Pfr. Dr. Edgar Kellenberger (Liestal), der diesen Band exegetisch-theologisch wie grammatikalisch durchgesehen und mir wichtige Hinweise gegeben hat; weiter Pfr. Hans-Jürg Stefan (Egg), der als Spezialist des reformierten Kirchenliedes mich dazu herausgefordert hat, auf die Psalmen in den kirchlichen Gesangbüchern hinzuweisen und mich darin mit einer Fülle von Material unterstützt hat. Das Korrektur-Lesen haben verdankenswerterweise folgende Kolleginnen und Kollegen besorgt: Vikar Simon Anderegg, Pfr. Martin Frey, Pfr. Walter Gisin, Pfrn. Marianne Hächler, Pfr. Jürg Luchsinger, Pfrn. Therese Schmid, PD Dr. med. Eberhard Seifert. Ein Dank geht auch an den Kohlhammer-Verlag, der das Wagnis der Herausgabe des Wb Pss übernommen hat, insbesondere an Herrn Jürgen Schneider, der mich in allen Fragen rund um dieses Werkbuch kompetent beraten hat. Schliesslich danke ich der Evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Linden, die es mir möglich machte, die Arbeit an den Psalmen und an diesem Werkbuch als Teil meines pfarramtlichen, über die Ortsgemeinde hinausgehenden Dienstes tun zu können, sowie meiner Familie für alle ihre Unterstützung. Für Hinweise jeder Art (Korrekturen, Ergänzungen etc.) aus dem Kreis derjenigen, die das Wb Pss lesen und verwenden, bin ich dankbar (zu richten an: Pfr. Dr. B. Weber, Birrmoosstr. 5, CH – 3673 Linden BE; E-mail: [email protected]). Dieser erste Band des Wb Pss ist meinen Kolleginnen und Kollegen von der Arbeitsgemeinschaft für biblisch erneuerte Theologie (AfbeT) und des Fonds zur Erneuerung von Kirche und Theologie (FEKT) gewidmet.

Linden BE (Schweiz), im Sommer 2001

Beat Weber

Die Erstauflage des "Werkbuch Psalmen I" von 2001 ist seit geraumer Zeit vergriffen. Der Verlag Kohlhammer hat dankenswerterweise die Lieferbarkeit dieses Wb Pss I aufrecht erhalten. Seit 2008 ist der Band, freilich zu höherem Preis, als "Book on Demand" (BonD) lieferbar (unveränderter Nachdruck). Im Zuge des Anliegens, das Wb Pss I auch digital als E-Book zugänglich zu machen, wurde diese 2., aktualisierte Auflage erstellt. Die Verbesserungen sind formaler und in gewissen Psalmen auch inhaltlicher Art. Mehr als nur grammatikalische und stilistische Korrekturen, sondern etwas stärkere Eingriffe (wenn auch keine Gesamtüberarbeitungen) wurden bei folgenden Psalmen vorgenommen: Ps 1–3; 13; 16; 19; 21; 25; 30; 50; 54f.; 58; 64 (in der Regel handelt es sich um Psalmen, wo Neubearbeitungen von mir zu veränderten Einschätzungen geführt haben). Ich danke meinem pensionierten Kollegen, Pfr. Dr. Edgar Kellenberger, für die neuerliche Korrekturlesung sowie Dr. Sebastian Weigert als zuständigem Verlagslektor für die hilfreiche Betreuung. Das beigegebene Literaturverzeichnis ist mit dem der Erstauflage identisch und wurde nicht nachgeführt. Eine weitergeführte, starke ausgebaute Fassung (BiblioPss1990+) findet sich digital unter www.academia.edu (Search: Beat Weber) bzw. über den Kohlhammer Verlag (www.kohlhammer.de/wms/instances/KOB/data/pdf/978-3-17-031461-0_O.pdf). Auf meiner Academia-Seite ist auch weitere, von mir publizierte Literatur zu Psalmen und Psalter aufgeführt (und z.T. herunterladbar). Für eine Kontaktaufnahme mit mir ist neu die Mailadresse [email protected] zu verwenden.

Linden BE (Schweiz), im Juli 2016

Beat Weber

Inhaltsverzeichnis

VORWORT

ABKÜRZUNGEN

1. Abkürzungen der biblischen Bücher

2. Abkürzungen deutschsprachiger (Kirchen-)Gesangbücher

3. Weitere Abkürzungen

EINFÜHRUNG

1. Zu Aufbau, Eigenart und Gestalt dieses Werkbuchs

a) Übersetzung

b) Vokabular

c) Form und Inhalt

d) Struktur und Poesie

e) Kontexte

f) Anregungen für die Praxis

2. Zur Eigenart der alttestamentlichen Psalmen

a) Die verschiedenen Zugangsweisen zu den Psalmen

b) Die Eigenheiten der bibelhebräischen Versdichtung im Allgemeinen11

c) Merkmale der Textorganisation der Psalmenpoesie

d) Die Typen der Psalmen

e) Die Bildersprache der Psalmen

3. Das Psalmenbuch und seine Gliederung

a) Vom Psalm zum Psalter

b) Organisationsprinzipien des Psalters

c) Die kanonische Psalmenlesung

4. Die Psalmen und ihre Wirkungsgeschichte

DAS ERSTE PSALTER-BUCH (PSALM 1–41)

Psalm 1

Psalm 2

Psalm 3

Psalm 4

Psalm 5

Psalm 6

Psalm 7

Psalm 8

Psalm(en) 9–10

Psalm 11

Psalm 12

Psalm 13

Psalm 14

Psalm 15

Psalm 16

Psalm 17

Psalm 18

Psalm 19

Psalm 20

Psalm 21

Psalm 22

Psalm 23

Psalm 24

Psalm 25

Psalm 26

Psalm 27

Psalm 28

Psalm 29

Psalm 30

Psalm 31

Psalm 32

Psalm 33

Psalm 34

Psalm 35

Psalm 36

Psalm 37

Psalm 38

Psalm 39

Psalm 40

Psalm 41

DAS ZWEITE PSALTER-BUCH (PSALM 42–72)

Psalm(en) 42–43

Psalm 44

Psalm 45

Psalm 46

Psalm 47

Psalm 48

Psalm 49

Psalm 50

Psalm 51

Psalm 52

Psalm 53

Psalm 54

Psalm 55

Psalm 56

Psalm 57

Psalm 58

Psalm 59

Psalm 60

Psalm 61

Psalm 62

Psalm 63

Psalm 64

Psalm 65

Psalm 66

Psalm 67

Psalm 68

Psalm 69

Psalm 70

Psalm 71

Psalm 72

LITERATURVERZEICHNIS (AUSWAHL)

1. Literatur zu Psalmen und Psalter

a) Übersetzungen und allgemeinverständliche Erläuterungen zu den Psalmen

b) Wissenschaftliche Literatur zum Psalter insgesamt und zu einzelnen Teilgruppen der Psalmen 1–72

c) Beiträge zu einzelnen, in diesem ersten Band ausgelegte Psalmen (in der Reihenfolge der Psalmen)

d) Materialien und diverse Literatur im Umfeld von Exegese, Poesie und Theologie der Psalmen

2. Die Psalmen in Wirkungsgeschichte und Praxis

a) Die Psalmen in ihrer Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte in Judentum und Christentum

b) Die Psalmen in Predigt, Unterricht und Erwachsenenbildung

c) Die Psalmen in Gebet, Lied und Gottesdienst

d) Die Psalmen in Theologie, Seelsorge und Psychotherapie

e) Die Psalmen-Dichtungen und -Nachdichtungen in der Literatur und in heutiger Spiritualität

f) Die Psalmen und Bilder

Guide

Cover

ABKÜRZUNGEN

Was die Abkürzungen bei bibliographischen Angaben (Zeitschriften, Buchreihen etc.) angeht, sind diese hier nicht aufgeführt, sondern richten sich nach S.M. Schwertner, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete (IATG2), Berlin – New York21992 bzw. S.M. Schwertner, Theologische Realenzyklopädie. Abkürzungsverzeichnis, Berlin – New York21994.

1. Abkürzungen der biblischen Bücher

Gen Ex Lev Num Dtn Jos Ri Rut 1. Sam 2. Sam 1. Kön 2. Kön 1. Chr 2. Chr Esr Neh Est Hi Ps Spr Koh Hld Jes Jer Klgl Ez Dan Hos Jo Am Obd Jon Mi Nah Hab Zeph Hag Sach Mal

Mt Mk Lk Joh Apg Röm 1. Kor 2. Kor Gal Eph Phil Kol 1. Thess 2. Thess

1. Tim 2. Tim Tit Phlm Hebr Jak 1. Petr 2. Petr 1. Joh 2. Joh 3. Joh Jud Offb

2. Abkürzungen deutschsprachiger (Kirchen-)Gesangbücher

EG

[Deutsches] Evangelisches Gesangbuch (für Gottesdienst, Gebet, Glaube, Leben) (Hannover 1993)

Der Stammteil (Nummern 1–535) ist allen Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland, der Evangelischen Kirche Augsburgischen und Helvetischen Bekenntnisses in Österreich sowie der Kirche Augsburgischer Konfession und der Reformierten Kirche im Elsass und in Lothringen (Frankreich) gemeinsam. Darüber hinaus wurden konsultiert:

EG-BT

Ausgabe für die Evangelisch-Lutherischen Kirchen in Bayern und Thüringen (München – Weimar o.J.)

EG-West

Ausgabe für die evangelischen Kirchen des Westverbundes: Evangelischreformierte Kirche (Synode evangelisch-reformierter Kirchen in Bayern und Nordwestdeutschland), die Evangelisch-altreformierte Kirche in Niedersachsen, in Gemeinschaft mit der Evangelischen Kirche im Rheinland, der Evangelischen Kirche von Westfalen, der Lippischen Landeskirche, in Gebrauch auch in Gemeinden des Bundes evangelischreformierter Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland (Gütersloh – Bielefeld – Neukirchen-Vluyn 1996)

EG-Wü

Ausgabe für die Evangelische Landeskirche in Württemberg (Stuttgart 1996)

GL

Gotteslob. [Deutsches] Katholisches Gebet- und Gesangbuch. Stammteil (Stuttgart 1975)

KG

Katholisches Gesangbuch. Gesang- und Gebetbuch der deutschsprachigen Schweiz (Zug 1998). Ergänzend dazu:

KG CN

Cantionale. Kantoren- und Chorbuch zum Katholischen Gesang- und Gebetbuch der deutschsprachigen Schweiz (Zug 1999)

RG

Gesangbuch der Evangelisch-reformierten Kirchen der deutschsprachi gen Schweiz (Basel – Zürich 1998)

3. Weitere Abkürzungen

abs

absolutus

Adh

Adhortativus

Adj

Adjektiv

Adv

Adverb

äg.

ägyptisch

AK

Afformativkonjugation ("Perfekt")

aram.

aramäisch

Art.

Artikel

AT

Altes Testament

atl.

alttestamentlich

cs

constructus

d.h.

das heisst

du

Dual (Zweizahl)

Ed.

Editor(en), Herausgeber

etc.

et cetera (und so weiter)

etw.

etwas

ev.-ref.

evangelisch-reformiert

evtl.

eventuell

f

femininum

f.

folgender (Vers)

ff.

folgende (Verse)

FS

Festschrift

G

griechische Textüberlieferung

griech.

griechisch

hap leg

hapax legomenon (einmaliges Vorkommen im AT)

hebr.

hebräisch

hi

hiphil

hitp

hitpa'el (und Sonderformen des hitp-Stammes)

ho

hophal

Hrsg.

Herausgeber

Impt

Imperativ

Inf

Infinitiv

Jh.

Jahrhundert

jm.

jemanden

Juss

Jussiv

K

Ketib (Geschriebenes)

Koh

Kohortativ

koll

kollektiv

KTU

The Cuneiform Alphabetic Texts from Ugarit … (s. Literaturverzeichnis 1d unter Dietrich M.)

Lw.

Lehnwort

LXX

Septuaginta (griechische Übersetzung des ATs)

M

masoretische (hebräische) Textüberlieferung

m

maskulinum

m.E.

meines Erachtens

m.W.

meines Wissens

Ms(s)

Handschrift(en)

n.Chr.

(Jahr) nach Christus

Nf

Nebenform

ni

niphal

NT

Neues Testament

ntl.

neutestamentlich

o.ä.

oder ähnlich

o.J.

ohne Jahr

o.O.

ohne Ort

par

Parallele(n), Parallelstellen

pass

passiv

pi

pi'el

pil

pilpel (Sonderform des pi-Stammes)

PK

Präformativkonjugation ("Imperfekt")

pl

plural

po

po'el (Sonderform des pi-Stammes)

pol

polel (Sonderform des pi-Stammes)

Präp

Präposition

Ptz

Partizip

pu

pu'al (Passivstamm des pi-Stammes)

Q

Qere (Gelesenes) bzw. (mit Zahl davor, z.B. 4Q) Fundort (Höhle) in Qumran (am Toten Meer)

qal

Grundstamm des Verbes

R

Refrain oder Rahmen

s.

siehe

sg

singular

sog.

sogenannte

s.o.

siehe oben

s.u.

siehe unten

Suff

Suffix

T

Targum (aramäische Übertragung des ATs)

u.a.

unter anderem

Übers.

(alte) Übersetzung(en)

ug.

ugaritisch

u.U.

unter Umständen

V.

Vers

v.a.

vor allem

v.Chr.

(Jahr) vor Christus

w

Konjunktion ו ("und")

Wb Pss

Werkbuch Psalmen (Band I, II, III)

wiss.

wissenschaftlich

wPK

Konjunktion ו mit Verdoppelung (bzw. Dehnung) bei nachfolgender PK ("Imperfektum consecutivum")

z.B.

zum Beispiel

z.T.

zum Teil

(?)

Unsicherheit in der Übersetzung (unklare Vorlage bzw. Textverderbnis)

I, II, III

Bezeichnung unterschiedlicher Wurzeln (Homonymie) oder der Stanzen (Struktureinheiten)

1

1. Person (Konjugation)

2

2. Person (Konjugation)

3

3. Person (Konjugation)

(…)

"wörtliche" Textbedeutung

[…]

sinngemässe Ergänzung

{…}

möglicherweise späterer Eintrag (Ergänzung, Glosse o.ä.)

//

Markierung der Verszeilen-Trennung innerhalb eines Verses ("Parallelismus") bzw. Abtrennung der einzelnen Eintragungen beim Vokabular

|

Abtrennung von (strophischen bzw. stanzischen) Einheiten

||

parallel zu

bis

gleich, identisch

ungleich, nicht (identisch)

=>

in Beziehung zu

<=

in Beziehung zu

<=>

gegensätzlich zu

EINFÜHRUNG

1. Zu Aufbau, Eigenart und Gestalt dieses Werkbuchs

Jedem der insgesamt 150 atl. Psalmen (Band I: Ps 1–72, Band II: Ps 73–150) ist ein Abschnitt gewidmet, der jeweils die nachfolgenden Teile bzw. Rubriken enthält:

a) Übersetzung

Es handelt sich um eine Arbeitsübersetzung, die sich möglichst eng an die hebr. Ursprungssprache hält. Es wird darauf geachtet, im Hebräischen gleiche Wörter (bzw. Wurzeln) nach Möglichkeit ebenfalls stets mit der gleichen deutschen Begrifflichkeit (bzw. Wortwurzel) wiederzugeben, damit Wiederholungen von Wörtern, die für den Bedeutungsaufbau des Textes und das Spiel der bibelhebr. Poesie so wichtig sind, auch im Deutschen erkennbar bleiben. Über den eigentlichen Gottesnamen (JHWH) hinaus werden auch die Bezeichnungen für "Gott" (bzw. "Herr" o.ä.) hebr. belassen bzw. eingedeutscht (v.a. Adonaj, El, Eljon, Elohim), damit die Vielfalt der Gottesbenennung kenntlich bleibt. Die in der deutschen Übersetzung nötigen bzw. sinngemässen Ergänzungen, die aber im Hebräischen fehlen, sind mit eckigen Klammern markiert […], im Hebräischen ursprüngliche, "wörtliche" oder Varianten-Bedeutungen haben runde Klammern (…). Zeilen, die möglicherweise spätere Zusätze darstellen, werden mit geschweiften Klammern {…} angezeigt – letzteres wird allerdings äusserst sparsam verwendet (eine eigentliche Literarkritik kommt hier nicht zum Tragen).1

Viele deutsche Übersetzungen verwenden in einer gewissen Beliebigkeit das deutsche Präsens zur Wiedergabe unterschiedlicher hebr. Konjugationen und Satzsysteme. Dieser m.E. unsachgemässe Weg wird hier nicht beschritten. In der Regel liegen der Übersetzung der Verben und Satzsysteme folgende Prämissen zugrunde:2 Das deutsche Präsens für Sachverhalte der Gleichzeitigkeit und der Dauer wird überwiegend der Wiedergabe von Partizipien und Nominalsätzen vorbehalten. Die Afformativkonjugation (AK, "Perfekt") dient zum Ausdruck von vorzeitigem Geschehen und wird in der Übersetzung weitgehend mit Vergangenheitsformen wiedergegeben. Die im Hebräischen vielschichtigere Präformativkonjugation (PK, "Imperfekt") wird vielfach futurisch oder aber mit modalen Hilfsverben ("wollen", "können", "sollen", "müssen") übersetzt. Auch wiederholte, von der Vergangenheit in die Gegenwart hineinragende Tätigkeiten ("immer wieder etwas tun") oder generelle Sachverhalte können mit der PK bezeichnet werden. In einigen Fällen kann daher für die Wiedergabe der PK das deutsche Präsens zutreffend sein. Die namentlich bei Satzfolgen verwendete und mit der Konjunktion "zusammengesetzte" Form wPK ("Imperfektum consecutivum") entspricht weitgehend dem zur AK Gesagten, nur dass vielfach ein "Fortschreiten" angezeigt wird. Analoges gilt im Blick auf die Form wAK – insofern sie einem "Perfektum consecutivum" entspricht – im Blick auf die PK. Mit diesen wenigen Hinweisen sind nur die wichtigsten Sachverhalte im komplexen hebr. Verbal- und Syntaxsystem angezeigt.

Ein weiteres Kennzeichen der beigegebenen Übersetzung ist, dass sie die Psalmstruktur transparent machen will. So wird nicht einfach der traditionellen (nicht immer sachgerechten) Verszählung gefolgt, sondern der Psalm mit seinen Verszeilen dargeboten. Durch die Abstandmarkierung wird zudem ersichtlich, welche zwei (oder seltener drei) Zeilen "parallel" laufen (man spricht vom "Parallelismus der Glieder"), d.h. zusammengehören und sich in der Aussage "ergänzen". Neben den Verszeilen (a, b…) und den Versen (zwei oder drei Zeilen) sind als höhere Bausteine des Psalms auch die Strophen oder noch grössere Einheiten (Hauptteile, Stanzen) angezeigt (I, II … bzw. I A, I B …). Soweit es mir ersichtlich war, wird zudem unterhalb der angezeigten Strophen- und Stanzen in Klammern angegeben, wo solche Strophen bzw. Stanzen aufeinander bezogen bzw. einander ergänzend zu interpretieren sind (z.B. A – A'). Trotz allem Bemühen ist es nur beschränkt möglich, die Eigenheiten der hebr. Ursprungssprache in der deutschen Zielsprache kenntlich zu machen. Viele Besonderheiten (z.B. Wörter mit mehrfacher Bedeutung, Wort- und Sinnspiele und v.a. Klangmuster) können im Deutschen nicht adäquat wiedergegeben werden (z.T. wird in den der Übersetzung folgenden "Anmerkungen" darauf hingewiesen).3

b) Vokabular

Für solche, die den Psalmtext vom Hebräischen her erschliessen wollen, wird als Hilfestellung für die Übersetzung das Vokabular in Auswahl angegeben. Es werden nicht alle im Text vorkommenden Wörter angezeigt, sondern seltenere, besonders wichtige oder solche, die im vorliegenden Psalm eine besondere Bedeutungsfärbung haben. Angegeben ist die lexikalische Grundform des Wortes und eine oder mehrere Übersetzung(en) dazu.4 Die deutschen Begriffe geben mögliche Wiedergaben des hebr. Ausdrucks an. Für die präzise Erfassung sind die einschlägigen Lexika5 sowie der Kontext einzubeziehen. Dem Benützer des Wb Pss wird zugemutet, dass er die im Text zur Anwendung kommende Form selber bestimmen kann. Eine Ausnahme bilden die (angegebenen) Verbformen; hier wird nach dem Auflisten von Grundform und Übersetzung(en) in Klammer die Auflösung der im Text verwendeten grammatikalischen Form dargeboten. Für die verwendeten Sigla und Abkürzungen sei auf das Abkürzungsverzeichnis hingewiesen.

c) Form und Inhalt

Diese Rubrik bietet eine knappe gattungsmässige und inhaltliche Erschliessung des Psalms. Es finden sich Überlegungen zum Genre (Typus, Gattung) des Psalms, eine inhaltliche Gliederung, Hinweise zur Sprachform und allenfalls zur entstehungsgeschichtlichen Situation. Auf spezielle sprachliche Schwierigkeiten und Interpretationen wird hingewiesen.

d) Struktur und Poesie

In diesem Abschnitt werden Beobachtungen zur poetischen Gestalt des Psalms dargeboten. Dazu wird auf Leitwörter oder Begriffsfelder hingewiesen, auf wichtige poetische Figuren aufmerksam gemacht und die Struktur des Psalms erörtert. Aus der Überzeugung heraus, dass die poetischen Figuren und Strukturen nicht nur schmückendes Beiwerk, sondern Träger von Bedeutung sind, kommt diesen Beobachtungen eine für die Interpretation wichtige Bedeutung zu (s.u.).

e) Kontexte

Unter dieser Rubrik wird dem Umstand Rechnung getragen, dass der einzelne Psalm nicht isoliert zu uns kommt, sondern eingebettet in Kontexte. Dazu gehört namentlich die Stellung und Einbettung des Psalms im Psalter, dann im AT und endlich in der Heiligen Schrift beider Testamente (s.u.).

f) Anregungen für die Praxis

In diesem letzten Abschnitt wird ein erster Brückenschlag vom Text zum heutigen Leser versucht. Dabei kommen theologische, frömmigkeitspraktische und gemeindliche Aspekte zum Tragen. Eine auch nur einigermassen erschöpfende Auslegung bzw. Aktualisierung ist nicht angestrebt. Die kurzen und subjektiv gefärbten "Farbtupfer" wollen Anstoss zum Weiterdenken geben sowie zur persönlichen und gemeindlichen Neuverwendung des Psalms in der heutigen Zeit. Den Schluss machen Hinweise, wo sich der Psalm in den wichtigen deutschsprachigen Gesangbüchern der Evangelischen und Katholischen Kirche(n)6 – sei es als Lesetexte7 oder vertont mit Melodieangaben – findet.8

2. Zur Eigenart der alttestamentlichen Psalmen

Die in diesem und im nachfolgenden Kapitel dargebotenen Erläuterungen bieten ein theoretisches Gerüst, vermitteln Hinweise, die für das Arbeiten mit dem Wb Pss dienlich sind und zeigen dem Leser meinen Interpretationsansatz.9 Sie fundieren und ergänzen damit die Erläuterungen zu den einzelnen Psalmen.10

a) Die verschiedenen Zugangsweisen zu den Psalmen

Die Geschichte der Psalmenauslegung zeigt, dass unterschiedliche Zugangsweisen zu diesen Texten, Gebeten und Liedern möglich sind. Da ist etwa der Zugang über das liturgische Lesen, Beten oder Singen der Psalmen im Gottesdienst zu erwähnen, das neben dem eher intuitiven und existentiellen Erfassen durch den einzelnen Leser und Beter steht. Es gibt meditative, seelsorgerliche, (tiefen)psychologische, didaktische und theologische Erschliessungen zu den Psalmen. Der Christenmensch wird den Psalter auch vom NT her, d.h. von Christus her und auf Christus hin, lesen und interpretieren. Das Wb Pss will – ohne andere Zugänge abzuwerten – insbesondere der bibelwiss. Erschliessung dienen und sie für die kirchliche Praxis im weitesten Sinn fruchtbar machen. Doch bereits die in der Alttestamentlichen Wissenschaft vornehmlich gepflegte exegetischtheologische Zugangsweise ist heute vielgestaltig und zeigt sich in unterschiedlichen Schwerpunkten und Forschungsrichtungen. Ich möchte anhand eines einfachen 3-Kreise-Modells drei wesentliche Verstehensdimensionen der exegetisch-theologischen Zugangsweise skizzieren und kurz erläutern.

Die Begründung für dieses Modell liegt darin, dass bei allen drei Verstehensdimensionen ein konstitutiver Sachverhalt des Bibelwortes, in unserem Fall: der Psalmen, angesprochen ist. So liegt die Berechtigung des historischen Zugangs darin, dass wir es mit einem "Dokument" aus einer andern Zeit und Kulturepoche zu tun haben, das über einen grossen Zeitraum hinweg bis zu uns heute überliefert wurde. Es gilt, sich dieser "Zeitdifferenz" gewahr zu werden, die geschichtlichen und sozio-kulturellen Entstehungsbedingungen, die damit auch wesentlich Verstehensbedingungen sind, zu erarbeiten. Dies in einer sachgerechten Weise zu leisten, ist Aufgabe und Dienst der historischen Auslegung.

Wir haben es aber nicht nur mit einem Dokument vergangener Zeit, sondern zugleich mit einem literarischen Erzeugnis, einem "Kunstwerk", zu tun. Diesem Umstand trägt das literarische Verstehen Rechnung, das sich um die originalsprachliche Erschliessung, das Textverständnis, aber auch die Wirkabsichten im Blick auf Hörer bzw. Leser bemüht. Im Fall der Psalmen, die verspoetisch verfasst sind, d.h. besonders kunstvolle Textgebilde darstellen, kommt der literarischen bzw. poetologischen Auslegung ein entsprechend hoher Stellenwert zu. Dies unter der Annahme, dass sich in der "Gestalt" der Psalmen wesentlich auch deren "Gehalt" anzeigt.

Das theologische Verstehen schliesslich kann als dritter Teilbereich (aber auch als die einzelnen Teilbereiche umfassende Verstehensleistung) angesehen werden. In ihr bricht sich der Umstand Bahn, dass wir es nicht mit irgendwelchen Texten zu tun haben, sondern mit solchen, die in ein Buch eingeordnet und mit andern im Kanon biblischer Bücher vereint wurden. Sie wurden durch die jüdische und christliche Glaubensgemeinschaft überliefert und kommen mit dem autoritativen Anspruch auf uns zu, "Heilige Schrift" zu sein. Es sind Glaubenszeugnisse im doppelten Sinn, indem sie von Glaubenserfahrungen zeugen und zu Glaubenserfahrungen anstiften wollen. Auf dem Weg der Kanonisierung ist das Menschenwort der Psalmen, die weithin Gebete zu Gott sind, zugleich Gottes Wort an uns Menschen geworden. Diese normative, "über-geschichtliche" Gültigkeit hebt die Psalmen für die jüdische wie die christliche Glaubensgemeinschaft aus der Vielzahl alter und neuer Lieder und Gebete heraus.

Jede der drei skizzierten Verstehensweisen hat ihre Voraussetzung, ihre Chance, aber auch ihre Grenze und Gefahr, wenn sie aus dem Modell herausgebrochen und absolut gesetzt wird. Das Modell überschneidender Kreise weist darauf hin, dass es Überlappungen zwischen den Zugangsweisen gibt. Es will als korrekturbedürftiges und offenes Modell in dem Sinn verstanden sein, als es nicht abschliessend den Bibelzugang auf diese drei Verstehensrichtungen einengen will. Dass der das theologische Verstehen markierende Kreis grösser und stärker in die andern beiden Kreise eindringend dargestellt ist, ist Absicht: Das theologische Verstehen kann die beiden "profanen" Methoden zwar nicht entbehren, ihm kommt aber eine Vorrangstellung durch den Umstand zu, dass wir es eben mit der Bibel zu tun haben, in der sich uns der Gott JHWH bzw. der Vater Jesu Christi offenbart.

Das Wb Pss behält alle drei Verstehenskreise im Blick (und will mit den "Anregungen zur Praxis" darüber hinaus das Fenster für andere Zugänge öffnen), legt aber ein besonderes Augenmerk auf das literarische bzw. poetologische Verstehen, zumal dieses in der deutschsprachigen (Kommentar-)Literatur zu den Psalmen bisher am Wenigsten aufgenommen wurde. Die nachfolgenden Erörterungen begründen und veranschaulichen das literarische Verstehen der Psalmen und zeigen das diesem zugrunde liegende Textverständnis.

b) Die Eigenheiten der bibelhebräischen Versdichtung im Allgemeinen11

aa) Die poetische Sprachfunktion

Der Umstand, dass die biblischen Psalmen im Sprachmodus der Poesie (Versdichtung) verfasst sind, ist für ihre Interpretation wesentlich. Diese Ausgangsthese soll mit Hilfe des Modells der Kommunikation und der dabei beteiligten Sprachfunktionen verständlich gemacht werden. Gesprochene, aber auch vertextete Sprache dient normalerweise der Verständigung, der Kommunikation. Ein Partner will einem andern etwas sagen, und zwar so, dass dieser das Mitgeteilte so versteht, wie es beabsichtigt wurde. Damit haben wir das einfachste, dreiteilige Kommunikationsmodell angesprochen, das – vereinfacht und auf die Psalmen angewandt – folgendermassen skizziert werden kann.

In der Kommunikationssituation des Alltags besteht die Absicht des Sprechens (bzw. einer schriftlichen Mitteilung) vielfach darin, dass Wissen und Einsicht vermittelt werden will. Das Entscheidende ist also der nicht-sprachliche Sachverhalt (Referenz), der mit sprachlichen Mitteln von einer Person (Sender) zur anderen (Empfänger) vermittelt werden soll. Nun wissen wir aus der Alltagsrealität, dass es beim Sprechen keineswegs immer und ausschliesslich um Wissensvermittlung geht. Wenn jemand mit seiner Sprache Freude oder Not ausdrückt, steht nicht die Sachinformation, sondern das Empfinden im Vordergrund, das zum Einfühlen und weniger zum (logischen) Verstehen einlädt. Und wenn jemand einen Mitmenschen zu einer Handlung auffordert oder sie gar befiehlt, dann ist das primäre Ziel nochmals ein anderes: weder Verstehen noch Fühlen, sondern Tun. Bei jedem dieser Beispiele der Verwendung von Sprache oder Text steht eine andere Sprachfunktion im Vordergrund (Mitteilung eines Sachverhalts, Ausdruck von Gefühlen, Aufforderung zu einer Handlung), ohne dass dabei die andere völlig ausgeschaltet wäre. Bei der Poesie spielen diese Sprachfunktionen ebenfalls eine Rolle, doch stellt sich die Sachlage insofern noch einmal anders dar, als eine in der Alltagssprache selten verwendete Sprachfunktion als neue und wichtigste hinzukommt. Man spricht von der poetischen (oder ästhetischen) Sprachfunktion. Es ist diejenige Sprachfunktion, welche auf sich selbst zurückverweist, d.h. die die Formgebung der Mitteilung selbst (des Satzes, des Gedichts, des Psalms) in den Vordergrund schiebt.

Als einfaches Beispiel für die poetische Sprachfunktion kann ein Werbeslogan dienen wie z.B.: "Der Kluge reist im Zuge". Der Satz kommt daher wie eine einfache Information, doch insgeheim ist er "mehrdeutig": Er will auch Gefühle wecken und enthält eine implizite Aufforderung. Dies alles geschieht quasi über die "Drehscheibe" der poetischen Sprachfunktion, die im Vordergrund steht. Der Satz mit Lautspiel und Binnenreim "lädt" nämlich ein, über ihn selbst nachzudenken, "nachzufühlen" und "nachzuhandeln", indem er die durch (in diesem Fall lautliche) Wiederholungen verbundenen Wörter "Kluge" und "Zuge" als eng zusammengehörig assoziiert, so dass es dem Hörer eingängig und – nach dem Willen der Werber – klar ist, dass der wirklich kluge Mensch eben Zug (und nicht Auto) fährt. Ähnlich, wenn auch ohne ökonomische Abzweckung wie bei der Werbung, verhält es sich in poetischen Gebilden, wie es Psalmen sind.

Die poetische Sprachfunktion mit ihrer Rückbezüglichkeit leitet die Hörer bzw. Leser – durch vielfältige Wiederholungsmuster und anderes mehr – dazu an, den Text selber genau abzuhorchen, weil in seiner "Gestalt" eben wesentlich der "Gehalt" zum Vorschein kommt. In der Poesie ist also das "Was" (Inhalt der Mitteilung) engstens mit dem "Wie" (Art und Weise, "Gefäss" der Mitteilung) verknüpft. Deshalb ist das genaue Erfassen der Gestalt bei poetischen Texten, wie es die Psalmen sind, ausserordentlich wichtig. Der Wahl der Worte, dem Satzbau, der gewählten Ausdrucksweise, dem Klangbild, der Baustruktur und anderem mehr kann im Zusammenhang des Textganzen Bedeutung zukommen. Poesie als "Musik der Sprache" ist keine dahingeworfene, sondern eine sorgsam ausgewählte Sprachform. Es handelt sich um die kunstvollste und dichteste sprachliche Aussageform, die wir Menschen kennen. Poetische Texte sind zwar oft recht kurz, generieren aber mit ihren Anspielungen, versteckten Andeutungen, indirekten Hinweisen und Gefühlsassoziationen eine grosse Bedeutungsvielfalt. Der Komplexität der Poesie entspricht, dass sie oft nicht schnell und leicht verständlich ist, sondern auf Seiten des "Empfängers" nicht selten eine hohe Interpretations- und Verstehensleistung einfordert. Es bedarf dann eines mehrfachen (zyklischen) Lesens bzw. Hörens und Memorierens, um den im Gedicht bzw. Psalm eingelagerten Bedeutungsreichtum zu Tage heben zu können. Poesie im Allgemeinen und bibelhebr. Psalmenpoesie im Besonderen ist gekennzeichnet durch ein Spiel mit Mehrdeutigkeiten.

Ein Beispiel aus unserer Sprache: Das Wort "Bank" kann sowohl eine Sitzgelegenheit als auch ein Geldinstitut bezeichnen. In der Alltagssprache tun wir alles, um Mehrdeutigkeiten in Aussagen zu vermeiden, weil sie Missverständnisse heraufbeschwören, die u.U. fatale Folgen zeitigen können. Psalmenpoesie dagegen liebt das Spiel mit Mehrdeutigkeiten, die ihr dazu verhelfen, hinter einem Wort bzw. einer Aussage mehrere Deutungen gleichzeitig mitschwingen zu lassen (bei der Übersetzung geht diese Mehrdeutigkeit leider meist verloren). Der sich dadurch einstellende Bedeutungsreichtum und die Aussagevielfalt der Poesie gehen in den atl. Psalmen mit einer grossen "Offenheit" und damit einer "Flexibilität" einher, die Aussage an verschiedene Kontexte und damit auch auf verschiedene Hörer und Leser zu verschiedenen Zeiten "anzupassen". Die bis heute immer wieder erkannte Aktualität der Psalmen als "Wiederverwendungstexte" ist eine Folge davon.

bb) Poesie als Struktur

Die poetische Funktion als Rückverweis auf den Text und sein "Muster" manifestiert sich auch in einem Beziehungsgefüge der einzelnen Textbausteine (Satz / Verszeile / Vers / Strophe / Stanze) untereinander und zum ganzen Poem (Gedicht, Lied, Psalm). Das Poem kann man daher als ein Netzwerk ansehen, in dem die einzelnen Fäden miteinander verknotet sind. Sein Aussagegehalt ergibt sich nicht nur durch die Bedeutung der Wörter und Sätze, sondern auch aus der genannten Wechselwirkung zwischen den einzelnen Elementen bzw. Bausteinen des Textes und ihrem Stellenwert im Text insgesamt. Die Wechselwirkung stellt sich aufgrund von Ähnlichkeit und / oder Gegensätzlichkeit ein. In der Textinterpretation poetischer Gebilde ist es daher wesentlich, auf jeder Stufe die durch "Wiederholungen" (Elemente, die identisch, ähnlich oder gegensätzlich zueinander sind) zustande kommenden Beziehungsgeflechte (zwischen Wörter, Klängen, Sätzen, Versen, Strophen etc.) zu erkennen und die dadurch erzeugte Sinndynamik zu erfassen.

Beim bereits erwähnten Werbeslogan "Der Kluge reist im Zuge" ergibt sich eine Wechselwirkung auf der "Klang"-Ebene (Binnenreim) zwischen dem Ähnlichkeitspaar "Kluge / Zuge". Über die Klangähnlichkeit werden die beiden Begriffe beim Hörer eng verbunden und damit Bedeutung "eingestiftet" (Klug-sein und Zug-fahren sind offensichtlich zusammengehörig). Ein etwas komplexeres Beispiel sei aus den Psalmen selbst herausgegriffen: In Ps 77 liegt – meist auch in den deutschen Übersetzungen erkennbar – eine Wechselwirkung zwischen denjenigen Versen vor, die Formulierungen des "Erinnerns / Gedenkens" (רכז 4.7.12f.) bzw. "Vergessens" (חכשׁ 10) enthalten. Damit wird in Ps 77 in vielschichtiger Weise Not und Notwendigkeit des "Erinnerns" – bzw. seines Gegenteils – von Gott wie vom Menschen her thematisiert und eine "Struktur" des (kollektiven) Gedenkens bzw. der Vergegenwärtigung aufgebaut. Um diesen Psalm verstehen zu können, ist es wesentlich, den Bedeutungssinn dieses vielschichtigen Wiederholungsmusters mit seinen nuancenreichen Variationen möglichst genau auszuloten.12

Ein Poem ist also keineswegs beliebig zusammengestellt, sondern erweist sich meist als hochgradig strukturiert, also durchkomponiert. Ein Psalm ist dementsprechend nicht nur dem Textfluss nach, d.h. linear von oben nach unten, aufzuschlüsseln, sondern quasi als "räumliches Gebilde" aufzufassen, das von verschiedenen Seiten "beschaut" werden will. Lyrische Psalmdichtung hat durch ihre Intensität, Schönheit und Offenheit eine Nähe zum Geheimnis.

c) Merkmale der Textorganisation der Psalmenpoesie

Wie sich die genannten allgemeinen poetischen Eigenheiten in der bibelhebräische Psalmenpoesie konkretisieren, soll in diesem Abschnitt dargelegt werden. Das bereits genannte "Prinzip der Wiederholung" (Rekurrenz), mittels dem verschiedene Sprachelemente und Textbausteine miteinander in Beziehung gesetzt werden, ist auch für die althebräischen Psalmenpoesie leitend. Nicht alle Wiederholungselemente können in einer Übersetzungssprache wie dem Deutschen erkannt werden, deshalb ist es gerade bei poetischen Texten wichtig, sich – wenn möglich – der Originalsprache zuzuwenden. Nachfolgend werden wesentliche Muster der Wiederholung (bzw. Ähnlichkeit oder Gegensätzlichkeit) genannt und einige Hilfestellungen bei der Erarbeitung und Interpretation derselben gegeben. Die ersten beiden Rubriken behandeln Entsprechungen auf der Sprachebene, die letzten beiden solche auf der Strukturebene eines Psalms.

aa) Entsprechungen auf der Wort- und Bedeutungsebene

Ein wesentliches Mittel zum Verständnis der Poesie besteht darin, im Text angelegte Entsprechungen (Äquivalenzen) zu erkennen und zu interpretieren. Mit Entsprechungen sind innertextliche Bezugssysteme (in unserem Fall zwischen Wörtern und Begriffen) gemeint, die durch (variierende) Wiederholung von gleichen, ähnlichen oder gegensätzlichen Wortbedeutungen und Begriffen zustande kommen.13 Durch solche Beziehungen wird die poetische Sprachfunktion aktiviert und der Psalmtext mit zusätzlicher Bedeutung aufgeladen bzw. angereichert.

Dominieren einzelne Wörter bzw. Begriffe in einem Text, so spricht man von Leitwörtern (vgl.z.B. das Substantiv לוֹק "Stimme" in Ps 29). Sie zeigen textbestimmende Themenbereiche an, mit Hilfe derer der Autor den Hörer bzw. Leser u.a. auf seine Aussageabsichten hinleitet. Neben den wortwörtlichen Wiederholungen gibt es Varianten der Wiederholung, z.B. durch veränderte grammatikalische Formen ("seine Furcht" bzw. "die Furcht Gottes") oder dadurch, dass die gleiche Wurzel (z.B. "Furcht") in unterschiedlichen Wortarten und Konjugationsformen auftaucht (z.B. auch "sich fürchten", "in Furcht versetzen", "furchtbar" etc.).

Das Feld erweitert sich zusätzlich, wenn neben der wörtlichen Wiederholung sinnverwandte Begriffe ähnlicher (Synonyme) oder gegensätzlicher Art (Antonyme) verwendet werden (z.B. "Gerechtigkeit" und "Recht" bzw. "Unrecht", "Frevel" etc.). Wort- und Wurzelwiederholungen, Synonyme und Antonyme lassen sich dann zu "Wort- und Begriffsfeldern" gruppieren, anhand derer sich wesentliche Aussageschwerpunkte erheben lassen. Für die Interpretation eines Psalmtextes kann es hilfreich sein, z.B. mit Hilfe eines Rasterdiagramms, ein Inventar solcher Wiederholungen und Begriffsfelder zusammenzustellen.14 Für die Textinterpretation ist allerdings nicht nur die Erhebung häufiger Begriffe und Wortfelder wesentlich; auch die Verwendung von seltenen und auffälligen Vokabeln und Formen kann ein Indikator für Gewichtiges sein.

Die Beobachtung und Registrierung wesentlicher Wiederholungen (eingeschlossen Bedeutungsähnlichkeiten und -gegensätze) innerhalb eines Textes ist jedoch nur der erste, einfachere Schritt zum Verstehen. Anhand der Häufigkeit dieser Phänomene, der Platzierung, der Nuancierung, der Einbettung und Beziehung der jeweiligen Begriffe gilt es dann, im Zusammenhang des Textganzen eine Gewichtung der Aspekte vorzunehmen und die Aussageabsicht zu erheben. Hierzu gibt es keine einfachen Regeln und Methoden, vielmehr ist in diesem Interpretationsprozess eine gewisse Fertigkeit nicht ohne vielfaches "Üben" an Texten und immer neues Hinhören auf die offenen und versteckten Aussageabsichten zu gewinnen. Die Anmerkungen zu den jeweiligen Psalmen möchten dazu anzuleiten.

bb) Entsprechungen auf der grammatikalischen, rhythmischen und klanglichen Ebene

Diese Bereiche der Wiederholungen, Ähnlichkeiten und Gegensätze sind, anders als auf der semantischen Ebene (Wortbedeutung, Begrifflichkeit), vielfach nur im hebr. Originaltext erfassbar. Ausgenommen sind Beobachtungen zu den Satzsubjekten. Der Subjekts- und Redewechsel, mit dem vielfach eine Textgliederung (Strophenwechsel) verbunden ist, muss man gebührend beachten. In der bibelhebr. Psalmenpoesie ist ferner der weite Bereich klanglicher Entsprechungen bedeutsam. Häufig sind Alliterationen (Häufung gleich- oder ähnlich klingender Konsonanten) und andere Lautspiele.

Ist für die deutschsprachige (und anderssprachige) Versdichtung oft der Endreim (Telestie) charakteristisch, so liegt in der bibelhebr. Poesie ein stärkeres Gewicht auf einer Art von "Anfangsreim" (Akrostichie), einem Spiel mit Lauten und Buchstaben am Zeilen- oder Versanfang. Bei der alphabetischen Variante, die sich insbesondere in weisheitlich gefärbten Psalmen (u.a. Ps 34; 111f.; 119; 145) und auch im Buch Threni / Klagelieder findet, sieht das so aus, dass die Vers(zeilen) jeweils mit einem der 22 hebr. Konsonanten, und zwar in der Abfolge des Alphabets, anfangen (א, ב, ג … ת). Der Sinn dieses Musters ist nicht vollends geklärt. Gedacht wird u.a. an eine Memorierungshilfe. Im Vordergrund steht aber vermutlich die Absicht, damit Fülle und Totalität (im Sinne: "von A bis Z") zum Ausdruck zu bringen.

Schliesslich lassen sich auch Entsprechungen in der Versrhythmik (Abfolge der Silben und Betonungen) beobachten, die Verszeilen und ihre Aussagen dadurch näher miteinander verknüpfen wollen.

cc) Entsprechungen auf den niederen Strukturebenen (Verszeile, Vers)

Das auffälligste Prinzip der Entsprechung der bibelhebr. Poesie manifestiert sich am Umstand, dass eine Verszeile (Kolon) selten isoliert dasteht, sondern (meist) mit benachbarten, ähnlichen Zeilen zu einer eng verbundenen Zweier- und Dreiergruppe formiert ist. Man spricht dann – in Aufnahme eines Begriffs aus der Geometrie – von einem "Parallelismus (der Glieder)".15 Ein Psalm setzt sich also im Bereich der kleinsten poetischen Bausteine (Mikrostruktur) aus Verszeilen (Kola) zusammen, die in der Regel aus 2–5 Wörtern bzw. Worteinheiten bestehen und in der Übersetzung mit den Kleinbuchstaben "a", "b", "c" angezeigt werden. Zwei oder drei eng zusammengehörende Verszeilen bilden die Struktureinheit "Vers" (man spricht beim Zweizeiler von "Bikolon" respektive beim Dreizeiler von "Trikolon"). Die Abhebung der Verse untereinander wird in der Übersetzung durch leicht grössere Zwischenräume markiert (die Verszählung ist dabei nicht immer übereinstimmend mit der poetischen Versabgrenzung).16 Der "Parallelismus" der Verszeilen ist in den deutschen Übersetzungen, namentlich dort, wo er inhaltlich (semantisch) vorliegt, recht gut erkennbar. Die Erhebung des "Parallelismus" und damit der Versabgrenzung sowie der Bestimmung des Aussagegehalts desselben gehören zu den wesentlichen Aufgaben der Interpretation. Nicht immer sind die Aussagen der Verszeilen, die vielfach zugleich Satzeinheiten sind, inhaltlich "parallel" (auch hier ist Ähnlichkeit und Gegensätzlichkeit mit eingeschlossen). Vielfach sind es (auch bzw. nur) Wörter, die sich entsprechen (Wort-Paar), aber auch Satzbau, Klangmuster u.a. kann sich entsprechen und damit "parallel" sein.

Vereinfacht werden üblicherweise drei Haupttypen von Parallelismen unterschieden: 1. Synonymer Parallelismus: Die Verszeilen sagen inhaltlich Ähnliches aus (Sonderform: repetitiver Parallelismus: identische Verszeilen). Beispiel (Ps 5,12ab): "Dann werden sich alle freuen, die auf dich vertrauen, // allezeit werden sie jubeln."

2. Antithetischer Parallelismus: Die Verszeilen sagen inhaltlich Gegensätzliches aus (Achtung: Im Blick auf einzelne [negierte] Begriffe kann eine Antithese vorliegen, die Zeilenaussage insgesamt aber synonym sein und umgekehrt). Beispiel (Ps 1,6abd): "Fürwahr, JHWH kümmert sich um den Weg der Gerechten, // aber der Weg der Frevler wird zugrunde gehen!"

dd) Entsprechungen auf den höheren Strukturebenen (Strophe / Stanze, Poem / Psalm)

Verszeilen gruppieren sich nicht nur zu Versen, sondern im Bereich der Makrostruktur bündeln sich (meist 2–4) Verse auch zu einer Strophe. Der Strukturbaustein "Strophe" wird in der Übersetzung üblicherweise mit römischen Ziffern (I, II, III etc.) markiert und die Strophengliederung durch einen grösseren Zwischenraum angezeigt. Abfolge und Zusammenstellung der Strophen ergibt das Poem als Ganzes, wobei bei grösseren poetischen Gebilden zwischen Strophe und Poem noch weitere Strukturebenen (Stanzen, Cantos) dazwischen geschoben sein können. In einem solchen Fall bezeichnen die römischen Ziffern (meist) die Stanzen, und die strophische Subgliederung wird durch römische Ziffern mit Grossbuchstaben angezeigt (I A, I B, I C; II A, II B etc.).

Während Verszeilen und Verse in vielen deutschsprachigen Bibelausgaben angezeigt werden, ist das im Blick auf die höheren Struktureinheiten von Strophen und Stanzen nicht der Fall. Das hängt damit zusammen, dass die strophische Gliederung manchmal schwer erkennbar ist und daher unterschiedliche Gliederungen vorgenommen werden. Dazu kommt, dass dieses poetische Bauprinzip in der Psalmenforschung noch nicht überall die ihm gebührende Beachtung und Anerkennung gefunden hat.

Folgende Textsignale können helfen, strophische Einheiten zu erkennen und voneinander abzuheben: Themawechsel; Subjektwechsel und andere Form- und Satzbaumerkmale; Eröffnungsmerkmale (z.B. vokativische Gottesanrede) oder Schlussmerkmale (z.B. Zeitdauer-Aussagen, "Sela"). Anhand einer Skizze seien die strukturellen Bausteine, aus denen sich ein poetisches Gebilde wie ein Psalm aufbaut, kurz dargestellt.

Bei der Interpretation eines Psalms gilt es den "Bauplan" von den Versen über die Strophen bis zum Poem zu beachten und im Blick auf die Aussageentwicklung und die Gesamtaussage auszuwerten. Wie es bei der Entsprechung der Versteile zueinander verschiedene Parallelismus-Muster gibt (s.o.), so gibt es auf der Ebene der grösseren Textbausteine oft Formen der Entsprechung. Die sich entsprechenden Teile sind aufgrund von thematischer Nähe (bzw. Gegensätzlichkeit) und Wortbezügen (Wiederholungen) erkennbar.

Auf der Ebene der Makrostruktur kann man von zwei Hauptmustern (dargestellt mit den Grossbuchstaben A, B, C bzw. A', B', C' etc.)18 ausgehen: das alternierende Muster (Schema: ABA'B' etc.) und das zentrierende Muster (Schema: ABCB'A' etc.). Beide Hauptmuster kommen in einer Reihe von Untervarianten und Mischformen vor.

Alternierende Muster sind dadurch gekennzeichnet, dass die einander entsprechenden Bausteine (Strophen oder Stanzen) nicht hintereinander gestellt erscheinen, sondern sich mit anderen, sich ebenfalls entsprechenden Teilen abwechseln. Bei längeren alternierenden Mustern (z.B. ABCDA'B'C'D') spricht man auch – einen Begriff aus der (sakralen) Malerei aufnehmend – von einem "Diptychon". Wie in einem zweiflügligen Altarbild sich die beiden Bildhälften ergänzen, so besteht der Psalm gleichsam aus zwei "Durchgängen", die als aufeinander bezogene Teile der Räumlichkeit eines Altarbildes nahekommen.19 Die alternierende Struktur bringt es bei den Psalmen (z.B. Ps 13020) mit sich, dass der Psalm quasi in zwei analogen Durchläufen erfasst werden will. Die Entsprechung der beiden Hauptteile geschieht als Ergänzung, als gegenseitige Interpretation im Sinne des genannten zweiteiligen Altarbildes: eine Zusammenschau (Synopse) beider Teile ist beabsichtigt.

Zentrierende Muster sind dadurch gekennzeichnet, dass das betonte, besonders unterstrichene Aussagemoment des Psalms nicht (nur) am Ende steht, sondern in der Mitte, im "Herzen" des Psalms. Die Abfolge der entsprechenden Teile ist zudem gegenläufig, d.h. spiegelbildlich. Es gibt zwei Untertypen des zentrierenden Musters. Beim einen ist (wie in der obigen Skizze) das mittlere Bauelement (C) singulär (Schema: ABCB'A') und damit ohne Entsprechung. Man spricht bei diesem Typus – aufgrund der Gestalt des griechischen Buchstabens "Chi" (Χ) – von einem "Chiasmus" (andere Bezeichnungen: "Zwiebelschalen"-Muster, Rahmen- oder Ringstruktur, Palindrom etc.). Beim andern Typus ist das mittlere Bauelement (C) ebenfalls gepaart (Schema: ABCC'B'A'). Man spricht dann auch von einer "Spiegelsymmetrie". Die äusseren Entsprechungselemente bei den zentrierenden Mustern (A und A') werden auch als "Rahmung" oder "Inclusio" bezeichnet. Die von den Psalmen mit zentrierenden Mustern (z.B. Ps 7721) eingeforderte Leseanleitung und Interpretation geht dahin, dass – wie bereits gesagt – die Kernaussage in der Mitte liegt und der Sinngehalt des Psalms quasi in einer doppelten Bewegung von aussen nach innen und von innen nach aussen aufzuschlüsseln ist.

ee) Grenzen der poetischen (ästhetischen) Betrachtungsweise bei den Psalmen

Beim Vorstellen der verschiedenen Zugangsweisen wurde bereits deutlich, dass die literarische (poetologische) Verstehensweise neben Chancen auch ihre Grenzen hat und der Ergänzung durch andere Zugangsweisen bedarf. Darauf ist auch von Literaturwissenschaftlern selbst hingewiesen worden.22 So ist zu bedenken, dass die Bibel (und mit ihr die Psalmen) zwar eine hohe literarische Qualität aufweist, bei einem Eingehen auf ihren herausfordernden Anspruch aber eine distanziert-unterhaltende Schöngeistigkeit verunmöglicht wird. Die Bibel ist in dem Sinn zugleich hohe Literatur wie auch Anti-Literatur: "Gebete" wollen nicht (primär) gefallen, sondern ausdrücken und bewirken. Die hohe Poetizität der Psalmen darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass nicht – wie in der romantischen oder modernen Lyrik – das monologisch-subjektive Moment im Vordergrund steht. Ein angemessenes "Meditieren" der Psalmen ist primär nicht selbstbezogen (reflexiv), sondern Gott- (und Gemeinde-)bezogen (relational) angelegt. Die Psalmen sind zutiefst "dialogisch", nicht abzulösen vom Bundesgedanken, der das "Ich" nicht nur mit dem "Du" Gottes, sondern auch mit dem "Wir" des Gottesvolkes verbindet. Die Psalmen sind – auch wenn sie sich als "Wiederverwendungstexte" nicht auf ein biographisches oder geschichtliches Moment behaften lassen – nicht fiktive, sondern zeugnishafte Texte, Lieder und Gebete.

d) Die Typen der Psalmen

aa) Sprachäusserungen und ihr Anteil an Originalität und Konventionalität

Jede sprachliche Äusserung trägt Kennzeichen von Originalität wie auch Konventionalität an sich. Mit "Originalität" ist der Sachverhalt bezeichnet, dass Äusserungen, die ich mache, bzw. Texte, die ich schreibe, individuell, spezifisch und charakteristisch sind für den Menschen, der sie macht bzw. schreibt. "Konventionalität" dagegen bezeichnet den gegenteiligen Sachverhalt, nämlich, dass ich mich in mündlichen oder schriftlichen Äusserungen immer auch auf Vorgegebenes, Vorgeformtes stütze. Dazu gehören Dinge wie die grammatikalischen Regeln, der Umstand, dass bestimmte Wörter bestimmte Gegenstände oder Sachverhalte bezeichnen, gewisse sprachliche oder textliche Konventionen etc. Die Konventionalität garantiert, dass Kommunikation, also gegenseitiges Verstehen, überhaupt gewährleistet ist; die Originalität bringt dagegen die je spezifische Äusserung zum Ausdruck.

Zwei Alltagsbeispiele sollen das Gesagte illustrieren helfen: Bei einer Todesanzeige haben wir in der Regel eine relativ stark formalisierte Textform vor uns (schwarzer Rand, Namen und Lebensdaten der verstorbenen Person, Nennung der Angehörigen und Trauerleute, Angaben über Trauerfeier, dazu wenige, oft ähnlich lautende Aussagen). Weil solches in ähnlicher Weise wiederkehrt, kann man von einem Texttypus oder einer Gattung "Todesanzeige" sprechen. Sie ist gekennzeichnet durch einen recht hohen Grad von Konventionalität. Bei der Gattung "Privatbrief" dagegen ist die Originalität ungleich stärker. Zwar gibt es – über die Sprachverwendung hinaus – auch einige konventionelle Elemente (Anrede, Gruss, Absenderangabe etc.), aber der Hauptteil des Briefes kann sehr Unterschiedliches, d.h. je Eigenes des Absenders, enthalten.

Alles Reden und Schreiben bewegt sich auf einer Bandbreite zwischen den Extremen: absolute Originalität und absolute Konventionalität. Originalität allein ohne Konventionalität würde ein Verstehen meiner Äusserungen durch andere Menschen verunmöglichen, und Konventionalität allein ohne Originalität würde dazu führen, dass zwar alles verstanden wird, aber inhaltlich nichts gesagt würde. Beides würde zum Stillstand jeglicher Kommunikation führen.

bb) Psalmen-Gattungen als Ausdruck einer vorgegebenen Ordnung

Die bisherigen Erörterungen zur Poesie der Psalmen zeigten zwar durchaus auch Elemente der Konventionalität (Vers-Parallelismus, Strukturen etc.), insgesamt liegt aber bei der Beschreibung der Psalmenpoesie als "Kunstwerk" die Betonung deutlich auf der Seite der Originalität. Die individuelle Eigenheit des jeweiligen Psalms soll erkannt und herausgestellt werden. Diese Sichtweise ist nun zu ergänzen durch die Beachtung tragender Konventionen, Gattungen, Gebets- bzw. Texttypen, d.h. es ist nach vorgegebenen "Ordnungen" zu fragen, die den einzelnen Psalmen bzw. ihren Verfassern als eine Art "Rahmen" gedient haben und anhand derer gattungsähnliche Psalmen sich gruppieren und klassifizieren lassen. Diese Fragestellung ist umso berechtigter, als im israelitischen Glaubens- und Kulturraum wie überhaupt im damaligen Alten Orient Individualität und Originalität nicht denselben hohen Stellenwert haben, wie dies in unserer modernen westlichen Gesellschaft der Fall ist. Vielmehr kam Wertesystemen wie Gemeinschaft, Tradition, gemeinsamer Erinnerung ("kollektives bzw. kulturelles Gedächtnis")23 etc. ein ungleich höherer Stellenwert zu.

Unter der Bezeichnung "Form- oder Gattungsgeschichte" ist die Suche und Erhebung nach den hinter den Einzelpsalmen liegenden konventionellen Ordnungsstrukturen bekannt geworden. Dieser Ansatz wurde von Hermann Gunkel anfangs des 20. Jh.s entwickelt, von andern weitergeführt und hat die Psalmenforschung bis in die jüngere Zeit hinein massgeblich geprägt.24 Nach Gunkel müssen drei Bedingungen erfüllt sein, damit einzelne Psalmen zu einer bestimmten Gruppe, einer "Gattung", zusammengestellt werden können:

1. Ihnen muss ein spezifischer Entstehungszusammenhang ("Sitz im Leben") gemeinsam sein (er dachte dabei an eine Ursprungshaftung der Psalmen im gottesdienstlichen Geschehen).

2. Es muss inhaltliche Gemeinsamkeiten geben ("Gehalt", er spricht von einem "gemeinsamen Schatz von Gedanken und Stimmungen").

3. Es müssen Gemeinsamkeiten auf der sprachlichen Ausdrucksseite ("Gestalt": Sprachform, Struktur, Stilmerkmale) vorliegen.

Gunkel bestimmte anhand dieser Kriterien fünf Hauptgattungen (sowie eine Reihe Unter- und Nebengattungen) und bezeichnete diese als "Hymnen" (u.a. Ps 8; 19; 29; 33; 100; 103), "Klagelieder des Volkes" (u.a. Ps 44; 60; 74; 79; 80), "Königspsalmen" (u.a. Ps 2; 18; 20; 45; 72), "Klagelieder des Einzelnen" (u.a. Ps 3; 7; 13; 17; 22; 27; 54) und "Danklieder des Einzelnen" (u.a. Ps 30; 32; 66; 116).

Es ist hier nicht der Ort, auf Chancen und Problematiken dieser Kategorisierung einzugehen (Näheres dazu findet sich in den Psalmen-Einführungen und -Kommentaren). Nur soviel: Nicht jede "Gattungs"-Charakterisierung ist gleich ergiebig, und nicht jeder Psalm lässt sich problemlos einer Gattung zuweisen. Ich greife hier beispielhaft die beiden Gattungen "Klagelied eines Einzelnen" und "Danklied eines Einzelnen" heraus, die sich als tragfähig herausgestellt haben, und illustriere die Konventionalität der Gattungsmerkmale beispielhaft je anhand eines Psalms.25

cc) Psalm 13 als Beispiel für die Gattung "Klagelied eines Einzelnen"26

Die "Klagelieder eines Einzelnen" – man spricht auch von Bittgebeten (hebr. הלָּפִתְּ) – machen die grösste Gruppe innerhalb des Psalters aus. Dieser Typus ist gekennzeichnet durch folgende Gattungsmerkmale (die kursiv gesetzten Elemente sind fakultativ, die andern konstitutiv; in Klammern dazu die Versangaben zu Ps 13):

1. Anrede Gottes (im Vokativ), mit einleitendem Hilferuf und / oder Hinwendung zu Gott (2a, vgl. auch 4a).

2. Klage, die sich zeigen kann als Anklage Gottes (2ab), als Sich-Beklagen des sprechenden Ichs – oft verbunden mit einer Elendsschilderung (3ab) – und als Verklagen des Feindes (3c).

3. Bekenntnis der Zuversicht, der Klage entgegengesetzt durch "aber"-Einleitung (6a).

4. Bitte, die sich sich äussern kann als Bitte um Gottes Zuwendung ("siehe bitte …!", "höre …!", 4a) und als Bitte um Gottes Eingreifen ("hilf …!", "rette …!", 4ab), unterstützt mit Argumenten (Motiven), die Gott zum Eingreifen bewegen sollen (4b.5ab).

5. Gewissheit der Erhörung (6b).

6. Doppelwunsch: Wunsch oder Bitte, dass Gott eingreife gegen… und für… (5ab).

7. Lobgelübde (6c).

8. Lob Gottes (nur bei erhörten Bitten!, evtl. 6c).

dd) Psalm 30 als Beispiel für die Gattung "Danklied eines Einzelnen"27

Der hebr. Begriff "Toda" (הדָוֹתּ) kann das im Tempel dargebrachte "Dankopfer" wie auch das (ursprünglich) bei dieser Gelegenheit dargebrachte "Danklied" bezeichnen. Im Gegensatz zu einem grossen Teil der anderen Gattungsbezeichnungen hat das "Danklied (des Einzelnen)" im Hebräischen nicht nur eine eigene Bezeichnung, sondern auch eine biblisch ausgewiesene institutionelle und "liturgische" Verankerung. Mit dem Danklied wurde (anlässlich einer Gemeinschaftsfeier am Tempelvorhof) im Sinn einer Gelübde-Einlösung die Befreiung aus einer persönlichen Notlage bezeugt, die in einem früheren Stadium zu einem Klagelied bzw. Bittgebet Anlass gegeben hatte. Als Gattungsmerkmale lassen sich in der Regel sechs charakteristische Elemente abheben (in Klammern dazu die Versangaben zu Ps 30):

1. Entschluss (Gelübde), Gott Dank abzustatten (2).

2. Einführende Zusammenfassung der Befreiung aus der Notlage (2–4).

3. Beschreibung der Notlage (7–8).

4. Zeugnishafter Bericht, dass Gott das Klagegebet erhört und hilfreich eingegriffen hat (9–12).

5. (An die Zuhörer gerichteter, sich daraus ergebender) allgemeiner Lehrteil (5–6)

6. Erneute Danksagung (13).

e) Die Bildersprache der Psalmen

Poesie lebt in hohem Mass von bildhafter Sprache (Metaphorik). Das gilt – wenn auch nicht für alle Psalmen in gleicher Weise – auch für die biblische Psalmenpoesie. Die Metaphorik umschliesst dabei ein weites Feld von Möglichkeiten: angefangen von Vergleichen (oft eingeführt mit der Vergleichspartikel כ "wie") über ausgeführte Metaphern bis hin zu ausgestalteten Bildgeschichten bzw. Szenen. Es gibt geprägte, feststehende Bilder (z.B. im Deutschen: "ein Brett vor dem Kopf haben"), aber auch neue, schöpferische Sprachbilder. Die Psalmen schöpfen und schaffen ihre Bilder aus altisraelitischen Lebens- und Kulturzusammenhängen (Landwirtschaft, Jagd etc.).28

Es gibt Bilder, die eher Bedrückung, Not und Feindschaft ausdrücken bis hin zu Todesbildern, und wiederum andere, die Freude, Glück und Gemeinschaft anzeigen. Grundsätzlich gilt: Sprachbilder sind nicht einfach "blumige" Ausdrucksweise, die sich ohne Bedeutungsverlust in sog. Normalsprache "übersetzen" lassen. Die Bildpoesie leistet die "Verwandlung von Gewohntem". Bilder sind auch deshalb gewählt, weil sie Empfindungen und Absichten emotionaler, vielfältiger und dichter auszudrücken vermögen. Das Bild allein ist vieldeutig und facettenreich. Erst durch die Einbettung in den Kontext wird das Sprachbild eindeutiger, ohne aber die in der Poesie ohnehin anzutreffende Vieldeutigkeit ganz aufzugeben.

Weil uns die hebr. Sprache und die altisraelitische Welt nicht in gleicher Weise wie unsere Muttersprache und unsere Welt zugänglich sind, bedarf es vermehrter Anstrengung, um den in der biblischen Metaphorik liegenden Aussage- und Gefühlsgehalt nachempfinden und verstehen zu können. Nicht immer gelingt dies hinreichend, denn manche Bildaussagen bleiben uns schwer zugänglich und damit fremd. Es finden sich auch Aussagen, bei denen sich die Frage stellt, ob eine Ausdrucksweise einen direkten Wirklichkeitsbezug (Referenz) hat oder ob es sich um indirekte Wirklichkeit (Metaphorik) handelt. Dazu ein Beispiel: In Ps 130,1 ist vom Rufen aus (den) םיקמעמ "Tiefen" die Rede. Spricht der Beter davon, dass er sich in einer Grube, Zisterne o.ä. aufhielt oder spricht er übertragen von seelischen und geistlichen Abgründen? Oder ist gar beides zugleich (mit)gemeint?

Schliesslich besteht für uns moderne Bibelleser die Gefahr, dass wir – aus unserer Welt herkommend – in die Psalmbilder Wirklichkeiten hineinlesen, die so nicht beabsichtigt waren (was nicht heisst, dass dies nicht auch hilfreich sein kann). Nehmen wir als Beispiel den bekanntesten aller Psalmen, den Ps 23, mit seiner Hirten-Metaphorik. In unserer technisierten Welt können sich mit dem Bild von Herde und Hirt Gefühle einer gewissen (Natur-)Idylle und Romantik verbinden. Im alten Israel jedoch verweist das Bild viel stärker auf den Lebensalltag und beinhaltet neben Schutz und Geborgenheit auch Aspekte wie Arbeit, Entbehrung und Gefahren. Zu dieser israelitischen Alltagserfahrung mischt sich bei diesem biblischen Bild zusätzlich noch eine geprägte Vorstellung insofern, als dass im gesamten Alten Orient die Ausdrucksweise von Hirt und Herde auf die Beziehung zwischen König und Volk verweist und von dieser Verstehensebene her mit weiteren Vorstellungen angereichert ist. Dies nur als Problemanzeige, die uns achtsam und behutsam im Erfassen der poetischen Bilder in der Psalmensprache machen soll.

Als praktisches Anschauungsbeispiel dafür, wie vielschichtig die Metaphorik der Psalmen ist, seien an dieser Stelle verschiedene Verwendungsweisen des Bildes vom Vogel angefügt, mit deren Hilfe Aussagen über Menschen und Gott gemacht werden: Das Bild des Vogels kann als Bild für Fluchtbewegungen dienen (Ps 11,1: "Flieh ins Gebirge wie ein Vogel!"). An anderen Stellen wird damit Schwachheit, Verlassenheit und Gefährdung zum Ausdruck gebracht (Ps 102,7f.: "Ich bin wie die Eule in der Einöde, wie das Käuzchen in den Trümmern. Ich wache und klage wie ein einsamer Vogel auf dem Dach"; Ps 74,19: "Gib deine Taube nicht den Tieren preis; das Leben deiner Elenden vergiss nicht für immer!"). Wieder an anderer Stelle wird auf die (jugendliche) Kraft des Adlers (eigtl. "Geiers") als König der Lüfte zurückgegriffen (Ps 103,5: "… der deinen Mund fröhlich macht und du wieder jung wirst wie ein Adler"). Noch vielschichtiger wird der Bildvergleich dann, wenn – wie vorher beim Hirten-Herde-Bild schon angesprochen – nicht nur Phänomene aus der Tierwelt aufgegriffen werden, sondern sich darin bereits geprägte Vorstellungskonzepte ausdrücken. So kann im Fall der "(Geier-)Flügel"-Metaphorik über das Moment von Schutz und Geborgenheit hinaus Folgendes mitschwingen: die geschützte Existenz unter dem (göttlichen) König und / oder der Verweis auf den im Jerusalemer Tempel sich befindlichen Thron mit den Cheruben-Flügeln und damit evtl. auch auf die Institution des Schutz-Asyls am Tempel (Ps 57,2: "…und unter dem Schatten deiner Flügel habe ich Zuflucht bis das Unglück vorübergehe"; Ps 36,8: "Wie kostbar [ist] deine Gnade, Elohim! Ja, Menschenkinder können sich im Schatten deiner Flügel bergen."; Ps 61,5: "Ich möchte in deinem Zelt für immer als Gast weilen, möchte Bergung suchen im Schutz deiner Flügel.").

Zu den "Tropen" gehören neben den Bildern auch eine Reihe weiterer Stilfiguren. Genannt sei die "Personifikation", d.h. der Umstand, dass leblose Wesen oder Begriffe "verlebendigt" und als Personen dargestellt werden (z.B. Ps 96,11f.: "Der Himmel freue sich, die Erde jauchze, das Meer donnere und alles, was es erfült; das Gefilde juble und alles, was in ihm ist; dann sollen die Bäume des Waldes jubeln"). Mit dem Bild verwandt ist die "Metonymie". Während beim Bild zwischen dem als Bild verwendeten Wort und seiner lexikalischen Bedeutung kein realer Zusammenhang besteht ("uneigentlicher Wortgebrauch"), so liegen bei der Metonymie, wo Begriffe miteinander in Beziehung gesetzt werden, inhaltliche Berührungen vor, z.B. "falsche Zungen" (Ps 120,2) für Menschen, die Falsches reden, oder "(rechte) Hand" (Ps 74,11) für Macht, die mit der rechten, (zum Kampf) erhobenen Hand zum Ausdruck kommt (bei diesem zweiten Beispiel ist der Übergang zwischen Metonymie und Metapher allerdings fliessend).

Bei der Analyse und Interpretation eines Psalms kann es hilfreich sein, ein "Inventar" der verwendeten Sprachbilder zu erstellen. Dazu gehört das Festhalten der verwendeten Bildfelder (Hauptbereiche, Unterbereiche, Begriffe) und allfälliger Bildvernetzungen, das Notieren von Aussagesinn und Aussageabsicht und das Beobachten positiver oder negativer emotionaler Einfärbungen.

Als Hilfsmittel zur Erarbeitung der biblischen Metaphorik und anderer Stilfiguren, ja der Eigenheiten der bibelhebr. Poesie generell können entsprechende Einführungen und Handbücher dienlich sein.29 Im Falle der Bildersprache der Psalmen sind zudem die aus der damaligen altorientalischen Welt gesammelten und interpretierten Abbildungen, Zeichnungen und Skulpturen (Ikonographie) wichtig.30 Mit ihrer Hilfe kann die Bildersprache der Psalmenaussagen neu gelernt werden.

3. Das Psalmenbuch und seine Gliederung

Dem Umstand, dass die einzelnen Psalmen nicht einzeln überliefert zu uns kommen, sondern gesammelt und in ein Psalmenbuch (Psalter) eingegliedert, ist Rechnung zu tragen. Der einzelne Psalm ist als halb-autonome Einheit anzusehen. Mit andern Worten: Jeder Psalm ist als Text eine literarische Einheit, die zunächst für sich selbst zu interpretieren ist. Aber auch das andere gilt: Jeder Psalm hat seinen bestimmten, ausgewählten (nicht zufälligen!) Platz im Psalter, ist eingebettet in dieses Buch und schliesslich in den Kanon autoritativer Schriften (AT/Bibel). Liest man den einzelnen Psalm in seinem Kontext, d.h. im Zusammenhang seiner "Nachbarpsalmen", der Psalmengruppe, dem Psalmenbuch, dem biblischen Gesamthorizont, ergeben sich neue Sinnzusammenhänge. Damit ist gesagt, dass jeder Psalm sich auf mehr als einem Hintergrund lesen und interpretieren lässt. Im Wesentlichen lassen sich die folgenden drei "Settings" unterscheiden:31

1. Geschichtliche und / oder liturgische Psalmlesung und -interpretation: Die Bedeutungserhebung der den einzelnen Psalmen zugrunde liegenden sozialen, geschichtlichen, institutionellen und liturgischen Bedingungen und Zusammenhänge. Dies gelingt allerdings nicht in jedem Fall, da die Psalmen als "Wiederverwendungsliteratur" oft Angaben entbehren, die eine eindeutige Zuweisung ermöglichen würden.

2. Literarische (poetologische) Psalmlesung und -interpretation: Die Bedeutungserhebung der Psalmen als kunstvoll verschriftete Einzeltexte (siehe obiges Kapitel 2).

3. Kontextuelle bzw. kanonische Psalmlesung und -interpretation: Die Bedeutungserhebung der Psalmen unter Einbezug ihres literarischen Umfelds im Psalter und dann auch im biblischen Kanon.

Die erste Interpretationsweise ist der in der deutschsprachigen Psalmenforschung am häufigsten beschrittene Weg. Er findet seinen Niederschlag in allen Einführungen und Kommentaren zu den Psalmen und braucht deshalb hier nicht weiter dargestellt zu werden. Die zweite Interpretationsweise wurde im voranstehenden Kapitel dieser Einführung skizziert, so dass nachfolgend noch die dritte Interpretationsweise näher vorzustellen ist. Sie stellte die neuste Richtung in der Psalmenforschung dar. Das führt mit sich, dass vieles erst skizzenhaft erarbeitet ist, sich weithin noch kein Forschungskonsens etabliert hat und manche offenen Fragen noch ungeklärt sind.32

a) Vom Psalm zum Psalter

Die Entstehung des Psalmenbuches hat man sich aller Wahrscheinlichkeit nach als längeren Prozess vorzustellen. Auf dem mehrstufigen Weg von den einzelnen Psalmen zum kanonischen Psalmenbuch dürften verschiedene Impulse wirksam gewesen sein. Einige davon möchte ich nachfolgend benennen.

aa) Gotteserfahrungen als Impulse zur Psalmwerdung und Psalmüberlieferung

Ohne konkrete Gotteserfahrungen von Einzelnen, Gruppen oder Israel als Volk sind die atl. Psalmen nicht denkbar. Dies gilt im Blick auf Entstehung und Überlieferung in doppelter Weise: Gotteserfahrungen sind in die Psalmen eingeflossen und haben massgeblich zu ihrer Entstehung beigetragen. Zugleich haben Psalmen dadurch, dass sie nicht einmalig, sondern wiederholt verwendet wurden, weitere Menschen in Nöten und Freuden begleitet und zu neuen Gotteserfahrungen angestiftet – und dies bis heute.

Ein Psalm ist zwar vielfach (aber nicht nur) ein an Gott gerichtetes Gebet, seine Entstehung, Aufbewahrung und Weitergabe jedoch verdankt er dem Umstand, dass nach der Überzeugung der Abfasser und Tradenten Gott auf das Gebet durch Reden, Eingreifen, Helfen geantwortet hat. Ein Teil der Psalmen (z.B. die Danklieder) bezeugen in ihrem Inhalt in direkter Weise Gottes helfendes Eingreifen, ein anderer Teil, in denen Not und Klage dominiert (z.B. die Klagelieder des Einzelnen oder des Volkes), bezeugt dies indirekt durch den Umstand, dass der Psalm abgelegt und aufbewahrt wurde, was wiederum den Schluss nahelegt, dass diese Gebetsworte Erhörung gefunden haben. Möglicherweise waren auch liturgische, didaktische, ästhetische und andere praktische Bedürfnisse und Kriterien für die Abfassung und Aufbewahrung von Psalmen massgeblich. Das Hauptkriterium der Überlieferung über Generationen wird aber darin zu sehen sein, dass die Psalmen sich als "wirksam" erwiesen haben. Mit ihrer Weitergabe wird direkt oder indirekt Gottes Wirken bezeugt – das gibt ihnen ihre Würde, ihre Autorität.