Wie schreibe ich eine Seminar- oder Examensarbeit? - Walter Krämer - E-Book

Wie schreibe ich eine Seminar- oder Examensarbeit? E-Book

Walter Krämer

4,6

Beschreibung

Spätestens beim Verfassen der ersten Seminararbeit stehen viele Studierende vor großen Schwierigkeiten. Denn noch immer hängt ein erfolgreiches Studium hauptsächlich von der Benotung schriftlicher Hausarbeiten ab. Wie schreibe ich eine Seminar- oder Examensarbeit?? ist die erweiterte und aktualisierte Neuauflage eines Standardwerks zu allen Fragen der schriftlichen wissenschaftlichen Arbeit, das vor allem für Studierende der Sozial-, Geistes- und Wirtschaftswissenschaften geeignet ist. Walter Krämer befasst sich in diesem Ratgeber mit allen Problemen, die beim Verfassen von Seminar- oder Examensarbeiten auftauchen: ° Wie wähle ich das richtige Thema aus? ° Wie organisiere ich meine Arbeit effektiv? ° Wie recherchiere ich mittels EDV? ° Was muss ich bei Gliederung und äußerer Form beachten? ° Worauf kommt es beim richtigen Zitieren an? ° Worauf muss ich bei der Niederschrift und der Endredaktion achten? Walter Krämers umfassendes Buch begleitet Studierende kompetent und verlässlich vom ersten Semester bis zum Examen. Autor: Walter Krämer, Autor des Bestsellers So lügt man mit Statistik, ist Professor für Wirtschafts- und Sozialstatistik an der Universität Dortmund. Neben zahlreichen weiteren Büchern ist im Campus Verlag von ihm auch das Buch Statistik verstehen (3. Aufl. 1998) erschienen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 272

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,6 (16 Bewertungen)
10
6
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Krämer, Walter

Wie schreibe ich eine Seminar- oder Examensarbeit?

www.campus.de

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Copyright © 1999. Campus Verlag GmbH

Besuchen Sie uns im Internet: www.campus.de

E-Book ISBN: 978-3-593-40006-8

|10|Vorwort

Dieser Leitfaden ist für die zwei Millionen Studenten und Studentinnen an deutschen, österreichischen und Schweizer Universitäten, Fachhochschulen und Berufsakademien gedacht, die demnächst eine Abschlussarbeit abzuliefern haben. Er ist aus meiner eigenen Erfahrung des Schreibens wie des Lesens wissenschaftlicher Texte heraus entstanden und soll all die Fehler vermeiden helfen, von Themen- und Betreuerwahl über das Gestalten von Grafiken, Fußnoten und Tabellen bis zu Schriftgröße und Seitenrand und anderen formalen Eigenschaften eines Manuskripts, die ich früher als Student selbst gemacht habe und die mir heute bei meinen eigenen Studenten immer wieder neu begegnen.

Auch wenn dabei meine eigene akademische Heimat, die Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, an einigen Stellen durchscheinen sollte: Dieser Ratgeber ist für alle Fächer und Fakultäten angelegt. Eine klare Präsentation und Dokumentation, ein konsistenter Stil und Quellentreue sind in der Soziologie und Betriebswirtschaftslehregenauso wichtig wie in der Germanistik und Physik, sodass ich auf den folgenden Seiten bewusst auf eine fachspezifische Ausrichtung verzichtet habe.

Ebenfalls verzichtet habe ich auf eine konsequent geschlechtsneutrale Formulierung; Leserinnen und Leser sind selbstverständlich gleichermaßen angesprochen.

Dortmund, im Juli 1999

Prof. Dr. Walter Krämer

|6|Es kommt wahrhaftig in dem Fortgang der Wissenschaften nicht darauf an, ob einer etwas in dem, was sonst groß genannt wird, getan hat. Wenn nur jeder täte, was er könnte, den Teil von Kenntnissen verarbeitete, dessen er mächtig ist und in welchem er schärfer sieht als tausend andere. Dieses ist die ganze Sache eigentlich.

Georg Christoph Lichtenberg

|13|1. Wie fängt man an? Thema, Materialsuche und Arbeitsplan

»Der bei weitem beste Weg, um in der Forschung Tüchtiges zu leisten, ist, damit anzufangen.«

(Peter Medawar, Nobelpreisträger für Medizin, 1960)

Wissenschaftliches Arbeiten – was ist das überhaupt?

Warum haben so viele Studenten und Studentinnen solche Angst vor ihrer Abschlussarbeit? Weil sie bei »Wissenschaft« an Staub und Kommunionsanzüge denken. Und wenn nicht an Staub und Kommunionsanzüge, dann an feierliche Reden und an Königin Silvia (oder wer in Stockholm die Nobelpreise verleiht).

Mein erster Rat am Anfang dieses Buches: Bewahren Sie sich Ihre Unbefangenheit. Lassen Sie sich nicht vom Kanzleideutsch des Brockhaus ins Bockshorn jagen, wenn er schreibt, dass Wissenschaft »der Prozess methodisch betriebener, prinzipiell intersubjektiv nachvollziehbarer Forschung und Erkenntnisarbeit ... auf Grund eines ursprünglichen, sachbestimmten Wissensdranges und Wahrheitssuchens« sei – dieser Wort-Weihrauch ist völlig überflüssig.

Wenn wir diese Begriffsbestimmung auf ihren Kern reduzieren, dann kommt so etwas wie »systematische und nachvollziehbare Befriedigung von Neugier« heraus. Das klingt wenig anspruchsvoll und soll es auch sein. Wir müssen nur systematisch und nachvollziehbar nach der Wahrheit suchen und schon betreiben wir Wissenschaft, auch ohne Studium und Abitur. Wie die Teilnehmer des Bundeswettbewerbes »Jugend forscht« jedes Jahr aufs Neue zeigen, ist Wissenschaft auch ohne Großrechner, griechische Symbole und Universitätsdiplome möglich – Neugier und Ehrlichkeit genügen. Zwar befinden wir uns damit noch nicht auf einer Stufe |14|mit Einstein, aber das wird von einer studentischen Abschlussarbeit ja auch nicht verlangt.

Der Standardfall in Deutschland ist wohl die Diplomarbeit. Sie »soll zeigen, dass der Kandidat in der Lage ist, innerhalb der vorgegebenen Zeit ein Problem aus seiner Fachrichtung selbständig nach wissenschaftlichen Methoden zu bearbeiten« (Diplom-Muster-Prüfungsordnung meiner Heimat-Universität). »Die Diplomarbeit soll zeigen, dass der Kandidat befähigt ist, innerhalb einer vorgegebenen Frist eine praxisorientierte Aufgabe aus seinem Fachgebiet sowohl in ihren fachlichen Einzelheiten als auch in den fachübergreifenden Zusammenhängen nach wissenschaftlichen und fachpraktischen Methoden selbständig zu bearbeiten« (Prüfungsordnung Fachhochschulen). Gleiches gilt für schriftliche Hausarbeiten: »Die schriftliche Hausarbeit ... dient der Feststellung, ob der Kandidat ein auf sein Lehramtsstudium bezogenes Thema innerhalb eines bestimmten Zeitraums selbständig wissenschaftlich ... bearbeiten kann« (Lehramts-Prüfungsordnung).

Diese wie auch immer im Einzelfall benannte Schrift soll im Folgenden nur »Abschlussarbeit« heißen. Sie ist in der Regel die erste größere selbständige Schrift ihres Verfassers oder ihrer Verfasserin und schließt das Studium in der Regel ab. Davon gehe ich der Konkretheit halber im Weiteren auch aus. Aber natürlich betrifft das Folgende auch studienbegleitende Arbeiten auf der einen und weiterführende Projekte wie Dissertationen oder Habilschriften auf der anderen Seite. Denn der Unterschied zwischen einer bescheidenen Seminararbeit und einer Doktorarbeit ist kleiner, als die meisten glauben: Man soll zeigen, dass man wissenschaftlich arbeiten kann, dass man die Regeln der akademischen Kunst beherrscht und diese Regeln sind für alle wissenschaftlichen Arbeiten dieselben.

Erstens: alles nachvollziehbar halten.

Zweitens: Meinungen und Fakten nicht vermengen.

Drittens: neue Erkenntnisse gewinnen wollen.

Und Spaß machen darf das alles auch. Denn Wissenschaft ist auch »eine Aktivität, die Neugier und das Ego befriedigt« (Komarek 1989, S. 80). »Sie ist in erster Linie unabhängig von Gedanken der |15|Anwendung oder Nützlichkeit. Man beschäftigt sich mit Wissenschaft aus Freude an der Vermehrung des Kulturgutes der Menschheit, aus Wertschätzung und Hochachtung vor dem Erbe von Generationen großer Geister und natürlich auch, um als erster zu publizieren und bekannt, anerkannt, ja wenn möglich berühmt zu werden.«

Wissenschaft und Wahrheit

Wissenschaftlich heißt nicht wahr; nur wer überhaupt nicht denkt, macht keine Fehler. Wissenschaftlichkeit hat nur mit der Methode der Gewinnung, nicht mit der Wahrheit einer Aussage oder Theorie zu tun. Große Wissenschaftler haben über Jahrhunderte geglaubt, dass die Sonne um die Erde kreise, dass Atome niemals spaltbar seien (so der Chemie-Nobelpreisträger Ernest Rutherford noch Anfang des 20. Jahrhunderts) oder dass die Erde eine hohle Kugel sei (so eine Theorie des berühmten Astronomen Edmond Halley, nach dem der halleysche Komet benannt ist). Aristoteles, einer der größten Wissenschaftler überhaupt, lehrte, dass Insekten spontan aus Schlamm heraus entstünden und dass die Welt aus nur vier Elementen – Feuer, Wasser, Luft und Erde – bestehe, plus dem sogenannten »Äther«, der den Himmel fülle. Schwere Gegenstände fallen nach seiner Naturlehre schneller als leichte, Wein in einem großen Fass mit Wasser wird selbst zu Wasser und ein Rebhuhnweibchen wird befruchtet, wenn der Wind vom Männchen her weht. Der große Immanuel Kant glaubte entdeckt zu haben, dass die ihm so verhassten Wanzen aus Sonnenlicht entstünden (worauf er bis zu seinem Tod sein Schlafzimmer rund um die Uhr verdunkeln ließ), und selbst Albert Einstein, der moderne Prototyp des genialen Wissenschaftlers, lag zumindest mit einer seiner Theorien voll daneben: Er glaubte lange Zeit, dass das Universum niemals expandieren könne, wohingegen unter Physikern heute wohl Einigkeit darüber besteht, dass dieses sich sehr wohl, und zwar rasant, erweitert.

All diese Fehler haben ihre Väter nicht daran gehindert »anerkannt, ja wenn möglich berühmt zu werden.« Denn alle haben sie |16|ehrlich nach der Wahrheit und nach neuen Erkenntnissen gesucht. Und auf diesem Weg darf man durchaus auch einmal stolpern.

Das richtige Thema wählen

Bevor wir mit dem Schreiben anfangen, müssen wir natürlich wissen, worüber wir denn schreiben sollen oder wollen. Vorausgesetzt, man hat überhaupt eine Wahl. In manchen Massenfächern erhält man sowohl das Thema wie auch den Betreuer zugelost. Hier heißt es: Friss oder stirb und man muss nehmen, was man kriegt. Es gibt zum Beispiel wirtschaftswissenschaftliche Fakultäten, die zu bestimmten Terminen die Diplomarbeiten unter den Kandidaten auswürfeln. Auch bei Seminararbeiten ist oft keine Auswahl möglich: Man meldet sich an und erhält dann eines der Themen zugeteilt.

In der Regel hat man aber als Student oder Studentin einen gewissen Einfluss auf das Thema einer Arbeit. Und diesen Einfluss sollte man auch nutzen. Bei Seminaren beispielsweise steht immerhin das Oberthema vorher fest und man kann sich überlegen: Passt mir diese Richtung überhaupt? Bei Magister-, Examens- und Diplomarbeiten sind selbst dann, wenn Themen zufällig vergeben werden, in aller Regel mehrere Töpfe vorhanden, aus denen man sein Thema zieht, wenn nicht gar, wie in den meisten Naturwissenschaften oder in der Mathematik, das Thema völlig frei mit dem Betreuer ausgehandelt wird. Deshalb sollte man sich, bevor man sich festlegt oder festlegen lässt, in einer ruhigen Minute einmal fragen: Was kann ich besonders gut? Liegen meine Stärken eher im kritischen Literaturvergleich, im Quellenstudium oder in der logischen Ableitung? Wen, falls überhaupt jemanden, will ich mit der Arbeit beeindrucken? Will ich in der Wissenschaft bleiben oder nicht? Bin ich eher theoretisch oder praktisch interessiert? Für welche Themen brauche ich Fremdsprachen, und beherrsche ich diese überhaupt? Kann ich mit Rechnern und Softwarepaketen umgehen? Brauche ich einen Betreuer, der mir genau vorschreibt, was ich machen soll, oder bin ich lieber auf mich selbst gestellt? |17|Werde ich Zugang zu Bibliotheken und Labors besitzen? Gibt es auf meinem Lieblingsgebiet schon Vorarbeiten? Erst dann wählt man mit viel Bedacht ein Thema aus.

Denken Sie dabei daran: Eine akademische Abschlussarbeit ist nicht der Ort, völlig neue intellektuelle Sphären zu erkunden (ich rede hier von Examens- und Diplomarbeiten; bei Doktorarbeiten liegt die Sache etwas anders). Vielmehr sollte man ein Thema wählen, das man aus Vorlesungen, Seminaren oder aus dem Alltagsleben kennt. Kann ich z. B. Schwedisch, weil meine Mutter Schwedin ist, so wäre eine pädagogische Diplomarbeit zu Kindergärten in Skandinavien nicht schlecht, und wenn mein Vater eine Heizölfirma betreibt, so könnte ich als Student der BWL erwägen, eine Diplomarbeit zum Thema »Das Wetter und die Heizölpreise« zu verfassen. Wenn einem angehenden Mathematiker eine Vorlesung über Zahlentheorie besonders gut gefallen und er sich in diese Materie schon eingearbeitet hat, könnte man an eine Diplomarbeit über Primzahlverteilungen denken und wer gerade einen mit »sehr gut« benoteten Seminarbericht über »das deutsche Kino von 1920 bis 1930« zurückbekommen hat, sollte – sofern erlaubt – zum gleichen Thema auch seine Abschlussarbeit schreiben. Die Grundregel ist immer: möglichst viel von dem verwenden, was man ohnehin schon kann, umso mehr Zeit hat man für etwas Neues und umso größer sind die Aussichten auf eine gute Note.

Informieren Sie sich auch über die nötigen Vorkenntnisse für Ihre Arbeit. Es ist zum Beispiel völlig klar, dass man in einer sprachwissenschaftlichen Arbeit über den französischen Roman des 19. Jahrhunderts auch Französisch können muss. Genauso braucht man für Arbeiten über Dante Kenntnisse des Italienischen und für eine Würdigung der deutschen Humanisten des 16. Jahrhunderts auch Griechisch und Latein. Und selbst bei Arbeiten, bei denen man Fremdsprachenkenntnisse auf den ersten Blick für zweitrangig halten könnte, stellen sich diese oft als wichtiger heraus als einem lieb sein kann. Ich kenne eine Studentin, die sich auf eine Doktorarbeit zum Thema »Der Außenhandel zwischen Hamburg und Schanghai im 19. Jahrhundert« eingelassen hatte und nach längeren Vorarbeiten von ihrem Betreuer Folgendes hören musste: »Was, Sie können kein Chinesisch? Was wollen Sie hier überhaupt?«

|18|Derart böse Überraschungen lassen sich vermeiden, wenn man schon im Vorfeld klärt, was an Sprachkenntnissen für die jeweilige Arbeit nötig ist.

Ebenso steht es mit EDV-Kenntnissen. In vielen angewandten Fächern setzen Betreuer oft stillschweigend voraus, dass ihre Kandidaten die für eine empirische Arbeit nötige Software bereits kennen. Ganz zu schweigen von der Unterstellung, dass er oder sie zu Hause einen Rechner hat. Auch hier ist es im höchsten Maße sinnvoll, vorher solche Fragen abzuklären.

Besser zu enge als zu weite Themen

Eine gefährliche Anfängerfalle sind zu weit gefasste Themen. So verlockend es auch scheinen mag, mit einer Arbeit »Die deutsche Literatur des 20. Jahrhunderts« vor die Welt zu treten, nehmen Sie das Thema nicht. Das Desaster wäre vorprogrammiert. Selbst bei unbegrenztem Talent und Zeitbudget ist eine solche Betrachtung auf seriöse Weise in einer einzigen Arbeit nicht zu leisten. Selbst das Unterthema »Der Arbeiter in der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts« erscheint mir immer noch zu weit. Wie leicht hat man eine wichtige Quelle übersehen oder eine bekannte Koryphäe nicht zitiert. Und schon hat ein böswilliger Gutachter den besten Grund, dem Kandidaten etwas anzuhängen (und Sie glauben ja nicht, wie dankbar viele Gutachter für solche Gelegenheiten sind, ihre eigene Überlegenheit zu zeigen).

Wählen Sie stattdessen das Thema »Der Arbeiter als Held und Opfer bei Bertolt Brecht« – hier haben Sie eine reelle Chance, die einschlägige Literatur vollständig zu erfassen. Außerdem weiß man dazu dann bald mehr als jeder, der die Arbeit später zu benoten hat. Weitere, bereits erfolgreich von angehenden Germanisten bearbeitete Themen sind: »E. T. A. Hoffmanns ›Die Abenteuer der Sylvester-Nacht‹ – eine Analyse der Gestaltung und Grundprobleme unter besonderer Berücksichtigung des Spiegelbildmotivs« oder: »Christoph Ransmayrs Roman ›Die letzte Welt‹ im Licht der deutschen Literaturkritik« – diese Themen respektieren das beschränkte Zeitbudget eines Diplom-, Magister- oder Staatsexamenskandidaten, |19|sie machen nicht von Anfang an das Erreichen eines Ziels unmöglich.

Diese Gefahr – sich in überehrgeizigen Projekten zu verrennen – ist je nach Studienfach verschieden: In den Naturwissenschaften oder in der Mathematik, wo präzise Fragen und genaue Antworten erwartet werden, droht sie eher selten. Hier vergeben schon die Betreuer von sich aus gerne Arbeiten wie »Die Analyse wildrüben-spezifischer cDNAs aus einer Beta-procumbens-Translokation in Zuckerrüben« oder »Die Heuschreckenfauna in der Fischbeker Heide unter besonderer Berücksichtigung der Besiedlung verschiedener Sukzessionsstadien von Besenheidengesellschaften«. Aber in den sogenannten »weichen« Wissenschaften sind auch die Themen vielfach zunächst weich, hier sollte man gleich zu Anfang auf eine präzise und vor allem auf eine begrenzte Fragestellung achten. In der Sozialpsychologie z. B. wäre eine Diplomarbeit zum Thema »Wie bewältigen moderne Arbeitnehmer den Eintritt in die Rente« viel zu anspruchsvoll. Schon eher machbar, aber immer noch zu weit gefasst, wäre eine Arbeit »Der Übergang in die Rente unter Industriearbeitern«. Darüber ließe sich vermutlich eine gute Doktorarbeit schreiben. Für eine Diplomarbeit reicht völlig »Bewältigungsmuster von alleinstehenden Frauen in der Nacherwerbsphase – Eine qualitative Untersuchung von Teilnehmerinnen der Betriebskrankenkasse XXX«. In der Informatik würde ich niemandem eine Diplomarbeit mit dem Thema »Lernprogramme im Internet« empfehlen. Besser: »Probleme beim Entwurf multimedialer JAVA-gestützer Lernprogramme im World Wide Web«. In den Geschichtswissenschaften wäre eine Arbeit mit dem Titel »Der spanische Bürgerkrieg« ein Lebenswerk. Selbst eine Arbeit »Der spanische Bürgerkrieg im Spiegel der Literatur« wäre immer noch zu anspruchsvoll. Allenfalls machbar erscheint mir hier »Dichtung und Wahrheit zum spanischen Bürgerkrieg in der Prosa Ernest Hemingways«. Und selbst in einer vergleichsweise exakten Wissenschaft wie der Architektur könnte man sich durch einen vagen Titel wie »Das niederdeutsche Fachwerk« schnell den Vorwurf »Thema verfehlt« einhandeln. Warum nicht: »Konstruktions- und Schmuckformen niederdeutschen Fachwerks im 18. Jahrhundert am Beispiel der Städte Hildesheim und Osnabrück«? |20|Damit sind wir immer auf der sicheren Seite: Das Feld, das abgeerntet werden muss, ist eng umgrenzt, wir können wirklich vor dem nächsten Winter damit fertig werden.

Natürlich klingen solche ellenlangen Titel nicht sehr elegant. Ein Ausweg ist ein knackiger Obertitel garniert mit einem Untertitel, der die Beschränkung auf ein Teilgebiet verdeutlicht, so wie in einigen der obigen Beispiele bereits gesehen: »Humor in der Werbung – Eine vergleichende Untersuchung der Fernsehwerbung in Deutschland und den USA«. Oder: »Politik und Sprache – Ein Vergleich von CDU und SPD anhand der Schwangerschaftsabbruchdebatte 1992 im Deutschen Bundestag«.

Wie immer gibt es aber auch Ausnahmen. In der Psychologie z. B. sind durchaus Diplom- oder Doktorarbeiten wie »Mobbing am Arbeitsplatz« vorstellbar; hier würde eine Einschränkung wie »Mobbing bei der Deutschen Telekom AG« reichlich gekünstelt wirken (eine Einschränkung der Art »Mobbing unter ungelernten Hilfsarbeitern« wäre aber durchaus denkbar). Von dergleichen Ausnahmen abgesehen lohnt es aber wissenschaftlich eher, auf eng gestecktem Gelände tief zu bohren als weite Gebiete großflächig, aber oberflächlich abzuräumen. Das sollte man den großen alten Damen und Herren eines Faches überlassen, die am Ende ihrer Laufbahn rückblickend ihr Lebenswerk zusammenfassen. Für den Anfang eines Lebenswerkes eignen sich solche großen Übersichten eher selten.

Der richtige Betreuer

Auch bei der Wahl des Betreuers bzw. der Betreuerin zahlt sich etwas Überlegung aus. Kein Hochschullehrer ist wie der andere, einige kümmern sich um ihre Schützlinge wie um ihre Kinder, andere kennen nicht einmal deren Namen. Einige halten Fußnoten für den Inbegriff von Wissenschaft, anderen sind Formalien egal. Einige bestehen auf einer erschöpfenden Würdigung der Literatur, andere schätzen eher Kreativität. Wie unter den Studierenden gibt es auch unter Hochschullehren Pedanten und Chaoten, es gibt Professoren, die freche und aufmüpfige Studenten schätzen, während andere großen Wert auf Hierarchie und Ordnung legen; die Charaktere |21|sind hier wie überall im Leben sehr verschieden. Deshalb kann es durchaus wichtig werden, ob man selbst vom Typ her zu seinem Betreuer passt (sofern man diesen überhaupt zu sehen kriegt – in vielen Massenfächern müssen heute Mitarbeiter die Betreuung von Diplomarbeiten übernehmen).

Auch die fachliche Kompetenz des Betreuers ist von einiger Bedeutung. Die meisten Studenten werfen diesbezüglich alle Professoren in einen Topf, denn aus der Warte eines Anfängers, der sich erst seit drei oder vier Jahren mit einer Wissenschaft befasst, erscheinen alle Professoren gleichermaßen wichtig und bedeutend (Professorinnen natürlich auch). Aber das ist falsch. Denn natürlich gibt es auch unter Hochschullehrern Stars und Dünnbrettbohrer, die einen forschen an der Spitze ihres Faches, die anderen haben seit Jahrzehnten keine Fachzeitschrift gelesen, und an wen von diesen man als Anfänger gerät, kann für die eigene berufliche Zukunft durchaus von Bedeutung werden (zum Beispiel können anerkannte Fachvertreter besser gute Einstiegsjobs vermitteln oder die spätere wissenschaftliche Karriere ihres Kandidaten fördern).

Suchen Sie also möglichst einen Betreuer aus, der gut zu Ihnen passt. Dabei können ältere Examenskandidaten oder die Fachschaft sicher helfen. Wer blind und tolpatschig an einen Dozenten gerät, mit dem er oder sie sich nicht versteht, ist selbst schuld.

Wer soll die Arbeit später lesen?

Eine Examens- oder Diplomarbeit ist eine Visitenkarte. Und eine Doktorarbeit natürlich erst recht. Sie sagen damit Ihrem künftigen Arbeitgeber: Ich bin sozial engagiert, ich bin umweltbewusst, ich interessiere mich für Technik, ich bin ein Pedant, ein Bücherwurm, ein Philosoph. Es schadet also nicht, diese Signalwirkung von Anfang an im Auge zu behalten. In manchen Fächern ist diese Visitenkarte weniger wichtig, in anderen mehr. In Lehramtsstudiengängen etwa, wo der spätere Arbeitgeber vor allem auf die Note einer Abschlussarbeit sieht, ist das Thema eher sekundär – ob Sie sich über »Brautwerbung auf den Fidji-Inseln« oder über die »meteorologische Bedeutung mittelalterlicher Bauernregeln« |22|ausgelassen haben, schert den Bürokraten im Kultusministerium, der Ihre Einstellungsurkunde als Studienreferendar zu unterschreiben hat, vermutlich herzlich wenig. Hauptsache die Note stimmt. Zieht es Sie als Ökonom jedoch zur Deutschen Bank, so schreiben Sie besser keine Diplomarbeit über den Mehrwert bei Karl Marx.

Vielleicht ist die Abschlussarbeit auch die letzte konzentrierte wissenschaftliche Betätigung in Ihrem ganzen Leben. Sie schließen damit Ihre wissenschaftliche Karriere zugleich auf und ab, und das ist ein weiterer Grund, das Thema überlegt zu wählen, quasi als persönlichen Beitrag zum Fortschritt in der Wissenschaft. Später können Sie dann Ihren Enkeln die vergilbten Blätter zeigen und sagen: Das hab’ ich gemacht!

Aber auch wenn die Abschlussarbeit der erste Schritt in einer langen wissenschaftlichen Karriere ist: Ein wenig Überlegung schadet nicht. Die Ideen und Ideale der Studienzeit prägen stärker als man denkt und mancher Hochschulprofessor folgt noch heute den Pfaden seiner einstigen Diplomarbeit.

Besonderheiten von Doktorarbeiten

Doktorarbeiten unterscheiden sich von Examens-, Magister- und Diplomarbeiten nicht grundsätzlich, sondern nur graduell. Anders als bei den »einfachen« akademischen Abschlussarbeiten hat man hier kein Recht darauf, eine solche Arbeit vorzulegen, man muss höflich darum bitten. Daran sind je nach Universität und Fachgebiet verschiedene Bedingungen geknüpft, in aller Regel ein überdurchschnittlicher erster Abschluss, oft auch völlig unwissenschaftliche Kriterien wie die Abwesenheit einer kriminellen Vorgeschichte. Davon abgesehen gilt für eine Doktorarbeit das Gleiche wie für eine Examens-, Magister- und Diplomarbeit: Man soll zeigen, dass man eigenständig wissenschaftlich arbeiten kann.

Allein der Umfang und die Tiefe der Arbeit sind verschieden. Wenn man seine germanistische Examensarbeit über »Die Rolle der Natur in Goethes Werther« geschrieben hat, so wird daraus vielleicht eine Doktorarbeit über »Die Rolle der Natur im Frühwerk Goethes«. Auch werden vorher vielleicht noch tolerierte |23|Lücken in der Literaturerfassung in Dissertationen in aller Regel nicht mehr geduldet – man soll schließlich zeigen, dass man ein bestimmtes Teilgebiet einer Wissenschaft vollständig beherrscht. Aber einen grundsätzlichen Unterschied zwischen einer Doktorarbeit und den vorgeschalteten »niederen« Weihen gibt es nicht.

Insbesondere gibt es keinen Grund, dass eine Doktorarbeit lange braten muss. Unter den von mir selbst betreuten Doktoranden waren die schnellsten auch die besten, einige Kandidaten schafften die Prozedur in weniger als einem Jahr.

Die Organisation der Arbeit

Die Abschlussarbeit, bei der dieser Leitfaden helfen will, ist für die meisten Studenten und Studentinnen keine Kür; sie findet vielmehr unter diversen, je nach Fach, Anlass und Hochschulort unterschiedlichen Restriktionen statt. Die meisten davon kann man, wenn man will, schon bei der Immatrikulation erfahren: Wieviel Zeit werde ich für die Arbeit haben? Darf ich das Thema selbst bestimmen? Muss die Arbeit geheftet, gebunden, gedruckt oder maschinengeschrieben sein? Ist die Rückgabe des Themas oder ein zweiter Versuch erlaubt? Wieviele Versuche hat man maximal? Diese formalen Aspekte variieren sehr von Ort zu Ort und von Fach zu Fach. So ist es in gewissen Studiengängen üblich, dass der Kandidat oder die Kandidatin zunächst formlos ein Thema vereinbart und dieses erst nach beendeter Arbeit offiziell anmeldet. Hier ist die Zeitrestriktion also reine Formsache. Anderswo dagegen erfährt der Kandidat sein Thema wirklich erst kurz vor Torschluss und hat ab dann nur noch sechs Wochen Zeit.

Auch die Modalitäten der Themenvergabe und die zeitliche Einordnung der Abschlussarbeit in den Studienverlauf unterscheiden sich. In einigen Fächern wählt der Kandidat seinen Betreuer und sein Thema selbst, in anderen bekommt er beides zugelost. Einmal schreibt man die Arbeit vor den restlichen Prüfungen, ein andermal danach. Dann wieder sind Rückgabe des Themas und ein zweiter Versuch erlaubt, dann wieder nicht, oder es werden externe |24|Arbeiten (etwa in der Privatwirtschaft) gefördert bzw. verpönt. Solche Gepflogenheiten sollte man natürlich kennen. Eine Abschlussarbeit wegen mangelnder Kenntnis der lokalen Sitten und Gebräuche zu verpatzen ist der dümmste Fehler, den es gibt.

Vorarbeiten vorziehen

Die meisten Prüfungsordnungen verlangen die Abgabe der Arbeit binnen einer festen Frist. Diesen Termindruck können Sie entschärfen, wenn möglichst viele Vorarbeiten zu Beginn der eigentlichen Arbeit schon erledigt sind. Üben Sie also schon möglichst früh den Umgang mit Katalogen und Mikrofiches, mit Datenbanken, Fernleihe und EDV. Auch einen elektronischen Textverarbeiter oder ein statistisches Programmpaket wie SPSS oder SAS sollte man schon benutzen lernen, bevor die Zeituhr läuft, genauso das Internet. Es schadet auch nichts, sich außer in der Hauptbibliothek der eigenen Hochschule auch in anderen wissenschaftlichen Bibliotheken in der Nähe umzusehen, wenn es welche gibt. Das betrifft vor allem Geisteswissenschaftler. Oft unterhalten auch Fachbereiche oder Institute eigene Bibliotheken, die für die Arbeit nützlich und am besten schon vorher zu erkunden sind, oder es gibt in öffentlichen Bibliotheken auch wissenschaftliche Literatur. Also auf zum Antrittsbesuch!

Ebenfalls zu den Vorarbeiten gehört das Erlernen des Maschineschreibens mit zehn Fingern. Ein Wissenschaftler, der nicht Maschine schreiben kann, ist ein Profi-Fußballer mit einem Bein. Ganz gleich, wo man im Leben später landet, das Maschineschreiben zahlt sich nicht nur bei Diplomarbeiten aus. Viele Studierende drücken sich trotzdem davor, sie lassen die Arbeit von Fremden tippen und denken: Später schreibt eh alles meine Sekretärin. Das ist aber eine Illusion. Längst nicht jedes Mal, wenn ein Dokument geschrieben werden muss, ist eine Schreibkraft in der Nähe und bis die modernen Schreibcomputer, denen man ins Mikrophon diktieren kann, so wie heute die PCs auf jedem Schreitisch stehen, werden noch viele Jahre vergehen. Bis dahin gehört das schnelle Maschineschreiben genauso zu den Zutaten einer wissenschaftlichen |25|oder sonstwie gehobenen Karriere wie das Lesen und das Schreiben selbst.

Nicht mehr so wichtig wie früher ist dagegen die Entscheidung für oder gegen ein konkretes Textverarbeitungssystem – alle gängigen Produkte wie Word oder Wordperfect sind heute gleichermaßen komfortabel. Allenfalls bei formelintensiven Texten ist zu überlegen, welche Systeme dafür die beste Unterstützung bieten. Auch das Erstellen und Einbinden von Grafiken ist in unterschiedlichen Systemen unterschiedlich einfach, aber angesichts der rasanten Fortschritte in der elektronischen Textverarbeitung scheint sich hier ein langes Suchen kaum zu lohnen.

Der Kampf gegen die Uhr

Irgendwann geht dann die »eigentliche« Arbeit los: Das Thema ist vereinbart, die Anmeldung unterschrieben und beim Prüfungsamt, mit jedem Tag, mit jeder Stunde rückt der Tag der Abgabe heran.

Jetzt heißt es: keine Panik. Am besten, man verfährt nach einem groben Plan, ausgehend von einer Zweiteilung der Arbeit in das Erschließen (Sichten, Erarbeiten) und in das Zusammenfassen und Bewerten des jeweiligen Materials. Diese Phasen sind je nach Fach und Thema unterschiedlich lang und wichtig. In den meisten Geisteswissenschaften sind sie in der Regel gleich bedeutend: Die Literatur- und Quellensuche auf der einen und die darauf aufbauenden eigenen Bewertungen und Einsichten inklusive deren Zusammenfassung und Darstellung machen in etwa gleichviel Arbeit aus. In den Ingenieur- und Naturwissenschaften dagegen sind die Datenbeschaffung und das Erarbeiten des Materials zentral, sei es in der Werkstatt oder im Labor; hier schreibt man die Ergebnisse erst kurz vor Abschluss an einem Nachmittag zusammen. Auch in manchen Geisteswissenschaften wie etwa der Geschichtswissenschaft können die Sichtung der Archive und die Quellensuche die ganze Arbeit dominieren (»Die Einstellung der Österreicher zum Nationalsozialismus von 1933 bis zum ›Anschluss‹ 1938«). Ebenso in Psychologie oder Sozialpädagogik: »Das Verhältnis von türkischen und deutschen Kindern in den Grundschulen Berlins«. In |26|anderen Wissenschaften wie etwa der Mathematik sind dagegen Literatur- und Quellenstudien eher unerheblich; hier ist alles für die Arbeit Nötige bei deren Anfang schon bekannt (»Finden Sie möglichst schwache Bedingungen für die starke Konsistenz von OLS im Linearen Regressionsmodell«).

Wie auch immer, es ist in jedem Fall von Vorteil, den großen Brocken »Abschlussarbeit« in zwei kleinere, wenn auch nicht notwendig gleich große Brocken aufzuteilen. Und diese Brocken teilen wir dann weiter. Nicht in zu kleine, aber auch nicht in zu große Stücke, etwa fünf bis zehn. Ein wichtiger, von vielen gefürchteter und gerne immer wieder aufgeschobener Brocken ist etwa das Schreiben des endgültigen Textes ganz am Schluss (dazu mehr im letzten Kapitel dieses Leitfadens). Andere kleinere Brocken könnten Namen haben wie »Lesen von Hermann Melvilles ›Moby Dick‹« oder »Einlesen der täglichen Kassakurse aller DAX-Werte von 1960 bis 1999 in eine SPSS-Datei und deren retrograde Bereinigung« oder »Entwurf eines Fragebogens für die Kunden eines Supermarktes«. Wieder andere Brocken könnten dann in der Kundenbefragung selbst oder in der Planung eines Experimentes in der physikalischen Chemie bestehen. Der nächste Brocken wäre dann die Auswertung, der übernächste der Vergleich mit den Ergebnissen eines anderen Labors usw.

Dieses Aufteilen der Gesamtarbeit in Einzelteile hat viele Vorteile. Erstens erscheint die Aufgabe längst nicht mehr so groß. Für viele, die allein schon von der Größe eines Projekts entmutigt werden, ist das Bewältigen mehrerer kleiner statt einer einzigen großen Aufgabe ein enormer psychologischer Vorteil. Zweitens gewinnen wir mehr Übersicht, die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Arbeitsschritten treten klar hervor. Drittens klärt sich der Nebel um das, was vor uns liegt schneller. Allein schon das Wissen, was konkret noch alles zu tun ist, verbunden mit der Sicherheit, dass dieses noch zu Erledigende tatsächlich auch zu schaffen ist, lässt viele Studierende besser schlafen. Viertens spornen die kleinen Erfolge, die man mit dem Abschluss eines Teilprojekts erzielt, zu weiteren Taten an. Das Gefühl, etwas geschafft zu haben, wenn auch noch nicht die ganze Arbeit, wirkt oft wie ein Aufputschmittel. Und fünftens teilen wir dann auch die verfügbare Zeit viel besser |27|auf. Die Panik, die viele Studierende einen Monat vor Abgabetermin überkommt, kann gar nicht erst entstehen.

Diese Torschlusspanik ist die häufigste Krankheit, die Studierende während ihrer Examens-, Magister- oder Diplomarbeit befällt. Sie lässt sich vermeiden, wenn man vom Tag x der Abgabe an rückwärts rechnet und einen groben Plan aufstellt, etwa wie folgt (wobei man Teilaufgaben wie »Produktion des endgültigen Manuskripts« durchaus noch weiter unterteilen kann):

Tag x: Abgabe beim Prüfungsamt

x-5: Kopieren und Binden

x-7: Endredaktion, Korrektur von Fehlern

x-14: Arbeit von Freunden Korrektur lesen lassen x-30: mit der endgültigen Niederschrift beginnen

x-40: Kundenbefragung auswerten

usw. ...

Solche Listen sind besonders dann nützlich, wenn die Teile einer Arbeit nacheinander abgewickelt werden können. Wenn mehrere Teilaufgaben parallel bearbeitet werden sollen, könnte man auch an ein Ablaufdiagramm denken wie in Abb. 1 (entnommen aus Friedrich 1997, S. 24):

Abb. 1: Ablaufdiagramm einer typischen Diplomarbeit in den Ingenieurwissenschaften.

|28|Selbst größere Projekte wie Dissertationen, die in der Regel ohne Zeitgrenze entstehen, können von einer solche Aufteilung des Gesamtprojektes profitieren. Man muss zwar nicht so in die Details gehen wie in Abb. 1, aber eine grobe Zeitkontrolle kann auch hier vor unangenehmen Überraschungen bewahren (»Mein Gott, jetzt ist mein Assistentenvertrag schon zu drei Vierteln um und ich habe noch keinen Strich für meine Diss getan!«).

Vorsicht aber vor einem zu detaillierten und zu engen Zeitkorsett! Ein Zeitplan sollte uns besser nicht vorschreiben, was wir am 14. Oktober um drei Uhr nachmittags zu machen haben, er sollte immer auch Luft für ungeplante Zwischenfälle lassen, auch für kleine Durchhänger, wenn mal ein paar Tage gar nichts klappt. Die für die einzelnen Arbeitsschritte vorgesehenen Zeiten sollten dafür mehr als ausreichen, sie sollten ungeplante Erweiterungen bestimmter Arbeitsschritte erlauben und auch Freiraum für Erholung lassen.

Das konkrete Arbeiten »vor Ort«

Mit einem groben Zeitplan in der Schublade kann dann die eigentliche Arbeit beginnen. Es versteht sich von selbst, dass in einem allgemeinen Leitfaden so wie diesem keine für alle Fächer zutreffenden Ratschläge für das eigentliche wissenschaftliche Arbeiten und Forschen möglich sind. Und selbst in einem gegebenen Fach und für ein und dasselbe Thema gibt es kaum Patentrezepte. Der eine schreibt seine Geistesblitze auf Bierdeckel, der andere in wohlsortierte Hefte. Der eine arbeitet lieber mit dem Bleistift, der andere mit dem PC, der eine morgens, der andere nachts, der eine vor dem Essen, der andere danach. Der eine hat wie Archimedes die besten Gedanken in der Badewanne, der andere nur mitten unter Büchern in der Bibliothek. Der eine fühlt sich nur im Chaos wohl, der andere macht das Sortieren seines Materials zu einer Wissenschaft für sich. Ob wir also unsere Gedanken auf Disketten, Karteikarten oder losen Blättern speichern, ob wir lieber mit anderen zusammen oder einsam forschen, ob wir die anstehenden Aufgaben hinter- oder nebeneinander |29|erledigen, das ist alles auch eine Sache des persönlichen Geschmacks.

Wichtig ist allein, dass unsere persönlichen Vorlieben den Erfolg der Arbeit nicht behindern. Wer auch noch im größten Chaos problemlos den Zettel mit der genauen Literaturangabe zu »Shakespeare und Cervantes als Chronisten des 16. Jahrhunderts« wiederfindet, ist auf ein elektronisches Literaturverwaltungssystem nicht angewiesen. Und wer in zehn Tagen noch genau weiß, welche Blutwerte bei Patient x nach Behandlung y gemessen wurden, muss diese Blutwerte nicht auf einer Karteikarte notieren. Aber solche Begabungen sind selten. Im Regelfall wird der Kandidat oder die Kandidatin drei Stunden im Papierkorb wühlen, um die genaue Quelle einer Bemerkung über Shakespeare wiederzufinden, und die Blutwerte des Patienten x hätten gar nicht erhoben werden müssen, weil sie mangels Aufzeichnung unwiederbringlich verloren sind.

Ein wenig Ordnung kann daher nicht schaden. Zum Beispiel sollte man sich alle Quellen, die man später im Literaturverzeichnis der Arbeit zitieren will (siehe dazu auch Kapitel 8), von Anfang an genau notieren: Titel, Verfasser, Jahr, Erscheinungsort, Seitenzahlen usw. Ich selbst habe beispielsweise mehrere Nachmittage in verschiedenen Bibliotheken auf der Suche nach der Quelle für das folgende Goethe-Zitat zugebracht: »Ich halte es für wahr, dass die Humanität endlich siegen wird, nur fürchte ich, dass die Welt ein großes Hospital und einer des anderen humaner Krankenwärter werden wird.« Das Zitat erschien mir äußerst passend als Abschluss eines Aufsatzes zur Zukunft des modernen Medizinbetriebs, ich hatte es irgendwo in einer Goethe-Schrift gelesen, aber die Quelle nicht notiert. Und so hatte ich dann lange nachzulesen, bis ich diese, einen Brief an Frau von Stein aus dem Jahr 1798, endlich wiederfand.

Es versteht sich fast von selbst, dass diese Quellenangaben an zentraler Stelle, etwa in einem eigenen Aktenordner oder Karteikasten, zu sammeln sind. Auch sonstige Materialien wie Kopien von Aufsätzen oder Auszüge aus Dokumenten sollte man besser nicht über seine Studentenbude verstreuen, sondern in eigenen Ordnern oder Schubladen zusammenhalten.

|30|Eine andere Regel, die man spätestens nach dem ersten Rechnerabsturz von selbst lernt, lautet: auf PC oder Minirechner angelegte Dateien systematisch sichern. Stellen Sie sich vor, Sie haben ihre Arbeit fast fertig auf ihrem Minirechner abgespeichert und das Gerät wird Ihnen gestohlen (ist schon mehrfach vorgekommen).

Eine weitere fach- und personenunabhängige Generalregel heißt: Bleiben Sie am Ball. Konzentrieren Sie sich – mit Pausen – auf die Arbeit und vermeiden Sie Ablenkungen, die nicht unumgänglich sind. Wichtig ist dabei vor allem das längere Arbeiten (mindestens zwei Tage, längstens zwei Wochen) an einem Stück, denn unser Gehirn braucht wie ein Automotor für seine Höchstleistung immer eine gewisse Anlaufzeit, die dann für die eigentliche kreative Arbeit fehlt. Beschränken Sie daher diese Aufwärmphasen auf ein Minimum. Statt jeden zweiten Tag arbeitet man besser eine ganze Woche durch und macht dann ein paar Tage Pause. Es schadet nichts, daneben auch noch Vorlesungen zu hören oder Geld zu verdienen. Wichtig ist allein, dass der geistige Motor nicht erkaltet, dass wir nach Aufnehmen des Fadens sofort wieder im Bilde und dass möglichst wenig Aufwärmphasen nötig sind.

Das Arbeiten »am Stück« hat noch einen weiteren Vorteil: Es spannt das Unbewusste für uns ein. Der große Mathematiker Norbert Wiener etwa berichtet in seiner Autobiographie, wie er oft nachts an einem Problem verzweifelnd schlafen ging und am nächsten Morgen die Lösung glasklar vor sich sah. Während er schlief, hatte sein Gehirn weitergearbeitet und die Antwort für ihn ausgedacht.