Gottesglaube - Werner Wagner - E-Book

Gottesglaube E-Book

Werner Wagner

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Beschreibung

War ein früheres Reden von Gott ein Reden über die Welt, so ist heute ein solches ein Reden über den Menschen. Weshalb ist die Welt so, wie sie ist, war die Frage. Die Antwort war: Sie ist Gottes Schöpfung. Dann wurden Gott und die Schöpfung ganz einfach abgelöst von der "Big Bang" und der Evolution. Für den heutigen Menschen ist die Zukunft das Problem. Da bisher alle Kulturen von einer Religion wesentlich bestimmt waren, stellt sich die Frage nach der Religion der Zukunft. Der Gott-Glaube war ein das Leben bergender Hintergrund, dessen Ersatz problematisch ist.

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Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkungen

Einleitung

Die Transzendenz

Die Religion als Brauchtum

Das Erbe als Lebensnorm

Gott der Herr der Geschichte

Die frühchristliche Epoche und der Einfluss der griechischen Philosophie

Das Mittelalter als Synthese von griechischer Philosophie und tradiertem Bibelverständnis

Die Mystik als Gotteserfahrung

Der die Neuzeit einleitende Übergang

Die Vorgeschichte der Neuzeit

Die Neuzeit und das Gottes-Denken

Die Aufklärung

Die Wende im Denken - Kant und der Idealismus

Die Moderne

Das 19. Jahrhundert und seine Folgen

Vorblick und Rückblick

Der Gott der Zukunft

Nachwort

Über den Autor

Vorbemerkungen

Es dürfte wohl unbestritten sein, heutzutage der Philosophie als eigentliche Aufgabe zuzuerkennen, eine Zeit in ihren Grundzügen zu untersuchen, um die Ergebnisse zu erklären. Dabei hat sie keine Überzeugungsarbeit zu leisten, sondern analytisch Fakten und Zusammenhänge, die zur Kenntnis zu nehmen sind, zu deuten. Eine solche Deutung muss aber bei aller sich zunächst einstellenden Zustimmung offen sein für Gegeneinsichten, d.h. für den Dialog. Dabei ist nicht die Autorität - mag sie auch noch so viel persönliche Anerkennung besitzen - ausschlaggebend, sondern das Argument, das als Basis die Vernunft hat. Ein neutraler Boden ist hier gefragt, wo weder die Überzeugung noch die Annahme einfach gelten. Auf diesem Boden wird philosophiert. Worüber nachgedacht wird, hat die Philosophie nicht erfunden. Das ist das Ergebnis einer geschichtlichen Entwicklung, die Fragen stellt.

Unser heutiges Denken ist fast gänzlich von den Naturwissenschaften bestimmt. Diese haben aufgrund des früheren Umgangs mit dem, was heute ihr Objekt ist, nichts mehr zu tun. Wissenschaft ist und muss zeitgemäß sein. Von hier ist auch unsere Sichtweise auf die Weltwirklichkeit geprägt. Wer anders denkt, denkt nicht heute, auch nicht naturwissenschaftlich. Aber trotz aller grandiosen Erkenntnisse zum Beispiel in der Astrophysik gibt es noch alternative Wissensgebiete, die in der Lebensdeutung im Allgemeinen und Besonderen eine entscheidende Rolle spielen. Es sind die Geisteswissenschaften.

Die Geisteswissenschaften, die die kulturellen Erscheinungen in Geschichte, Literatur, Kunst, Religion und Philosophie zum Gegenstand haben, verfügen nicht über die mathematische Exaktheit der Naturwissenschaft und sind in weit verbreiteter Meinung zweitrangig. Aber vielleicht haben die Geisteswissenschaften das eigentlich Interessante zum Gegenstand, auch wenn ihre Einsichten wegen mangelnder Genauigkeit umstritten sind; sie haben doch unser Leben als solches, das Existenzielle, seine Bedeutsamkeit (wofür lebe ich eigentlich?) zum Gegenstand. Allerdings scheint die naturwissenschaftliche Einstellung zur Lebenswirklichkeit auch auf das philosophische Bemühen abgefärbt zu haben.

Frühere Denker und ihre philosophischen Interpretationen werden leicht als veraltet, d.h. der geschichtlichen Vergangenheit zugehörig, angesehen. Ihr Denken ist Geschichte, wobei dieses Wort eine negative Bewertung beinhaltet. Zwar leben wir heute in einer wissenschaftlich aufgeklärten, technisierten Welt. Aber die Antwort auf die Frage, ob das, was Wissenschaft und Technik an Lebenshilfe für unsere Bedürfnisse und Einsichten an Sinngehalt bieten, alles ist, muss gründlich überlegt werden. Oder anders formuliert, wofür es sich zu leben lohnt, ist eine Frage, die sich jenseits von sogenannt moderner Wissenschaft, nämlich im weiteren Sinne im Humanen, letztendlich im Weltanschaulichen, stellt.

Einleitung

Was die Religion als solche, d.h. in ihrer Struktur wie Geschichte, seit unvordenklichen Zeiten bis heute prägt, sind nach meinen Überlegungen drei Faktoren (bestimmende Elemente):

Die Transzendenz (das Hintergründige oder Überweltliche, Gott)

Das Brauchtum (Riten, Zeremonien, sakramentale Handlungen)

Das Erbe als Lebensnorm (Moral oder Ethik, lebensgestaltende Verhaltensvorschriften und Lebensausrichtungen).

Diese Faktoren sind nicht dieselben wie die kulturbildenden Gott, Mensch, Welt. Da beide Gruppen von Faktoren sich aber bisweilen überschneiden, sollen sie zum Verständnis von Religion und ihrer Institutionalisierung in Bräuchen und Gemeinschaften zum Teil auch miteinander bedacht werden.

Die Transzendenz

Wenn geglaubt und gesagt wird, Gott ist, dann gilt das, wenn auch nur irgendwie, d.h. in abgewandelter oder verfremdeter Weise, für alle Zeiten, auch für den sogenannten Anfang der Menschheit. Die Frage ist dann, wie man sich das klarmachen soll. Nicht ganz unvorstellbar ist, dass in der Vorgeschichte alles Werden aus einem das Vordergründige überschreitenden und verursachenden Hintergrund entsteht. Diese hinter aller im Leben bestimmenden Allmacht, diese hinter allen Erscheinungen verborgene immanente (innerweltliche) Transzendenz war übermächtig und wurde erfahren als Ursprung dessen, was man später als göttlich begriffen hat. Wieder später nannte man das Schöpfung und ihren Verursacher Gott.

Bis es zu dieser Glaubenssicht auf Gott hin kam, mussten viele Jahrtausende mit erheblichen kulturellen Veränderungen vergehen. Aber die bedeutendste Tatsache am Ende der Jäger- und Sammlerzeit dürfte doch wohl die sein, die das anzunehmende Gottesbild entscheidend verändert hat, insofern aus der immanent-hintergründigen Lebensmacht eine transzendente wurde. Vergegenwärtigen wir uns: Die Scholle bearbeiten und in ihr gleichzeitig eine immanent-transzendente Wirkmacht sehen, ist widersprüchlich. Fauna und Flora im immanenten Werdeprozess werden, da der Mensch in deren Geschehen immer mehr eingriff, nach und nach losgelöst von der Immanenz. Sie werden in großen Zeiträumen immer mehr transzendent, und am Ende erscheinen Himmel und Erde wie zwei verschiedene „Welten“.

Nochmals sei betont: Der Prozess muss als über sehr große Zeiträume verlaufend angenommen werden. Er war aber die erste grundlegende vom Menschen eingeleitete Kulturveränderung. Aus der Spätzeit geurteilt haben wir es religionsgeschichtlich gesehen zu tun mit dem Übergang von der Immanenz zur Transzendenz (vom Innerweltlichen zum Überweltlichen). Alle weiteren Neuerungen des agrarischen Zeitalters sind zwar bedeutsam, sehr bedeutsam, denken wir an die Entstehung der Hochreligionen und der Philosophie, aber nicht so grundlegend wie die von der Jäger-und Sammler-Epoche zur agrarischen, da die Lebensfundamente und im Prinzip das Weltbild sich änderten. Die zweite fundamentale Umwandlung begründet durch Wissenschaft und Technik die Neuzeit.

Für die Zeit, da der Schöpfungsglaube entstand, schon einen sog. Urmonotheismus anzunehmen, ist wenig einsichtig. Es waren verschiedene Kräfte und nicht nur eine, mit denen es der Mensch zu tun hatte. Darum ist es einleuchtender anzunehmen, dass erst im Laufe der Zeit die verschiedenen Kräfte und nicht nur eine personalisiert, sprich zu Gottheiten erklärt wurden. Wichtig ist zu erkennen, dass schon in unvordenklichen Zeiten das transzendent Hintergründige und dann das transzendent Übernatürliche beginnen eine entscheidende Rolle zu spielen. Das war freilich nur möglich in einem zeitlich weit ausgedehnten Entwicklungsprozess. So zeigt es sich uns heute.

Halten wir fest: Wie die Gesamtnatur (Flora und Fauna), einschließlich Kosmos und Mensch sich über unvorstellbare Zeiträume entwickelt haben, so auch die Kulturen einschließlich der religiösen Weltsichten mit ihren Diesseits- und Jenseitsvorstellungen. Diese Kulturen haben sich verschieden entwickelt. Das zur Kenntnis zu nehmen, dürfte uns nicht schwer fallen. Reden wir von Gott, so meinen wir fast immer nur unsere, die von uns entwickelte Vorstellung von Gott; das soll man immer berücksichtigen. Die Verschiedenheit der Interpretationen gilt absolut für alle Lebensbereiche; man darf sagen, außer der Mathematik.

Was das Weltverständnis der sogenannten Urmenschen angeht, so zeigt sich, dass der Mensch schon immer nicht einfach nur gelebt, sondern erlebt hat, d.h. dass die existenzielle Lebensgestaltung schon immer eine Rolle spielte; und dieses Existenzielle war, da nichts für den Menschen selbstverständlich ist, von irgendwie geartetem Transzendentem bestimmt. Das Mehr der sicht- und habhaftbaren Natur führte im „Alltag“ zur praktischen wie magischen Lebensgestaltung und fordert zur gedanklichen Lebensbewältigung heraus.

Die Sichtweise der Urzeit wie auch die des agrarischen Zeitalters, die im Prinzip die Weltsicht bis zum Beginn der Neuzeit prägten, wird abgelöst durch die wissenschaftlichtechnische Weltbeherrschung der Neuzeit. Die kulturellen Lebenswelten wie auch die praktischen Gegebenheiten des Lebens ändern sich. Wir leben alle von Wissenschaft und Technik, aber die Fragen des Lebens begleiten dennoch die Geschichte, wenn auch in jeweils anderer Form.

Was für unsere Frage nach dem grundlegend Bleibenden wichtig ist, gleichgültig in welcher Art, sind Fragen, abstrakt gesagt, nach der Bedeutung unserer ganzen Lebenswelt: Was soll das Ganze eigentlich? Warum leben wir? Was soll man denken, wenn man sich den Kosmos mit seinen unendlichen Weiten vergegenwärtigt? Dass das Ganze, der unendliche Kosmos, von der göttlichen Transzendenz bestimmt ist, ist vielleicht eher denkbar als das Gegenteil; anders ist nicht erklärbar, wie diese Zuversicht in die Ursache oder den Hintergrund das Leben der Jahrtausende ermöglichte.

Der Gottesglaube vermag Antworten auf Fragen des Menschseins zu geben, vor denen die Naturwissenschaften, verständlicherweise, verstummen. Das spricht in keiner Weise gegen sie, denn Existenz- oder Sinnfragen gehören nicht zu ihrem Geschäft, auch wenn manche dieser Zunft das meinen, da sie eine sehr große Lebenshilfe auf allen möglichen Lebensgebieten liefern, denken wir nur an die Medizin.

Die Frage nach Gott und die Verschiedenheit der Antworten begleiten unsere Geschichte sowohl beim sog. einfachen Volk wie auch bei den verschiedenen Denkern. Das gilt es zu bedenken.

Die Religion als Brauchtum

Alle Religionen werden zunächst sichtbar im Brauchtum, so dass man, falls man nicht weiter nachdenkt, den Eindruck gewinnen kann, sie sind weiter nichts als irgendwelche Gewohnheiten; von manchen wird eine Religion auch so gelebt, was sicher oberflächlich ist: Die Religionen haben zwar verschiedene Transzendenzbezüge sowie Fragen und Antworten des Lebensverständnisses, und diese finden einen Ausdruck im Brauchtum, das kirchlich als Ritus bezeichnet wird; solches Tun ist aber nicht zweckdienlich wie alles, was man tut um eines Ergebnisses willen; es hat nur eine Bedeutung, die man auch Sinn nennen kann. Solches Tun ist also nicht zweckdienlich. Das ist so, weil auch der Glaube nicht zweckdienlich ist. Er stärkt unser Bewusstsein, weil er seelische Kraft verleiht. Er ist mit der Kunst vergleichbar, die aus einem Denken kommt und am Ende zu einem Denken oder Bewusstsein führt. Man kann das auch Erleben nennen.

Unser Brauchtum wird gewöhnlich nicht erst in der Gegenwart erfunden. Es ist tradiert, also Erbe. Wenn ein Erbe nicht mehr in die Gegenwart passt, entsteht ein Problem, wie wenn ein alter Schrank oder eine Standuhr, die man geerbt hat, in eine moderne Wohnung gestellt werden soll und dort wie ein Fremdkörper wirkt. Beispiele dieser Art lassen sich vermehren. Mit innerem Erleben hat dieses Brauchtum nichts mehr zu tun. Es wird zu hohlem Getue.

Schaut man zurück in die Entstehungsgeschichte der Bräuche, so zeigt sich, die Religion ist nicht etwas neben dem Leben, das wie eine nicht notwendige Ergänzung hinzukommt. Sie ist nicht Nachtisch, wenn alle schon satt sind. Sie ist das, was das alltägliche Leben durchdringt und den Besonderheiten im Leben Charakter verleiht. Letztendlich ist der religiöse Brauch dann etwas, was das Leben irgendwie umschließt und dem Ganzen Sinn gibt.

Das fing an mit den magischen Bräuchen der Urzeit, in der diese überlebenswichtig waren, und ging weiter mit dem Brauchtum, das die Menschen aller Religionen aller Jahrtausende vom Morgen bis zum Abend begleitet und eine emotional-seelische Geborgenheit gewährt hat.

Bräuche spielen vor allem bei Übergängen im Leben eine Rolle. Geburt, Eintritt ins Erwachsenenalter, Zweisamkeitsbeginn, Altersbeginn, das Ende des Lebens; es sind markante Einschnitte, die jeweils erlebt werden und es, wenn auch nicht klar bewusst, mit dem Leben zu tun haben. Auch Jahreszeiten sind hier zu bedenken. Es sind Zeiten, in denen Emotionen, die Erlebnisweisen sind, etwas vom Ganzen des Lebens offenbaren. Zu denken ist hier an Heiligabend, auch an dessen gut besuchten Gottesdienste, die nach meinem Eindruck die Zeit und Vergänglichkeit des Lebens, wenn auch nicht klar bewusst, irgendwie zum Erlebnis werden lassen. Wenn das Ganze des Lebens, wenn auch nur irgendwie, erfahren wird, dann tut sich das Mehr des Lebens, die Transzendenz, auf. Ich bin versucht an so etwas wie Offenbarung zu denken. Erlebnisse sind nicht immer so bewusst, dass sie in Worte zu fassen und beschreibbar sind. Irgendwie gehören sie ja schließlich zum Geheimnis einer Person.

Die Zeiten von Ostern und Pfingsten, die Totensonntage wie die Jahreswende waren im Laufe der Geschichte Zeiten, die in verschiedener Weise gefeiert wurden; ein Bezug zu Gott war das sie Auszeichnende. Ohne diesen Bezug ist von Leerlauf zu sprechen. Manches gewohnte Brauchtum verliert seine Bedeutung, so gewisse Umzüge; anderes wird neu verstanden und gestaltet. Die Vesperkirche und das Pilgern nach Santiago de Compostella sind vielleicht entsprechende Beispiele.

Brauchtum ist in der Religion ähnlich wichtig wie das Wort; beide unterliegen aber dem Wechsel der Geschichte, was es heute besonders zu bedenken gilt. Wie wichtig Brauchtum ist, vermag uns vielleicht die Wiedergeburt der Jugendweihe der vergangenen DDR vor Augen zu führen. Gewiss fehlt da ein tieferer Sinn. Brauchtumsgestaltung als Glaubensausdruck im weitesten Sinn muss als Problem vielleicht erst noch erkannt werden. Das Wiederaufleben der Jugendweihe der vergangenen DDR soll ein Anlass sein über Bräuche i.a. nachzudenken.

Da sich Lebensgewohnheiten jeglicher Art in dem, was man tut, ändern, sollen sich auch die lebensdeutenden Bräuche dem Lebensgefühl der Menschen anpassen. Das hilft, das Leben lebenswert zu sehen.

Religion ist ein Teil der Kultur, ich sage, das Zentrum; und vom Zentrum aus wird das Leben erlebt. Deshalb folgere ich, die Religion ist das Herz. Dabei ist Gott, auch wenn man mit ihm hadert, immer der Hintergrund, auf dem sich menschliches Leben abspielt.

Die Reformation hat als Brauchtum das Kirchenlied erfunden. Das Kirchenlied, das vom ganzen Volk gesungen wird, steht im Gegensatz zum Chorgesang der Mönche und Kleriker. Was in dieser Linie weiterhin bedeutsam ist und als beachtenswert gelten kann, ist die Weiterentwicklung der Orgel im 17. und 18. Jahrhundert. Jetzt wurden größere Orgelwerke und Oratorien ermöglicht. Das herausragende Beispiel ist Bach, der ganz in der von Luther eingeleiteten Tradition stand. Heute sind Kirchenkonzerte das, was die sonst so leeren Kirchen füllt. Eine Erfahrung, die zum Nachdenken mahnt und vielleicht zu gewissen Neugestaltungen im Kirchengeschehen führen kann. Eine neue Art religiöser Besinnlichkeit, die eher Gott nahe als fern ist.

Das Erbe als Lebensnorm

Alle Religionen haben einen Mittelpunkt, der sie voneinander unterscheidet, sie aber auch verbindet, sonst wären sie keine Religionen. Was sie verbindet ist zunächst die nicht zu übersehende Tatsache, dass sie alle in der Antike entstanden sind, was einfach als Tatsache so hingenommen, aber anscheinend wenig bedacht wird, und was in der Interpretation eine entscheidende Rolle spielt und somit berücksichtigt werden muss. Für die monotheistischen Religionen ist Gott die überweltliche Schaffens- und Lebenskraft, die im Auf und Ab des Lebens Sicherheit und Geborgenheit verleiht. Das soll und will auch jede Glaubensgemeinschaft durch ein breites Spektrum an Solidaritätsbekundungen schaffen. Dabei gilt zunächst: Jeder Glaube wie jede Überzeugung sucht oder gründet Gemeinschaft.

Dass die Religionen in Geschichte und Gegenwart Ursache von viel Elend und Leid, Kriegen und Zerstörung, lebensvernichtendem Glaubensgehorsam und Zwang etc. waren, ist hinlänglich bekannt. Die notwendige Breite der Schilderung wäre ein Einrennen von offenen Türen.

Der Gottesglaube war vom Altertum bis zur Moderne, selbst im gewiss nicht gläubigen Dritten Reich, da auf jedem Koppelschloss stand „Gott mit uns“, mit Gewalt verbunden. Statt weiter auf all das Beschämende einzugehen, möchte ich das für heute Notwendige, zu dem die Religionen, und gerade sie, einen entscheidenden Beitrag leisten können, erläutern.

Die Religionen sollen sich fragen, was sie aus ihrer Tradition zur Lösung nationaler wie internationaler und globaler Aufgaben leisten können. Eine solche Rückbesinnung ist ein Schritt in die Zukunft. Nicht das hinreichend bekannte eigene Glaubensbewusstsein und Zeugnis ist gefragt, sondern ein Beitrag zur Lösung drängender Probleme, da es um Leben und Tod ganzer Bevölkerungen oder Gruppen geht. Man muss nur nachdenken, dann ist das nicht übertrieben. Es geht um unsere Fragen wie auch um die anderer Völker oder Menschen; wozu und wie sollen wir eigentlich leben, oder etwas salopp gesagt, was soll denn der ganze Schlamassel, den ich aushalten soll? worauf kommt es an und worauf kann ich mich verlassen, kann es denn nicht endlich einmal friedlicher zugehen? Es sind Fragen, die die Menschen zum Teil, wenn auch in anderer Form, schon immer gestellt haben. Es sind keine wissenschaftlichen, es sind existenzielle Fragen. Sie stecken in den biblischen Erzählungen des AT, sie sind Gegenstand philosophischer Überlegungen der Griechen, sie begegnen uns bei Jesus. Sag, Meister, worauf kommt es im Leben an, so fragten im heutigen Deutsch damalige Religionsvertreter Jesus (Lk10,25 ff.). Die Antwort war: Es geht um Gott und in gleicher Weise um den Menschen. Anders gesagt: Es geht um ein Glaubensbewusstsein, das absolut vom Frieden beherrscht ist und deshalb um Mitmenschlichkeit bis zur Entfeindung der Welt, wie es die Bergpredigt (Mt.5) konkretisiert.

Die Vertreter der Religionen behaupten immer wieder, ihre Religion sei nichts anderes als friedlich. Aber Rechthaberei, im Besitz der allein gültigen Wahrheit zu sein, auch die Wahrheit nur zu verteidigen, am Ende sogar Ausschluss aus der Gemeinschaft, zumindest Trennung, all das hat mit Frieden nichts zu tun. Selbstverteidigung, wenn doch die andern an der Auseinandersetzung schuld sind, ist scheinheiliges Gerede. So zentriert sich der Glaube auf sich selbst und legt den Grundstein zur Gegnerschaft. Beispiele aus der Bibel wie auch der Kirchengeschichte sind – harmlos gesagt – gewiss zeitbedingt; sie sind dennoch „auszuschwitzen“. Dieses ausschließende Wahrheitsdenken in der Religion kann, selbst wenn Glaubensüberzeugungen kaum noch eine Rolle spielen, in der sozialen Einstellung dazu führen, im Schema „Wir und die Andern“ zu denken. Ein so geartetes religiöses Wahrheitsdenken geht wie auch andere Überzeugungen ins Gemüt und bestimmt eine sozial gegensätzliche Lebenshaltung.

Wie vieles im Leben, so ist auch in der Religion nicht alles gleich wichtig. Deshalb sollen gerade die monotheistischen Religionen, um die es in unserer Erörterung geht, das für heute Wichtige zur Geltung bringen. Was lebens- und friedensfern ist, muss als solches offen zugegeben werden. Es dennoch als bedeutsam oder gar als Wille Gottes zu verkaufen, ist lächerlich.