Wie viele Sommer verbleiben dir noch? - Barbara Thum - E-Book

Wie viele Sommer verbleiben dir noch? E-Book

Barbara Thum

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Beschreibung

Was ist wirklich wichtig? Wofür verwendest du deine Zeit und wie viele Sommer verbleiben dir noch? Alex will mit ihrer fünfjährigen Tochter ein Jahr durch Südamerika reisen. Als sich ihre Mutter und auch ihre Großmutter dem Trip anschließen, wird daraus ein Vier-Generationen-Abenteuer. Die Motivation der Reise ist eine Frage der Priorisierungen im Leben. Diese Frage beantwortet Marco auf eine ganz andere Art und Weise. Der Portfolio-Manager fokussiert sich ganz auf seine Karriere. Doch sein Schicksal ist eng mit Alex' verknüpft und so wird auch er sich der Frage nach den Prioritäten stellen müssen. Es ist die Geschichte einer Reise, einer Reise im herkömmlichen Sinne, aber auch einer Reise zu den Kernfragen des Lebens, denen jeder früher oder später begegnen wird. Von der eigenen Reise inspiriert: Inspiriert von einer zweijährigen Reise der Autorin mit ihrer eigenen Familie durch Südamerika, verbindet dieser Roman authentische Reiseerlebnisse mit den großen Fragen des Lebens. Die persönliche Perspektive verleiht der Geschichte Tiefe und Glaubwürdigkeit – und macht sie zu einem bewegenden Leseerlebnis über Mut, Familie und das, was wirklich zählt.

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Seitenzahl: 361

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Wie viele Sommer verbleiben dir noch?
Eine Reise ins Abenteuer Leben
Barbara Thum
Roman
Die Autorin
Barbara Thum wurde 1987 im Allgäu geboren und war nach ihrem Studium ›International Management‹ viele Jahre im Personalwesen tätig. Nach der Geburt ihrer beiden Söhne entschloss sie sich, zusammen mit ihrem Mann, ein altes Feuerwehrauto zum Wohnmobil umzubauen und damit den südamerikanischen Kontinent zu durchqueren. Voller Eindrücke dieser Reise entstand ihr Debütroman ›Wie viele Sommer verbleiben dir noch?‹. Heute lebt sie mit ihrer Familie in ihrer Wahlheimat Waiblingen und schreibt über Prioritäten im Leben und wie sich Lebenskonzepte ändern können.
Zu diesem Buch
Die Idee für dieses Buch entstand auf unserer zweijährigen Reise, unter anderem durch Südamerika. Wir, das sind mein Mann Florian, meine Kinder Benedikt und Emil und ich. Zusammen sind wir als vierim4x4 unterwegs. Unsere Reise haben wir auf Instagram und in unserem Reiseblog www.vierim4x4.de dokumentiert. Über Feedback und Gedanken zu diesem Roman freue ich mich immer und bin unter [email protected] erreichbar.
Alle Orte dieser Geschichte haben wir tatsächlich besucht, und die Reiseroute entspricht in großen Teilen unserer eigenen Route. Sämtliche Protagonisten sind jedoch frei erfunden, jede Ähnlichkeit mit realen Personen ist rein zufällig und nicht beabsichtigt. Insbesondere die Handlungen und Entwicklungen des Romans haben nichts mit unserer eigenen Geschichte zu tun. Vielmehr dient die Entwicklung der Romanfiguren der Botschaft, die hinter der Geschichte steht: schiebe dein Leben nicht auf die lange Bank. Was immer dir wichtig ist – habe den Mut, es anzugehen.
Viel Freude beim Lesen!
Barbara Thum
Die Geschichte
Was ist wirklich wichtig? Wofür verwendest du deine Zeit und wie viele Sommer verbleiben dir noch?
Alex will mit ihrer fünfjährigen Tochter ein Jahr durch Südamerika reisen. Als sich ihre Mutter und auch ihre Großmutter dem Trip anschließen, wird daraus ein Vier-Generationen-Abenteuer. Die Motivation der Reise ist eine Frage der Priorisierungen im Leben.
Diese Frage beantwortet Marco auf eine ganz andere Art und Weise. Der Portfolio-Manager fokussiert sich ganz auf seine Karriere. Doch sein Schicksal ist eng mit Alex' verknüpft und so wir auch er sich der Frage nach den Prioritäten stellen müssen.
Es ist die Geschichte einer Reise. Einer Reise im herkömmlichen Sinne, aber auch einer Reise zu den Kernfragen des Lebens, denen jeder früher oder später begegnen wird.
Impressum © 2025 Barbara Thum
Druck und Distribution im Auftrag der Autorin: Alemannenstr. 20, 71336 Waiblingen Umschlag, Illustration: Barbara Thum unter Verwendung von Canva Lektorat, Korrektorat: Barbara Thum Originalausgabe Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne ihre Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag der Autorin, zu erreichen unter: Alemannenstr. 20, 71336 Waiblingen Kontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung: [email protected]
Für Flo, Bene und EmilDie beste ReisecrewVierim4x4
Inhalt
Titelseite
Die Autorin
Zu diesem Buch
Die Geschichte
Impressum
Widmung
Reiseroute Südamerika
Prolog
1. Frankfurt am Main
2. Argentinien, Küste
3. Frankfurt am Main
4. Argentinien, Península Valdés
5. Frankfurt am Main
6. Argentinien, Feuerland
7. München
8. Chile, Nationalpark Torres del Paine
9. München
10. Bolivien, Anden
11. Frankfurt am Main
12. Brasilien, Pantanal
13. München
14. Bolivien, Todesstraße
15. Frankfurt am Main
16. Peru, Huacachina
17. Frankfurt am Main
18. Ecuador, Galapagosinseln
19. Frankfurt am Main
20. Ecuador, Puyo
21. Frankfurt am Main
22. Kolumbien, Cartagena de Indias
23. München
24. München
25. München
Epilog
Danke
Reiseroute Südamerika
Prolog
Sorgfältig und bedächtig, mit einer Ruhe und einhundert Prozent bei der Sache, wie es nur älteren Menschen mit viel Lebenserfahrung gelingt, bediente Walter seine Siebträgermaschine. Er füllte frische, aromatisch duftende Arabica-Bohnen in den Behälter der elektrischen Kaffeemühle. Der Mahlgrad war perfekt eingestellt für einen starken Espresso. Routiniert klopfte er das gemahlene Pulver im Sieb gerade und drückte es mit dem Tamper gekonnt zusammen. Er spannte den Siebträger handfest in die Maschine und ließ den doppelten Espresso in den Becher laufen. Der würzige Kaffeeduft stieg ihm in die Nase und hinterließ eine Zufriedenheit in seiner Brustgegend, wie es nur dieser einzigartige Duft schaffte.
Er platzierte den Becher auf eine Serviette, verwies auf Zucker und Rührer auf der Theke und nickte zufrieden, als der Kunde diesen ablehnte und den heißen Espresso vorsichtig probierte. Ein guter Espresso benötigte keinen Zucker, dieser würde den puren Geschmack nur verfälschen, davon war Walter überzeugt. Ein Lächeln umspielte sogleich die Lippen des Kunden, er schloss kurz die Augen und nickte Walter zustimmend zu. Der Espresso war perfekt, wie gewohnt. Der Kunde war einer der Ärzte des Klinikums und tauchte meistens am späten Vormittag bei Walters mobiler Kaffeebar auf. Wahrscheinlich war dies seine kleine Auszeit zwischen Patientengesprächen, Verwaltungsarbeiten, Operationen, Kollegentratsch. Fünf Minuten Ruhe, Kraft tanken, Konzentration sammeln und dann ging es weiter in seinem anspruchsvollen Alltag.
Die nächste Kundin war eine Frau in den Fünfzigern. Gerade steckte sie ihre Wartenummer in die Jackentasche und studierte die Tafel: Espresso, Espresso Doppio, Espresso Macchiato, Cappuccino, Latte Macchiato. Mehr bot Walter aus Prinzip nicht an. Seiner Meinung nach war das das Beste, was die italienische Kaffeekultur zu bieten hatte. Von kalten Kaffeegetränken, wie sie mittlerweile modern zu sein schienen, hielt er nichts. Wo sollte sich denn das Aroma zwischen den Eiswürfeln entfalten? Für ihn war das moderner Schnickschnack, genau wie Karamellsirup oder Sojamilch, den kein Mensch brauchte.
Während die Dame in Ruhe die Tafel studierte, las Walter in ihrer Miene. Die Kundin wirkte genervt, aber nicht gestresst oder angespannt. Wahrscheinlich wurde sie nicht für etwas Schwerwiegendes im Klinikum vorstellig. Die Dame bestellte einen Cappuccino und erzählte ihm von dem völlig überfüllten Wartebereich. Wo sollte das nur hinführen? Das Gesundheitssystem sei doch marode und ein Termin beim Facharzt nur mit monatelanger Wartezeit zu bekommen. Walter hörte ihr zu, während er den Cappuccino zubereitete und liebevoll mit einem Herz verzierte. Seine Mission war es, seinen Kunden mit seinen Produkten den Moment zu versüßen, und seine Anerkennung las er in den dankbaren Blicken oder in den genießerisch geschlossenen Augen beim ersten Nippen. Die Kundin nahm den heißen Becher lächelnd entgegen und ließ sich für einen Moment auf einer nahen schattigen Bank im Vorhof des Klinikums nieder, um noch für ein paar Minuten dem Trübsinn des Wartesaals zu entfliehen.
Walter ließ seinen Blick über den Platz schweifen. Das Klinikum war in Form eines U gebaut, welches einen Vorhof mit Bäumen und Bänken einschloss. Dieser wurde gerne von Patienten, Besuchern und Mitarbeitern für eine Zigarette, ein vertrauliches Gespräch oder einfach für ein paar Atemzüge frischen Sauerstoffs genutzt. Heute, an diesem sonnigen und heißen Tag im Juni, verbreiteten die hohen Ahornbäume einen angenehmen Schatten und bisweilen ließ eine sanfte Brise die Blätter rauschen.
Walter liebte den Platz, an dem er seine mobile Kaffeebar geparkt hatte. Seit er vor fünf Jahren in seine Rente gestartet war, hatte er sich seinen zwei Hobbys gewidmet. Eins davon war das Restaurieren von älteren Fahrzeugen, insbesondere seiner Piaggio Ape, mit einer einsitzigen kleinen Fahrerkabine mit angeschlossenem, überdachtem Laderaum. Das Fahrzeug war inzwischen 30 Jahre alt. In seinem Beruf als Schreiner hatte er es für Kurzstrecken und kleinere Lieferungen benutzt. Seit er jedoch seine Schreinerei aufgegeben hatte und mit 65 Jahren in den Ruhestand gewechselt war, hatte er die Ape zur mobilen Kaffeebar umgebaut. Denn Kaffee war sein zweites Hobby. Hierzu hatte er den Kasten des Laderaums umgewandelt, so dass er sich seitlich mit zwei Flügeltüren aufklappen ließ. Auf der linken Seite hatte er eine moderne Siebträgermaschine und ein elektrisches Mahlwerk angebracht. Hinten an der originalen Ladeklappe befand sich eine Theke aus geöltem Eichenholz mit Baumkante, so dass der Rand der Theke etwas abgerundet und in leichten Wellen verlief. Auf der anderen Seite hatte er einen kleinen Kühlschrank integriert, sowie seinen Wassertank, einen Vorrat an Utensilien wie Becher verschiedener Größe und Zucker, sowie Holzstäbchen zum Umrühren. Das Fahrzeug hatte er in mattem Schwarz frisch lackiert und auf den Türen eine goldene Aufschrift »Walters Kaffeebar« angebracht. Vor die Theke stellte er einen schwarzen Sonnenschirm und spannte zwischen Ape und Schirm eine Kette mit bunten Wimpeln. Eine schwarze Tafel mit weißen Lettern pries seine Spezialitäten an und jeden Freitag stellte er einen extra Aufsteller auf, der seine Zimtschnecken, sein absolutes Lieblingsgebäck, ankündigte. Für seine zahlreichen Stammkunden wäre dies jedoch nicht nötig, denn jeder wusste, dass freitags Walters Zimtschnecken-Tag war, und diese Leckerei ließ sich wirklich kaum jemand entgehen.
Heute war jedoch Montag, also kein Zimtschnecken-Tag. Der Anzahl an Kunden tat dies aber keinen Abbruch. Vor allem an trockenen Tagen war der Vorhof gut besucht und damit auch Laufkundschaft zahlreich vorhanden. Inzwischen hatte Walter einen geübten Blick für seine Kunden und konnte oft schon vor den Erzählungen seiner Kundschaft einschätzen, weshalb sie hier im Klinikum waren. Es gab die genervten Patienten, die lange Wartezeiten zu überbrücken hatten, wie eben die Dame mit dem Cappuccino, dann waren da noch die werdenden Väter mit ihren müden Blicken und angespannten Schultern. Freitags brachten sie der werdenden Mutter oft eine Zimtschnecke mit, die aber in der Anspannung vor der Geburt wahrscheinlich doch nicht angerührt wurde. Gestresste Ärzte und Pflegepersonal gönnten sich bei ihm eine wohlverdiente Pause, begleitende Angehörige überbrückten Wartezeiten, ebenso wie Taxifahrer die Zeit zwischen ihren Fahrten für einen koffeinhaltigen Energieschub nutzten. Manchmal besuchte ihn sogar der Clown aus der Kinderonkologie, um seinem Clowngesicht eine kurze Pause zu gönnen und einen Moment der Ruhe und Sorglosigkeit zu genießen.
Es gab aber auch eine Sorte an Menschen, die niemals zu ihm an die Kaffeebar kam. Es waren die Patienten oder Angehörigen, die gerade eine schlimme Diagnose erhalten hatten. Deren Blicke waren auf den Boden gerichtet, ohne etwas wahrzunehmen, die Schultern hingen nach unten, die Mienen waren erstarrt. Walter konnte sie schon von Weitem erkennen. Dann wurde ihm schwer ums Herz und eine Gänsehaut ließ ihn frösteln. Die Sonne schien ihre wärmende Kraft zu verlieren, der Wind hielt kurz inne und die Vögel verstummten. Alles schien zu begreifen, dass sich das Leben dieser Person von einer Minute auf die andere um 180 Grad gedreht hatte. Eben noch voller Pläne, im nächsten Moment alles nichtig.
Als die junge Frau die Drehtür des Eingangsbereichs verließ, schien sie weder die Sonnenstrahlen noch die leichte Brise auf ihrer Haut zu spüren, nicht das Schreien des Babys in einem Kinderwagen zu hören, nicht das Eichhörnchen wahrzunehmen, welches sie vom nahen Baumstamm innehaltend beäugte. Ihr Blick war leer, die Haltung gebeugt, die Schritte ohne Elan. Obwohl ihre Haare leuchtend rot gefärbt waren, wirkte sie auf Walter farblos. Die Frau lenkte ihre Schritte Richtung Parkplatz. Nahm keinerlei Kenntnis von Walter und seiner Kaffeebar und wirkte so haltlos, wie man nur wirken kann, wenn einem gerade der Boden unter den Füßen entrissen wurde.
Noch ahnte Walter nicht, dass sein Schicksal und ihres bereits jetzt für immer untrennbar miteinander verknüpft waren.
1. Frankfurt am Main
Zu dieser frühen Uhrzeit war es im Büro noch angenehm ruhig. Marco liebte diese erste Stunde, bevor der Rest der Truppe zwischen sieben und acht Uhr eintrudelte. Er achtete penibel darauf, immer der Erste zu sein. Er hatte seinen strikten Tages- und Wochenplan, denn nur mit viel Disziplin erreichte man seine Ziele. Dienstags und donnerstags stand er eine Stunde früher auf, um seine Joggingrunde am Mainufer zu absolvieren. Von seiner schicken Loftwohnung mit Dachterrasse in der Nähe des Hafenparks drehte er seine Runde am Mainufer bis zur Main-Neckar-Brücke, wechselte das Ufer und joggte am Südufer zurück bis zur Deutschherrnbrücke. Nach einigen Klimmzügen im Hafenpark beendete er sein Work-out mit einem Sprint durch den Park, um dann zurück zu seiner Wohnung zu gehen und dabei wieder etwas zu Atem zu kommen.
Heute am Donnerstag saß er also, fit von seinem morgendlichen Work-out, an seinem Schreibtisch und ging den vor ihm liegenden Arbeitstag durch. Um zehn Uhr stand für ihn ein äußerst wichtiger Termin auf der Agenda. Vielleicht war es eine der größten Chancen, die er in seiner Karrierelaufbahn bekommen würde. Es ging dabei um eine wichtige Mandantin des obersten Segments, das heißt mit einem zu verwaltenden Vermögen der höchsten Kategorie.
Die Mandanten der Vermögensverwaltung Breitenberg Investments waren in fünf Segmente gegliedert, abhängig von ihrem Vermögen. Marco war eigentlich dem vierten Segment zugeordnet, also eine Karrierestufe unterhalb des Mandantensegments des heutigen Termins. Sein Chef hatte ihn zu diesem Termin eingeladen. Derzeit war der Chef und Eigentümer von Breitenberg Investments, Quirin Breitenberg, der Einzige, der Mandanten des höchsten Segments bediente, nachdem der bisherige Leading Portfolio Manager die Firma verlassen hatte. Da Herr Breitenberg sich eigentlich ausschließlich um die Geschäftsführung der Vermögensverwaltung kümmerte und nur noch in Ausnahmefällen oder bei den wichtigsten der wichtigen Mandanten selbst als Berater tätig wurde, war klar, dass es bald einen Nachfolger für den ausgeschiedenen Kollegen geben musste.
Seither ereiferten sich die für einen Aufstieg in Frage kommenden Mitarbeiter und überschlugen sich geradezu vor Ehrgeiz und Fleiß. Eigentlich war Svetlana die Top-Favoritin für den Aufstieg gewesen, jedoch hatte die Mandantin des heutigen Termins sich negativ über sie geäußert und damit war Svetlana raus aus der engeren Auswahl für den Aufstieg in die fünfte Karrierestufe. Verblieben noch Marco und Adam. Da der Chef nun Marco zum Mandantentermin geladen hatte, war offensichtlich, dass er als heißester Nachfolger gehandelt wurde. Für Marco war dies nur logisch. Schließlich gab er alles für die Firma und war in jeder Angelegenheit gewissenhaft und bestens vorbereitet. Er war stets der Erste im Büro und achtete akkurat darauf, immer perfekte Ergebnisse abzuliefern. Diese Perfektion war auch Grund für seine endlosen Überstunden. Egal, ob spätabends oder am Wochenende, stets hatte er eine Hand am Smartphone, war ständig dabei, E-Mails zu beantworten, die Aktienkurse und das Marktgeschehen im Blick zu behalten. Auch bei privaten Terminen, egal ob er sich mit Freunden verabredete, eine Frau traf oder tatsächlich zu einem der seltenen Familienbesuche in München zugegen war – ohne sein Smartphone in der Hand und stets in Gedanken bei seiner Arbeit, konnte man Marco eigentlich nie antreffen.
Marco arbeitete seit fünf Jahren bei Breitenberg Investments. Vor etwas mehr als fünf Jahren wurde er von seinem jetzigen Chef, bei seiner letzten Firma, wo er seit Abschluss seines betriebswirtschaftlichen Studiums im Investmentbereich einer großen Bank gearbeitet hatte, abgeworben. Dies hatte seinem Ego, in einer bis dahin ihm ungekannten Art, geschmeichelt. Das ins unermessliche gewachsene Ego hatte er seither nicht mehr abgelegt. Dem lukrativen Angebot hatte er nicht widerstehen können und wollen und daher hatte er nicht lange gezögert seinen Wohnsitz von München nach Frankfurt zu verlegen. Dass er dabei seine Familie und seine damalige Freundin zurückließ, war eines der Opfer, die man eben bringen musste.
Insgeheim war er sogar froh, aus den engen Bahnen der familiären Pflichten auszubrechen. Seine ältere Schwester hatte genaue Vorstellungen, wie oft man sich treffen sollte, welche Feierlichkeiten zu begehen waren und machte ihm schon in München, wo sie nur wenige Kilometer voneinander entfernt, gewohnt hatten, permanent ein schlechtes Gewissen, weil er nicht täglich oder wenigstens einmal die Woche bei seinem alleinstehenden Vater nach dem Rechten sah. Ganz zu schweigen von den zahlreichen Kindergeburtstagen und anderen Feierlichkeiten seiner Neffen. Er liebte die beiden Jungs, keine Frage, aber seine Zeit wollte er doch lieber selbst einteilen und die ständigen Einladungen waren ihm lästig. Nein, das war wirklich nicht seine Welt. Er sah sich eher in einer wichtigen und vorzeigbaren Position, die mit einem angemessenen Gehalt und selbstverständlich einem Dienstwagen entlohnt wurde und wo er mit seiner Expertise glänzen konnte. Jetzt, wo er einige hundert Kilometer entfernt in Frankfurt wohnte, war er zwar nicht mehr in unmittelbarer Reichweite seiner Schwester, aber das hinderte diese nicht daran, ihm via Anruf oder Textnachricht ständig zu versuchen, Gewissensbisse zu bescheren. Es verging kaum eine Woche, ohne dass sie ihm schrieb, was ihr Vater machte, wie es ihm gesundheitlich ging oder in welchem Schultheaterstück ihre Söhne wieder auftraten. Meist hatte er jedoch ohnehin keine Zeit, ihr zu antworten, aber das schien die Frequenz ihrer Kontaktversuche nicht zu minimieren.
Tja und seine damalige Freundin? Schnell wischte er den Gedanken beiseite. Für sentimentale Gefühlsduseleien hatte er keine Zeit und eine Bindung wollte er in dieser wichtigen Karrierestufe definitiv nicht eingehen. Dafür wäre später noch Zeit. Vielleicht, wenn er die nächste Stufe seiner Karriereleiter erklommen hätte. Schließlich musste man die richtigen Prioritäten setzen. Ansonsten konnte man wohl kaum erwarten, im Job voranzukommen. Und dies war für Marco von immenser Bedeutung.
Breitenberg Investments hatte einen außergewöhnlich guten Ruf in der Frankfurter Finanzwelt. Die Firma verwaltete das Vermögen ihrer wohlhabenden Mandanten und managte aktiv deren Depots nach einer individuell abgestimmten Anlage- und Risikostrategie, um ein gemeinsam definiertes Ziel zu erreichen. Dies konnte bedeuten, innerhalb einer festgelegten Zeitspanne, das benötigte Kapital für einen vorzeitigen Ruhestand aufzubauen oder einfach eine definierte Rendite zu erwirtschaften.
Entsprechend der fünf Mandantensegmente waren auch die Karrierestufen gegliedert. Marco war vor fünf Jahren als Junior Portfolio Manager in der ersten Karrierestufe eingestiegen und hatte sich seither mit viel Engagement und Fleiß bis zur vierten Stufe hochgearbeitet. Dies bedeutete, dass er Vermögen der zweithöchsten Kategorie verwalten durfte. Seine edle und schlichte Visitenkarte, die auf schwarzem Papier gedruckt war, schmückte, in weißen Hochglanz veredelten Buchstaben, der Titel ›Expert Portfolio Manager‹, sowie auf der Vorderseite das Emblem der Firma - ein verschnörkeltes B in einem Wappen - und darunter der Firmenname. Marco waren Statussymbole wie ein hochtrabender Jobtitel, eine edle Visitenkarte, eine vorzeigbare Wohnung, ein teures Auto, ein edler Anzug und Ähnliches äußerst wichtig. Für ihn waren sie Zeichen seines Erfolgs, den er gerne nach außen zeigte und sich damit schmückte. Mit seinen schicken maßgeschneiderten Anzügen, italienischen Loafers, weißen Hemden, zurück gegelten dunklen Haaren, wirkte er kultiviert, elegant und durch und durch wie ein Geschäftsmann.
Immer sein Ziel vor Augen, wusste er genau, in welche Richtung er marschierte. Und im Moment lautete sein Ziel, innerhalb des nächsten Jahres, also bis zu seinem 35. Geburtstag, die nächste Karrierestufe zu erreichen. Dies bedeutete, einen Mandantenstamm mit einem Portfolio von mehreren Millionen Euro zu verwalten. Das war für ihn der Absprung in die Welt der Reichen und Wohlhabenden. Zu dieser Welt wollte er auch gehören. Und mit seiner Karriere würde er sich Zutritt zu diesem Kreis verschaffen. Erst nur beruflich, aber mit steigendem Portfoliowert, stiegen auch die Provisionen und damit die Chance, selbst einmal diesem Kreis anzugehören.
Es wurde also Zeit für einen neuen Titel auf seiner Visitenkarte und der sollte ›Leading Portfolio Manager‹ lauten. Wenn er sich den Titel auf der Zunge zergehen ließ und die Visitenkarte vor seinem inneren Auge sah, umspielte unwillkürlich ein Lächeln seine Lippen.
Aber sich in Tagträumen zu verweilen, brachte ihn seinem Ziel nicht näher. Gerade wollte er sich der Vorbereitung seines zehn Uhr Termins widmen, da wurde die Bürotür schwungvoll geöffnet und sein Kollege Adam erschien. Marco seufzte innerlich. Mit dem Erscheinen der ersten Kollegen war die Ruhe vorbei und der Tag nahm seinen Lauf. Adam schritt mit ausgestrecktem Arm und gewinnendem Lächeln auf dem glatt rasierten Gesicht auf ihn zu.
Marco erhob sich und Adam nahm seine Hand und klopfte ihm kräftig auf die Schulter: »Happy Birthday, du alter Sack! So langsam wird es ernst, nicht mehr lange und du bist näher an der 40 als an der 30!« Er lachte und klopfte Marco abermals auf die Schulter.
Dieser ließ die Stichelei nicht auf sich sitzen: »Wenn ich mal einen Rat für eine gute Lesebrille benötige, wende ich mich gerne an dich. Du hast ja schon ausreichend Erfahrung mit dem 4. Jahrzehnt!«
»Ja und nur mit Weisheit, Reife und Erfahrung kann man dieses Alter meistern!« Lachend über den eigenen Scherz ließ sich Adam in seinen Bürostuhl fallen, schaltete sein Notebook an und startete seine Programme. Ohne Marco anzusehen, fragte er ihn: »Bist du bereit für heute Abend? Das wird die Party des Jahres, oder zumindest des Monats«, damit vertiefte er sich in seine E-Mails, ohne auf eine Antwort zu warten.
Für den heutigen Abend hatte Marco seine engeren Kollegen anlässlich seines 34. Geburtstags in einen Pub eingeladen. In geselliger Runde würden sie auf seinen Geburtstag anstoßen. Solche After-Work-Veranstaltungen waren zum einen ein guter Eisbrecher und Karrierebeschleuniger. Bei einem Glas Whiskey oder Gin Tonic ließ es sich viel unverkrampfter über Geschäfte, Mandanten und Karriereschritte reden als im Besprechungszimmer. Zum anderen waren sie meist Beginn oder Ende irgendwelcher Affären und Verhältnisse im Büro. Die diversen Episoden waren die Würze des Büroalltags und machten die Runden am Kaffeeautomaten lebendig. Er selbst hatte vor, heute Abend nicht allein nach Hause zu gehen. Er hatte ein Auge auf Lara geworfen. Die neue Teamassistentin war mit ihrem welligen, schulterlangen Bob und den engen Bleistiftröcken ziemlich heiß. Ihren Blicken nach zu urteilen, sollte es kein aussichtsloses Vorhaben sein und die Vorfreude zog seine Mundwinkel leicht nach oben.
Er schob alle Gedanken an die Party und an mögliche Flirts entschieden beiseite. Erst kam die Arbeit und dann das Vergnügen. Um zehn Uhr stand der Termin mit Frau Liliane Legrand-Lorenz an. Die Scheidung der Mandantin würde demnächst rechtskräftig werden und sie wollte eigentlich mit ihrem langjährigen Berater die Anlage, des ihr zufallenden Betrags planen. Da dieser jedoch die Firma verlassen hatte, hatte der Chef Svetlana als Beraterin zugeteilt. Wie sich aber zuletzt herausgestellt hatte, war Frau Liliane Legrand-Lorenz – oder LLL, wie sie einfachheitshalber im Büro genannt wurde – nicht auf derselben Wellenlänge mit Svetlana. Kurzum hatte LLL sich beim Chef, Quirin Breitenberg, über Svetlana beschwert, sie sei unprofessionell und unvorbereitet zum Termin erschienen. Jeder im Büro wusste, dass Svetlana die Letzte wäre, die sich unprofessionell verhalten würde. Gleichwohl war dies der Todesstoß für ihre Karriere und Quirin Breitenberg hatte ihr mitgeteilt, dass ein Aufstieg in die höchste Karrierestufe für sie nicht mehr möglich wäre. Um die Mandantin wieder zu besänftigen, fand der heutige Termin mit Herrn Breitenberg persönlich statt und dieser hatte Marco dazu eingeladen, um ihm die Mandantin alsbald zu übergeben.
Frau Liliane Legrand-Lorenz gehörte mit ihrem Vermögen zu den wohlhabendsten Mandanten von Breitenberg Investments und so war es nicht verwunderlich, dass Marco, der natürlich auch von der Ablehnung der Mandantin Svetlana gegenüber wusste, gehörig unter Druck stand. Er war mächtig nervös vor diesem Termin, stand doch seine weitere Karrierelaufbahn auf dem Spiel. Würde er den Termin vermasseln, wäre seine Karriere bei Breitenberg Investments genauso beendet wie die von Svetlana. Gelänge es ihm jedoch, die Mandantin von sich zu überzeugen, wäre sein Aufstieg praktisch sicher. Für Marco bedeutete dies demzufolge eine große Chance, und er würde den Teufel tun, unzureichend vorbereitet, in diesen Termin zu gehen. So sah er sich alle Unterlagen vorab sorgfältig an und machte sich Gedanken, was man der Mandantin als Investmentstrategie unterbreiten könnte.
Gerade als er sich vertieft Notizen zu seiner Strategie machte, trat Adam an seinen Schreibtisch heran: »Dir raucht ja schon dein hübsches Köpfchen. Was treibst du denn da so Wichtiges?«
Marco überlegte kurz, ob er ihn ehrlich einweihen sollte. Er wusste jedoch, dass Adam der Nächste in der Rangfolge wäre. Wenn er es nicht schaffte, die LLL von sich zu überzeugen, würde sein Kollege eventuell die Chance dazu erhalten. Adam war mit allen Wassern gewaschen und würde alles versuchen, um Marcos Erfolg zu sabotieren. Im Dreierbüro, das sich Adam, Marco und Svetlana teilten, herrschte eine spürbare Rivalität. Jeder wollte zuerst in die ersehnte fünfte Karrierestufe aufsteigen. Immerhin bedeutete dies ein Einzelbüro und je höher das zu verwaltende Portfolio war, desto höher auch die Provisionen, die man bei Erreichen der vereinbarten Rendite absahnte. Adam schien außerdem davon auszugehen, dass er als älterer und langjähriger Kollege Marco gegenüber bevorrechtigt aufsteigen müsste, was Marco definitiv anders sah. Für ihn zählte nur die Leistung, und da sah er sich Adam gegenüber überlegen.
So erwiderte er nur: »Herr Breitenberg hat mich gebeten, ihn bei einem Termin zu begleiten.«
»Um was für einen Termin geht es denn? Kann ich dich unterstützen?«
Marco verdrehte innerlich die Augen. Unterstützen? Dass er nicht lachte. Adam wollte doch nur Informationen abgreifen und sich in die wichtigen Projekte einschleusen. Sie kannten sich schon einige Jahre, und er wusste, dass die Kollegialität ihre Grenzen hatte, sobald Adam seinen Vorteil roch. Lässig grinsend sah er Adam an: »Danke, aber ist halb so wild. Reicht ja, wenn einem von uns die Ohren rauchen.«
Sein Kollege trollte sich und schien sich wieder um seinen eigenen Kram zu kümmern. Da hatte Marco sich aber zu früh gefreut. »Kommt heute nicht die Legrand-Lorenz, dieser dicke Fisch?«
Wahrscheinlich hatte er gerade Marcos Kalender überprüft. Vielleicht sollte er seine Termine vorsorglich auf Privat setzen, um diesen lästigen Fragen aus dem Weg zu gehen.
»Pass bloß auf. Die soll ziemlich schwierig sein. Hab gehört, dass sie sich schon ziemlich mies beim Chef über Svetlana beschwert haben soll.«
Da Svetlana heute Morgen bislang nicht im Büro war, ergriff Marco die Gelegenheit: »Weißt du, was Anlass der Beschwerde war?«
»Keine Ahnung. Wir alle wissen, dass es wohl kaum an der Professionalität von Svetlana gelegen haben kann. Kaum jemand ist so qualifiziert und kompetent wie Svetlana, mal abgesehen von mir natürlich.« Adam lachte, aber Marco war sich sicher, dass es nicht als Scherz gemeint war und Adam fuhr fort: »Tatsächlich kann ich mir nur vorstellen, dass sich die beiden auf persönlicher Ebene nicht gut verstanden haben. Vielleicht waren sie einfach nicht auf einer Wellenlänge. Svetlana ist halt Svetlana, strotzt vor Kompetenz, aber für ihr Taktgefühl ist sie nicht gerade bekannt. Der Chef hätte mal besser mich zugeteilt.«
Marco dachte über Adams Worte nach. So oberflächlich Adam sich meistens gab, er war gerissen und smart. Marco erinnerte er immer an eine Ratte. Schlau, hartnäckig, unverwüstlich, gesellig, erfolgreich und irgendwie abstoßend. Vielleicht hatte Svetlana mal wieder ein Fettnäpfchen getroffen. Es war einfach ihre Art. Sie war nicht gerade subtil oder taktvoll. Manchmal reichte schon eine unüberlegte Bemerkung, um bei jemandem unten durch zu sein.
»Ich werde mich also in Acht nehmen«, erwiderte Marco mit einem Augenzwinkern und widmete sich augenscheinlich wieder seiner Vorbereitung. Hinter seiner Stirn überschlugen sich jedoch die Gedanken. Er wusste, dass Adam alles in Bewegung setzen würde, seinen Termin mit der Legrand-Lorenz zu torpedieren. Sein Kollege würde alles versuchen, selbst zum Zug zu kommen, um sich den Aufstieg in die nächste Karrierestufe zu sichern.
Überpünktlich, um kurz vor zehn Uhr, begab Marco sich zu Herrn Breitenbergs großzügigem Büro. Es war sehr geschmackvoll in dunklen Tönen gehalten. Die Sofagarnitur aus braunem Leder wurde von einem edlen Bild eines knorrigen Baums abgerundet. Ein Teppich mit orientalischem Muster sorgte für etwas Gemütlichkeit, die von einer Stehlampe aus Schwemmholz unterstrichen wurde. Sie würden sich jedoch nicht auf das Sofa setzen, sondern an den runden Besprechungstisch, auf dem schon Kaffee, Wasser und Gebäck angerichtet waren. Die Mandantin war bislang nicht eingetroffen.
Lara, die neue Teamassistentin, steckte den Kopf durch die Tür: »Ist alles okay oder brauchen Sie noch etwas für den Termin?«
Herr Breitenberg nickte ihr dankbar zu: »Alles bestens. Danke, Lara. Rufen Sie einfach kurz durch, wenn Frau Legrand-Lorenz angekommen ist. Ich hole sie dann persönlich am Empfang ab.«
Lara lächelte sie beide kurz an und Marco hatte den Eindruck, ihr Blick blieb eine Zehntelsekunde länger bei ihm hängen. Vielleicht täuschte er sich aber auch.
Quirin Breitenberg nutzte die Minuten, bevor die Mandantin erschien und sah Marco streng an: »Marco, wie Sie sicher wissen, gab es in der Mandantenbeziehung zwischen Svetlana und Frau Legrand-Lorenz Probleme. Wir können es uns nicht leisten, sie noch einmal zu verstimmen. Dieser Termin muss sitzen. Ich habe alles vorbereitet. Sie können gerne etwas beitragen, wenn Sie noch weitere Anmerkungen haben. Ansonsten sind Sie heute dabei, um sich mit der Mandantin und dem Fall vertraut zu machen. Seien Sie einfach zuvorkommend und professionell wie immer.«
Marco nahm die Warnung des Chefs zur Kenntnis. Eigentlich war er immer ruhig und gelassen in den Mandantenbesprechungen. Aber dieses Mal ging es um mehr als nur die Anlage eines Vermögens, es ging um alles oder nichts, um seinen nächsten Karriereschritt und damit in den Aufstieg in eine glamourösere und reichere Welt. Sein Herz schlug einen Takt schneller als sonst und er schwitzte unter seinem edlen Jackett. Aber er wusste diese Gemütslage gekonnt zu verbergen und so wirkte er nach außen völlig entspannt und ausgeglichen.
Um kurz nach zehn Uhr gab Lara ihnen Bescheid, dass die Mandantin eingetroffen sei und kurz darauf betrat Quirin Breitenberg hinter Liliane Legrand-Lorenz sein Büro.
Marco erhob sich höflich und innerhalb eines Wimpernschlags verschaffte er sich ein erstes Bild der Mandantin. Dies war seinen Kollegen gegenüber, Adam und Svetlana, seine Stärke. Er konnte sich innerhalb der ersten Sekunden einen sehr guten Eindruck seines Gegenübers verschaffen und sich auf dessen Persönlichkeit einstellen. So schaffte er meist eine angenehme und verbindliche Atmosphäre, in der sich sein Gegenüber entspannen konnte.
Er war überrascht, als er die Mandantin erblickte. In seiner Vorstellung war sie entweder hässlich oder unscheinbar. Sie wirkte jedoch selbstbewusst und stilsicher. Definitiv Stiletto-sicher. Die Pumps von Louboutin, die sie trug, sahen irrsinnig teuer aus und verdienten einen Waffenschein. Er versuchte seinen Blick nicht allzu offensichtlich an ihr hoch wandern zu lassen und landete bei ihrem knielangen, engen, weißen Etuikleid. Ihre sportliche Silhouette sah nach vielen Trainingseinheiten aus und ihr Gesicht wurde von vollen Lippen dominiert, die sie ziemlich sexy wirken ließen. Ihr Gesicht wurde von einigen dunklen Strähnen eingerahmt, der Rest ihrer Haare war zu einem lockeren Knoten im Nacken zusammengefasst. Er schaute ihr in die grünen Augen, die einen eigensinnigen Kontrast zu ihrem sonst eher dunklen Typ bildeten. Sie erwiderte seinen Blick selbstbewusst und ruhig und er fühlte sich etwas ertappt bei seiner Musterung, versuchte sich dies aber nicht anmerken zu lassen.
Mit einem charmanten und gekonnten Lächeln, das sein ganzes Gesicht leuchten ließ, versuchte er die Situation für sich zu gewinnen und reichte ihr die Hand für einen festen und verbindlichen Händedruck: »Guten Tag, Marco Burke mein Name, sehr erfreut. Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Anfahrt. Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?«
Ihre Augen schienen einen sanfteren Ausdruck anzunehmen. »Herr Breitenberg, Sie hätten Ihren Kollegen gerne gleich anstelle von Frau Orlowa schicken können. Er scheint mir deutlich galanter zu sein.« An Marco gewandt, fuhr sie fort: »Danke, ein Kaffee wäre wunderbar. Schwarz und ohne Zucker, bitte.«
Marco war überrascht von ihrer direkten Art, Quirin Breitenberg jedoch schien dies schon gewohnt zu sein. »Ja, unser Herr Burke glänzt nicht nur mit seiner Kompetenz. Wir sind sehr froh, ihn als Unterstützung in unserem Team zu haben. Ich habe ihn heute zu unserem Termin eingeladen, damit er sich mit Ihrem Portfolio vertraut machen kann, um mich zukünftig unterstützen zu können. Wir freuen uns sehr, Ihr Investment auch weiterhin managen zu dürfen, und aus dem zusätzlichen Kapital Ihrer Scheidung, werden wir ein ansehnliches Vermögen für Sie erwirtschaften. Heute wollen wir besprechen, wie wir das Investment so gestalten können, damit es Ihren Vorstellungen und Ihrer Risikobereitschaft entspricht und zu Ihrer weiteren Lebensplanung passt. Wir werden den Vormittag nutzen, um den Rahmen abzustecken und alles in die Wege zu leiten.«
Sie nahmen Platz, Frau Legrand-Lorenz schlug geschmeidig ihre Beine übereinander, lehnte sich lasziv in ihrem Stuhl zurück und ihre Augen blitzten amüsiert, als sie Marco ansah: »Herr Burke, was haben Sie also für mich vorbereitet?«
Sie durchkreuzte damit Quirin Breitenbergs Pläne bewusst und nahm direkt Marco in die Pflicht. Dieser war jedoch erfahren und versiert genug, um sich davon keineswegs aus der Ruhe bringen zu lassen. Zumindest äußerlich blieb er völlig gefasst: »Ich habe verschiedene Optionen für Sie vorbereitet«, antwortete Marco und reichte ihr eine Mappe: »Wie Sie wissen, ist es wichtig, Ihr Portfolio diversifiziert zu halten, um Risiken zu minimieren.«
Frau Legrand-Lorenz besah sich die Unterlagen und lehnte sich leicht nach vorn: »Ich bin eher der Typ, der ein wenig mehr Risiko eingeht.« Sie schaute ihm direkt in die Augen und Marco musste sich zusammenreißen, damit sein Blick nicht auf ihren vollen Lippen hängen blieb. Sie waren verflucht verführerisch und er hatte Mühe, konzentriert bei der Sache zu bleiben. Verdammt, immerhin saß sein Chef direkt neben ihm und es war ein absolutes No-Go, sich mit einer Mandantin einzulassen.
Er sammelte sich kurz, schenkte ihr dann ein gewinnendes Lächeln und ging auf ihre Anmerkung ein: »Dann schlage ich vor, dass wir einen Großteil Ihrer Investitionen auf den aufstrebenden Technologiesektor und vielversprechende Schwellenländer legen.« Während er sprach, kam er nicht umhin zu bemerken, wie sie ihn musterte.
Sie stiegen tiefer in die vorbereiteten Unterlagen ein, Marco präsentierte verschiedene Anlageformen mit vielversprechenden Renditechancen und sein Chef ergänzte gelegentlich eine Kleinigkeit. Er lehnte sich vorwiegend zurück, überließ Marco die Vorstellung und schien zufrieden mit dessen Vorschlägen zu sein.
»Das klingt sehr vielversprechend«, sagte Frau Legrand-Lorenz schließlich. »Können Sie mir denn belegen, dass Sie mit Ihren Empfehlungen bisher Erfolg hatten?«
Da ergriff Herr Breitenberg das Wort: »Ich kann Ihnen die Empfehlungen von Herrn Burke nur ans Herz legen. Er holt immer das Beste für seine Mandanten heraus und verfolgt die Geschehnisse an den Märkten ununterbrochen. Mit ihm können Sie sich absolut beruhigt zurücklehnen.«
»Das glaube ich Ihnen aufs Wort«, erwiderte Frau Legrand-Lorenz und ihr Bein berührte unter dem Tisch für einen winzigen Augenblick und wie zufällig das von Marco. »Ich freue mich, in Zukunft enger mit Ihnen zusammenzuarbeiten.«
Marco räusperte sich: »Das Vergnügen liegt ganz bei mir. Lassen Sie uns die Formalitäten abschließen, um sofort loslegen zu können.«
Frau Legrand-Lorenz unterschrieb die Dokumente: »Danke, die Herren. Ich fühle mich bei Ihnen bestens aufgehoben.«
Sie erhoben sich, Herr Breitenberg verabschiedete sich und Marco begleitete die Mandantin zur Tür, wo diese sich noch einmal umdrehte und Marco flirtend anlächelte.
In diesem Augenblick kam Adam um die Ecke. »Marco, wie gut, dass ich dich sehe, ein dringender privater Anruf für dich. Frau Burke hat versucht, dich zu erreichen. Sie bittet dringlich um Rückruf. Die Nummer ist in deiner Anrufliste gespeichert.« Er stockte und gab vor, überrascht zu sein: »Oh, Pardon, ihr seid noch im Gespräch. Bitte entschuldigen Sie die Unterbrechung.«
Marco unterdrückte ein Stirnrunzeln. Er verstand genau, was Adam hier abzog. Er vermutete, dass Adam nur abgepasst hatte, wann er mit der Mandantin Herrn Breitenbergs Büro verließ, um eine Chance zu bekommen, ihm die Show zu verpatzen. Die Mandantin flirtete mit ihm und Adam versuchte ihm die Tour zu vermasseln, indem er eine Ehe andeutete. Sie beide wussten, dass maximal seine nervige Schwester im Büro für ihn anrief, wenn sie ihn auf seiner privaten Nummer mal wieder nicht erreichte. Aber Marco blieb äußerlich gelassen, ging gar nicht auf Adam ein und verabschiedete sich galant von Frau Legrand-Lorenz.
Erst als die Tür ins Schloss gefallen war, drehte er sich stirnrunzelnd zu Adam um: »Soso, eine Frau Burke hat für mich angerufen?«
Adam zuckte scheinheilig die Schultern: »Es schien wichtig zu sein. Mehr weiß ich leider auch nicht. Sorry, ich hatte nicht gesehen, dass du noch mit der Mandantin gesprochen hast. Wie lief denn der Termin?«
Quirin Breitenberg unterbrach die beiden: »Marco, wollen wir noch zusammen zu Mittag essen gehen? Ich lade Sie anlässlich Ihres Ehrentags ein. Wie wäre es mit der ›Lunchbar‹ die Straße runter?« Marco kam der Vorschlag sehr gelegen, konnten sie so doch abermals entspannt über das Meeting und die Mandantin sprechen. Außerdem war ein Mittagessen mit dem Chef eine seltene und immer willkommene Gelegenheit, sich und seine Erfolge sichtbar zu machen und in vertraulicher Zweisamkeit allerlei zu besprechen. Im stressigen Büroalltag war es manchmal schwierig, ein ruhiges Gespräch zu führen. Quirin Breitenberg war als Eigentümer der Vermögensverwaltung immer sehr beschäftigt und nur kurz zwischen seinen zahlreichen Terminen zu erhaschen.
Adam dagegen konnte seine säuerliche Miene kaum verbergen. Ein Pokerface zu wahren, war einfach nicht seine Stärke. Seine Gesichtszüge verhärteten sich und es schien in ihm vor Wut, Eifersucht und Neid zu brodeln.
Während Marco und Herr Breitenberg zur Lunchbar liefen, schwirrte Marco der Kopf. Grund dafür war nicht etwa der fachliche Inhalt des Termins. Dieser Teil lief wie geschmiert. Er war 1A vorbereitet gewesen und konnte mit seinen Vorschlägen glänzen. Nein, was ihn vielmehr beschäftigte, war die Frau an sich. Er hatte den Eindruck, dass ihr Blick immerzu intensiv und flirtend den Seinen fixiert hatte. Und es hatte ihm geschmeichelt. Die Mandantin war nicht nur sexy, sie war erste Klasse, eine andere Liga, der Lamborghini unter vielen Luxuslimousinen. Bisher waren seine Flirts und Affären immer eher hierarchisch nach unten orientiert gewesen, also eher eine Assistentin oder Praktikantin. Maximal auf Augenhöhe. Aber eine Frau, die ihm überlegen war? Das war etwas Neues. Und er fand es aufregend. Geradezu prickelnd war die Tatsache, dass eine Beziehung mit einer Mandantin untersagt war. Er wusste, er musste die Finger von ihr lassen, auch wenn es hart werden könnte.
Inzwischen waren sie in der ›Lunchbar‹ angekommen und saßen jeder mit einem reichlich belegten Bagel an einem Bistrotisch. Quirin Breitenberg ergriff die Gelegenheit und kam auf den vorigen Termin zu sprechen: »Das Meeting mit Frau Legrand-Lorenz lief hervorragend. Mir hat gefallen, wie gut Sie vorbereitet waren. Ich bin sicher, auch die Mandantin hat dies positiv wahrgenommen. Außerdem konnten Sie mit Ihrer einnehmenden Art punkten, das zeichnet Sie aus und hebt Sie von anderen Kollegen positiv ab. Was mir allerdings etwas Sorgen bereitet, ist, dass die Mandantin Sie quasi mit Blicken verschlungen hat. Sie müssen bei ihr vorsichtig sein. Sie wurde ursprünglich von Svetlana betreut und wie Sie wissen, ist Svetlana eine unserer fähigsten Portfolio-Manager. Sie sollte in absehbarer Zeit meine Unterstützung in der Betreuung der Mandantenkategorie fünf werden. Damit wäre sie neben mir die einzige Kollegin gewesen, die unsere wohlhabendsten Mandanten betreut. Allerdings hat mir der Zwischenfall mit Frau Legrand-Lorenz gezeigt, an welchen Punkten Svetlana Lücken hat. In Segment fünf muss einfach alles perfekt sein und verstimmte Mandanten können und wollen wir uns in dieser Vermögensklasse nicht leisten. In dieser Liga sind alle bestens vernetzt, und wenn einmal der Ruf ruiniert ist, kommen nur noch die kleinen Fische zu uns. Eigentlich hatte ich geplant, dass Svetlana bereits Ende des Jahres in das fünfte Karrierelevel aufsteigen soll, damit hätte sie den Aufstiegsrekord gebrochen. Noch nie wäre jemand schneller in das höchste Karrierelevel aufgestiegen. Eigentlich hätte sie dies verdient. Sie ist unglaublich smart und fleißig. Dass ihr die Suppe von Frau Legrand-Lorenz versalzen wurde und mir dadurch Schwächen im Kundenumgang aufgezeigt wurden, setzt ihr ganz schön zu. Aber wie gesagt, Schwächen im fünften Segment darf es in meiner Firma nicht geben.«
Marco schluckte seinen letzten Bissen herunter: »Was hat sich denn da zugetragen? Wie kann die Mandantin denn den Aufstieg von Svetlana beeinflussen?«
»Man muss ehrlich sagen, dass Svetlana formal nichts falsch gemacht hat. Ich denke, es war eher die zwischenmenschliche Komponente, die hier nicht gestimmt hat. Frau Legrand-Lorenz hat von Anfang an keinen Hehl daraus gemacht, dass sie Svetlana nicht als Portfolio Managerin akzeptiert. Ich selbst war zu dieser Zeit in einem anderen Mandantenprojekt mehr als ausgelastet und konnte nicht einspringen. Zudem war es eine gute Möglichkeit, Svetlanas Kompetenz zu testen. Leider hat sie es nicht geschafft, die Mandantin doch noch für sich zu gewinnen und von sich zu überzeugen. Das hätte ich von einer erfahrenen und versierten Mitarbeiterin erwartet. Die Mandantenbeziehung ist irreparabel geschädigt und Svetlanas Aufstieg verhindert. Das lässt sich auch nicht mehr geradebiegen. Entweder jemand bringt die richtige Persönlichkeit für diese Karrierestufe mit oder eben nicht. So etwas kann man nicht lernen. Aber ich brauche unbedingt jetzt jemanden, der mich als Leading Portfolio Manager unterstützt.«
Marco nickte und Quirin Breitenberg fuhr fort: »Für Sie bedeutet es eine große Chance. Denn wenn die Betreuung gut läuft, dann werde ich dies honorieren, vor allem da die Vorgeschichte mit der Mandantin problematisch war.«
Marco hörte ihm aufmerksam zu und nahm den Faden auf: »Sie meinten vorhin, dass ich vorsichtig sein soll. Was sollte ich Ihrer Meinung nach beachten?«
»Was mir Sorgen bereitet ist, dass Frau Legrand-Lorenz offensichtlich mit Ihnen geflirtet hat. Ich hatte den Eindruck, dass Sie ihr gefallen.«
»Was ist daran ein Problem?« Marco grinste selbstgefällig und bestellte ihnen beiden noch einen Cappuccino. Der Kaffee hier war einfach fantastisch und so verließen sie ihre Mittagspause eigentlich nie ohne einen genüsslichen Koffein-Shot.
»Auch wenn es Ihnen schmeichelt, Marco, denken Sie daran, dass es ein absoluter Fauxpas ist, sich mit einer Mandantin einzulassen. Das führt immer zu Problemen. Spätestens sobald es schlecht läuft, sind Sie entweder nicht mehr sachlich und rational genug, um objektive Entscheidungen über das Portfolio zu treffen oder die Mandantin verweigert die Zusammenarbeit mit Ihnen. In beiden Fällen wird sich das negativ auf Ihre weitere Karriere auswirken und Sie weit in Ihren Bemühungen zurückwerfen. Ich fand es gut, dass Sie ihr gegenüber professionell, distanziert und zugleich zuvorkommend waren. Das muss unbedingt auch zukünftig so bleiben.« Sein Chef sah ihn eindringlich an: »Ich rate Ihnen explizit, höflich und distanziert zu bleiben. Lassen Sie sich auf keinen Fall auf eine Affäre ein.«
Marco wurde wieder ernst: »Machen Sie sich keine Sorgen. Ich werde nichts dergleichen machen. Sie können von mir immer einhundert Prozent Professionalität erwarten. Versprochen!« versicherte er.
Der weitere Nachmittag verflog und schon bald war es Zeit für die After-Work-Geburtstagsparty ins Pub zu ziehen. Nach dem erfolgreichen Meeting mit der Legrand-Lorenz war Marco bester Laune. Er hatte das Gefühl, seiner Beförderung könnte nichts mehr in die Quere kommen. Mit Spendierhosen sorgte Marco für die ersten Getränkerunden sowie ausreichend Fingerfood, und schnell wurde die Stimmung ausgelassen. Gin, Guinness und, zur Feier des Tages Champagner, wurden reichlich ausgeschenkt. Alle unterhielten sich angeregt und es wurde viel gelacht.
Zufrieden schaute Marco von der Theke aus, an der er gerade erneut nachbestellt hatte, in die Runde. Einige Teamassistentinnen steckten die Köpfe zusammen, darunter auch Lara und Janine. Lara war erst seit Kurzem in der Firma, und sie war Marco gleich aufgefallen. Wenn sie im Flur auf ihren hohen Absätzen entlang klackerte, mit ihrem Headset auf dem Kopf, die Kaffeetasse in der einen Hand und irgendwelche Unterlagen in der anderen Hand konnte er es sich nicht verkneifen, einen Blick auf ihren hübschen runden Po, der durch ihre engen Bleistiftröcke und die hohen Absätze betont, eine magische Anziehungskraft zu entfalten schien, zu werfen. Heute würde er die Gelegenheit ergreifen, sie privater kennenzulernen. Aber dafür war es noch zu früh am Abend. Er ließ den Blick weiter wandern. Svetlana saß am Rande der Frauengruppe. Sie unterschied sich deutlich vom Rest der Damen. War sie doch keine der Assistentinnen, sondern die einzige weibliche Portfolio Managerin der Firma. Sie hatte Biss und war schlau. Dafür war sie allgemein anerkannt. Etwas schwieriger sah es mit ihrer empathischen Seite aus. Sie war wahnsinnig ehrgeizig und rational, fast ein Freak. Darüber schien sie manchmal die zwischenmenschlichen Stolpersteine zu übersehen und so kam es gelegentlich vor, dass sie unsanft aneckte. Heute jedoch schien sie nicht nur etwas am Rande zu sitzen, sondern sie wirkte wie sieben Tage Regenwetter. Er hatte den Eindruck, dass die Damenrunde und auch Svetlana immer wieder in seine Richtung blickten. Während die Teamassistentinnen schelmisch grinsten, blickte Svetlana zunehmend grimmig zu ihm. Wahrscheinlich ging es um das heutige Meeting mit der Legrand-Lorenz. Während sich die Frauen das Maul darüber zerrissen, dass die Mandantin ihn wohl bei der Verabschiedung fast mit Blicken aufgefressen hatte, stieß das bei Svetlana offensichtlich sauer auf. Kein Wunder, schließlich war sie ja von der Kundin verschmäht worden. Ihr Glas Champagner hatte sie noch kaum angerührt. Vielleicht wollte sie nach dem Desaster mit der LLL nicht noch mehr Minuspunkte sammeln und nicht auch noch betrunken negativ auffallen. Außerdem war ja erst Donnerstag, was hieß morgen war noch ein Arbeitstag. Marco konnte ihren Frust gut nachvollziehen. Jahrelang riss sie sich den Allerwertesten auf und dann kam ein eingebildetes, arrogantes, aufgeblasenes Miststück und machte mit ein paar Worten alles zunichte. Ihre Feierlaune war sicherlich wie ein Aktienkurs im Crash im freien Fall.