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Die neurobiologische Alterung des Gehirns beginnt genau dann, wenn wir es am wenigsten erwarten. Bereits im jungen Alter von 20 Jahren, wenn wir uns auf dem Höhepunkt unserer intellektuellen Leistungsfähigkeit befinden, beginnt unser Gehirn anfangs unbemerkt zu altern. Für uns im Verborgenen geht Ungemach einher, denn das Gehirn beginnt kontinuierlich zu schrumpfen. Was genau wird im Alter schlechter und gibt es auch gute Nachrichten? Damit Sie ihr Gehirn in ihren besten Jahren ihr Gehirn noch voll ausschöpfen, finden Sie Tipps, Übungen Anregungen.
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Seitenzahl: 149
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1: Gesundes Hirnaltern – Wie verändert sich das Gehirn im Laufe des Lebens?
Gehirne altern unterschiedlich schnell
Das Gehirn altert nicht überall gleich schnell
Geschrumpfter Hippocampus
Graue und weiße Substanz betroffen
Das Gehirn schrumpft
Einschub: Dopamin, bedeutsam fürs Gedächtnis
Von wegen nur 1 Gedächtnis
Ultrakurzzeitgedächtnis
Kurzzeitgedächtnis – Arbeitsgedächtnis
Langzeitgedächtnis
Deklaratives (explizites) Gedächtnis: semantisches und episodisches
Non-deklaratives (implizites) Gedächtnis: prozeduales und perzeptuelles
Die Gedächtnisleistung nimmt ab: Das Arbeitsgedächtnis ist schuld!
Was sich im Alter verschlechtert
Womit lassen sich die Unterschiede begründen?
Lieber weniger Fernsehen
Super-Ager sind geistig fitter als die Mehrheit
Praktische Übungen als Gedächtnistraining
Kapitel 2: Warum es (auch) auf die Bildung ankommt
Was Wissenschaftler unter kognitiver Reserve verstehen
Kognitive Reserve: individuell verschieden
Bildung schützt vor geistigem Abbau
Besser früh aufbauen
Die Schutzfunktion der kognitiven Reserve
Kognitive Reserve im Alltag
Kapitel 3: In Bewegung bleiben – Der Einfluss von Bewegung auf die
Gehirngesundheit
Sport
Weniger Stresshormone durch Sport
Was hat Sport mit den Enden unserer Gene zu tun?
Schneller denken, besser konzentrieren
Genau hingeschaut: Molekularbiologische Ursachen
Was der Wachstumsfaktor BDNF alles bewirken kann
In den Zellen begründet: 4 Gründe für Sport
Besser spät als nie mit Sport anfangen
Kapitel 4: Der Einfluss der Ernährung auf die Gehirngesundheit
Das Gehirn isst mit
Darmbewohner in Überzahl
Interindividuelles Mikrobiom
Der Einfluss des Mikrobioms auf Krankheitsrisiken
Philosophische Fragen zum Nachdenken
Verdauungsapparat mit Nerven
Schauspiel der Gefühle auf der Theaterbühne Darm
Stress wirkt sich negativ aus
Erkrankungen mit gestörter Darm-Hirn-Achse
Übergewicht ist kein rein optisches Problem
Auch das Gehirn kann bei starkem Übergewicht leiden
Gemüse und Omega-3 statt Fleisch und Zucker
Zucker: nein danke
Fasten als gesunde Alternative
Tässchen Tee oder Kaffee
Vitamin B12 für Stimmung und Gehirn
Vitamine und ihre spezifische Wirkung
Mineralstoffe und Spurenelemente
Empfehlung
Kapitel 5: neue Aufgaben, Herausforderungen und ihre Wirkung
Gehirnjogging – Ja oder nein?
Lieber mit konkreten Aufgaben fordern
Weiterbildungen: Keine Frage des Alters
Digitale Demenz?
Zweisprachigkeit als Hirnbooster
Ein Rat aus dem alten Rom
Einschub Neurogenese
Kapitel 6: Sozial eingebunden sein macht das Hirn glücklich
Ein sozial aktiver Lebensstil
Welche Ursachen kann Einsamkeit im Alter haben?
Wie sich wenige soziale Kontakte auf Körper und Psyche auswirken
Soziales Netzwerk: ein Gewinn
Unterstützung in schwierigen Zeiten
Freundschaften im Alter pflegen und neue gewinnen
Jüngere tun Älteren meist gut
Auswirkung der Nachbarschaft auf kognitive Funktionen
Kapitel 7: Stress lass nach
Vom guten und schlechten Stress
Was passiert bei Stress im Gehirn?
Stressbalance: ein wichtiges Ziel
Die Vorteile der Meditation
Welche Auswirkungen hat Meditation?
Das Gehirn wird durch Meditation jünger
Andere Entspannungstechniken
Autogenes Training
Yoga
Stress und Telomere – Hängt das zusammen?
Kapitel 8: Erkrankungen des Gehirns
Man kann nicht der sein, der man sein möchte, wenn das Gehirn nicht richtig funktioniert
Leichte kognitive Verschlechterung
Mild Cognitive Impairment
Alzheimer: Symptome und Risikofaktoren
Morbus Parkinson: Nicht nur Zittern
Schlaganfall: Eine gestörte Blutversorgung schadet den Nervenzellen
Affektive Störungen und ihr Einfluss auf die kognitive Reserve
Einschub Depression, Telomere und Zellalterung
Kapitel 9: Philosophische Gedanken über das Altern
Die Phase des Alterns und alt seins
Ein positives Bild vom Altern versus Vorurteile
Der Einfluss der Gesellschaft
Emotionale Veränderungen im Alter
Gute Nachrichten über das Älterwerden
Optimistisch aufs Leben blicken
Sozial freier
Weiser und klüger nicht trotz, sondern dank nachlassender Hirnaktivität
Andere Kulturen, andere Definitionen des Weisheitsbegriffes
Der Sitz der Weisheit aus neuropsychologischer Sicht
Zum Abschluss einige kluge Gedanken von klugen Menschen zu Alter und Älterwerden
Kapitel 10: Plan für ein geglücktes Alter und Altern
Anhang: Gehirnaufbau
Die neurobiologische Alterung des Gehirns beginnt genau dann, wenn wir es am wenigsten erwarten. Bereits im jungen Alter von 20 Jahren, wenn wir uns auf dem Höhepunkt unserer intellektuellen Leistungsfähigkeit befinden, beginnt unser Gehirn anfangs unbemerkt zu altern. Für uns im Verborgenen geht Ungemach einher, denn das Gehirn beginnt kontinuierlich zu schrumpfen. Es wird kleiner und vor allem leichter. Während es auf seinem Höhepunkt ein Gewicht von durchschnittlich 1.200 g bei Frauen und etwas mehr bei Männern – 1.280 g im Durchschnitt – auf die Waage bringt, verliert es ab jetzt rund 100 g. Dabei erfolgt der Gewichtsverlust nicht auf einmal, sondern zieht sich die nächsten 70 Jahre, bis zur neunten Dekade, hin.
Die so genannte Lebensphase des Alterns beginnt mit 60 bis 65 Jahren. Aber alt ist laut Wissenschaft nicht gleich alt und deshalb unterteilt sie die Altersspanne in mehrere Phasen.
60 - 75: junge Ältere
75 - 80: mittelalte Ältere
80 - 89: alte Ältere
ab 90: sehr alte Ältere
Das Altern selbst ist kein einheitlicher Prozess und lässt sich in ein biologisches Alter, das sich auf den Körper bezieht, und ein psychologisches Alter, das sich auf den mentalen Zustand bezieht, unterteilen. Dann gibt es die Begriffe des primären, sekundären und tertiären Alterns.
Primäres Altern lässt sich durch altersbedingte Veränderungen im Körper wie Falten beschreiben.
Sekundäres Altern betrifft mögliche altersbedingte Veränderungen wie z.B. Arthrose.
Tertiäres Altern wiederum ist von ausgeprägtem körperlichem und geistigem Abbau geprägt.
Was erstmal recht deprimierend klingt, muss es nicht sein. Der Verlust körperlicher und geistiger Funktionen kann durchaus zu einem gewissen Grad durch alternative Handlungsmittel oder Ersatzmittel ausgeglichen werden. Der Funktionsstand kann dadurch so gut es geht aufrechterhalten werden.
Auch ist es in höheren Lebensjahren von Vorteil, sich auf wenige Ziele zu beschränken. Diese können dann selbst bei auftretenden Schwierigkeiten optimal verfolgt werden. Dazu lässt sich die Tatsache nutzen, dass die so genannte kristalline Intelligenz lange stabil bleibt. Sie steigt bis zum 25. Lebensjahr stark an und bleibt dann konstant. Unter dem Begriff kristalline Intelligenz versteht die Wissenschaft die Fähigkeit, erworbenes Wissen anzuwenden. Sie gilt als kulturabhängig und umfasst so wichtige Bereiche wie Sprache, Selbsterkenntnis und Reflexion. Im Vergleich dazu nimmt die so genannte fluide Intelligenz im Alter ab. Sie umfasst grundlegende Prozesse des Denkens und ist weitgehend unabhängig von Erfahrung. Es wird angenommen, dass sie genetisch determiniert ist. Sie steigt ebenfalls bis zum 25. Lebensjahr an, bleibt aber nicht stabil, sondern sinkt kontinuierlich ab.
Die Gehirne der Menschen altern in unterschiedlichen Geschwindigkeiten und so sind die Gehirnleistungen gerade im mittleren Lebensalter zwischen 40 und 70 Jahren sehr individuell. Generell lässt sich sagen, dass im Alter nicht alle Menschen annähernd gleich intelligent werden. Während in jüngeren Jahren viel Genaktivität in Kombination mit wenigen Genschäden auftritt, kehrt sich dieses Zusammenspiel im Alter um. Durchschnittlich kurz vor dem 40. Lebensjahr treten erste Genveränderungen auf, die beim Altern des Gehirns eine Rolle spielen. Eine Arbeitsgruppe um Yankner fand mögliche Genveränderungen in 20 Genen, die für Lernen, Gedächtnis und die Flexibilität der Gehirnzellen von Bedeutung sind. Mit fortschreitendem Alter sammeln sich immer mehr Genschäden an, mit denen die Genaktivität nicht mithalten kann. Doch nicht immer spiegeln sich die Genschäden direkt in der Hirnleistung wider. Vielmehr geschehen sie noch im Verborgenen. Denn zur selben Zeit treten protektive Gene in den Vordergrund. Sie haben die Aufgabe, Neurone zu schützen und beschädigte Zellen zu reparieren. Aufgrund der protektiven Gene zeigen sich kognitive Veränderungen möglicherweise zeitlich verzögert und machen sich erst Jahre nachdem sie tatsächlich aufgetreten sind, bemerkbar. In den mittleren Jahren sind sowohl genetisch junggebliebene wie auch vorzeitig gealterte Gehirne möglich, wobei sich alle Menschen normal verhielten und hirngesund waren. In den protektiven Genen könnte eine der Ursachen für die unterschiedlich schnell alternden Gehirne liegen. Manche Menschen haben einfach mehr Glück als andere und besitzen mehr oder besser funktionierende Helfergene als andere. Wahrscheinlich liegt die Wahrheit eines gut alternden Gehirns in einer Kombination aus genetischer Ausstattung und Umwelt, die sich durch Epigenetik auswirkt.
Die später in der Evolution entstandenen Gehirnregionen (siehe Anhang mit Details zum Gehirnaufbau) altern am schnellsten. Bei den evolutionär spät entstanden Hirnregionen handelt es sich um den Stirnlappen, auch bekannt unter dem Namen Frontallappen. Diese Gehirnregion ist die größte Struktur im menschlichen Gehirn und nimmt dessen gesamten vorderen Teil bis zur Zentralfurche ein. Er ist verantwortlich für sehr wichtige Aufgaben. So spielt er eine wichtige Rolle bei der Planung und Ausführung bewusster Bewegungen. Doch damit nicht genug. Der vordere Teil des Frontallappens – der präfrontale Cortex – ist der Sitz von Aufmerksamkeit, Planung und Entscheidungsfindung. Auch unser Nachdenken spielt sich in diesem Bereich ab. Folglich wird hier unsere Persönlichkeit verortet. Der kostbare präfrontale Cortex braucht mehr Zeit zum Reifen als alle anderen Teile des Gehirns. Erst im Alter von 25 Jahren, also weit nach der gesetzlichen Selbständigkeit, hat er seine Entwicklung beendet. Für manche Eltern wird dies beruhigend sein, wenn sie an ihren volljährigen Kindern zweifeln, die noch nicht vollumfänglich vorausschauend planen. Das kann also noch gut werden.
Neben dem präfrontalen Cortex ist der Hippocampus am stärksten vom Altern betroffen. Die nach dem angeblichen Aussehen eines Seepferdchens benannte Hirnregion ist essentiell für die Bildung neuer Gedächtnisinhalte. Sprich, wer sich etwas Neues merken möchte oder muss, braucht gut funktionierende Seepferdchen im Gehirn. Dieses Seepferdchen, der Hippocampus, ist eine der zentralen Strukturen in unserem Gehirn und dient neben der erwähnten Gedächtnisbildung der Steuerung unsere Effekte. Wie wichtig der Hippocampus ist, fällt besonders auf, wenn er ausfällt. Zum Glück haben die Menschen zwei von ihnen, jeweils in der Nähe der Ohren. Das Fehlen nur eines Hippocampus ist zu verschmerzen. Sind jedoch beide verloren oder funktionslos, kommt es zu dramatischen Symptomen. Woher weiß man das? In früheren Zeiten wurden manchmal beide Seepferdchen entfernt, um ansonsten inoperable Epilepsien zu behandeln. Als bekanntester Patient dieser Operation erlangte Henry Gustav Molaison fraglichen Ruhm in der Fachwelt. Denn er behielt von der Entfernung beider Hippocampi eine typische Gedächtnisstörung zurück: die anterograde Amnesie. Betroffene können keine neuen Inhalte über sich und die Welt – bezeichnet als deklaratives Gedächtnis – mehr abspeichern. Das Weltwissen und Autobiographisches können sie jedoch, wenn auch eingeschränkt, nach wie vor abrufen. Merken können sich die Betroffenen nichts für mehr als ein paar Sekunden oder Minuten. Ohne Hippocampi bleibt die Zeit stehen.
Im Hippocampus findet, wie man nun weiß, die so genannte Langzeitpotenzierung statt, die für die dauerhafte Speicherung von Inhalten notwendig ist. Zustande kommt sie durch unterschiedliche, gleichzeitig aktive Nervenzellen. Dies führt zu einer Verstärkung der Synapse und einem erleichterten Informationsaustausch zwischen den Nervenzellen über diese Synapse. Außerdem sind die Hippocampi einer der wenigen Orte im Gehirn, an dem neue Nervenzellen entstehen. Der als Neurogenese bezeichnete Prozess ist noch nicht vollständig geklärt (später mehr dazu). Ein Zusammenhang zwischen gestörter Neurogenese und Depression wird vermutet. Schrumpft der Hippocampus im Alter, nimmt die Vergesslichkeit zu. Die Namen der früheren Nachbarn liegen auf der Zunge, aber sie wollen einem einfach nicht einfallen. Meist erinnert man sich erst dann, wenn die Nachbarn ungegrüßt von dannen gestritten sind.
Der Alterungsprozess betrifft sowohl die graue als auch die weiße Substanz und die hier stattfindende Aktivität. Doch was ist mit grauer und weißer Substanz gemeint? Im Gehirn lassen sich zwei grundlegende Gewebetypen unterscheiden: die graue und die weiße Substanz. Die graue Substanz besteht hauptsächlich aus Nervenzellen und bildet den an der Oberfläche des Gehirns liegenden Cortex mit einigen zentral liegenden subkortikalen Kerngebieten. Davon unterscheidet sich die weiße Substanz, die sich aus den Fasern der Nervenzellen zusammensetzt. Im Rückenmark fällt die graue Substanz durch seine zentrale Schmetterlingsform auf, die von weißer Substanz umgeben ist. In Wirklichkeit ist die als graue bezeichnete Substanz in lebenden Gehirnen durch die Durchblutung zart rosa und ihre graue Farbe erhält sie erst postmortem in Formalin fixiertem Zustand. Die weiße Farbe kommt makroskopisch durch den hohen Fettanteil mit 70 % im Verhältnis zum geringen Proteinanteil mit 30 % zustande. Nicht nur ihr farbliches Aussehen unterscheiden die Strukturen. Ihren Bestandteilen entsprechend sind ihre Aufgaben. Die graue Substanz aus Nervenzellen nimmt die Reize auf und verarbeitet sie. Die Weiterleitung übernehmen dann die Fasern der Nervenzellen (Axone) mit ihrer weiß erscheinenden Myelinschicht, die so genannte weiße Substanz.
Die Geschwindigkeit der Reiz/Informationsweiterleitung hängt direkt mit der Dicke der Myelinschicht zusammen. Je stärker die im inneren der Nervenfaser stattfindende Weiterleitung von der äußeren Umgebung isoliert ist, desto schneller ist sie. Neue Ergebnisse erweitern die Aufgaben der weißen Substanz, was sich – ähnlich den Beobachtungen nach der operativen Entfernung beider Hippocampi – erst bei Schäden der Substanz bemerkbar machte. Auch für die Sprache, das Gedächtnis und die im präfrontalen Cortex lokalisierte Aufmerksamkeit spielt die weiße Substanz eine Rolle. Kleine spezifische Schäden der weißen Substanz, so genannte „white matter lesions“ sind im MRT als kleine, grellweiße Flecken sichtbar.
Der Verlust von Gehirngewebe lässt sich im Hirnscan sichtbar machen. Das abnehmende Gehirnvolumen und -gewicht im alternden Gehirn tritt nicht durch ein Massensterben der Hirnzellen auf. Die Ursachen sind andere: vorhandene Hirnzellen schrumpfen und die sie verbindenden Synapsen werden weniger. Zusätzlich nimmt die Aktivität der Neurogenese ab mit dem Ergebnis, dass weniger neue Hirnzellen gebildet werden und die entstandenen Lücken auffüllen können. Zusätzlich kommt es zu einem Abbau der die Nervenzellen stützenden und unterstützenden Gliazellen. Glia ist abgeleitet aus dem griechischen Wort Glia für Leim, denn früher dachte man, diese Zellen hätten keine andere Funktion als die wichtigen Nervenzellen zusammen zu halten. Eine Annahme, die sich im Laufe der Forschungsarbeit als Irrglaube herausstellte. Ein Ausdünnen der Verbindungen zwischen den Nervenzellen macht sich durch abnehmende Leistungskapazität und Lernfähigkeit bemerkbar. Außerdem erweitern sich die Furchen und die Windungen mit der grauen Substanz werden schmaler.
Wer gut altert, kann kognitive Ausfälle durch Verlagerung der Hirnaktivität ausgleichen. Es kommt zur Übernahme einer Aufgabe durch andere als die bisher zuständigen Hirnbereiche. Eigentlich ist das Gehirn weniger ein Alleskönner als ein Spezialist. Es definiert bestimmte Gehirnbereiche für bestimmte kognitive Leistungen, was eine so genannte Asymmetrie hervorruft. Fällt eine Gehirnregion durch eine Schädigung wie einen Schlaganfall aus und kann die ihm zugewiesenen Aufgaben nicht mehr genügend ausüben, macht sich dies je nach betroffener Region auf fatale Weise bemerkbar. Das alternde Gehirn beugt Gefahren der Asymmetrie schon vorausschauend vor, indem es die Ungleichheit verringert. Der gleichmäßigere Einsatz beider Hirnhälften betrifft vor allem den Frontallappen mit den beschriebenen wichtigen Aufgaben der Planung, Entscheidungsfindung und Aufmerksamkeit. Die zunehmende Nutzung beider Hirnhälften für die gleichen Aufgaben kann somit mögliche Ausfälle einer Hälfte ausgleichen und sorgt so für Kompensation. Die Verringerung der Asymmetrie geht mit besseren kognitiven Leistungen im Alter einher, als wenn die Symmetrie bestehen bleibt. Zustande kommt dies wahrscheinlich durch Reorganisation bisher nicht zusammenarbeitender Hirnregionen, deren veränderte Kombination sogar zu besseren kognitiven Leistungen als zuvor führen kann.
Dem Neurotransmitter Dopamin kommt in Bezug auf Gedächtnisleistungen eine besondere Aufgabe zu. Er steuert neben Actetylcholin entscheidend die selektive Aufmerksamkeit, das Arbeitsgedächtnis und das Langzeitgedächtnis. Leider nimmt die Produktion und somit die Ausschüttung von Dopamin im Alter ab, weil die dopaminproduzierenden Zellen mit ihren Ausläufern in den Stirnlappen weniger werden. Im Alter von 40 Jahren enthält das menschliche Gehirn durchschnittlich knapp 600.000 dopaminerge Zellen, die auf Dopamin reagieren oder Dopamin als Neurotransmitter enthalten. Mit 70 Jahren ist ihre Zellzahl auf rund 350.000 Zellen gesunken.
Für die kognitive Leistung ist das fatal, denn je niedriger der Dopaminspiegel ist, desto schlechter fällt die kognitive Leistung aus. Zusätzlich kann sich im hohen Alter eine ungünstige genetische Veranlagung bemerkbar machen. Denn wie Dopamin verstoffwechselt wird, hängt vom so genannten COMT-Genotyp ab. Die Abkürzung COMT steht für das Dopamin abbauende Enzym Catechol-O-Methyltransferase. Die Auswirkungen sind u.a. geringere Neugier und Unternehmungslust. Der Unterschied macht sich durchschnittlich erst ab den 70er Lebensjahren bemerkbar.
Im Alter schlägt der genetische Faktor durch, weil zwei Effekte auf fatale Weise zusammenkommen: Einerseits nimmt wie erwähnt generell die Dopaminmenge im Gehirn ab und wer aufgrund seines COMT-Gens sowieso geringere Dopaminmengen hat, hat in doppelter Hinsicht das Nachsehen. In jungen Gehirnen ist die Zahl der dopaminproduzierenden Zellen so hoch, dass die ungünstige COMT-Genvariante unbemerkt bleibt.
Für das Überleben der dopaminproduzierenden Neurone kommt dem neuronalen Wachstumsfaktor BDNF (brain derived neurotrophic factor) eine wichtige Rolle zu. Außerdem beeinflusst BDNF das Langzeitgedächtnis direkt und ist an der Umstrukturierung des Gehirns bei Lernvorgängen beteiligt. Und natürlich bei der Neurogenese. Es gibt zwei genetische Varianten von BDNF, die sich nur in einer Aminosäure unterscheiden. Eine Variante ist effizienter als die andere. Leider nimmt im Alter die Menge von BDNF ab mit einem negativen Effekt auf dopaminproduzierende Zellen. Und Stress hat bei der komplizierten Gemengelage auch noch die Finger mit ihm Spiel. Denn Stress sorgt für die Freisetzung von Cortisol und das unterdrückt die Produktion des neuronalen Wachstumsfaktors. Alles in allem keine gute Situation für den wichtigen Botenstoff, der so dringend benötigt wird.
Ohne Gedächtnisleistung kommen wir zweifellos nicht weit, doch was genau steckt hinter dem Begriff? Wissenschaftlich betrachtet ist das Gedächtnis ein Prozess der Informationsaufnahme, der in 4 Phasen untergliedert wird:
Die Aufnahme der Information (Enkodierung)
Die Speicherung der Information (Konsolidierung)
Dem Abruf der Information (Erinnern)
Dem Vergessen
Für die Dauer der Speicherung ist einerseits die aufgewendete oder der Information zugewandte Aufmerksamkeit ausschlaggebend und andererseits die Verknüpfung der Gedächtnisinhalte mit Emotionen und Bewertungen. Die positive Verstärkung von Erinnerungen wird über das dopaminerge System vermittelt.
Je nach Dauer der Informationsspeicherung unterteilt man das Gedächtnis in:
Ultrakurzzeitgedächtnis
Kurzzeitgedächtnis
Langzeitgedächtnis
Das Ultrakurzzeitgedächtnis trägt seinen Namen zu Recht. Für nur 0,5 bis 2 Sekunden speichert es jede Information aus der Umgebung. Alles, was unser Gehirn über unsere Sinnesorgane – visuell über die Augen, auditiv über die Ohren, olfaktorisch über die Nase, gustatorisch über den Mund und haptisch und taktil über die Haut – erreicht, wird dort sehr kurz gespeichert. So ist uns die Orientierung im Raum möglich. Dabei filtert das Ultrakurzzeitgedächtnis nach bestimmten Merkmalen und Mustern, welche dieser unzähligen Informationen von längerer Dauer bedeutsam sein könnten und überführt diese dann ins Kurzzeitgedächtnis.
Eine bewusste Informationsverarbeitung beginnt im Kurzzeitgedächtnis. Es trägt synonym den Namen Arbeitsgedächtnis, wobei beide Begriffe nicht völlig identisch sind. Das Kurzzeitgedächtnis speichert den ausgewählten Teil der wahrgenommenen Informationen für 15 bis 30 Sekunden. Während dieser Zeitspanne können sie verarbeitet werden und ihr Schicksal entscheidet sich: sie werden entweder ins Langzeitgedächtnis überführt oder dem Vergessen anheimgegeben.