What if we Stay - Sarah Sprinz - E-Book

What if we Stay E-Book

Sarah Sprinz

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Beschreibung

Er steht für alles, was sie verabscheut. Ihrem Herzen lässt er dennoch keine Wahl

Amber Gills hat alles verloren: ihren Studienplatz, den Respekt ihrer Eltern und sämtliche Hoffnung, jemals genug zu sein. Nur durch die Beziehungen ihres Vaters erhält sie die Chance, ihren Abschluss zu retten. Als sie sich im Gegenzug im Architekturbüro ihrer Eltern beweisen soll, bietet Emmett ihr seine Hilfe an. Er ist engagiert, zuvorkommend, ein Vorzeigestudent - und damit das exakte Gegenteil von Amber. Dass ihr Herz in seiner Gegenwart schneller klopft, kann Amber dennoch nicht verhindern. Was sie nicht ahnt: Mit dem gemeinsamen Projekt setzt sie nicht nur Emmetts Vertrauen aufs Spiel ...

"What if we Stay ist eine fesselnde Geschichte mit Tiefgang, die entgegen klassischen Rollenbildern lebt. Wir brauchen mehr Ambers, mehr Emmetts, die jungen Menschen zeigen, wie absolut großartig sie sind." @tonipure

Band 2 der bewegenden und romantischen New-Adult-Trilogie von Sarah Sprinz

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Seitenzahl: 563

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Leserhinweis

Widmung

Motto

Playlist

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

Zwei Monate später

Zwei Monate und drei Wochen

Zwei Monate, drei Wochen und ein Tag

39. Kapitel

40. Kapitel

Danke

Triggerwarnung

Die Autorin

Die Romane von Sarah Sprinz bei LYX

Impressum

Sarah Sprinz

What if we Stay

Roman

Zu diesem Buch

Im Grunde sollte Amber erleichtert sein, als sie nach einer endgültig nicht bestandenen Prüfung in Toronto von der Uni fliegt. Schließlich hat sie ihr Architekturstudium schon immer gehasst und nur wegen ihrer Eltern begonnen. Doch anstatt nun herauszufinden, wofür sie eigentlich brennt, soll sie zurück nach Vancouver ziehen, um an der UBC unter den strengen Augen ihres Vaters, Professor für Architektur, ihren Abschluss zu retten. Außer Emmett Sorichetti, dem unerträglich nerdigen Mitbewohner ihrer Freundin Laurie, will keiner der neuen Kommilitonen etwas mit ihr zu tun haben – und Amber auch nicht mit ihnen. Doch da ist dieses Prickeln, wann immer Emmett sie ansieht. Als wäre das nicht genug, soll sie sich auch noch mit einem Bauprojekt für das Architekturbüro ihrer Eltern beweisen. Eine Aufgabe, der sich Amber nicht annähernd gewachsen fühlt – bis Emmett ihr zur Hilfe kommt. Was sie nicht ahnt: Es ist nicht nur Emmetts Vertrauen, das sie mit ihrem gemeinsamen Projekt aufs Spiel setzt.

Liebe Leser:innen,

What if we Stay enthält Elemente, die triggern können.

Deshalb findet ihr hier eine Triggerwarnung.

Wir wünschen uns für euch alle

das bestmögliche Leseerlebnis.

Eure Sarah und euer LYX Verlag

Für Vancouver.

Für alles.

Say it over and over again

until you are out of breath.

I will not make myself small.

PLAYLIST

bad things – cailin russo

faking it – sasha sloan

hurricane – halsey

berlin – kafka tamura

dear society – madison beer

bad at love – halsey

houses – great northern

girls your age – transviolet

elastic heart – sia

if you’re gonna lie – fletcher

maple whisky – james spaite

6-ft-u – hank compton

cool – dua lipa

i like me better – lauv

be kind – marshmello & halsey

this is me trying – taylor swift

tonight – zayn

you should be sad – halsey

architecture – maisie peters

paris – the chainsmokers

what a time – julia michaels feat. niall horan

already home – richard walters

seven – taylor swift

1. KAPITEL

»Miss Gills, ich frage Sie erneut: Sind Sie sich der Bedeutung dessen, was ich Ihnen gerade gesagt habe, bewusst?«

Ich widerstand dem Drang, den geschmacklosen Kaugummi, auf dem ich seit Minuten herumkaute, langsam aufzublasen. So weit, bis er dem schmächtigen Kerl im Rautenpullunder vor mir mit einem lauten Plopp ins Gesicht platzen würde. Eindringlich sah er mich durch die dicken Gläser seiner randlosen Brille an. Natürlich hatte ich ihn verstanden.

Ich schlug die Beine übereinander und stützte einen Ellbogen auf dem Knie ab, ehe ich mich etwas vorbeugte. Mit zusammengekniffenen Augen entzifferte ich das Schild an seiner Brust, das nur seinen Vornamen verriet.

»Ich weiß es wirklich zu schätzen, Thomas, Ihre Sorge um die Studierenden und das Angebot dieser Beratung. Aber Sie können mir glauben, ich werde die Prüfung im Drittversuch sicher schaffen. Mein letztes Semester war … etwas turbulent.« Das war nicht einmal gelogen. Turbulent war es wirklich, während ich mit so vielen Typen geschlafen hatte wie noch nie und mein einziger Kontakt zur Uni die Semesterpartys der verschiedenen Fakultäten waren. Ich war nur noch zu den anwesenheitspflichtigen Seminaren erschienen. Vorlesungen und Übungen, freiwillige Exkursionen, das alles hatte ich mir getrost gespart.

»Miss Gills, Sie scheinen nicht zu verstehen.« Thomas stieß ein beinahe verzweifeltes Seufzen aus. »In diesem Kurs stehen Ihnen nur zwei Fehlversuche zu. Gemäß der Studienordnung können Sie an der University of Toronto keine weiteren Kurse der Fakultät für Architektur belegen.«

»Ist das so?« Ich lachte auf. Besaß dieser Thomas etwa doch so etwas Ähnliches wie Humor?

»Sie haben Ihre beiden Prüfungsversuche wahrgenommen. Leider jedoch erfolglos. Es tut mir wirklich leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass …«

»Aber es sind doch drei Prüfungsversuche«, platzte ich nun doch heraus. »Es sind immer drei. In allen Kursen!«

Allmählich beschlich mich eine dunkle Vorahnung, was das hier wirklich zu bedeuten hatte. Ja, ich hatte Baurecht zweimal vermasselt. Es war nicht das erste Mal, dass ich durch eine Prüfung fiel, weil ich es nicht einsah, dass mein Privatleben erst nach einem Undergrad-Studium kommen sollte, das mich nicht weniger interessieren könnte. Aber irgendwie hatte ich doch immer die Kurve bekommen. Sobald ich mir ernsthaft Mühe gab, bestand ich die Prüfungen.

»Nicht in diesem Kurs, Miss Gills. Professor Gallagher hat im Seminar Angewandtes Baurecht besonders hohe Ansprüche an die Studierenden. In der Einführungsveranstaltung am Anfang des Semesters wurde ausführlich darauf hingewiesen, dass Ihnen in diesem speziellen Kurs nur zwei Versuche zustehen.«

»Aber ich …« Ich verstummte.

»Es tut mir leid, Miss Gills.«

Fassungslos starrte ich den Kerl an. Das war nicht sein verfluchter Ernst.

»Und was … Ich meine, was heißt das jetzt konkret?« Ich hasste es. Dass ich stotterte und hier saß wie eine verdammte Bittstellerin. Dass ich mit einem Mal das Gefühl hatte, ich verlöre die Kontrolle über mein gesamtes Leben. Dass mir die Entscheidungen abgenommen wurden, dass ich nichts tun konnte, nichts. Schon wieder … Aber vor allem, dass es mir nicht annähernd so egal war, wie ich gerne hätte.

Sein bedauernder Blick machte mich rasend. Wenn er noch ein einziges Mal so mitleidig meinen Namen sagte, würde ich ihm ins Gesicht springen.

»Es heißt, dass Sie Ihr Architekturstudium an der University of Toronto leider nicht fortsetzen können.«

Ich öffnete den Mund, nur um doch nichts zu sagen. Sekundenlang starrte ich ihn an. Lächerlich unbedeutende Geräusche traten aus dem Hintergrund in mein Bewusstsein. Das penetrante Ticken des Sekundenzeigers der Wanduhr. Das leise Surren der Lüftung. Dazu das rauschende Blut in meinen Ohren.

»Aber … das können Sie nicht einfach so machen! Mich rausschmeißen, ohne mir noch die Chance zu geben, das zu korrigieren? Ich wusste das nicht, woher hätte ich …?!«

»Wir haben mehrfach versucht, postalisch mit Ihnen in Kontakt zu treten, Miss Gills. Leider haben Sie auch auf unsere wiederholten Einladungen zum Beratungsgespräch nicht reagiert. Dass Sie heute hier sind, grenzt an ein Wunder. Ich nahm an, Sie hätten die Universität bereits verlassen und melden sich deshalb nicht.« Mit undurchdringlicher Miene faltete er die Hände vor dem Mund, stützte das Kinn auf ihnen ab und sah mich an. »Den Exmatrikulationsbescheid erhalten Sie in den nächsten Tagen per Post. Gerne biete ich Ihnen einen Termin zur Studienberatung an, um mit Ihnen über die Optionen zu sprechen, die Sie nun haben. Es besteht die Möglichkeit, sich gewisse Kurse Ihres bisherigen Studiums anrechnen zu lassen, sollten Sie einen Wechsel in ein anderes Fach in Betracht ziehen.«

Keiner seiner Sätze erreichte mich. Ein einziges Wort nahm jeglichen Platz in meinem Kopf ein. Exmatrikulationsbescheid.

Rausgeschmissen.

Ende und aus.

»Das bedeutet, das war’s jetzt? Ganz im Ernst? Ich bin raus?«

»Das bedeutet es.«

Das Rauschen in meinen Ohren schwoll zu einem Orkan an.

Fuck.Fuck, fuck, fuck.

Ich wartete darauf, dass sich etwas in seinem Gesicht veränderte. Dass er lachte und zu einer versteckten Kamera deutete. Dass ich aus diesem Albtraum von einem Nachmittag erwachte, doch es war keiner. Es war die bittere Realität, und ich hatte sie herausgefordert. Es geschah mir nur recht.

»Haben Sie noch Fragen, Miss Gills?«

Ich schob den Stuhl zurück. Mit einem wüsten Quietschen rutschten die Beine über das gebohnerte Parkett. Mechanisch griff ich nach meiner Tasche, die neben mir am Boden stand. Ich erhob mich ohne ein weiteres Wort.

Geh aufrecht, bewahr Haltung. Lass Herrgott noch mal nicht zu, dass sie dir auch noch das nehmen.

»Es tut mir wirklich aufrichtig leid, Miss Gills. Aber ich versichere Ihnen, wo sich eine Tür schließt, öffnet sich …«

Mein Blick war absolut tödlich. Er genügte, und Thomas verstummte. Ich biss die Zähne zusammen, bevor ich den Mund öffnete. Dutzende Sätze lagen mir auf der Zunge, und es kostete mich all meine Beherrschung, sie zurückzuhalten.

»Danke, Thomas«, sagte ich. Ein bitteres Lächeln umspielte meine Lippen, während ich ihn kurz ansah. Ich griff nach der Türklinke.

Es war nicht, was ich eigentlich meinte. In meinem Kopf brach die Hölle los, und mitten im verheerendsten Dröhnen loderten die Worte, die ich ihm eigentlich ins Gesicht schleudern wollte.

Fick dich, Thomas.

2. KAPITEL

James Sainsbury küsste für einen britischen Austauschstudenten nicht schlecht. Sein Akzent machte mich wahnsinnig (leider im positiven Sinne), doch nicht in zehn Jahren würde ich ihm das verraten. Mit den Fingern fuhr ich durch seinen roten Schopf, zwang ihn, den Kopf in den Nacken zu legen, und strich mit der Zunge über seinen Hals, so lange, bis er keuchte und die Finger fester in meine Taille grub. Die Bässe wummerten, die Luft bestand nur noch aus Deo, Schweiß und Parfüm. Zigarettenrauch, in dem sich die Lichter auffächerten und vor meinen Augen zu bunten Mustern verschwammen.

Das hier. Alkohol und ein beliebiger Typ, der mich vergessen ließ, dass ich bis zum Hals in der Scheiße steckte. Ich brauchte nur das.

Es war nicht so schlimm. Ich war am Leben, ich war gesund.

Gut, ich war von der Uni geflogen, das gehörte zweifelsohne zu den mieseren Katastrophen des Lebens. Jahrelange Arbeit und horrende Studiengebühren für nichts als die bittere Erkenntnis, dass hier kein doppelter Boden mit Fangnetz existierte. Es war nicht mehr die Highschool, es war das verfluchte echte Leben.

Du wirst es noch früh genug lernen, niemand schenkt dir etwas. Dads harte Stimme, sein eiserner Blick. Er würde ausrasten, wenn er das hier erfuhr. Amber Gills, die nutzlose Tochter, die den unantastbaren Namen der Vancouver Stararchitekten einmal mehr mit Dreck beschmutzte. Mom und Dad würden mich umbringen.

Ich hätte mich nie von ihnen in dieses Studium quatschen lassen dürfen. Anfangs hatte ich es nicht wahrhaben wollen, doch wenn ich ehrlich war, hatte ich Architektur schon immer verabscheut. Wozu sollte ich mir Mühe geben, in die Fußstapfen meiner ach so erfolgreichen Eltern zu treten, wenn ich offenbar nichts war als eine ewige Enttäuschung? Dieses ganze dumme Studium war die reinste Selbstquälerei. Weil es mir wieder und wieder vor Augen führte, dass ich den Erwartungen meiner Eltern niemals gerecht werden würde. Es hatte keinen Zweck, sich anzustrengen, wenn die Leistung nie genügte. Ich hatte kein Talent, nicht hierfür zumindest. Wofür sonst, das war mir leider auch ein Rätsel.

James griff fester in mein Haar. Der süße Schmerz zuckte durch meine Synapsen und schnitt für einen köstlichen Augenblick die Verbindung zu meinen Gedanken ab. Einen Atemzug später stürzten sie wieder auf mich ein.

Exmatrikuliert. Na und? Ich war diese Plage von einem Studium los. Eigentlich spielte mir das Schicksal hiermit direkt in die Hände. Im Grunde war es mir egal. Es war mir verdammt noch mal egal. Vielleicht war das hier ein Zeichen. Die Erlösung, weil ich es nie gewagt hätte, aus freien Stücken hinzuschmeißen. Manchmal war es besser, die Entscheidung abgenommen zu bekommen. Das war es doch, nicht wahr?

»Hey, Darling. Was ist los?« Sein Akzent, mit dem er diese lächerlich schönen Worte sagte. Ich hörte sie, doch ich war nicht wirklich anwesend. »Du wirkst irgendwie abgelenkt.«

»Dann sorg dafür, dass sich das ändert.« Ich löste mich von ihm, um ihm ins Gesicht zu sehen. Spuren meines dunkelroten Lippenstifts zogen sich rund um seinen sinnlichen Mund. James sog leicht die Luft ein, während ich den Blick über sein Gesicht gleiten ließ. Auf seinen Lippen meine Farbe, die blasse Haut vor Erregung gerötet. In den hellen Augen glänzte die Lust, er musterte mich wie ein Raubtier seine Beute, und ich wartete darauf, dass das Feuer in meiner Brust entfacht wurde. Doch heute blieb es aus.

Er zog mich näher, ich schlang die Arme um seinen Nacken, presste mich enger an ihn. Spürte seine Hände an meinem Po und ließ zu, dass er mich gegen sich drückte. Wir küssten uns, und ich verschluckte sein Stöhnen, während ich mich an ihm rieb. James erschauderte unter meinen Händen.

Seine Erregung übertrug sich nicht auf mich, ich war zu abgelenkt, zu fucking beschäftigt mit der ganzen dummen Scheiße, wegen der ich heute Abend überhaupt ausgegangen war. Um zu vergessen und nicht wie eine Irre in meinem Apartment auf und ab zu tigern. Ich konnte nicht darüber nachdenken, was meine Exmatrikulation bedeutete. Das Thema bereitete mir Kopfschmerzen. Die Frage, wie und wann ich es meinen Eltern erklärte, lähmende Übelkeit.

Ich wollte es ignorieren, doch die Gedanken baten nicht um Erlaubnis. Ich war diese Zumutung von einem Studium los, das war doch alles, was ich wollte. Ich würde Dad die Exmatrikulation hinwerfen und ein bisschen dabei weinen, bis er mir abnahm, dass mich die Niederlage schon ausreichend kränkte und er nicht noch Öl ins Feuer gießen musste.

Und wenn Mom und Dad es erst wussten, konnte ich machen, was ich wollte. Ich würde mir einen Job suchen, vielleicht reisen, tun und lassen, was mir gefiel. Wenn ich Glück hatte, vielleicht sogar entdecken, dass ich doch Talent für irgendetwas besaß, und dann ganz in Ruhe überlegen, wie so ein Leben aussah, das mich glücklich machte.

James taumelte zur Seite, als er in der Menge angerempelt wurde. Sein schwerer Körper zwang mich mitzustolpern. Der Alkohol ließ mich schwerfällig werden, langsamer reagieren als sonst. Einen furchtbaren Moment lang hatte ich Angst zu fallen, doch die anderen Körper, die sich im Club drängten, hielten uns aufrecht.

Verdammt, Gills, reiß dich zusammen. Ich war bereits viel zu betrunken, also sollte ich verflucht noch mal zusehen, dass ich die Kontrolle über diese Sache hier behielt.

James’ Blick glitt ziellos über mich, und für einen kurzen Moment ging eine Regung durch meine Mitte.

Es war noch da, es funktionierte noch. Egal, wie tief ich in der Kacke steckte, Sex half. Manchmal dachte ich, es sei die einzige Sache der Welt, die ich wirklich beherrschte. Ich wollte ihn jetzt sofort, es war mir alles egal, solange er mich für fünf Minuten von meinen Gedanken erlöste.

»Komm.« Beinahe stöhnte ich vor Erleichterung auf, als er nach mir griff. Ich nickte, und etwas Dunkles flammte in seinen Augen auf.

Ich nahm die Hände keine Sekunde lang von ihm, während wir die Menschenmenge hinter uns ließen, durch die die Musik wie eine Welle floss. Die schmutzigen Blicke im Vorraum der Männertoilette ignorierte ich gekonnt, bevor ich ihn mit in eine der Kabinen zog. Das Licht war schummerig, die Luft kaum besser als im Club selbst. Meine Sohlen klebten am Boden, ich vermied den Blick nach unten und achtete nicht auf die schmatzenden Geräusche, die jeder unserer Schritte verursachte.

James’ Keuchen gab mir den Rest, als wir gegen die Wand der Kabine taumelten. Ich wollte ihm das verfluchte Shirt runterreißen, seine tätowierten Arme um meinen Körper spüren, die definierten Schultern unter meinen Fingern.

Das war es, was ich brauchte. Er schob die Hände unter den Saum meines Kleids, und wie immer brachte das Gefühl echter, warmer Haut mein Gedankenchaos zum Stillstand. Berührungen waren wie eine Droge, die einzige Möglichkeit, wirklich an nichts mehr zu denken. Je fremder mein Gegenüber, desto besser.

Unsere Küsse waren so stürmisch, dass ich kaum zu Atem kam. James erbebte unter meinen Händen, während ich mein Becken gegen seins presste. Seine Hand an meinem Hinterkopf drückte mich näher, und als er aufstöhnte, zog ich mich zurück.

»Du Biest«, keuchte er mit diesem heißen britischen Akzent. Es war unfair, ich war nicht ansatzweise so erregt wie er, dabei hatte ich es gerade heute besonders nötig. Ich funkelte ihn an, während ich seine Hände an meinem Körper platzierte, damit er begriff, was ich von ihm wollte.

»Und jetzt zeig mir, dass es stimmt, was man sich über euch Briten erzählt.«

»Was erzählt man sich denn?« Sein Atem ging schwer.

»Dass ihr jede Frau zum bloody Orgasmus bringt.« Ich sah ihm tief in die Augen und spürte, wie sein Griff für den Bruchteil einer Sekunde lockerer wurde.

Ein unterdrücktes Knurren fand den Weg aus seiner Kehle, während er mich näher zog, packte und hochhob. Ich schlang die Beine um seine Hüften und unterdrückte ein Keuchen. Meine Knie stießen gegen die Wand der Kabine, seine Muskeln spielten unter meinen Händen. Unsere Küsse wurden härter, sein Griff um meine Oberschenkel fester. Ich spürte seinen Körper, seine Lippen und zwang mich abzuschalten. Vergessen, weg damit. Weg mit allem.

Es funktionierte nicht. Nicht, als er mich überall berührte, nicht, als ich an den Reißverschluss seiner Jeans griff, er unter mein Kleid. Der Sex war hart und schnell, ich schluckte den Schmerz hinunter, wartete darauf, dass er in den Hintergrund trat, dass alles in den Hintergrund trat.

Ich presste die Lider zusammen, als James kam, und gab mir nicht mal Mühe, etwas vorzuspielen. Wozu auch? Ich fühlte mich schon genügend gedemütigt. Von mir selbst und meinen eigenen, nutzlosen Entscheidungen.

Ich roch den Schweiß, den Alkohol, sein teures Parfüm, während sein Kopf für einen Augenblick an meine Schulter sank. Die Wut in meinem Bauch war allumfassend und heiß. Ich hielt sie kaum aus. Wollte sie rausschreien, doch ich blieb still. Still und wütend. Auf mich selbst, auf Mom und Dad, auf Thomas, auf diesen verfluchten Eliteschuppen von einer Universität. Aber am allermeisten darauf, dass nicht mal mehr der Sex dazu taugte, mich den ganzen Bullshit einen einzigen Abend lang vergessen zu lassen.

*

Mehr Alkohol. Das erschien mir als die einzig sinnvolle Lösung für mein Problem. Ich war schlichtweg nicht betrunken genug, um einen guten Abend zu haben. Die nüchternen Gedanken mussten verschwinden, ertrinken im Hochprozentigen. Ein paar Shots, ehe ich James erst in ein Uber und dann auf direktem Weg für eine zweite Chance in sein Schlafzimmer zerren würde.

»Zwei doppelte Hendrick’s und ein großes Wasser!«, schrie ich dem Barkeeper zu, während James neben mir auf einen Hocker sank. Sein unverschämt attraktives Gesicht war noch gerötet. Der Mistkerl war mehr als auf seine Kosten gekommen, und ich würde ihm das Wasser zur Not eigenhändig einflößen, damit er sich gleich anständig dafür revanchieren konnte. »Und dann zahlen, bitte!«

Der Barkeeper nahm meine Kreditkarte, die ich ihm hinhielt. Dann schob er uns die Gläser über den Tresen entgegen.

»Für dich, Darling.« Ich drängte James das Wasser auf und blitzte ihn einmal warnend an, als er den Mund öffnete, um zu protestieren. »Vertrau mir, du wirst es sonst bereuen.«

Gleichzeitig griff ich nach meinem Glas und nahm den ersten Schluck Gin.

Eine Bewegung, die ich nur aus den Augenwinkeln wahrnahm, ließ mich den Kopf drehen. Zufrieden stellte ich fest, dass sich ein leichter Nebel über meine Umgebung legte. Alles dämpfte, belangloser machte. Besser.

»Sorry, Ma’am. Die Karte funktioniert nicht.« Mit einem genervten Blick gab mir der Barkeeper meine Kreditkarte zurück.

»Oh, okay.« Zur Hölle … Normalerweise tat das Ding seinen Dienst absolut zuverlässig. »Kann ich bar zahlen?«

»Sicher.« Er schob mir die Rechnung zu, und mein Herz setzte einen kurzen Moment aus, als mein Blick auf die dreistellige Summe fiel. Shit, so viel Bargeld hatte ich nicht dabei. Da ich in Edelschuppen wie dem Everleigh immer mit Karte zahlte, hatte ich das Gefühl für die Getränkepreise völlig verloren.

»Lass mich zahlen«, sagte James, doch ich ignorierte ihn, während ich erneut in meinem Portemonnaie kramte.

»Probier die hier.« Mit einem berechnenden Augenaufschlag streckte ich dem Barkeeper meine Notfall-Visa entgegen. Dad würde nicht begeistert sein, wenn er sah, dass ich die Karte für horrende Summen in Nachtclubs einsetzte. Andererseits wurde sein Konto mit all meinen Abrechnungen belastet, und er konnte spielend leicht darauf zugreifen, wenn es ihn nur interessieren würde, wofür ich sein Geld ausgab. Doch er besaß schlicht und ergreifend zu viel davon, als dass ihn so etwas wirklich scherte.

Ich leerte den Rest meines Gins in einem Zug, doch der Alkohol konnte die nervöse Unruhe in mir nicht betäuben. Wie ruhelos meine rot lackierten Nägel auf die Platte des Tresens trommelten, bemerkte ich erst, als James seine Hand für einen Moment auf meine legte. Sobald ich innehielt, fuhr er über meinen Arm bis zur Schulter hinauf. Er hatte sein Wasser beinahe geleert, und ich spielte mit dem Gedanken, mir auch noch seinen Gin zu genehmigen. Ich hatte ihn definitiv nötiger als er.

»Es tut mir leid, aber die Zahlung wird auch hier verweigert.«

Hitze stieg mir in die Wangen, während ich den Barkeeper anstarrte. Ein Gefühl, das mir normalerweise völlig fremd war. Ich wurde nie rot, es gab schlicht und ergreifend keine Gründe, peinlich berührt zu sein, doch seine Getränkerechnung nicht bezahlen zu können war definitiv einer.

»Kein Ding, nimm meine.« James’ Lallen glich klatschenden Ohrfeigen. Wie paralysiert sah ich zu, wie der Barkeeper nach seiner Karte griff. »Vielleicht ist das Gerät kaputt«, fuhr er fort. Nur mit Mühe gelang es mir zu nicken, während ich verfolgte, wie der Barkeeper James’ Karte hinter dem Tresen einlas. Nur Momente später reichte er ihm das Gerät, um die Zahlung zu bestätigen.

Die gesamte Farbe wich mir aus dem Gesicht. Das hier mochte nur eine Rechnung sein, die der Kerl übernahm, den ich heute Abend aufgerissen hatte, doch für mich war es mehr. Es war der ultimative Kontrollverlust. Das Machtgefälle, das in diesen Sekunden zwischen uns entstand, schnürte mir die Kehle zu. Es erinnerte mich an all die Momente, die ich für immer vergessen wollte.

Ich ließ mich nicht von Typen einladen. Ich übernahm die Rechnungen, zahlte meine Drinks, das Taxi nach Hause. Ich war ihnen nichts schuldig. Nie, verflucht noch mal, niemals.

Und mit einem Mal war das genaue Gegenteil der Fall.

»Ich zahle es dir zurück, wenn wir draußen kurz an einem ATM …«

»Entspann dich, Babe.« James’ Hand an meinem Oberschenkel genügte, und mir stieg die Galle in die Kehle. Noch vor Sekunden war es alles gewesen, was ich wollte, doch während er die Finger nun über meine halb transparenten Strumpfhosen unter mein schwarzes Samtkleid schob, schrie alles in mir, seine Hand wegzustoßen. »Ist doch nur Kohle. Und deine Schulden kannst du auch auf andere Art begleichen.«

Einen kurzen Moment lang war ich sprachlos. Wartete darauf, dass er lachte und seine Worte als unbedachten Witz abtat. Nicht dass sie dann auch nur so etwas Ähnliches wie in Ordnung gewesen wären. Doch nichts dergleichen geschah. Im Gegenteil. Etwas Herausforderndes blitzte in seinen Augen auf, und in meinem Kopf brannte eine Sicherung durch.

Ich musste seine Hand nicht wegschlagen, er zog sie selbst zurück, als ich nach seinem Ginglas auf der Theke griff. Einen Moment später landete der Inhalt in James’ Gesicht.

»Hast du sie noch alle?«, schrie er nach der ersten Schrecksekunde. Die Leute wandten sich uns zu, der Barkeeper erstarrte, einen furchtbaren Moment lang schien die Aufmerksamkeit des gesamten Clubs auf uns zu liegen. Innerlich zitterte ich längst am ganzen Körper, und es kostete mich all meine Selbstbeherrschung, mir nichts davon anmerken zu lassen, während ich von meinem Hocker rutschte.

»Ich hab die ganze Scheißrechnung übernommen!«

Dem Getränk folgte das klatschende Geräusch meiner rechten Handfläche. Fast zeitgleich das entsetzte Luftschnappen der Umstehenden. Ein roter Abdruck meiner Hand zeichnete sich auf seiner Wange ab, während er mich anstarrte, als könnte er nicht glauben, was gerade geschah.

»Wag es noch ein einziges Mal, so mit einer Frau zu sprechen«, zischte ich so nah an seinem Gesicht, dass mir der scharfe Geruch des Alkohols in die Nase stieg. Sein Oberteil war getränkt damit, die hellen Augen rot gerändert. »Und ich sorge höchstpersönlich dafür, dass du zur Hölle fährst.«

Ich packte meine Tasche und drehte mich auf dem Absatz um. Ließ das Murmeln und die Blicke hinter mir, doch seine Stimme übertönte die anderen, während ich schneller lief.

»Verfluchte Drecksschlampe.«

Schneller und immer schneller.

Arrogante Heuchlerin. Es geht dir nur um die Kohle, nur darum, dass du kriegst, was du willst. Und wehe, das ist einmal nicht der Fall, dann zeigt Daddys kleines Mädchen sein wahres Gesicht.

Aufhören, er sollte aufhören. Seine gottverdammte Stimme, selbst so viele Jahre später klang sie noch viel zu laut in meinen Gedanken.

Es musste der Alkohol sein, der meine Sinne überlistete, anders konnte ich mir nicht erklären, wieso ich wie eine Getriebene vor dem Everleigh auf die dunkle Straße stürzte, ohne ein einziges Mal nach links oder rechts zu blicken.

»Fahr zur Hölle, Mann, lass mich verdammt noch mal in Ruhe …« Ich wollte mir die Haare raufen, bis es wehtat, bis mich der Schmerz wieder zur Besinnung brachte. Doch es hörte nicht auf.

Hellbraune Augen, glatt rasierte Wangen. Immer akkurat gebügeltes Hemd, Schwiegermuttertraum. Er war perfekt und ich die Einzige, der er zeigte, wie widerlich es hinter der makellosen Fassade aussah.

Mach dich nicht lächerlich, keiner wird dir glauben. Schau dich doch an. Wer würde dich auch nur ansatzweise ernst nehmen?

In diesen Sekunden wurde alles zu viel. Ich hatte es versaut. Ich war verflucht noch mal von der Uni geworfen worden und nicht mal fähig, diese Tatsache mit ein bisschen belanglosem Sex zu verdrängen, ohne dass mich meine beschissene Vergangenheit einholte.

Ich schwankte leicht, während ich über den unebenen Bürgersteig ging. Der doppelte Gin zum Abschluss war vielleicht doch etwas ambitioniert gewesen. Die Lichter verschwammen vor meinen Augen, das Bild folgte verzögert. Der Alkohol machte mich dünnhäutig, meine Nerven lagen blank. Doch ich musste mich daran erinnern, wer verdammt noch mal ich war.

Ich bekam keine Nervenzusammenbrüche wegen irgendwelcher Typen, selbst wenn sie Arschlöcher waren. Arschlöcher, die mein Leben zerstört hatten. Und erst recht nicht, weil ich aus einem Studiengang geflogen war, der mir nichts bedeutete.

Nur eine Sache hatte ich nach all den verdammten Jahren vollkommen verdrängt. Wie furchtbar es sich anfühlte, einmal wieder die Kontrolle aus den Händen gerissen zu bekommen, sobald ich mich eine Sekunde lang in falscher Sicherheit wog.

3. KAPITEL

»Amber, wie wundervoll.«

Ich schloss genervt die Augen. Mein verkaterter Kopfwehschädel vertrug sich so absolut gar nicht mit dem passiv-aggressiven Ton, den mein Vater wie so oft am Telefon anschlug. Im Hintergrund raschelte Papier, ich hörte gedämpfte Stimmen und das Klirren von Kaffeetassen. Mit tausendprozentiger Sicherheit war er noch im Büro. Im Hause Gills gehörten Arbeitstage bis nach achtzehn Uhr zum guten Ton. Oder einfach zu einer ausgeklügelten Strategie, die es meinen Eltern erlaubte, die Abende statt auf der Couch in ihren klar voneinander getrennten Büros zu verbringen.

»Was verschafft mir die Ehre?«

Auflegen. Jetzt sofort. Es gab nichts, was ich in diesen Sekunden lieber getan hätte. Wann immer ich sie anrief, erinnerten mich meine Eltern zuverlässig daran, warum ich den Kontakt normalerweise tunlichst vermied.

»Lass dich nicht stören.« Ich schlug einen absichtlich läppischen Ton an, von dem ich wusste, dass er Dad zur Weißglut brachte. Weil es sich für eine Gills nicht gehörte, sich so albern aufzuführen. »Ich wollte nur nach der Nummer unseres Bankberaters fragen. Es scheint ein Problem mit meinen Karten zu geben.«

Dad lachte kurz auf. Eigentlich hätte ich es da bereits wissen müssen. Doch ein erbärmlicher Teil meines Verstandes klammerte sich nach wie vor an die Hoffnung, Dad besäße so etwas Ähnliches wie ein Herz. Die Stimmen traten weiter in den Hintergrund, während er offenbar den Raum verließ. Jonathan Gills führte keine privaten Gespräche vor seinen Angestellten. Dumpf hörte ich, wie eine Tür zufiel, als er offenbar sein Büro betrat.

»Ich glaube nicht, dass er dir helfen kann«, sagte er, und ich verdrehte die Augen. »Zumindest nicht, bis ich die Sperrung deiner Karten wieder aufhebe.«

Ich brauchte volle drei Sekunden, ehe ich die Bedeutung seiner Worte begriff. Ich öffnete den Mund, doch nichts als ein hysterisches Lachen fand den Weg über meine Lippen. »Sehr witzig, wirklich.«

»Ich hätte dir ehrlich mehr Verstand zugetraut, Amber.«

Die Härte in Dads Stimme ließ meine Miene einfrieren, während mir allmählich ein absurder Verdacht kam. Er würde doch nicht …? Nein, das war vollkommen unmöglich. Mom und er konnten nichts von meiner Exmatrikulation wissen. Auch wenn Dad Professor für Architektur an der University of British Columbia in Vancouver war. So schnell konnte das gar nicht die Runde gemacht haben. Das hier war das College, nicht die Highschool, die hinterm Rücken der Schüler blaue Briefe an die Eltern verschickte. Ich war ein erwachsener und selbstbestimmter Mensch.

Ich schluckte. Das war ich doch?

»Kannst du vielleicht normal mit mir sprechen?«, fauchte ich in den Hörer. Meine Handflächen wurden schwitzig, während Dad lachte.

»Traurig genug, dass du unserer Familie Schande bringst und durch einen so lächerlichen Kurs wie Baurecht fällst, nein, dann muss ich das Ganze auch noch beim Lunch mit Henriette Gallagher erfahren. Vor meinen engsten Mitarbeitern und einem wichtigen Großkunden. Du kannst dir vorstellen, wie deine Mutter und ich deinetwegen dastanden.«

Ich krallte meine Finger fester um das Handy, während mich Schwindel überkam.

Nein. Nein, nein, nein. Das verlief so gar nicht nach Plan. Mom und Dad wussten es. Schlimmer noch. Sie hatten es von meiner Professorin höchstpersönlich erfahren. Ich war so dermaßen geliefert.

»Soll ich mich dafür jetzt entschuldigen?« Meine Panik schlug in hilflose Wut um.

»Es wäre durchaus angebracht«, bellte mein Vater, und ich widerstand dem Drang, das verfluchte Telefon gegen die Schlafzimmerwand zu schleudern.

Scheiße. Denk nach, Gills.

»Ich bin schon dabei, mir einen Job zu suchen. Und dann sehe ich mich nach einer Alternative um.«

»Oh, das musst du nicht. Deine Alternative heißt Vancouver.«

Ich lachte freudlos auf. »Wenn ihr glaubt, dass ich deshalb zurückkomme, habt ihr euch getäuscht. Ich werde ganz sicher nicht …«

»Amber, ich fürchte, du hast mich nicht ganz verstanden. Ich habe deine Karten sperren lassen und den Dauerauftrag für die Miete deines Apartments in Toronto eingestellt. Nach einem überaus freundlichen Telefonat mit dem Vermieter konnte ich das Mietverhältnis mit sofortiger Wirkung beenden. Du hast drei Tage, um das Apartment zu räumen.« Ich schnappte nach Luft, doch Dad ließ mich gar nicht erst zu Wort kommen. »Du hast den Bogen überspannt, Liebling. Am Freitag geht dein Flug nach Vancouver, du findest den Boardingpass in deinen Mails.«

»Was denkst du, wer du bist?!«

»Der Idiot, der ein halbes Vermögen für dich und deine Ausbildung ausgegeben hat. Sechsunddreißigtausend Dollar, Amber! Und das sind nur die Studiengebühren. Lebenshaltung, Miete, das alles kommt noch dazu. Und wenn du glaubst, wir hätten diese Unsummen für nichts und wieder nichts bezahlt, hast du dich bitter getäuscht.«

»Schön! Und jetzt? Was soll ich machen? Eure Kohle macht die Exmatrikulation auch nicht rückgängig.«

»Meine Beziehungen aber.« Ich zuckte zusammen, so eisig klang Dads Stimme. »Ich habe mit dem Dekan der UBC gesprochen. Wir werden eine Ausnahmeregelung finden, die es dir erlaubt, dein Architekturstudium hier fortzusetzen. So wie es sich für eine Gills gehört.«

»Das ist lächerlich! Ich bin erwachsen, du kannst nicht einfach so über mein Leben entscheiden.« Mit jedem Satz wurde ich lauter, mein Herz schlug schneller, während mich echte Panik überfiel. Ich wusste, wann Dad Dinge ernst meinte. Ich hatte es auf die harte Tour gelernt.

»Wenn du glaubst, ich habe die letzten Jahre in dich investiert, damit du das alles aus einer Laune heraus wegwirfst, hast du dich geirrt.«

»Das ist keine Laune, verdammt! Ich hasse dieses Studium, es macht mir keinen Spaß.«

»Du hast dich aus freien Stücken dazu entschlossen.«

Ich hielt den Atem an. Er meinte das wirklich ernst. »Das kannst du nicht machen. Das darfst du nicht.«

»Ich kann dir gerne eine Rechnung über all die Kosten schicken, die uns deinetwegen in den letzten Jahren entstanden sind. Dann kannst du uns das Geld zurückzahlen. Und dein Leben von mir aus gegen die Wand fahren. Aber nicht, solange du dich von uns finanzieren lässt.«

Ich war so dumm. So unendlich dumm. Und ich hätte es besser wissen müssen. Dass dieser Moment eines Tages kommen würde. Dass sie die Kohle benutzten, um Macht über mich zu haben. Mich zu erpressen. Ich hatte keine sechsunddreißigtausend Dollar. Ich hatte nicht mal einen Job. Ich hatte nichts – außer mich darauf verlassen, dass das verfluchte Geld meiner Eltern mich bequem durchs Leben bringen würde. Meine Naivität ekelte mich an.

»Mehr gibt es dazu nicht zu sagen«, bellte Dad in den Hörer. »Wir sehen uns Freitagabend am Flughafen. Bis dahin kannst du dir eine halbwegs plausible Erklärung für dieses ganze Desaster zurechtlegen.«

*

»Du kommst was?! Nicht dein Ernst, Amber! Sam, warte mal eben. Ich muss nur kurz …« Lauries Worte vermischten sich mit dem Stimmengewirr. Ich hörte eine Supermarktdurchsage, dann traten die Geräusche etwas in den Hintergrund.

»Bist du noch dran?«, fragte sie, und ihre aufgeregte Stimme entlockte mir ein müdes Lächeln. Ich legte den Unterarm über meine Augen und sank tiefer in meine Kopfkissen. »Du kommst zurück nach Vancouver? Soll das ein Witz sein?«

»Es ist keiner«, murmelte ich. Leider.

»Oh, Amber, das ist … Ich freu mich so! Dann sind wir endlich wieder in derselben Stadt.«

»Ja.« So gern ich Laurie hatte, es war ein schwacher Trost.

»Wann kommst du denn? Nach dem Bachelor? Du bist nächsten Sommer fertig, oder?«

»Ich komme übermorgen«, sagte ich, und es klang wie der schlechte Scherz, der mein Leben nun einmal war.

»Also nur fürs Wochenende?« Laurie klang irritiert, und in mir wuchs die hilflose Wut. Meine beste Freundin konnte nichts dafür, das wusste ich schon. Aber ich wollte es nicht erklären. Ich würde bei ihr nicht auf Verständnis stoßen. Nicht bei Laurie, die ihr Medizinstudium über alles andere stellte. Sie hatte schon damals, zu Beginn ihres Undergrad-Studiums in Toronto, nicht verstanden, wieso ich die Uni derart schleifen ließ. Bereits in diesem unnötigen Vorkurs im Sommer, bei dem wir uns kennengelernt hatten, war sie doppelt so motiviert gewesen wie ich. Manchmal fragte ich mich, wie wir beste Freundinnen geworden waren, obwohl wir so unterschiedlich tickten.

»Nein.« Alles in mir wehrte sich dagegen, die nächsten Worte zu sagen. »Ich komme auf unbegrenzte Zeit.«

»Aber …« Laurie zögerte, und ich wusste längst, was sie fragen wollte. »Wie …? Ich meine, es ist mitten im Semester.«

Ich zuckte mit den Schultern, wohl wissend, dass sie das nicht sehen konnte.

»Amber?«

Zur Hölle.

»Was ist passiert?« Laurie schwieg. Ich hörte das Rauschen einer Straße, erneut Stimmen. Ich wollte einfach auflegen. Welcher unfähige Teil meines Gehirns hatte beschlossen, meine Freundin anzurufen, nachdem ich eine mehr oder minder schlaflose Nacht hinter mir hatte, während der ich bis in meine Träume von dem Telefonat mit meinem Vater verfolgt worden war? »Ist es ein Kerl? Hat dir jemand …?«

»Nein«, fuhr ich sie an und schloss die Augen. Ich war die furchtbarste Freundin auf dieser ganzen verfluchten Welt.

»Was dann, ich meine, wieso …?«

»Ich bin rausgeflogen.«

»Aus deiner Wohnung?« Laurie klang hilflos. »Brauchst du eine Übergangslösung? Ich kann Jack fragen, oder falls alle Stricke reißen, könntest du sicher ein paar Tage bei meinen Eltern in Barrie …«

»Ich bin exmatrikuliert worden.«

Sie verstummte. Die Stille war unerträglich, und vielleicht lag es daran, dass Laurie die einzige Person war, auf deren Meinung ich etwas gab. Ich wollte ihr Entsetzen nicht hören. Und vor ihr dastehen wie eine Versagerin, das wollte ich noch viel weniger.

»WAS?! Warte, ich verstehe nicht. Wieso solltest du …?«

»Weil ich meine verdammte Prüfung vermasselt habe. Ich dachte, ich hätte drei Versuche, aber nein, wäre ich mal zur Veranstaltung erschienen, hätte ich vielleicht mitbekommen, dass es nur zwei waren. Ich habe den Bogen überspannt. Ich bin raus, das war’s.« Erstaunlich, wie ich es erzählen konnte, als ginge es nicht um mich, sondern um eine x-beliebige Person. Es kümmerte mich nicht. Dass ich offenbar sogar zu unfähig für ein Architekturstudium war. Es spielte keine Rolle. Aber dass ich gezwungen war, zurück nach Vancouver zu kommen, trieb mich in den Wahnsinn.

»Scheiße. Amber, das tut mir leid.«

»Mir nicht.« Ich ertrug es kaum, wie trotzig ich klang.

»Und was machst du jetzt?«

»Mein Dad zwingt mich, zurück nach Hause zu kommen. Er hat irgendwas rumgetrickst, damit ich an der UBC weitermachen kann.«

»Oh, das ist gut. Das ist doch super, oder?«

Ich lachte freudlos auf. »Ja, total super.«

»Amber, es wird schon nicht so schlimm«, sagte sie, und ich schloss die Finger fester um mein Handy. »Wir machen das Beste draus, okay?«

Ich gab einen widerwilligen Laut von mir.

»Okay?«

Ich seufzte. »Okay …«

»Wir werden wieder in der gleichen Stadt leben«, sagte Laurie, und mein Herz stach. »Reden wir in Ruhe, wenn du da bist? Ich bin gerade einkaufen mit Sam. Wann genau kommst du an?«

»Ich lande Freitag um halb sechs, Vancouver-Zeit.«

»Sollen wir dich abholen?«

Meine Mundwinkel hoben sich, ohne dass ich es ihnen erlaubt hatte. Egal, wie schrecklich das alles war, ich würde wieder in Lauries Nähe sein.

»Ich glaube, Dad wird mich höchstpersönlich in Ketten legen, sobald ich die Ankunftshalle betrete, also macht euch keine Umstände.«

Laurie lachte leise. »Amber, ich freue mich auf dich.« Da war sie mit Sicherheit die Einzige in dieser ganzen verfluchten Stadt.

»Ich freue mich auch auf dich«, flüsterte ich, und vielleicht war es das Ehrlichste, was ich seit langer Zeit zu jemandem gesagt hatte.

»Was? … Ja, ich komme! Sorry, Amber. Sam nervt. Er hat nachher noch ein Vorstellungsgespräch.«

»Okay. Viel Glück und sag Grüße.«

»Mach ich. Schreib mir, wenn du da bist! Und bald sehen wir uns.«

»Ja.« Ich schluckte.

Mir blieben weniger als zweiundsiebzig Stunden, um mein restliches Leben in meine Koffer zu zwängen und zurückzukehren an einen Ort, den ich, das hatte ich mir geschworen, wie die Pest meiden wollte. Ich hätte mich verdammt noch mal ein klein wenig mehr anstrengen können.

4. KAPITEL

Das Besteck kratzte über die Teller aus teurem Porzellan, und es war das einzige Geräusch neben gelegentlichem Räuspern. Ich saß wie festgefroren auf meinem Platz. Wie früher jeden Abend. Mir gegenüber Mom, zu meiner Linken, an der Kopfseite des Tisches, Dad.

Ich ignorierte die vernichtenden Blicke, mit denen er mich bedachte. Und die, die er mit Mom wechselte, wann immer sie glaubten, ich würde es nicht bemerken. Wir hatten kaum eine Handvoll Sätze miteinander gesprochen, seit sie mich vorhin am Flughafen abgeholt hatten. Es fühlte sich so dermaßen surreal an, hier zu sein.

Ich hatte sie in den letzten Jahren regelmäßig besucht. Wie es sich für eine gute Tochter gehörte, hatte ich die Feiertage zu Hause verbracht, doch stets hatte ich es vermieden, länger als eine Woche am Stück zu bleiben. Und das aus gutem Grund.

Absolut nichts hatte sich hier verändert. Weder die minimalistische Einrichtung der absurd großen Villa noch ihre finsteren Mienen. Bis heute verstand ich nicht, wieso man zu zweit auf über vierhundert Quadratmetern leben musste. Anscheinend gehörte es sich so für das bekannteste Architektenehepaar der Stadt, auch wenn Mom und Dad nie Kunden in ihrem Haus im Nordwesten von Vancouver empfingen. Es war trotzdem ein Aushängeschild für ihren ekelhaft guten Geschmack. Indirekte Beleuchtung, glatte Oberflächen, markante Formen. Nichts an diesem Haus war unnötig. Mich einmal ausgenommen. Riesige Fensterfronten, durch die mein Blick über den abfallenden Hang vor uns bis über Vancouvers Hafenbucht, Stanley Park und die leuchtenden Hochhäuser in Downtown fiel. Alles an diesem dekadenten Anwesen kotzte mich an.

»Montag vor dem ersten Seminar kannst du dich einschreiben«, brach Dad die Stille, ohne mich dabei anzusehen, während er das Steak vor sich auf dem Teller zerteilte. »Wir versuchen so wenig Aufmerksamkeit wie möglich zu erregen. Ich musste all meine Kontakte spielen lassen, um den Dekan zu überzeugen. Zum Glück war mir Franklyn noch einen Gefallen schuldig, nachdem wir den Technikneubau auf dem Campus für ihn geplant haben.«

Ich schwieg. Und türmte das Süßkartoffelpüree vor mir zu einem kleinen Hügel auf.

»Ein wenig mehr Dankbarkeit wäre angebracht.«

Ich schloss für einen Moment die Augen. »Es ist nicht so, als hätte ich dich darum gebeten.«

»Amber.« Mom sah mich streng an.

»Was, wenn ich mich weigere?«

Dad lachte auf. »Mach dich nicht lächerlich.«

Ich presste die Lippen aufeinander.

»Dir fehlen nur noch drei Semester bis zum Abschluss, Amber«, redete Mom auf mich ein. »Sei vernünftig, das hier ist eine Chance, die andere nicht bekommen würden.«

»Weil andere nicht vom Tochter-Bonus ihres Vaters profitieren, richtig. Euch ist klar, dass die anderen mich zu Recht schief ansehen werden?«

»Das hättest du dir vorher überlegen können«, sagte Dad knapp.

»Wirklich, Amber. In Baurecht durchzufallen, das ist …« Mom schüttelte den Kopf.

»Komplett erbärmlich, ich weiß.« Ich blitzte sie an. »Aber was erwartet ihr auch von dieser Enttäuschung von einer Tochter?«

»Führ dich nicht so kindisch auf. Wärst du zu deinem Kurs erschienen, hättest du uns dieses ganze Theater erspart. Und anstatt uns direkt Bescheid zu geben, musste ich es von Henriette erfahren.« Dads Blick war von einer Härte, die sofort erklärte, warum ihn seine Studenten fürchteten. Mich konnte er längst nicht mehr einschüchtern. »Und damit eins klar ist, dein Lotterleben wie in Toronto kannst du dir hier abschminken. Genauso wie Vorlesungen und Kurse zu schwänzen. Ich habe das Kollegium gebeten, ein besonderes Auge auf dich zu haben. Diese zweite Chance bekommst du nicht, ohne zu beweisen, dass es den Aufwand wert ist.«

Ich konnte mein Lachen nicht zurückhalten. »Ernsthaft? Als ob die Dozenten auf deine Anweisung Babysitter spielen.«

»Solange du offenbar einen benötigst, werden sie das, sei dir sicher.«

Ich schluckte. Ruhig bleiben. Diplomatisch. Nur wenn ich mich einigermaßen zusammenriss, würde ich so etwas Ähnliches wie eine normale Diskussion mit meinen Eltern führen können. »Ich habe mich nach Apartments umgesehen«, begann ich und wollte auf den Tisch schlagen, als Dad die Lippen zu einem spöttischen Lächeln verzog.

»Hast du das?«

»Ganz ehrlich, was ist dein Problem? Warum bist du so?«

»Weil du mich dazu zwingst«, fuhr er mich an.

Mom massierte mit geschlossenen Augen ihre Schläfen. Alles war wie vor fünf Jahren. »Wir haben beschlossen, dass du vorerst hier wohnen bleiben wirst, Liebling.«

Ich starrte Mom an, und ihre hellen Augen wirkten erschöpft, als sie sie öffnete und auf mich richtete. Ich war kaum ein paar Stunden zurück zu Hause, und sie schien schon jetzt genug von mir zu haben.

»Das kann nicht euer Ernst sein.«

»Wir haben ausreichend Platz, du hast oben deinen eigenen Bereich …«

»Ich bin erwachsen!«

»Offenbar bist du das nicht.« Dad griff zu seiner Serviette. »Wir haben es satt, uns von dir auf der Nase herumtanzen zu lassen. Ab jetzt wirst du keine Kurse mehr aus reiner Faulheit ins nächste Semester schieben. Du könntest in deinem Alter längst mit dem Master begonnen haben, anstatt deine Zeit zu vertrödeln. Solange du es nicht auf die Reihe bekommst, deine Prioritäten richtig zu setzen, bleibst du hier.«

»Amber, sieh es als Chance. Du musst dich um nichts anderes kümmern als um dein Studium.«

»Ja, großartig!« Ich lachte auf, während ich mit meinem Stuhl zurückrutschte. »Das ist ja auch alles, was mich als Person definiert.«

Dad schloss genervt die Augen. Plötzlich war ich wieder siebzehn, führte mich zickig und albern auf. Ich ertrug es nicht. War es nicht die Aufgabe meiner Eltern, mich zu unterstützen, zu ermutigen? Ein Trugschluss, das wusste ich doch. Wie töricht von mir zu glauben, sie würden mir eines Tages die freie Wahl lassen, anstatt sie mir wieder und wieder abzunehmen.

*

Ich verstand wahrhaftig nicht, was die Leute an Vancouver fanden. Downtown war ganz nett, doch der ganze verfluchte Rest dieser Stadt blieb eine einzige Zumutung. Zumindest für Menschen, die mehr Wert auf ein ordentliches Großstadtleben legten als auf lahme Naturschauspiele und Unmengen blöder Touristen. Ein meilenweit von der Innenstadt entfernter Campus und selbst im Frühsommer die für die nördliche Pazifikküste so typischen tagelangen Regenschauer, nach denen ewig dichte Nebelschwaden zwischen den Hochhäusern und über der Hafenbucht hingen.

Ich vermisste Toronto und das Flair einer richtigen Metropole. Pulsierend und atemberaubend wie New York, nur sauberer. Mein winziges Apartment mitten in Downtown und die überfüllten U-Bahnen zur Rushhour. Stattdessen saß ich neben meinem Vater auf dem Beifahrersitz seines protzigen Mercedes und wünschte bei jeder Ampel, dass ihm jemand hinten reinfuhr.

War ja okay, wenn Leute Geld hatten, aber musste man es wirklich so sehr zur Schau stellen? Maßanzug, italienische Lederschuhe. Alles an meinen Eltern schrie, dass es Unmengen an Geld gekostet hatte. Sie konnten es sich leisten. Sie hoben sich vom Pöbel ab. Und ich mich hoffentlich von ihnen mit meinen zerschlissenen Blundstone’s und der Samtbluse, die ich secondhand gekauft hatte. Ich kaute extra gelangweilt auf meinem Kaugummi und checkte meinen weinroten Lippenstift in der verdunkelten Seitenscheibe eines SUVs, der neben uns im Morgenstau steckte. Ich verabscheute diese Stadt.

Und ich verabscheute den Gedanken daran, gleich in meinem ersten Seminar zu sitzen und mich den verachtenden Mienen meiner neuen Kommilitonen stellen zu müssen. Sie würden wissen wollen, wie es sein konnte, dass ich mitten im Semester die Hochschule wechselte. Und dann, wenn sie erst meinen Nachnamen kannten, würde ich von Beginn an nichts anderes sein als die Tochter des unausstehlichen Professors, die alles in den Allerwertesten geschoben bekam. Fantastische Aussichten. Andererseits hatte ich nicht vor, hier Freunde zu finden. Ich hatte Laurie, und ein paar meiner Highschool-Leute waren ebenfalls zum Studium in Vancouver geblieben. Es würde schon nicht so schlimm werden.

*

Es war richtig schlimm. Ich fühlte mich furchtbar, als ich mich den Blicken der Damen im Studierendensekretariat stellen musste, die bei meinem Nachnamen wissend die Augenbrauen hoben. Als sie mir zusammen mit meinem Studierendenausweis den Stundenplan der aktuellen Woche aushändigten, hätte ich beinahe laut aufgelacht. Der Morgen bestand aus einem anwesenheitspflichtigen Seminar über zukunftsorientierte Stadtplanung – bei niemand Geringerem als meinem Vater. Mein Körper fühlte sich seltsam taub an, während ich über den unerträglich grünen und weitläufigen Campus in Richtung Fakultätsgebäude lief. Überall huschten Studierende vorbei, die Pullis und T-Shirts der UBC zur Schau trugen. Im Leben nicht würde mir einfallen, wie eine lebendige Litfaßsäule herumzulaufen und Reklame für diesen elitären Verein zu machen.

Wider Erwarten fand ich das richtige Gebäude problemlos.

Das Architekturinstitut befand sich in einem alten, efeuberankten Backsteinbau, dessen Wände teils mit großen Glasfronten erweitert worden waren. Man konnte von der UBC halten, was man wollte, aber die Architekten hatten einen anständigen Job gemacht. Lichtdurchflutete Gänge und freigelegte Mauern, kombiniert mit massiven Stahlträgern und gläsernen Feuerschutztüren. Ein Innenhof bildete die Mitte des Gebäudes, von der die verschiedenen Unterrichtsräume und Vorlesungssäle strahlenförmig abgingen. Auf betonierten Sitzgelegenheiten tummelten sich die Studenten, starrten in ihre Laptops oder breiteten quadratmetergroße Baupläne vor sich auf den Tischen aus.

Ich ignorierte die vereinzelten Blicke, als ich das Foyer durchquerte und mich nach dem richtigen Seminarraum umsah. Ratlos begutachtete ich die Bezeichnungen – die unterschiedlichen Räume waren nach Architekturkoryphäen benannt, die sogar mir etwas sagten. Und das, obwohl ich mich in Bau- und Kunstgeschichte mit allem beschäftigt hatte außer damit, die Namen und Errungenschaften irgendwelcher alter weißer Männer auswendig zu lernen, in deren Reihe sich mein Großvater und auch Dad nahtlos einfügten.

»Ups, Verzeihung.«

Ich strauchelte, als ich angerempelt wurde. Für einen winzigen Augenblick hatte ich das Gefühl zu fallen und griff rasch nach dem gläsernen Geländer der Betontreppe, die vor mir ins Obergeschoss führte. Mein Gegenüber umklammerte das filigrane Modell eines mehrstöckigen Gebäudes, das er vor sich auf einer weißen Holzplatte balancierte. Irgendwo in meinem Hinterkopf klingelte es. Diese Stimme. Kaum hatte ich einen Blick auf den Kerl hinter dem Modell erhascht, hellte sich seine Miene auf.

»Oha, dich kenn ich doch!«

Oh Himmel … Ich starrte in die dunkelbraunen Augen hinter einer nerdigen Brille mit runden Gläsern, deren Metallgestell das glatt rasierte Gesicht dominierte. Peinlich perfekt wirre Locken, die an den Seiten kürzer geschoren waren und ihm vorne in die Stirn fielen. Die Gedanken überkamen mich in der gleichen Reihenfolge wie beim allerersten Mal, als ich Lauries Mitbewohner gegenübergestanden hatte.

Was für ein Streber. Aber eigentlich vögelbar …

»Hi«, entgegnete ich und schenkte ihm ein zuckersüßes Lächeln, das ich mir nach exakt zwei Sekunden wieder vom Gesicht wischte.

»Laurie hat erzählt, dass du die Uni gewechselt hast«, quasselte er los. In einer solchen Lautstärke, dass sich gleich mehrere Köpfe in unsere Richtung drehten.

»Ja, aber das muss um Himmels willen nicht gleich die ganze Fakultät wissen«, zischte ich und warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Offenbar war er dagegen völlig immun.

»Voll cool. Amber, richtig? Suchst du was? Ich kann dir gleich helfen, sobald ich das Ungetüm hier abgegeben habe. Bin etwas spät dran und hab gleich den Kurs bei deinem Vater. Da kommt man lieber pünktlich.«

Ich unterdrückte den Drang, die Augen zu rollen. Konnte er vielleicht noch ein wenig lauter sprechen, damit alle es mitbekamen?

»Wo findet der statt?«, fragte ich stattdessen und dämpfte meine Stimme dabei so weit, dass nur er mich hören konnte.

»In der Gills Hall, zweiter Stock, quasi direkt über uns.«

»In der WAS?« Ich konnte das Lachen nicht zurückhalten. War das Dads Ernst? Er ließ hier tatsächlich Räume nach sich benennen?

»Albert Gills«, erklärte Emmett unaufgefordert, als hätte er meinen Gedanken erraten. »Dein Großvater?«

»Reden wir nicht darüber!« Ich drängte mich an ihm vorbei. Herrgott, das konnte noch spaßig werden.

Emmett musterte mich, halb belustigt, halb neugierig. »Dann sehen wir uns gleich?«

»Kann mir nichts Schöneres vorstellen«, grummelte ich. Es war mir egal, ob er mich gehört hatte oder nicht. Während dieser Emmett sein Modell fortbalancierte, huschte ich die Treppe hinauf. In einem geschwungenen Bogen zog sie sich wie eine Spirale an der Wand des runden Foyers nach oben. In einem Stück aus Beton gegossen, freischwebend, bis unter das kuppelförmige Dach. Zugegeben, das hier war ein beeindruckendes Gebäude.

Ich unterdrückte ein freudloses Lachen, als ich Emmetts Hinweis folgend die Albert Gills Hall fand. Im Seminarraum saßen bereits vereinzelt Studenten an den Tischen. Das Pult war noch leer. Unauffällig suchte ich mir einen Platz in den hinteren Reihen und tat die interessierten Blicke der anderen mit einem kühlen Lächeln ab. Ich hatte wirklich absolut kein Bedürfnis, mich mit irgendjemandem zu unterhalten.

Ich schlug die Beine übereinander und verschränkte die Arme vor der Brust, sobald ich mich niedergelassen hatte. Ich würde den Teufel tun und meine Sachen ebenso demonstrativ vor mir auf dem Tisch ausbreiten wie der Rest des Kurses. Ich senkte den Blick auf mein Handy. Laurie hatte mir die Adresse der Krankenhaus-Cafeteria geschickt. Wir wollten uns in ihrer Mittagspause treffen. Es war der einzige Lichtblick des Tages.

Die Stimmen um mich herum wurden leiser, und ich hob intuitiv den Kopf, als mein Vater den Raum betrat. Es kotzte mich an, doch selbst ich konnte mich seiner Ausstrahlung nicht entziehen. Wenn es ein Wort gab, das wie für meinen Vater geschaffen war, dann war es Autorität. Er besaß so viel davon, dass es wehtat. Die Studenten verstummten, als er die Tür schloss und festen Schrittes nach vorn zum Pult ging. In den Reihen vor mir setzten sie sich aufrechter hin, steckten die Handys weg.

»Guten Morgen zusammen.« Dad ließ den Blick über die Reihen wandern. Als er mich streifte, verriet nichts in seinem Gesicht, dass ich etwas anderes für ihn war als eine unbedeutende Schülerin. Ich wusste nicht, ob ich es gut oder schlecht finden sollte. Die anderen erwiderten seine Begrüßung, nur ich blieb stumm. Einen Augenblick später öffnete sich die Tür erneut. Emmett drückte sich in den Raum. Gesenkter Blick, vor Scham gerötete Wangen.

»Entschuldigen Sie, Sir«, brachte er heraus.

»Mister Sorichetti.« Er nickte ihm knapp zu. Erstaunlich, dass Dad seinen Namen kannte. Andererseits bestand der Kurs aus nicht einmal dreißig Leuten. Emmett sah sich gehetzt um und quetschte sich dann auf den letzten freien Platz in der vordersten Reihe. Überraschung, Überraschung. Das Klischee mit dem Streber bestätigte sich immer mehr.

Abschätzig ließ ich den Blick über seinen schlanken Körper wandern, während er sich setzte. Beige Chinos, die seine langen Beine betonten, geputzte Budapester und ein dunkler Rollkragenpullover. Er sah aus wie das wahr gewordene Klischee eines artsy Architektur-Hipsters, dessen Kleiderschrank aus nichts als dunklen Turtlenecks und hellblauen Maßhemden bestand. Mit Sicherheit hatte seine Familie Kohle und er es nötig, es jedem direkt mit seiner Erscheinung unter die Nase zu reiben.

Mein Vater nahm ein iPad aus seiner Tasche und richtete sich wieder auf. Obwohl er es nicht sehen konnte, rutschte ich extra noch ein Stückchen tiefer auf meinem Stuhl und wippte gelangweilt mit dem Bein. Dad verfiel in einen Monolog über die Beispiele tadelloser Stadtplanung in Vancouver (also mehr oder weniger schamlose Selbstbeweihräucherung), und zu meinem Erstaunen war es die ganze Zeit über mucksmäuschenstill im Raum. Als er absurde Fragen zu stellen begann, zuckte bei jeder einzelnen Emmetts Arm in die Höhe.

Meine Güte. War das sein Ernst? Ich saß noch keine zehn Minuten mit ihm im Raum, und mit jeder weiteren korrekten Antwort auf die noch so unnötigste Frage wuchs meine Wut auf diesen Emmett. Wir hatten alle mitbekommen, dass er besonders intelligent war. Und Dad allem Anschein nach auf direktem Weg in den Allerwertesten kriechen wollte.

Moment … Ich hielt den Atem an. Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Emmett erinnerte mich an die Person, die ich am liebsten aus dem Gedächtnis gestrichen hätte. Wie er meinem Vater schöntat, sich anzog, als wären wir in Oxford, nicht in Vancouver. Und nicht zuletzt diese bescheuerte Begeisterung in seiner Stimme, sobald er über Architektur sprach. Emmett erinnerte mich an Cedric. Die Person, die ich in Gottes Namen nie wieder …

Ich fuhr zusammen, als mein Handyklingelton den Monolog meines Vaters unterbrach. Sein Blick fiel sofort auf mich. Eiskalt und vernichtend. Ich drückte den Anruf weg und brachte ein knappes »Sorry« heraus. Die Blicke der anderen streiften mich. Aus den Augenwinkeln nahm ich wahr, wie sie sich zueinander beugten und hinter vorgehaltener Hand Dinge zuflüsterten. Wer ich war, schien schneller die Runde zu machen, als mir lieb war.

»Miss Gills, vielleicht wissen Sie die Antwort auf meine Frage?«

Ich verengte die Augen zu schmalen Schlitzen. Das tat er nicht wirklich … Mich hier vor versammelter Mannschaft auflaufen lassen. Ich hatte Dad nicht einmal richtig zugehört. Nicht im Traum wäre ich in der Lage, seine dämlichen Fragen zu beantworten.

Die Blicke der anderen brannten heiß auf meinen Wangen. Als sich nun auch Emmett umwandte und zu mir sah, wäre ich am liebsten aufgestanden und gegangen.

»Sorry, Sir.« Ich fixierte Dad mit Todesverachtung. »Keinen blassen Schimmer.«

Ein Muskel trat an seinem Kiefer hervor, so sehr musste er sich in diesen Sekunden zusammennehmen. Mir war bewusst, dass ich mich kindisch aufführte. Doch es konnte mir egaler nicht sein. Er wollte ein lächerliches Machtdemonstrieren und Bloßstellen? Er bekam es. Dafür würde ich höchstpersönlich sorgen. Bis er es bitter bereute, mich an seine verfluchte Fakultät geholt zu haben.

*

»Hey, warte mal.«

Ich schloss genervt die Augen und umklammerte den Riemen meines Beutels fester. Unter keinen Umständen würde ich stehen bleiben und mich auch noch mit ihm unterhalten.

»Amber?«

»Sorry, aber ich bin echt super in Eile«, schleuderte ich ihm entgegen, und obwohl meine Stimme freundlich klang, warf ich ihm einen Blick zu, der eine andere Sprache sprach.

»Triffst du dich mit Laurie und Sam zum Essen? Wir können zusammen rüberlaufen, wenn du willst.«

Sie hatte ihm auch Bescheid gesagt? Ich hatte mich auf ungestörte Gespräche mit meiner besten Freundin eingestellt. Und nicht darauf, belanglosen Kennenlern-Small-Talk mit ihrem elitären Spießer-Mitbewohner zu machen.

Ich lachte, und eine verunsicherte Falte grub sich zwischen Emmetts Augenbrauen. »Okay, hör zu, Garrett.«

»Emmett«, verbesserte er auf der Stelle, dabei wusste ich genau, wie er hieß.

»Wie auch immer.« Ich kam so dermaßen in die Hölle, aber er bettelte geradezu darum, in seine Schranken verwiesen zu werden. »Es ist ja echt niedlich von dir, dass du denkst, dich bei mir einzuschleimen, bringt dir noch mehr Pluspunkte bei meinem Dad. Aber, ehrlich, spar’s dir. Dafür gibt es mit Sicherheit einfachere Möglichkeiten. Eine Flasche Okanagan Maple Whiskey zum Beispiel. Scheißteuer, das Zeug, ich weiß, aber was tut man nicht alles für ein hervorragendes Abschlusszeugnis, nicht wahr?«

Ich schenkte ihm ein Lächeln, während Emmetts vor mir erstarb. Einen Moment lang sah er ehrlich schockiert aus.

»Ich wollte nicht … Ich wollte nur nett sein. Du bist Lauries Freundin. Ich dachte …«

»Ach, bitte. Du verschwendest deine Zeit. Und meine gleich mit. Ich bin nicht hier, um Freunde zu finden, verstanden? Nimm’s nicht persönlich.«

Ihm klappte der Unterkiefer runter, und einen kurzen Moment lang war ich selbst erstaunt, wie gut meine verbalen Ohrfeigen bei ihm funktionierten. War der Typ wirklich ein solches Unschuldslamm, wie er vorgab? Herzzerreißend, wirklich … Aber ich hatte keine Nerven für so etwas. Allein aus dem simplen Grund, dass Dad davon begeistert wäre, wenn ich mich mit ihm anfreundete. Und von seinem guten Einfluss profitierte. Niemals würde ich mir Leute anlachen, die vermutlich selbst in ihrem erbärmlichen Privatleben über nichts anderes als Architektur zu referieren wussten. Zumal sie mich schätzungsweise nur kennenlernen wollten, um über mich einen exklusiven Blick in die Prüfungsfragen zu erhalten, die Dad für die Finals stellte. Oder seine Gnade, die er bei mir und meinen Freunden walten ließ. Nicht in tausend Jahren würde das der Fall sein. Im Gegenteil. Dad wusste, wie die Leute waren. Im Zweifel erzielten sie damit den genau gegenteiligen Effekt bei ihm.

»Gut. Ich hätte dich hingebracht, aber das heißt wohl, du findest den Weg selbst.« Emmetts Stimme klang unterkühlt, und etwas in mir jubelte darüber, ihn aus seiner viel zu engagiert-freundlichen Reserve gelockt zu haben. Dann erst drang der Inhalt seiner Worte zu mir durch.

»Du gehst woandershin?«

»Ich muss zur Arbeit.« Er musterte mich. Von seiner Unvoreingenommenheit war plötzlich nichts mehr übrig.

Ich war so ein Arschloch. Er wollte sich nicht aufdrängen, er wollte einfach nur nett sein.

Super, Gills. Jeden Tag eine schlechte Tat. Zu mehr war ich offenbar nicht zu gebrauchen.

»Bis dann also.« Bevor ich auch nur ein weiteres Wort zu ihm sagen konnte, hatte er sich auf dem Absatz umgedreht und verschwand im Gewusel.

5. KAPITEL

»Oh, endlich!« Laurie drückte mir fast die Luft ab, so stürmisch umarmte sie mich, kaum dass ich einen Fuß in die Cafeteria des UBC Teaching Hospitals gesetzt hatte. Eine Wolke aus Desinfektionsmitteln hüllte mich ein. Ich schloss Laurie nur wegen des weißen Kittels, den sie trug, nicht so fest in die Arme, wie ich eigentlich wollte. Wer wusste, womit ich mich am Ende noch infizierte? »Wie geht’s dir? Wie war der erste Tag?«

»Blendend!«, log ich und löste mich wieder von ihr, als Sam, der zwei Meter weiter mit gestresster Miene an der Wand neben dem Eingang lehnte, sein Telefon in die völlig überfüllte Tasche seines Kittels steckte. Sein Blick huschte zu uns. Mit jedem der wenigen Male, die ich ihn bislang gesehen hatte, wirkte der Kerl noch übernächtigter, was wohl daran liegen durfte, dass er vor wenigen Wochen sein Studium abgeschlossen hatte. Die beiden waren das ultimative Workaholic-Pärchen.

Sams Umarmung war kurz und fest, und obwohl ich ihm erst wenige Male persönlich begegnet war, fühlte er sich nicht wie ein Fremder an. Was nicht von ungefähr kam, wenn man bedachte, wie oft mir Laurie von ihrer absolut ambivalenten Beziehung zu ihm erzählt hatte, bevor sie Anfang des Jahres endlich reinen Tisch gemacht hatten und richtig zusammengekommen waren. Meine beste Freundin schwebte seitdem auf Wolke sieben, und ich gönnte es ihr von Herzen. Niemand verdiente es so sehr, glücklich zu sein, wie Laurie, und nach einem Blick in ihr zwar erschöpftes, aber seliges Gesicht wusste ich, sie war es.

»Und bei euch? Der Stress ist real, wie es aussieht?«, vermutete ich, als das Telefon in Sams Tasche erneut zu klingen begann. Mit einem Seufzen ging er ran und folgte uns in einigen Metern Abstand zur Essensausgabe.

»Es geht, Sam hospitiert momentan in der Neurochirurgie. Er ist fix und fertig, wenn er abends heimkommt.« Laurie lächelte, doch ich hörte die leise Frustration aus ihrer Stimme heraus.

»Wozu gibt’s Bereitschaftsräume?«

Sie stieß ein leises Lachen aus, als ich vielsagend von ihr zu Sam sah. »Wie habe ich dich nur vermisst …«

»Zu Recht. Aber jetzt hast du mich ja vorerst dauerhaft.«

Ihr Blick huschte kritisch über mich. »Wie schlimm ist es?«

»Schlimm?« Ich lachte, während ich nach einem Tablett griff. »Es ist die reinste Folter, wieder zu Hause einzuziehen, nachdem ich Jahre allein gewohnt habe.«

»Ist es sehr schwierig mit deinen Eltern?«

»Reden wir nicht drüber.« Ich hatte bei Gott genug von diesem Thema. »Erzähl mir lieber von dir.«

»Sweetpea?« Sam tauchte neben uns auf und warf Laurie einen entschuldigenden Blick zu. »Ich glaube, ich gehe wieder hoch. In zehn Minuten kommt ein Polytrauma rein, da würde ich ungern fehlen.«