Wie ein endloser Sommer - Svea Lundberg - E-Book

Wie ein endloser Sommer E-Book

Svea Lundberg

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Beschreibung

Ein Männertrip nach New York und ein One-Night-Stand! Genau das, was Tanner nach dem Ende seiner katastrophalen Beziehung braucht – findet zumindest sein bester Freund. Nik ist der ideale Kandidat dafür, ist er doch so ganz anders als Tanners klammernder Ex: aufgeschlossen, entspannt und nicht auf eine feste Beziehung aus. Und das Beste ist, Tanner und Nik werden sich nach dieser einen Nacht nie wiedersehen, denn sie trennen mehrere tausend Kilometer. Eigentlich. Doch Tanner ist mit seinem Leben einfach nur unzufrieden. Dagegen hilft auch der beste One-Night-Stand nicht. Spontan beschließt er, sich eine Auszeit zu nehmen und einen Sommer in Deutschland zu verbringen. Einen Sommer mit Nik. Nik, der mit seinem Man Bun und seinen auffälligen Klamotten eigentlich gar nicht sein Typ ist. Nik, der selbst gerade nicht weiß, wohin die Zukunft führt. Nik, der mit seiner unkomplizierten Art eine Sehnsucht in Tanner weckt, der nachzugeben bedeuten würde, das erste Mal im Leben alles anders zu machen.

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Inhalt
Impressum
Vorwort
Kapitel 1 – Tanner
Kapitel 2 – Nik
Kapitel 3 – Tanner
Kapitel 4 – Nik
Kapitel 5 – Tanner
Kapitel 6 – Nik
Kapitel 7 – Nik
Kapitel 8 – Tanner
Kapitel 9 – Tanner
Kapitel 10 – Nik
Kapitel 11 – Tanner
Kapitel 12 – Nik
Kapitel 13 – Tanner
Kapitel 14 – Nik
Kapitel 15 – Tanner
Kapitel 16 – Nik
Kapitel 17 – Nik
Kapitel 18 – Tanner
Kapitel 19 – Tanner
Kapitel 20 – Nik
Kapitel 21 – Nik
Epilog – Tanner
Nik und Tanner in weiteren Romanen
Über die Autorinnen

 

 

 

 

 

 

 

 

Wie ein endloser Sommer - Nik & Tanner

 

 

 

von

Christiane Bößel & Svea Lundberg

 

Inhalt

Ein Männertrip nach New York und ein One-Night-Stand! Genau das, was Tanner nach dem Ende seiner katastrophalen Beziehung braucht – findet zumindest sein bester Freund. Nik ist der ideale Kandidat dafür, ist er doch so ganz anders als Tanners klammernder Ex: aufgeschlossen, entspannt und nicht auf eine feste Beziehung aus. Und das Beste ist, Tanner und Nik werden sich nach dieser einen Nacht nie wiedersehen, denn sie trennen mehrere tausend Kilometer. Eigentlich.

Doch Tanner ist mit seinem Leben einfach nur unzufrieden. Dagegen hilft auch der beste One-Night-Stand nicht. Spontan beschließt er, sich eine Auszeit zu nehmen und einen Sommer in Deutschland zu verbringen. Einen Sommer mit Nik.

Nik, der mit seinem Man Bun und seinen auffälligen Klamotten eigentlich gar nicht sein Typ ist.

Nik, der selbst gerade nicht weiß, wohin die Zukunft führt.

Nik, der mit seiner unkomplizierten Art eine Sehnsucht in Tanner weckt, der nachzugeben bedeuten würde, das erste Mal im Leben alles anders zu machen.

Impressum

 

Copyright © 2021 Christiane Bößel & Svea Lundberg

 

Christiane Bößel

Sommerstraße 4

86420 Diedorf

[email protected]

www.christiane-boessel.de

 

Julia Fränkle-Cholewa (Svea Lundberg)

Zwerchweg 54

75305 Neuenbürg

[email protected]

www.svealundberg.net

 

 

Lektorat/Korrektorat: Kristina Arnold

Buchsatz: Annette Juretzki

Covergestaltung: Vivien Summer

Bildrechte: Kiselev Andrey Valerevich / shutterstock.com

 

 

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt.

Alle Rechte sind vorbehalten.

Die in diesem Buch geschilderten Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Der Inhalt des Romans sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus.

Vorwort

Als wir im Sommer 2020 – gewissermaßen aus einer Laune heraus – beschlossen haben, das Wagnis »gemeinsamer Roman« einzugehen, war schnell klar, dass wir nicht neue Figuren erfinden, sondern eine Art Spin-off zu zweien unserer Romane schreiben würden. Natürlich ein Spin-off, welches sich komplett unabhängig lesen lässt!

Wir haben lange überlegt, welche beiden Figuren wir miteinander matchen könnten, doch letztlich erschien uns eigentlich nur eine Variante auf Anhieb passend. Und so entstand die Idee rund um Nik, den besten Freund von Jan, aus Sveas »Sheltered in blue – Wenn Erinnerungen lähmen« und Tanner, Donovans besten Freund, aus Christianes »Small Town Love«.

Diese beiden Figuren und damit auch zwei Romanreihen zu einem eigenständigen und unabhängig zu lesenden Buch zu verbinden, war eine kleine Herausforderung. Wir hoffen, sie zu meistern ist uns gelungen, und wünschen Euch sommerliches Lesevergnügen mit Nik und Tanner!

 

Alles Liebe

Christiane & Svea

 

Weitere Infos zu »Sheltered in blue« und »Small Town« findet ihr am Ende dieses Romans.

 

Kapitel 1 – Tanner

 

~~~ April ~~~

 

Mit konzentriertem Gesichtsausdruck schiebt Brianna den Riegel zur Seite, öffnet die Klappe und lugt hinein. Sie ist noch zu klein, deswegen muss sie dafür auf einem umgedrehten Blumenkübel stehen. Damit sie nicht herunterfällt, halte ich sie an der Schulter fest. Nur ganz leicht, weil sie es hasst, wie ein Baby behandelt zu werden. Dabei ist sie das noch. Fast. Oder wie auch immer man Zweieinhalbjährige bezeichnet.

Sie gibt einen putzigen Quietschlaut von sich, blickt über die Schulter zu mir und zeigt mit ihrem Babyspeckfinger auf das Legenest mit den fünf Eiern.

Nie hätte ich gedacht, dass Dad sich mal Hühner zulegen würde. Tiere und Dad sind so eine Sache. Er hasst Tiere nicht, sie sind ihm schlichtweg egal. Aber für seine Mädchen macht er eben alles. Margery wollte welche, damit ihre Töchter erfahren, woher die Lebensmittel kommen und lernen, die Natur zu schätzen. Also besitzen wir seit ein paar Wochen eben Hühner. Dad hat sogar ein Holzhaus inklusive überdachter Voliere und umzäuntem Auslauf gebaut. Mein Lieblingshuhn hat puschelige Füße und eine Frisur wie Donovan nach dem Aufstehen. Deswegen habe ich sie Donata getauft. Statt über den Vergleich beleidigt, ist er lächerlich stolz. Aber bei ihm wundert mich gar nichts mehr. Wir kennen uns unser ganzes Leben lang und er ist und bleibt einfach seltsam.

Bis vor Kurzem hatte ich keinen Bezug zu Hühnern, außer in Form von Chicken Nuggets oder Grillhähnchen. Aber sie sind erstaunlich lustig. Den ganzen Tag sind sie mit wahnsinnig wichtigen Dingen beschäftigt. Scharren und Picken und Rumlaufen und Spatzen vertreiben und was Hühner eben so tun. Wenn sie ein Ei gelegt haben, gackern sie so laut, dass man meinen könnte, sie hätten die Weltformel erfunden. Huhn müsste man sein. Dann wäre mein größtes Problem, dass mein Lieblingslegenest unverschämterweise gerade belegt ist, mein Futterbringer die falsche Körnermischung gekauft oder ein Mithuhn meinen Wurm geklaut hat.

Und nicht, mit vierundzwanzig wieder zurück ins Elternhaus ziehen zu müssen, weil der Ex mein Apartment beschlagnahmt hat.

Okay, ich habe es ihm überlassen. Wollte nicht noch mehr Stress und Streit als ohnehin schon. Was nichts daran ändert, dass ich nun wieder in meinem Kinderzimmer wohne.

»So viele Eier«, piepst Brianna und klatscht in die Hände. Sie ist so schnell von den kleinsten Dingen begeistert. Das liebe ich an meiner Halbschwester. Sie ist ein Grund, warum ich nicht in Selbstmitleid oder Liebeskummer – abwechselnd mit Hassgedanken – in meinem Zimmer versauere. Sie lenkt mich vom Ende meiner Beziehung zu Enis ab.

»Ja, schau, sogar ein Grünes ist dabei.«

Sie nickt heftig und streichelt beinahe ehrfürchtig über besagte Schale. »So schön«, sagt sie leise. Abrupt dreht sie sich herum und schlingt ihre Arme um mich, als hätte ich die Eier gelegt.

Ich drücke ihren Minikörper an meinen und küsse sie auf ihre weichen Haare, die immer nach Erdbeeren und Leben riechen. Egal, wie schlecht ich gelaunt bin, Bri schafft es immer, mich aufzuheitern.

So verharren wir etwa zwei Sekunden, denn auf einmal beißt sie mich in den Bauch und kichert. Zur Strafe packe ich sie, wirble sie herum und pruste ihr auf den Hals. Sie windet sich kreischend. Beinahe lasse ich sie fallen, weil sie so herumzappelt. Vorsichtshalber setze ich sie ab und sie boxt mir mit ihrer Mäusefaust in den Oberschenkel und rennt glucksend weg. Wie ein Monster brüllend verfolge ich sie und strecke meine Arme bedrohlich nach oben. Vor Lachen und Aufregung und weil sie sich immer wieder nach mir umdreht, strauchelt Brianna und fällt hin. Sie stutzt kurz, ihre Unterlippe zittert, aber das Weinen bleibt aus. Das macht sie nur bei ihrer Mom. Bei der packt sie regelmäßig die Dramaqueen aus und heult herzzerreißend und tränenspritzend. Bei mir nicht. Vielleicht will sie sich keine Blöße geben. Was weiß denn ich, was kleine Mädchen denken. Ich hatte bisher keine Geschwister. Allerdings fühlen sich die fünf Mädchen – Dads neue Frau Margery und ihre Töchter Aurora, Gabriella und Eve und das gemeinsame Kind mit Dad, Brianna – wie echte Familie an. Deswegen gibt es Schlimmeres, als wieder zu Hause zu wohnen, auch wenn ich hier nie meine Ruhe habe. Die drei Jüngeren belagern mich quasi 24/7. Außer sie sind in der Schule oder ich bei der Arbeit. Mir macht das nichts aus. Ich liebe sie alle. Zeit mit ihnen zu verbringen, ist keine Pflichtübung, sondern macht wirklich Spaß. Wer weiß schon, ob ich jemals selbst Familie haben werde.

In einem kurzen rosa Sommerkleid und passenden Glitzersandalen kommt Aurora zu uns, hinter ihr Gabriella in Jeans und Karohemd. Dazu trägt sie eine Wollmütze und ihren geliebten gelben Anorak.

»Äh, Mädels«, rufe ich ihnen zu. »Ihr wisst schon, dass April ist? Nicht Sommer oder tiefster Winter. So nehme ich euch nicht mit. Ab ins Haus und umziehen.«

Natürlich fangen beide sofort an zu maulen. Offenbar vergessen sie immer, wie geduldig ich bin. Ich bin Experte im Dinge aussitzen. Selbst eine einengende Beziehung. Nörgelnde Mädchen sind keine wirkliche Herausforderung. Da bin ich von Donovan ganz andere Sachen gewöhnt.

Gabi ist die Erste, die sich umdreht und zurück ins Haus läuft. Und erstaunlicherweise folgt ihr Aurora kurz darauf. Normalerweise diskutiert sie erst stundenlang.

Während ich auf die beiden warte, pflücke ich mit Brianna die Eier aus dem Nest. Wie im Märchen hält sie ihren Pulli am Saum ein Stück nach oben und ich lege Ei für Ei hinein. Vorsichtig, als würde sie Plutonium transportieren, tippelt Brianna Richtung Haus, die Stirn gerunzelt, die Lippen zusammengepresst. Zum Knuddeln die Kleine. Eine Welle der Zuneigung durchfährt mich und ich seufze leise. Warum war es mit Enis nicht so unkompliziert?

Brianna setzt sich auf die Verandastufen und begutachtet die Eier. Nimmt jedes in die Hand und studiert es sorgfältig von allen Seiten. Mit dem grünen beschäftigt sie sich besonders lang. Ich schiebe meine Hände in die Taschen meiner Cargohose, betrachte sie und ertappe mich, wie ich lächle. Ein paar Minuten später gesellen sich die zwei anderen Mädchen wieder zu uns, diesmal jahreszeitlich angemessener angezogen. Gabriella mit Weste und ohne Mütze, also nicht mehr polarexpeditionsmäßig, Aurora hat eine Strumpfhose unter das Kleid und eine mit Glitzersteinen bestickte Jeansjacke übergezogen. Für Frühling in North Dakota immer noch zu sommerlich und nicht wirklich für unseren Ausflug praktisch, aber immerhin.

Der Rest der Familie ist das ganze Wochenende unterwegs. Dad mit Margery auf einem Gynäkologenkongress und Eve bei einer Freundin in Chicago, wo sie früher gewohnt hat. Und weil ich nichts anderes geplant habe, passe ich auf die Mädchen auf. Auf Party habe ich ohnehin keine Lust.

»Doniiii«, kreischt Aurora auf einmal, hüpft die Stufen hinunter und rennt auf Donovan zu. Als hätte sie ihn jahrelang nicht gesehen, wirft sie sich auf ihn und klammert sich an ihm fest. Keine Ahnung, warum sie derart auf ihn abfährt. Und er auf sie. Sind sich vermutlich zu ähnlich. Beide sind hibbelig, reden pausenlos und gehen anderen Menschen gern auf die Nerven. Gabriella stellt sich an meine Seite und greift nach meiner Hand. Trotz ihrer zwölf Jahre benimmt sie sich immer noch wie ein Kind. Liegt an ihrer Entwicklungsverzögerung. Mir ist das egal. Gabi ist cool, unabhängig von irgendwelchen Diagnosen.

»Auriiii«, brüllt Donovan ebenso laut zurück und wackelt mit Aurora im Arm herum wie ein Affe auf Speed. Was im Grunde sein natürliches Verhalten ist. Er drückt ihr einen Schmatzer auf die Wange und setzt sie dann wieder ab. Doch statt ihn loszulassen, packt sie seinen Arm und kuschelt sich an ihn.

»Eve ist nicht da«, informiere ich ihn, obwohl er das sicher weiß. Schließlich ist sie seit mehr als zwei Jahren seine Freundin. Unter der Woche lebt Donovan für sein Medizinstudium in Bismarck, kommt aber am Wochenende immer nach Minot und wohnt dann in seinem alten Zimmer im Nachbarhaus. Nicht aus Wohnungsnot wie ich, sondern aus Bequemlichkeit und um Geld zu sparen. Eve schläft dann meist für die Zeit bei ihm. Bei den Jones ist mittlerweile, nachdem alle ausgezogen sind, schlichtweg weniger los als bei uns. Momentan leben nebenan nur noch Morgan und Nate mit ihrem Sohn Benjamin. Und nicht einmal der macht Krach oder verbreitet Chaos. Ich habe noch nie ein Baby gesehen, das so ruhig ist wie Benjamin. Vielleicht Karma. Ausgleichende Gerechtigkeit, weil Morgan so lang ihre nervigen Geschwister aushalten musste.

»Darf man nicht mehr seinen besten Freund besuchen?«, gibt Donovan zurück und grinst sein unverschämtes Donovan-Grinsen. Würde ich ihn nicht hundert Jahre kennen, fände ich ihn attraktiv. Und sexy. Aber mit ihm zu schlafen wäre wie Inzest. Widerlich. Dann lieber keinen Sex. Ich schüttle meinen Kopf, um den nackten Donovan aus meinen Gedanken zu verscheuchen, und grinse zurück.

Donovan schiebt Aurora ein wenig von sich, doch sie himmelt ihn weiter von unten an und hängt an seinem Arm. Im Comic würde der mittlerweile von ihrem Gewicht bis auf den Boden reichen. »Hast du Milben im Ohr? Wenn Hunde Milben haben, schütteln sie auch ihren Kopf immer so seltsam.«

Aurora kichert, wahrscheinlich wegen seines blöden Kommentars. Ich verkneife mir ein Augenverdrehen. Mit einem Seitenblick vergewissere ich mich, dass Brianna und Gabriella beschäftigt und deswegen außer Gefahr sind, dass ihnen etwas passiert, und laufe zu Donovan.

»Kannst ja mal untersuchen«, biete ich ihm an. »Als angehender Arzt hast du doch sicher so ein Ohruntersuchungsding in der Hosentasche.«

»Das heißt Otoskop, Doofi.« Unvermittelt zieht er mich an sich. Wir stoßen unsere Schultern aneinander und er klopft mir zuerst auf den Rücken, dann auf den Po. »Schön dich zu sehen, Kermit.« Er lächelt ehrlich und erstaunlich liebevoll. Bei all den tollen Menschen um mich werde ich ganz sentimental. »Und nein, ich werde nicht in dein Ohr schauen. Nicht kostenlos auf jeden Fall.«

»Schade«, sagt Aurora von unten. »Ich habe gehofft, du bringst mir wieder was Neues aus deinem Studium bei.«

Er tätschelt ihr über die Haare. »Ein anderes Mal, Moskito. Heute will ich weder lernen noch über Krankheiten und den ganzen Kram reden. Ich will Spaß!« Er reibt sich die Hände. »Und, was machen wir?«

Ich zucke mit den Schultern. »Was du machst, weiß ich nicht. Wir fahren ins Run and Fun.«

»Den neuen Indoorspielplatz?« Donovans Augen leuchten. Er muss garantiert keine Seminare belegen, in denen man das innere Kind findet. Seins ist quasi ständig anwesend.

Als müsste sie plötzlich ganz dringend aufs Klo, zappelt Aurora herum. »Kommst du mit?« Sie reißt die Augen auf und blinzelt. »Bitte, Doni.«

Begeistert nickt er. »Na klar komm ich mit. So was lasse ich mir doch nicht entgehen!« Aurora und er klatschen ab.

Erst jetzt scheinen die anderen Mädchen registriert zu haben, dass Donovan aufgetaucht ist. Brianna hebt den Kopf und greift nach einem Ei. Mit stolzem Gesichtsausdruck hält sie es hoch. »Willst du Eier, Doni?«, piepst sie.

Ist es eigentlich normal, dass Kinder in dem Alter schon so sprechen? Oder ist meine Schwester diesbezüglich besonders begabt? Von mir oder Dad hat sie das sicher nicht.

Donovan gluckst. »Nein, danke, Süße. Hab schon gefrühstückt.«

Ein wenig enttäuscht dreinblickend legt Brianna das Ei zurück in ihren Schoß.

»Gehen wir jetzt endlich?«, quengelt Aurora.

»Ja, ich will hier nicht mehr rumstehen«, stimmt ihr Gabriella zu. Also nicke ich schnaufend, nehme Brianna und ihre wertvolle Eierfracht auf den Arm und bringe sie nach drinnen, um sie ebenfalls fertig zu machen.

 

Schwer einzuschätzen, wer im Run and Fun mehr Spaß hat: die Mädchen oder Donovan. Allerdings ist er nicht der einzige erwachsene Mann, der mit leicht irrem Gesichtsausdruck und breitem Grinsen herumrennt, klettert, rutscht oder sich im Wasserbecken gegenseitig mit den motorisierten Reifen rammt. Zumindest muss ich so nicht auf Aurora und Gabriella aufpassen, weil die mit Donovan durch die verschiedenen Attraktionen toben. Ich sitze in der Zwischenzeit auf einem viel zu kleinen Hocker vor dem Karussell und warte, bis Brianna ihre elftausendste Runde absolviert hat.

»Eine entzückende Tochter haben Sie«, spricht mich eine Frau an. Sie ist schätzungsweise Mitte dreißig und vermutlich nicht aus Minot, sonst würde ich sie wenigstens vom Sehen kennen. Auch sie hockt abgeknickt auf einem der lächerlich winzigen Stühlchen und beobachtet die kreisenden Kinder.

»Sie ist nicht meine Tochter. Brianna ist meine Schwester.«

Sie runzelt die Stirn. »Oh. Das ist«, sie stockt, »ungewöhnlich. Sie haben einen großen Altersabstand.«

Es geht sie zwar einen feuchten Dreck an, trotzdem antworte ich. Schließlich bin ich ein höflicher Mensch. »Sie ist eine Nachzüglerin. Die anderen beiden sind Töchter meiner Stiefmutter.« Bei dem letzten Wort male ich Anführungszeichen in die Luft. Den Ausdruck finde ich schrecklich. Es ist Margery, mehr nicht. »Sie vergnügen sich hier irgendwo mit meinem Freund.« Ich wedle ziellos hinter mich.

Sie nickt. »Ihr Freund. Verstehe.« Was meint sie genau? Plötzlich wirkt sie reserviert und rückt ein Stück ab. Und noch weiter, als Donovan auf mich zurast, sein verschwitztes Gesicht an meinem reibt und mich auf die Wange küsst.

»Hi, Liebster. Hast du mich vermisst?«, fragt er schnurrend, richtet sich auf und lächelt die Frau strahlend an, seine Hand noch immer auf meiner Schulter. Sein Gespür, wie er andere Leute schockieren und ärgern kann, ist wie eine geheime Superkraft von ihm. Oft nerven mich seine Provokationen, heute jedoch spiele ich mit. Geschieht dieser homophoben Tussi recht. Also schlinge ich meinen Arm um Donovans Taille, lehne mich selig grinsend an ihn und sehe möglichst verliebt zu ihm hoch.

»Ich vermisse dich immer, Darling. Das weißt du doch.«

Als Antwort knurrt er. Etwas übertrieben, meiner Meinung nach, aber es funktioniert, denn die Frau winkt ihr Kind heran und dampft mit ihm ab. Mit seiner geschleckten Frisur und den weißen Turnschuhen zu Polohemd und Cordhose sieht der Arme aus, als wäre er fünfzig und nicht fünf. Das furchtbare Outfit hat der sich doch sicher nicht selbst ausgesucht.

Über das, was eben passiert ist, sprechen Donovan und ich nicht. Dazu kennen wir uns zu lange und zu gut. Er steht immer zu mir, selbst, wenn er sich dafür zum Idioten machen muss. Was ihm aber ohnehin an seinem Knackarsch vorbeigeht.

»Wo sind die Mädels?«, frage ich.

»Im Kinderkino. Die Minions anschauen. Sind also eine Weile beschäftigt.« Er pflanzt sich neben mich und streckt ächzend die Beine aus. Leichter Schweißgeruch weht zu mir herüber. »Da gibt’s eine Aufsicht, also keine Sorge, Papa Bär.«

Nach weiteren drei Runden ist Brianna endlich auch fertig. Zwar protestiert sie, als ich sie aus dem Feuerwehrauto hebe, lässt sich aber mit dem Versprechen auf Pommes überreden, sich mit uns hinzusetzen.

Bereits nach der halben Portion schläft Brianna ein. Kippt einfach langsam vornüber und landet mit dem Gesicht im Teller. Vorsichtig richte ich sie auf, lege sie auf die Bank neben mich und ihren Kopf auf meinen Schenkel. Sie schmatzt leise, wacht aber nicht auf und sabbert auf meine Hose. Ich streichle über ihr weiches Haar, mit der anderen schiebe ich mir ein paar ihrer Pommes in den Mund.

Donovan, der mir an dem Biertisch gegenübersitzt, ext seine Cola, rülpst verhalten und wendet sich dann mir zu.

»So, jetzt mal unter Männern: Alles klar bei dir? Wie läuft’s ohne Enis?«

Ich hole tief Luft und lasse sie lang gezogen wieder entweichen. »Geht schon. Die Mädchen lenken mich ab. Margery und Eve verwöhnen mich. Ist mir fast zu viel. Aber es hilft. Ich schlage mich ganz gut. Also nichts Neues seit letzter Woche.«

Er grapscht sich eine der Pommes und deutet damit auf mich. »Gut schlagen und gut gehen ist aber nicht das gleiche, Alter, das weißt du, oder?« Die Pommes verschwindet zwischen seinen Lippen, der Rest der Portion folgt. Ich halte ihn nicht auf, was ihm offenbar auffällt, weil er verwirrt zwischen mir und dem Teller hin- und hersieht. »Dir geht’s nicht gut. Wenn du nicht mal isst, ist die Kacke am Dampfen.« Ich zucke nur mit den Schultern. Tatsächlich hat mir die Trennung von Enis den Appetit verdorben. Und das will was heißen, denn eigentlich kann ich immer essen. Egal was, wann und wo. »Du wirst schon ganz dünn. Gar kein Fettsack mehr.«

Er sticht mir auf die Brust, aber ich wische seinen Finger weg. »Jetzt übertreib mal nicht. Erstens bin ich kein Fettsack und zweitens hab ich vielleicht ein oder zwei Kilo abgenommen. Was bei meiner Größe quasi gar nichts ist. Also komm mal runter.«

»Ich mach mir eben Sorgen. Ist das verboten?«

»Nö«, gebe ich zu. »Danke. Aber musst du nicht.« Brianna regt sich und rollt sich auf die Seite, schläft aber selig weiter. Mit der Hand auf ihrer Hüfte hindere ich sie am Abstürzen.

Donovan stützt sich auf die Unterarme und beugt sich über den Tisch. »Der Kerl ist es nicht wert, dass du ihm hinterhertrauerst. Er klammert, lässt dir keine Luft zum Atmen, ist eifersüchtig auf jeden Furz, und kontrollsüchtig. Er braucht einen Psychiater, keinen Partner. Du hast das viel zu lange hingenommen. Ich hätte das nicht so lange mit mir machen lassen.«

»Das alles hast du mir ungefähr schon eine Milliarde Mal gesagt«, erinnere ich ihn. »Langsam habe sogar ich es verstanden. Außerdem hast du den Scheiß mit Eve auch ewig mitgemacht. Also erzähl mir nichts von wegen, nicht mit sich umspringen lassen.«

Auf meinen Einwand geht er nicht ein. Stattdessen fährt er mit dem Zeigefinger durch den Ketchuprest und leckt ihn ab. »Man kann das nicht oft genug wiederholen. Enis ist ein Psycho. Es war das einzig Richtige, ihn endlich abzuschießen. Denk dran, er hat schon die Heiratskataloge gewälzt. Schon vergessen, wie er diesen Weddingplaner eingeladen hat, ohne dir Bescheid zu sagen? Oder heimlich seine Wohnung gekündigt hat, um ganz bei dir einzuziehen? Ohne es vorher mit dir zu besprechen? Ob du überhaupt einverstanden bist? Oder dass er euch beide bei dieser halbseidenen Auslandsadoptionsagentur hat auf die Warteliste schreiben lassen? Wieder ohne dein Wissen?«

»Nein, habe ich natürlich nicht. Er hat es mir ja im Nachhinein alles erzählt. Und nenn ihn nicht so. Er ist kein Psycho. Er ist ...« Brianna zuckt im Schlaf, beruhigt sich aber, als ich ihr über den Bauch streichle. »Er liebt mich eben und wollte sein Leben mit mir verbringen«, ergänze ich leiser, um Brianna nicht aufzuwecken.

»Pft!«, zischt Donovan. »Liebe und Besessenheit sind zwei verschiedene Paar Stiefel. Genauso wie gemeinsame Zukunftspläne und den anderen vor vollendete Tatsachen stellen. Verteidige ihn nicht. Das war keine normale Beziehung. Das war irgendwas Krankhaftes mit Sex. Toxisch, wie Eve es in ihrer Psychologensprache ausdrücken würde. Ein Stalker ist ein Dreck dagegen.« Im Prinzip hat er recht, wenn auch nicht so extrem. Er zieht das Kinn zurück und mustert mich. »Vermisst du ihn etwa?«

»Klar vermisse ich ihn. Wir waren drei Jahre zusammen. Das hakt man nicht so eben mal ab. Ist ja nicht so, als hätte ich ihn nicht geliebt. Wir hatten auch verdammt gute Zeiten.«

»Ich weiß, dass du ihn geliebt hast. Nur deswegen wart ihr so lange zusammen. Ohne Gefühle hält das keine Sau aus. Ich mag Enis auch. Trotzdem ist er in einer Beziehung ein Psycho. Du bist einfach zu gutmütig, gibst viel zu schnell nach. Nur um nicht zu streiten.« Er zwinkert. »Dabei ist Versöhnungssex der beste. Aber mal im Ernst. Ein weniger geduldiger und harmoniesüchtigerer Mensch als du wäre schon nach einer Woche schreiend davongelaufen. Spätestens als er angefangen hat, dich bei jedem Schritt zu fragen, was du machst und wohin du gehst und mit wem du dich triffst. Er hat dir null Freiraum gegeben. Null.« Er formt mit den Fingern einen Kreis, den er mir dicht vor die Augen hält. Dieses Gespräch haben wir genau so schon dutzende Male geführt, aber er lässt mich nicht entkommen. »Nenn mir eine Sache, die gut war zwischen euch.« Sein Finger schnellt nach oben.

»Der Sex«, sage ich, ohne zu zögern. »Zumindest die ersten zwei Jahre. In den letzten Monaten war’s eher Druckabbau von meiner Seite aus. Und weil ich keine Lust hatte, mich auch noch zu rechtfertigen, wenn ich keinen Bock habe.«

»Hah!«, platzt Donovan heraus, als wäre das eine neue Erkenntnis. Er weiß, wie mau mein Sexleben am Ende war. Schließlich durfte er sich mein Gejammer oft genug anhören. »Ich will was, was ausschließlich gut war.«

»Er kann gut zuhören.«

Donovan gähnt demonstrativ. »Langweilig. Er war dein Freund und Liebhaber und nicht Tante Hedwig vom Häkelkurs.« Mit den Händen macht er eine Drehbewegung. Ich soll weitermachen, bedeutet das wohl.

»Er ist zu wahren und tiefen Gefühlen fähig. Seine Liebe war grenzenlos«, versuche ich es.

»Hast du den Stuss aus einem deiner Sissi-Filme? Ich muss gleich kotzen.« Er winkt ab. »Okay, lassen wir das, bevor dir noch einfällt, wie toll er doch eigentlich war und dass du einen Fehler gemacht hast. Das hast du nämlich nicht.« Er lehnt sich an die Wand hinter seinem Rücken und faltet die Finger vor dem Bauch. »Ich sag dir was: Du brauchst Ablenkung, mein Freund.«

»Hab ich doch.« Mit dem Kinn deute ich auf meine Schwester und den Raum. Er schüttelt den Kopf. »Ich meine nicht deine dröge Arbeit oder Gabis Barbiehaus neu einrichten und sich gegenseitig Zöpfe flechten. Du brauchst richtige Ablenkung. Männerablenkung!« Jetzt nickt er, als hätte er eine geniale Idee. »Hör zu. In zwei Wochen fahre ich zu Trisi und Rylee nach New York. Mein Brudi hat seine erste richtige Rolle an Land gezogen. Das müssen wir feiern! Also keine Hauptrolle in einer Serie mit neun Staffeln oder so oder einen Blockbuster mit Steven Spielberg als Regisseur. Ist so ein Undergroundding, das ohnehin viel besser zu ihm passt. Und immerhin nicht Sharknado 17.« Er lacht und wirkt unheimlich stolz. Obwohl er es nie zugeben würde, vermisst er seinen Zwillingsbruder schrecklich. Die beiden sind noch enger als Donovan und ich. »Auf jeden Fall werde ich ihn besuchen, um seinen Erfolg gebührend zu feiern.« Er zeigt auf mich und tritt mir gleichzeitig gegen das Schienbein. »Und du wirst mich begleiten! Perfekte Gelegenheit!«

»Ich weiß nicht. Ich müsste extra Urlaub nehmen.«

»Dann tu das. Du kommst mit. Schluss.« Er redet mit mir wie mit einem bockigen Kind. Wieder beugt er sich vor. »Ach komm schon, das wird toll«, sagt er versöhnlicher. »Nur wir zwei. Männertrip nach Big Apple. Wie früher.«

»Wir waren noch nie in New York.«

Er schnauft theatralisch. »Du weißt, was ich meine.«

Ja, weiß ich und eigentlich finde ich die Idee großartig. Aber ich will ihn noch ein bisschen schmoren lassen. Ärgern kann ich auch.

»Wir waren früher Zelten. Übers Wochenende. Am See. Aber soweit ich weiß, ist New York nicht für seine Campingplätze berühmt.«

Er verdreht die Augen. »Die Stadt ist so riesig, da gibt es sicher mehr als einen Campingplatz. Aber das brauchen wir nicht. Wir werden nämlich in einem Motel schlafen. Trisi hat schon ein Zimmer für mich in der Nähe seiner Wohnung reserviert. Sein Apartment in Queens ist so winzig, da könnte nicht mal ein Hobbit drin zusätzlich übernachten.« Er lacht über seinen eigenen Witz. »Ich würde dich ja einladen, aber du hast mehr Geld als ich. Schließlich bin ich ein armer Student mit Nebenverdienst und einem Studienkredit am Hals und du arbeitest Vollzeit.«

»Okay«, antworte ich bloß.

Donovan scheint verwirrt, weil ich so schnell zugestimmt habe, freut sich dann aber sichtlich.

»Das wird der Hammer, Kermit. Echt. Wir zwei. In New York.«

»Warum nennst du ihn immer Kermit?«, fragt jetzt Gabriella, die mit Aurora wieder unbemerkt zu uns gestoßen ist. »Das ist nicht nett. Er hat doch einen Namen.« Sie quetscht sich neben mich und greift nach meiner Hand. »Er heißt Tanner«, fügt sie hinzu, als hätte Donovan das vergessen.

»Ist doch nur ein Spitzname«, erklärt Aurora, die sich an Donovan schmiegt.

»Genau, Moskito«, stimmt der ihr zu und zieht sie näher an sich. Toll, dass sich die beiden wieder einmal einig sind.

Gabriella mustert mich angestrengt. »Aber du siehst gar nicht aus wie ein Frosch. Der ist klein und dünn und grün.«

»Und was bin ich?«, necke ich sie.

»Du bist groß und stark und lustig und kariert«, zählt sie, ohne zu zögern, auf.

Donovan grinst. »Und er wird mich nach New York begleiten.«

»Cool. Darf ich auch mit?«, fragt Aurora sofort, aber Donovan schüttelt den Kopf.

»Diesmal nicht, Moskito. Männertrip. Mädchen verboten. Und hoffentlich nicht jugendfrei.« Er schmunzelt und zwinkert mir über Auroras Kopf hinweg zu.

Aurora schmollt, Gabi hat Hunger und Brianna wacht weinend auf und so bin ich statt weiterer Männergespräche wieder mit Babysitten beschäftigt.

Kapitel 2 – Nik

 

Scheiße, Mann, ich werde diese Dinger echt vermissen!

Noch bevor die Ladentür hinter mir mit einem leisen Bimmeln der Glocke ins Schloss gleitet, beiße ich herzhaft in den Bagel. Sofort füllt der samtig würzige Geschmack von Frischkäse mit Schnittlauch und Räucherlachs meinen Mund und ich sehe überhaupt keinen Grund, das genießerische Seufzen zu unterdrücken. Die Passanten, die eiligen Schrittes an mir vorbeihuschen, dürfen ruhig wissen, in welchem Verhältnis ich zu Cream Cheese Bagels stehe. Wir haben eine verdammte Liebesbeziehung miteinander. Eine, die inzwischen bereits zwanzig Monate anhält – das ist bedeutend länger, als jede Beziehung zu einem Kerl es je getan hat. Meine bisherigen Nicht-Beziehungen zu Männern waren eher ein wenig wie Morgenkaffee: Heiß und intensiv, aber sobald er kalt wird, schmeckt er nicht mehr. Mal abgesehen davon, dass ich ohnehin nur sehr selten Kaffee trinke.

Kopfschüttelnd über meine eigenen Gedanken nehme ich einen Schluck Schwarztee aus dem To-Go-Becher – ein wiederverwendbarer, den ich mir zugelegt habe, weil ich sowieso jeden Morgen meinen Wachmacher im Milk & Pull hole. Zumindest an jenen Morgen, an denen ich zur Arbeit muss. Freizeit war insbesondere in den ersten Monaten absolute Mangelware. Von wegen New Yorker Nachtleben erkunden – ich hatte gerade mal genug Zeit, um mich mit meiner näheren Umgebung in Brooklyn vertraut zu machen. Bei einer dieser seltenen Erkundungstouren durch Bushwick, Williamsburg und Queens habe ich auch das Milk & Pull entdeckt. Ein kleines, schlicht eingerichtetes Café, welches nur wenige Gehminuten von meinem Apartment entfernt auf der Irving Street und damit auf direktem Weg zu meiner Arbeit liegt, und welches die besten Bagels in Bushwick oder vielleicht sogar in ganz Brooklyn anbietet.

In einer Hand den Becher, in der anderen mein Frühstück, schiebe ich nach einem weiteren Bissen ein wenig umständlich mit dem kleinen Finger meinen Jackenärmel zurück. Der Blick auf meine Apple Watch verrät, dass ich noch genug Zeit habe, um die rund drei Kilometer zum Salon gemütlich zu Fuß zurückzulegen. Bedeutend schneller würde ich mit der Subway zur Rushhour ohnehin nicht vorankommen und ich mag es, am Morgen durch Brooklyns Viertel zu schlendern. Selbst nach inzwischen zwei Jahren bin ich des Trubels der Weltmetropole nicht müde geworden. Auch wenn ich zugeben muss, dass ich mich nach einer Auszeit sehne. Nicht unbedingt eine Auszeit von New York oder meiner Arbeit. Es ist eher mein Hirn, das gern mal für einige Tage – oder besser: Wochen – abschalten möchte. Dumm nur, dass genau das kaum möglich sein wird. Nicht solange ich keinen blassen Schimmer habe, wie es weitergehen soll. Und wo.

Meine Tage in New York sind gezählt – zumindest vorerst. Ich bin mir ziemlich sicher, dass mein Chef mich hierbehalten würde, würde ich ihn ernsthaft darum bitten. Ebenso wie er mich mit Handkuss wieder in einem der Salons in Deutschland einsetzen würde. Das Problem ist nur: Ich weiß nicht, was ich will.

Den Salon in Brooklyn und damit die erste Filiale von Royal Hair in den USA aufzuziehen, war ein Mammutprojekt. Eines, für das ich in den letzten beiden Jahren gelebt habe. Und ich habe es verdammt noch mal geliebt, dabei zuzusehen und meinen nicht gerade geringen Teil dazu beizutragen, diesen Namen in New York großzumachen. Aber ich werde das Gefühl nicht los, dass es nun auch genug ist. Für mich. Wenn es am schönsten ist, soll man aufhören, ist es nicht so?

Als wolle ich meinen eigenen Gedanken widersprechen, schiebe ich mir den letzten Bissen Bagel in den Mund. In dem Fall kann ich definitiv nicht aufhören, ehe der letzte Krümel verputzt ist. Den Teebecher habe ich ebenfalls geleert, bis ich den Stadtteil Williamsburg erreiche. Der Royal-Hair-Salon liegt direkt an der Grand Street, in bester Gesellschaft von alternativen Cafés und schicken Boutiquen. Der noch kühle Aprilwind pfeift an den Häuserfassaden entlang und ich klappe den Kragen meines Parkas hoch, vergrabe die Nase darin und ersticke das Seufzen im Stoff.

Ja, verdammt, ich kann nicht leugnen, dass es mich zurück nach Deutschland zieht. Weniger wegen der Örtlichkeit an sich, sondern vor allem wegen Jan. Wenn ich in den vergangenen zwei Jahren etwas vermisst habe, dann waren es mein bester Freund und meine beiden Katzen.

 

Im Salon riecht es wie immer nach Haarspray, Shampoo und den Minze-Limette-Duftkerzen, die Scarlett alle paar Wochen anschleppt und in den kleinen Teelichtgläsern verteilt. Um kurz vor neun sind bereits drei Kunden und alle Mitarbeiter da. Nur meine Wenigkeit, der Store Manager, kommt eben mal wieder später als der Rest der Belegschaft. Dafür enden meine Arbeitstage auch nur sehr selten mit Ladenschluss.

Während ich mich aus meinem Parka schäle, gehe ich quer durch den Hauptraum zum Tresen, hinter dem Scarlett am PC steht. Ein Blick auf den Bildschirm zeigt, dass sie den Terminkalender studiert.

»Guten Morgen.«

»Morgen, Nik«, begrüßt sie mich mit einem flüchtigen Lächeln über die Schulter hinweg. »Gut, dass du gerade kommst. Eine Kundin hat angerufen, sie muss ihren Termin bei dir verschieben.«

Mit Blicken folge ich Scarletts Fingerzeig auf das lila umrahmte Kästchen auf dem PC-Bildschirm. Sie spricht absichtlich nur von einer Kundin und deutet auf den entsprechenden Namen. Bei Royal Hair haben wir so einige Celebrities als Kundschaft, deren Termine wir natürlich mit der entsprechenden Diskretion behandeln. Es muss nicht jeder anwesende Kunde im Salon wissen, wann der nächste Promi hereinschneit.

»Sie lässt fragen, ob du Anfang Mai noch was frei hast?« Scarletts vielsagender Blick spricht Bände. Im Normalfall sind wir Monate im Voraus ausgebucht und wenn zeitlich kein Platz ist, ist zeitlich kein Platz. Da könnte auch Ariana Grande persönlich anrufen. Ich selbst nehme aufgrund meiner Aufgaben als Store Manager ohnehin nur wenige Kundentermine an, besagter High Society Lady werde ich ihren Terminwunsch aber aus einem ganz anderen Grund ausschlagen müssen.

»Anfang Mai bin ich nicht mehr hier.« Eine Neuigkeit, die für Scarlett eigentlich keine sein sollte. Es ist schließlich nicht gerade so, als hätte ich spontan beschlossen, New York in einer Nacht- und Nebelaktion zu verlassen. Dennoch zeigt die Art, wie sie die Mundwinkel verzieht und sich ihre schmale Stupsnase kräuselt, was sie von meinen Worten hält.

»Dann steht dein Entschluss also fest, ja? Du verlässt uns in zwei Wochen?« Das überleg’s dir doch noch mal, klingt überdeutlich aus ihrer Stimme, und zugegeben, von Feststehen kann nicht die Rede sein. Aber das werde ich Scarlett sicherlich nicht so sagen. Es reicht schon, dass ich selbst weiß, wie unentschlossen ich momentan bin. Da müssen mich nicht noch die Kollegen für unfähig halten, Entscheidungen für mein zukünftiges Leben zu treffen.

»Sieht ganz danach aus, ja«, entgegne ich und bemerke dabei selbst, dass meine Antwort vage klingt. Scarlett allerdings scheint es nicht zu registrieren. Ihr Seufzen hört sich vielmehr nach echtem Bedauern an.

»Und was hast du dann vor? Gehst du wieder in deinen alten Salon in ... Wo war es? Stuttgart?«

Ich muss unweigerlich grinsen, weil es sich einfach so liebenswert anhört, wenn Scarlett den Namen meiner Heimatstadt ausspricht. Würde ich nicht alle paar Tage mit Jan facetimen, hätte ich ernsthaft Sorge, ebenfalls diesen amerikanischen Akzent anzunehmen. Nach zwei Jahren in New York ertappe ich mich nicht selten dabei, dass ich sogar auf Englisch denke.

»Ich weiß es noch nicht genau«, gebe ich nach kurzem Zögern zu. »Erst mal zurück nach Deutschland und dann ... mal sehen.« Ich lasse den Blick durch den Salon schweifen; alle anwesenden Kunden scheinen bestens versorgt. Mit Scarlett auf den Fersen verziehe ich mich in mein Büro, welches im hinteren Teil des Salons liegt. Gegenüber ist der Lagerraum, in dem wir diverse Friseurartikel und vor allem die sündhaft teuren Echthaarextensions aufbewahren, die exklusiv von und ausschließlich für Royal Hair hergestellt werden.

»Du bleibst aber bei einem der Salons, oder?«

Auch das ist keinesfalls sicher, aber es ist auch nichts, was ich mit Scarlett debattieren möchte. Es reicht schon, dass mein Chef gern eine Entscheidung von mir hätte – verständlicherweise.

»Das wird sich zeigen. Rufst du die Kundin bitte zurück und sagst ihr, wenn sie den Termin bei mir haben möchte, muss sie in den nächsten vierzehn Tagen kommen?«

Kurz möchte ich schwören, Scarlett würde trotz meines dezenten Winks mit dem Zaunpfahl weiter nachhaken, doch schließlich nickt sie nur und verschwindet mit einem »okay« wieder im vorderen Bereich des Salons. Mein Blick indessen schweift zu den zahlreichen Post-its, die an meinem PC kleben. Darauf notiert sind all jene Dinge, die ich dringend noch abarbeiten muss, ehe ich diesem Salon den Rücken kehre. Daneben gibt es auch noch diverse private Dinge, die ich zu organisieren habe.

Während der PC hochfährt, angle ich mein Smartphone aus meiner Hosentasche. Das Display zeigt eine WhatsApp von Jan.

Hey! Ich bräuchte so langsam mal ’ne Ansage von dir, was mit deinen Kartons passieren soll. In unser Haus mitnehmen oder zu deinen Eltern bringen?

Ja, diese Kisten mit meinen Habseligkeiten, die ich in Deutschland zurückgelassen habe, sind auch so eine Sache. Im Grunde wäre es am einfachsten, ich würde Jan bitten, sie mitzunehmen. Aber mein Bester hat so lange mit sich gerungen, ob er den Schritt wagen und mit Kadir zusammenziehen soll, da fühlt es sich irgendwie falsch an, wenn er meinen Kram mit sich herumschleppen muss. Andererseits ist es auch Blödsinn, ihn diesen zu meinen Eltern karren zu lassen, wenn ich ohnehin in wenigen Wochen wieder im Lande sein werde und die Sachen abholen kann. Vorausgesetzt, ich habe bis dahin schon eine Wohnung. Auch etwas, worum ich mich dringend kümmern sollte.

Noch vor wenigen Monaten hätte ich mir darüber gar keine Gedanken gemacht, sondern wäre einfach stillschweigend davon ausgegangen, dass ich für einige Tage oder auch Wochen bei Jan unterkommen kann. Nun jedoch will ich seine traute Zweisamkeit mit Kadir keinesfalls stören. Auch wenn ich mir ziemlich sicher bin, dass Kadir nichts dagegen hätte.

Fakt ist, wenn ich nicht wieder zeitweise bei meinen Eltern wohnen will, muss ich mich um eine Bleibe in Deutschland kümmern. Am besten eine, die ich sofort beziehen und im Zweifelsfall auch rasch wieder aufgeben kann. Denn bekanntlich weiß ich weder, wie es beruflich weitergehen soll, noch ob ich in den kommenden Monaten allzu viel an einem Ort sein werde. Ich habe vor, mir eine Auszeit zu gönnen. Eine richtige.

Es ist nicht gerade so, als hätte ich in den letzten beiden Jahren Reichtümer angehäuft. Zugegeben, Royal Hair bezahlt seine Friseure ohnehin überdurchschnittlich – egal ob in Deutschland, Österreich oder nun auch den USA. Noch dazu bin ich aktuell nicht nur als Friseur angestellt. Ich verdiene gut. Sehr gut für das, was ich ursprünglich gelernt habe. Aber dafür sind auch die Lebenshaltungskosten in New York horrend. Selbst mein Ein-Zimmer-Apartment in Bushwick kostet mich beinahe doppelt so viel, wie es meine Zwei-Zimmer-Wohnung in Stuttgart getan hat. Noch dazu habe ich in den letzten Monaten, als ich endlich genügend Freizeit hatte, um das Leben in der Metropole zu genießen, nicht gerade sparsam gelebt. Restaurantbesuche, Partynächte und die eine oder andere Shoppingtour ...

Dennoch, ich habe in den letzten Jahren genug angespart, um mir ein halbes Jahr Auszeit gönnen zu können. Genau das werde ich auch tun. Ich habe nicht vor, monatelang durch die Welt zu reisen – obwohl ich es verdammt gern täte. Mein letzter richtiger Urlaub ist eindeutig zu lange her. Doch eigentlich sollte ich erst mal nach Deutschland zurückkehren, um mich dort in Ruhe zu ordnen. Überlegen, was ich zukünftig anfangen will. Beruflich und ja, gewissermaßen auch privat, obwohl es da wenig Konkretes zu überlegen gibt. Ich bin Single und das gerne, aber zur Hölle, ich bin nun mal auch inzwischen einunddreißig und mich beschleicht immer häufiger das Gefühl, dass es doch irgendwie schön wäre, anzukommen. Auf den Wohnort bezogen ebenso wie emotional.

Oder aber ich werde gerade nur gefühlsduselig, weil ich an Jan und Kadir denke und die beiden so ein verflucht schönes Paar sind.

Energisch schiebe ich all die Gedanken von mir und tippe rasch eine Antwort an meinen besten Freund.

Kannst du sie mit umziehen? Ich hol den Kram dann, sobald ich wieder da bin.

Ich zögere einen Moment, schicke dann jedoch noch eine weitere Nachricht hinterher.

Facetimen wir heute Abend? Oder seid ihr schon im Packstress?

Anschließend stelle ich mein Handy auf lautlos und lege es absichtlich mit dem Display nach unten neben meinem PC auf der Tischplatte ab. Ich habe zu arbeiten, und zwar eine ganze Menge. Ein Blick auf die Uhr sagt mir, dass ich noch eine Stunde bis zum wöchentlichen Video-Call mit meinem Chef habe und zweieinhalb, bis meine erste und heute auch einzige Kundin im Salon erscheinen wird.

 

»Mein lieber Nik, ich werde dich vermissen«, säuselt Lovelyn und sorgt weniger mit ihren Worten, sondern vielmehr mit dem warmen Klang ihrer rauchigen Stimme dafür, dass mir ein Schauer über den Nacken kriecht. Außerdem weckt die Klangfarbe zum wiederholten Mal den Gedanken in mir, dass Lovelyn statt Schauspielerin auch Opernsängerin hätte werden können. Oder alternativ Synchronsprecherin für Pornos – wobei ich für Heten-Pornos weiß Gott keine adäquate Bewertungsinstanz bin.

»Ganz besonders deine bezaubernden Hände«, fährt sie in dem ihr so eigenen Singsang fort und bringt mich damit zum Grinsen. Als bezaubernd würde ich meine Hände im Speziellen und Männerhände im Allgemeinen nun nicht unbedingt bezeichnen, aber zugegeben, als Friseur sind sie gewissermaßen mein Kapital.

»Ja, ja, ich weiß, du willst wie alle nur meinen Körper.« Ich zwinkere Lovelyns Abbild in dem großen Spiegel ihr gegenüber zu und fange ihr neckisches Lächeln ein, das sich noch vertieft, als ich mit gespreizten Fingern durch ihre neu erstrahlende Lockenpracht fahre, um das Volumen aufzuschütteln.

»Du weißt genau, ich würde nicht Nein sagen. Du bist derjenige, der sich stets ziert.«

Lachend neige ich mich ein Stück zu ihr hinab, sodass meine folgenden Worte von den übrigen Kunden ungehört bleiben. Wie immer scheint sämtliche Aufmerksamkeit aller Leute auf Lovelyn zu liegen, was vermutlich weniger unserer Schäkerei als vielmehr ihrer äußeren Erscheinung zu verdanken ist. Lovelyn hat diese ganz bestimmte Ausstrahlung einer angehenden Hollywooddiva, die einen unweigerlich in ihren Bann zieht. Mich eingenommen, wenn auch nicht auf körperlich anziehende Weise.

»Und du weißt genau, dass ich mich nur wegen deiner beiden umwerfenden Liebhaber nicht an dich herantraue«, raune ich nahe an ihrem Ohr. Gleich darauf streift mich eine ihrer weichen Locken, als sie den Kopf in den Nacken wirft. Ihr Lachen ist dabei so laut, dass es bei jeder anderen Person aufdringlich oder aufgesetzt wirken würde. Doch zu Lovelyn gehört diese extravagante Präsenz und statt entnervt die Augen zu verdrehen, wünscht man sich, sie möge noch einmal so laut lachen. Oder wenigstens rede ich mir ein, dass es allen anderen Leuten auch so geht.

Dieses Mal ist Lovelyn diejenige, die mir im Spiegel zuzwinkert. Ihre Geste offenbart, dass sie mich sehr wohl durchschaut und weiß, dass ich viel eher mit einem ihrer beiden Lebenspartner als mit ihr ins Bett gehen würde. Theoretisch allerdings nur, denn die beiden sind – wie auch Lovelyn – stockhetero. Was zumindest bei einem der beiden Männer durchaus schade ist.

»Sag, wann fliegst du?« Erneut finden sich unsere Blicke im Spiegel und dieses Mal ist Lovelyns ganz ernst.

»Ich hab noch nicht gebucht«, gebe ich mit noch immer gedämpfter Stimme zurück, die beinahe im Summen eines Föhns untergeht. Aus einem Tiegel entnehme ich einen Klecks Haarwachs, reibe es zwischen den Fingern. »Anfang oder Mitte Mai, denke ich.« Das hängt ganz davon ab, ob ich nach meinem letzten Arbeitstag hier im Salon noch einige Tage bleiben und das New Yorker Leben genießen werde, oder ob mich ein spontaner Rappel packt und mich fliehen lässt. Beides erscheint mir im Bereich des Möglichen.

»Verstehe. Aber zu schade. Dann wirst du nicht zur Premiere kommen können.«

Es ist unschwer zu erraten, von welcher Premiere Lovelyn spricht. Sie ist noch nicht allzu lange mit ihrer Schauspielausbildung fertig, hat jedoch bereits vor einigen Monaten eine der begehrten Rollen an einem der Theater am Broadway ergattern können. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich Lovelyn noch nie auf der Bühne gesehen habe, aber ich bin mir sicher, dass sie umwerfend ist, ganz gleich in welcher Rolle.

»Wohl nicht. Aber ich werde sicher nicht das letzte Mal in New York gewesen sein und es wird sicher auch nicht deine letzte Rolle sein.« Beides sind Versprechen, die ich ihr leichtfertig geben kann, weil ich mir ziemlich sicher bin, dass sich beide Aussagen bewahrheiten werden. So sehr ich momentan auch in der Schwebe hänge, was meine Zukunft angeht, und so sehr ich mich auch auf Deutschland und vor allem auf Jan freue, ich weiß jetzt schon, dass es mich wieder einmal in den Big Apple ziehen wird. Und was Lovelyns Karriere angeht ...

»Selbstverständlich wird es nicht mein letztes Stück am Broadway sein«, pflichtet sie mir mit entschlossener Miene bei. »Fertig?«

»Fertig«, verkünde ich und hebe in einer demonstrativen Geste die Hände, sehe mit zufrieden pochendem Herzen dabei zu, wie Lovelyn sich leicht vorneigt, um sich eingehend im Spiegel zu betrachten.

Die passenden Extensions für ihre dunklen, aber leider etwas zu dünnen Locken zu finden, war vor Monaten eine echte Herausforderung. Nun jedoch blicken sowohl sie als auch ich zufrieden auf ihre Haarpracht.

Nachdem ich einen zweiten Spiegel zur Hand genommen und Lovelyn ihre Frisur als »perfekt, absolut perfekt« verifiziert hat, folgt sie mir zur Garderobe. Ladylike lässt sie sich von mir in ihren Mantel helfen, ehe sie sich mir mit vielsagendem Blick zuwendet.

»Stan kommt morgen zum Bezahlen vorbei, ist das in Ordnung? Er wollte mir die Stunden bei dir unbedingt zum Geburtstag schenken, war aber heute Morgen schon weg, sodass ich ihn nicht nach seiner Kreditkarte fragen konnte.«

»Klar, kein Problem«, versichere ich ihr und hauche rechts und links ein Küsschen an ihren Wangen vorbei. Bei Stammkunden wie Lovelyn und ihren beiden Lebenspartnern bestehen wir nicht auf Sofortzahlung.

»Und dich sehe ich hoffentlich am Samstag bei der Cocktailparty.« Es ist eher eine Aufforderung denn eine Frage, allerdings eine, die Fragezeichen in meinem Kopf aufwirft.

»Jaaa«, gebe ich gedehnt zurück, während ich in meinem Hirn verzweifelt nach Kontext oder einer vergessenen Einladung krame.

»Francis eröffnet am Samstag sein neues Atelier, habe ich dir das nicht erzählt?«

»Doch, hast du. Aber nichts von einer Party.«

Lovelyn gibt einen Laut von sich, der mir wohl verdeutlichen soll, dass eine Ateliereröffnung zwangsweise eine anschließende Feier mit sich bringt. »Nichts Großes, nichts Offizielles, am Mittag herrscht genug Trubel. Wir wollen nur mit einigen Bekannten am Abend auf das neue Atelier anstoßen. Bei uns zu Hause.«

»Okay, wenn das so ist, dann komme ich gerne.« Und das nicht nur, weil ich Lovelyn, Stanley und Francis in den letzten Monaten wirklich ins Herz geschlossen habe, sondern auch, weil Partys bei den Dreien immer einen Besuch wert sind. Allein schon, weil ihr Bekanntenkreis aus der wohl buntesten Mischung an Leuten besteht, die mir jemals in einem Raum untergekommen sind. Und ich kann New York unmöglich verlassen, ohne vorher noch mindestens einmal gebührend gefeiert zu haben.

Kapitel 3 – Tanner

 

Erstaunlicherweise habe ich tatsächlich spontan Urlaub bekommen. Wenn auch unbezahlten. Meine vertraglich festgelegten Tage habe ich bereits Anfang des Jahres verbraten. Gabi hat sich damals in der heilpädagogischen Tagesstätte beim Spielen den Arm gebrochen und musste operiert werden. Nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus brauchte sie viel Hilfe und Betreuung, die ich gern übernommen habe. Donovan hat mir dafür eine weiße Haube geschenkt und auf diese mit Edding Schwester Tanner gekritzelt. Er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, das Etikett des Erotikshops rauszuschneiden. Typisch Donovan eben.

Als ich meinen Chef nach Urlaub gefragt habe, hat er ohne Zögern zugestimmt. Das passt gar nicht zu ihm. Irgendetwas ist seltsam. Aber solange ich noch einen Job habe, wenn ich wiederkomme, können mir die Launen meines Chefs egal sein. Ich gehe nicht arbeiten, um mich zu verwirklichen oder Freundschaften zu pflegen, sondern weil sich mein Leben nicht von Luft und Liebe finanziert. Wobei Letztere ja momentan ohnehin nicht existiert.

Den ganzen Flug über schläft Donovan mit dem Kopf auf meiner Schulter und schnarcht dabei so laut, dass sich die Umsitzenden beschweren. Warum kümmern sich die Leute eigentlich nicht um ihren eigenen Kram? Was stört sie, verdammt? Sollen sie eben Kopfhörer aufsetzen. Das Gelaber der Passagiere ist auch nicht besser.

Erst kurz vor der Landung wacht Donovan wieder auf, setzt sich gerade hin und gähnt mit offenem Mund. Sein Tischchen habe ich bereits hochgeklappt und der Flugbegleiterin sein Getränk zum Abräumen überreicht.

Wir warten, bis sich die anderen Fluggäste nach draußen gedrängelt haben, erst dann stehen wir auch auf, holen unser Handgepäck aus der Ablage und schlendern zum Ausgang. Donovan zwinkert den Damen am Ausstieg zu und stolziert wie der Präsident höchstpersönlich die Treppe hinunter auf die zugige Landebahn. Ich folge ihm weniger elegant, weil das Metall vom Regen verflucht rutschig ist und ich meinen Männertrip nicht damit beginnen will, auf die Schnauze zu fallen. Unten legt er seinen Arm um meine Schultern und grinst mich breit an.

»So, da sind wir. Jetzt kann der Spaß losgehen.« Er lacht. »Komm, schau nicht so griesgrämig. Das wird großartig! Wirst sehen!«

»Das sagtest du bereits«, erinnere ich ihn. »Und ich bin nicht griesgrämig. Ich weiß nur nicht genau, was ich hier soll. Großstädte sind nicht so meins. Das weißt du. Warum sind wir nicht einfach wie früher zelten gegangen? Außerdem regnet es und mir ist kalt.«

Er reibt sich die Augen und macht ein Heulgeräusch. »Buhu. Es regnet und mir ist kalt«, äfft er mich mit verstellter Stimme nach und ergänzt dann in normaler Tonlage: »Was bist du, Kermit? Ein fünfjähriges Mädchen? Moskito ist tougher als du.« Er schiebt mich durch die aufgleitenden Türen, wo uns stickige, viel zu warme Luft empfängt. »Seit du dich von Enis getrennt hast, hängst du nur rum und bläst Trübsal.« Er klopft mir auf den Rücken. »Wo ist mein dauergutgelaunter BFF hin?«

Ich kann mir ein entsetztes Lachen nicht verkneifen. »BFF? Wo hast du denn das her? Sagt man das überhaupt noch?«

Er winkt ab und fuchtelt zwischen uns hin und her, während wir uns in die Warteschlange vor der Kontrolle einreihen. »Ist doch egal. Du und ich, uns haut so leicht nichts um. Wir lassen uns nicht runterziehen. Von nichts. Also gib deinem Ex nicht so viel Raum.« Er tippt mir auf die Stirn und zeigt dann mit zwei Fingern auf seine Augen und weg von uns. »Schau nach vorn. Das Leben bietet so viel Tolles.«

»Du solltest nicht so viele Psychologiekurse an der Uni besuchen. Du wirst Neurologe, kein Psychiater«, stelle ich fest, muss aber grinsen. Der Vergangenheit hinterhertrauern bringt tatsächlich nichts. Schließlich bin ich nicht verlassen worden, sondern habe selbst Schluss gemacht. Aus Gründen.

Mit beiden Zeigefingern zieht Donovan meine Mundwinkel noch weiter nach oben, bis ich als Jokerdouble durchgehen könnte. »So gefällt mir das besser.«

»Du bist völlig irre«, nuschle ich.

Er nickt und sieht dabei wahnsinnig stolz aus. »Und zu deiner Frage wegen Zelten«, endlich nimmt er seine Griffel wieder aus meinem Gesicht und ich kann meine Lippen entspannen, »erstens habe ich keine Lust auf Isomatte und zehn Minuten zum Pinkeln zu laufen. Dazu bin ich zu alt.«

Wir sind vierundzwanzig, keine sechzig. Aber na gut. Die Schlange bewegt sich weiter. Gleich sind wir dran und wir können unser Gepäck holen. Tristan hat versprochen, uns abzuholen. Hoffentlich gehen wir erst mal etwas essen. Von dem dürftigen Flugzeugfraß kann kein Mensch satt werden. Und ekelhaft war es auch. Ich brauche dringend einen Burger. Mit doppelt Fleisch und Speck und Käse. Und extra viel Soße.

»Und zweitens hat sich dieser Trip nun mal angeboten. Wo kann man besser seinen Ex vergessen als in Big Apple? Die Stadt, die niemals schläft? Stell dir nur mal vor, wie viele Schwule hier rumlaufen.« Seine Hand vollführt eine ausladende Geste. »Freie Auswahl am Männerbuffet sozusagen.«

Für ein paar Minuten hält er den Mund, bis wir durch die Kontrolle sind. Am Gepäckband warten wir auf unsere Koffer. Donovan pfeift abwesend vor sich hin, wie immer zappelt eins seiner Beine und sein Fuß tippt rhythmisch auf den Boden.

Unsere Gepäckstücke kommen als letzte und gleichzeitig greifen wir danach und werfen sie über die Schulter. Donovans ist so vollgestopft, dass man meinen könnte, er wollte nach New York auswandern, nicht ein paar Tage hier verbringen. Ich selbst habe nur Wechselunterwäsche, eine zusätzliche Jeans, zwei Hemden – ein bequemes Holzfällerhemd und ein feineres in Blau, das mir Donovan aufgenötigt hat, einzupacken – und einen Hoodie dabei.

»Kannst du mal mit deinem Männerbuffet aufhören?«, beschwere ich mich nachträglich. »Ich dachte, wir machen Urlaub. Ich bin nicht hier, um Männer aufzureißen. Außerdem habe ich gerade eine Beziehung hinter mir. Kerle sind das Letzte, woran ich momentan denke.«

Donovan stößt genervt Luft aus. »Alter, du musst dringend mal wieder vögeln. Dann bist du vielleicht wieder entspannter. Was hast du an Männertrip nicht verstanden? Per Definition beinhaltet das eine Menge Alkohol, Frauen – oder in deinem Fall Männer – und Party. Kein Problemwälzen oder Sightseeing. Sondern Spaß. Das mit den Frauen und Sex fällt bei mir ja flach. Also musst du den Part übernehmen.«

Ein älteres Ehepaar dreht sich zu uns um und glotzt uns entrüstet und ein wenig angeekelt an. Kein Wunder, wir reden ja nicht gerade leise. Doch Donovan setzt nur sein Ich-krieg-alle-Frauen-rum-Grinsen auf, sagt höflich »guten Tag« und überholt die beiden.

Entschuldigend lächle ich ebenfalls, zucke mit den Schultern und erkläre Donovans Rücken: »Und wenn ich nicht will? Ich bin kein Typ für Gelegenheitssex.«

Abrupt dreht er sich herum und bleibt stehen, sodass ich beinahe gegen ihn pralle. »Woher willst du das wissen? Wie oft hattest du schon One-Night-Stands?« Er schiebt das Kinn vor und sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Genau. Nullmal. Sonst hättest du mir nämlich davon erzählt. Also hast du eine Menge verpasst.« Er läuft weiter und ich schließe innerlich seufzend zu ihm auf. Ist eben nicht jeder so sexbesessen wie er. Oder so draufgängerisch. Ein paar Meter schweigt er. »Was bist du überhaupt für ein schlechter Schwuler? Haben die nicht ständig Sex? Jedes Mal mit anderen?«

»Keine Ahnung«, gebe ich zu. »Ich glaube, das ist ein Klischee. Wahrscheinlich gibt es in der queeren Community genauso viele Leute, die sich monogame Beziehungen wünschen, wie bei euch Heteros. Ist mir auch egal, was andere treiben und mit wem. Das ist kein Maßstab für mich.«

Donovan nickt. »Vermutlich hast du recht. Sorry. Wollte niemanden beleidigen oder so. Ich will nur, dass du Enis vergisst und endlich mal richtig aus dir rausgehst. Oder in jemanden rein. Such’s dir aus.«

Er nervt. »Musst du immer nur über Sex reden?«

»Jepp«, antwortet er bloß ungerührt. »Da ist Tristan.« Er deutet nach vorn und ich entdecke Donovans Bruder. Als er uns ebenfalls sieht, winkt er und kommt uns entgegen. Gott sei Dank hält er kein Schild hoch, auf dem unsere Namen stehen.

»Hey, Brudi«, ruft Donovan und beschleunigt seine Schritte. Lange und innig umarmen sich die beiden.

Dann zieht Tris mich ebenfalls an sich, allerdings deutlich kumpelmäßiger. Ein paar Leute mustern uns unauffällig. Normal, wenn man mit den Twins unterwegs ist. Zwei irre gut aussehende Klone sieht man nicht alle Tage. Viele können die beiden nicht unterscheiden, für mich allerdings ist es eindeutig, wer wer ist. Tristan ist der ruhigere von beiden, innerlich wie äußerlich, hat einen anderen Klamottenstil und ist insgesamt irgendwie gesitteter. Tristan hat Stil, Donovan Charme. Das Talent zum Schauspielen besitzen beide, aber nur Tristan lebt es auf der Bühne und vor der Kamera aus. Für Donovan ist das Leben ein einziges Theaterstück, in dem er sich präsentiert.

»Wo ist Rylee?«, frage ich. Sie und Tristan sind eigentlich unzertrennlich, deswegen wundere ich mich, dass sie nicht ebenfalls hier ist.

»Sie besucht ihre Mom. Das hatte sie schon lange vor und hat es jetzt extra in die Zeit gelegt, wenn ihr kommt, damit sie unser Männerding nicht stört.« Zwar grinst er, aber man erkennt auch, dass er sie vermisst.

»Schade, ich hätte sie gerne auch mal wiedergesehen.«

Donovan jedoch klatscht einmal kräftig in die Hände und schlingt Tristan und mir jeweils einen Arm um die Schultern.

»Aber nur ein bisschen schade. Wir drei zusammen. Wie in alten Zeiten.« Es folgt eine Reihe Beschreibungen, wie toll er das findet und wie viel Spaß wir die nächsten Tage haben werden. Arm in Arm laufen wir zu den Aufzügen, die uns ins Untergeschoss zu den Subways bringen.

 

Meinen Doppelburger habe ich nicht bekommen, dafür selbstgekochtes Essen von Tristan. Linguine mit Gemüsesoße, dazu Steaks und als Nachspeise New York Cheesecake. Wann hat er so gut kochen und backen gelernt? Die ersten Biere sind bereits geleert und langsam setzt eine angenehme Schwere ein. Ich bin satt, ein wenig beduselt und mit zwei meiner liebsten Menschen zusammen. Erst jetzt fällt mir auf, dass der Kontakt mit erwachsenen Freunden in letzter Zeit tatsächlich zu kurz gekommen ist. Gleichzeitig fühle ich mich ungewohnt leicht. Zufrieden. Etwas, das mir leider unbemerkt abhandengekommen ist. Und als ich es endlich registriert habe, war es beinahe zu spät. Im letzten Jahr habe ich nur noch für Enis und unsere Beziehung gelebt. Nicht für mich. Habe versucht, meinen Platz dort zu finden, Enis weiter zu lieben, obwohl er mich immer mehr mit seiner Liebe erstickte. Dabei habe ich mich irgendwann selbst verloren. Habe funktioniert und gelebt, wie Enis es von mir erwartete. Was ich wollte, hat er nie gefragt. Aber ich habe es auch nicht eingefordert. Weil ich nicht genau weiß, was ich will.

Die letzten Stunden haben wir uns auf den neuesten Stand gebracht, uns Anekdoten erzählt, Tristans erste richtige Rolle gefeiert und ihn beglückwünscht. Haben gelacht und uns gegenseitig geärgert, als wären wir immer noch vierzehn. Jetzt hat sich Donovan mit einem Bier aufs Sofa verzogen und den Fernseher angemacht, Tristan und ich räumen die Küche auf und spülen das Geschirr.

»Was geht heute noch?«, ruft Donovan zu uns herüber, ohne den Blick von dem Basketballspiel zu nehmen. Breitbeinig fläzt er im Sitz, die Bierflasche auf dem Knie abgestellt.

»Ich bin eigentlich auf eine Party eingeladen und könnte euch sicher mitbringen«, gibt Tristan zurück, »aber ich bin mir nicht sicher, ob das was für euch ist.«

Schnaubend stellt Donovan den Ton leiser und dreht sich um neunzig Grad, um uns ansehen zu können. »Wieso? Party ist immer was für mich.«

»Hm. Es sind halt vor allem Intellektuelle eingeladen. Schauspieler, Künstler, Musiker, so was eben.«

Donovan trinkt einen Schluck und wischt sich anschließend einen Rest Schaum von der Oberlippe. »Macht mir nichts aus. Kenn ich alles von dir und von Eve. Gibt’s gratis Alk?«

Tristan nickt. »Ja. Und vermutlich auch andere Drogen.«

Donovan strahlt. »Das wird ja immer besser!« Wie ein Ganove reibt er sich die Hände.

Ich dagegen bezweifle, ob das wirklich so spaßig wird. Intellektuellenpartys sind entweder versnobt oder übertrieben hip. Beides ist nicht mein Fall. Von mir aus könnten wir auch einfach hier herumhängen, reden, trinken und nebenbei einen Film schauen, bevor Donovan und ich dann ins Hotel fahren und schlafen.

»Wer schmeißt die Party denn?«, will Donovan wissen.

Mittlerweile hat er sich zu uns in die Küche gesellt. Oder besser gesagt, das, was als Küche bezeichnet wird. In Wahrheit ist es eine Kochnische mit zwei Platten, einem Ofen und einem Oberschrank. Die ganze Wohnung hat gerade mal dreißig Quadratmeter und besteht aus genau einem großen Raum, der Küche, Wohn-, Ess- und Schlafzimmer in einem ist und einem winzigen Bad mit Toilette und einer Dusche, die für Zwerge konzipiert sein muss. Als ich vorhin pinkeln war, habe ich mich aus Neugier probeweise in die Kabine gestellt und konnte mich weder umdrehen noch wirklich bewegen. Einseifen wird unter solchen Bedingungen schwierig. Und Sex in der Dusche unmöglich. Wird aber ohnehin meiner Meinung nach überbewertet. Einer friert immer, es ist rutschig und beim Knien tun einem die Knochen weh. Diesbezüglich bevorzuge ich die Oldschool-Variante Bett. Trotzdem kostet dieser Schuhkarton um einiges mehr als meine Dreizimmerwohnung in Minot. Meine ehemalige Wohnung. Jetzt hat sie Enis ja besetzt. Ich muss unbedingt daran denken, den Mietvertrag ändern zu lassen. Vorsichtshalber mache ich mir eine Notiz in meinem Smartphone, damit ich es nicht vergesse. Aber gut. Dafür leben Tris und Rylee in New York und ich in einem Kuhkaff in North Dakota. Der gesamte Bundesstaat weist insgesamt nicht einmal ein Zehntel der Einwohner auf wie diese Stadt. Wahrscheinlich wäre ich hier heillos überfordert. Oder auch nicht. Keine Ahnung. Wirklich weg aus Minot war ich bisher nie, habe also keine Erfahrungen, wie ich mich woanders schlagen würde. Allerdings muss ich zu meiner Schande gestehen, dass mich die Fahrt in der vollgestopften Subway schon überfordert hat.

»Die Gastgeberin heißt Lovelyn. Ich habe sie bei einem Casting für eine Serie kennengelernt. Ich habe für einen Typen vorgesprochen, der zufällig entdeckt, dass er zaubern kann und sie für seine Freundin.«

»Häh, also so was wie Harry Potter?«, unterbricht ihn Donovan. »Hätte gut zu dir Nerd gepasst.«

»So ähnlich. Aber für Erwachsene. Mehr ... körperlich.«

Donovan prustet los und spuckt mir dabei versehentlich Bier aufs Hemd. Auch ich muss schmunzeln, vor allem, weil Tristan jetzt rot wird und nervös herumhibbelt. Ist ihm offenbar peinlich.

»Also ein Porno«, fasse ich zusammen.