Werkleute sind wir - Alfred Messerli - E-Book

Werkleute sind wir E-Book

Alfred Messerli

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Beschreibung

Freimaurer sind Mitglieder einer Loge und Teil einer weltumfassenden Bruderkette, eines ethischen Bundes. Sie treten für Menschlichkeit, Brüderlichkeit, Toleranz, Friedensliebe und soziale Gerechtigkeit ein. Die Freimaurerei versteht sich als ein Ort der Geselligkeit, als ein Zirkel der Reflexion. Sie ist das Streben nach einer Menschheit, die in Frieden und gegenseitiger Achtung lebt und stellt den Menschen in den Mittelpunkt. Sie setzt sich für Brüderlichkeit, Grundrechte und Würde aller Menschen ein und ist eine einzigartige Methode der Selbsterziehung. Im Zentrum steht eine Lehre über moralisches Verhalten, die uns den Weg zu einer eigenen Lebensphilosophie und -haltung weist. Freimaurer sind angehalten, in einer kritischen Art über das menschliche Dasein - dessen Sinn und Ungewissheit - nachzudenken. An den monatlich mehrmals stattfindenden Konferenzen werden oft so genannte Baurisse, auch als Zeichnungen bekannt, von Mitgliedern zu meistens freimaurerischen Themen gehalten und diskutiert. Dabei ist das Thema vom vortragenden Bruder frei wählbar, hat aber oft einen maurerischen Hintergrund oder Bezug. Die Baurisse und die Diskussionen im Kreis der Brüder sollen Orientierung geben und ein Kompass fürs Leben sein. Die vorliegende Sammlung enthält 100 solcher Exerzitien, eine kleine Auswahl der in den Jahren 2003 bis 2014 von Bruder Alfred Messerli verfassten und vorgetragenen Zeichnungen. In ihnen spiegelt sich die langjährige Erfahrung des Verfassers als Mensch, Freimaurer, Autor, Politiker und Familienvater.

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Seitenzahl: 235

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Werkleute sind wir

100 Exerzitien für Freimaurer

Alfred Messerli

eBook EPUB: ISBN 978-3-96285-130-9

Print: ISBN 978-3-96285-015-9

1. Auflage 2019

Copyright © 2019 by Alfred Messerli Zürich

und Salier Verlag, Leipzig.

Alle Rechte vorbehalten.

Einband: Christine Friedrich-Leye, Leipzig

unter Verwendung einer Buchmalerei von Jean Fouquet:

«Bau des Tempels in Jerusalem», um 1470, BNF Paris.

Satz & Layout: Christine Friedrich-Leye, Leipzig

Illustrationen: Alfred Messerli, Zürich

Herstellung: Salier Verlag

www.salierverlag.de

Inhalt

Vorwort

1. Zur Einstimmung

2. Die freimaurerische Philosophie des Menschlichen

3. Werkleute sind wir

4. Der Weg nach innen

5. Altruismus

6. Die Loge

7. «Lady Freemason»

8. Der Freimaurerkalender

9. Entschleunigung

10. Kant – Freimaurer ohne Schurz

11. Unsterblichkeit droht

12. Lessing zu Ehren

13. Ist die Katze angebunden?

14. Keine Politik in der Loge

15. Wenn sich vieles ändert

16. «Der fürchterliche Bruder»

17. Ökumene heisst Toleranz

18. Der Mensch ist von Natur aus gut

19. Die Säule der Schönheit

20. Die Säule der Stärke

21. Die Säule der Weisheit

22. Der Allmächtige Baumeister aller Welten

23. Freimaurerei – eine moderne Idee

24. Hat die Freimaurerei eine Zukunft?

25. Die Reisen durch die Elemente

26. Der Tarot und die Freimaurerei

27. Johannes der Evangelist

28. Mozart als Freimaurer

29. Benjamin Franklin

30. Toleranz ist Stärke

31. Das Almosen

32. Der Da-Vinci-Code – kein Schlüssel zur Freimaurerei

33. Der Suchende

34. Warum trägt der Freimaurer einen Schurz?

35. Von der Harmonie

36. Die Vier Gekrönten

37. Der Lehrlingsschlag

38. Menschenrechte setzen Menschenpflichten voraus

39. Linksherum und Rechtsherum

40. Zwölf Gebote für Freimaurer

41. Geschäftsmaurerei

42. Zurück zum Wesentlichen

43. Freimaurerei – eine Königliche Kunst

44. Vom Wert des Menschen

45. Sozialkapital – eine andere Währung

46. Freimaurerei – keine Elite

47. Das Auftreten des Freimaurers

48. Das freimaurerische Geheimnis

49. Der Lohn für den Maurer

50. Die Kunst des Scheiterns

51. Das Pentagramm: der fünfzackige Stern

52. Der Wettbewerb

53. Die drei Naikan-Fragen

54. Ein Lächeln kostet nichts

55. Das elfte Gebot

56. «Mein Herr, was suchen Sie hier?»

57. Die Kopfbedeckung des Freimaurers

58. Die Bibel – ein Symbol

59. Brüderlichkeit

60. Das musivische Pflaster

61. Ruhe nach dem Sturm

62. Die grösste Kraft des Universums

63. Sohn einer Witwe

64. Die Illuminaten

65. Warum Denken traurig macht

66. Das Gebetbuch für Freimaurer

67. Ein Bestseller über die Freimaurerei

68. Ich schäme mich

69. Gib deinem Leben Inhalt

70. Bleibende Werte

71. Vergessen und verkannt

72. Was uns glücklich macht

73. Hier irrte Lessing

74. Beherrsche dich selbst

75. Vorurteile abbauen

76. Mit Gunst und Verlaub

77. Wieviel Esoterik darf es sein?

78. Der Weg ist das Ziel

79. Wettlauf unter Freimaurern

80. Zur Geselligkeit

81. Ein freier Mann

82. Die vier Versprechen

83. Das freimaurerische Eheversprechen

84. Der ausgestopfte Freimaurer

85. Tubalkain – ein Meister in allerlei Erz- und Eisenwerk

86. Weil es die rechte Zeit ist

87. Vor dem Weltuntergang

88. Was geschieht mit dem zwölften Kamel?

89. Ist der Knigge noch aktuell?

90. Drei weitere Lichter

91. Erkenne Dich selbst

92. Wo ist der Himmel?

93. Warum brauchen Freimaurer einen Tempel?

94. Kann ein Atheist Freimaurer werden?

95. Abraham Lincoln stand der Freimaurerei nahe

96. Wenn der Osten nicht nach Osten zeigt

97. Die Menschenrechte neu erkämpfen

98. Warum ist der Maurerei das Wort «Jakin» heilig?

99. Churchill und Fleming

100. Exerzitium heisst: wiederholen und üben

Dank

Vorwort

Wir sind Freimaurer, Mitglieder einer Loge und Teil einer weltumfassenden Bruderkette, eines ethischen Bundes. Wir treten für Menschlichkeit, Brüderlichkeit, Toleranz, Friedensliebe und soziale Gerechtigkeit ein.

Die Freimaurerei versteht sich als ein Ort der Geselligkeit, als ein Zirkel der Reflexion. Sie ist das Streben nach einer Menschheit, die in Frieden und gegenseitiger Achtung lebt und stellt den Menschen in den Mittelpunkt. Sie setzt sich für Brüderlichkeit, Grundrechte und Würde aller Menschen ein und ist eine einzigartige Methode der Selbsterziehung. Im Zentrum steht eine Lehre über moralisches Verhalten, die uns den Weg zu einer eigenen Lebensphilosophie und -haltung weist.

Als Freimaurer werden wir angehalten, in einer kritischen Art über das menschliche Dasein – dessen Sinn und Ungewissheit – nachzudenken. Wir begreifen unseren Bund als eine Einheit von Idee, Gemeinschaft und symbolischem Ausdruck. Die Vielgestaltigkeit des Bundes erlaubt unseren menschlichen Neigungen unterschiedliche Zugangsmöglichkeiten. So mag der eine mehr von lebendiger geistiger Auseinandersetzung angezogen werden, der andere in der menschlichen Gemeinsamkeit der Loge das Wesentliche sehen, und der dritte schliesslich in Symbol und Brauchtum das Zentrum des Bundes erleben. Erfüllte Freimaurerei verwirklicht sich allerdings nur im Zusammenspiel aller ihrer Elemente.

Sie bietet allen Menschen die Möglichkeit sich in der beruhigenden Geduld zu üben und über wichtige Begriffe orientierend nachzudenken. Das offene, ehrliche Gespräch über wichtige Lebensfragen unter Menschen unterschiedlichster Herkunft, wie sie in den Logenmitgliedern anzutreffen sind, ist wohl eine einmalige und grosse Gelegenheit der Freimaurerei.

Obschon die Logen im Detail unterschiedlich arbeiten, ist das Ziel aller Logen das gleiche, nämlich die Menschenveredelung. Im Sprachgebrauch und der Symbolik der Freimaurer, «aus einem unbehauenen rauen einen behauenen kubischen Stein» machen. Wir treffen uns regelmässig zu unseren Konferenzen, Instruktionen, Interkonvents und Tempelarbeiten. Wir unterhalten uns über alle Themen, die uns beschäftigen über unsere Fragen auf der Suche nach Antworten.

Unsere Werte, wie die Toleranz, die Gerechtigkeit, die Mässigung, die Weisheit usw., können im Gespräch, anhand praktischer Beispiele, kritisch beleuchtet, erfahrbar gemacht und abgegrenzt werden. Betrachten wir die Eigenschaften unserer Zeit, so stellen wir fest, dass das Schnelllebige, Oberflächliche, Unverbindliche, das Abenteuerliche und Unbedeutende, das Lärmige und nach Publizität, nach medialer Präsenz Rufende die wesentlichen Merkmale sind. Für ein tieferes und sinnstiftendes Nachdenken bleibt kaum Zeit.

An den monatlich mehrmals stattfindenden Konferenzen werden einerseits die vereinsrechtlichen, andererseits aber jeweils auch die freimaurerischen Belange besprochen. Dabei werden oft so genannte Baurisse, auch als Zeichnungen bekannt, von Mitgliedern zu meistens freimaurerischen Themen gehalten und diskutiert. Ein Freimaurer muss in seinem Logenleben mehrere Vorträge halten. Dabei ist das Thema vom vortragenden Bruder frei wählbar, hat aber oft einen maurerischen Hintergrund oder Bezug.

Die Baurisse und die Diskussionen in dem Kreis der Brüder sollen Orientierung geben und ein Kompass fürs Leben sein. Das sind Realitäten, an denen wir unser Leben immer wieder ausrichten müssen wie an einem Kompass. Kurze Baurisse, die wir als Exerzitien bezeichnen und so wie wir sie verstehen, sind eine zusätzliche Unterstützung und Hilfsmittel zur Findung einer Antwort auf die Sehnsucht nach wirklich tragender Lebenserfahrung, nach einer tiefen Begegnung mit sich selbst und mit anderen Menschen.

Die vorliegende Sammlung erhält 100 Exerzitien, eine kleine Auswahl der in den Jahren 2003 bis 2014 von Bruder Alfred Messerli verfassten und vorgetragenen Exerzitien. Darin spiegelt sich die langjährige Erfahrung des Verfassers als Mensch, Freimaurer, Autor, Politiker und Familienvater.

Alfred Messerli vermochte seine Reflexionen und Gedanken gekonnt in Worte zu fassen, die weiterführenden Fragen zu formulieren, über die es sich nachzudenken lohnt, um die eigenen Antworten zu finden. Sein erfülltes Leben, die vielfältigen Begegnungen verknüpft mit seiner journalistischen Erfahrung bieten dem Leser eine spannende Lektüre voller Anregungen zur Selbstreflexion und geistiger Vervollkommnung.

Eine Pflichtlektüre für jeden Freimaurer, für jeden.

Filis Sidiropoulos

Meister vom Stuhl der Loge «Catena Humanitatis»

Eins

Zur Einstimmung

Unter den vielen Neujahrsgrüssen ist mir einer besonders in Erinnerung geblieben und war Anlass, den ursprünglichen Gedanken weiterzuspinnen. In der heutigen Zeit hören wir von gesundheitlichen Schwierigkeiten von Brüdern, von Turbulenzen im Berufsleben und von zwischenmenschlichen Problemen und Sorgen, aber auch von Zukunftsängsten. Als Freimaurer können uns die Sorgen und Ängste unserer Brüder, aber auch der Schwestern nicht gleichgültig sein. Wir versprechen im Aufnahmeritual unserem neuaufgenommenen Bruder: «Wir lassen dich nie allein.» Leben wir diesem Versprechen auch immer nach? Wir wissen, dass es nicht immer leicht ist, bedingungslos zu einem Bruder zu stehen, vor allem dann, wenn Meinungsverschiedenheiten und Differenzen unüberbrückbar scheinen. Und trotzdem sollten wir – nicht nur zu Beginn eines neuen Jahres – darüber nachdenken, was es heisst, auch einem unbequemen Bruder mit offenem Herzen zu begegnen, ihn so anzunehmen wie er ist. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ein Bruder, mit dem ich Differenzen hatte, ganz offensichtlich erstaunt, aber auch erfreut war, als ich später auf ihn zugegangen bin mit der Botschaft, dass ich eingesehen habe, einen Fehler begangen zu haben und dass ich dafür um Entschuldigung bitte. Ob er mir brüderlich verzeihen könne.

Wohl arbeiten wir ständig am Stein. Doch sind die Steine rau, noch grob und unbehauen, so braucht es eben mehr Mörtel, um die Mauer zu fügen, um sie zu verfestigen. Und der Mörtel ist bekanntlich die gegenseitige Liebe und Achtung. Zeigen wir im neuen Jahr jedem Bruder unserer Bauhütte, dass das Versprechen, dass er nie allein gelassen wird, kein leeres Wort, kein leeres Versprechen bleibt.

Die Freimaurerei ist eine Kunst: die Kunst, das menschliche Leben harmonisch zu gestalten, die Kunst, sich selbst in das richtige Verhältnis zum Nebenmenschen zu setzen. Freimaurerei ist Mitarbeit an allem Guten, was in der Welt wird, Mitarbeit an der Bekämpfung der Übel, unter denen die Menschheit leidet.

Freimaurerei ist nicht Wissenschaft, sondern Gesinnungsart. Diejenige Gesinnung, welche den Menschen nicht nach dem wertet, was er ist, sondern wie er ist; diejenige Gesinnung, welche den Menschen umso höher wertet, je freier er sich vom Vorurteil und vom Scheine zu machen weiss, je mehr er dem den Menschen adelnden Triebe, die Wahrheit zu erkennen, Raum gibt. Freimaurerei ist Freude an allem Schönen in der Welt!

Sie ist die Kunst der Förderung menschlicher Glückseligkeit, wie menschlichen Pflichtbewusstseins. Freimaurerei ist Lebenskunst.

15. Januar 2003

Zwei

Die freimaurerische Philosophie des Menschlichen

Ein Exerzitium ist der Freimaurerei eigentlich wesensfremd. Der Begriff stammt aus der Katholischen Kirche. Er beinhaltet Zeiträume, in denen sich einzelne Gläubige auf die Grundlagen des christlichen Lebens besinnen, sowie die dazu erforderlichen Praktiken, wie Meditation, aber auch Vorträge. Bei den Exerzitien der Katholischen Kirche werden Glaubenssätze endlos wiederholt, damit sie sich unwiderruflich und unvergesslich ins Gedächtnis einprägen. In der Freimaurerei kennen wir das nicht, so wenig wie wir ein einheitliches Glaubensbekenntnis haben. Wir lehnen jede Art von Dogma, von festgeschriebenen Glaubenssätzen ab. Wir kennen die Gedankenfreiheit und überlassen es jedem einzelnen Bruder, sich sein Bild von der Freimaurerei zu machen. Er weiss aber, dass die Toleranz das Höchste ist, das heisst die Achtung vor der andern Meinung. Deshalb gibt es auch keine bestimmenden Regeln dafür, welcher Religion ein Bruder angehören muss und wie er beispielsweise die Bibel zu verstehen hat.

Und gerade das ist das Schöne an der Freimaurerei. Jeder Bruder kann glauben. was er will. Aber er arbeitet sein Leben lang an sich selbst, symbolisch behaut er den Rauen Stein. Die Tatsache, dass Freimaurerei auf den Einzelnen gerichtet ist, mag hie und da den Verdacht aufkommen lassen, bei diesen Menschen handle es sich um extreme Individualisten oder introvertierte und egozentrische Typen. Das trifft jedoch nicht zu. Der Geist der Freimaurerei verlangt von jedem, dass er sich als historischen Menschen versteht, der Werden, Wesen und Wandel menschlicher Institutionen erkennt und als Bürger in der sozialen Umwelt seiner Zeit ein aktives, tätiges Glied der Gesellschaft ist. Es wird verlangt, dass er ein Einzelkämpfer für das Gute, Wahre und Schöne sei.

Es ist dem Einzelnen überlassen, welchen Zeitproblemen er sich stellt, welche er für vordringlich hält. Die Menschheit braucht solche souveränen Menschen, die Neuerungen geschaffen, Initiativen geweckt und das Leben lebenswerter gemacht haben – auch ohne sich darüber Gedanken zu machen, ob ihr Name von der Geschichte überliefert werde oder nicht. Die Loge als Stätte der Besinnung und des gedanklichen Dialogs mit den brüderlich verbundenen Freunden ist in unserer Zeit nötig. Mehr Menschen als früher beginnen wieder nach dem Sinn des Lebens zu fragen. Eine Antwort – sicher nicht die einzige – gibt die Freimaurerei. Horaz sagte: Lebensglück setzt Lebenskunst voraus. Die freimaurerische Philosophie des Menschlichen ist eine solche Kunst, eine königliche Kunst, eine Kunst, die Lebensglück begründen kann.

22. Januar 2003

Drei

Werkleute sind wir

Rainer Maria Rilke, der unvergessene Dichter, hat eines seiner wunderbaren Gedichte mit dem Titel versehen: Werkleute sind wir. Daraus nur einen einzigen Vers:

Werkleute sind wir, Knappen, Jünger, Meister,

Und bauen Dich, Du hohes Mittelschiff,

Und manchmal kommt ein ernster Hergereister

Geht wie ein Glanz durch unsre hundert Geister

Und zeigt uns zitternd einen neuen Griff.

Rainer Maria Rilke, geboren am 4. Dezember 1875 und gestorben am 29. Dezember 1926 in Val-Mont bei Montreux. Auf seinen Wunsch wurde er an der Kirchenmauer der Bergkirche von Raron (Wallis) beerdigt. Rilke ist der einflussreichste deutschsprachige Lyriker Ende des 19. und anfangs des 20. Jahrhunderts. In diesem Gedicht könnte man meinen, Rilke sei Freimaurer gewesen. Er gehörte unserem Bruderbund nachweislich nicht an, obwohl er in seinen Gedichten verschiedentlich auf die Bausymbolik der Freimaurerei zu sprechen kommt.

Wir sind dankbar, wenn wir einen neuen Handgriff, eine neue Handhabung mitgeteilt erhalten, die uns hilft, einfacher und mit weniger Aufwand am Tempelbau zu arbeiten. Denn die Arbeit am Bau des Tempels der Humanität hat Vorrang, er ist ungemein wichtig in unserem Leben.

Symbolisch arbeiten wir am Rauen Stein. Symbolisch arbeiten wir an uns selbst. Wir sollen den Stein glätten, die rauen Stellen verfeinern. Aber was passiert, wenn wir den Rauen Stein gar nicht richtig wahrnehmen. Wenn wir Kanten sehen, wo keine sind, und glatte Flächen zu sehen glauben, wo keine sind? Wenn wir den Hammer, statt an den Stein in die Luft hauen? Da sind wir froh, wenn ein Bruder oder eben ein Hergereister uns darauf aufmerksam macht, wie man den Spitzhammer richtig in die Hand nimmt und wie man ihn an der richtigen Stelle ansetzt. Es kann ja passieren, dass man zu viele Kanten wegspitzt und am Schluss der Stein nicht ein Quader, sondern unförmig oder zu klein geworden ist, um in den Bau, das heisst die Mauer eingefügt zu werden. Nur nebenbei gesagt, die Formulierung im Ritual «Behaut ihn (den Stein) ohne Unterlass bis auf den Kern», habe ich immer als komisch empfunden. Was bliebe dann noch vom Stein übrig, den man in den Bau einfügen will?

29. Januar 2003

Jean Fouquet, Bau des Tempels iin Jerusalem, um 1470, Buchmalerei in dem Werk von Flavius Josèphe, Bibliothèque Nationale de France

Vier

Der Weg nach innen

«Wir haben seit einer guten Weile fast alles vergessen, was die grossen Lehrer der Menschheit gefunden und gelehrt haben. Sie lehren ja alle das Gleiche, seit Jahrtausenden, und jeder Theologe oder auch jeder humanistisch Gebildete könnte es uns mit klaren Worten sagen, einerlei, ob er mehr zu Sokrates oder zu Lao Tse, mehr zu dem leidlos lächelnden Buddha oder zu dem Heiland mit der Dornenkrone neigt. Sie alle und überhaupt jeder Wissende, jeder Erweckte und Erleuchtete, jeder wahre Kenner und Lehrer des wahren Menschentums hat das Gleiche gelehrt, nämlich dass der Mensch sich nicht Grösse noch Glück, nicht Heldentum noch süssen Frieden, dass er sich überhaupt nichts wünschen soll, nichts als einen reinen, wachsamen Sinn, ein tapferes Herz und die Treue und Klugheit der Geduld, um damit so Glück wie Leiden, so Lärm wie Stille zu ertragen.» Diese Worte sind nicht von mir, sondern von Hermann Hesse. Er hat sie in «Das tapfere Herz – Treue und Klugheit der Geduld» geschrieben.

Hesse war kein Freimaurer. Und trotzdem hat er in freimaurerischem Sinne geschrieben, vor allem in «Die Morgenlandfahrt» und im «Glasperlenspiel». Den Dichter habe ich in den Jugendjahren verehrt, ja seine Bücher verschlungen, auch das «Glasperlenspiel». Jetzt habe ich Hesse wieder gelesen und muss feststellen, dass ich ihn heute viel besser verstehe. Vieles, das mir als 18-Jähriger (im «Glasperlenspiel») verborgen blieb oder verschlüsselt vorkam, begreife ich heute, und ich lese Hermann Hesse ganz anders. Es sind die ewigen Wahrheiten, die in seinem Werk vorhanden und die wir auch in den Ritualen der Freimaurerei wiederfinden. Es ist der Weg nach innen und zu sich selbst. Wie er in seinem Gedicht «Stufen» ausführt:

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,

An keinem wie an einer Heimat hängen,

Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,

Er will uns Stuf’ um Stufe heben, weiten.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde

Uns neuen Räumen jung entgegen senden,

Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden …

Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

2. April 2003

Fünf

Altruismus

Das Wort kommt aus dem Lateinischen: «alter» heisst «der Andere». Das Wort bedeutet im allgemeinen Sprachgebrauch die dem Egoismus entgegengesetzte Haltung, aus eigenem Antrieb die Interessen anderer wie eigene Interessen zu verfolgen. Altruismus als sittlicher Grundsatz wurde erstmals von Auguste Comte formuliert: «Vivre pour autrui», das heisst: für den Andern leben. Warum ich gerade heute auf dieses Wort komme und dazu einige Gedanken äussere? Ich habe sehr viel darüber gelesen, um mir ein Bild zu machen.

Ich bin der Meinung, dass ein Freimaurer durchaus ein Egoist sein darf und kann. Er darf einen gesunden Egoismus pflegen, natürlich immer in den Grenzen, in denen er nicht die Interessen oder Ansprüche anderer gefährdet oder in Frage stellt. Wir haben in den letzten Monaten von Managern gelesen, die sich auf Kosten des Unternehmens schamlos bereichert haben oder sich unanständig hohe Abfindungen zahlen liessen, nur dafür, dass sie die oberste Führungsstufe eines Unternehmens verliessen, nachdem sie dieses heruntergewirtschaftet hatten. Das war natürlich mehr als Egoismus, das war eine schamlose «Abzockerei», wie dies in der Boulevardzeitung ganz klar bezeichnet worden ist. Die ganze Führungscrew eines grossen Versicherungskonzerns hat sich zusammengetan und in einer eigens gegründeten Gesellschaft spekuliert und sich schamlos bereichert. Als es Verluste gab, wurden diese der Muttergesellschaft aufgehalst. Praktisch der ganze Verwaltungsrat hat dabei mitgemacht und sich bereichert, derweil die Aktionäre, aber auch die Versicherten grosse Verluste auf ihre Aktien hinnehmen mussten. Einer hat dabei nicht mitgemacht. Ich kenne ihn persönlich. Er ist ein überzeugter Freimaurer. Die Folge war, dass er sich frühzeitig pensionieren lassen musste. Die andern der Direktionsetage mussten dann später ihre Pulte auch räumen, nachdem die Sache ruchbar geworden war. Auch in den Grosskonzernen haben sich einige wenige unverfroren bereichert, derweil die Angestellten die Zeche bezahlen mussten, indem Tausende von Arbeitsplätzen verloren gingen. Die Aktionäre bezahlten mit Verlusten in Millionenhöhen.

Hinter diesen Zahlen verstecken sich menschliche Schicksale, die man sich nicht ausmalen kann. Es ist zu hoffen, dass sich die Leitenden unserer Wirtschaft wieder auf die ethischen Grundsätze besinnen, die auch in der Wirtschaft Gültigkeit haben, wenn man nicht die freie Marktwirtschaft ad absurdum führen will.

Was ich damit sagen will: Es wäre zu begrüssen, dass es mehr Menschen und vor allem mehr Manager gäbe, die sich zur Freimaurerei bekennen und an ihrem Rauen Stein arbeiten würden.

5. Februar 2003

Sechs

Die Loge

Im Fragebuch für Freimaurer werden neu aufgenommene Brüder gefragt: «Was ist eine Loge?» und «Wie weit reicht eine Loge?» Die Antwort ist: «Die Loge ist ein Raum, in dem freie Männer von gutem Ruf zusammenkommen, im Bestreben, sich zu veredeln.» Und weiter: «Die Loge reicht nach oben bis zu den Sternen, nach unten bis zum Mittelpunkt der Erde.»

Die Loge scheint demnach end- und grenzenlos! Was aber ist mit dem Inhalt dieses Raumes? Den Inhalt des Raumes bilden die Brüder insgesamt und jeder Einzelne ist ein Teil davon. Demzufolge ist jeder Bruder auch die Loge, das heisst, in sich selbst und durch sich selbst. Er, der Bruder, trägt allein das Geheimnis der Freimaurerei in sich und mit sich, wo immer er ist, was immer er tut oder unterlässt.

Jeder Bruder trägt demnach durch sein Verhalten im täglichen Leben Verantwortung für das Ansehen seiner Loge durch sein würdiges und geziemendes Äusseres, genauso wie durch sein Benehmen im Privaten und im Berufsleben, im Umgang mit seinen Mitmenschen, in der Glaubwürdigkeit seiner Sprache, in der Ehrlichkeit seines Geschäftsgebarens, in der Freundlichkeit seiner Hilfsbereitschaft, in der Konzilianz seines Entgegenkommens, in der Beharrlichkeit seiner guten Vorsätze.

Als Richtschnur für diesen freimaurerischen Lebenswandel dienen ihm die freimaurerischen Prinzipien des In-sich-, Um-sich und Über-sich-Schauens und die immerwährende Arbeit am Rauen Stein.

Das alles und noch mehr an guten, nützlichen und edlen Dingen unseres Alltags ist freimaurerisches Leben ausserhalb der Loge. Wollen wir immer daran erinnert sein, damit wir es niemals vergessen!

Gerade in den Stunden des geselligen Beisammenseins, der scheinbaren «Ungebundenheit» und Loslösung von Alltagspflichten wollen wir Freimaurerbrüder unserer Pflichten eingedenk werden, denen wir uns bei unserer Aufnahme in den Bund durch die Eidesformel bereitwillig unterworfen haben.

12. Februar 2003

Sieben

«Lady Freemason»

Lady Elizabeth Aldworth (1693–1775), Tochter des Viscount von Doneraile, hat Freimaurergeschichte geschrieben. Sie geriet 1713, also zwanzigjährig, durch Zufall in eine von ihrem Vater geleitete Freimaurerloge. Da sie ohne Absicht einen Teil der Tempelarbeit belauscht und hinter einem Vorhang mitangesehen hatte, wurde sie nach ihrer Entdeckung von ihrem Vater kurzerhand in der gleichen Tempelarbeit in versammelter Loge in den Freimaurerbund aufgenommen und durch das Gelübde verpflichtet. Damit wollte ihr Vater verhindern, dass seine Tochter je das Geheimnis ausplaudern werde. Elizabeth Aldworth galt von nun an allgemein als «Lady Freemason». Einen Schurz, ein Band und das Abzeichen der Loge, die sie getragen hatte, werden in England aufbewahrt. Ein weitverbreitetes Bild zeigt «Lady Freemason» mit Schurz und Abzeichen vor dem Meisterstuhl der Loge.

Der Wahrheitsgehalt dieser Geschichte ist verschiedentlich angezweifelt worden. Man weiss aber, dass Lady Elizabeth ein auffallendes Interesse an der Freimaurerei gezeigt und auch verschiedentlich versucht hat, Mitglied im Freimaurerbund zu werden. Die Zugehörigkeit zum Bunde und die Tatsache der Aufnahme konnte bisher noch nicht mit Sicherheit nachgewiesen werden.

Warum ich diese Geschichte erzähle: Es geht um das Geheimnis. Was ist das freimaurerische Geheimnis überhaupt? Der Ablauf einer Aufnahme, der Verlauf einer Tempelarbeit ist schon hundertfach veröffentlicht worden. Im Internet finden wir heute ganze Rituale. Was ist dann noch geheim? Wir geloben bei der Aufnahme und bei der Beförderung und der Erhebung, dass wir keinem Profanen etwas über diese Zeremonie verraten. Das eigentliche Geheimnis jedoch, das wir auch niemandem mitteilen können, ist das persönliche Erleben einer Aufnahme, einer Beförderung oder Erhebung. Das ist uns ganz persönlich, gehört jedem einzelnen Bruder, und niemand kann uns das wegnehmen. Im Gelübde versprechen wir, niemandem die Gebräuche und die Rituale der Freimaurerei zu verraten.

22. Oktober 2003

Lady Elizabeth Aldworth (1693–1775)

Acht

Der Freimaurerkalender

Freimauer haben einen andern Kalender. Sie zählen die Jahre seit Adam und Eva und deshalb sind wir heute im Jahre 6004 nach freimaurerischer Rechnung. Was steckt hinter dieser Zeiteinteilung?

Wenn wir in den Tempel gehen, haben wir eine besondere Zeit, die heilige Zeit. Wir lassen die profane Welt hinter uns und versenken uns ganz ins Ritual und in die Symbolik. Deshalb ist die heilige Zeit ein Symbol. Die profane, weltliche Zeit versinkt, Tag und Stunde sind für die Arbeiten in der Loge unbedeutend. Die profane Geschichte wird auf Zeit ausgesetzt. Die Brüder in der Loge treten aus der Zeit des Augenblicks heraus und versetzen sich zurück in eine «mystische Zeit» oder «Heilige Zeit». Es ist die Zeit der Weltenschöpfung. Diese Zeit kennt weder Vergangenheit noch Gegenwart noch Zukunft.

Im 18. Jahrhundert entstand in den Johannislogen eine eigenartige Zeitrechnung, die heute kaum mehr gebräuchlich ist. Man muss unterscheiden: Anno Lucis heisst, von der Erschaffung der Welt an werden die Jahre gezählt. Und da man ausgerechnet hat, dass Adam und Eva ungefähr 4000 Jahre vor Christi Geburt gelebt haben, (genau 4004 Jahre), zählen wir zu den heutigen Jahreszahlen 4000 Jahre dazu und kommen so auf den freimaurerischen Jahrgang. Es ist aber noch komplizierter: Der Royal Arch hat eine eigene Zählung, bei ihm wird zur heutigen Jahreszahl 530 dazugezählt. Also wären wir heute im Jahre 2534 (anno inventionis). Der Alte und Angenommene Schottische Ritus rechnet 3760 Jahre dazu und wäre heute bei 5764 Jahren angelangt (anno mundi). Dieser Ritus verwendet ausserdem auch noch die hebräischen Monatsnamen. Somit ist 1. Tischri 5687 gleichbedeutend mit 9. September 1926. Knight Templars rechnen mit anno ordinis und ziehen von der heutigen Jahreszahl 1118 Jahre ab. – Ist nun alles klar?

Die Freimaurer gingen davon aus, dass Adam, unser aller Vater, die Freien Künste, insbesondere die Geometrie (Königliche Kunst), in seinem Herzen getragen haben muss. Denn er lehrte zweifellos seine Söhne die Geometrie. Kain baute schliesslich eine Stadt, die er nach seinem ältesten Sohn Enoch benannte. Der Anfang der Welt war demnach unweigerlich auch der Beginn der Maurerei. So steht es wenigstens in der den «Alten Pflichten» vorangehängten Weltchronik. Deshalb datierten die Maurer ihre Jahre statt «im Jahre der Welt» (anno mundi) einfach «im Jahre der Maurerei» (anno maconii), und beide tragen die Abkürzung AM.

Von dieser Problematik und dem Philosophieren darüber, was die Zeit eigentlich ist, könnte man noch einiges erzählen.

5. Mai 2004

Neun

Entschleunigung

Dieses Wort hat seit kurzem Einzug gehalten in moderne Texte. Zuerst fand ich es ein Unwort, das man nicht verwenden sollte. Als es aber im Duden auftauchte und damit hoffähig wurde, hat ein Umdenken angefangen. Auf der Suche nach einem Synonym drängt sich das Wort Verlangsamen auf. Das sagt aber nicht das Gleiche aus. Es ist sogar negativ belastet.

Und nun bin ich überzeugt, dass das Entschleunigen bedeutsam ist, bezeichnet es doch einen Zustand, den wir auch in der Freimaurerei anstreben, wenn wir den Tempel betreten. Es bedeutet, dass wir alles Hektische des Alltags, den ständigen Druck und auch die Zeit vergessen sollen. Statt zu beschleunigen, wie wir es beim Autofahren tun, sollen wir entschleunigen, langsamer werden, einen oder mehrere Momente innehalten, um zu uns selbst finden zu können. Das ist auch der Grund, dass unser Zeremonienmeister vor jeder Konferenz zu einer Minute des stillen Nachdenkens aufruft.

Aber das sollten wir nicht nur in der Loge üben, sondern auch im Alltag. Ein Rezept dazu: Ruhe! Ich versuche, mir jeden Tag mit einem kleinen Ritual am Morgen eine Viertelstunde Zeit für mich zu nehmen, zu meditieren, über das Leben nachzudenken. So startet der Tag einfach besser. Und dann lege ich mir den Tagesplan zurecht: Was habe ich vor? Welche Termine müssen eingehalten werden?

Dazu gehört auch, dass man zuhören kann. Man muss den Bruder oder seinen Nächsten reden lassen, ohne zu unterbrechen. So lernt man ihn kennen. Dann versteht man ihn besser.

Wir leben in immer hektischeren, immer oberflächlicheren, immer schnelleren, immer schrilleren Zeitläuften, die uns immer weniger Raum lassen, gelegentlich innezuhalten, durchzuatmen und unser So-Sein zu reflektieren. Die Freimaurerei verstand sich von ihren ältesten Anfängen an als entschiedener Gegenentwurf für solcherlei Oberflächlichkeit und Raserei – das ist wohl auch einer der Gründe, wieso sie sich in der Welt des beginnenden dritten Jahrtausends einer steigenden Aufmerksamkeit bei allen Schichten und Männern auch jüngerer Jahrgänge erfreut.

Die Freimaurerei erlaubt es ihren Adepten, ihre Anker in schier unermessliche Geistestiefen auszuwerfen. Die Fragen, die wir an sie haben, führen nur selten zu klaren, eindeutigen Antworten, sondern vielmehr meist zu weiteren, noch spannenderen, noch rätselhafteren Fragen. Und oft sind es gerade die Fragen, die wir stellen, an denen wir – mit einiger Übung – allmählich immer besser erkennen, wer wir sind.

Der kleine Prinz in der Erzählung von Antoine de Saint-Exupéry begegnet einem Händler. Er verkauft höchst wirksame durststillende Pillen. «Man schluckt jede Woche eine und spürt überhaupt kein Bedürfnis mehr zu trinken.» – «Warum verkaufst Du das?», fragt der kleine Prinz. «Das ist eine grosse Zeitersparnis», sagt der Händler. «Fachleute haben ausgerechnet, dass man damit 53 Minuten pro Woche sparen kann.» «Und was macht man mit den 53 Minuten?» – «Man macht damit, was man will.» «Wenn ich 53 Minuten zur Verfügung hätte», sagte der kleine Prinz, «dann würde ich ganz gemächlich zu einem Brunnen spazieren.»

«Wer zur Quelle gehen kann», so ermahnt uns Leonardo da Vinci, «der gehe nicht zum Wassertopf.» Und hier folgt das Wort entschleunigen, das ich zu Beginn dieses Exerzitiums gebraucht habe. Es war Ignatius von Loyola, der Begründer des Jesuitenordens, der das tägliche Exerzitium für seine Brüder eingeführt und zur Pflicht gemacht hat. Allerdings sind diese Übungen um einiges länger und dauern mindestens zwei Stunden pro Tag.

26. November 2014

Zehn

Kant – Freimaurer ohne Schurz