Wernyhora, der Seher in der Ukraine - Michael Czaykowski - E-Book

Wernyhora, der Seher in der Ukraine E-Book

Michael Czaykowski

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Beschreibung

Nach der Teilung der Ukraine Ende des 17. Jahrhunderts zwischen Polen und Russland, gelüstete es Russland gut hundert Jahre später nach mehr. Wenige Jahre vor der Teilung Polens zwischen Russland, Preußen und Österreich kam es 1768 im polnischen Teil der Ukraine zu Aufständen der Hajdamaken gegen den polnischen Adel und Juden, initiiert durch die russische Zarin Katharina II. Dieser Teil der Geschichte ist wenigen bewusst, umso mehr war ich überrascht, im Antiquariat dieses Buch vorzufinden, welches sehr authentisch die damalige Zeit beschreibt. Und noch mehr überrascht den Leser, wenn man die Übereinstimmung der damaligen Ereignisse mit heute vergleicht. Dazu ist das Buch sehr spannend geschrieben und hilft, die aktuelle Situation in der Ukraine besser zu verstehen.

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Seitenzahl: 308

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Michael Czaykowski

Wernyhora, der Seher in der Ukraine

Band 1

Abschrift und zeitgemäße Bearbeitung von Jens Piske

Impressum

Texte: © Copyright by Jens Piske

Titelbild: Mykola Pymonenko

Verlag: Verlag Njemoskal

Chutirska 1919644 Sahunivka / Ukrainekontakt@verlag-njemoskal.com

Vorwort

Noch sind der Ukraine Ruhm und Freiheit nicht gestorben, noch wird uns lächeln, junge Ukrainer, das Schicksal. Verschwinden werden unsere Feinde wie Tau in der Sonne, und auch wir, Brüder, werden Herren im eigenen Land sein. Leib und Seele geben wir für unsere Freiheit, und bezeugen, dass unsere Herkunft die Kosakenbrüderschaft ist.

Teil der Ukrainische Hymne

Seit mein Interesse an der Geschichte der Ukraine erwachte, musste ich feststellen, dass sehr viele Quellen, vor allem die nach 1917 erschienenen, einen "russischen Stempel" tragen. Schon seit dem Zaren Peter I., der das ehemalige, im Westen völlig bedeutungslose Moskowitische Fürstentum in »Russland« - also das »Land aller Rus« umbenannte, und damit Ansprüche auf ein Gebiet weit über die Grenzen der Moskowiter hinaus einbezog, wurde systematisch seitens der Russen Geschichtsfälschung betrieben. Die Moskowiter, die über hunderte von Jahren Untertanen der Goldenen Horde, den mongolisch-tatarischen Khans waren, hatten mit Europa so viel zu tun, wie ein Affe mit einem Pferdesattel.

Mit Lügen, Tricks und dank fremder Hilfe konnte man das Joch der Khans letztendlich abstreifen, und es gefiel den Moskowitern, ihr Einflussgebiet durch Intrigen und Gewalt nach und nach zu vergrößern. Und sie behielten diese Taktik über die Jahrhunderte, bis in die heutigen Tage bei.

Aber in den Geschichtsbüchern machen sich List, Intrigen und hinterhältige Machenschaften nicht gut, ebenso wenig das tatarische Erbe. Und man wollte unbedingt zur europäischen Familie gehören, koste es, was es wolle. Deshalb war man sich auch nicht zu schade, die Geschichte anderer Länder zu stehlen, mit denen man in längst vergangenen Zeiten einmal verbunden war und diese Geschichte russlandfreundlich umzuschreiben.

Das gelang ihnen mit Beginn der kommunistischen Herrschaft immer besser, auch und vor allem über die eigenen Grenzen hinaus. Es zählte einzig und allein die russische Version, Kritiker wurden und werden mundtot gemacht.

Für mich selbst sind da die Quellen, die ihren Ursprung im 19. Jahrhundert und davor haben, eine wahre Schatzgrube. So wie dieses Buch, welches ich mehr durch Zufall in einem Antiquariat fand, und ich mache es mir zur Aufgabe, dieses lehrreiche und spannend geschriebene Werk zurück in das aktuelle Literaturangebot zu holen.

Hajdamaken – gehört hat man diesen Namen bestimmt schon einmal, was steckt aber dahinter? Selbst die Enzyklopädien sind da sehr sparsam mit Informationen. Hajdamaken werden mit dem Kolijiwschtschyna-Aufstand in Verbindung gebracht, bei dessen Höhepunkt tausende Polen und Juden in Uman massakriert wurden. Wieso kam es dazu? Was machte aus den meist einfachen Bauern dermaßen brutale Mörder? Und da kam mir dieses Buch gerade recht. Erstaunlich war, dass ich bei der Lektüre des Originals immer wieder an die aktuelle Situation in der Ukraine erinnert wurde.

Zum einen ist da die Entsendung von »verkleidetem« Militär seitens Russlands, aber auch dessen perfide, hinterlistige Untergrabung der Souveränität der Ukraine; unter den Menschen selbst, in den Medien, und leider auch unter den Politikern in und außerhalb der Ukraine. Und auch die russische Kirche spielt heute wie damals eine einflussreiche, ja teuflische Rolle und versucht, eng verbunden mit dem heutigen »Zaren«, die Ukraine zu spalten, man lese nur einmal die Frolov-Leaks1!

Was ist nun dran an den damaligen Intrigen seitens Russlands und deren Zarin Katharina II.? Es heißt: »Ein falsches Dekret von Katharina II. wurde in Umlauf gebracht, welches die Ausrottung der Juden und Polen befohlen haben soll.« Selbst die jüdische Enzyklopädie2 meint, dass die allgemein verbreitete Meinung, dass der Aufstand seitens Katharina initiiert wurde, falsch wäre. Aber es wäre nicht das erste Mal, dass Russen so intrigieren und in heutiger Zeit versuchen, alles abzustreiten. Und wenn Katharina den Brief, der im Buch wiedergegeben wird, nicht selbst verfasst hat, wieso schickte sie Waffen in die Ukraine, hat sie den Gonta mit Orden und Würden versehen, was alles historischen Tatsachen entspricht? Wieso war das russische Heer auf polnischem Gebiet? Wieso entsendete sie die Kosaken unter Salisnjak zur Unterstützung des Aufstandes in die rechtsufrige Ukraine?

Michael Czaykowski, der Autor dieses Buches hatte noch mit Augenzeugen sprechen können und lernte persönlich den Mönch Mladanowicz, einen Sohn des Amtmanns von Uman und Gontas Patenkind kennen! Der Leser wird diesem noch im Buch begegnen. Dieser war selbst als Kind in Uman Augenzeuge und hat seine Erlebnisse, sowie die vieler anderer Augenzeugen in eigenen Schriften festgehalten. Daneben hatte der Autor Gelegenheit, in mehreren privaten und durchaus seriösen Archiven zu recherchieren. Selbst schrieb der Autor in seinen Anmerkungen:

„Ich sage hier gleich am Anfang, dass ich die nötigen Materialien aus solchen Quellen schöpfte, um nicht immer wiederholen zu müssen, woher ich die Eigennamen und Ereignisse habe. Die ganze Ukraine wusste, dass die Zarin von Russland den Bauern Messer zum Geschenk sandte, mit dem Befehl an die Popen der griechisch-russischen Kirche, sie zu weihen. Sie wurden geweiht am Tage des heiligen Makowey im Kloster der heiligen Mutter, das in den Wäldern etwa eine Meile von Tschyhyryn liegt. Hierauf wurden die Messer in den Dörfern umher geführt und an die Bauern verteilt. Im Beichtstuhl befahlen die Popen, die Ljachen und Juden zu schlachten. Viele von diesen Popen waren mit moskowitischem Golde erkauft, andere dagegen von religiösem Fanatismus verblendet und gegen den Adel erbittert in Erinnerung an die früheren Verfolgungen in der Ukraine.

Nichts ist gewisser, als dass Katharina II. die Anstifterin des Blutbades war. Selbst ihre Lobredner verteidigen sie nicht gegen diesen Vorwurf, aber die diplomatischen Noten, die zeitgenössischen Geschichtsschreiber und noch lebende Zeugen, bestätigen es ganz ausdrücklich.“

Noch ein Wort zur Titelfigur. Wernyhora gab es wirklich und er war in der ganzen Ukraine berühmt. Zur Zeit des Blutbades von Uman bemühte er sich, die Bauern zur Vernunft zu bringen. Die Moskowiter hätten ihn gern in ihre Gewalt gebracht und setzten wirklich ein Kopfgeld auf ihn aus. Der Autor erwähnt auch ausdrücklich, dass er sich bemüht hat, bei allen Ereignissen, in denen Wernyhora auftritt, von der Wahrheit der Überlieferung keinen Fußbreit abzuweichen.

Bei der Abschrift und Bearbeitung der aktuell vorliegenden Ausgabe habe ich die Namen der historisch überlieferten Persönlichkeiten und auch der noch vorhandenen Ortschaften der aktuellen Schreibweise angepasst. Und ich hoffe, mir ist es gelungen, die Orthographie und Grammatik an heutige Lesegewohnheiten ein wenig anzupassen, wobei ich vor allem bei den Dialogen sehr behutsam war, denn die Ausdrucksweise der damaligen Zeit hat ja auch einen gewissen Charme.

Ich widme dieses Buch allen Soldaten der Ukraine, die heute wieder einmal ihr Land vor der moskowitischen Brut schützen. Mögen sie erfolgreich sein und die Ukraine endlich als ein freies, demokratisches Land erblühen!

Kapitel 1 — Die Verschwörung

Den Lärm der Zecher übertäubt der Gläser Klang, die Reden atmen Luft, doch kocht im Herzen Wut, sie sprechen, trinken, und beim frohen Sang bricht hell hervor die wilde Gier nach Bruderblut.

Franz Grzymala

Auf der Straße von Cherson kam in gemächlichem Trab ein Kosak geritten. Das Pferd senkte seinen Kopf zur Erde nieder und sog die Feuchtigkeit des Taues mit den Nüstern ein. Der Kosak war in Gedanken vertieft und rieb oft mit der rauen Hand die Augen aus, die gegen Tagesanbruch vor Schlaf zufielen und wie mit Sand bestreut waren. Schweigen herrschte ringsum, nicht der Hufschlag lies sich hören. Die Erde, in feinem Staub wie in weiche Federn gebettet, brachte die Lüfte durch keinen Widerhall in Schwingung; zuweilen nur klirrte der Pallasch3 an dem Steigbügel, zuweilen klatschte die Hand unwillkürlich mit dem Kantschu4 auf die Sattelflügel und das Pferd dröhnte dumpf mit der Kandare bei jeder Schwenkung seines Kopfes.

Jetzt warf die Sonne helle Strahlen über die Erde hin – leicht, wie die Gedanken eines Kindes, bezaubernd, wie die Blicke eines jungen Mädchens – und lies sie spielen in den vollen Tropfen Taus, die an noch volleren Blüten von Staudengewächsen hingen; und wie die Strahlen sich über den Berg erhoben, beleuchteten sie das welke Antlitz des Kosaken, und hefteten sich auf den ergrauenden Schnurrbart, auf die Mütze von Schaffell, und den schönen Kalpak5, und mit demselben Wohlgefallen, mit welchem das reizende, auf Huldigungen ausgehende Weib sich im Spiegel beschaut, spiegeln sie sich in der stählernen Scheide und dem Griffe des krummen Säbels; es ermunterte sich das Pferd und begann zu kräftigeren Schritten auszuholen; es ermunterte sich der Kosak auf dem Sattel, und begann mit frischeren Blicken umherzuschauen.

Rechts gegen Osten, wo die Wolken auf der Erde zu ruhen schienen, zeichneten sich in der Ferne die Gipfel hundertjähriger Eichen ab; in diesem dunklen Grunde erscheinen weißliche Fleckchen von mancherlei Gestalt, unordentlich untereinander geworfen, aber auf einem Haufen zusammengedrängt; dies war Tschyhyryn6.

Links ergeht sich das Auge frei auf den Ebenen, die sich gegen die »Schwarze Straße7« hinziehen, wie auf der Steppe das ukrainische Ross ohne Zügel; dort hat seine Vollkraft keine Schranke und selbst die Wolke erscheint auf der weiten Ebene als keine Grenze; nur hier und da ragen Grabhügel hervor, Überbleibsel des Kosakenruhmes oder Spuren der Tatarenzüge. Fußpfade schlängeln und kreuzen sich in Schlangenwindungen auf den grünen Auen und ein Nebelgewölk von dem aufsteigenden Morgendunst schwebt über den fruchtbaren Feldern. An den Ufern des Tiaslyk hin schütteln zwei Reihen buschiger Buchen ihre Häupter und neigen sich vor der aufgehenden Sonne. Scharen wilder Pferde ohne Hirten ergehen sich in Kreuz- und Quersprüngen auf der unberührten Steppe und Herden grauer Ochsen eilen auf die Weide und erfüllen mit ihrem Gebrüll die Luft. Hin und wieder schlägt die wilde Weise eines wild-melancholischen Gesanges von Jünglingen an das Ohr, die ihre einstige Freiheit und die Kriegstaten der Bewohner des Saporoger Landes8 besingen. Alles ist hier bezaubernd.

Oh liebliches Land! Wer, der dich je sah, gewann dich nicht lieb; und wer, der dich einmal liebgewonnen, wünschte nicht, auf deinem gesegneten Boden zu leben und zu sterben.

Ehe er noch das »kahle Grab« erreicht hatte, hielt sich der Kosak weiter nach links, und nachdem er sich am Rande eines tiefen Abgrundes mehrmals im Zickzack hin und her gewendet hatte, erblickte er im Tal alte Erlen und weiße Birken. Zwischen ihnen guckte eine weiße Hütte und ein weitläufiges, mit Stroh gedecktes Gebäude hervor, weiterhin erhoben Schober mit noch vor-vorjährigem Getreide ihre Scheitel; dort fiel der Tiaslyk in den Tjasmyn, wie der Bruder in die Arme der zärtlichen Schwester; hier stand der Khutir9 Holowaty’s, das Ziel der Reise des Kosaken.

Er hielt vor der Tür an, stieg vom Pferde, reckte sich ein paar Mal, streckte die Arme zum Himmel aus, gähnte, wischte Staub und Tau von Stirn und Haar, nahm Sattel und Zaum ab, rieb den Rücken des Pferdes mit einem trockenen Wisch Heu, und des Raumes kundig, öffnete er ein Seitentor, das zum Rossgarten führte und lies sein treues Ross hinein. Dieses schnaubte, sprang einige Schritte vor, hielt an, scharrte mit den Hufen, warf sich dann zur Erde nieder, dass die Erde ächzte und das Tier mit ihr. Und nachdem es sich tüchtig abgerieben, brauste es mitten hinein unter die anderen Pferde, um Gras zu fressen, das mit Klee und bunten Blumen vermengt war. Der Kosak, froh, dass sein Pferd so munter, war eben im Begriff die Haustüre zu öffnen, als ein kräftiger Knecht eilends ihm entgegen kam und ihn herzlich zu begrüßen begann. Der Reisende sprach „Wie geht es dir, Iwan? Ist Holowaty zu Hause?“

„Jawohl, Vater Dudar, und nicht wenige Gäste dazu.“

„Wer und woher sind sie?“

„Der Blahoczynny10 aus Tschyhyryn und ein anderer Pope; es muss wohl der Protopop11 sein, denn sie tun ihm gar viel Ehre an; einige der Saporogischen Hauptleute, eine Menge »Nichtverzeichneter12« und dann einer, der so etwas wie ein Kosak oder Graf aus Petersburg sein soll.“

„Nun, wohl an, Iwan, nimm den Sattel, lege ihn auf die Seite unter den Schuppen, ich will gehen und diesen Dohlen in die Augen schauen, die sich auf das Kosakenland niederlassen, als wäre es schon Aas.“

Er hing den Kalpak auf die eine Seite über, strich sich den Schnurrbart in die Höhe, und munteren, aber dabei wohl abgemessenen Ganges schritt er auf die Hütte zu. In seinem Gesichte, obwohl vom Alter sehr durchfurcht, funkelte ein Jugendfeuer, das, wie Zunder, jeden Augenblick hervorzubrechen bereit schien. Die Hunde bellten nicht, sondern kamen wedelnd und mit einschmeichelnden Blicken, indem sie die Ohren dicht an den Körper zurücklegten, herbeigelaufen, um ihn als einen alten Bekannten zu begrüßen. Und die Kinder, die im Sande spielten, sprangen hervor und klatschten jubelnd in die Hände: „Der Dudar, der Dudar! Der wird uns schöne Märchen erzählen.“

Der Dudar liebte die Kinder, denn er hatte ein gefühlvolles Herz, und obgleich er als Saporoger13 ehelos lebte, wurde seine Seele tief erschüttert beim Anblick der unschuldigen Kinderwelt, dieses Bildes der unbefangensten Zeit im menschlichen Leben; er hing und schloss sich an sie, wie sich das Mutterpferd an das junge Fohlen anschließt. Doch heute grüßte er sie nur mit dem Auge, wies die rings um ihn herum springenden Hunde sanft ab und schritt weiter auf den Bienengarten zu, denn er hatte jetzt Eile und dort sah er den alten Holowaty stehen.

Er trat ein und achtete nicht auf die Reihe von Spießen, die längs am Strohdach lehnten, noch auf die Menge von Sätteln, die umher geworfenen Mützen und die Leute selbst, die sich unter dem Schuppen im Schlafe dehnten.

In einer Ecke des Bienengartens stand ein Greis; ein blass-gelblicher Bart floss auf seine Brust herab, ein weißer Schnurrbart, der in zwei Zipfeln herabhing, vermengte sich mit dem Kinnbart; weite, leinene Unterhosen, ein von einem blaugrauen Gürtel zusammengehaltenes Hemd, ein kurzer Überrock, eine runde in den Kopf hinein gedrückte Mütze von grauem Schaffell machten die Kleidung des Alten aus. In Gedanken und Betrachtungen versunken, blickte er zwar scheinbar auf die dichten Reihen von Bienenstöcken, aber es geschah diesmal mehr aus Gewohnheit, als mit Absicht, denn er sah nicht danach, welchen reichlichen Vorteil ihm seine Bienen bringen, ja, er stellte nicht einmal Vermutungen an, welcher Schwarm im Stande sein werde, den Winter zu überdauern; die Bienen schwirrten ihm in die Ohren, schimmerten mit ihren goldenen Flügelchen vor seinen Augen umher, ohne seine Aufmerksamkeit zu erregen, so sehr hatten sich andere Gedanken in seinem Kopfe festgesetzt. Bei der Erscheinung des Dudar schien Holowaty aus einem schweren Schlafe zu erwachen, der ihn mit schwarzen Traumgestalten gemartert hatte. Die alte Freundschaft und die Offenheit, die zwischen ihnen bestand, verscheuchte diese Wolke düsterer Gedanken oder drängte sie vielleicht auch nur auf kurze Zeit in den Hintergrund zurück. Sie begrüßten sich gegenseitig mit einer herzlichen Umarmung und jeder drückte einen frohen Kuss auf die Lippen des Freundes.

„Was gibt es denn hier bei euch Neues, Herr Holowaty, vielleicht eine Kindertaufe von einer eurer Töchter? Denn es sind ja auch Popen da; vielleicht verheiratet ihr eine Enkelin an einen muntern Nichtverzeichneten, oder vielleicht auch… vielleicht brütet ihr über etwas, das wir nicht wissen sollen?“

„Ach nein, nicht Kindstaufen ist hier, nicht Hochzeit, Gevatter Dudar, sondern die Ljachischen14 Herrchen sind übermütig geworden, haben da in Bar einen Adelsbund gestiftet und wollen den Nacken der Unsrigen vollends unterkriegen, aber Gott hat sich erbarmt und der Zarin von Moskau eingegeben, dass sie uns ihre Hilfe sandte…“

Bei dem Namen Moskau erbebten krampfhaft alle Adern des Dudar, wie wenn ihn eine schwere Krankheit eben packen wollte; aber schnell fasste er sich, denn wie ihn der Zorn zur Wut entflammte, so kühlte ihn die Überlegung ab.

„Höre, Holowaty, schlimm ist dieser Bund mit der Zarin; sie will, wie der Wolf, nur erst eine Tatze auf den Wagen legen, um dann uns zu erwürgen und den Wagen für sich zu behalten. Da ist der Ljache anders, er braust auf und kommt wieder zur Besinnung; erscheint dann Not, so wendet er sich an Gott. Aber drängt uns der Moskowiter oder schreckt uns der Tatar, alsbald steht der Ljache, als unser Bruder, uns zur Seite. Wir sind fest verbunden, jagen den Feind in die Flucht und können nachher, wie Brüder, miteinander Abrechnung halten.“

„Oh, Ihr dort hinter den Wasserfällen wisst nicht, was hier vorgeht. Das ukrainische Volk ist tief versunken in Tränen und Not; mitten unter üppig prangenden Fluren stirbt es vor Hunger; und der Übermut der Edelleute treibt seinen Spott mit der Schamhaftigkeit der Frauen und Töchter der Nichtverzeichneten und wer es wagt, von Freiheit nur zu mucksen, muss alsbald eines qualvollen Todes unter den Misshandlungen unmenschlicher Amtsleute und Verwalter sterben.“

„Freilich wahr! Aber dagegen hat man ein Mittelchen. Gibt es denn bei uns keine Jünglinge, welche auszuziehen bereit sind, um solcher Ungebühr die Stirn zu bieten? Wir werden die Ljachen nicht allein lehren, wie sie sich bei uns zu benehmen haben, sondern sogar, wie sie sich zu Hause untereinander selbst zu benehmen haben. In den Kurenen15 werden sich schon noch Pawlukis und Nalywajkos16finden; aber Gott möge uns bewahren vor Bündnissen mit Moskau! Der Ljache hat viel gesündigt, er mag es büßen. Aber ich halte es lieber mit ihm als mit der Zarin. Weniger gefährlich ist der Hund, welcher bellt, als der, welcher hinterrücks packt. Gegen jenen hat man die Peitsche, vor diesem kann sich der Teufel selbst nicht bewahren.“

„Alles gut, was Du da sagst, Gevatter; aber ljachisches Blut muss schon fließen. Die Zarin ist nicht so schlimm, als sie Euch vorkommt. sie verspricht uns Freiheit und den griechischen Glauben, die Ljachen nur Knechtschaft und Bekehrung zu ihrem verfluchten Latein.“

„Holowaty! Blicke nach Osten; siehst Du, wie die blecherne Kuppel der Kirche von Subotiw sich in die Wolken taucht? Wie sie an jenem Himmel, einem glänzenden Sterne gleich, strahlt, so würde im Kosakenlande unser Chmelnyzkyj leuchten, hätte er sich nicht mit Moskau verbündet. Schwer büßte er für seine Sünde. Auf seinem Sterbebette sprach er die Worte: »Ich habe gesündigt wider Gott und wider Euch, indem ich das Kosakenland unter den Schutz des Zaren Alexej stellte. Ein besserer Bundesgenosse wäre der Muselmann von Zarograd17 gewesen, oder der Tatar von Perekop18, als Moskau. Kehret zurück zu den Ljachen und haltet Euch an sie«. Und Ihr, im Angesicht des Ortes, wo der büßende Ataman geboren wurde und aufwuchs, Ihr schmiedet auf schmähliche Weise Pläne, die unsere Freiheit vollends vernichten? Glaubt mir, züchtigen wir die Ljachen, aber brechen wir nicht ganz mit ihnen; solange wir zusammenhalten, bleiben wir unversehrt. Der Bruder verzeiht dem Bruder alles, aber wie wir einmal einen Fremden in unsere Streitigkeiten herein ziehen, so räuchern wir ihn mit allem Birkenteer nicht mehr hinaus. Lieber wollte ich ein Grablied auf meinen Falben hören, als die arglistigen Worte der Abgesandten der Zarin. Oh! Sie sind wie Pfeffer, der mit Honig beschmiert ist. Ihr werdet es einst bereuen, aber vielleicht zu spät, dass Ihr ihn in den Mund genommen habt.“

Die Ankunft einer dritten Person unterbrach das Gespräch; es war der Blahoczynny von Tschyhyryn, in schwarzem, bis zu den Knöcheln hinab reichenden Priesterrock; das dunkle, glatt gestrichene Haar teilte sich auf der Stirn in zwei gleiche Hälften und floss über Schultern und Hinterarme hinab; auf seinem Gesichte trug er den Stempel des Judas, zu der Zeit, als dieser Christus verkaufte und dabei den Herrn noch täuschen wollte durch geheuchelten Eifer für den Glauben und für seine Person. Holowaty grüßte ihn demütig und küsste ihm die Hände, der Dudar neigte den Kopf ein wenig, aber mit einer so ungeduldigen Bewegung, wie das Pferd, wenn sein Gaumen vom scharfen Zaume verletzt wird. Er kehrte sich zur Seite, neigte sich zu seinem Säbel hinab und an der Krümmung seiner Lippe konnte man sehen, dass die Person des Vaters Basilius nicht nach seinem Geschmack war.

„Möge Gott Segen und Wohlfahrt senden,“ sprach der Blahoczynny Basilius, indem er sie mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes segnete, „für die treuen Söhne des allein wahren Glaubens. Welcher Engel brachte Euch, Asawula19 des serykowskischen Kuren, über die Schwelle, wo die Auserwählten sich beraten über die Erlösung Israels aus der ägyptischen Knechtschaft? Hat der Heilige Geist einen Strahl der Erkenntnis herab gesendet auf Euren kurenischen Ataman? Hat er zerrissen den sündhaften Bund mit den ungläubigen Ljachen? Der Schoß der Kirche ist stets geöffnet für den verirrten Sohn; freudig nehmen wir ihn wieder auf in ihre Gemeinschaft und begraben im Meer der Vergessenheit alle seine Sünden.“

Obgleich der Dudar den Popen nicht liebte, antwortete er doch aus Ehrerbietung gegen die Religion mit sanfter und ehrfurchtsvoller Stimme: „Geistlicher Vater, man hat Euch über alles schlimm berichtet. Der Ataman unsres Kuren ist niemals von dem allein wahren Glauben abgefallen, die Kirche der Rechtgläubigen zählte ihn stets, und wird ihn stets unter die eifrigsten ihrer Söhne zählen; dass er aber nur mit den Ljachen hält und die Moskowiter nicht liebt, das hat seinen Grund darin, dass er falsche Münze von Gold, Arglist von wahrer Freundschaft zu unterscheiden versteht; wir und die Ljachen, wir singen ein und dasselbe Lied, wollen ein und dasselbe Ding – Freiheit. Möge nur für sie und für den Glauben der Kriegstanz einmal beginnen, dann werdet ihr sehen, ob der Serykowskische Kuren der letzte sein wird, der mit den Hufen seiner Rosse die Erde zerstampft, der letzte, der den Säbel aus der Scheide zieht. Aber eher möget Ihr die Felsen der Wasserfälle in Staub zermalmen, als Ihr uns zu einem Bunde mit Moskau bringt.“

„Mein Sohn, mäßige deine Hitze! Möge der heilige Glaube dich wieder zurückführen auf den Pfad, von welchem du in diesem Augenblicke abgewichen bist. Die Bedrückung des ukrainischen Volkes, die geschändeten Kirchen, rufen sie nicht um Rache zu Gott? Wir rechtgläubigen Bekenner glauben, dass es einen Patriarchen von Sofia gibt, wie einen Schöpfer der Welt und aller Dinge; sind wir da nicht schuldig, zu den Waffen zu greifen zur Vertilgung der Knechte des römischen Antipopen, und jener palästinensischen Landstreicher, deren Vorfahren den Heiland so unbarmherzig gekreuzigt haben? Und nun will gegen Moskau, gegen unsre Glaubensgenossen der Mann auftreten, der vierzig Jahre lang den Kosaken seine Dienste widmete, seit dreißig Jahren die Würde eines Asawula im Kuren bekleidend und noch höherer Auszeichnungen wert?! Und wahrlich, solche würden dir zum Lohne für deine Tapferkeit und deine Verdienste unfehlbar zu Teil werden müssen, wäre nicht durch einen unbegreiflichen Zufall die Atamanschaft über den Kuren in die Hand eines Bürschchens geraten, dessen ganzes Verdienst in seinem schwarzen Bärtchen und seinem Einverständnisse mit den Ljachen besteht. Ich sage nichts gegen den Kuren. Er ist tapfer und der Kirche treu, aber er sündigt durch seine blinde Anhänglichkeit an seinen Führer. Er wird dereinst zur Erkenntnis kommen und alle Ungläubigen aus seiner Mitte stoßen und dann kann vielleicht durch den Segen der Kirche und die freigebige Gnade der Zarin jemand anderes zu der ehrenvollen Stufe eines obersten Befehlshabers erhoben werden, ja, es wird ihm sogar frei stehen, die Hand nach höheren Ehren auszustrecken.“

Hohe Röte trat auf das Gesicht des Dudar, sein Auge sprühte Zornesfunken, doch gleich darauf sprach nur noch Verachtung aus demselben. Seine Hand hatte schon mit den Fingern den Griff des Pallasch erfasst, jetzt zog er sie wieder zurück, und, sich auf die Lippen beißend sprach er: „Wäre nicht euer Stand, geistlicher Vater, wäre nicht euer Priesterrock, schon würde eine andere Sprache zwischen uns gesprochen, schon würden nicht mehr bloße Worte euch um die Ohren sausen. Hört auf, eure Beredsamkeit aufzubieten, verschwendet sie nicht umsonst; ich verstehe mich auf die schlauen Auswege. Solange ihr von den Ljachen sprecht, hat es arge Not nicht, wenn ihr aber mich durch Versprechungen kitzeln wollt, dann fasst mich Mitleid und Zorn zu gleicher Zeit. Ihr sagt selbst, dass ich vierzig Jahre lang dem Vaterland diente, und ich sollte dem Verdienste nicht die gebührende Ehre zollen können? Nicht blinder Zufall, sondern Mannhaftigkeit hat Nekrasa zu seiner Würde erhoben. Oh, wenn er noch höher stünde! Dann würde die Zarin und ihr Zarensöhnlein sich nicht in das Buch der Saporoger einzeichnen20 und der Kosak von Poltawa21 würde nicht den leeren Namen eines Ataman aller Kosaken führen. Den Unsrigen würde man nicht in Petersburg schlechtweg den »Koschowy« nennen, und ihr, ehrwürdiger Herr, würdet nicht so frei umhergehen. Moskau würde sich hinter die Steppen von Nizow flüchten, wie der Wolf, wenn das Horn im Forst erklingt, und in Euren Löchern würdet ihr sitzen, wie die Ratten, wenn sie die Katze in der Nähe spüren.“

Holowaty schüttelt den Kopf und erwägt in Gedanken, wer am besten von beiden spricht; aber er ist doch besorgt, dass es zu noch bittereren Worten kommt. Er kennt zwar die Gewalt, welche der geistliche Herr über sich hat, aber er kennt auch das leicht entzündliche, aufbrausende Wesen des Dudar. Der Asawula ist sein alter Freund. Manches Quart haben sie miteinander ausgetrunken, vier Kinder hat er ihm aus der Taufe gehoben. In ihrer Jugend haben sie sich in der Walachei umhergetrieben, mit ihren Säbeln aus den Nacken der Moskowiter und Tataren Funken hervor geschlagen! Vater Basilius aber hat die Weihen, ist Verweser der Kirche von Tschyhyryn. Holowaty, vom Alter gebeugt, der Tod kommt heran und der geistliche Herr kann ihm den Reisepass in die Ewigkeit verweigern. Es ist eine schlimme Sache, so ins Ungewisse hinein sich auf den Weg in jene Welt zu wagen; daher besann er sich zu Folgendem:

„Nun, Vater, nun Gevatter! Reicht einander die Hände. Die Leute sollen nicht wissen, dass in Holowaty’s Hause seine beiden besten Freunde sich mit schiefen Augen ansahen.“

„Ich bin durchaus nicht zornig,“ versetzte Basilius „und wenn ich in meinen Reden zu weit gegangen bin, möge es mir der Asawula verzeihen. Es geschah nur aus Eifer für den Glauben, dessen Wächter ich bin, und für die Freiheit des Volkes, die zu verteidigen ich mich sowohl durch meine Gefühle, als durch meine Verpflichtung gedrungen finde. Es konnte nicht meine Absicht sein, einen Mann zu beleidigen, für welchen ich die größte Hochachtung hege. Gehen wir jetzt brüderlich miteinander zu der gemeinschaftlichen Beratung. Dort wollen wir, ohne uns von fruchtloser Aufwallung oder unüberlegtem Zorne fortreisen zu lassen, alles untersuchen, was zum allgemeinen Besten dienen kann.“

Der Dudar sagte kein Wort. Beide schritten miteinander auf die Hütte zu, wie zwei Hunde, die über einen Knochen sich anknurren. schon haben sie gegeneinander die Zähne gefletscht, schon sträuben sich die Haare auf ihren Hälsen empor, da lässt der Jäger die Halskoppel erklingen, legt sie beiden an und führt sie mit sich fort, scheinbar in so guter Eintracht, als wäre niemals etwas zwischen ihnen vorgefallen. Friedfertigen Ganges schritt der geistliche Herr dahin, so sehr beherrschte ihn der Wunsch, seine Zwecke zur Ausführung zu bringen. Es folgte der Dudar; ihm legte auf eine kleine Weile die Freundschaft Fesseln an Hände und Zunge.

Neben der Hütte erhoben zwei Traubenkirschbäume ihre krausen Laubeskronen, und ihre gabelförmigen, ineinander verschlungenen Äste bildeten gleichsam ein lebendiges Dach. Hier standen zwei lange Tische, mit reiner Leinwand bedeckt. Sie waren besetzt mit ungeheuren Schüsseln, in welchen eingesalzener Zander und Heringe aus dem schwarzen Meer in brauner Soße schwammen, mit Honig in Waben und Weizenfladen, mit Laiben groben Brotes, grob gestoßenem Salz und Pfeffer; in irdenen Krügen war Met und an den Ecken jedes Tisches ein Fässchen Branntwein, so klar wie Tränentröpfchen; ganze Haufen hölzerner Löffel, zinnerner Gabeln und Messer und mehrere Reihen von Gläsern verschiedenster Art, namentlich von Schnapsgläsern ohne Füße, sogenannte Oechslein, vollendeten die Zurüstung zu dem bescheidenen Mahle. Es war Freitag und eher würde die Kirche eine der sieben Todsünden verzeihen, als die Verunreinigung des Mundes mit Fleischspeisen an einem Fastentage.

Um die Tische herum war eine Menge Kosaken versammelt. Die einen saßen im Grase, andere gingen zu Zweien und Dreien umher und unterhielten sich in leisem Gespräch, und die Säbel klirrten dumpf über die weichen Rasen hin. Es war dies kein Rembrandsches Gemälde einer flämischen Familie, die in ländlicher Ruhe einen Schmaus hält, wo der Pinsel des Meisters über die durch die Jahre gebleichten Köpfe der Greise den ehrwürdigen Ausdruck des Alters, und über die pausbäckigen Gesichter der Jugend Heiterkeit ohne eine Spur von verzehrenden Leidenschaften ausgegossen hat. Hier zuckt über die Gesichter und in den Blicken Wildheit, wie die Schwalben beim Gewitter ungestüm umherfliegen, und Heiterkeit und Frohsinn waren ebenso aus den Zügen dieser Männer geflohen, wie das Glück aus der Brust dessen, der aus seinem Vaterlande verbannt ist.

Es öffnete sich die Tür der Hütte. Der längst erwartete Protopop trat heraus in einer Zobelmütze. Ihm zur Seite ein blondhaariger Jüngling in Kosakentracht, die ihm gerade so gut passte, wie das stachelige Halsband eines Wolfshundes dem Halse eines schön gekräuselten Pudels. Indem er mitten durch die Reihen der Kosaken schritt, die ehrfurchtsvoll vor ihm auf die Seite wichen, lies er nach beiden Seiten den Blick eines Höflings fallen und versuchte durch kokette, schmeichlerische Blicke die Herzen der mannhaften Söhne der Steppe zu gewinnen. Hinter ihnen schritt der Dudar mit dem Blahoczynny, der mit schlauer Berechnung sich den Schein gab, als bestehe zwischen ihm und dem neu angekommenen Asawula das beste Einverständnis; Holowaty schloss den Zug. sobald der Protopop die Gäste und das Gastmahl mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes gesegnet hatte, verneigte sich Holowaty tief und ergriff ein mit Branntwein voll geschenktes Oechslein.

„Auf das Wohl des Vater Protopop und in seine Hände!“

Damit trank er das Glas aus und schenkte es wieder voll. Der Protopop trank es in die Hände des Blahoczynny – und so ging das Zutrinken in der Reihe weiter fort, wobei jedoch der Vorrang des Alters genau beachtet wurde. Nachdem denn auch die Esslust gestillt und so manches Glas Met oder Krupnik geleert war, spie der Protopop aus, fuhr sich mit dem natürlichen Kamme seiner Finger durch den schwarzen Bart und hob an, mehrmals das Kreuz schlagend, also zu sprechen: „„Gepriesen sei der Allerhöchste! Gepriesen unser Patriarch! Gepriesen die Zarin! Gesegnet seid ihr, Brüder! Ich bin zu euch gekommen nach dem Willen der Synode und auf Befehl Katharinas der Zweiten, unter deren gesegneter Regierung Russland heute steht. Dieser mächtigen Zarin seid ihr denselben Gehorsam und dieselbe Ehrerbietung schuldig, wie der Kirche selbst. Eure Not hat Mitleid gefunden vor ihrem Throne, und von euch hängt es jetzt ab, dass von dem Blute der Ljachen und Juden die Messer triefen, welche die Priester des allein wahren Glaubens geweiht haben. Viele Wagen sind unterwegs, beladen mit diesem köstlichen Geschenke, das die Zarin euch bietet. Gleich dem Worte Gottes traget sie umher in die Hütten der Ukraine, vom Dnipro bis zum Bug; mögen die Hände der Gläubigen sich tauchen in das Blut der Ungläubigen!“ Hier nahm er den Jüngling, der mit ihm gekommen war, bei der Hand und fuhr fort: „Sehet hier Tamara, einen Kosaken von jenseits des Dnipro, und am Petersburger Hofe erzogen. Es ist der Befehl der Zarin, dass ihr ihn zum Watazka (Anführer) dieser Unternehmung wählet. Dies ist der Wille der Kirche und der Wille Russlands.“

Ein Teil der Gäste verzog die Augenbrauen, wie wenn der Geruch von scharfem Meerrettich ihnen in die Nase gestiegen wäre, denn die Worte: „Wille, Befehl, Zarin“ empören das Gemüt des freien Sohnes der Steppe. Andere sahen mit verachtendem, spöttischem Blick auf jenen ihnen so ohne Weiteres zugesandten Watazka, dem es ihrer Ansicht nach weit besser passen würde, am Spinnrad zu sitzen, als Kosaken-Pulke in die Schlacht zu führen. Andere dagegen – und unter ihnen Sawatchka, ein korpulenter Bürger von Kaniw – die sich mit Met und Branntwein die Augen schon tüchtig begossen hatten, hörten nach der Erwähnung der geweihten Messer nicht mehr auf den Schluss der Rede des Protopopen, sondern schrien aus voller Kehle: „Nieder mit den Juden und Ljachen!“

Der Blahoczynny beobachtete mit dem Auge eines Fuchses die geringste Bewegung des Asawula des serykowskischen Kuren, und als er gewahrte, dass ihm das Blut unter der Haut kochte, wie siedendes Wasser, und da er überzeugt war, seine Rede könne mehr als einen verbrühen, mehr als einen von der Sache abwegig machen, fing er an, um den Lärm zu beschwichtigen, der schon zu gären begann, und zugleich, um sich vor den Andern das Wort zu sichern, auf so schleppend–langsame Weise zu reden, dass seine Worte eines vom andern eine Werst entfernt zu sein und nur durch den Ton der Stimme untereinander zusammenzuhängen schienen.

„Brüder! Lasset uns die Worte des ehrwürdigen Protopopen nicht zum schlimmen kehren. Allzu großer Feuereifer für den Glauben, Freiheit und das Glück der Ukraine hat vielleicht Worte auf seine Zunge gelegt, die euren Ohren nicht lieblich klangen. Glaubet ja nicht, dass er unter dem »Willen der Kaiserin« die Notwendigkeit verstand, sich ihren Befehlen zu unterwerfen, oder dass Moskau die Absicht habe, uns zu unterjochen. Nein, sondern es ist vielmehr so zu verstehen, dass die großmütige Herrin, die mit so viel Weisheit und Gerechtigkeit über ihr Volk herrscht, den unerschütterlichen Willen hat, uns die Bruderhand zu reichen, zur Abwerfung des drückenden Joches der Ljachen. Es ist ihr Wille, dass wir uns mit unseren Glaubensgenossen verbinden, und miteinander den Hochmut des römischen Lügenpapstes züchtigen, miteinander den Unrat der Juden ausrotten, die unsere Brüder, gleich Heuschrecken, benagen, betrügerisch ihnen den letzten Groschen auspressen, und bei ihren Talmudfesten das Blut von Christenkindern trinken, das sie in ihre verfluchten Osterfladen mischen.“

Hier erschallte von der größeren Hälfte der Gäste der Ruf: „Nieder mit den Ljachen und Juden!“ während volle Gläser Branntwein in gewaltigen Zügen hinuntergestürzt wurden. Der Blahoczynny fuhr fort: „Ich gebe euch die Versicherung, niemand denkt daran, uns unsere Freiheit zu nehmen. Die Zarin ist fest davon überzeugt, dass wir nur dann ein Achtung gebietendes Volk werden können, wenn wir frei und unabhängig sind. Sie will, dass wir die Ljachen in unserem Lande ausrotten, gegen ihren Übermut ein Damm werden, und eben dadurch auch die Herrschaft der Zarin sichern gegen das Eindringen jener Unordnung, die in Polen herrscht. Bei dem Worte »Befehl« dürft ihr euch nicht denken, man wolle Euch Befehle geben; mit welchem Rechte könnte man euch diese aufnötigen? Welche Mittel sollte die Zarin ergreifen, um solche Pläne durchzusetzen? Es wäre unüberlegt, so zu reden, und noch unüberlegter, zu glauben, dass dies je wirklich eintreten könne. Ich will euch die ganze Sache mit wenigen Worten ins rechte Licht setzen: Sehet, dieser edle Sprössling eines und desselben Stammes mit uns,“ – hier deutete er auf Tamara – „der am Hofe der Zarin erzogen, zur Übung in der Kriegskunst von ihr in fremde Länder gesandt und wie ihr eigenes Kind bei ihr gehalten wurde, hat von seiner Wohltäterin den Befehl erhalten, in unsere Mitte zu eilen und gemeinschaftlich mit uns gegen unsere Feinde zu kämpfen. An uns ist es jetzt, seine Fähigkeiten anzuerkennen und ihm den Oberbefehl anzuvertrauen. Die Zarin befiehlt keineswegs, sondern es wäre ihr nur angenehm zu sehen, dass ihr Zögling seinen Waffenbrüdern sich nützlich erweist; und ich sehe keinen Grund, warum wir ihr das nicht zu Gefallen tun sollten. Die Nichtverzeichneten haben unter dem Joch der Ljachischen Dienstbarkeit selbst die Kriegskunst vergessen. Die Verzeichneten dienen der Zarin an fernen Grenzen. Von den Saporogern aber sind die Einen in ihrer Freundschaft mit den Ljachen, wie in einer Todsünde, verstockt, die Anderen schauen mit Missvergnügen auf unseren Bund mit den Moskowitern, unsern Helfern und Erlösern. sie wollen lieber den Hund von Türken, oder den Räuber von Tataren, als ihren Bruder anerkennen. Einige wenige sind sogar ganz gleichgültig.“

Als er die von Trunk erglühten Gesichter gewahrte, nahm er das für die Wirkung des Zaubers seiner Beredsamkeit, was doch nur das Werk des Branntweins war. Er blickte nach dem Asawula und sein Gesicht verzog sich zu einem Lächeln, ähnlich dem teuflischen Lächeln eines falschen Zeugen, durch dessen Zeugnis die Tugend verurteilt wird und das Verbrechen frei ausgeht. Der Dudar verstand diese Herausforderung, schlug mit der Faust auf den Tisch, dass Gläser und Schüsseln in die Höhe sprangen und erklirrten, wie Fensterscheiben in einem Hause, in welches der Blitz eingeschlagen hat.

„Schweig, abscheuliche Natter!“ rief er, „Hund mit der glatten Zunge! Willst Du ein Halsband, so hebe deinen Hals hin; warum auch noch Andere mitziehen? Die Juden zwar sind meine geringste Sorge, meinetwegen haut sie in Stücke bis auf die Wurzel, dass auch nicht ein einziger zur Aussaat übrig bleibe, der Schade wird so groß nicht sein. Aber die Ljachen? Lehrt dich dein Glaube und dein Stand, den Bruder gegen den Bruder zu blutigem Kampfe aufzureizen? Du willst das Wasser recht trübe machen, und der Zarin dadurch Gelegenheit geben, uns alle in ihrem Netze zu fangen. Aber ihr, meine Brüder, werdet ihr in die Wahl der Elster willigen, dass sie den Adler zum Kampfe führe? Werdet ihr blutigen Streit beginnen mit den Eurigen, damit euch nachher der Fremdling mit Ruten streiche?“

Umsonst redete er; umsonst brausten seine Worte voll Kraft und Zorn heraus, wie das Wasser dahin braust, wenn es die Schleusen weggerissen hat; der betrunkene Kosakenhaufen lallte nur mit den Zungen, taumelte umher, und ihre Hände, die sie zu regieren nicht mehr im Stande waren, tappten in der Irre und konnten den Griff des Säbels nicht finden. Der Protopop fasste ein Messer und schleuderte es nach dem Dudar, aber es flog an seinem Ohre vorbei und fuhr in die Erde. Tamara hatte sich unter einem Tisch versteckt und zitterte vor Schrecken wie Espenlaub, der Asawula nahm die Nahajka in die Hand und drohte dem Protopopen.



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