Körperglück - Werner Bartens - E-Book

Körperglück E-Book

Werner Bartens

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Beschreibung

Forschungsergebnisse belegen: Unser Körper ist ein Spiegel unserer Gefühle. Die Anfälligkeit für Rückenschmerzen etwa lässt sich zuverlässig anhand eines Persönlichkeitsprofils voraussagen. Und wer seine Angst vor dem Zahnarzt bekämpft, tut zugleich etwas gegen die Schmerzen. Der Arzt und Bestsellerautor Werner Bartens nimmt uns mit auf eine Reise zu den Gefühlen und verrät, wie sie unsere Gesundheit stärken können. Körperglück von Werner Bartens: als eBook erhältlich!

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Werner Bartens

Körperglück

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Inhaltsübersicht

»Mein Magen tuat mir [...]EinleitungWege zum KörperglückAuf SpurensucheDem Glück auf die Sprünge helfenSchluss mit den SchuldvorwürfenWarum negative Gefühle so schädlich sindWorte können tödlich seinKrank durch Beipackzettel und schlechte PrognosenMissverständnisse mit fatalen FolgenMeiden Sie Ärzte, die sich unklar ausdrückenVorsicht vor negativen Gedanken – sie sind ansteckendWenn vor Angst und Ärger das Blut stocktManche Wunden verheilen nieSechs ungesunde Tatsachen über den ÄrgerWie die Liebe heiltDas gesunde Gefühl, geliebt zu werdenVernachlässigt und verschnupftWo die Liebe ihren Platz hatSetzen Sie auf den KuschelfaktorEs hilft – Küssen als TherapieLaden Sie Freunde zu sich einVermeiden Sie Trennungen, denn erneut heiraten hilft nicht immerFreundlich streiten – aber nicht bis aufs BlutWenn die Liebe schwindetNeun gesunde Tatsachen über die LiebeGedanken und Gefühle, die helfen könnenHeilende Worte findenOptimismus ist gesundZuspruch – ein einfaches und gesundes RezeptDem Tod ein paar Tage abringenWunder gibt es nicht – aber überraschende GenesungGroße Leistungen mit letzter KraftWärme löst warmherzige Gefühle ausMehr Kraft durch schönen ScheinDie Spuren hoffnungsvoller ErwartungOperationserfolg ohne EingriffDer Stich ins Leere hilftDie Droge ArztSchon eine kleine Dosis reichtEs muss weh tun, bunt und teuer seinDer gute Geschmack teurer WeineGeld kann doch glücklich machenDreizehn gesunde Wahrheiten über die EinbildungskraftWie Kinder stark werdenWer geleckt wird, ist widerstandsfähigerKraft für ein ganzes LebenErst fühlen, dann verstehenRitter ohne SchwertSpuren frühen UnglücksSieben lange wirkende Tatsachen über früh geliebte KinderDer Schmerz, der bleibtAngst macht Pein – die Erwartung bestimmt den SchmerzWenn Schmerzen besonders schmerzhaft sindAcht schmerzliche Tatsachen über die PeinWenn das Herz leidetEin Herz und eine SeeleHerzen in südlicher StimmungFünf gute Gründe, sich nicht alles zu Herzen zu nehmenKranke Seele, morsche KnochenVom Kopf ins KreuzRückenschmerzen, die bleibenBandscheibenvorfall? Warten statt operierenWenn nicht nur das Gemüt brüchig wirdDas Knie des AnstoßesZehn knochentrockene Tatsachen über Knie- und RückenleidenWo die Seele zwicktDie Haut als Spiegel der SeeleUnd plötzlich bleibt die Luft wegKrebs trifft auch die GlücklichenNeun Tatsachen, die unter die Haut gehenKrankmacher und StimmungskillerKrank durch Arbeit, krank durch UnzufriedenheitMenschen in der Midlifecrisis – danach geht es wieder aufwärtsFrauen werden älter, aber die Männer holen aufAufgeregt und zerstreutChronisch auf EntzugKranke BeziehungenTraurig trotz PillenDie Als-ob-SchleifeAcht hilfreiche Tatsachen zu Angst und StressAuf der Suche nach der Seele in der MedizinWas Patienten angeblich wollenDer gefühllose ArztAusreden lassenTherapeutisches SchweigenRisiken des ÄrztelateinsDie Seele der MedizinNeun verborgene Tatsachen über die versteckte Seele der KrankenWas jeder für sich tun kannSich berühren lassenFinden Sie RuheStärken Sie Ihr HerzDen Schmerz wegdenkenEntdecken Sie neue RessourcenSenken Sie Ihren StresspegelLassen Sie sich vom Glück ansteckenNeun gesunde Tipps für den ArztbesuchDankLiteraturA [...]

»Mein Magen tuat mir weh, die Füaß tuan mir weh, der Kopf tuat mir weh, mein Hals ist entzunden – und i selbst befind mich aa net wohl.«

KARL VALENTIN

 

»Der vorherrschende Gesundheitsbegriff beschreibt das gute Funktionieren einer Maschine – einer sehr komplizierten Maschine, die man aber zerlegen kann in Teilmaschinchen. Es fehlt der Medizin eine Definition des erlebenden Körpers. Eine Definition für Seele hat sie auch nicht, wenn beides getrennt formuliert wird. Das Menschenbild der Medizin ist technokratisch. Der biotechnisch nicht fassbare Inhalt geht verloren, um den kümmern sich die meisten Mediziner nicht.«

THURE VON UEXKÜLL

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Einleitung

Sie war Ende fünfzig und hatte ihr Leben lang »immer nur funktioniert«, wie sie es nannte. Ihre eigenen Bedürfnisse hatte sie zurückgestellt, ihre Gefühle unterdrückt. Irgendwann hat sie sich dann gar nicht mehr selbst gespürt. Als Kind war sie gezwungen, im elterlichen Betrieb mitzuarbeiten – »die Zeiten waren halt so«. Die Mutter war früh gestorben, deshalb musste sie schon als Neunjährige in der Pension aushelfen. Um halb sechs stand sie damals auf, machte Frühstück für die Feriengäste, deckte die Tische, räumte hinterher auf und hetzte um halb acht in die Schule, ohne selbst gefrühstückt zu haben. Nach der Schule ging es weiter mit den Arbeiten in Haus und Hof. In den Ferien hatte sie keinen Urlaub, sondern nur mehr Arbeit.

Jetzt liegt die freundliche Dame auf dem Bett in einer Psychosomatischen Klinik und ist ziemlich guter Dinge. Sie lacht. Wo sie sich befindet, das tut nichts zur Sache, denn sie möchte nicht erkannt werden. Vor zweieinhalb Monaten, sie war gerade dabei, einen Wäschekorb wegzuräumen, war plötzlich Schluss. Sie konnte nicht mehr. Erst bekam sie kaum noch Luft, dann wurde ihr schwarz vor Augen. Ihr Mann konnte sie gerade noch auffangen, dann alarmierte er den Notarzt.

Von Blaulicht und Martinshorn und den hektischen Bemühungen der Ärzte um ihr Leben bekam sie nichts mit. Erst Stunden später erlangte die schlanke Dame im Krankenhaus wieder das Bewusstsein. Die Diagnose Herzinfarkt war ein Schock für sie. Sie kam auf die Intensivstation, dann zur Überwachung auf eine Station der Inneren Medizin. Doch mit der Zeit fingen die Ärzte an herumzudrucksen. Die Symptome sprachen zwar eindeutig für einen Infarkt – nur im EKG, im Ultraschall, anhand der Blutwerte und sogar in der Darstellung der Kranzgefäße mit Kontrastmitteln ließ sich erstaunlicherweise kein Schaden nachweisen.

Die Mediziner waren zunächst ratlos. Einem der Ärzte fiel jedoch eine seltene Krankheit mit einem unaussprechlichen japanischen Namen ein, das Takotsubo-Syndrom[1]. Takotsubo ist der Name für eine altmodische Tintenfisch-Falle, die wie ein Krug mit einem engen Hals und starker Taille geformt ist, weil so der Fisch hinein-, aber nicht mehr herauskommt. Die japanischen Mediziner, die 1990 die Erkrankung erstmals beschrieben haben, erinnerte das Röntgenbild der linken Herzkammer zum Zeitpunkt des Infarktes an ein solches Gefäß. Im Deutschen und Englischen ist die Herleitung des Namens weniger kompliziert – »Broken Heart« heißt die Störung – das gebrochene Herz.

Bei Patienten mit gebrochenem Herzen ziehen sich der Herzmuskel und oft auch die Kranzgefäße krampfartig zusammen.[2] Auslöser für die bedrohliche Lage ist aber nicht, wie typischerweise beim Infarkt, ein Blutgerinnsel, das die Koronarien verstopft, oder eine Herzrhythmusstörung, sondern seelische Überlastung. In den bisherigen Schilderungen der Fachliteratur wird fast immer ein erschreckendes oder traumatisches Ereignis erwähnt, das dem Infarkt vorausgegangen ist.[3] Die Patienten erlebten vor dem Infarkt emotionale oder auch körperliche Belastungen – häusliche Auseinandersetzungen, schlechte Nachrichten über ein Familienmitglied, finanzielle Sorgen oder die Diagnose einer schweren Erkrankung. Gemeinsam war den Patienten, dass sie nur wenige der typischen Risikofaktoren für ein Herzleiden, wie Bluthochdruck, Diabetes oder erhöhte Blutfettwerte, aufwiesen.

Obwohl ein kleiner Teil der Kranken bewusstlos wird, künstlich beatmet werden muss und an Herzrhythmusstörungen leidet, werden die Patienten im Mittel schon nach vier Tagen wieder aus der Klinik entlassen. Wer die dramatische Einweisung durch den Notarzt erlebt hat, die Infarktsymptome und die Lebensgefahr, kann das kaum glauben. Auch die Patientin, die sich nun in der Psychosomatischen Klinik befindet, wurde nach fünf Tagen aus dem Krankenhaus entlassen.

Jetzt scheint sie ein neuer Mensch zu sein. Sie hat den vermeintlichen Infarkt als Warnschuss verstanden, endlich ihr Leben zu ändern. Nach ihrer anstrengenden Kindheit war sie zwar als junge Erwachsene oft ausgegangen. Sie feierte viel und hatte Beziehungen zu mehreren Männern – aber auch in dieser Phase ihres Lebens achtete sie nicht darauf, was ihr guttat. Später fand sie dann zwar einen verständnisvollen Mann, aber der war genauso ein Workaholic wie sie, und beide schufteten im Akkord. Er hatte eine leitende Position inne, sie eröffnete ein kleines Geschäft und kümmerte sich zusätzlich um Haushalt und Familie. Ihr Leben war voll gepackt, anstrengend und ruhelos wie zu Kindertagen, bloß dass sie jetzt das Gefühl hatte, diesen Takt selbst vorzugeben. Als sie weitere Aufgaben im Geschäft übernehmen sollte und ihr Mann einen Karriereknick erlitt, wurde selbst ihr alles zu viel. Sie brach zusammen. Einfach so, aus heiterem Himmel. Ohne Vorankündigung.

Für Psychosomatiker gab es Vorzeichen. »Das ganze Leben über war diese Frau einem unglaublichen Druck ausgesetzt«, sagt ihr behandelnder Arzt. »Es ist ein Wunder, dass sie so lange ausgehalten hat.« Zwar erzählt die Patientin, dass sie seit Jahren Rückenschmerzen hatte, Schlafstörungen und furchtbare Kopfschmerzen. Aber sie hat das nicht zugelassen, weitergekämpft, die Zähne zusammengebissen. So hatte sie es ja gelernt.

In der Psychosomatischen Klinik übt sie, sich Gutes zu tun. Das ging am Anfang nur schrittweise. Geholfen hat ihr dabei »eine wunderbare Therapeutin«, von der sie schwärmt wie ein junges Mädchen von einem Popstar. Die Therapeutin beherrscht Krankengymnastik, Massage und viele andere Körpertechniken und achtet darauf, was ihren Patienten am besten tut. Der Oberkörper und die Schulterpartien der Patientin mit dem gebrochenen Herzen waren sehr verspannt. Nach mehrmaliger Massage ließen sich die Blockaden lösen. Die Patientin weinte – nicht vor Schmerzen, sondern vor Freude, weil sie merkte, wie sie sich erstmals seit langer Zeit öffnen konnte und frei atmete. Auch die Rückenschmerzen und vor allem das schreckliche Kopfweh ließen nach und waren nach wenigen Wochen ganz verschwunden.

Ihr ganzes bisheriges Leben lang war die Patientin eingezwängt gewesen, jetzt genoss sie es, sich freier, entspannter und ohne Druck zu bewegen, ohne ständig etwas leisten zu müssen. »Ich hätte nicht gedacht, dass ich solche Gefühle noch einmal erlebe«, sagt sie und dabei stehen ihr Tränen in den Augen.

Wege zum Körperglück

Die Geschichte der Frau mit dem gebrochenen Herzen zeigt, wie empfindlich Menschen auf Belastung und Entlastung reagieren. Die seelische Not hat die Patientin krank gemacht. Die ständige Überforderung, der Stress und die Anspannung haben die Patientin leiden lassen. Sie hatte seit Jahren chronische Schmerzen. Irgendwann ging gar nichts mehr. Sie hat das Glück gehabt zu überleben und lernt gerade, sich besser um sich zu kümmern. Ihr werden Techniken und Methoden gezeigt, um zu gesunden. Sie erlebt ihren Körper nicht mehr nur als Last, sondern als Lust. Dieses befreiende Gefühl ist einer der vielen Wege zum Körperglück.

Glück ist für jeden Menschen etwas anderes. Langfristig gehört dazu: Lieben und geliebt zu werden. Gesund zu sein. Keine finanziellen Sorgen zu haben. Gelassen und entspannt zu sein, auch wenn es gerade etwas besser laufen könnte. Immer wieder im Spiel, beim Sport oder im Beruf die Zeit zu vergessen und das Gefühl zu haben, gerade genau das Richtige zu tun. Es gibt aber auch das kurze, das »kleine« Glück: Nach einer Wanderung auf dem Gipfel zu stehen. Einen Eisbecher oder eine Schokoladentorte vor sich zu haben. Auf einer Wiese zu liegen oder sich im Wasser treiben zu lassen. Zu lachen und sich mit anderen zu freuen.

Körperglück meint von alledem etwas – und für jeden etwas anderes. Denn die kleinen und großen Momente des persönlichen Glücks haben eines gemeinsam: Wer Freude, Ausgelassenheit oder innere Einkehr selbstvergessen genießt, befindet sich zumeist auch im Einklang mit seinem Körper. Der Leib macht keine Beschwerden, sondern ist einfach nur da und trägt zum wohligen Gefühl bei – ob passiv im Liegestuhl oder etwas aktiver während einer Radtour oder Wanderung. Der französische Chirurg René Leriche hat Gesundheit als das »Schweigen der Organe« bezeichnet. Schöner kann man kaum ausdrücken, was damit gemeint ist, wenn der Körper unauffällig, aber unterstützend seinen Teil zum individuellen Glück beiträgt.

Dieses Körperglück ist ein fragiler Zustand, der durch Belastungen in der Familie, im Freundeskreis oder im Beruf schnell verschwinden kann, ohne dass man deswegen krank ist. Jeder kennt die Wut im Bauch, das beklemmende Gefühl in der Brust, die Last im Kreuz oder den Wunsch, aus der Haut zu fahren. Diese Ausdrücke sind nicht bloße Redewendungen. Sie spiegeln wider, was im Körper vor sich geht, wenn der Stress überhandnimmt, der Ärger zu groß, einfach alles zu viel wird und man das Gefühl hat, nicht mehr zu können. Was dann passiert – auch darum wird es in diesem Buch gehen.

Es geht aber vor allem darum, was passiert, wenn der Körper seine guten Seiten zeigt und aus Unglück wieder Zufriedenheit wird und die Wut der Zuversicht weicht. Die Mechanismen, wie gute Gefühle gesund machen oder wenigstens die akuten Beschwerden lindern, sind manchmal überraschend simpel und zeigen in einigen Fällen erstaunlich schnell Wirkung.

Vor Jahren habe ich das selbst erfahren, damals befand ich mich in einer schwierigen Situation. Als ich mal wieder besonders stark mit meinem Unglück beschäftigt war und zudem über körperliche Beschwerden klagte, forderte eine gute Bekannte mich auf, so entspannt und gelassen wie möglich zu sitzen und ein paar Mal tief durchzuatmen. Nachdem ich ihren Rat befolgt hatte, spürte ich sofort, wie verkrampft und zusammengekauert ich vorher dagesessen hatte, mit eingeengter Atmung und zusammengedrücktem Bauch. Seitdem hilft es mir immer noch, mich manchmal in anstrengenden Momenten zu entspannen und zu ein paar tiefen Atemzügen anzusetzen.

Das ist ein kleines Beispiel, aber damals hat mir der einfache Ratschlag geholfen. Obwohl ich niedergeschlagen und betrübt war, verschaffte mir eine geringe körperliche Veränderung etwas Erleichterung. Damit war zwar nicht die schwierige Gesamtsituation gelöst, aber es ging mir besser.

Der Zusammenhang von Körper und Geist ist zwar seit Jahrtausenden bekannt, doch erst in jüngster Zeit erkennen Wissenschaftler, wie stark beides zusammenhängt, miteinander verwoben ist und wie schnell und unmittelbar sich Gefühle – ob negativ oder positiv – auf den Körper auswirken können. Die Beziehung ist wechselseitig und von vielen Faktoren abhängig. Spuren von Körperglück wie auch die von Körperunglück lassen sich aber mittlerweile sogar auf der Ebene der Moleküle, Zellen, Blutgefäße, Nervenbahnen und Organe nachweisen.

In diesem Buch geht es um eine Entdeckungsreise – in den eigenen Körper wie auch in die Welt der Wissenschaft. Ich stelle neueste Ergebnisse der Forschung ebenso wie Erfahrungen mit Patienten vor, die zeigen, wie unmittelbar positive und negative Gefühle mit dem Körpererleben zusammenhängen und auf welche Weise sie gesund oder krank machen können. Dabei wird auch deutlich, wie wichtig das richtige Wort und eine gelungene Kommunikation für die Gefühlswelt und das Erleben Gesunder wie Kranker sind. Das gilt für jede Beziehung zwischen Menschen, aber besonders für die Kommunikation zwischen Arzt und Patient.

Auf Spurensuche

In der Medizin geht es nicht allein um die physikalisch oder biochemisch fassbaren Körpervorgänge, sondern um mehr. Das Messbare, etwa ein Laborwert, ist nicht ein Wert an sich. Er muss angemessen sein für den Patienten und übereinstimmen mit dem Erleben des Einzelnen. Manche Menschen werden mit stark erhöhten Cholesterinwerten neunzig Jahre alt, weil sie zufrieden, gelassen und ausgeglichen sind und ihr Körper genügend Schutzfunktionen entwickelt hat, sodass die vermehrten Blutfette ihnen nicht schaden. Andere Menschen mit normalen Blutwerten sterben im Alter von vierzig Jahren am Infarkt, ohne dass dies eindeutig auf eine körperliche Ursache zurückgeführt werden kann. Weil die Messwerte nur eingeschränkt etwas über die Widerstandskräfte des Körpers und das Befinden aussagen, überleben manche Krebspatienten auch nur sechs Monate nach der Diagnose, andere hingegen 16 Jahre – obwohl beide ähnlich krankhafte Röntgenbefunde und Laborwerte aufweisen.

Auch für Menschen mit medizinischen Normalbefunden gilt: Das Erlebte, die Alltagswirklichkeit muss stimmig sein und passen. Passt die Lebenswirklichkeit nicht, fühlt sich der Mensch krank, auch wenn seine Gerinnungsstoffe, Röntgenbilder, die Blutwerte, das Immunsystem oder andere körperliche Voraussetzungen vollkommen in Ordnung sind. Für Thure von Uexküll, der die Psychosomatik in Deutschland im 20. Jahrhundert geprägt und vorangebracht hat, war Krankheit deshalb in erster Linie eine »Passungsstörung« – das eigene Erleben passt nicht zu dem, was die Ärzte messen.

Jede Art von Schmerz, jedes Wohlgefühl und auch jeder medizinische Eingriff – ob zur Diagnostik oder als Therapie – hat eine eigene Bedeutung für den Einzelnen. Diese Erlebnisse berühren nicht nur den Körper, sondern auch die Seele. Und der Zustand der Seele berührt und beeinflusst die Zellen, Organe, Botenstoffe und vielfältigen anderen Funktionskreise des Körpers.

 

Die Seele soll einem populären und gleichnamigen Film zufolge 21 Gramm wiegen, auch wenn niemand genau weiß, wo sie sich befindet und die Gewichtsbestimmung ziemlich fragwürdig ist. Wenn ich von Seele spreche, dann ist nicht die Seele im religiösen Sinn gemeint. Vielmehr geht es um das Seelische als die Welt der Gefühle, Erlebnisse und Erfahrungen – Ärzte sagen Psyche oder Geist zu dem umfangreichen Gebiet der Stimmungen und Emotionen.

Bereits der römische Arzt Galen, der im zweiten Jahrhundert nach Christus lebte, war davon überzeugt, dass bestimmte Temperamente bestimmte Krankheiten begünstigen. Und der Volksmund behauptet schon lange, dass Ärger auf den Magen schlagen oder das Herz abschnüren kann. Schwere Schicksalsschläge sind ein Kreuz. Schockierende Erlebnisse lassen das Blut stocken, gehen unter die Haut oder sind zum Aus-der-Haut-Fahren. Man hat die Nase voll, einen dicken Hals oder das Herz ist einem in der Hose gerutscht. Die Alltagssprache kennt unzählige Bilder dafür, wie die Psyche den Körper beeinflusst.

Doch erklärt diese Vulgärpsychosomatik tatsächlich, warum manche Menschen Rückenschmerzen, Herzinfarkte, Magengeschwüre oder sogar Krebs bekommen und andere trotz ständiger Belastungen gesund bleiben? Liegt es allein an der Psyche, ob sich jemand wohl fühlt oder immer wieder krank daniederliegt?

Freude und Zufriedenheit, Leid und Verzagen schlagen sich auf der Ebene der Moleküle, Zellen und Organe nieder. Die nicht verblassende Erinnerung an frühe Schmerzen, das durch Angst und Sorge geschwächte Abwehrsystem, die gestörten Wege der Hormone und Stressmoleküle, wenn das Leben nicht so verläuft, wie man es gerne möchte – all das hinterlässt Spuren. Manchmal bleiben die Spuren nur für ein paar Stunden bestehen, manchmal auch für immer.

Dieses Buch ist auch eine Spurensuche. Es zeigt, wie und wo schlechte Gedanken und Gefühle entstehen und den Körper schädigen können. Und viel wichtiger: Mittlerweile wird immer deutlicher, wie gute Gedanken und Gefühle gesund machen können und zum Wohlbefinden beitragen. Indem die Wege der freundlichen Nervenbahnen, Glücksboten und Entspannungshormone nachgezeichnet werden, wird der Einfluss des Geistes zwar auch wieder auf den Körper – und damit auf eine materielle Grundlage zurückgeführt. Aber auch wenn Moleküle, Hirnzentren und Organfunktionen und damit handfeste Strukturen und Reaktionswege bezeichnet werden, geht es immer um eine Wechselwirkung von Körper und Geist, eine gegenseitige Beeinflussung, die eben auch ihre Spuren hinterlässt.

Thure von Uexküll sieht Psyche und Körper bis in die kleinsten Bauteile des Organismus hinein miteinander in engster Verbindung: »Keiner macht sich klar, dass auch die Gene zu einem Zeichensystem gehören, das interpretiert werden muss. Was genetisch ausgedrückt wird, muss auch vom Körper akzeptiert werden: Die in den Genen vorgegebene Bauanleitung für ein bestimmtes Eiweiß garantiert noch lange nicht, dass dieses auch entsteht. Es hängt davon ab, in welcher Verfassung der Empfänger ist, welche Bedeutung er dem Zeichen erteilt.«[4]

Dadurch, dass sie so starke Spuren im Körper hinterlassen, wird deutlich, wie mächtig die Kraft der Gedanken und Gefühle ist und wie sehr sie sich auf unser Wohlbefinden auswirken, auch wenn längst noch nicht verstanden ist, warum manche Spuren so tief sind und andere rasch verblassen.

Dem Glück auf die Sprünge helfen

Die Spuren von Glück und Freude sind ebenso wie die Narben durch Leid und Unglück nicht für alle Zeiten unauslöschbar dem Körper eingebrannt. Manche Wunden verheilen zwar langsam oder nie. Es gibt unterschiedlich lange Auswirkungen von psychischen Belastungen und seelischer Not. Zunächst entwickeln sich daraus kleine Veränderungen, die anfällig für spätere Erkrankungen machen. Wird zu spät eingegriffen, helfen nur langfristige Therapien und positive Körpererfahrungen, die in Kursen und Übungsstunden mühsam erlernt werden müssen.

Das auf diese Weise entstandene Körperleid lässt sich mit psychotherapeutischen Verfahren gut behandeln. Dazu muss ein gemeinsames Verständnis zwischen Arzt und Patienten darüber hergestellt werden, dass das Körperleid mit aktuellen oder früheren Belastungen zusammenhängt. Dann ist es in der Regel nicht mit ein paar Tipps zur Entspannung getan, sondern oft folgt für die Patienten ein mehrjähriger anstrengender Prozess, der von Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten, Üben und auch manchen Rückschlägen geprägt ist.

Der Organismus ist aber ein dynamisches System, er passt sich den Bedürfnissen an und reagiert auf die Erlebnisse und Erfahrungen in Extremsituationen wie im Alltag. Der mittel- und langfristige Gebrauch bestimmt Größe, Umfang und Ausdifferenzierung eines Organs – Plastizität nennen Wissenschaftler auf der Ebene des Gehirns diesen ständigen Umbau. Aber nicht nur das Gehirn kann sich verändern, anpassen, Neues lernen, vergessen und Spuren wieder tilgen.

So wie das Risiko eines Rauchers, an Lungenkrebs zu erkranken, nach einigen Jahren des Nichtrauchens wieder auf das eines Nie-Rauchers gesunken ist, weil sich die Lunge regeneriert, so ist auch der Körper nach Zeiten von Trauer und Niedergeschlagenheit wieder empfänglich und aufnahmebereit für Hochgefühle, Lebensfreude und Körperglück. Dann prägen sich positive Signale und Spuren immer stärker ein, so wie die Muskeln eines Leistungssportlers mit der Zeit kraftvoller werden als die eines Stubenhockers. Diese Mechanismen funktionieren ähnlich wie beim Trainieren oder beim Lernen.

Sind die Nervenbahnen, auf denen Zufriedenheit und Freude signalisiert und weitergeleitet werden, oft in Gebrauch und rasen die Moleküle und Glückshormone häufig ihrem Bestimmungsort entgegen, verbreitern sich diese »positiven« Nervenbahnen und die Zentren für Belohnung, Lustgewinn und Überschwang im Gehirn werden größer und stärker ausgeprägt. Wie sich die Wege des Glücks im Körper permanent verändern, ist am besten mit einem interaktiven Stadtplan zu vergleichen, der ständig zurückgemeldet bekommt, wie viel Verkehr wo unterwegs ist, und der sich entsprechend anpasst. Anfangs sind die Straßen, auf denen ein paar frohe Botschaften verkündet werden, womöglich noch eng und schmal und in dem riesigen Netz kaum zu finden. Je öfter sie befahren – das heißt übertragen auf die Nervenbahnen: benutzt – werden, desto breiter und stattlicher werden sie jedoch. Man kann die Wege der guten Gefühle im Körper bahnen und ihnen so auf die Sprünge helfen, dass sie zu Hauptverkehrswegen und prachtvollen Alleen werden. Es dauert eine Weile, aber es lohnt sich.

Während ein liebevolles Wort, Freude und aufmunternde Gesellschaft sofort segensreich wirken, muss man manchmal etwas Geduld haben, um positive Effekte zu erzielen. Forscher der University of Kentucky haben Tagebuchaufzeichnungen von Nonnen untersucht, die aus einer Zeit stammen, als die Klosterschülerinnen 22 Jahre alt waren. Sie werteten aus, wer über freudige Ereignisse berichtete, optimistisch, dankbar, zufrieden und zuversichtlich war und wer sich eher beklagte. Inzwischen waren die Nonnen zwischen 75 und 95 Jahre alt. Die Wissenschaftler erkannten, dass jene Nonnen, die in jungen Jahren von positiven Gefühlen geschrieben hatten, länger lebten und seltener krank wurden.[5] Mehr als 50 Jahre später hatte sich ihre Zuversicht ausgezahlt.

Schluss mit den Schuldvorwürfen

Wer krank ist, braucht Therapie, Trost und Zuwendung. Wer chronisch krank ist, umso mehr. Ist jemand dauerhaft von einem Leiden betroffen, sucht er nach Erklärungen. Oft durchforsten Kranke die eigene Biographie nach möglichen Auslösern ihres Leidens, kurz: nach dem falsch gelebten Leben. Zum Leid kommen die Selbstvorwürfe.

Warum wird man krank? Die Idee, alles sei »psychosomatisch«, ist weit verbreitet. Es gibt etliche Bücher mit Titeln wie »Krankheit als Sprache« oder »Was Dir Deine Krankheit sagen will«. Wer so etwas liest und krank ist, bekommt unweigerlich ein schlechtes Gewissen, die eigene Malaise selbst verursacht zu haben. Das ist fast nie der Fall. Der Frankfurter Chirurg Bernd Hontschik hat wunderbar beschrieben, wie es Kranken dann geht: »Was aber soll man als Kranker machen, wenn einem die Krankheit partout nichts sagen will? Man hat Schmerzen, man verliert Funktionen und Fähigkeiten, man ist hilfsbedürftig, vielleicht sogar hilflos, eben krank. Aber man versteht es nicht. Sie spricht einfach nicht, die Krankheit. Jetzt ist man krank, und hat außerdem noch ein Problem.«[6]

Viele populäre Therapiekonzepte unterstellen nicht nur, dass Kranke selbst schuld an ihrem Leid sind. Sie unterstellen auch, dass die Patienten ihre Gesundung selbst in der Hand hätten. Diesen Eindruck will ich in diesem Buch vermeiden. Es gibt zwar viele Wege zum Körperglück und manchem Leser mag es helfen, die Mechanismen zu verstehen, mit denen der Organismus auf Leid und Lust reagiert. Deshalb gibt es aber noch lange kein Patentrezept zum gelungenen oder gesunden Leben. Innere Ausgeglichenheit und Optimismus können zwar helfen, sich besser zu fühlen. Eine Krankheit kann auf diese Weise trotzdem nicht automatisch besiegt werden. Es gibt Schicksal und Tragik und manchmal einfach Körperunglück, ohne dass irgendjemand etwas dafürkann.

Wer Kranken unterstellt, dass sie nur nicht gesund werden, weil sie es vielleicht nicht genug wollen oder zu wenig darum kämpfen, ist nicht nur perfide – er verkennt auch die komplexen Zusammenhänge von Krankheit und Gesundheit. Was Kranke deshalb nicht gebrauchen können, sind Schuldzuweisungen von außen. Nach dieser Logik resultiert Krankheit aus mangelnder Investition in die eigene Gesundheit. Aus zu wenig positiven Gedanken. Aus zu wenig »Auseinandersetzung« mit dem Leid und zu wenig Verarbeitung. Das ist falsch. Zwar gibt es Gewohnheiten, die bestimmte Erkrankungen wahrscheinlicher machen. Doch die meisten Krankheiten sind Schicksalsschläge. Krebs ist ungerecht; ein Tumor kann jeden treffen. Für die Mehrzahl der anderen Erkrankungen gilt das ebenfalls. »Victim blaming«, die Beschuldigung der Opfer, sollten Ärzte und Angehörige vermeiden, wenn sie mit Kranken zu tun haben.

Das Denken, wonach Krankheit selbstverschuldet ist, kann auch für Gesunde schädlich sein. Wer sich ständig fragt, ob er genug für seine Gesundheit getan hat, fühlt sich bald nur noch gesund auf Probe – und belastet sich auf der Suche nach Beweisen für seine Gesundheit und dem Ringen um den richtigen Lebensstil umso mehr.

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Warum negative Gefühle so schädlich sind

In Indien wurde in den 1930er Jahren ein erstaunliches medizinisches Experiment zugelassen. Opfer des Versuchs war ein Verbrecher, der zum Tod durch den Strang verurteilt war. Ein Arzt überzeugte den Gefangenen vor der Hinrichtung jedoch, dass es angenehmer für ihn sei, zu verbluten, da der Tod dann zwar nur langsam, aber dafür schmerzlos eintreten würde. Der Gefangene willigte ein, ließ sich an sein Bett fesseln und die Augen verbinden.

Der Arzt hatte mehrere mit Wasser gefüllte Behälter vorbereitet, die er so an den vier Bettpfosten anbrachte, dass das Wasser zu Boden tropfte. Dort wurde es in Schüsseln aufgefangen. Der Mediziner ritzte die Haut des Gefangenen an Händen und Füßen ein, aber nur so geringfügig, dass er kaum verletzt wurde und kein Tropfen Blut zu Boden fiel. Im selben Moment, in dem er dem Mann in die Haut schnitt, ließ der Arzt das Wasser in die Schüsseln tropfen. Zuerst schneller, dann immer langsamer.

Der Gefangene fühlte sich bald schwächer und schwächer. Der Arzt verstärkte diesen Eindruck noch, indem er einen monotonen Singsang anstimmte, der immer leiser wurde. Als alles Wasser in die Schüsseln getropft war, hörte der Arzt auf zu singen. Im Zimmer herrschte jetzt absolute Stille. Der Arzt war mit seinem Experiment am Ende und hatte den Eindruck, dass der Gefangene eingeschlafen oder gar in Ohnmacht gefallen war, obwohl es sich um einen gesunden, jungen Mann handelte. Der Arzt irrte sich gewaltig. Der Gefangene war gestorben, dabei hatte er nicht einen einzigen Tropfen Blut verloren.[7]

Dieses Beispiel zeigt die enorme Kraft negativer Gefühle und Vorstellungen. Sie können sogar einen Gesunden umbringen. Jeder kennt aus seinem Bekanntenkreis Ereignisse, die von einer solchen Wucht sind, dass sie krank machen oder töten können. Der Verlust eines geliebten Menschen, der Schmerz über eine furchtbare Diagnose oder andere Schreckensnachrichten können gewaltig an die Substanz gehen. Ein besonders einprägsames Beispiel dafür ist auch aus der Literaturgeschichte überliefert.[8]

Es war der 15. Juli 1929, der Schriftsteller Hugo von Hofmannsthal wollte gerade seinen Hut nehmen, um zur Beerdigung seines Sohnes Franz zu gehen. Ein schwerer Gang, denn Franz hatte sich zwei Tage zuvor im Alter von 26 Jahren erschossen. Nach allem, was man weiß, war er oft unglücklich und hatte weder beruflich noch privat Fuß fassen können. Sein berühmter Vater hatte hingegen bereits als Heranwachsender Gedichte veröffentlicht, für die er gefeiert wurde, und galt als herausragender Dichter des Fin de siècle.

Hugo von Hofmannsthal erreichte die Trauergesellschaft seines Sohnes jedoch nicht. Noch an der Garderobe in seinem Haus erlitt er einen Schlaganfall, an dem er kurz darauf starb. Es ist nicht erwiesen, liegt aber nahe, dass der für seine einfühlsamen Gedichte bekannte Hofmannsthal von dem Schmerz übermannt wurde und daran zerbrach, den ihm der überraschende Verlust seines Sohnes bereitete.

Schwere Schicksalsschläge, wie der Tod geliebter Menschen, können krank machen und, wie Hofmannsthals Fall, sogar das Leben kosten. Der Gram, der das Herz peinigt und manchmal zerbrechen lässt, ist seit Jahrhunderten ein verbreitetes Motiv in Kunst und Literatur. Es sind jedoch nicht nur die wuchtigen Ereignisse, wie ein Todesfall oder die Diagnose einer unheilbaren Krankheit, die dem Körper zusetzen. Wut, Hass und Unzufriedenheit können ebenfalls äußerst schädlich sein und am Wohlbefinden nagen – genauso wie Angst, Unruhe und Niedergeschlagenheit.

So widersprüchlich es klingt: Die Medizin hält ebenfalls ein beachtliches Arsenal bereit, damit Menschen sich krank fühlen oder gar krank werden: Voreilige Diagnosen, eingebildete Risiken und die Angst vor Nebenwirkungen können auch gesunden Menschen massiv schaden. Bekannt ist etwa das Schicksal des Mannes, dem der Arzt direkt nach der Operation mitteilte, dass der Krebs sich überall in seinem Körper ausgebreitet habe und man nichts mehr dagegen tun könne. Der Patient drehte sich nach dieser Mitteilung wortlos zur Wand um und starb noch am selben Tag.

Mindestens so wichtig wie darauf zu achten, dass gute Gedanken und Gefühle sich ausbreiten, ist es daher, zu verhindern, dass schlechte Gedanken und Gefühle zu viel Schaden anrichten. Im Freundeskreis, in der Familie und unter Kollegen kann ein dahingesagtes garstiges Wort schon sehr verletzend sein. Noch schlimmer sind allerdings düstere Vorhersagen und nebenbei fallen gelassene Bemerkungen von Ärzten und anderen Therapeuten. Wer für das Wohl und Wehe seiner Patienten sorgen kann, dessen Worte können, wenn sie negativ ausfallen, besonders verletzend sein und furchtbare Folgen haben.

Worte können tödlich sein

Es war spät am Abend und Vance Vanders hatte eine unheimliche Verabredung. Auf dem Friedhof des kleinen Ortes in Alabama traf er einen Mann, der in dem Ruf stand, ein Hexendoktor zu sein. Der Magier nahm eine Flasche mit stinkender Flüssigkeit, schwenkte sie vor Vanders’ Gesicht herum und prophezeite ihm, dass er bald sterben müsse und nichts und niemand ihn mehr retten könne.

Vanders war nach dem Treffen wie erschlagen. Zu Hause ging es ihm stündlich schlechter. Wenige Tage später war er so ausgezehrt, dass er ins Krankenhaus musste. Die Ärzte fanden keine Erklärung für seinen miserablen Zustand. Dann erzählte Vanders’ Frau einem Arzt von den Verwünschungen des Hexenmeisters. Der Mediziner war zunächst ratlos, dann fasste er einen geschickten Plan. Er rief die Familie des Patienten am Krankenbett zusammen, tat sehr geheimnisvoll und erzählte, dass er den Hexer zur Rede gestellt habe. Der obskure Medizinmann hätte demnach Eidechseneier in Vanders’ Magen gebracht, die Tiere wären dort geschlüpft – allerdings sei ein Reptil im Körper verblieben und würde Vanders nun langsam von innen auffressen.

Auf Geheiß des Arztes kam eine Krankenschwester hinzu, die eine riesige Spritze mit Brechmittel vorbereitet hatte. Unter großem Zeremoniell spritzte der Doktor das Emetikum und der Patient begann sich vehement zu übergeben. Im allgemeinen Trubel zog der Arzt eine Eidechse hervor, die er in einem unbeobachteten Moment aus seiner Tasche geholt hatte, und zeigte sie triumphierend herum: »Schau, Vance, was aus dir herausgekommen ist«, sagte er. »Es ist gut jetzt, der Zauber ist vorbei.«

Der Patient trank einen mächtigen Schluck Wasser und fiel sofort danach in tiefen Schlaf. Es ging ihm von Tag zu Tag besser, nach einer Woche wurde er entlassen. Mehrere Ärzte bezeugten den Fall, der sich um 1930 in den USA zugetragen hatte.[9]

Vanders hatte Glück im Unglück, denn er überlebte den Fluch des Magiers dank seines gewitzten Arztes. Andere Menschen sterben hingegen an der Kraft der schlechten Gedanken. Solche Ereignisse finden sich keineswegs nur in der Geschichte oder bei Menschen, die an Voodoo glauben. Die Verwünschungen kommen heute jedoch in einem anderen Gewand daher. Neuerdings untersuchen Wissenschaftler, welche mächtige Wirkung negative Gefühle und Gedanken in der Medizin entfalten. Die Nocebos (wörtlich: »Ich werde schaden«) gelten in der Forschung als Gegenstück zum Placebo (»Ich werde gefallen«). In beiden Fällen gilt: Es gibt keinen materiell fassbaren Wirkstoff – trotzdem ist die Wirkung auf den Patienten enorm.

Krank durch Beipackzettel und schlechte Prognosen

Wie schlechte Gedanken krank machen, ist auch für Wissenschaftler immer wieder verblüffend. Amerikanische Psychologen konnten zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit, an einem Herzschlag zu sterben, für Frauen dreimal so hoch ist, wenn sie daran glauben, dass sie besonders anfällig für einen Infarkt sind. »Depressionen und negative Gefühle erhöhen bei allen Menschen die Gefahr für einen Infarkt so stark wie Bluthochdruck«, sagt Karl-Heinz Ladwig, Herzexperte in der Klinik für Psychosomatik der Technischen Universität München. Erschöpfung und negative Gefühle wie Hoffnungslosigkeit in den sechs Monaten zuvor seien so typisch für einen drohenden Infarkt, dass Ärzte den seelischen Beschwerden und Stimmungstiefs viel mehr Aufmerksamkeit schenken sollten.

Fast jeder Patient kennt auch das Phänomen, dass er erst dann Nebenwirkungen erleidet, wenn ihm Nebenwirkungen vorausgesagt werden. »Schlechte Neuigkeiten fördern schlechte Physiologie«, sagt Clifton Meador von der Vanderbilt-Universität. Krebsärzte wissen, dass etlichen Patienten bereits vor der Chemotherapie übel wird und sie schon Tage vorher oder auf dem Weg ins Krankenhaus erbrechen müssen. Es ist die Erwartung, die ihnen übel aufstößt – umgekehrt erfahren viele Menschen Linderung von einer Kopfschmerztablette, die sie gerade erst geschluckt haben und die aus rein pharmakologischer Sicht noch gar nicht den Schmerz dämpfen kann, weil sie die Rezeptoren und Schmerzzentren im Körper noch nicht erreicht hat.

Moderne Hexenmeister tragen nicht mehr Zauberstab und sonderbare Elixiere mit sich herum. Heute sind sie mit Kittel und Stethoskop unterwegs. Was ihre Prognosen anrichten können und dass sie auf manche Patienten wie eine furchtbare Verwünschung wirken, ist ihnen häufig nicht bewusst und geschieht in den meisten Fällen auch nicht absichtlich. Bekannt ist beispielsweise der Fall des amerikanischen Patienten Sam Shoeman, bei dem ein fortgeschrittener Leberkrebs im Endstadium diagnostiziert wurde. Shoeman, seine Familie und auch seine Ärzte glaubten, dass er nur noch wenige Monate zu leben hatte. Der Kranke hielt sich an die Prognose und starb einige Wochen später.

Als der Leichnam untersucht wurde, wunderten sich die Ärzte allerdings sehr. Der Tumor war mit zwei Zentimetern Durchmesser ziemlich klein geblieben, hatte keine anderen Organe infiltriert und auch keine Metastasen gebildet, ergab die Autopsie. »Der Mann starb nicht an Krebs, sondern daran, dass er glaubte, an Krebs zu sterben«, sagt Clifton Meador, der etliche solcher Fälle genauer untersucht hat.[10] »Wenn man von allen so behandelt wird, als ob man bald sterben müsse, glaubt man das irgendwann auch. Alles im Leben dreht sich dann nur noch um das Sterben.« Meador findet daran nichts Mystisches, auch wenn er versteht, dass viele Menschen sich nicht vorstellen können, dass symbolische Handlungen, Vorstellungen oder Worte eine bisweilen sogar tödliche Kraft entfalten können – »das fordert das bio-molekulare Bild vieler Ärzte heraus«.

Nicht alle Mediziner glauben an dieses einfach gestrickte Weltbild. »Eine Behandlung oder eine ärztliche Diagnose hat nicht bei jedem Menschen die gleiche vorhersagbare Wirkung«, sagt Bernd Hontschik, der als Chirurg in Frankfurt arbeitet und dafür eintritt, die Psychosomatik in jede ärztliche Fachrichtung zu integrieren. »Bei jedem Patienten ist das anders, je nachdem welche Bedeutung der Mensch der Therapie oder dem Wort des Arztes zuweist – dann kann etwas entsetzlich sein oder aber auch wunderbar wirken.«

Für Hontschik greift das zweigliedrige Maschinenmodell der Schulmedizin von Ursache und Wirkung zu kurz: »Lebewesen funktionieren nicht wie Maschinen, hier gibt es mindestens noch die Ebene der Bedeutungserteilung.« In seinem faszinierenden Buch »Körper, Seele, Mensch« führt er zahlreiche Beispiele dafür an.[11] So verbindet ein Patient mit der Therapie eine Wunderheilung, der andere denkt, dass er vergiftet wird, und erteilt allem, was der Doktor anstellt, eine negative Bedeutung. Als Arzt gehöre die Kenntnis der physikalischen und chemischen Wirkung einer Therapie zwar zur Grundausrüstung. »Ärztliche Kunst besteht aber darin, die Bedeutungserteilung zu kennen und zu nutzen – alles andere kann auch ein Handwerker.«

In den neueren Forschungsarbeiten von Fabrizio Benedetti, Jon-Kar Zubieta oder Manfred Schedlowski wird deutlich, was im Körper passiert, wenn die Kraft schlechter Gedanken zu stark wird. Die drei Wissenschaftler sind renommierte Placebo-Forscher und versuchen, den Geist – oder zumindest seine Auswirkungen – materiell fassbar zu machen. Sie haben beispielsweise entdeckt, dass dieselben Rezeptoren im Gehirn angesprochen werden, wenn nur eine schmerzlindernde Wirkung erwartet wird oder wenn tatsächlich ein schmerzstillendes Medikament verabreicht wird.

Anders als der Placeboeffekt ist die Wirkung von Nocebos noch nicht so gut erforscht. Zubietas Gruppe von der University of Michigan in Ann Arbor hat beobachtet, dass negative Erwartungen das Dopamin-System im Gehirn dämpfen. Dopamin gilt als das Glückshormon, das euphorische Gefühle vermittelt. Das Team um Benedetti von der Universität Turin entdeckte kürzlich, dass die Schmerzerwartung im Gehirn über den hormonähnlichen Botenstoff Choleszystokinin vermittelt wird. Blockierten die Forscher pharmakologisch diese Substanz, die die Schmerzerwartung erhöht, tat es den Probanden sogleich weniger weh.

»Der Schaden durch Nocebos ist enorm, das geht in die Milliarden«, sagt Manfred Schedlowski, Psychologe an der Universität Essen. »Viele Menschen nehmen ihre Medikamente aus Angst vor möglichen Nebenwirkungen nicht ein – Ärzte müssten viel besser darüber aufklären.« Der Forscher ärgert sich darüber, dass kaum ein Mediziner seinen Patienten die beruhigende Wahrheit sagt – nämlich dass die Pharmafirmen aufgrund der immer strengeren Sicherheitsbestimmungen mittlerweile verpflichtet sind, jede Nebenwirkung, die jemals irgendwo aufgetreten ist, in Beipackzetteln aufzulisten, und sei sie noch so selten. Die möglichen Schäden lesen sich dann selbst bei den harmlosesten Medikamenten wie eine Horrorliste – »auch wenn es wahrscheinlicher ist, vom Blitz getroffen zu werden, als diese Nebenwirkung zu erleiden«, so Schedlowski.

Missverständnisse mit fatalen Folgen

Unbedachte Äußerungen von Ärzten können bei manchen Patienten massive Beschwerden auslösen und die Heilung wieder zunichtemachen. Der berühmte amerikanische Kardiologe und Friedensaktivist Bernard Lown[12] zeigt in seinem berührenden Buch »Die verlorene Kunst des Heilens«, wie vernichtend ärztliche Worte sein können.[13] Manchmal sind sie sogar tödlich. Während einer hektischen Visite mit einem schlecht gelaunten Chefarzt hatte dieser am Patientenbett in die Runde seiner Assistenzärzte gesagt, dass es sich bei der Patientin vor ihnen ja wohl nur um einen typischen Fall von TS handeln könne. TS steht im Mediziner-Jargon für Trikuspidalklappen-Stenose. Diese Verengung einer Herzklappe ist zumeist harmlos und auf keinen Fall lebensbedrohlich.

Die Patientin war gebildet, hatte aufmerksam zugehört. Nach der Visite sagte sie zu Lown, der damals noch ein junger Assistenzarzt war: »Das ist das Ende.« TS müsse ja wohl »terminale Situation« bedeuten. Sie habe schon verstanden, was die Ärzte sich in ihrer Fachsprache zugeraunt hätten. Sie resignierte und wollte nichts mehr von den Ärzten wissen. Obwohl Lown der Dame geduldig und eindringlich erklärte, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauche und was das Kürzel tatsächlich bedeutete, verschlechterte sich ihr Zustand rapide. Sie bekam Atemnot und in ihren Lungen sammelte sich immer mehr Flüssigkeit an.

Lown alarmierte den Chefarzt, dass er die Patientin dringend aufklären sollte, wie er seine Bemerkung während der Visite gemeint habe. Der Chefarzt war skeptisch, als er Lowns Schilderungen hörte. Für eine Trikuspidalklappen-Stenose war das Lungenödem absolut ungewöhnlich. Zu einer solchen Ansammlung von Flüssigkeit kommt es vor allem bei einem Linksherzversagen. Die linke Herzkammer der Patientin war jedoch vollkommen intakt. Der Chefarzt versprach dennoch, am Abend nach seiner Privatpraxis bei der Patientin vorbeizuschauen. Als der Arzt gegen 19 Uhr zu ihr kam, war sie bereits am Lungenödem gestorben.

»Tod durch Hoffnungslosigkeit und negative Erwartungen ist eine Steigerung des bekannten Zusammenhangs von Depression und Herztod«, sagt Peter Henningsen, Chefarzt der Psychosomatik an der Technischen Universität München. Er ist nicht davon überrascht, mit welcher Wucht negative Gedanken zuschlagen können. »Die in vielen Fallberichten geschilderten negativen Symptome wie Todesphantasien oder Schwarzsehen sind ja eindeutig Elemente von Depressivität.«

Nicht immer kann so schnell und effektiv etwas gegen die negativen Gefühle unternommen werden wie bei dem verzweifelten jungen Mann, der sich nach der Trennung von seiner Freundin das Leben nehmen wollte. Er schluckte 30 Tabletten, starke Psychopharmaka, die er im Haus hatte, weil er gerade an einer Medikamentenstudie teilnahm. Er brach kurz darauf zusammen, konnte aber noch einen Nachbarn alarmieren, der ihn in die Klinik brachte. Im Krankenhaus ging es dem Patienten immer schlechter.

Bald kam allerdings der Arzt vorbei, der die Studie geleitet hatte. »Er war doch in der Kontrollgruppe«, sagte der Mediziner überrascht. Die Pillen, die der junge Mann geschluckt hatte, waren vollkommen harmlos und dienten den Ärzten nur als Vergleich zur Wirkung der tatsächlichen Medikamente. Als der Patient davon erfuhr, verschwanden augenblicklich all die furchtbaren Symptome, die er mit der Kraft der schlechten Gedanken heraufbeschworen hatte.

Meiden Sie Ärzte, die sich unklar ausdrücken

Von dem amerikanischen Philosophen und Theologen Reinhold Niebuhr stammt das Bonmot, dass Ärzte es zwar gut meinen, aber manchmal schlimm handeln und dann ihr unheilvolles Verhalten damit rechtfertigen, dass sie es ja gut gemeint haben. Manche Patienten werden schließlich allein durch das medizinische Kauderwelsch der Ärzte verunsichert und krank. Besonders gefährlich kann das bei jungen Doktoren sein, die noch nicht wissen, wie verheerend sich ihre Diagnosen und andere Bemerkungen auf Patienten auswirken können.

Einem Mann teilten mehrere Ärzte in der Klinik kurz hintereinander mit, dass er einen Herzschlag, einen Myokardinfarkt, eine Koronararterien-Thrombose und eine akute ischämische Episode erlitten hätte. Alle vier Bezeichnungen stimmten zweifellos. Sie bedeuten aber alle dasselbe – einen Herzinfarkt. Ein Herzinfarkt ist zwar keineswegs harmlos, aber der Patient hatte Glück im Unglück und war nicht so schlimm dran. Nachdem er den Reigen der verschiedenen Diagnosen gehört hatte, befürchtete er hingegen, dass es besonders furchtbar um ihn stand, wenn an seinem Herzen gleich so viele Dinge nicht in Ordnung waren. Als er sich völlig verunsichert bei einer Krankenschwester erkundigte, was denn los sei, entgegnete diese auch noch, er solle lieber nicht fragen. Manche Äußerungen können so verletzend sein wie ein tätlicher Angriff.

In einem anderen Fall aus den USA fragte ein Patient, der gerade einen Herzinfarkt erlitten hatte, beim Oberarzt nach, ob er zum Fest von Thanksgiving Ende November wieder zu Hause sein könnte. Dieses Fest ist für viele Amerikaner noch wichtiger als Weihnachten und bis zu diesem Termin waren es noch vier Wochen. Der Arzt reagierte kurz angebunden und entgegnete, dass der Patient schon froh sein könne, wenn er an Weihnachten wieder zu Hause wäre. Kurz danach verlor der Patient das Bewusstsein, sein Puls raste und die Ärzte konnten ihn nur mit Mühe vor einem Herzstillstand bewahren.

Bernard Lown hat nach seinen frühen Erfahrungen mit der negativen Kraft des ärztlichen Wortes im Verlauf seines Berufslebens gleich mehrere hundert taktlose Bemerkungen gesammelt, mit denen Ärzte nicht nur ihre Patienten verunsichert, sondern sie auch konkret gefährdet haben. Leider, so Lowns Fazit, könne man Patienten in einem großen Krankenhaus kaum vor ebenso unpassenden wie gefährlichen Bemerkungen bewahren. Typische Sätze von Ärzten, die Lown notiert hatte, lauteten:

Sie tragen eine Zeitbombe in Ihrer Brust.

Dieses eingeengte Blutgefäß ist ein Witwenmacher.

Es geht schnell mit Ihnen bergab.

Sie leben nur mit geborgter Zeit.

Ihr nächster Herzschlag könnte Ihr letzter sein.

Sie können jederzeit einen Infarkt erleiden.

Der Gedanke an Ihre Anatomie lässt mich erschaudern.

Lown hat erlebt, dass viele Patienten ängstlich und voller düsterer Vorahnungen zu ihm in die Praxis oder Klinik gekommen sind und er Mühe hatte, sie wieder aufzurichten. »Ich habe mit Bestürzung bemerkt, dass diese Emotionen weitgehend iatrogen bedingt sind, das heißt von den Worten herrühren, die Ärzte verwendet haben«, sagt Lown. Den Patienten rät der Mediziner, Ärzten umso weniger zu glauben, je erschreckender und furchteinflößender ihre Sprache ist und je düsterer ihre Prognosen werden, wenn man ihren Ratschlägen nicht folgt. »Ein Arzt, der schwarzen Trauerflor aushängt, ist entweder ein Handelsvertreter oder ein Scharlatan, der niemals seinen infantilen Wunsch überwunden hat, den lieben Gott zu spielen«, sagt Lown. Zudem sollten Patienten dem Arzt von Anfang an erklären, dass sie alle Untersuchungen, zu denen er ihnen rät, nicht bei ihm durchführen lassen werden. Auf diese Weise kommt er nicht in Versuchung, von finanziellen Interessen geleitet zu werden.

An die Ärzte appelliert Lown, sich sorgsamer zu überlegen, wie sie mit ihren Patienten reden, damit sie es nicht verschulden, wenn es dem Kranken nach dem Arztbesuch noch schlechter geht als vorher: »Das Bedürfnis, Unheilbares zu diagnostizieren, das Nichtbehandelbare zu behandeln, das Nichtvorhersagbare zu prognostizieren, ist nicht nur eine arrogante Anmaßung, sondern öffnet auch die Büchse der Pandora mit gefährlichen Folgen.«

Vorsicht vor negativen Gedanken – sie sind ansteckend

Ärzte sind nicht immer daran beteiligt, wenn Patienten schwarzsehen und ihr Zustand sich rapide verschlechtert. In Tennessee trug sich 1998 ein erstaunlicher Fall negativer Erwartungen ohne jede ärztliche Mitschuld zu: Eine Lehrerin hatte in ihrer Schule einen beißenden »benzinähnlichen« Gasgeruch wahrgenommen und daraufhin vor ihrer Klasse über Kopfschmerzen und Übelkeit geklagt. Mehr als hundert Schüler und Lehrer berichteten kurz darauf von denselben Symptomen, obwohl sich die Ursache des Geruchs in späteren Analysen als harmlos herausstellte und kein Gas ausgeströmt war.[14] Alle anderen Opfer hatten sich offenbar an den negativen Gedanken angesteckt.

Die Schule wurde dennoch evakuiert, die Behörden wollten sich kein Versäumnis vorwerfen lassen. 38 Personen blieben wegen ihrer Beschwerden sogar über Nacht im Krankenhaus. Als die Schule fünf Tage später wieder geöffnet wurde, suchten an diesem Tag noch weitere 71 Schüler und Lehrer die Notaufnahme auf. Doch auch nach intensiven Untersuchungen wurde kein Giftstoff oder eine andere Ursache für die Beschwerden gefunden. Forscher, die den Fall später untersuchten, entdeckten, dass fast nur Mädchen und Frauen betroffen waren und dass die Symptome besonders ausgeprägt waren, wenn die beste Freundin oder eine Klassenkameradin über Beschwerden geklagt hatte oder sogar ins Krankenhaus gekommen war. Die Forscher konnten sich die Symptome nicht anders erklären und sprachen deshalb von einer Massenpsychose.

Ähnliches ereignete sich 1999 in Belgien, als der Geschmack von Cola in Dosen eines Tages etwas anders war als sonst.[15] Dort klagten plötzlich Dutzende Jugendlicher über Übelkeit und Erbrechen. Sie alle führten dies auf den Genuss von Coca-Cola zurück. Die Firma nahm einen Großteil der in Belgien verkauften Chargen zurück, die Verluste gingen in wenigen Tagen in die Millionen.

Wochen später stellte sich heraus, dass sich die Cola in nichts von der ansonsten verkauften Brause unterschied. Die Dosen waren lediglich von außen mit einem anderen – aber ebenfalls völlig harmlosen – Stoff imprägniert worden. Doch in Belgien hatten kurz zuvor Skandale über Tierfuttervergiftungen mit Dioxin für Aufsehen gesorgt. Zudem war der Glaube an das Übel aus der Dose stärker als jede Vernunft. Die Volksmärchen vom Stück Fleisch, ja selbst von Nägeln, die sich über Nacht in Cola auflösen, trugen ebenfalls dazu bei, dass für ein paar Tage halb Belgien schlecht wurde.

Die Art und Weise, wie Beschwerden erklärt und welche Gründe als Krankheitsursachen angegeben werden, verrät etwas darüber, was die Menschen in ihrer jeweiligen Zeit beschäftigt, wovor sie Angst haben und wovon sie sich überfordert fühlen. Das Reden über Krankheit, das Ringen um die richtige Lebensführung und die beste Behandlung geben Auskunft über den Glauben an heilsame Wirkungen, schädliche Einflüsse, zeugen aber auch vom schlechten Gewissen bei »kleinen Sünden«. Potenzielle und wirkliche Patienten meinen zu wissen, warum sie gerade »anfällig« sind oder sich nicht »schützen« konnten.

Derartige Ängste vor unklaren Bedrohungen durch neue Techniken und Substanzen sind keineswegs nur ein Phänomen unserer Zeit. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand ein neues Leiden an der Fortbewegung. »Eisenbahnkrankheiten« wurden ab 1860