Wilberforce - Eric Metaxas - E-Book

Wilberforce E-Book

Eric Metaxas

0,0

Beschreibung

26. Juli 1833. Das britische Parlament beschließt die Abschaffung der Sklaverei. Für William Wilberforce geht – drei Tage vor seinem Tod – ein Traum in Erfüllung, für den er sein ganzes Leben gekämpft hat. Trotz Krieg, Morddrohungen und Selbstzweifel hatte er nie aufgegeben. Doch warum setzte ein Politiker wie er seine Karriere aufs Spiel? Nach einer Europareise 1784 die Weichenstellung: Heimlich traf er sich mit John Newton – Ex-Sklavenschiffkapitän, Dichter von "Amazing Grace" und im Einsatz für die Unterdrückten. Tief beeindruckt verließ er ihn und wendete sich bald vollständig dem christlichen Glauben zu. Er nannte es seine "große Wandlung". Noch ahnte er nicht, dass es viel mehr sein sollte. Inklusive 16-seitigem Bildteil.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 594

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Dieses E-Book darf ausschließlich auf einem Endgerät (Computer, E-Reader) des jeweiligen Kunden verwendet werden, der das E-Book selbst, im von uns autorisierten E-Book Shop, gekauft hat.

Jede Weitergabe an andere Personen entspricht nicht mehr der von uns erlaubten Nutzung, ist strafbar und schadet dem Autor und dem Verlagswesen.

ISBN 978-3-7751-7137-3 (E-Book)

ISBN 978-3-7751-5391-1 (lieferbare Buchausgabe)

Datenkonvertierung E-Book:CPI – Ebner & Spiegel, Ulm

©nbsp;der deutschen Ausgabe 2012

SCM Hänssler im SCM-Verlag GmbH & Co. KG · 71088 Holzgerlingen

Internet: www.scm-haenssler.de; E-Mail: [email protected]

Originally published in English under the title: Amazing Grace – William Wilberforce and the Heroic Campaign to End Slavery

©nbsp;der Originalausgabe 2007 Eric Metaxas

Published by HarperOne, an imprint of HarperCollins Publishers, LLC.

All Rights Reserved. This Licensed Work published by arrangement with HarperOne, an imprint of HarperCollins Publishers, LLC.

Soweit nicht anders angegeben, sind die Bibelverse folgender Ausgabe entnommen:

Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.

Die Bibelstelle Psalm 119,11, S. 301, ist folgender Übersetzung entnommen:

Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, © 1980 Katholische Bibelanstalt, Stuttgart.

Übersetzung: Christian Rendel

Fachlicher Berater für die deutsche Fassung: Dr. Tim Grass

Umschlaggestaltung: Kathrin Retter, Weil im Schönbuch

Titelbild: Portrait of William Wilberforce von William Lane (1746–1819) nach John Russell (1745–1806) © Wilberforce House, Hull City Museums and Art Galleries / Bridgeman

Satz: Satz & Medien Wieser, Stolberg

Stimmen zu Eric Metaxas’ »Wilberforce«

»Metaxas’ ›Wilberforce‹ ist ein einzigartiges Buch über einen wahren Helden, der durch seinen jahrelangen Kampf gegen die Sklaverei die Welt veränderte und einen Meilenstein in der Geschichte gelegt hat. Die packende Biografie dieser historischen Persönlichkeit ist ein besonderes und gleichzeitig sehr angenehm lesbares Buch.«

Martin Lessenthin, Internationale Gesellschaft für Menschenrechte

»William Wilberforce ist für mich eine der faszinierendsten Persönlichkeiten überhaupt – und ein Rollenbild für den aktuellen Kampf gegen den Menschenhandel. Dass er in Deutschland nach wie vor nur wenig bekannt ist, ändert Eric Metaxas mit seiner opulenten, rasanten und, wie auch bei ›Bonhoeffer‹, geistlich herausfordernden Biographie.«

Markus Spieker, TV-Hauptstadtkorrespondent

»Ein großartiges und wichtiges Buch.«

Chicago Sun-Times

»Endlich gibt es eine gut lesbare, ins Deutsche übertragene Biographie über das spannende Leben des Christen William Wilberforce! Wer in Deutschland weiß schon, dass es Wilberforce und seinen Freunden aus dem Umfeld der großen angelsächsischen Erweckungsbewegung zu verdanken ist, dass die Sklaverei im britischen Empire abgeschafft wurde? Sein Kampf für die gleiche Würde aller Menschen als geliebte Geschöpfe Gottes inspiriert und ermutigt heute noch. Ich wünsche diesem meisterlich erzählten Lebensbild eine weite Verbreitung. Es zeigt überzeugend, wie an der Bibel orientierter Glaube eine Gesellschaft positiv verändern kann.«

Dr. Bernd Brandl, Professor für Kirchen- und Missionsgeschichte an der Internationalen Hochschule Liebenzell

»Ein ausgezeichnetes, gelehrtes Buch – eine Pflichtlektüre.«

Baronin Caroline Cox, britisches Oberhaus

»Dass sich jemand zu einem entschiedenen christlichen Glauben bekehrt und sogleich beschließt, eines der größten sozialen Übel seiner Zeit anzu greifen, mag heute unwahrscheinlich klingen. Und doch kennzeichnet es den Lebensweg von William Wilberforce, dem wichtigsten Vorkämpfer für die Abschaffung der Sklaverei im britischen Weltreich. Metaxas erzählt seine Geschichte spannend und eindringlich und arbeitet besonders die vielfältigen Beziehungen von Wilberforce zur methodistischen Erweckungsbewegung heraus.«

Dr. Walter Klaiber, Bischof i. R. der Ev.-meth. Kirche

»Unwiderstehlich. Metaxas schreibt mit solch scharfer Beobachtungsgabe, wachem Verstand und ethischer Leidenschaft, dass der Leser davon mit Wucht ergriffen und fortgetragen wird.«

John Wilson, Books & Culture

Für die Claphamer des einundzwanzigsten Jahrhunderts,deren Leidenschaft für Gott und für ihre Mitmenschennicht voneinander zu trennen sind.

INHALT

Wilberforce und der Clapham-Kreis

Vorwort

Einführung

1

Der kleine Wilberforce

2

In die weite Welt

3

Einzug ins Parlament

4

Die Große Wandlung

5

Ihr müsset von Neuem geboren werden

6

Das Zweite Große Ziel: die Reformation der Sitten

7

Die

Proclamation Society

8

Das Erste Große Ziel: die Abschaffung des Sklavenhandels

9

Das Massaker auf der

Zong

10

Keine Kompromisse

11

Die erste Runde

12

Die zweite Runde

13

Der gute Kampf

14

Was Wilberforce erduldete

15

Zweifache Liebe

16

Das Goldene Zeitalter von Clapham

17

Häusliches Leben in Clapham

18

Sieg!

19

Jenseits des Großen Ziels

20

Indien

21

Neuanfang in Europa

22

Friede und Unruhe

23

Der letzte Kampf

Epilog

Bildteil

Anhang

Anmerkungen

Literatur- und Quellenverzeichnis

Zeittafel

Britische Premierminister von 1765 bis 1834

Bildnachweis

Danksagungen

Über den Autor

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

WILBERFORCE UND DER CLAPHAM-KREIS

Aufgeführt werden häufiger erwähnte Personen. Zu denjenigen, die nicht zum Clapham-Kreis gehören, findet der Leser – mit hervorgehobenen Namen versehene – nummerierte Anmerkungen am Ende des Buches.

Thomas Fowell Buxton (1786–1845): Quäker und evangelikaler Anglikaner, Bierbrauer und seit 1880 Mitglied des Parlaments. Von 1823 an wurde er Wilberforce’ Nachfolger als parlamentarischer Wortführer der Anti-Sklaverei-Bewegung.

Thomas Clarkson (1760–1846): Anti-Sklaverei-Kämpfer. Er war ordinierter anglikanischer Diakon, wurde aber ungewöhnlicherweise nie Priester.

Thomas Gisborne (1758–1846): Anglikanischer Geistlicher und Verfasser von Schriften zu ethischen Fragen. Sein Landsitz in Yoxall in Staffordshire wurde oft von Claphamern aufgesucht.

Charles Grant (1746–1823): Evangelikales Parlamentsmitglied und Vorsitzender der Ostindien-Kompanie. Gemeinsam mit Wilberforce und anderen setzte er sich sehr für die Christianisierung Indiens ein. Von 1813 an war es Missionaren erlaubt, sich in den britischen Gebieten dort niederzulassen.

Zachary Macaulay (1768–1838): Gouverneur von Sierra Leone von 1793–1799. Er recherchierte unermüdlich Material, das die Abolitionisten in ihrem Kampf unterstützte; ab 1802 Redakteur der einflussreichen evangelikalen Zeitschrift Christian Observer (1802–16) und des Anti-Slavery Reporter (ab 1825).

Isaac Milner (1750–1820): Hilfslehrer an der Grammar School in Hull, als Wilberforce dort zur Schule ging. Er hatte eine erfolgreiche akademische Laufbahn begonnen, als die beiden 1784–85 eine gemeinsame Reise nach Europa unternahmen. Als Chemiker (Jacksonian Professor 1782–92) und Mathematiker (Lucasian Professor ab 1798) in Cambridge war er der Überzeugung, die christliche Wahrheit werde durch die Newton’sche Wissenschaft gestützt. Gemeinsam mit Charles Simeon leistete er einen großen Beitrag, das evangelikale Anliegen in Cambridge zu stärken.

Hannah More (1745–1833): Evangelikale Schriftstellerin und Propagandistin, Verfasserin des Bestsellers Thoughts on the Importance of the Manners of the Great to General Society (1787; »Gedanken über die Bedeutsamkeit der Sitten der Großen [d. h. der Oberschicht] für die allgemeine Gesellschaft«). Gemeinsam mit ihrer Schwester Martha eröffnete sie Bildungsmöglichkeiten für die armen Bewohner der Mendip Hills südlich von Bristol.

John Newton (1725–1807): Sklavenschiffskapitän und später evangelikaler anglikanischer Geistlicher in Olney (1764–80) und ab 1780 in London (St. Mary Woolnoth). Er freundete sich mit dem Dichter William Cowper an und verfasste mit ihm gemeinsam die Olney Hymns (1779), von denen einige noch heute gesungen werden. Nachdem Wilberforce sich 1785 neu zum christlichen Glauben gewendet hatte, suchte er Newtons Rat, was dies für sein politisches Amt bedeute.

William Pitt der Jüngere (1759–1806): Britischer Premierminister und Schatzkanzler von 1783–1801 und von 1804–06. Obwohl er Wilberforce’ engster Freund war und die Abschaffung des Sklavenhandels unterstützte, unterschieden sich die beiden Männer in ihren religiösen Ansichten.

Granville Sharp (1735–1813): Früher juristischer Kämpfer gegen die Sklaverei (in einem viel beachteten Fall 1772 trug er dazu bei, ein Gerichtsurteil herbeizuführen, wonach jeder Sklave in dem Moment frei wurde, indem er englischen Boden betrat); erster Vorsitzender der Gesellschaft für die Abschaffung des Sklavenhandels (1787); einer der Gründer von Sierra Leone (1787).

John Shore, Lord Teignmouth (1751–1834): Generalgouverneur von Indien (1793–98) und Präsident der British and Foreign Bible Society (»Britische und Ausländische Bibelgesellschaft«) von 1804 bis zu seinem Tod.

Charles Simeon (1759–1836): Anglikanischer Geistlicher. Als Pfarrer von Holy Trinity in Cambridge von 1782 bis zu seinem Tod hatte er enormen Einfluss auf die sich entwickelnde evangelikale Bewegung in der anglikanischen Kirche, unter anderem auch dadurch, dass er an der Universität inoffiziell Kandidaten für den geistlichen Dienst schulte.

James Stephen (1758–1832): Aktiver Abolitionist seit den 1780er-Jahren und evangelikales Parlamentsmitglied (1808–15); seine zweite Frau Sarah (Spitzname Sally) war Wilberforce’ Schwester.

Henry Thornton (1760–1815): Sohn von John Thornton, Bankier und Parlamentsmitglied (ab 1782). Der Clapham-Kreis hatte sein Hauptquartier in seinem Haus in Battersea Rise; er setzte sich aktiv für die Abschaffung des Sklavenhandels und für die Gründung von Sierra Leone ein und diente als Schatzmeister der Church Missionary Society und der British and Foreign Bible Society.

John Thornton (1720–90): Erfolgreicher evangelikaler Kaufmann und engagierter Menschenfreund, der unter anderem John Newton unterstützte. Seine Halbschwester Hannah war Wilberforce’ Tante. Sowohl John als auch sein Vater Robert waren Direktoren der Bank of England.

John Venn (1759–1813): Gemäßigter evangelikaler Geistlicher, ab 1792 Pfarrer von Holy Trinity in Clapham. Er war Mitbegründer der Church Missionary Society (1799) und des Christian Observer (1802) und diente dem Clapham-Kreis als geistlicher Ratgeber.

Barbara Wilberforce (1777–1847), geborene Spooner, aus Elmdon Hall in der Nähe von Birmingham und Bath. Die vier Söhne der Wilberforce’ waren William, Robert, Samuel und Henry William; die beiden Töchter Barbara und Elizabeth starben noch vor ihrem Vater. Seltsamerweise ist auf Barbaras Grabstein in East Farleigh in Kent 1771 als das Jahr ihrer Geburt angegeben.

Hannah Wilberforce (1724–88), geborene Thornton: Wilberforce’ Tante und Gattin seines Onkels William. Wilberforce wohnte von 1769 bis 1771 in ihrem Haus. Sie stellte ihm ihr Landhaus Lauriston House in Wimbledon von 1777 ab zur Verfügung.

ENGLAND 1760

1. Kendal

2. York

3. Hull

4. Pocklington

5. Liverpool

6. Elmdon Hall

7. Olney

8. Cambridge

9. Bristol

10. Cheddar (Mendip Hills)

11. Bath

12. Bramber

13. Godstone

14. London

LONDON 1802 (die Kilometerangaben geben die Entfernung zu Orten an, die außerhalb der Karte liegen)

A – Highwood Hill bei Mill Hill – 12 km; Farm, auf der Wilberforce von 1826 bis 1831 wohnte

B – Kensington Gore – 1 km; in dieser Straße bewohnte Wilberforce ein Haus von 1808 bis 1821.

C – Brompton Grove – 0, 5 km; Wilberforce’ Haus von 1823 bis 1826

D – Wimbledon – 8 km

E – Battersea Rise – 4 km; Wilberforce’ Haus in Clapham von 1792 bis 1798

F – Clapham – 4 km

1. St. James’s Palace

2. Trafalgar Square

3. Old Palace Yard; in Old Palace Yard Nr. 4 hatte Wilberforce von 1786 bis 1808 seinen Londoner Arbeitswohnsitz.

4. House of Commons (Unterhaus)

5. Freemasons’ Tavern

6. St. Paul’s Cathedral

7. St. Mary Woolnoth; an dieser Kirche war John Newton von 1780 an als Pfarrer tätig.

8. Tower of London

9. Charles Square, Hoxton; hier wohnte John Newton während seiner Londoner Zeit.

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

VORWORT

Am 1. Januar 2013 jährt sich der Tag der US-amerikanischen Sklavenbefreiung zum 150. Mal. Abraham Lincolns Lesung der Emanzipations-Proklamation schenkte Millionen von schwarzen Sklaven die Freiheit. Dieser historische Befreiungsschlag wäre ohne die Abschaffung der Sklaverei im Britischen Weltreich nicht denkbar gewesen.

Als großer Vorreiter des Kampfes gegen die Sklaverei (»Abolitionismus«) gilt ein kleiner Mann aus Nordengland. Abraham Lincoln schrieb einst, jeder Schuljunge kenne dessen Geschichte. Nun existieren im englischsprachigen Raum tatsächlich mehrere neue Biografien über ihn, während er in Deutschland kaum bekannt ist. Darum freut es mich besonders, dass nun mit dem vorliegenden, von Eric Metaxas geschriebenen Buch diesem Mangel endlich abgeholfen wird.

Mich fasziniert an Wilberforce sein Engagement über Jahrzehnte hinweg für ein großes Ziel. Zwar setzte er sich für verschiedenste soziale Belange ein, doch heute ist er vor allem für die Abschaffung des Sklavenhandels im Jahr 1807 bekannt – eine Entwicklung, die 1833 schließlich zum Verbot der Sklaverei im weltumspannenden British Empire führte. Wenn man bedenkt, dass Wilberforce seinen ersten Antrag gegen den Sklavenhandel im Mai 1789 einbrachte, wird deutlich, welch langen Atem er zum Erreichen seines Zieles benötigte. Und mehr als das: So manches Mal setzte er dafür seine Karriere – und sogar sein Leben – aufs Spiel.

Ein Geheimnis von Wilberforce’ Erfolg ist sicherlich sein politisches Gespur und diplomatisches Geschick. Er arbeitete partei- und ideologieübergreifend mit unterschiedlichsten Menschen zusammen, die sich dem Kampf gegen die Sklaverei verschrieben hatten. Als enger Freund von William Pitt, der mit 24 Jahren 1783 jüngster britischer Premierminister wurde, besaß er, obwohl ohne Erbadel, wichtige Beziehungen.

Doch vor anderen politischen Genies seiner Zeit zeichnet sich Wilberforce dadurch aus, dass er mit großer Konsequenz nach seiner persönlichen Verantwortung vor Gott und damit nach seinem Dienst am Menschen fragte. »Der allmächtige Gott hat mir zwei große Ziele vor Augen gestellt: die Bekämpfung des Sklavenhandels und die Reformation der Sitten«, notierte er am 28. Oktober 1787 in seinem Tagebuch. Eric Metaxas stellt überzeugend Wilberforce’ Aha-Erlebnis dar, dass alle Menschen den gleichen Wert besitzen. Angestoßen wurde es durch seinen Glauben an Jesus Christus, wie er ihn durch seine methodistischen Freunde kennengelernt hatte. Ähnliches lässt sich von Bürgerrechtler und Baptistenpastor Martin Luther King sagen.

Der Rückblick auf King zeigt ebenfalls: Die Geschichte der Ungleichbehandlung ist mit deren gesetzlichem Verbot noch lange nicht zu Ende. Der Jahresbericht der US-Regierung 2011 über den Menschenhandel spricht von geschätzten bis zu 27 Millionen Menschen weltweit, die Opfer »moderner Sklaverei« geworden sind. Der Bericht definiert Sklaverei als den »Entzug von Freiheit«. Und Sklaverei war und ist nicht an den physischen Entzug von Freiheit allein gebunden, was Millionen von Mädchen und Frauen, die in der Prostitution ausgebeutet werden, buchstäblich am eigenen Leib erdulden müssen.

Sklaverei nimmt heutzutage andere, doch nicht weniger inhumane Formen an als im 18. Jahrhundert. Die seit Jahrtausenden praktizierte Ausbeutung von Menschen als Arbeitssklaven ist heute verbreiteter, als den meisten bewusst ist. Das zeigen Beispiele aus der ganzen Welt. Das größte Zwangsarbeitslagersystem der Welt ist der sogenannte »Laogai«-Komplex der Volksrepublik China, zu dem weit mehr als tausend Haftanstalten gehören. Schätzungsweise vier Millionen Menschen müssen dort Zwangsarbeit leisten, sieben Tage die Woche, bis zu 16 Stunden am Tag. Die Häftlinge sind in diesen Lagern zur »Umerziehung« – vielfach ohne Anklage, ohne Gerichtsverfahren und ohne eine Möglichkeit zur Verteidigung oder Berufung.

Ein anderes Beispiel sind die sogenannten Wanderarbeiter. In China haben diese »flexiblen Arbeitskräfte« z.B. einen maßgeblichen Anteil am wirtschaftlichen Boom des Landes und profitieren doch selbst am wenigsten davon. Für einen Hungerlohn arbeiten beispielsweise die vietnamesischen Arbeiter in einer russischen Textilfabrik bei Moskau im Akkord, können ihre Wohn- und Verpflegungskosten nicht mehr bezahlen und verfallen dadurch in eine gefährliche Abhängigkeit vom Arbeitgeber. Die Beschlagnahmung ihrer Reisepässe ist eine typische Technik für die menschenrechtsverachtenden Methoden moderner Sklaverei.

In Pakistan ist eine große Zahl von Arbeitern durch das System der »Zinsknechtschaft« versklavt. Die Opfer sind durch systematisch herbeigeführte finanzielle Abhängigkeit ihrem Geldgeber völlig ausgeliefert und werden so erbarmungslos ausgebeutet. Da den Kindern eine angemessene Schulbildung verwehrt bleibt, stellen diese die kommende Generation der Zinsknechte dar, und der pakistanische Staat zeigt wenig Interesse daran, den Teufelskreis zu durchbrechen. Die internationale Gemeinschaft ist aufgerufen, Pakistan zur Überwindung der Zinsknechtschaft zu zwingen.

Wilberforce hat in seiner Zeit Großartiges erreicht. Heute ist es an uns, den Staffelstab zu übernehmen und seine Arbeit für die Menschenrechte weiterzuführen – mit Geschick und mit Menschenliebe. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen nicht nur eine spannende, sondern vor allem eine aufrüttelnde Lektüre.

Martin Lessenthin,Vorstandssprecher der »Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte«

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

EINFÜHRUNG

Oft hören wir von Menschen, die »man nicht vorstellen muss«. Dass dies, zumindest heutzutage, auf William Wilberforce nicht zutrifft, ist eine merkwürdige Ironie der Geschichte: Geht es doch um einen Mann, der sprichwörtlich die Welt verändert hat. Müssten sein Name und seine Lebensleistung nicht in aller Munde sein?

Die Erklärung dieser Ironie ist überraschend einfach: Wilberforce war das glückliche Opfer seines eigenen Erfolgs. Als ob ein Forscher allen Widrigkeiten zum Trotz das Heilmittel gegen eine schreckliche, weltweit grassierende Seuche entdeckte, und dieses Heilmittel dann so überwältigend erfolgreich wäre, dass die Krankheit vollständig ausgemerzt würde. Niemand litte mehr daran – und innerhalb von einer oder zwei Generationen erinnerte man sich nicht einmal mehr an sie.

Die Wurzeln des Übels, das Wilberforce auszurotten versuchte, reichen zurück in die Zeit, als die ersten Menschen über die Erde gingen. Wären es buchstäblich Wurzeln, so hätten sie längst den geschmolzenen Erdkern erreicht. Sie wuchsen so tief und weitläufig, dass die meisten Menschen damals annahmen, sie hielten letztlich auch den Planeten zusammen.

Die Widerstände, denen er und seine kleine Schar sich gegenübersahen, waren mit nichts aus unserer heutigen Welt zu vergleichen. Mit einem beispiellosen Akt und scheinbar aus eigener Kraft versuchte ein Mensch, nur von ein wenig Hebelwirkung unterstützt, ein Faktum umzustürzen, das gleich einem großen, massiven und unveränderlichen Gebirge machtvoll gen Himmel ragte.

Aus heutiger Sicht – und eben dank Wilberforce – gibt es, zumindest in der westlichen Welt, keine legalisierte Sklaverei mehr, und wir können nicht anders, als dies weitgehend für selbstverständlich zu halten. Doch gerade darin besteht ja das atemberaubende Wunder seines Erfolgs: Eine Veränderung, die unter den Menschen seiner Zeit als schlicht unmöglich und undenkbar galt, erscheint uns heute unausweichlich.

Es gibt heute wohl kaum einen zivilisierten Menschen, der nicht schon über den bloßen Gedanken menschlicher Sklaverei entsetzt und empört gewesen wäre. Sie treibt uns – aus ethischen Gründen – die Zornesröte ins Gesicht, und wir können nicht begreifen, wie ein Mensch oder eine Kultur sie je hat hinnehmen können. In der Welt jedoch, in die Wilberforce geboren wurde, verhielt es sich genau andersherum. Sklaverei war ebenso akzeptiert wie Geburt und Heirat und Tod, so fest verflochten mit dem Gewebe der Menschheitsgeschichte, dass man ihre Fäden kaum erkennen, geschweige denn herausziehen konnte. Seit fünftausend Jahren war der Gedanke einer menschlichen Zivilisation ohne Sklaverei unvorstellbar – rund um den Globus.

Der Gedanke, der Sklaverei ein Ende zu machen, war zu jener Zeit so vollkommen abwegig, dass Wilberforce und die sogenannten AbolitionistenF1 nicht einmal öffentlich davon sprechen konnten. Sie konzentrierten sich auf die weniger hoch gegriffene Idee, den Sklavenhandel abzuschaffen – den Kauf und Verkauf von Menschen. Von der Freilassung der Sklaven, also der vollständigen Beendigung der Sklaverei, wagten sie nicht zu sprechen. Insgeheim hegten sie die Hoffnung, sie könnten nach Abschaffung des Sklavenhandels weitere Schritte in Richtung Sklavenbefreiung gehen. Zuerst jedoch mussten sie für die Abschaffung dieses Menschenhandels kämpfen; und dieser Kampf – ein brutaler und erschütternder – sollte zwanzig Jahre dauern.

Der schließlich errungene (Etappen-)Sieg 1807 ist natürlich die große, überragende Leistung, um derentwillen wir uns heute an Wilberforce erinnern sollten. Er liegt nun mehr als zweihundert Jahre zurück, und dieses Jubiläum gab Anlass zu einem Spielfilm, mehreren Dokumentationen und zu dem Buch, das Sie jetzt in den Händen halten. Wenn eine einzelne Begebenheit als Wahrzeichen für Wilberforce’ Leistungen gelten kann, dann ist es jener Sieg von 1807. Er bahnte den Weg für alles, was noch folgte, und inspirierte die anderen Völker der Welt, seinem Beispiel zu folgen und das Tor zur Sklavenbefreiung aufzustoßen. Das Gesetz zur Sklavenbefreiung im britischen Weltreich wurde erstaunlicherweise genau drei Tage vor Wilberforce’ Tod 1833 verabschiedet.1 Er erhielt die herrliche Nachricht, dass sein Lebensziel erreicht war, auf dem Sterbebett.

Wilberforce war einer der intelligentesten, schlagfertigsten, am besten vernetzten und allgemein talentiertesten Männer seiner Zeit. Jemand wie er hätte durchaus Premierminister von Großbritannien werden können, hätte er, wie ein Historiker es ausdrückte, »die Partei der Menschheit vorgezogen«. Doch seine Lebensleistung geht weit über jeden rein politischen Sieg hinaus. Man kann sich Wilberforce wie eine Art Scharnier vorstellen – mitten in der Geschichte: Er zog die Welt um eine Ecke, und wir können nicht einmal mehr zurückblicken, um zu sehen, woher wir gekommen sind.

Wilberforce sah vieles, was der Rest der Welt nicht sehen konnte; so etwa, wie grotesk ungerecht es war, wenn ein Mensch einen anderen als Eigentum behandelte. Wie aus dem Nichts scheint er sich plötzlich zu erheben und seinen Zeitgenossen mit den Stimmen von Milliarden ungeborener Menschen – mit Ihrer und meiner Stimme – regelrecht zuzuschreien: Ihr schlafwandelt durch die Hölle. Ihr müsst aufwachen und sehen, was ich gesehen habe; müsst erkennen, was ich erkannt habe. – Kurz: Die Botschaft, die Ihnen und mir heute sonnenklar ist, dass die verbreitete, institutionalisierte und unvorstellbar grausame Misshandlung von Millionen Menschen ein Gräuel ist und so bald wie irgend möglich gestoppt werden muss – koste es, was es wolle.

Doch kann es sein, dass die Menschheit einen Umstand so lange als gegeben hinnahm, der für uns so offensichtlich nicht hinnehmbar ist? Und wieso erkannten nur wenige, allen voran Wilberforce, den wahren Charakter dieser Ungerechtigkeit? Warum gingen Wilberforce – und einigen wenigen anderen – in einer ethisch erblindeten Welt plötzlich die Augen auf, sodass sie sehen konnten? Die Abolitionisten im späten achtzehnten Jahrhundert ähneln den Figuren in einem Horrorfilm, die »das Monster« gesehen haben und nun versuchen, alle anderen davor zu warnen – und niemand schenkt ihnen Glauben.

Um die Größe von Wilberforce’ Leistung zu ermessen, müssen wir uns vor Augen halten: Bei der »Krankheit«, die er für immer besiegt hat, handelt es sich letztlich weder um Sklavenhandel noch um Sklaverei. Sklaverei gibt es immer noch, weltweit, und das in einem Ausmaß, das wir kaum fassen können. Wilberforce bezwang einen Feind, der sogar noch gefährlicher war als die Sklaverei selbst; ein Übel, das viel tiefer lag und von unserem heutigen Standpunkt aus kaum noch zu sehen ist. Er besiegte die Geisteshaltung, welche die Sklaverei überhaupt erst akzeptabel gemacht und über Jahrtausende hinweg ihr Gedeihen und Überleben gesichert hatte. Er zerstörte eine ganze Weltsicht, die seit Anbeginn der Geschichte unumschränkt geherrscht hatte, und ersetzte sie durch eine andere Art und Weise, die Welt zu betrachten. Die alte Sichtweise beinhaltete die Vorstellung, der Missstand der Sklaverei gehöre nun einmal zur akzeptierten Gesellschaftsordnung. Wilberforce merzte jene alte Sichtweise aus, und mit ihr starb auch die Vorstellung, Sklaverei sei etwas Gutes. Obwohl es Sklaverei hier und da immer noch gibt, ist doch die Vorstellung, sie sei gut, ausgelöscht. Der Gedanke, sie sei unauflöslich mit der menschlichen Zivilisation verknüpft; sie entspreche dem Lauf der Dinge, wie sie sein sollten; sie sei ökonomisch notwendig und moralisch zu rechtfertigen: Dieser Gedanke ist verschwunden. Denn die gesamte Geisteshaltung, auf der diese Denkweise beruhte, existiert nicht mehr.

Wilberforce veränderte den Blickwinkel seiner Landsleute um hundertachtzig Grad: nicht nur auf die Sklaverei, sondern auch auf fast alle anderen sozialen Themen. Seine Sichtweise beeinflusste das gesamte britische Weltreich und hinterließ ihre Spuren selbst auf dem europäischen Kontinent. Darum ist es nahezu unmöglich, der gewaltigen Größe seiner Leistung gerecht zu werden: Sie war nichts Geringeres als eine grundlegende und wichtige Veränderung des menschlichen Bewusstseins.

In seiner typischen Bescheidenheit hätte Wilberforce als Erster darauf bestanden, er habe mit alledem wenig zu tun. Tatsache ist, dass in den Jahren 1784/85, im Alter von sechsundzwanzig Jahren und auf dem Höhepunkt seiner politischen Karriere, etwas tief Greifendes und Dramatisches mit ihm geschah. Er schrieb einmal darüber: »Ich wähle wohl kaum zu große Worte, wenn ich sage, dass ich selbst … aus einem Traum erwachte; dass ich, wie nach einem Wahn, wieder zu Sinnen kam …« Dabei wurden Wilberforce beinahe gegen seinen Willen die Augen geöffnet: »Gottes gute Vorsehung« war es, »ein Wunder der Gnade«. Wilberforce sah Gottes Wirklichkeit – das, was Jesus das Reich Gottes nannte. Er sah etwas, das er noch nie zuvor gesehen hatte – zumindest nicht in dieser Klarheit und Deutlichkeit; etwas, das wir heute als ganz selbstverständlich hinnehmen, das jedoch seiner Welt ebenso fremd war wie die Sklaverei der unsrigen. Er sah etwas, das in Gottes Wirklichkeit existierte, von dem aber in der menschlichen Wirklichkeit oft nichts zu sehen war. Er erkannte, dass alle Männer und Frauen von Gott gleich und nach seinem Bild erschaffen und deshalb unantastbar sind. Er erkannte, dass alle Menschen Brüder und dass wir alle die Hüter unserer Brüder sind. Er erkannte neu, dass man seinen Nächsten wie sich selbst lieben und die Menschen so behandeln soll, wie man selbst behandelt werden will.

Diese Gedanken gehören zum Kern des christlichen Glaubens, und sie waren seit mindestens achtzehn Jahrhunderten im Umlauf, als Wilberforce ihnen begegnete. Mönche und Missionare kannten sie und lebten sie in ihren begrenzten Lebensbereichen aus. Doch noch nie hatte eine ganze Gesellschaft sich diese Gedanken als Gesellschaft so zu Herzen genommen, wie Großbritannien es tun würde. Diesen Umstand veränderte Wilberforce für immer.

Vom Standpunkt eines Politikers bezog er diese Gedanken auf die Gesellschaft als Ganzes, in der er lebte, und diese war zum ersten Mal in der Geschichte aufnahmebereit. Man könnte von Wilberforce vielleicht sagen, er habe Glaube und Kultur miteinander vermählt. Plötzlich fanden die Menschen sich in einer Welt wieder, in der sie nie wieder die Frage stellen würden, ob es denn unsere gesellschaftliche Verantwortung sei, den Armen und Leidenden zu helfen. Sie würden nur noch über das Wie debattieren, über die Einzelheiten – zum Beispiel darüber, ob es mit öffentlichen oder privaten Mitteln geschehen solle. Aber sie würden nie wieder infrage stellen, ob es unsere Verantwortung als Gesellschaft sei, den weniger Begünstigten zu helfen. Diese Frage war geklärt. Heute sprechen wir von einem »sozialen Gewissen«, ohne das wir uns eine moderne, zivilisierte Gesellschaft nicht mehr vorstellen können.

Nachdem diese Idee erst einmal in die Welt gesetzt worden war, veränderte sie die Welt. Nicht nur Sklaverei und Sklavenhandel würden schon bald abgeschafft sein, sondern auch eine Vielzahl geringerer sozialer Übel. Zum ersten Mal in der Geschichte bildeten sich Gruppen, die sich für jede erdenkliche soziale Sache einsetzten. Wilberforce’ erstes »großes Ziel« war die Abschaffung des Sklavenhandels, doch sein zweites »großes Ziel« war die Reform von Wertvorstellungen allgemein. Die Probleme von Witwen und Waisen, von Gefangenen und Kranken, Kinderarbeit und die Zustände in den Fabriken – sie alle fanden auf einmal Fürsprecher in Menschen, die denjenigen helfen wollten, die nicht so vom Glück begünstigt waren wie sie selbst. Im Zentrum zahlreicher dieser sozialen Aktivitäten stand der Clapham-Kreis, eine informelle, aber einflussreiche Gemeinschaft Gleichgesinnter vor den Toren Londons, die gemeinsam Pläne für gute Taten schmiedeten. Im Zentrum der Claphamer wiederum stand Wilberforce selbst. Zeitweise war er Mitglied von mindestens neunundsechzig verschiedenen Gruppen, die sich für verschiedenste soziale Reformen einsetzten.

In der Gesamtschau kommt man kaum darum herum, William Wilberforce als einen der größten Sozialreformer der Weltgeschichte zu sehen. Die Welt, in die er 1759 hineingeboren wurde, war so verschieden von der Welt, die er 1833 wieder verließ, wie Blei von Gold. Wilberforce war für ein soziales Erdbeben verantwortlich, das den Kontinenten eine neue Anordnung gab und dessen Ausmaß wir erst jetzt ganz zu begreifen beginnen.

Er konnte noch nicht voraussehen, wie das Feuer, das er in England entzündet hatte, den Atlantik überqueren und quer durch Nordamerika fegen würde, um dieses Land tief und unumkehrbar zu verändern. Können wir uns ein Amerika vorstellen ohne seine grenzenlose Zahl von Organisationen, die sich für die Behebung jeglichen sozialen Missstandes einsetzen? Wäre solch ein Amerika noch Amerika? Mag sein, dass wir Wilberforce nicht zuschreiben wollen, er habe Amerika erfunden, aber es lässt sich mit Fug und Recht behaupten, dass es das uns bekannte Amerika ohne Wilberforce nicht gäbe.

Infolge der Bemühungen von Wilberforce und den Claphamern kam die »Verbesserung der Gesellschaft« bis zur viktorianischen Ära so in Mode, dass sowohl Wohltäter als auch ihre Arbeit lohnenswerte Zielscheiben des Spotts wurden – und daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Wir haben schlichtweg vergessen, dass die Armen und Leidenden im achtzehnten Jahrhundert – vor Wilberforce und Clapham – fast völlig ohne Fürsprecher in der öffentlichen oder privaten Sphäre dastanden. Wir, die wir manchmal geradezu fixiert sind auf unser soziales Gewissen, können uns eine Welt ohne ein solches nicht mehr vorstellen. Wir können uns kein Bild mehr von einer Gesellschaft machen, die das Leiden der Armen und anderer als den »Willen Gottes« betrachtet. Selbst wenn wir von dieser Ansicht hören, etwa von Gesellschaften und Kulturen, die von einer östlichen Weltsicht und der Lehre vom Karma geprägt sind, weigern wir uns, dies zu glauben. In unserer Arroganz scheinen wir uns einzubilden, jeder auf diesem Planeten denke über die gesellschaftlichen Verpflichtungen gegenüber den weniger Begünstigten genauso wie wir, aber das ist nicht der Fall.

Wenige andere Politiker haben je, motiviert durch ihren Glauben, mehr für die Gesellschaft bewirkt. Deshalb war Wilberforce in seiner Zeit viel eher eine moralische Instanz als ein politischer Held. Persönlichkeiten wie beispielsweise Aleksandr Solschenizyn oder Nelson Mandela kommen in unserer Zeit dem Eindruck am nächsten, den Wilberforce wohl auf die Männer und Frauen des neunzehnten Jahrhunderts machte, für die die Erinnerung an das, was er getan hatte, immer noch lebendig war.

Die US-Präsidenten Thomas Jefferson und Abraham Lincoln lobten ihn als Inspiration und Vorbild. Lincoln sagte, jeder Schuljunge kenne Wilberforce’ Namen und seine Errungenschaften. Der amerikanische Vorkämpfer für die Sklavenbefreiung Frederick Douglass2 schwärmte, Wilberforce’ »Glaube, sein beharrlicher und ausdauernder Enthusiasmus« hätten »das Herz der Briten zum Mitleid mit dem Sklaven erweicht und den starken Arm jenes Staates dazu bewegt, in Barmherzigkeit dieser Knechtschaft ein Ende zu machen«. Die Autorin des Romans »Onkel Toms Hütte«, Harriet Beecher-Stowe3, sang seinen Ruhm; ebenso George Eliot4, die als eine der ersten in England psychologisch-soziale Romane schrieb. Henry David Thoreau5, dessen Werke unter anderem Gandhi und Martin Luther King beeinflussten, und der Dichter John Greenleaf Whittier6 stimmten in das Lob mit ein. Auch Wilberforce’ Kritiker kamen an ihm nicht vorbei. Lord Byron, eine Zeit lang der in Deutschland bekannteste englische Dichter nach William Shakespeare, schreibt, Wilberforce sei »Moral’scher Washington von Afrika«.7

Der amerikanische Künstler und Erfinder Samuel Morse sagte, Wilberforce’

ganze Seele [sei] darauf aus, seinen Mitmenschen Gutes zu tun. Kein Moment seiner Zeit wird vergeudet. Immer ist er dabei, diesen oder jenen wohltätigen Plan zu schmieden, und nicht nur zu schmieden, sondern auch auszuführen. … Ach, gäbe es doch mehr Männer wie Mr Wilberforce auf dieser Welt. Viel menschliches Blut würde dann nicht mehr vergossen, um die Boshaftigkeit und Rachsucht einiger weniger böser, eigensüchtiger Männer zu befriedigen.

Der amerikanische Abolitionist William Lloyd Garrison ging noch weiter. »Seine Stimme hatte einen silbrigen Klang«, sagte er über Wilberforce,

sein Gesicht ein freundliches, angenehmes Lächeln und sein Blick einen feinen, scharfsinnigen Ausdruck. Im Gespräch war er gewandt, jedoch bescheiden; bemerkenswert exakt und elegant in seiner Wortwahl; vorsichtig im Ziehen von Schlüssen; forschend in den Fragen, die er stellte; und geschickt im Abwägen von Aussagen. In seiner Manier verband er Würde mit Schlichtheit und kindliche Leutseligkeit mit geziemendem Takt. Was für einen vollkommenen Einklang bilden diese großartigen Elemente des Charakters in ein und derselben Person, nämlich – taubengleiche Freundlichkeit und erstaunliche Tatkraft – tiefe Demut und abenteuerlicher Wagemut! … All diese mischten sich in Wilberforce’ Seele.

Der italienische Adlige, Graf Pecchio, der Wilberforce in seinen späteren Jahren begegnete, schrieb:

Wenn Mr Wilberforce am Tag der Eröffnung des Parlaments durch die Menge schreitet, richten sich aller Augen auf diesen kleinen alten Mann, vom Alter gebeugt und den Kopf tief auf seine Schultern gesunken, wie auf ein heiliges Relikt: auf den Washington der Menschlichkeit.

Solche Lobreden sind uns nicht ganz geheuer, denn in unserer Zeit herrscht ja ein tiefer Argwohn gegenüber jedweder menschlichen Größe. WatergateF2 scheint sich wie ein Fallkäfig auf uns herabgesenkt und uns für immer von allem abgeschnitten zu haben, was einer solchen Heldenverehrung nahekommen könnte, besonders, wenn es um politische Persönlichkeiten geht. Hinter jedem glücklichen biografischen Detail sehen wir die Gestalt des Parson WeemsF3 lauern, mit seinen frommen Sprüchen über Kirschbäume und – ausgerechnet – Wahrheitsliebe.

Wenn es irgendjemandem gelingen könnte, unsere Fähigkeit, schlichte Güte zu erkennen, wiederherzustellen, dann wohl Wilberforce. Wenn wir einem Mann nicht zujubeln können, der buchstäblich »den Gefangenen die Freiheit« brachte und der Welt jenen unaufhaltsamen Motor der Veränderung hinterließ, den wir das soziale Gewissen nennen, wem können wir dann zujubeln? Besonders, wenn wir wissen, dass er weitgehend in Vergessenheit geraten ist und selbst der Erste wäre, seine Leistungen herunterzuspielen – wie wir aus seinen Tagebüchern und Briefen ersehen können, die uns zeigen, dass er mit dem aufrichtigen und tiefen Bedauern darüber, nicht noch viel mehr getan zu haben, dem Grab entgegenging.

Im wichtigsten Getümmel der Schlacht um den Abolitionismus empörte sich Lord Melbourne8, einer seiner zahlreichen entschiedenen Gegner, darüber, wie Wilberforce es wagen konnte, der britischen Gesellschaft seine christlichen Wertvorstellungen über Sklaverei und die Gleichheit aller Menschen aufzunötigen. »Das wären ja schöne Zustände«, donnerte er, »wenn einer seine Religion ins öffentliche Leben eindringen ließe.« Das geschichtliche Urteil erweist Melbournes Ausruf natürlich als reinste Ironie. Und mir ist, als hörte ich heute noch die personifizierte Geschichte schallend über diese lapidare Geistlosigkeit lachen.

Aber schließlich sind es ja tatsächlich schöne Zustände. Und wie froh können wir sein, dass wir zu diesen schönen Zuständen geführt wurden, zu jenem goldenen Tor, und dann – wie über steile Bergpässe – in eine neue Welt, von der wir nicht geahnt hatten, dass es sie überhaupt geben könnte.

Eric Metaxas, New York City

[Zum Inhaltsverzeichnis]

1. KAPITEL

DER KLEINE WILBERFORCE

»Du weißt, dass es nicht scheitern kann, wenn es ein Werk der Gnade ist.«

ELISABETH WILBERFORCE

Am 24. August 1759 wurde William Wilberforce als Sohn einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie in der Stadt Hull geboren. Das eindrucksvolle, aus roten Ziegelsteinen erbaute Herrenhaus aus der Zeit Jakobs I., in dem er zur Welt kam, befand sich an der High Street, mit Blick auf den Fluss Hull. Der Hull strömt eine halbe Meile flussabwärts in den erheblich breiteren Humber und dann weiter nach Osten in die Nordsee.

Die Familie Wilberforce selbst führte ihre Ahnenreihe in Yorkshire stolz bis ins zwölfte Jahrhundert unter die Herrschaft Heinrichs II. zurück. Das Adelsverzeichnis Burke’s Peerage9 nennt sie sogar als eine der wenigen Familien, die sich bis vor 1066 in die angelsächsische Zeit zurückverfolgen lassen.10 Damals und noch Jahrhunderte danach bis in Wilberforce’ eigenes Jahrhundert hinein lautete der Familienname Wilberfoss. Geändert wurde er von Wilberforce’ Großvater, offenkundig ein Mann von »starker« (englisch forceful) Persönlichkeit, wie sich teilweise an seiner Neigung zeigt, alles zu ändern, was ihm missfiel. Wahrscheinlich nahm er Anstoß an den Wurzeln der Endsilbe -foss, die »Vasall« oder im Irischen »Knecht« bedeutet. Das taugte nichts für eine politische Figur mit großen Ambitionen auf Reichtum und Macht. Und so wurde Wilberforce daraus.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!