Wie das Leben gelingen kann - Werner Wagner - E-Book

Wie das Leben gelingen kann E-Book

Werner Wagner

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Beschreibung

Natur, Heimat, Glück, Erfolg, unvergessene Stunden sind Vorstellungen, die für das Bewusstsein, dass das Leben im Lot ist, eine wichtige Rolle spielen. In der Alten Welt sah man, ohne das Gelingen zu thematisieren, dieses im Leben verwirklicht durch die Eigenschaften der Klugheit, Gerechtigkeit etc.. In der Moderne ist wegen der katastrophalen politischen Gegebenheiten (Faschismus und Kommunismus) ein Martyrium als gelingendes Leben anzusehen. In der Rückbesinnung, d.h. hinter das Individualverständnis des Menschen in Philosophie und Theologie, zeigt sich, dass der Mensch nicht in einem nachträglich hergestellten sondern einem ursprünglich vollzogenen Gemeinschaftsbewusstsein Gelingen erfährt. In diesem Sinn geschieht ein irgendwie gelingendes Leben wohl auch im Ich-Du-Verhältnis, aber eigentlich in der Du-Ich-Beziehung.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Einleitung

Das zu bedenkende Erleben

Das ursprüngliche Erleben des Menschen

Eine entscheidende Wende der Frühzeit

Die “natürliche” Welt als Heimat des Menschen

Das Leben als zu bedenkende Aufgabe

Die alte Welt – ein immerwährendes Erbe

Klugheit

Gerechtigkeit

Tapferkeit

Maßhalten

Seneca (4 v bis 65 n. Chr.)

Die entscheidende Wende

Meister Eckhart (1260-1328)

Wilhelm von Ockham (1280-1349)

Nikolaus von Kues (1401-1464)

Montaigne (1533-1592)

Pico della Mirandola (1463-1494)

Descartes (1596-1650)

Benediktus de Spinoza (1632-1677)

Die Aufklärung - ein gesamteuropäisches Phänomen

Die Aufklärung in England

Hobbes (1588-1679)

John Locke (1632- 1704)

Hume (1711-1776)

Die Aufklärung in Frankreich

Pierre Bayle (1647- 1706)

Voltaire (1694-1778)

Montesquieu (1689-1755)

Die Aufklärung in Deutschland

Christian Wolff (1679 – 1754)

Die Physikotheologie

Die Neologie (ein Begriff des 20. Jahrhunderts)

der theologische Rationalismus

J.L. Schmidt (1702 - 1749)

C.-F. Barth

Reimarus (1694-1768)

Lessing (1729-1781)

Kant (1724-1804)

F. Schleiermacher(1768 – 1834), ein Denker des Übergangs

Die Moderne zwischen Nihilismus und Katastrophe

Rückblick und Ausblick

Neuheiten, die das Leben verändern

Der Arbeiter als Mittel der Profitmaximierung

Die protestantische Pluralität

Adolf von Harnack (1851-1930)

Religionskritik der Moderne

Die Wende zur Moderne

Die theologischen und kirchlichen Voraussetzungen des Dritten Reiches

Der Katholizismus zu Beginn der Moderne

Die Zeit nach 1945

Der Katholizismus zwischen Rückschritt und Fortschritt

Kirchenbestimmende Faktoren des 19. und 20. Jahrhunderts

Die katholische Kirche und das Dritte Reich

Die NS-Zeit: Ein Negativ-Beispiel der Reformation.

Der Zweite Weltkrieg und die Kirche

Kritische und kritisierbare Zwischenbemerkungen

Die Moderne und die Frage nach dem gelingenden Leben

Gottlos glücklich – gläubig unglücklich?

Ergebnis

Nachwort

Über den Autor

Vorwort

Die Neuzeit (ab 1500) und die Moderne (ab 1900) unterscheiden sich von Antike und Mittelalter in so ziemlich allen Bereichen der Wissenschaften, der Kultur und des Lebens. Dennoch wirken vergangene Zeiten, ihre Traditionen und wesentlichen Innovationen weiter. Sie müssen nur als fragwürdig, d.h. der Frage würdig, gesehen und untersucht werden.

In Neuzeit und Moderne wird die Gesamtwirklichkeit in allen Bereichen fragwürdig. Der alles entscheidende historische Einschnitt ist der Beginn der neuen Wissenschaften. Galilei ist dafür die Symbolgestalt. Da die gesamte Weltwirklichkeit seit Beginn dieser Zeit im Laufe der Jahrhunderte immer mehr entdeckt wird, eröffnen sich immer neue Fragehorizonte. Die kosmische Unendlichkeit, die atomare, d.h. kleinste, Unvorstellbarkeit, die globale und regionale Welt, die physikalische, die chemische und biologische Natur, sie alle führen zu neuen Erkenntnissen, Anschauungen und Theorien. Das Leben als solches stellt neue Fragen, besonders ethischer Art, an denen sich die Geister scheiden.

Um das alles geht es uns nicht. Es soll nur die Zeitenwende verdeutlicht werden. Uns interessiert die Gestaltung des Lebens, die auch keine bloße Äußerlichkeit ist. In ihr wird uns unsere Existenz bewusst. Schließlich zeigen sich darin das Lebensbewusstsein und Lebensgefühl.

Dieses menschliche Leben wurde über die Jahrhunderte nicht immer gleich gesehen und verwirklicht. Der mittelalterliche Mensch hat sich anders begriffen als der der Renaissance. Unser Thema “Wie das Leben gelingen kann” dürfte deshalb unausgesprochen wie auch klar bewusst für die ganze Menschheit individuell wie kollektiv ein Lebensziel und auch eine Frage gewesen sein. Deshalb ist die Lebenseinstellung auch zum Teil epochal zu bedenken, wenn man diese einigermaßen sachgerecht und erkenntnisgewinnend sehen will. Was uns heute diesbezüglich von früheren Zeiten unterscheidet, ist das gezielte Fragen nach dem Gelingen des Lebens. In früheren Zeiten war das in jeglichem Tun und Handeln selbstverständlich enthalten, denn man beabsichtigte ja als Erfolg, etwas Gutes zu schaffen. Weshalb sich frühere Zeiten von heutigen in Bezug auf diese Frage unterscheiden, soll später bedacht werden.

Hier soll nur kurz - mit einem Beispiel - auf die menschlichisolierte Lebenseinstellung mit ihren Problemen hingewiesen werden. Wenn man beobachtet, wie ältere, auch kranke Menschen oder Kinder Hunden begegnen, dann zeigt sich im Aufeinander-Zugehen ein elementares Zusammengehörigkeitsgefühl. Man darf wohl sagen, hier hat in jüngster Vergangenheit etwas nicht gestimmt, was jetzt im Kontakt mit dem Hund überwunden wird. Das zu bedenken, dürfte nachdenklich machen.

Auch wenn es hier als unbegründet überrascht: Diese Beobachtung berührt einen Teilaspekt der Frage nach dem gelingenden Leben, wie sich später zeigen wird. Daneben gibt es noch andere Voraussetzungen, an die man im Zusammenhang unserer Fragestellung - wohl in einem anderen Kontext - nicht denkt.

Die Frage, wie das Leben gelingen kann, wird nicht systematisch erörtert. Ich halte in diesem Zusammenhang problemorientierte Überlegungen für angebrachter. Mir geht es darum, Anstöße für ergänzende Überlegungen zu geben. Neben allgemein über die Jahrhunderte tradierten Denkresultaten stellt ein kritischer Leser Fragen, die sein Leben oder das seiner unmittelbaren Umgebung betreffen. Da gerade die Antike Lebensfragen nach unserer heutigen Kenntnis grundsätzlich bedacht hat, hat dieser Umgang mit Lebensfragen weitergewirkt.

Deshalb bleiben die Denker dieser Zeiten für die sich anschließenden Jahrhunderte interessant. Das ist ein Anlass, auf die Begründungen früherer Lebensgestaltung näher einzugehen. Insofern ist die Antike keine Angelegenheit längst vergessener Zeiten.

Weiterhin soll deutlich werden, dass das menschliche Leben in erster Linie nicht individuell zu sehen ist. Biologischlebensmäßig ist es in einem Gesamtzusammenhang zu verstehen.

Trotz des Eindrucks der Ausführlichkeit und des Überbordens bleibt hier so manches auf der Strecke. Das festzustellen, bleibt dem Leser überlassen.

Einleitung

Unter allen Lebewesen hat nur der Mensch ein Bewusstsein seiner selbst und kann so über sich und sein Leben nachdenken. Dabei spielen Gegenwart wie auch Vergangenheit und Zukunft eine Rolle. Im Rückblick zeigen sich Erfolge und Misserfolge. Und in der Zukunft, so hoffen wir, soll möglichst viel glücken. Deshalb muss man jetzt gründlich überlegen, um aus Fehlern zu lernen. Dazu bietet die Gegenwart die Gelegenheit. So oder ähnlich denken wir.

Gelingen heißt deshalb in der Selbstbesinnung das Thema. Wenn möglichst viel gelingt, dann kann man von einem gelungenen Leben sprechen. Im Rückblick dürfte das der Wunsch vieler sein. Schwierig wird es, wenn man angeben soll, worin das gelungene Leben besteht. Vielleicht noch schwieriger ist es zu sagen, wie ein Leben gelingen kann. Gelingen ist der Vorblick, der sich aus dem Gelungenen, dem Rückblick, ergibt. D.h. wir lernen aus der Vergangenheit, um es in Zukunft besser zu machen. Gleichgültig, in welche Richtung man schaut, es ist nicht leicht, das Gelingen zu bestimmen.

Für ein gelingendes Leben gibt es allerlei, auch sehr gegensätzliche, Ratschläge. Ein moderner Buchtitel lautet: “Gottlos glücklich. Warum wir ohne Religion besser dran wären”. Das genaue Gegenteil fordern streng gläubige Kirchenvertreter, die meinen, allein mit ihrem Glauben sei die Welt noch zu retten. Deshalb die Losung: Glaubt an Gott, so wie es in der Bibel steht.

Jenseits dieser extrem voneinander abweichenden Weisungen gibt es für ein gelingendes Leben den Ratschlag, „sich einen guten Tag machen, denn morgen sind wir tot“. Ein In-den-Tag-Hineinleben ist tierisch, und das stimmt auch nicht so ganz, denn Eichhörnchen etc. sammeln für den Winter. Ernster zu nehmen ist der Rat, sich mehr Zeit zu nehmen für Dinge, die wichtig sind, oder achtsam wie auch gelassen den Alltag zu verbringen.

Hier könnten wir fortfahren, Anweisungen anzuführen, wie man einigermaßen gut durchs Leben kommt; es lohnt sich sogar, manche zu bedenken.

Es geht um unser menschliches Leben, das zunächst einmal biologisch zu sehen ist. Wie wichtig das Bedenken des Lebens in dieser Hinsicht ist, das zeigt uns die Medizin in vielerlei Hinsicht. Nicht wenige merken es an der Tatsache, dass sie älter und bisweilen auch kränker werden. So ist der gesundheitliche Zustand für unser Wohlbefinden bedeutsam. Mit Misslichkeiten, wenn es mal rauf und runter geht, muss man zurechtkommen, und das, ohne gleich zu verzweifeln. Vieles, was das Leben ausmacht, was seit der Geburt und Erziehung, seit der Jugendzeit, dem Berufs- und Familienleben uns prägt, unseren Charakter im Positiven wie Negativen ausmacht, damit muss man leben. Hier wird die Lebenseinstellung, die jetzt nicht mehr nur biologisch ist, bedeutsam. Das Bewusstsein, das die Basis unserer grundsätzlichen Lebenseinstellung ist, die zum Er-leben führt, ist der eigentliche Ausgangspunkt, um das Gelingen des Lebens zu bedenken.

Das zu bedenkende Erleben

Wir sehen uns alle in einer Welt, von der wir uns zwar deutlich unterscheiden, die aber dennoch unmittelbar zu uns gehört und uns in unserem Denken wie ein Teil unserer selbst gegenwärtig ist. Was sich hier in uns geistig vollzieht, nennen wir seit dem Philosophen Christian Wolff (1679 – 1754) Bewusstsein. Dieses Bewusstsein ist, wie oben schon erläutert, etwas typisch Menschliches. Es hat eine Rückschau und eine Vorausschau neben der Vorstellung der Gegenwart, in der man gerade ist. Das Bewusstsein ist ein Wissen, das jeweils ganz unmittelbar gegeben ist im Ich. Das Ich nimmt das Gewusste wie ein ihm unmittelbar zugehöriges Objekt.

Entwicklungsgeschichtlich gesehen hat das Ganze ursprünglich das Einzelne hervorgebracht. Dieses Einzelne kann das nur sein vom Ganzen her. Dieses In-Distanz-Sein führt beim Menschen zum Selbst-Sein, was dann weiterwirkt. Deshalb ist dann alles auf dieses weiterwirkende Sein rückführbar. Ich habe im Nachdenken den Eindruck gewonnen, auch der Mensch weiß sich emotional zu einem Ganzen gehörig und von ihm gleichsam in die Individualität entlassen. Das ist nicht klar bewusst, deshalb mehr im Unterbewussten, aber lebensbestimmend. Vielleicht wird das Gemeinte verständlicher, wenn ich sage, das menschliche Bewusstsein ist ein gefühlsbestimmtes Zugehörigkeitsbewusstsein zum Ganzen, der Lebenswelt.

Das Ich kann sich denkend auf sich selbst beziehen. Diese Rückbeziehung nennt man Selbstbewusstsein. Davon ist zu unterscheiden, was das Bewusstsein gleichsam objektiv gegenwärtig hat. Auch dieses Bewusste kann ins Un- oder Unterbewusste entgleiten und so das Erleben prägen, wobei es zu Verfremdungen kommen kann. Sie sind Gegenstand der Psychotherapie.

In Bezug auf unser erkennendes Bewusstsein dürfen wir sagen: Was wir denken, wollen oder tun ist, bildlich gesprochen, vom Bewusstsein wie von einem Licht durchdrungen und erhellt.

Alles was uns geistig gegenwärtig ist, ist Inhalt des Bewusstseins. Es ist als Rahmen, Inhalt und Zu-Sich-Kommen unser Selbstbewusstsein. In unseren Überlegungen sehen wir im Bewusstsein die Einheit von Ich und Welt.

Man darf in der Tradition der neuzeitlichen Philosophie sagen, das Bewusstsein ist ein Wesenskonstituens des Menschen. Die menschlichen Erfahrungen sind bewusst wie unbewusst im Bewusstsein gesammelt. Von diesen geprägt vollziehen sich dann auch weiterhin die Begegnungen und Verständigungen der Menschen untereinander. So wird Bewusstsein zu einer dynamisch anwachsenden Größe. Zwar entwickeln Individuen ein Individualbewusstsein; aber mit Recht darf man von einer gewissen Einheit des Bewusstseins, die zur Mentalität wird, sprechen. Hier hat das Man seinen Standort. Es offenbart auch weiterhin eine Übereinkunft in der Praxis des Alltag, wo es Vertrauen oder Verlässlichkeit schafft. Man wei0, wie es normalerweise zugeht.

Das ursprüngliche Erleben des Menschen

Was eine Sache ist, zeigt sich in der Begründung. Die Begründung ist die Herkunft, die die Eigenart eines menschlichen “Sachverhalts” zeigt. Um Eigenheiten des Menschen zur Kenntnis zu bringen, müssen wir ziemlich weit in die Entwicklungsgeschichte zurückgehen. So werden dann eine Reihe rätselhafter und unverständlicher Wesenszüge verständlich. Über viele Jahrmillionen oder Jahrtausende erstreckt sich der menschliche Entwicklungsprozess. Gehen wir jetzt nicht zurück zu einem phantasiemäßig angenommenen Ursprung, sondern nur zurück in die Zeit der Jäger und Sammler und der Entstehung von Flora und Fauna, dann reden wir von einer Welt, in der schon vieles entstanden war. Die Erde brachte Bäume, Pflanzen und Kräuter hervor, und überall wimmelte es von Tieren, in der Luft, im Wasser und auf dem Land. Auch zeigte die Natur eine Vielfalt von Landschaften, Farben und Stimmen. Eine Wirrnis von Schönheit, in der die Menschen ständig unterwegs waren und gegen Nässe und Kälte in primitiven Behausungen Schutz und ein wenig Geborgenheit suchten. Dieses Leben in der Natur bestärkte sie in dem Glauben, ein Teil der Natur, wie auch ein besonders abgesonderter, zu sein. Sie ernährten sich von dem, was die Natur an pflanzlicher und tierischer Nahrung geboten hat; mal gab es reichlich, dann wieder wenig oder nichts. Vielleicht ist das der Ursprung des Fastens. Einfach war dieses Leben nicht. Wer oder was am kräftigsten oder stärksten war, konnte sich durchsetzen und so überleben, auch fortpflanzen. Das galt in verschiedener Weise für Pflanzen, Tiere und Menschen. Beim Menschen spielte darüber hinaus die gegenseitige Hilfe (Solidarität) eine bedeutende Rolle.

Der Kampf aller gegen alle (homo homini lupus) ist eine marktstrategische Erfindung von Thomas Hobbes im 18 Jahrhundert, aber keine einleuchtende Überlebensstrategie für die Frühzeit des Menschen, wo man mit der gegenseitigen Hilfe besser durchs Leben kam, als wenn man immer im Gegeneinander sich durchsetzte.

1. Eine entscheidende Wende der Frühzeit

Wie vieles oder alles Entscheidende sich über große Zeiträume hinweg in der Frühzeit der Evolution herausgebildet hat, so geschah es auch mit den Eigenheiten der Menschen. Das Wie der Entstehung entzieht sich unseren derzeitigen Erkenntnismöglichkeiten. Wir können annehmen, dass der Naturverlauf im Großen sich ein alternatives Gegenüber im Kleinen geschaffen hat. So ähnlich wie die sogenannte tote Materie das organische Leben hervorbrachte, hat die Gesamtevolution den Menschen mit seinem Bewusstsein entstehen lassen. Dieses Gegenüber wurde dann immer mehr zu dem, was man später das Geistig-Seelische genannt hat. Es ist nicht mehr wie das, was wir als Materie bezeichnen, aber ohne diese ist es auch nicht, und auch nicht zu begreifen, da es sich als das ganz Andere im Menschen ohne Materie nicht zeigt.

Stellen wir uns den Menschen vor, der uns denkend, weil er spricht, leibhaftig begegnet. Das kann er nur, weil er geistig, leibhaftig lebt. Dabei ist das “Seelische” der die materielle Körperhaftigkeit durchdringende Geist. Das Licht, das durch eine Glasscheibe leuchtet, könnte dafür ein gutes Bild sein. Bei aller Fragwürdigkeit könnte man das Geistige wie ein Diaphragma sehen. Das Geistige ist köperhaft oder der Körper ist geistig. Deshalb hat der Mensch eigentlich keinen Körper, er hat einen Leib. Er lebt leiblich.

Das Leib-Seelische grundsätzlich so zu sehen, könnte der Ausgangspunkt der Naturerfahrung des Menschen der Vorzeit wie auch späterer Zeiten sein. Danach gehört der Mensch zu dieser Welt, zu der er sich als Teil gehörig fühlt, ohne in ihr völlig aufzugehen, denn er steht ihr immer auch noch gegenüber, und das schon in der Frühzeit, sonst wäre Magie nicht möglich gewesen. Diese zeigt die Zusammengehörigkeit von Mensch und Umweltmaterie wie deren Distanz, weshalb der Mensch auf ein Geschehen in diesem Bereich einwirken kann. Der Mensch ist von derselben Art wie das, worauf er mit seinem Tun eingreift; er steht diesem aber auch als der oder das ganz Andere gegenüber.

Diese Sicht auf die Geschichte des menschlichen Werdens, das viele Jahrhunderte kein Objekt der Erkenntnis, nur verkürzt erwähnt, eine Annahme des mythisch erzählenden Schöpfungsglaubens war, ist für unsere Deutung heute wichtig, weil sie unsere Eigenart beleuchtet. Kurz gesagt, wir sind und bleiben Naturwesen, die ein besonders Verhältnis, überhaupt ein Verhältnis, hier zur Natur, auch zur eigenen, haben.

Als Naturwesen erleben wir die Natur bewusst wie auch unbewusst. Für ein gelingendes Leben soll das Bedenken dieses “In der Welt Sein” ein Ausgangspunkt sein. Wie man sich fühlt, in welcher Stimmung man ist, wie die natürliche Umwelt auf uns wirkt, all das macht unser Weltbefinden aus, und zwar schon immer, weshalb es zu dem gehört, was Gelingen bedeutet. Der Mondschein, eine längere Regenzeit, die Frühjahrsmüdigkeit dürfen als Hinweis auf die Natureinflüsse dienen.

Zu diesem Gelingen gehört auch ein Bezugsrahmen, um den es im nächsten Abschnitt geht. Für Tiere ist das die Umwelt, der sie sich, um zu überleben, angepasst haben und zu der sie selbstverständlich schon immer gehören. Die Menschen haben in, aus und zu ihrer natürlichen Umwelt einen kulturellen Rahmen geschaffen, den wir Heimat nennen.

Die “natürliche” Welt als Heimat des Menschen

In unseren Tagen ist oft von Heimat die Rede. Sogar ein Ministerium beschäftigt sich damit. Ohne auf die geäußerten Meinungen, was Heimat ist, einzugehen, möchte ich all den möglichen Vorstellungen entgegenhalten, die eigentliche Heimat des Menschen ist vom Ursprung her gesehen, eigentlich die Natur. Und was für uns eigentlich etwas ist, wird dann bedeutsam, wenn wir es nicht mehr haben und und es uns unbedingt besorgen müssen.

Wenn Menschen Erholung brauchen, wenn Rekonvaleszenz angeordnet wird, wenn wir wegen Erschöpfung ausspannen sollen, dann gehen wir gewöhnlich nicht in den städtischen Trubel, etwa auf den Stachus. Jeder erfahrene Arzt wird uns davon abraten. Ein Heilmittel ist dann die Natur. Wenn wir entspannen wollen, dann gehen wir spazieren über Berge und Täler, in Wälder, Wiesen, Felder und Flure. Die Stille des städtischen Friedhofs ist nur ein Ersatz. Auf dem Gemäuer einer Burgruine kann man stundenlang sitzen, in das Auf und Ab der Berge und Täler schauen, den Gedanken freien Lauf lassen, und am Ende ist man von dem Vielen-Sehen nicht beschwert. Ganz anders ist das Erlebnis in den Straßen der Stadt mit den vielen verschiedenen Eindrücken. Diese können uns im Gegensatz zur Naturerfahrung verwirren und das Gemüt belasten.

Der Westerwald, die Höhen des Schwarzwaldes oder das felsenreiche Bergland der Pfalz sind begehrte Erholungsziele. Sie stehen stellvertretend auch für andere Gegenden, wo man erleben kann, was Natur heißt. Dort lebt man nicht einfach in der Natur, man erlebt sie. Dieses Naturerlebnis vermittelt ein bleibendes Heimatgefühl, auch wenn diese Natur nicht unsere ursprüngliche Heimat ist, und zwar deshalb, weil es bleibend unser Erleben bestimmt.

Eine Erfahrung, die das Gemüt ausgeglichen und standhaft machen kann.

Dennoch ist der Begriff Heimat gerade bei aller Vielfalt der Bedingungen (Migration, Integration, Isolation, Urbanisierung etc.) nach meinem Verständnis von uns heute vornehmlich soziologisch-kulturell zu gebrauchen. Der Bezug zur Natur, der wie die Grundlage der Kultur ist, kann in der Kindheit wie auch später erlebt werden; viele, die nicht mehr in der angestammten Heimat leben, fühlen sich in der neuen recht wohl. Deshalb sage ich im Hinblick auf die Mobilität moderner Gesellschaften, ist Heimat heute vor allem ein kultureller Begriff, der aber die Naturerfahrung späterer Jahre erfahrungsgemäß einschließt. An dieser Begriffsbestimmung ist nach meinem Verständnis, da er durch Erfahrungen belegt ist, nichts auszusetzen.

Man kann sich auch in zwei Kulturen wohlfühlen. Das war schon immer so. Ich sage nur, die Kultur kann oder soll ergänzt werden, entweder kulturell durch die Erfahrung einer anderen oder durch ein Erfahren von Natur. Zusammengefasst: Natur ist die Basis, Kultur die Gestaltung. Beide sind bleibend und aufeinander bezogen. Sie stehen zueinander in einem permanent dialektischen Verhältnis.

Da Heimat die “Annäherung an ein schwieriges Gefühl” ist, wie DER SPIEGEL Wissen 6/2016 auf dem Deckblatt schreibt, soll neben dem kulturellen Bezug, besonders der zur Natur, der heute, wie es scheint, in anderen Bezügen allgemein neu entdeckt wird und immer mehr in seiner Bedeutsamkeit auch gesehen werden muss, in Ansätzen dargelegt werden.

Heimat, Lebensgefühl, Geborgenheit, Dazugehörigkeitsbewusstsein sind primär natürliche Daseinserfahrungen.

Damit keine Missverständnisse oder Unklarheiten entstehen, sei gleich betont. Dieser Naturbezug hat nichts mit der naturnahen Heimatbestimmung der nationalsozialistischen Volkstumsideologie zu tun, höchstens mit dem Bereich eines ursprünglich naturnahen, individuellen wie gemeinschaftlichen Lebens.

Und das beginnt in der Kindheit, wobei besonders abgehoben wird auf die Sprache, dann auf die Gewohnheiten bei Tisch und beim Zu-Bett-Gehen, wenn nach dem Gebet und dem Gute-Nachtwunsch noch unbedingt erzählt werden muss, was der Nachbarjunge oder das Nachbarmädchen heute Nachmittag angestellt hat. All das betrifft das kindlich Soziale, was gemütsprägend ist.

Was ich noch besonders hervorheben möchte, ist das heimatlich Naturelle und Kulturelle. Der Einfluss, wo vom Morgen bis zum Mittag und dann vom Nachmittag bis zum Abend innerhalb der Straßen gemeinsames Geschehen erlebt wird; wie am Fichtensaum des Waldes, in der Nähe der drei Buchen am Abend die Rehe an den Wiesenrand kommen, um zu grasen; das alles hat man beobachtend gemeinsam erlebt. Die Gegend und das Mit-und Zwischenmenschliche beeindrucken unbewusst, sie können als bleibender Eindruck unbewusst im Gedächtnis bewahrt werden und als Alterserinnerung wieder auftauchen.

Die Natur als Garten mit Rasen und Hof, der Kinderspielplatz mit Bäumen und Wiesen und in der Ferne mit Waldwegen, die Äcker mit Getreide, Kartoffeln und Rüben, all das scheint nur einen blassen Schimmer zu hinterlassen, scheinbar. Es ist der Hintergrund unseres Erlebens. Dann kommt das eigentlich Menschliche. Dass es das Zwischenmenschliche oder anders gesagt das Soziale ist, was uns wegen seiner beeindruckenden Bedeutsamkeit vor allem interessiert, muss nicht besonders hervorgehoben werden

Unser vom Natürlichen bestimmter Heimatbegriff benötigt eine Ergänzung; und diese sollte auch in der Erziehung eine Zielvorstellung sein. Gemeint ist das soziale Umfeld in der Breite der Möglichkeiten. Dazu gehört zunächst die Offenheit für Menschen, Tiere und Sachen und ein Blick für die Gegend.

Das der Erziehung und der Einführung ins natürliche Leben Entsprechende, könnte auch damit beginnen, Kindern auf Spaziergängen allerlei, was man so sieht, Pflanzen, Blumen, Gräser, Büsche und Bäume zu benennen und zu erklären; auch von Menschen, denen man begegnet, etwas Nettes zu sagen. Das weckt Aufmerksamkeit und kann ein erster Schritt sein, das Leben positiv zu sehen oder wenigstens offen zu sein. Es wird allerdings schwierig, wenn Mama und Papa selbst keinen offenen, neugierigen Blick für Zufälliges haben oder sich selbst in der Natur nicht richtig auskennen und nicht wissen, Gerste von Hafer und Roggen vom Weizen und die verschiedenen Bäume zu unterscheiden. Und von Menschen kann man einfach etwas Lustiges zum Lachen sagen.

Das alles ist eine lockere Einführung ins heimatliche Leben.

Zu der Natur als Heimaterlebnis gehört neben der Gegend mit der Flora auch die Fauna, aber diese ist gegenwärtig für uns, ganz prosaisch ausgedrückt, der Fleischproduzent. Die Ausnahme ist vielleicht nur noch im Zoo oder im unzugänglichen Urwald anzutreffen. Der Bestand an Tieren wird allgemein in Tonnen und Kilo angegeben. Das passt gut in unsere Zeit, in der alles in Maßeinheiten angegeben wird. So ist auch die Wissenschaft der Neuzeit und Moderne bestimmt durch die Mathematik, die alles zahlenmäßig, d.h. quantitativ, angibt. Die Natur in Flora und Fauna ist aber von ihrem Ursprung her eine qualitative Vorstellung. Denn so wird die Natur als Form unseres Lebens zunächst erlebt. Für dieses Zusammenleben, das sich jenseits jeglicher Isolation vollzieht, ist der Begriff Heimat angemessen.

Dass die Isolation von Mensch und Tier heute heute völlig neu bedacht werden sollte, darauf weist uns der Einsatz von Therapiehunden in der Psychotherapie und Altenbetreuung hin. Wie Kinder sich Tieren im Zoo oder in einem freien Gehege nähern, ist nicht nur rührend. Es muss auch nachdenklich machen.

Wir sind hier am Anfang, die Isolation von Mensch und Natur als Problem zu erkennen. Und da es um das Gelingen des Lebens geht, sollte hier neben dem Sozial-Kulturellen auch das ursprünglich animalisch Natürliche zur Geltung kommen.

Wer die geschilderte Breite der Naturerfahrung als überzogen ansieht, hat sicher ein anderes Problembewusstsein. Es stehen sich hier zwei Deutungen von Natur-und Heimaterfahrung mit ihren Konsequenzen gegenüber. Ich meine, die geschilderte und gemeinte Erfahrung sollte breit sein, damit sie für junge Menschen wie ein festes und sicheres Sprungbrett für die typisch menschlichen Aktivitäten fungieren kann.

Die bisher beschriebene Naturerfahrung war vom Menschen her gesehen mehr eine hinnehmende. Die Offenheit für das sich in der Natur Zeigende bestimmt hier das Dasein und kann so das Leben auf der Basis des Naturgegebenen nach Möglichkeit gelingen lassen. Das weitere Gelingen des Lebens hängt ab von der Eigenaktivität des Menschen.

Das Leben als zu bedenkende Aufgabe

Das gelingende Leben mehr in der offenen Erwartungshaltung des Beschenktwerdens zu sehen, ist der eine Aspekt des Lebens. Der andere Aspekt ist der Rückbezug auf die Vergangenheit, an der nichts mehr zu ändern ist. Man kann aus einem Rückbezug nur entsprechende Folgerungen ziehen. Eine weitere Sicht ist die auf den Lebensraum, der zur Eigeninitiative und zur Selbstgestaltung herausfordert. Das ist die individuelle und soziale Welt des Menschen, in der er zeigt, was er jetzt alles kann, und wozu er darüber hinaus noch fähig ist. Als Beweis für die zu treffenden Feststellungen dienen Beispiele menschlicher Tätigkeiten, die sehr zahlreich sind und den verschiedensten Lebensbereichen angehören, und jeweils unter einer bestimmten Frage zu erörtern sind.

Durch dieses Bedenken ist dann das menschliche Tun nicht einfach nur eine zu schildernde oder geschilderte Tätigkeit, ein Konstatieren, eine quasi objektive Berichterstattung, wie nach einem Unwetter, vergleichbar einem Photo, das zeigt, was ist oder war. Es ist mehr. Es ist ein Bedenken.

Das Bedenken hinterlässt geistig-seelische Spuren. Es ist etwas anderes als ein Machen.

War das Naturerleben für den Menschen die Basis eines einfachen-natürlichen Gelingens des Lebens in der Eingebundenheit, so ist das Leben in der Distanz des Denkens Ausgang wie Begleitung menschlichen Strebens. Die Eingebundenheit und die Distanz des Denkens werden in der Wirklichkeit als emotionale Einheit erfahren. So wird aus dem Leben ein Erleben, in dem Leben gelingen kann.

Diese Erfüllung nannte die alte Welt Glück. Ich würde es beim Gelingen belassen.

Die Geistigkeit des Menschen ist etwas Besonderes, was den Menschen innerhalb der lebendigen Vielfalt auszeichnet. Aber das Animalische führt ihn wahrscheinlich zu einem Grunderlebnis, das man erst allmählich begreift. Wie das Emotionale im Menschen lebt, dazu sollten die Hinweise auf das ursprüngliche Naturerleben zum Weiterdenken anregen.

Die Frage, wie menschliches Leben gelingen kann, soll in der Beantwortung das Typische des Menschseins als Ausgangspunkt nehmen. So geht es um die Entfaltung von allgemein angenommenen Anlagen und nicht um bezweifelbare Meinungen.

2. Die alte Welt – ein immerwährendes Erbe

Klugheit

Man dachte schon vor Zeiten, das richtige Leben, d.h. das gelingende, bestehe darin, was gut ist, in die Tat umzusetzen. Da die Praxis, neben der Frage, was ist gut, ein entscheidendes Moment im Erreichen dieses Zieles ist, sind die Eigenschaften der Menschen, die das Gut in die Tat umsetzen, mit entscheidend. Wenn das Leben gelingen soll, dann sind vorgegebene Eigenschaften, die ja von der Möglichkeit her das Leben ausmachen, zu bedenken. Denn nur was möglich ist, kann auch gelingen.

Da es um die grundsätzliche Einstellung des Menschen zum Leben geht, und worauf die Art seiner lebensbewältigenden Tätigkeiten mit ihren jeweiligen Zielen zurückzuführen sind, ist nicht die Menge der Beispiele bedeutsam, sondern die Bestimmung des Eigentlichen, die Antwort auf die Frage nach der entscheidenden Lebenseinstellung.

Darüber nachzudenken, haben die Philosophen Sokrates, Plato, Aristoteles und die Stoiker begonnen, was dann im Mittelalter fortgeführt wurde. Von Petrus Lombardus (1100 bis 1160), der das philosophisch-theologische Unterrichtsbuch seiner Zeit schrieb, stammt der Satz: prudentia dicitur genitrix virtutum. Frei und sinngemäß übersetzt: Die Klugheit ist der Ursprung der sittlichen Lebensführung.

Danach sind Gerechtigkeit, Maßhalten und Tapferkeit Bestimmungen der Klugheit, bzw. sie sind durch die Klugheit bedingt. Als Einführung in die Klugheit soll ein kurzes Gebet Wesentliches sagen. Der Gebetsvorschlag lautet folgendermaßen, “Gott gebe Dir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die Du nicht ändern kannst, den Mut, Dinge zu ändern, die Du ändern kannst, und die Weisheit, das eine vom andern zu unterscheiden.”.