Wie Berührung hilft - Werner Bartens - E-Book
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Wie Berührung hilft E-Book

Werner Bartens

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Beschreibung

I wanna hold your hand… Händchenhalten ist nicht nur der Ausdruck von Zärtlichkeit bei Paaren, nein, sich an den Händen zu fassen macht unter anderem das Bergaufgehen leichter und stärkt das Immunsystem von Kleinkindern. Der Arzt und vielfache Bestsellerautor Werner Bartens zeigt so anschaulich wie alltagstauglich, was Medizin und Neurowissenschaften über die Wirkung von körperlicher Berührung herausgefunden haben. Und sie eröffnet den Zugang zu verschütteten Gefühlen; das hilft, sich selbst und anderen wieder näherzukommen. Berührung ist unsere erste Sprache – jeder spricht sie, jeder versteht sie!

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Seitenzahl: 242

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Werner Bartens

Wie Berührung hilft

Warum Frauen Wärmflaschen lieben und Männer mehr Tee trinken sollten

Knaur e-books

Über dieses Buch

Inhaltsübersicht

EinleitungDie Sehnsucht nach BerührungDer Mensch als DauerfühlerTastsinn – der erste und der letzte SinnDas Grundbedürfnis nach KontaktIch möchte mal wieder richtig in den Arm genommen werdenKostenlose UmarmungenKontaktanzeige – wie wichtig Berührungen sindUmarmungspuppen und andere KontaktversucheIn der BerührungsmaschineDer richtige DruckFester, bitte!Anfassen statt aggressiv werdenNähe spüren – und sich berühren lassenFühlt sich das gut an!Nacktheit und BerührungDie Giftspinne auf unserer HautDie Vorahnung einer BerührungDer Schmerz der AusgrenzungDer Berührung immer einen Schritt vorausDas Gefühl vor dem GefühlBlinde und ihr besserer TastsinnWenn aus Berührung Schmerzen werdenAngefasst werden von Profis: die BerührungsindustrieBei der Physiotherapie – und ein bisschen auf der CouchAuf der KuschelpartyWarum misslungene Frisuren so schnell verziehen werdenUnberührt und ohne GefühlIch spüre gar nichts mehrDie Scheu davor, angefasst zu werdenZugang zu den eigenen Gefühlen findenWenn alles raus willEin Lob der heißen Tasse TeeDiese eisige Kälte um dich herumWenn die Temperatur am Arbeitsplatz sinktWärme empfinden – seelisch und ganz realDie Fieberkurve der BeziehungenHart gesessen oder weich gelandet? Der Einfluss flüchtiger BerührungenWarnsignal: Sie will ständig eine Wärmflasche – oder in die BadewanneWarum Männer mehr Tee trinken solltenTausendmal berührt – wenn aus Nähe Liebe wirdIch will dich immerzu anfassenVerrückt nach dir – und deinem GeruchSex macht schöne HautSich nahestehen – und beieinanderbleibenBerührungen gegen den StressDie Klappe halten – und massierenChronische Paare – wo bleibt die Zärtlichkeit?Streicheleinheiten nicht vergessenDie kleine Zärtlichkeit zwischendurchHändchen halten hilftDem richtigen Partner die Hand reichenBerührung als Ehe-KittKontakt aufnehmen – statt sich auf die Zunge beißenWenn Berührungen Beziehungen heilenDie Berührung und der SexZärtliche Worte findenBloß kein Ekel vor dem anderenHeilende BerührungenWohltuende StreicheleinheitenWie der Arzt einen anfasstIst das gut so? Massieren, aber richtigZarte Massage im GesichtTiefe Berührung – Massage gegen die SchmerzenMit den Fingern sehenKrank und unberührtEs ist zum Aus-der-Haut-FahrenDie Haut als Spiegel der Seele?Wenn die Spritze weniger weh tutKinder berühren und ihnen Energie fürs Leben gebenKraft und Gesundheit durch NäheLecken lassenKindern mit Massage einen besseren Start gebenWenn Nähe und Geborgenheit fehlenBeruhigen und streicheln statt schreien lassenAuf den Arm nehmen statt im Krankenbett allein lassenErst fühlen, dann verstehenDen Schmerz selbst wegstreichelnErfolg durch BerührungIm Sport den Sieg mit Händen greifenLernen und begreifenBerührung stärkt die DorfgemeinschaftHand drauf – noch ein Bier, Fräulein»Das Gleiche wie immer!« – Berührungen an der BarBerührende GeschäftsideenDer geniale Fingerzeig: iPhone, iPad, iPodBerührung und der schnellste Draht zum GehirnReklame, die alle Sinne anspricht: haptische VerkaufshilfenUmblättern statt ScheibenwischerNachwort – Fühlen lernen, berühren lassenLiteratur
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Einleitung

Man kann nur in Berührung sein, wenn man fühlt.

Anaïs Nin

Spüren Sie mal! Wie sich das anfühlt. Merken Sie das? Eigentlich müssen Sie dazu ja nicht extra ermutigt werden. Denn der Körper kann schließlich gar nicht anders, als permanent etwas zu spüren, zu erfahren und alle taktilen Reize zu erfassen und aufzunehmen, die sich ihm bieten. Die Augen lassen sich schließen, man kann sich auch den Mund, die Nase und die Ohren zuhalten – aber das Gespür und Gefühl und der Tastsinn, die lassen sich nicht einfach so abstellen.

Um die besonders hochwertigen und bezaubernden Gefühle im Leben geht es in diesem Buch – und um die hilfreichen und die unterstützenden. Sie sind manchmal so überwältigend, dass sie süchtig machen können. Erstaunlicherweise hat sich die Wissenschaft lange gar nicht um diese kostbaren Empfindungen gekümmert. Dabei kennt doch jeder diese Erfahrung: Wenn sich ein lieber Mensch, aber auch ein Stoff oder eine weiche Unterlage besonders gut anfühlt, möchte man sich einkuscheln, immer wieder hinlangen und anfassen und begreifen und diese Manufactum-Momente der Berührung erleben. Denn es gibt sie noch, die guten Gefühle!

Es ist wohl kein Zufall, dass »berührt werden« in vielen Sprachen eine herrliche Doppelbedeutung hat. Das konkrete Angefasst-Werden ist damit gemeint, aber eben auch die seelische Berührung, wenn man von einem Gefühl überwältigt, von einem Moment ergriffen oder einem Gespräch emotional tief erfasst ist. Diese psychische Form der Berührung geht meistens nicht nur mit seelischen, sondern auch mit körperlichen Veränderungen einher. Wenn ein liebevolles Wort, eine Geste oder eine Situation besonders ergreifend und angenehm sind, können sie sich schließlich auswirken wie ein sanftes Streicheln oder eine andere Form der Liebkosung.

Umgekehrt kann eine schlechte Nachricht, ein trauriges Erlebnis oder eine gemeine Reaktion sich körperlich so unangenehm anfühlen wie eine fiese Berührung. Wie ein Schlag in die Magengrube oder ein kalter, glitschiger oder gar ekliger Hautkontakt. Berührungen können die schönsten Glücksmomente hervorrufen und ein tiefes Gefühl der Befriedigung – sie können aber auch furchtbar abstoßend sein, ekelerregend und beschämen oder sogar verletzen.

Die Wissenschaft entdeckt diesen Forschungsbereich gerade erst neu. In Miami wurde vor wenigen Jahren ein Touch-Institut eröffnet, in dem die Auswirkungen von Berührungen erforscht werden – ein Motto der Leiterin lautet: »Berührung ist die erste Sprache, die wir sprechen. Aber darüber ist noch viel zu wenig bekannt.« In Europa gibt es bisher nur wenige Wissenschaftler, die sich dem Thema Berührung und Tastsinn verschrieben haben.

In diesem Buch will ich zeigen, was Berührungen alles auszulösen vermögen und wie hilfreich, nützlich und kostbar sie sein können – ob therapeutisch eingesetzt in der Medizin oder unterstützend in der Partnerschaft, im Beruf und natürlich auch in der Freizeit, beim Sport, sogar in der Kneipe oder während sogenannter Selbsterfahrungen. Berührungen sind ein universeller Schlüssel zu den oft verschütteten Emotionen, die uns antreiben. Und oft machen sie Spaß. Richtig eingesetzt, eröffnet die richtige Form der Berührung neue Erlebenswelten und lässt jeden Einzelnen erkennen, was ihm guttut und was für ihn wirklich wichtig ist. Und natürlich, wovon er sich berühren lässt.

Wenn Sie sich von diesem Buch berühren lassen oder andere Anregungen haben, freue ich mich über eine Rückmeldung unter:

www.werner-bartens.de

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Die Sehnsucht nach Berührung

Es gibt Menschen, deren einmalige Berührung mit uns für immer den Stachel in uns zurücklässt, ihrer Achtung und Freundschaft wert zu bleiben.

Christian Morgenstern

Berührungen verbinden, sie stellen automatisch Nähe zwischen zwei Menschen her. Wer sich anfasst, lässt sich unmittelbar auf den anderen ein. Auch wenn daraus nicht immer Intimität entstehen muss, vermittelt die Geste, sich zu berühren, schnell ein Gefühl der Gemeinschaft. Fast überall auf der Welt ist die Sitte verbreitet, sich im Kreis aufzustellen und an den Händen zu fassen. Sie gilt als universelles Ritual der Gemeinsamkeit, verleiht Energie und das Gefühl, etwas zusammen zu schaffen oder wenigstens besser ertragen zu können.

Wer sich anfasst, zeigt aber auch nach außen an, dass er zusammengehört, auch wenn es vielleicht nur für einen kurzen, bangen Moment ist, in dem man gemeinsam auf eine Entscheidung wartet, wie beispielsweise Schüler auf ihre Abschlussnoten, Fußballer auf den letzten Elfmeterschuss ihres Mitspielers, Teilnehmer einer Casting-Show auf das Urteil der Jury. Man ist untereinander eins und zeigt sich einig.

Manchmal zeigen die Berührungen aber auch an: Wir sind enge Freunde und fassen uns besonders gerne und herzlich an, wenn wir uns nach einer Weile wiedersehen. Oder wir sind ein Paar, das sich immer wieder an der Hand nimmt oder zärtlich berührt, weil wir gar nicht genug voneinander bekommen können. Doch egal, ob Bekannte, Freunde oder Liebende: Jede Form von angenehmer Berührung verändert die Wahrnehmung für den anderen, macht offener und empfindlicher für das Wesen und die Bedürfnisse unserer Mitmenschen.

Umso erstaunlicher ist es, dass freundliche Berührungen nicht besonders verbreitet sind. Im Gegenteil. Zu vielen Gelegenheiten ist es sogar absolut unerwünscht oder zumindest unüblich, den anderen anzufassen. Es gilt sogar als peinlich, ständig auf Tuchfühlung aus zu sein. Mehr als ein steifer Händedruck mit großem Abstand kommt dann nicht zustande. Was ist da los? Woher kommt diese Zurückhaltung, etwas zu tun, was doch offensichtlich den meisten Menschen guttun würde? Verwehren wir uns tatsächlich ein angenehmes Gefühl, obwohl wir ja gar nicht anders können, als permanent zu fühlen?

Der Mensch als Dauerfühler

Weil sie beständiger Fluss sind, lassen sich Gefühle nicht anhalten; sie lassen sich also auch nicht »unter die Lupe« nehmen; das heißt, je genauer wir sie beobachten, desto weniger wissen wir, was wir fühlen. Die Aufmerksamkeit ist schon eine Veränderung des Gefühls.

Robert Musil

Jeder Mensch registriert ständig, was er und was ihn gerade berührt, ob der Kontakt sanft oder kräftig ist, ob sich etwas kantig anfühlt oder rund. Man spürt automatisch, wie hart oder weich die Unterlage ist, auf der man sitzt. Man merkt sofort, was man anfasst und wie man angefasst wird. Menschen registrieren aber nicht nur direkte Berührungen, sondern auch minimale Veränderungen in ihrer Nähe – wenn buchstäblich etwas in der Luft liegt. Jeder Windhauch auf der Haut wird wahrgenommen, ebenso wie das zarte Kribbeln bei neblig-feuchter Witterung. Und Menschen merken, wie warm oder kalt die Umgebung ist, in der sie sich aufhalten.

Spezielle Tastkörperchen überall im Körper melden über verschieden schnell leitende Nervenbahnen an das Gehirn, ob wir behutsam oder heftig berührt werden, ob wir mit etwas Weichem oder Hartem Kontakt haben und in welcher räumlichen Position wir uns befinden. Forscher sprechen inzwischen davon, dass der Tastsinn auch der »affektiven Berührung« dient, das heißt nicht nur taktile Reize von außen an das Gehirn weiterleitet, sondern auch über Haut-zu-Haut-Kontakt emotionale, hormonelle und andere Reaktionen stimuliert.[1] Während besonders schnell leitende Nervenfasern rasch Schmerzreize, Hitze und Druck weiterleiten, so dass die Hand sofort von der Herdplatte gezogen werden kann oder andere Gefahren abgewendet werden, gibt es spezielle Bahnen, die »soziale« Berührungseindrücke nur langsam weiterleiten. Als ob sie sich Zeit lassen würden, die besonderen Gefühle in aller Ruhe ankommen zu lassen.

Manche Körperregionen sind besonders empfindlich und im buchstäblichen Sinne feinfühliger als die anderen. So spüren wir an den Fingerspitzen und im Gesicht viel genauer als etwa am Rücken, wenn wir berührt werden und was gerade in Kontakt mit unserer Haut ist. Zu merken, ob uns ein Finger berührt oder zwei Finger piken, ist an der Hand eine Frage von nur wenigen Millimetern Abstand – am Rücken merkt man es hingegen erst, wenn die Finger mehr als fünf Zentimeter auseinandergespreizt sind!

Und wir haben ein erstaunliches Raumgefühl, das ebenfalls mit dem Berührungsempfinden zu tun hat – und mit der Oberfläche, auf der wir uns befinden. Deshalb können wir auch mit geschlossenen Augen spüren, ob der Zug, mit dem wir fahren, oder das Schiff, in dem wir sitzen, sich gerade neigt. Wir fühlen im Dunkeln, ob wir auf einer Schräge stehen oder ob unsere Füße oder Arme momentan gedreht, gebeugt oder gestreckt sind. Wir spüren und ertasten immer und überall.

Tastsinn – der erste und der letzte Sinn

Stark sein bedeutet fühlen können.

Fernando Pessoa

Der Tastsinn ist der erste Sinn, der sich beim Menschen entwickelt. Auf Berührungen reagieren Föten bereits im Mutterleib, sie spüren den Druck, der sie umgibt – und üben ihn selbst auf die Bauchwand der Mutter aus. Mit der Zeit merken sie, dass sie die Intensität des Drucks selbst regulieren können, und schaffen es, sich selbst zu beruhigen, indem sie sich mit aller Kraft gegen die sie umgebende Gebärmutter stemmen und so das wohlige Gefühl auslösen, von allen Seiten beschützt und umfangen zu sein. Wissenschaftler vermuten, dass die entspannende Wirkung, die eine kräftige Massage oder eine feste Umarmung herbeiführt, ihren Ursprung in dieser frühen Erfahrung hat.

Da er so früh vorhanden ist, kann der Tastsinn natürlich auch schon früh stimuliert werden. »Das Neugeborene macht bereits umfangreiche haptische Erfahrungen und ist empfänglich dafür«, sagt Maria Hernandez-Reif von der Universität Alabama. Sie hat am Touch-Forschungsinstitut in Miami beobachtet, dass sich frühgeborene Zwillinge viel schneller und besser entwickelten, wenn sie sich umarmen und beieinanderliegen konnten. »Berührung ist die erste Sprache«, sagt Hernandez-Reif. »Verstehen kommt erst viel später als Fühlen.«

Der Tastsinn ist aber nicht nur der erste Sinn des Menschen, der sich ausbildet, sondern offenbar auch der letzte, der selbst dann noch schwach vorhanden ist, wenn der Tod unmittelbar bevorsteht. Auf Berührungen sprechen wir sogar dann noch an, wenn wir bewusstlos oder schwerverletzt sind oder im Koma liegen. Auch wenn wir uns vielleicht nach einer Operation oder einem Unfall nicht mehr daran erinnern können, dringen selbst zarteste Berührungsimpulse, die wir über die Haut aufnehmen, bis ins Gehirn vor und aktivieren dort die Zentren unseres Tastsinns.

Kurz vor dem Tod funktioniert zwar kaum noch etwas im Körper. Prüfen Ärzte auf der Intensivstation aber, ob ein schwerverletzter Patient für eine Organtransplantation in Frage kommt, weil seine Gehirnfunktionen fast vollständig erloschen sind und die Diagnose Hirntod gestellt werden kann, werden manchmal noch geringfügige Abläufe im Körper registriert. Dazu gehören die elektrischen Nervenerregungen im Gehirn, die als Reaktion auf Berührungen entstehen. Manche Kritiker des Hirntod-Konzepts verweisen deshalb darauf, dass man wohl nicht von Hirntod sprechen könne, wenn sich solche Hirnströme noch provozieren lassen.

Das Grundbedürfnis nach Kontakt

Halt dich an mir fest, wenn dein Leben dich zerreißt.

Halt dich an mir fest, wenn du nicht mehr weiterweißt.

Revolverheld

In jeder Phase des Lebens sind Menschen auf Berührungen angewiesen. Hautkontakt ist ein elementares Bedürfnis, und wir müssen es immer wieder befriedigen. Ohne Berührungen können wir schließlich nicht leben. Neugeborene und Kleinkinder gehen ein, wenn sie nicht genügend Zuwendung und Zärtlichkeit bekommen, egal, wie gut sie ansonsten versorgt werden. Ohne Berührungen fehlen ihnen enge, zuverlässige Bindungen. Zudem bleibt ihre körperliche Entwicklung zurück, und sie wachsen nicht richtig, wenn sie nicht angefasst werden. Sie verkümmern und sind anfällig für Krankheiten, weil Berührungsimpulse essenziell zum Aufbau des Immunsystems beitragen.

Aber auch als Jugendliche und Erwachsene sind wir extrem von den Berührungen anderer Menschen abhängig. Wer nicht berührt wird, der droht zu verdorren und zu verwelken. Ohne Berührungen spüren wir das Leben nicht mehr, vereinsamen und werden uns und anderen fremd. Das ist wie ein inneres Absterben, seelisch und körperlich, und es geht mit dem elenden Gefühl einher, von allem und von allen ausgeschlossen zu sein. Wie groß ist im Gegensatz dazu der Unterschied zu der Hochstimmung, die gutgemeinte und als angenehm empfundene Berührungen auszulösen vermögen!

Wer sich in freundlicher Absicht anfasst, der mag sich gern. Davon kann man ausgehen, denn angenehme Berührungen sind ein Zaubermittel, das weltweit als direkter Ausdruck der Zuneigung und Ermunterung verstanden wird. Selbst der flüchtige Klaps auf die Schulter oder der kurze, sanfte Griff an den Arm vermögen eine Welle angenehmer Gefühle hervorzurufen.

Berührungen kommen zwar von außen, wirken aber vor allem nach innen. Sie erfassen den ganzen Körper, aber besonders gehen sie zu Herzen. Diese Sinneswahrnehmung ist elementar, und sie kommt deshalb gänzlich ohne Worte aus. Man muss sich nichts erklären, wenn man sich gegenseitig anfasst. Das versteht sich von selbst.

Es gibt zahlreiche Situationen, in denen sich zeigt, dass Menschen sich öfter berühren, wenn sie sich besonders nahestehen oder die Beziehung zwischen ihnen gerade sehr innig ist und alles passt. Das gilt nicht nur für den erotischen Bereich. Gute Freunde umarmen sich zur Begrüßung. Und zumeist fällt die Umarmung weitaus herzlicher aus, wenn man sich länger nicht gesehen hat oder sich aus anderen Gründen besonders darüber freut, sich wiederzutreffen. Wer sich auf diese Weise herzt und umarmt, ist sich der gegenseitigen Nähe und Zuneigung bewusst und will dieses Gefühl auch körperlich ausdrücken.

Dieser Ausdruck einer besonderen Nähe und Verbundenheit zeigt sich auch beim Sport. Fußballer, deren Mannschaftsgefüge und Zusammenhalt besonders gut ist, fassen sich nach Erkenntnissen französischer Wissenschaftler während des Spiels öfter an, umarmen sich häufiger oder ermuntern sich immer wieder mit einem kleinen Stupser oder einem Klaps auf den Po. Und wenn sich der Erfolg dann einstellt und es gute Nachrichten oder gemeinsame Begeisterung gibt, dann gilt auch außerhalb des Sports: Man möchte die ganze Welt umarmen.

Ich möchte mal wieder richtig in den Arm genommen werden

Nimm mich in den Arm, aber fass mich nicht an.

Anonym

Nicht allen Umfragen kann man trauen. Manche führen ja trotz gleicher Fragen zu erstaunlich gegensätzlichen Ergebnissen. Die Erhebungen zu dem Bedürfnis nach Berührung unter den Deutschen sind allerdings so eindeutig, dass sich daraus schon eine Tendenz ablesen lässt. Sie ergeben immer wieder ganz ähnliche Resultate. Regelmäßig findet etwa die Hälfte der Deutschen, dass sich die Menschen viel zu wenig umarmen. Und mindestens jeder Dritte äußert den Wunsch, selbst häufiger berührt zu werden. Woher aber sollen alle diese Berührungen kommen, wenn keiner da ist, der einen umarmt oder streichelt, oder wenn der andere dies nur dann tut, wenn es als Vorspiel zum Sex dient?

Es gibt ein paar indirekte Hinweise darauf, wie groß hierzulande das Bedürfnis nach Berührungen ist. An den stetig wachsenden Einkünften der Wellness-Industrie in Deutschland lässt sich das womöglich ablesen. Mindestens 70 Milliarden Euro pro Jahr beträgt der Umsatz der Branche, schätzt der Deutsche Wellness Verband (DWV). Allerdings ist unklar, wie viele Menschen sich speziell aus dem Bedürfnis nach Nähe und weil sie die unverbindliche Berührung suchen, massieren, bei der Kosmetikerin behandeln oder mit Klangschalen malträtieren lassen – und wie viele andere Motive dafür haben.

Ein weiteres Indiz für die boomende Sehnsucht nach Berührungen: Seit ein paar Jahren gibt es auf den ersten Blick eigenartig wirkende Veranstaltungen und Angebote in Sachen Körperlichkeit. In fast allen größeren Städten werden inzwischen »Kuschelpartys« organisiert. Vereinzelt bieten auch Damen unterschiedlichen Alters mit der Tätigkeitsbezeichnung »Berührerin« ihre Dienstleistungen an: Das sind selbstbewusste Frauen, die keine Prostituierten sind und auch keine Physiotherapeutinnen, sondern Streicheleinheiten gegen Bezahlung anbieten. Ohne Erotik, ohne Sex. Nur Anfassen.

Der Zulauf, den diese Angebote haben, spricht für sich. Und zunehmend verbreiten sich in vielen deutschen Regionen auch Partys, bei denen sich fremde Erwachsene treffen, um sich auf unterschiedliche Weise innig anzufassen – und angefasst zu werden. Gab es anfangs nur Treffen für sanfte Berührungen und Kuscheln, finden sich jetzt auch handfeste Zusammenkünfte im Angebot, etwa das Gaudi-Raufen, zu dem mehrere Veranstalter in Bayern und Berlin aufrufen. Es geht also nicht nur um sanfte, streichelnde Berührungen. Auch an zünftigen Handgreiflichkeiten besteht offenbar großer Mangel.

Kostenlose Umarmungen

Nichts im Leben ist umsonst – Umarmungen schon

Motto der Free-Hugs-Kampagne

Vorsicht, Sie könnten sie überall antreffen. Plötzlich stehen sie vor Ihnen und wollen Ihnen nahekommen. Natürlich nur freiwillig und nur, wenn Sie es auch wollen. Weltweit gibt es ein paar dieser freundlichen Aktivisten, die in den Innenstädten fremden Menschen um den Hals fallen und ihnen auf Wunsch kostenlos eine Umarmung zukommen lassen. Der Bedarf ist offensichtlich da, aber einige Irritationen bei ihren Mitmenschen und erst recht bei den Behörden rufen die Freiwilligen trotzdem hervor, die sich in die Fußgängerzonen stellen und anderen Zeitgenossen ein paar unverfängliche Berührungen anbieten.

Als »Free Hugs Campaign« bezeichnet sich die Initiative selbst, die von einem Australier mit dem Pseudonym Juan Mann begründet wurde. Nach ersten Anfängen 2004 in Sydney wurde die Bewegung jedoch bezeichnenderweise wenige Monate später von der Polizei gestoppt. Bloß nicht zu viele Berührungen! Als Begründung für das zwischenzeitliche Verbot gab die Stadtverwaltung von Sydney an, dass Mann keine Versicherung vorlegen konnte, mit deren Hilfe er »für mögliche Schäden an den Umarmten« aufkommen würde.

Leider ist nicht dokumentiert, welche »möglichen Schäden« damit wohl gemeint sein konnten! Gute Laune und gehobene Stimmung für den Rest des Tages? Blaue Flecken von einer zu stürmischen Umarmung? Oder gar psychische Störungen, weil ja niemand damit rechnen kann, dass ihm ein fremder Mensch ohne Hintergedanken, einfach so, auf offener Straße eine kostenlose Umarmung anbietet?

Die Stadt Sydney kam dann erfreulicherweise doch zu dem Schluss, dass sich die zu erwartenden Schäden wohl in Grenzen halten würden. Und die Bevölkerung half nach. Eine Unterschriftenliste von mehr als 10000 Unterstützern führte dazu, dass Mann und seine Gefolgsleute auch weiterhin »free hugs« in Sydneys Fußgängerzone anbieten konnten. Durch einen Auftritt in der Talkshow von Oprah Winfrey und ein YouTube-Video der Band »Sick Puppies« 2006 wurde die Umarmungs-Idee erst richtig populär. Zahlreiche Nachahmer fanden sich in verschiedenen Ländern rund um den Globus. In Jordanien und Saudi-Arabien wurden allerdings mehrere Aktivisten verhaftet, weil sie angeblich durch ihre Umarmungen »die Ehre und die öffentlichen Sitten« des Landes gefährdeten.

Wie alle Bewegungen zog auch die Free-Hugs-Kampagne einige skurrile Nachahmer und Aktivisten an, die aber – soweit erkennbar – allesamt harmlose Ziele verfolgten. Manche hatten es auch nur auf besonders eigenartige Rekorde abgesehen: Der Pole Maksym Skorubski legte offenbar besonderen Ehrgeiz an den Tag. Er veranstaltete im Jahre 2012 eine Weltreise, die er »Hugs around the world in 80 days« nannte. Während seines Trips umarmte er 6783 Menschen in 19 Ländern.

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Kontaktanzeige – wie wichtig Berührungen sind

Tu deinem Leib etwas Gutes, damit deine Seele Lust hat, darin zu wohnen.

Teresa von Ávila

Kuschelenergie – so nennen das die Veranstalter. Wildfremde Menschen treffen sich, nennen sich allenfalls beim Vornamen, und nach einer Aufwärmphase fassen sie sich dann an. Manchmal wird vorher getanzt, zum Aufwärmen. Erotische Berührungen und Sex sind absolut tabu bei den sogenannten Kuschelpartys. Alle sind leger und bequem gekleidet, bleiben angezogen, und der Körperkontakt soll einfach nur guttun und glücklich machen.

Glaubt man den Berichten der Teilnehmer, finden sie auf derartigen Veranstaltungen endlich das, was sie im Alltag so schmerzlich vermissen: Nähe, ohne bedrängt zu werden. Sich einfach anschmiegen können, ohne dass mehr daraus wird. Körperkontakt und freundliche Berührungen, die nicht nur ein Genuss für die Haut sind, sondern vor allem Streicheleinheiten für die Seele.

Man lehnt sich Rücken an Rücken, fasst sich von hinten um den Bauch und setzt sich in den Schoß des anderen, manchmal hintereinander wie bei Kindern, die Eisenbahn spielen. Zum Schluss legen sich alle auf dem Matratzenlager in der Mitte des Raumes durcheinander, jeder, wie er will, beim Gemeinschaftskuscheln streicheln alle drauflos. Vorbereitungen sind keine nötig: Duschen ist erwünscht, aber keine aufdringlichen Parfüms. Wenn möglich, sollen die Teilnehmer »absichtslos« kommen, schreibt ein Anbieter von Kuschelpartys. Aber was heißt das schon, denn eine Absicht verfolgen ja alle hier: unbedingt angefasst zu werden, berührt zu werden, Streicheleinheiten zu spüren, die sie schon lange nicht mehr bekommen haben, manche vielleicht noch nie.

Da alles freiwillig und nichts verpflichtend passieren soll auf den Kuschelpartys, werden manchmal auch Kuschelwillige abgelehnt, die sich an einen bestimmten Teilnehmer anschmiegen wollen. Das gehört dazu, auch wenn das bei manchen Gästen den Eindruck verstärkt, den sie hier eigentlich hinter sich lassen wollten: dass ihre Nähe gerade nicht erwünscht ist.

Umarmungspuppen und andere Kontaktversuche

Dich zu lieben, dich berühren.

Mein Verlangen, dich zu spüren.

Deine Wärme, deine Nähe.

Roland Kaiser

Ein Land, nein: die halbe Welt sehnt sich nach mehr Zärtlichkeit. Es geht dabei in den meisten Fällen gar nicht um erotische Handlungen und erst recht nicht um Sex, sondern schlichtweg darum, angefasst zu werden, umarmt zu werden, um ebenso freundliche wie harmlose Berührungen eben. Frauen wollen unverbindliche Berührungen, und auch Männer sehnen sich immer wieder nach Körperkontakt, ohne dabei etwas beweisen zu müssen. Umfragen ergeben immer wieder ähnliche Bedürfnisse, wonach mindestens die Hälfte der Bevölkerung beklagt, dass sie zu selten in den Arm genommen wird und die einfache, unkomplizierte Nähe vermisst, die zu nichts verpflichtet. Ein Land auf der Suche nach mehr Körperkontakt. Ein Land, das einfach nur in den Arm genommen werden will.

Manchmal gibt es praktische Hilfe für den Hausgebrauch, etwa am bayerischen Schliersee. »Ralfis Umarmungspuppe« steht auf dem T-Shirt der alterslosen Dame. Das Bekleidungsstück, das sie trägt, ist sehr weit ausgeschnitten, so dass meistens eine Brust freiliegt. Manchmal ist die Brustwarze angemalt. Normalerweise steht die Dame im Flur vor dem Herrenklo. Wenn viel los ist in der See-Bar in Schliersee, wird die Schaufensterpuppe aber schon mal an den Tresen geholt und bekommt einen Drink spendiert. Dann ist sie nicht nur in Ralfis Nähe, auch die anderen Besucher freuen sich darüber.

Die Stammgäste der Bar haben Ralfi die Puppe geschenkt. Wenn er angetrunken war, rückte Ralfi den anderen – besonders den weiblichen – Gästen nämlich gerne ein bisschen näher, und diese Zudringlichkeiten gefielen längst nicht jedem. Da jeder Mensch jedoch seine Bedürfnisse hat und die zu respektieren sind, sofern man damit nicht andere bedrängt, wurde eine Lösung gefunden. Wer in die Bar kam, war fortan vor Ralfis Zudringlichkeiten geschützt. Und Ralfi wusste, wohin er sich wenden musste, wenn er mal wieder Nähe suchte.

Diese Hilfskonstruktion ist nichts, worüber man sich lustig machen sollte. Sie macht vielleicht ein wenig direkter und ganz und gar nicht verschämt deutlich, wonach sich viele Menschen sehnen. Es gibt allerdings nur wenige Zeitgenossen, die den Mut haben, sich zu diesem Bedürfnis zu bekennen und Hilfsmittel zu ersinnen, damit sie die Form der Berührung bekommen, die sie gerne hätten. Dabei helfen sie damit nicht nur sich, sondern auch der Gemeinschaft.

In der Berührungsmaschine

Die Intensität des Drucks, unter dem wir gerade stehen, ist der Gradmesser für die Intensität des Dranges, der sich aus uns befreien will.

Peter Schellenbaum, Psychoanalytiker

Temple Grandin ist ziemlich außergewöhnlich. Soll man sie störrisch nennen oder abweisend? Oder einfach nur eigen? »Unnahbar« trifft es vielleicht ganz gut, obwohl sie sehr freundlich ist, wenn man sich mit ihr trifft. Das war allerdings nicht immer so. Die ersten Wörter sprach sie erst, als sie schon fast vier Jahre alt war. Sie verhielt sich auffällig als Kind, sie lachte nicht, weinte nicht, ließ sich nicht anfassen, beschmierte die Wände mit Kot. Ärzte hielten sie für krank und diagnostizierten einen Hirnschaden bei dem kleinen Mädchen. In den frühen 1950er Jahren – Grandin wurde 1947 geboren – gab es nicht mal eine Diagnose für ihre Auffälligkeit.

Gegen den Rat der Doktoren gaben ihre Eltern sie aber nicht in ein Heim, sondern ließen sie von Privatlehrern unterrichten. Später studierte die eigenwillige junge Frau und machte sogar ihren Doktor. Inzwischen ist sie schon seit vielen Jahren Dozentin an der Universität in Colorado, hält Vorträge und gilt als weltweit führende Expertin für die Haltung von Tieren, besonders von Rindern. Ihr Leben wurde in einem beeindruckenden Film und einer Dokumentation der BBC nachgezeichnet, es gibt auch verschiedene Bücher über sie, und auch sie selbst hat von ihren Erfahrungen berichtet. Temple Grandin ist Autistin, und womöglich leidet sie an der Ausprägung von Autismus, die mit einer hohen Intelligenz einhergeht, dem Asperger-Syndrom. Aber was heißt schon Leiden?

Eine Ausnahmeerscheinung ist Temple Grandin in vielfacher Hinsicht. Die amerikanische »Rinderflüsterin« hat nämlich eine »Berührungsmaschine« entwickelt, mit deren Unterstützung sie den Kontakt und Druck selbst herbeiführen und steuern kann, den sie braucht und der ihr guttut. Das ist ihr nicht peinlich, und sie redet auch bereitwillig darüber. Nicht viele Menschen hätten wahrscheinlich den Mut, Fremde so offen an ihren Bedürfnissen teilhaben zu lassen. »Neues erschreckt mich und macht mir Angst«, sagt Grandin. »Und mit anderen Menschen kann ich nicht so viel anfangen.« Der berühmte Neurologe Oliver Sacks hat eine Selbstbeschreibung von Grandin aufgegriffen, die sich unter anderen Menschen so fühle »wie eine Anthropologin auf dem Mars«.[2]

Sieht Grandin verliebte Paare, die sich an den Händen fassen und küssen oder schmusen, »nenne ich das ISP, ein interessantes soziales Phänomen«. Für Grandin waren Berührungen lange Zeit gleichbedeutend mit einer immensen Reizüberflutung. Inzwischen hat sie gelernt, dass die meisten Menschen sich gerne von anderen Menschen anfassen lassen, zumindest wenn sie die mögen. Wenn sie ins Kino geht, schaut sich Grandin am liebsten Kinderfilme wie »Wallace und Gromit« an. Sie hasst allerdings Liebesfilme und erst recht Beziehungskomödien. »Ich finde sie so langweilig.« Die Handlung sagt ihr meistens nichts, und was die Berührungen sollen, die andere Menschen offenbar gerne untereinander austauschen, kann sie nicht nachvollziehen.

Dafür kann Grandin eine Beziehung zu Tieren aufbauen wie wohl niemand sonst auf der Welt. Sie legt sich schon mal in einer Koppel mit 100 Rindern auf den staubigen Boden. Erst laufen die Tiere scheu zur Seite, dann kommen sie näher und beschnuppern die Frau, die bewegungslos zwischen ihnen liegt. Würden die Tiere in Panik geraten, würde Grandin auf dem engen Raum unweigerlich von den 200-Kilo-Kolossen zertrampelt werden. »Ich weiß, wie sie sich fühlen«, sagt Grandin. »Erst sind sie ängstlich, und dann werden sie neugierig.« Und die Rinder spüren offenbar, dass Grandin ähnlich fühlt wie sie. Inzwischen hat sie Halterungen und Apparate ersonnen, in denen die Tiere ruhiger werden und weniger Angst bekommen.