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SIE KOMMEN AUS VERSCHIEDENEN WELTEN - UND SIND DOCH PERFEKT FÜREINANDER
Eine abgelegene Ranch abseits einer kanadischen Kleinstadt klingt für die ausgebrannte Sängerin Skylar Stone wie der perfekte Ort, um sich vor ihren Fans und der Presse zu verstecken. Hier will sie zurück zu ihrer Musik und sich selbst finden, doch stattdessen trifft sie auf Weston Belmont. Der heiße Single Dad lässt sie eine Geborgenheit spüren, die ihr aus ihrem Celebrity-Leben völlig fremd ist, und seine zwei Kinder schleichen sich schnell in Skylars Herz. Zum ersten Mal in ihrem Leben erfährt sie, was es bedeutet, eine Familie und ein Zuhause zu haben. Doch schon bald holt ihr Ruhm sie wieder ein und bedroht ihr Glück mit West ...
»Elsie Silvers Schreibstil ist eine wahre Offenbarung!« ALI HAZELWOOD
Band 2 der ROSE-HILL-Reihe von TIKTOK-Sensation Elsie Silver
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Seitenzahl: 553
Veröffentlichungsjahr: 2025
Titel
Zu diesem Buch
Leser:innenhinweis
Anmerkung der Autorin
Karte
Widmung
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
30. Kapitel
31. Kapitel
32. Kapitel
33. Kapitel
34. Kapitel
35. Kapitel
36. Kapitel
37. Kapitel
38. Kapitel
39. Kapitel
40. Kapitel
41. Kapitel
42. Kapitel
Epilog
Danksagung
Die Autorin
Die Bücher von Elsie Silver bei LYX
Impressum
Elsie Silver
Wild Eyes
Roman
Ins Deutsche übertragen von Maike Hallmann
Als Skylar Stones Freund sich in der Öffentlichkeit von ihr trennt, führt das nicht nur zu einem PR-Skandal, sondern enthüllt der erfolgreichen Sängerin auch, dass sie von ihrem Management manipuliert wird und ihre Karriere auf Lügen basiert. Um wieder zu sich und ihrer Musik zu finden, reist sie nach Rose Hill, wo sie in einem kleinen Studio ihr neues Album produzieren will. Auf dem Weg in das Städtchen in der kanadischen Provinz stolpert sie zuerst über einen Grizzlybären und dann über Weston Belmont, der sie vor Schlimmerem bewahrt. Seine Ruhe und Humor – und sein muskulöser Körper – in der brenzligen Situation faszinieren Skylar, und fast bedauert sie es, dass der Bär sich nach einigen Minuten zurückzieht und sie sich von West verabschieden muss. Doch schneller als erwartet sehen sie sich wieder, denn da ihre Unterkunft noch nicht fertig ist, wird sie auf seiner Ranch untergebracht. Der heiße Single Dad lässt sie eine Geborgenheit spüren, die ihr aus ihrem Celebrity-Leben völlig fremd ist, und seine zwei Kinder schleichen sich schneller in Skylars Herz, als ihr lieb ist. Zum ersten Mal in ihrem Leben erfährt sie, was es bedeutet, eine Familie und ein Zuhause zu haben. Und endlich kehrt auch die Musik zu ihr zurück. Doch schon bald holt ihr Ruhm sie wieder ein und bedroht ihr Glück mit West …
Liebe Leser:innen,
dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte.
Deshalb findet ihr hier einen Contenthinweis.
Achtung: Diese enthalten Spoiler für das gesamte Buch!
Wir wünschen uns für euch alle das bestmögliche Leseerlebnis.
Euer LYX-Verlag
Liebe Leser:innen,
wir sind zurück in Rose Hill mit einem meiner liebsten Pärchen. Seid ihr bereit?
West ist rau, wild und hat einen unglaublichen Humor. Und Skylar ist so unwahrscheinlich stark. Wie sie zu sich selbst findet und wie er ihr den Raum dafür gibt und sie dabei unterstützt, sich zu entwickeln und zu heilen, ist so wahnsinnig romantisch.
Ich hoffe, ihr alle liebt die beiden so sehr, wie ich es tue.
Nun lehnt euch zurück, vergesst die Welt um euch herum und genießt den wilden Ritt.
Happy reading,
xo
Für alle, die sich jemals gelähmt gefühlt haben durch die Meinungen anderer Menschen: Ich wünsche euch, dass ihr lernt, das, was ihr tut, so sehr zu lieben, dass all diese kritischen Stimmen ihre Bedeutung verlieren. Und bis dahin gilt:
Zu tun, was man liebt, heißt, zu gewinnen.
Geht hinaus in die Welt und leuchtet.
Die Sonne scheint, der See funkelt, und am Straßenrand entdecke ich schon wieder so eine verdammte Touristin, die versucht, ein Selfie mit einem Bären zu machen.
Und zwar nicht mit irgendeinem Bären. Sondern mit einem Grizzly.
»Das soll wohl ein Scherz sein«, murmle ich kopfschüttelnd und bremse langsam meinen Pick-up. So genau habe ich die Frau noch nicht gesehen, nur eine hautenge Jeans, ein Crop-Top und einen Wasserfall glänzender, gewellter bronzefarbener Haare, der sich über ihren Rücken ergießt.
Während der Bär im Graben hinter ihr herumwühlt, hebt sie eine Hand und gestikuliert beim Reden wild in ihr Handy.
Ich halte vor ihrem E-Auto an. Denn ja, natürlich fährt sie ein E-Auto. Von dem sie sich beim Heranpirschen an den Grizzly bereits gut zehn Meter entfernt hat.
Einen Moment lang sehe ich dem Schauspiel zu, wie gelähmt angesichts so viel Dummheit. In den Sommermonaten sieht man so etwas in Rose Hill häufiger, aber ich gewöhne mich nicht daran, es haut mich jedes Mal aufs Neue um. Es ist, als hätten all diese bescheuerten Städter auf ihrer Lebenswunschliste stehen: Einen echten Bären in freier Wildbahn sehen. Offenbar dicht gefolgt von: Mich von einem echten Bären in freier Wildbahn töten lassen.
Ich lasse mein Fenster herunter, statt die Tür zu öffnen. Ich will das Tier nicht aufschrecken, und ich will auch nicht unbedingt aussteigen. Ich genieße das Leben, und die Zeiten, in denen ich es gern mal aufs Spiel gesetzt habe, um Grenzen auszutesten, liegen – jedenfalls mehr oder weniger – hinter mir.
Also sage ich so ruhig, wie ich nur kann: »Ma’am.«
Aber sie spricht weiter ins Handy, filmt sich selbst und bekommt ansonsten nicht viel mit von der Welt. »Da fahre ich also einfach nur ein bisschen durch die Gegend auf dieser landschaftlich wirklich hübschen Nebenstraße, als auf einmal – bumm! – dieser wunderschöne Bär über den Abhang schlendert.«
»Ma’am!« Ich lehne mich aus dem Fenster und winke, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Vielleicht wird ja meine unwillkommene Stimme in ihrem Video sie aus dem Konzept bringen.
Und ja, es klappt. Sie wirbelt zu mir herum, mit gerunzelter Stirn, lodernden Augen und einem Gesicht, das ich überall wiedererkennen würde.
Denn dieses Gesicht würden wohl die meisten Menschen auf der Welt erkennen.
Japp, es ist der Countrymusik-Superstar Skylar Stone persönlich, und sie funkelt mich böse an, weil ich ihre Videoaufnahme gestört habe. Einen Moment lang bin ich wie vom Donner gerührt. Mir fehlen die Worte. Ich vermute, ich weiß, was sie hier in der Gegend macht, aber jetzt ist nicht die richtige Zeit für Small Talk. Ich möchte nicht als der Typ in die Geschichte eingehen, der tatenlos danebenstand, während ein hungriger Grizzly einen allseits beliebten, aufstrebenden Star verschlang.
»Was soll das?«, fragt sie und breitet die Arme aus, als stünde sie nicht mit dem Rücken zu einem unberechenbaren, riesigen Wildtier. »Jetzt muss ich die ganze Aufnahme noch mal machen.«
»Das da ist ein verdammter Grizzlybär. Steigen Sie sofort wieder in Ihr Auto«, zische ich und deute mit dem Daumen auf ihren Wagen.
Sie schüttelt den Kopf und starrt mich immer noch böse an. »Weißt du, was mir zum Hals heraushängt?«
»Das Leben?«, entgegne ich bissig, und dann steige ich doch aus, wider besseres Wissen. Am liebsten würde ich die Tür zuknallen, aber ich lasse sie offen, um nicht noch mehr Lärm zu machen. »Denn danach sieht es im Moment aus.«
Sie schnaubt. »Nein. Aber ich habe es satt, dass mir ständig alle sagen, was ich tun und lassen soll.« Ihr durchdringender Blick wandert über meine verblichene schwarze Jeans und streift die abgewetzten schwarzen Blundstones, bevor sie mein schlichtes weißes T-Shirt mustert. Es hat ein Loch in der Nähe des Ausschnitts, und sie richtet den Blick darauf und rümpft die zierliche Nase, als hätte sie soeben den Beweis dafür entdeckt, dass ich ganz sicher nicht der Richtige bin, um ihr einen Ratschlag zu erteilen.
Vorsichtig nähere ich mich, recke den Hals und spähe den Hang hinunter. Ja, dort ragt der verräterische braune Grizzlybuckel über die Büsche, in denen er nach Beeren sucht. Ich höre sogar sein tiefes, zufriedenes Grunzen. Wahrscheinlich verspeist er gerade als Vorspeise Beeren von einem Busch, bevor er hochkommt und uns für seinen Hauptgang ein paar Gliedmaßen abreißt.
»Ich verstehe das. Wirklich. Aber trotzdem glaube ich nicht, dass du hier auf diesem Hügel sterben willst. Wenn wir das hier überleben, fahre ich gern mit dir in einen Zoo und filme deinen Social-Media-Content für dich. Ja, ich hasse Social Media, aber ich halte meine Versprechen.«
Sie folgt meinem Blick, dann hebt sie das Kinn und blickt mir geradewegs ins Gesicht. Spitzt die üppigen, herzförmigen Lippen, und ihre haselnussbraunen Augen machen den Eindruck, als würde sie gleich Raketen auf mich abfeuern. Das Handy in der Hand, verschränkt sie die gebräunten Arme vor der Brust.
Pure Aufsässigkeit von Kopf bis Fuß.
Sie erinnert mich an meine sechsjährige Tochter Emmy, umso mehr, als sie mit dem Fuß aufstampft. Der Unterschied ist allerdings, dass ich mir Emmy schon längst wie einen Fußball unter den Arm geklemmt hätte und schleunigst mit ihr abgehauen wäre.
»Er frisst. Er weiß nicht mal, dass ich hier bin. Und ich habe noch nie einen echten Bären gesehen.« Es klingt, als wollte sie sich beklagen, dass ich alter Spielverderber ihr den ganzen Spaß raube.
Mit offenem Mund starre ich sie an. Sie hat Diamantstecker in der Größe reifer Blaubeeren in den Ohren, so groß, dass ich sie bei jedem anderen für Modeschmuck halten würde. »Hör zu, ich hab’s kapiert. In der Stadt gibt es keine Bären. Es ist eine ganz neue, aufregende Erfahrung. Aber das da«, ich zeige auf das Tier, »ist nicht Pu der Bär.«
Mit angespannter, aber sehnsüchtiger Miene blickt sie den Hang hinab. Es ist, als würde ihr meine Argumentation einleuchten, aber sie wünscht sich offenbar sehr, es wäre anders.
Weil ich den Eindruck habe, dass ich mit der Anspielung auf das Kinderbuch zu ihr durchdringe, fahre ich fort: »I-Aah ist nicht in einem Brunnen gefangen. Ferkel ist nicht auf der Suche nach einem Topf Honig. Stell … stell dir einfach vor, ich bin Eule und gebe dir gerade einen wirklich klugen Rat.«
»Aber … da sind sogar Babys.« Sie gurrt das Wort Babys so hingebungsvoll, als würde diese Tatsache ihr irrationales Verhalten auf einmal in ein ganz anderes Licht rücken. Als wäre dadurch alles in Ordnung.
Aber jeder, der sich mit Bären auskennt, weiß, dass das die Situation noch viel gefährlicher macht. Ich recke den Hals und spähe den Hang hinunter, als müsste ich unbedingt mit eigenen Augen sehen, dass es wirklich so schlimm ist, und tatsächlich … da sind sie. Zwei Junge.
»Bitte«, versuche ich es mit einer anderen Strategie, lege so viel Flehen in meine Stimme wie möglich. Strecke den Arm aus und krümme lockend die Finger, wie ich es auch bei einem unruhigen Pferd tun würde. Als Pferdetrainer habe ich viel Erfahrung damit. Und auch damit, wie plötzlich Panik einsetzen kann.
Offenbar hört sie die Dringlichkeit in meiner Stimme, denn sie schluckt schwer und mustert mich, als würde sie überlegen, ob ich vertrauenswürdig bin.
Schließlich nickt sie mir zu und macht einen zaghaften Schritt weg vom Abhang. Kommt auf mich zu. Erleichtert atme ich auf.
Doch die Erleichterung ist nur von kurzer Dauer, denn sobald sie sich in Bewegung setzt, folgt ihr der Bär, als wären sie beide mit einer unsichtbaren Leine verbunden.
Ich kann es ihm nicht verdenken.
Sie ist faszinierend. Hat etwas an sich, das es schwer macht, den Blick abzuwenden. Schon auf dem Bildschirm sieht man es, und man hört es im Radio, aber in natura ist der Effekt noch viel stärker.
»Okay, Puppe …«
»Nenn mich nicht Puppe!«
»Du musst jetzt den Mund halten«, sage ich so ruhig wie möglich und sehe, wie hinter ihr der Bär auftaucht und die erste Pfote auf die Straße setzt. Seine zehn Zentimeter langen Klauen klicken auf dem Asphalt, und Skylar erstarrt. »Komm langsam auf mich zu. Nicht rennen. Nicht umdrehen. Bleib ganz ruhig.«
Sie blinzelt heftig. Ich sehe ihr an, dass sie mir eigentlich sagen will, ich hätte ihr gar nichts zu befehlen, aber ihr Überlebensinstinkt ist stärker, und sie tut, was ich ihr sage.
Der Bär stößt ein lautes Brummen aus, und Skylar hält inne. Mit großen Augen starrt sie mich an, als hielte ich gerade ihr Leben in der Hand. Ich nicke ihr zu und krümme wieder die Finger. In diesem Moment kann ich jedoch überhaupt nichts für sie tun, außer sie so nah an meinen Wagen heranzulotsen, dass sie durch die offene Tür hineinspringen kann.
Sie geht weiter, ihre Schritte werden immer schneller. Ihr Atem kommt stoßweise. Ich weiche zu meinem Wagen zurück und hoffe, dass sie mir folgt.
»Braves Mädchen. Du machst das gut.« Normalerweise würde ich darüber lachen, dass ich mit ihr rede wie mit einem Pferd. Aber jetzt gerade kribbelt meine Haut vor Nervosität, und all meine Muskeln sind angespannt, um blitzschnell reagieren zu können.
Sie nickt, wirft einen kurzen Blick über die Schulter und gibt ein leises Quietschen von sich, als würde ihr jetzt erst klar, wie riesig der Bär ist, der hinter ihr hertrottet.
Das Quietschen war gar keine gute Idee. Von einem Moment auf den anderen ist der Grizzly sehr viel interessierter als zuvor. Er bleibt stehen und stellt sich auf die Hinterbeine.
Gibt einen Laut von sich, der an ein Bellen erinnert, schnüffelt und neigt leicht den Kopf.
Ein Zeichen von Neugier, nicht von Aggression.
Jedenfalls noch nicht.
»Oh Gott, oh Gott, oh Gott«, flüstert Skylar mit tränenerstickter Stimme.
Die Hand ausgestreckt, versuche ich, nichts als Ruhe und Zuversicht auszustrahlen. »Was immer du tust, du darfst auf keinen Fall r…«
Bevor ich das Wort rennen aussprechen kann, rast sie auch schon geradewegs auf mich zu. Und gegen sämtliche Instinkte renne ich ebenfalls los.
Und zwar geradewegs auf sie zu.
Und auf den Bären.
Jenen Bären, der jetzt mit einer Pranke auf den Asphalt schlägt, als wollte er seinen Angriff ankündigen. Er springt mit ein paar kräftigen Sätzen vorwärts und weicht dann wieder zurück.
Jetzt bin ich im vollen Verteidigungsmodus und tue das Einzige, was mir einfällt: Sobald ich Skylar erreiche, packe ich sie am Arm und lege eine Hand an ihren Hinterkopf, dann werfe ich mich mit ihr in den Armen zu Boden. Komme über ihr zu liegen, und mein sehr viel größerer Körper bedeckt sie wie ein lebender Schutzschild.
Sie windet sich unter mir. »Was machst du …«
Ich stütze mich auf einem Arm ab, halte ihr den Mund zu und schüttle den Kopf. »Stopp. Du musst ganz leise sein, dann verschwindet der Bär wahrscheinlich von allein.«
Sie nickt unter meiner Hand, und ich nehme sie weg und lege schützend die Unterarme um ihren Kopf.
Ihre verängstigten goldenen Augen suchen meinen Blick, sie keucht vor Angst. Ihr Atem riecht süß, nach Mandarine und Zucker. »Schaffen wir es zu deinem Truck?«
Mein eigener Herzschlag donnert mir so laut in den Ohren, dass ich sie kaum verstehe. »Wir sind zu weit weg, und der Grizzly wäre schneller.«
»Okay.« Nervös leckt sie sich über die Lippen, und ich sehe, wie ihr eine Träne aus dem Auge rinnt. Sie kullert über ihre Schläfe hinweg hinters Ohr. Ich verfolge sie mit dem Blick, dann widme ich Skylar wieder meine volle Aufmerksamkeit und gebe mein Bestes, ihr tiefe Ruhe zu vermitteln, auch wenn es nicht gerade das ist, was ich in diesem Moment wirklich empfinde.
Weitere Tränen fließen über ihr Gesicht, während wir uns gegenseitig ansehen.
»Es tut mir leid.« Sie schluchzt erstickt auf, und dieser Laut schmerzt mich tief in der Brust.
Ich höre den Bären schnaufen. Inzwischen ist er ganz nah. Ich könnte schwören, dass der Boden unter dem Gewicht seiner Schritte bebt. Weiter unten am Hang höre ich leichtere Schritte – vermutlich die beiden Jungen.
Sanft und langsam reibe ich mit dem Daumen kreisförmig über Skylars Scheitel. »Alles wird gut. Dir passiert nichts. Wir sind einfach beide ganz ruhig, und alles wird gut«, flüstere ich ihr zu, aber ich versuche nicht nur sie zu beruhigen, sondern auch mich selbst.
Sie blinzelt, als wollte sie mir sagen, dass sie verstanden hat, und ich blinzle zurück. Dann lenke ich mich damit ab, all die ineinander verwirbelten Farbtöne in ihrer Iris zu betrachten.
Braun, Gold, Grün und dazwischen ein zartes Grau. Mindestens vier Farben leuchten mich hinter dem Tränenschleier an.
Ich glaube nicht, dass ich mich je zuvor derart in den Augen eines völlig fremden Menschen verloren habe.
»Sag mir, dass alles wieder gut wird.« Obwohl wir einander so nahe sind, sind die Worte kaum hörbar, fast nur ein langes Ausatmen.
Ich senke den Kopf noch mehr, und unsere Nasenspitzen berühren sich. Ich spüre ihre Wange unter meinen Lippen, als ich lautlos sage: Alles wird gut.
Ich habe in meinem Leben schon viele Verrücktheiten angestellt. Wenn ich ehrlich bin, überrascht es mich manchmal selbst, dass ich noch lebe. Aber bei diesen Verrücktheiten war ich bisher immer allein. Es fühlt sich sehr bedeutungsvoll an, über einem anderen Menschen zu liegen und zu wissen, dass dieser Mensch das Letzte sein könnte, was ich sehe. Es ist, als würde die Welt zum Stillstand kommen.
Scheiße, vielleicht werde ich auch nur alt und sentimental.
Und dann ist der Grizzly da, schnuppert an mir. Ich spüre seinen heißen, feuchten Atem im Nacken. Absurderweise senkt sich tiefe Ruhe über mich. Es ist, als wüsste mein Körper genau, dass ich jetzt auf keinen Fall in Panik geraten darf.
Ich bin in Rose Hill aufgewachsen und habe schon viele Bären gesehen, aber noch nie habe ich den Atem eines Bären im Nacken gespürt. Um ehrlich zu sein, auf diese Erfahrung hätte ich auch sehr gut verzichten können.
Aber ich kann jetzt nicht ausflippen. Ich muss ganz ruhig bleiben, für Skylar. Also sehe ich sie unverwandt an und vermittle ihr mit meinem Blick, dass sie sich nicht rühren soll, obwohl diese Situation ganz eindeutig so weit außerhalb all dessen ist, was sie kennt, als wäre sie auf einem fremden Planeten gelandet.
Ihre Lippen öffnen sich, ihr Atem geht schnell und hektisch. Sie kneift die Augen zu. Ich kann den Bären riechen, also kann sie es sicherlich auch.
Schweiß und Moschus und alte Turnschuhe. Es ist ein überwältigender Geruch, den ich ganz bestimmt niemals vergessen werde.
Die Sonne brennt mir auf den Rücken, dazu die Hitze des riesigen Bärenkörpers neben mir. Es ist, als würde ich ersticken. Ich lege meine Stirn an ihre und atme ruhig, fast als wollte ich mit meiner Atmung auch die ihre steuern.
Drei Sekunden lang einatmen.
Drei Sekunden lang ausatmen.
Und dann wird die Hitze auf einmal erträglicher. Das nervenzerfetzende Klicken der Klauen auf dem Asphalt entfernt sich. Der überwältigende Gestank wird schwächer. Auch das Rascheln auf dem Abhang verstummt, und ich nehme an, dass die Jungen ihrer Mutter gefolgt sind.
Skylar windet sich ein wenig unter mir und blickt unter ihren dichten Wimpern hinweg zu mir hoch. »Hast du die Babys gesehen? Die waren so süß.«
Ich lege meine Stirn an ihre, verkneife mir das Lachen und frage mich, wieso ich eigentlich immer wieder an Frauen gerate, die nicht mal einfachste Anweisungen befolgen können – selbst wenn ihr Leben davon abhängt. »Wir müssen leise sein«, sage ich jedoch nur.
Keine Ahnung, wie lange wir zusammen auf dem Boden liegen und gemeinsam ein- und ausatmen. Fünf Minuten? Zehn? Lange genug jedenfalls, dass ihre in mein Hemd gekrampften Hände allmählich schmerzen müssen. Sie zittert am ganzen Leib, also streiche ich ihr beruhigend über die Haare.
Ich weiß, dass der Bär weitergezogen ist. Aber ich werde das beklemmende Gefühl nicht los, dass ich ihm direkt ins Gesicht sehen werde, wenn ich aufblicke.
Also bleibe ich, wo ich bin, streichle ihr über den Kopf und versuche, mich zu beruhigen, statt jetzt schon aufzustehen.
Um die Situation ein bisschen aufzulockern, sage ich ganz leise das Erste, was mir in den Sinn kommt: »Ich habe kürzlich eine Umfrage gelesen. Sechs Prozent der Amerikaner glauben, sie könnten einen Grizzlybären im Nahkampf besiegen.«
»Was?« Ungläubig starrt sie mich an.
»Ich weiß. Ist das zu fassen?«
Sie starrt mich an, als würde sie sich fragen, ob das mein Ernst sein kann. »Unbewaffnet?«
Ich nicke, und dann hebe ich den Kopf und sehe mich um.
Kein Bär zu sehen.
Ich stemme mich auf alle viere hoch und blicke über die Schulter.
Kein Bär.
Ich setze mich auf, fahre mir mit beiden Händen über das kurze Haar und sehe mich in alle Richtungen um.
Kein Bär.
Nichts als blauer Himmel und warmer Sonnenschein.
Mit einem Stoßseufzer blicke ich schließlich wieder nach unten … und merke erst jetzt, dass ich mit gespreizten Beinen rittlings auf Skylar Stone sitze.
Mein Blick bleibt an ihrem zierlichen Schlüsselbein hängen, an der Wölbung ihrer Brüste in dem Ausschnitt ihrer Bluse. Ich schließe die Augen, schüttle den Kopf und öffne die Augen wieder, aber nein – sie ist immer noch da.
Sie wischt sich mit einer Hand über die Augen, macht aber keine Anstalten, sich unter mir herauszuwinden. Liegt einfach nur da und sieht wunderschön, fassungslos und völlig durcheinander aus. Sie hat die Zähne in die Unterlippe gegraben, als würde sie angestrengt nachdenken. Und noch immer lässt sie mein Hemd nicht los, krallt sich so fest in den Stoff, dass ihre Knöchel weiß hervortreten.
Auf einmal stößt sie ein zittriges Lachen aus. »Wenn sie von sechs Prozent sprechen, sind es in Wirklichkeit wahrscheinlich noch mehr.«
Ich seufze, dann stimme ich in ihr Lachen ein. »Ja, Kinder und ältere Menschen muss man rausrechnen.«
Sie tippt mit dem Zeigefinger auf meinen Oberschenkel. »Und Frauen.«
»Was?«
Sie verdreht die Augen. »Nur ein Mann würde glauben, er könne mit bloßen Händen gegen einen Grizzlybären kämpfen.«
»Und das ausgerechnet von der Frau, die gerade versucht hat, ein Selfie mit einem Grizzly zu machen.«
»Es war ein Video!«
Mit wackligen Beinen stehe ich auf und reiche ihr eine Hand, um sie ebenfalls auf die Füße zu ziehen. Grinsend sage ich: »Genau. Für deine Social-Media-Kanäle. Das macht es so viel besser.«
Sie betrachtet meine Hand, greift aber nicht danach. In ihrem Blick ist kein Funke Humor mehr zu sehen. »Du weißt doch gar nicht, was ich gemacht habe.«
»Okay. Was hast du denn gemacht?«
Sie hebt das Kinn. »Ich habe Content geschaffen, mit dem sich meine Follower identifizieren können.«
»Mal sehen. Da muss ich erst mal recherchieren, wie viel Prozent der Amerikaner schon mal von einem Grizzly angegriffen worden sind.«
Sie starrt mich an, als fände sie meinen Scherz überhaupt nicht komisch, dann sagt sie mit zusammengebissenen Zähnen: »Du kennst mich nicht gut genug, um mich zu verurteilen.« Mit einem frustrierten Grollen nimmt sie meine Hand, so ruppig, dass es klatscht.
Mit einem festen Ruck ziehe ich sie hoch. Sie ist jedoch leichter als erwartet, und so verliert sie das Gleichgewicht.
Ihre freie Hand landet auf meiner Brust, ihre Fingerspitzen sind dem Loch in meinem Shirt sehr nahe. Sie starrt mich an und weicht dann abrupt zurück, als hätte sie sich verbrannt.
Vor Kurzem war ihr Gesicht überall in den Medien, weil sie vor einer Kamera völlig erstarrt ist und kein Wort mehr herausgebracht hat. Heute jedoch scheint sie keine derartigen Probleme zu haben.
»Es lief alles großartig, bis du aufgetaucht bist und dich aufgeführt hast wie eine Mischung aus Crocodile Dundee und … und …« Sie wedelt mit einer Hand. »Und Superman, oder was weiß ich.«
Ich streiche mir übers Kinn. »Das sagst du sicher wegen meiner markanten Kieferpartie, hm?«
»Nein. Wegen diesem unausstehlichen Heldenkomplex.«
Ich schnaube, verschränke die Arme vor der Brust und betrachte sie amüsiert. Ich habe sie bisher immer als süße Südstaatenschönheit wahrgenommen, die ständig lacht und gute Laune verbreitet. Offenbar habe ich mich geirrt, denn jetzt steht sie vor mir und gibt mir ganz schön Zunder.
»Und wegen der«, sie deutet auf mich, »Besserwisserei.«
Jetzt grinse ich breit. »Wir wissen beide, dass ich dir gerade den Arsch gerettet habe. Sag einfach Danke.«
Sie schüttelt den Kopf und bückt sich nach ihrem Handy. »Hätte ich noch getan. Aber jetzt verlangst du es von mir, und dadurch fühlt es sich gezwungen an, und nicht echt. Und ich habe es satt, dass alle so tun, als würde ich ihnen etwas schulden.« Sie klopft ihre Jeans ab, die voller Kies und Staub ist. »Skylar, tu dies«, schnaubt sie, »Skylar, tu das. Skylar, lächle und winke. Skylar, sag Danke.« Mit einem müden Seufzer blickt sie zu mir hoch. »Weißt du, was? Es tut mir leid. Der letzte Monat war so unfassbar beschissen. Aber du hast es nicht verdient, das abzukriegen. Du hast meinetwegen heute schon genug mitgemacht. Danke, dass du für mich dein Leben riskiert hast. Das ist etwas ganz Neues für mich, über dieses Erlebnis muss ich später dringend mit meinem Therapeuten reden.«
Bei diesem Geständnis ziehe ich eine Augenbraue hoch. Sie zittert immer noch, also beschließe ich, das Gespräch noch ein wenig in die Länge zu ziehen, um ihr Gelegenheit zu verschaffen, sich wieder zu sammeln. »Ein beschissener Monat also?«
Ein gezwungenes Lächeln umspielt ihre Lippen, doch dann verblasst es, und sie kickt mit ihrer Sandale einen Stein weg. »Eigentlich ist es eher ein beschissenes Jahr.«
»So was hatte ich auch schon«, sage ich und beobachte sie aufmerksam. Offenbar bringt sie es gerade nicht über sich, mir in die Augen zu blicken, und unwillkürlich frage ich mich, was wohl eine Frau, die so stark zu sein scheint wie sie, derart getroffen haben kann.
Mit aufgesetzter Fröhlichkeit wechselt sie das Thema. »Na ja, wie auch immer. Ich muss jetzt zu Wild Rose Records. Das ist ein kleines Aufnahmestudio. Ganz neu. Vielleicht kennst du ja sogar den Besitzer – Ford Grant? Ich wollte eine landschaftlich reizvolle Route nehmen und habe mich verfahren. Diese Straßen sind alle nicht beschildert, und Empfang gibt es auch nicht. Ich dachte, ich würde mich lebendig fühlen, wenn ich einfach … querfeldein fahre. Verstehst du, was ich meine?«
Mit einem gutmütigen Schnauben drehe ich mich um und gehe zu meinem Wagen. Als ich nach der immer noch offen stehenden Tür greife, werfe ich einen Blick über die Schulter. Sie sieht wunderschön aus, verwirrt und völlig verloren.
Ich bin über ihren wütenden Ausbruch nicht im Geringsten verärgert. Im Gegenteil, ich bin erleichtert, weil ihr Kampfgeist diesen Zwischenfall offenbar unbeschadet überstanden hat.
»Es geht doch nichts über eine Nahtoderfahrung, um sich lebendig zu fühlen, hm?« Ich schwinge mich in den Wagen. »Folg mir einfach, ich bringe dich zu Ford Grant.«
Skylar kommt hinterher und mustert mich überrascht. »Du kennst ihn tatsächlich?«
Ich starte den Wagen, gerade als sie sich meinem offenen Fenster nähert. »Das könnte man so sagen.«
Sie zieht die Brauen zusammen und schiebt sich das Haar hinter die Ohren. Auf einmal wirkt sie niedergeschlagen. »Es tut mir echt leid. Ich bin einfach überwältigt von … von allem. Es war ein Riesenschreck, und ich weiß nicht, wie ich dir für das danken soll, was du getan hast. Ich glaube, es war noch niemals jemand bereit, für mich sein Leben aufs Spiel zu setzen.«
Sie sagt es ganz beiläufig, aber es erwischt mich kalt.
Was für eine verdammte Schande, schießt mir durch den Kopf.
Es ist eine schreckliche Vorstellung, als erwachsener Mensch noch niemals erlebt zu haben, dass jemand einem zur Seite steht. Und es ist geradezu absurd, dass jemand, der von so vielen geliebt wird wie Skylar Stone, das nicht erlebt haben soll.
Sie sieht mich unter ihren dichten Wimpern hinweg an, und ich zwinkere ihr beruhigend zu. »Du kannst dich bei mir bedanken, indem du damit aufhörst, dich ständig zu entschuldigen. Steig einfach in dein Auto und folge mir.«
Sie nickt und gräbt wieder die Zähne in die verstörend volle Unterlippe. »Ich weiß nicht mal deinen Namen.«
»Weston Belmont. Rose Hills persönlicher Super-Crocodile-Dundee, stets zu Ihren Diensten«, antworte ich mit einem übertriebenen Salut.
Sie verdreht die Augen, und der Anflug eines Lächelns umspielt ihre Lippen. Ich strecke eine Hand aus dem Fenster und klopfe von außen auf die Wagentür, dann rolle ich los.
Ich freue mich sehr, dass ich ihr das Leben retten konnte, aber ich habe heute noch Pferde zu versorgen, und außerdem warten auf mich ein Hof, auf dem es ständig etwas zu tun gibt, und zwei kleine Kinder, die ihren Vater brauchen. Ich muss zurück.
Auch wenn die Vorstellung, noch ein wenig zu bleiben und mit ihr zu plaudern, sehr verlockend ist.
»Warte! Willst du gar nicht wissen, wie ich heiße?«, ruft sie mir hinterher, während ich langsam weiterrolle und ihr Zeit gebe, in ihr Auto zu steigen und mir zu folgen.
Ich antworte nicht, weil ich genau weiß, wer sie ist. Ich bin schon seit Jahren heimlicher Skylar-Stone-Fan.
Aber ich will nicht, dass sie sich unwohl fühlt, also sage ich ihr das nicht. Außerdem wird es vermutlich noch viele Gelegenheiten geben, um mich mit ihr zu unterhalten.
Denn wenn sie zu Wild Rose Records will … werden wir wohl bald Nachbarn sein.
Ich habe eine Schwäche für Hände, und dazu stehe ich.
Eine Schwäche für Männerhände, um genau zu sein. Ich mag es, wie die Sehnen auf dem Handrücken spielen, wenn eine schöne Männerhand eine Gitarre anschlägt. Es gefällt mir, wie eine breite Männerhand die gesamte Länge eines Mikrofongriffs bedeckt. Und ich spüre eine solche Hand gern warm und sanft auf meiner Haut.
Ich kenne viele berühmte Leute. Künstler und Musiker. Hübsche, einflussreiche Männer. Aber noch nie haben mich die Hände eines Mannes so sehr in den Bann geschlagen wie die beiden, die sich eben um das Lenkrad des Trucks vor mir geschlossen haben. Und ich denke an den stählernen Griff um meinen Oberarm, als er mich mit sich auf den Boden gezogen hat.
Daran, wie ich seine Schwielen auf der Haut gespürt habe, als er mir sagte, alles würde gut werden.
Die Tätowierungen auf seinen Fingerknöcheln, die ich wie hypnotisiert angestarrt habe, als er sich über den Bart gestrichen hat.
Ich höre die Stimme meines Vaters in meinem Kopf, der mich vor Männern wie Weston warnt. Er wäre sehr besorgt, wenn ich mich mit einem Typen einlassen würde, der womöglich meinen tadellosen Ruf als Amerikas Liebling beschmutzt.
Seriöse Männer lassen sich kein Tattoo stechen, das sich nicht unter einem Hemd verbergen lässt.
Aber was ist mit heldenhaften Typen? Männern mit staubblondem Haar und so ausgeprägten Muskeln, dass ihr Hemd an den Schultern ein wenig zu eng sitzt?
Weston Belmont hat mich gerade vor einem Grizzlybären gerettet. Beziehungsweise vor mir selbst. Vor meiner eigenen Naivität.
Ein klügeres Mädchen als ich wäre sicherlich vor allem von seiner Tapferkeit fasziniert, von seiner tiefen Stimme oder den knappen, schlagfertigen Sprüchen.
Und ich? Ich folge ihm auf dieser Straße mitten durchs kanadische Nirgendwo und träume von seinen riesigen Händen. Mache mir eine mentale Notiz, dass ich unbedingt auch darüber mit meinem Therapeuten reden muss. Eine solche Vorliebe hat doch bestimmt einen Namen – es muss irgendein Bewältigungsmechanismus sein.
Kann es sein, dass man durch Daddy-Issues eine Obsession für Hände entwickelt?
Ich schnaube spöttisch und murmle dann in mich hinein: »Himmel, Skylar. Du brauchst wirklich dringend eine Runde people detox.« Und so ist es ja auch.
Zumindest habe ich genau das allen gesagt, um zu erklären, weshalb ich eine Weile abtauche. Vielleicht denken einige, meine Flucht aus Los Angeles wäre in Wirklichkeit eine Flucht vor meinen Problemen. Andere würden es wohl unhöflich finden, unangemeldet in einem Studio aufzutauchen, wenn die eigene Anfrage noch nicht bestätigt wurde.
Ich jedoch nenne es eine Flucht vor der demütigendsten Trennung der Welt.
Ich nenne es Verzweiflung.
Aber ich habe einen Plan. Ich habe ihn geheim gehalten vor meinen Eltern, die zugleich meine Manager sind, und meinem Agenten, der kaum mehr ist als ihre Marionette.
Ich will mein eigenes Album aufnehmen. Und ich werde keiner Menschenseele davon erzählen. Ich will keinen Input. Ich will keine Meinungen dazu hören. Dieses Projekt ist von mir selbst für mich selbst.
Ich sehne mich verzweifelt nach einem Neuanfang. Einem Tapetenwechsel. Will unbedingt dem Würgegriff entkommen, in den sich mein Leben verwandelt hat.
Und Würgegriff meine ich nahezu wortwörtlich.
Denn manchmal wird mir die Kehle so eng, dass ich kein Wort mehr herausbekomme. Wenn man mir ein Mikrofon vor die Nase hält, eine Kamera auf mich richtet oder mich vor ein Publikum stellt, war’s das. Dann kann ich nur noch dümmlich vor mich hinblinzeln und kichern. Mein Mund wird ganz trocken, und ich liefere »eine superpeinliche Bimbo-Imitation« ab, wie es neulich in einer Schlagzeile genannt wurde.
Inzwischen bin ich nicht mal mehr sicher, dass die anderen falschliegen.
Zuletzt hat mir die Sprache gefehlt, als ich nach besagter Trennung unter Tränen das Restaurant verlassen habe und in eine Flutwelle aus Fragen hineingestolpert bin.
»Skylar, was ist los?«
»Skylar, ist zwischen Ihnen und Andrew irgendwas vorgefallen?«
Irgendwas.
Mein erneutes Schnauben hallt durchs stille Auto. Ja, da war irgendwas.
Irgendwas, das ich nicht laut aussprechen will.
Ich war immer stolz auf meine Ehrlichkeit – aber was, wenn alles an mir selbst gelogen ist? Die Welt denkt, sie kennt mich, aber sie wurde eiskalt belogen.
Ich selbst wurde eiskalt belogen.
Mein ganzes Leben steht von einem Moment auf den anderen auf dem Kopf, aber ich kann mit niemandem darüber reden. Die Wahrheit ist einfach zu demütigend.
Ich kann damit auf keinen Fall an die Öffentlichkeit gehen. Jedenfalls jetzt noch nicht. Die Presse würde mich in der Luft zerreißen. Die Fans würden mich entweder bemitleiden oder verhöhnen – und beides könnte ich nicht ertragen.
Es ist schon seltsam, von so vielen Menschen umgeben zu sein, die behaupten, einen zu lieben, und trotzdem so einsam zu sein.
Also starre ich einfach nur ausdruckslos in die Kameras, während sich meine Lunge mit Beton zu füllen scheint und mir die Kehle zuschwillt. Mir fällt in diesen Momenten nur eins noch schwerer, als die richtigen Worte zu finden, und das ist das Atmen.
Ja, genau – ein Mädchen, das bereits vor Millionen von Menschen aufgetreten ist, das gesungen und getanzt hat und nie um Worte verlegen war, hat auf einmal einen völligen Blackout, sobald jemand eine Kamera auf es richtet.
Ich beiße die Zähne zusammen und wappne mich gegen die mentale Tracht Prügel, die ich gleich auf mich selbst einprasseln lassen werde, aber da gibt mir der Mann mit den schönen Händen in dem Pick-up vor mir ein Zeichen. Gleich darauf biegt er an einem wettergegerbten Holztor auf eine frisch gepflasterte Einfahrt ab, und ich folge ihm.
Das Grundstück vor uns liegt vollkommen verborgen hinter einer regelrechten Wand aus smaragdgrünen Kiefern, und ohne nachzudenken lasse ich das Fenster herunter. Frische Landluft strömt in mein Auto und in meine Lunge.
»Zu langsam!«, krächzt Cherry aus ihrem Käfig auf der Rückbank. Dieser Vogel liebt Autofahrten.
»Das ist eine Einfahrt, Cherry. Ich muss langsam fahren, du kleine Rebellin.«
»Zu langsam!«
Kichernd spähe ich nach vorn und versuche herauszufinden, wohin wir fahren. Schiebe die aufkeimende Angst beiseite. Was wäre aus Cherry geworden, wenn mich der Grizzly gefressen hätte? Wäre sie in einem Tierheim gelandet? In einem Zoo? Bei meiner Mutter oder meinem Vater, wo sie garantiert für ein Gedenkspektakel für die Presse ausgeschlachtet worden wäre?
All diese Optionen sind viel zu schrecklich, um darüber nachzudenken, aber ich weiß jetzt schon, dass mich diese Gedanken heute Nacht wach halten werden. So traurig es auch klingt – Cherry, der vorlaute afrikanische Graupapagei, der so gern flucht, ist womöglich meine einzige Freundin auf der ganzen verdammten Welt.
Die Einfahrt vollführt diverse Schlenker zwischen den Bäumen entlang. Der seltsam beruhigende Duft nach Erde und Kiefernnadeln weht durchs Fenster. Ich atme tief durch und fühle mich gleich ein bisschen besser.
Also atme ich weiter.
Drei Sekunden lang einatmen.
Drei Sekunden lang ausatmen.
Gleißend hell schießt mir das Bild durch den Kopf, wie Westons himmelblaue Augen sich in meine bohren, während wir gemeinsam auf dem Asphalt liegen und atmen. Ich hatte in diesem Moment solche Angst, dass ich am liebsten die Augen geschlossen hätte, bis alles vorbei war, aber ich konnte einfach nicht wegsehen.
Sein Blick hat mich vollkommen gefangen. Aber das hat mich eigenartigerweise sehr beruhigt.
»Zu langsam!«, schimpft Cherry wieder und reißt mich aus meinen Gedanken. Die Bäume weichen zurück, und beim Anblick der vor mir liegenden Landschaft bekomme ich beinahe einen Schreck.
Die E-Mails von Ford haben mich darauf vorbereitet, dass mich eine malerische Umgebung erwartet, aber das hier ist beinahe surreal.
Das Grundstück befindet sich an einem sanften Hang. Geradeaus sehe ich das Hauptgebäude mit seiner umlaufenden Veranda und einem freistehenden Kupferbriefkasten, passend zum Kupferdach. Das Haus ist mit altem Holz verschalt, das beinahe aussieht wie wiederverwertetes altes Scheunenholz, aber trotzdem hat es in all seiner Schroffheit etwas eigenartig Erhabenes an sich.
Es ist umgeben von Bäumen, Felsen und tödlich steilen Klippen, gekrönt von einem azurblauen Himmel. Kein Smog, kein Dreck – nur reines, ungefiltertes Blau. Genau wie Westons Augen.
Aber was mich wirklich vollends verzaubert, ist der Blick auf den dahinterliegenden See. Er ist geradezu atemberaubend, die Oberfläche so spiegelglatt, als könnte man einfach darübergehen. Oder Schlittschuh darauf laufen – was ich nur leider nicht kann. Das Wasser ist dunkelblau, aber wo die Sonne darauffällt, schimmert es blaugrün.
Ich parke meinen Wagen neben dem großen Pick-up und lehne mich in meinem Sitz zurück, um die Umgebung auf mich wirken zu lassen.
Es kommt mir absolut einzigartig vor. Nicht steril poliert, nirgends leuchten mir pompöse weiße Säulen entgegen. Keine Springbrunnen und keine Bediensteten weit und breit. Tatsächlich sehe ich, so weit das Auge reicht, keinen einzigen Menschen. Bei dieser Erkenntnis entspanne ich mich unwillkürlich.
Bis Weston Belmont aus dem Nichts auftaucht und mich zu Tode erschreckt.
Offenbar war ich so tief in Gedanken versunken, dass ich nicht bemerkt habe, wie er um mein Auto herumgekommen ist. Jetzt sehe ich direkt vor mir seine großen, männlichen Hände, denn er stützt sich über dem Fenster auf dem Wagen ab und sieht hinein. »Willst du den ganzen Tag hier rumsitzen?«, fragt er, und von hinten schreit Cherry: »Geh weg!«
Sein Kopf ruckt herum, und er nimmt den Vogel mit dem schwarzen Schnabel, dem blaugrauen Gefieder und dem roten Klecks am Schwanz näher in Augenschein. »Was ist das denn?«
»Du meinst wohl, wer das ist? Mein Papagei. Cherry.«
Er blinzelt zweimal, bevor er herausplatzt: »Sie ist unhöflich.«
Ich muss lachen. »Du machst dir keine Vorstellung.«
»Sie ist unhöflich«, wiederholt Cherry spöttisch, und ich verziehe das Gesicht.
»Entschuldigung. Sie hat ein großes Vokabular, und ihre Flüche sind legendär.«
Mit gerunzelter Stirn starrt er meinen Vogel an und schüttelt den Kopf. Dann klopft er mit der Hand aufs Wagendach und richtet sich wieder auf. »Okay. Also, das Büro ist da drin.« Mit dem Daumen deutet er über seine Schulter. »Ich kann euch beide einander vorstellen, wenn du möchtest. Ansonsten mache ich mich mal wieder auf den Weg.«
»Hau ab!«, sagt Cherry. Schon wieder.
Ich ziehe eine Grimasse, öffne die Tür und steige aus. Weston weicht nicht zurück; bleibt einfach genau da stehen, wo er ist, und ragt über mir auf. Er füllt sein T-Shirt auf eine Weise aus, wie es die Künstlerjungs aus der Stadt einfach … nicht tun. Mein Blick fällt auf das Loch im Shirt, durch das goldene Haut schimmert. Die goldene Haut eines Mannes, der viel Zeit im Freien verbringt, mit bloßem Oberkörper.
Ich komme aus dem Land der blassen Haut und der Bräunungssprays, und die Frage, was sich wohl unter dem Baumwollstoff verbergen mag, hat etwas Faszinierendes. Rasch unterdrücke ich den Drang, einen Finger durch die Öffnung zu stecken und es herauszufinden.
Aber Männer – vor allem Männer, die so eine heftige Wirkung auf mich haben – sind das Letzte, was ich gerade gebrauchen kann. Ich schlucke schwer und lege innerlich ein Zölibatsgelübde ab. Ein Schwanz würde mir in meiner misslichen Lage gerade wirklich nicht helfen.
Dann blicke ich ihm in die leuchtend blauen Augen. Hätte ich ein Bild vor mir, würde ich abfällig sagen, tja, mit Photoshop kann jeder so blaue Augen haben. Alles wird ständig verändert, modifiziert, im Internet ist nichts echt.
Aber seine Augen sind echt.
Er ist echt.
Mir wird bewusst, dass ich ihn schon viel zu lange anstarre, und ich räuspere mich. »Nun, ich würde es definitiv anders ausdrücken als Cherry, aber um ehrlich zu sein, hast du heute schon mehr als genug für mich getan.« Ich lächle ihn an, und sein Blick trifft mich mit einer Intensität, unter der ich beinahe zusammengezuckt wäre. »Und das hier ist etwas, das ich selbst tun muss«, füge ich schnell hinzu und nicke, eher um mich selbst zu überzeugen als ihn.
Sein Blick fällt auf meinen Mund, und ich beiße mir auf die Lippen.
»Ich …«
»Geh weg!«, unterbricht mich mein verdammter Vogel. Ich liebe Cherry, aber verdammt, manchmal …
Manchmal ist sie eine besitzergreifende kleine Hexe.
Und ich bin gar nicht so sicher, dass ich wirklich will, dass er geht.
Weston, die Augen immer noch auf meinen Mund gerichtet, lacht leise in sich hinein. »In Ordnung, Cherry. Schon verstanden. Ich gehe ja schon.« Er hebt die Hände und weicht zurück.
Am liebsten hätte ich ihn zum Abschied umarmt, dabei ist das eigentlich gar nicht meine Art. In meinem Elternhaus war es nie üblich, sich seine Zuneigung körperlich zu zeigen, zumindest nicht, wenn keiner zugesehen hat. In der Öffentlichkeit hingegen haben meine Eltern mir ständig einen Arm um die Schultern gelegt oder mich umarmt, vor allem wenn Kameras auf uns gerichtet waren. Zuneigung war immer eine Show.
»Geben wir uns zum Abschied die Hand, oder wie läuft das jetzt? Gibt es eine bestimmte Etikette für den Fall, dass jemand einen mit dem eigenen Körper gegen einen drohenden Bärenangriff schützt?«
»Nein, du hast dich doch schon bedankt. Du bist mir nichts schuldig. Ich habe es getan, weil ich es wollte.«
Ich blinzle ein paarmal.
Du bist mir nichts schuldig.
Schlichte Worte, aber sie treffen mich unerwartet heftig. Ich bin es gewohnt, ständig jemandem etwas zu schulden. Eine Hand wäscht die andere. Meine Aufmerksamkeit im Austausch gegen einen Gefallen. Ich habe praktisch immer zwischen zwei Fronten gestanden und habe mir den Weg an die Spitze freigelächelt.
Ich habe das Lächeln so satt.
»Wir sehen uns!« Er winkt und zwinkert mir zu, und dann wendet er sich ab und gewährt mir im Gehen einen Blick auf seinen knackigen Hintern.
Vielleicht hätte ich als Dankeschön anbieten sollen, ihm an den Hintern zu fassen.
Gerade schüttle ich den Gedanken ab, da höre ich, wie er drüben bei seinem Wagen vor sich hinmurmelt: »Ein verdammtes E-Auto und dann noch ein sprechender Vogel.«
Das bringt mich zum Lächeln. Es ist ein echtes Lächeln, aber es währt nur kurz, denn jetzt muss ich mich für die Begegnung mit Ford Grant wappnen und atme tief durch.
Das wird eine ganz schöne Überraschung für ihn. Ja, wir haben über eine mögliche Zusammenarbeit gesprochen. Nein, ich habe ihm nicht Bescheid gesagt, dass ich komme.
»Pass gut aufs Auto auf, Cherry.« Ich vergewissere mich, dass die Klimaanlage eingeschaltet ist, ehe ich die Tür zuschlage, das Rückgrat durchdrücke und den Weg zum Haus hinaufgehe. An der Tür gibt es keine Klingel, was mir hier draußen auch sehr plausibel vorkommt. Stattdessen gibt es einen verschnörkelten Türklopfer, der aussieht wie ein Bär mit einem Ring im Maul. Ich kichere in mich hinein – Bären scheinen heute das Thema des Tages zu sein – und klopfe.
Gleich darauf ruft eine weibliche Stimme von drinnen: »Ich komme!« Im nächsten Moment schwingt die Tür auf, und ich stehe einer Frau mit blauen Augen gegenüber. Sie sieht mich an, und dann sackt ihre Kinnlade langsam nach unten.
»Oh mein Gott. Hi.«
»Hi«, erwidere ich leise, blicke zu Boden und spüre, wie mir die Röte in die Wangen steigt.
»Wer ist da?«, fragt ein Mann aus dem Hintergrund.
Die blonde Frau ignoriert ihn und streckt mir die Hand entgegen. »Ich bin Rosalie, die Geschäftsführerin hier bei Wild Rose Records. Freut mich sehr, Sie kennenzulernen.«
Ich schüttle ihre Hand, überrascht von ihrem festen Griff. »Hi, Rosalie. Ich bin Skylar.«
Sie grinst und drückt meine Hand noch fester. »Zum Teufel, ja, das sind Sie.«
»Rosie«, ruft der Mann, er klingt jetzt näher. »Ich weiß ja, dass es dir Spaß macht, mich zu ärgern, aber …«
Ford Grant kommt um die Ecke, sieht mich und bleibt stehen.
Sein Vater ist ein berühmter Rockstar – der Gitarrist von Full Stop –, und die Ähnlichkeit ist unverkennbar.
Das kupferbraune Haar ist kunstvoll zerzaust, er ist hochgewachsen und wirkt durchtrainiert – er könnte problemlos als Model durchgehen. Ford würde perfekt in meine gewohnte Umgebung passen. Aber ich möchte meine gewohnte Umgebung möglichst gründlich vergessen, und ich erwische mich dabei, dass ich bedauernd feststelle, dass er nicht auf die raue Art muskulös ist wie der Mann, der mich hergelotst hat.
Er ist leger gekleidet, aber es ist eine teure Art von leger. In seinem Hemd ist kein einziges Loch, die Stiefel sind neu. Er wirkt kultiviert und gepflegt. Zum ersten Mal in meinem Leben spricht mich das überhaupt nicht an.
»Skylar?«, fragt er verwirrt.
Ich hebe schulterzuckend die Hände und sage nur: »Überraschung?«
»Das kann man wohl sagen!«, stimmt Rosalie mir sichtlich amüsiert zu.
Ford tritt neben sie und legt ihr eine Hand in den Rücken. Sie blickt zu ihm hoch, ihr Mundwinkel zuckt kurz, und die aufrichtige Zuneigung und der Respekt zwischen den beiden ist so deutlich spürbar, dass ich mich wie ein Voyeur fühle.
Ich wende den Blick ab und falte die Hände. »Es tut mir leid. Ich weiß, mein Besuch kommt unerwartet. Ich … ich musste einfach mal weg. Ich muss dringend an etwas Neuem arbeiten. Besteht eventuell die Möglichkeit, dass wir früher anfangen?« Ich lege all meine positive Energie und Begeisterung in meine Stimme und hoffe, es reicht aus … an positiver Energie und Begeisterung hat es mir in letzter Zeit sehr gefehlt.
Fords dichte Brauen schieben sich zusammen, und er mustert mich. Ich glaube eigentlich nicht, dass er wütend ist, aber seine Ausstrahlung ist trotzdem ziemlich einschüchternd.
Rosalie stößt ihm den Ellbogen in die Rippen. »Du machst schon wieder dein Resting Bitch Face. Hör auf damit.«
Er wirft ihr einen finsteren Blick zu, bevor er sich erneut mir zuwendet. »Tut mir leid, ich habe nur kurz nachgedacht. Der Grund, weshalb ich dir noch nicht zugesagt hatte, sind die Cottages. Sie sind noch nicht fertig … und das Aufnahmestudio streng genommen auch noch nicht ganz. Deshalb habe ich momentan keine …«
»Ich warte. Wenn es noch keine Unterkunft gibt, kann ich auch im Zelt schlafen, das ist mir egal.« An Entschlossenheit zumindest mangelt es mir nicht.
Er mustert mich von Kopf bis Fuß, und ein Anflug von Mitgefühl flackert über sein attraktives Gesicht. Bestimmt hat er meiner Stimme die Verzweiflung angehört. Und wahrscheinlich hat er auch die ganzen hässlichen Schlagzeilen der letzten Zeit mitgekriegt. »Warum kommst du nicht erst mal rein, und wir sehen, was wir tun können? In der Stadt gibt es nur eine Handvoll Hotels, und ich bezweifle, dass sie mitten in der Saison noch Kapazitäten für einen längeren Aufenthalt haben.«
Rosalie rümpft die Nase und sagt »Touristen«, als sei es ein Schimpfwort. »Zum Glück kommen sie nur im Juli und August her. Komm rein.« Sie winkt mich ins Haus. »Wir kriegen das schon hin.«
»Danke.« Es klingt wie ein Stoßseufzer. Mit einem dankbaren Lächeln folge ich ihr und Ford ins Büro.
Das Gebäude ist von innen ebenso schön wie von außen – frisch und rustikal zugleich. Holzbalken säumen die hohe Decke, und auf den breiten Holzdielen prangen Farbkleckse, passend zum gedämpften Blau der Wände. Es gibt zwei Schreibtische, die einander gegenüberstehen, eine gemütliche Sitzecke mit riesigen Sofas und eine Vinylbibliothek, die eines Plattenladens würdig wäre.
Es hat etwas Gemütliches an sich, wie eine alte Scheune, aber die Glasschiebetüren zum See hin verleihen allem einen modernen Touch, und der Ausblick ist spektakulär. Vor den Türen befindet sich eine weitläufige Terrasse mit Korbmöbeln, umgeben von einem üppig blühenden Garten.
»Ich kaufe mir ein Bett und bleibe einfach hier«, platze ich heraus, und die beiden lachen. »Das ist ja unglaublich schön.«
»Freut mich, dass es dir gefällt«, sagt Ford, lehnt sich an den Schreibtisch und verschränkt die Arme vor der Brust.
Ich sehe ihn an, und mir ist, als könnte ich direkt hinter den grünen Augen sein Gehirn arbeiten sehen. Er strahlt Intelligenz aus – und zwar die einschüchternde Sorte.
Rosalie stößt mich mit der Schulter an. »Tut mir leid«, flüstert sie, als hätte sie meine Gedanken gelesen. »Er ist nicht gerade der kuschlig-herzliche Typ.«
Ich schenke ihr ein Lächeln. »Das ist schon okay. Ich ziehe Authentizität sowieso vor.«
Sie klatscht in die Hände und wirkt amüsiert. »Tja, dann solltet ihr beide gut miteinander auskommen.«
Ich mustere sie. Sie steht da, die Hände in die Hüften gestemmt, und blickt zwischen Ford und mir hin und her, und ich bin wahnsinnig dankbar für ihre Anwesenheit. Ohne sie wäre es bestimmt noch ein bisschen peinlicher für mich.
»Ford, was geht gerade in deinem Kopf vor?«, fragt sie.
»Ich wäge nur die Möglichkeiten ab.«
»Du siehst aus, als würdest du einen Mord planen.«
Mit zusammengekniffenen Augen mustert er sie. Keine Ahnung, was zwischen den beiden ist, aber es ist ganz klar ersichtlich, dass sie nicht nur einfach Kollegen sind. Es ist, als würde zwischen ihnen Elektrizität fließen, und ich fühle mich ein bisschen wie ein Störfaktor.
Er winkt ab. »Nein, das hebe ich mir für denjenigen auf, vor dem Skylar davonläuft. Wenn sie mir denn sagen will, wer es ist.«
Ich überlege, was ich darauf antworten soll, aber Rosalie schnaubt nur. »Er entwickelt einen extremen Beschützerinstinkt für die Menschen, mit denen er näher zu tun hat«, flüstert sie mir zu. »Fast schon rachsüchtig, sage ich dir.«
»Du könntest bei uns wohnen, bis eines der Cottages fertig ist«, sagt er nachdenklich und reibt sich über die Bartstoppeln. »Brauchst du Zeit, um an neuen Songs zu arbeiten? Wir können ja schon mal ein paar Absprachen treffen. Wollen wir am Montag einen Zeitplan aufstellen?«
Ich soll bei ihnen zu Hause wohnen?
»Oh, ich will mich auf keinen Fall aufdrängen«, sage ich, völlig verdattert, dass dieser Mann, den ich kaum kenne, mir ein Zimmer in seinem eigenen Haus anbietet. Ich möchte ihm nichts schuldig sein … es reicht schon, dass ich hier so unangekündigt aufschlage. »Aber Zeitplan aufstellen am Montag klingt perfekt.«
»Ich glaube nicht, dass du im Büro unterkommen kannst, da Rosie und ich …«
Meint er das ernst? Was kommt als Nächstes? Wird er mir sein letztes Hemd anbieten?
»Das mit dem Büro war ein Scherz«, sage ich. »Einfach nur ein Kompliment.«
Plötzlich drückt mich das Gewicht der Erkenntnis nieder, was für eine enorme Belastung ich für die beiden sein muss durch mein unangekündigtes Hereinplatzen. Ich hätte unbedingt nachdenken sollen, bevor ich einfach handle.
Das war egozentrisch von mir. Selbstsüchtig. Und schließlich ist keine Trennung schön, da muss ich nicht so ein Fass aufmachen.
»Wisst ihr, was? Ich gehe einfach wieder nach Hause. Es tut mir so leid. Das war … irgendwie eine spontane Dummheit aus dem Moment heraus.« Die Welt beginnt sich um mich zu drehen, die Wände rücken näher, und mein Atem beschleunigt sich. Ich presse eine Hand auf die Brust und überspiele es mit einem nervösen Lachen. »Total unhöflich.«
Aber Rosalie fasst mich am Ellbogen, stützt mich, und sie tut es so sanft und freundlich, dass das Gewicht auf meiner Brust schlagartig ein wenig leichter wird. »Hey, mach dir deswegen doch keine Gedanken. Wir sind hier draußen völlig tiefenentspannt.« Über die Schulter wirft sie Ford einen Blick zu, und dann sagt sie: »Und ich habe eine Idee, wo du unterkommen kannst. Mein Bruder hat eine Schlafhütte.«
»Rosie, diese Hütte ist die reinste Bruchbude.«
Sie würdigt ihn keines Blickes, sondern sieht mich an und verdreht die Augen.
»Ich weiß genau, dass du gerade die Augen verdreht hast.« Bei diesen Worten grinst er.
Sie presst die Lippen zusammen und unterdrückt offenbar ein Kichern, dann meint sie: »Er hat recht, schick ist es nicht. Aber die Hütte ist direkt nebenan, und dort hättest du deine Ruhe. Und meinem Bruder würde es nichts ausmachen. Er ist sehr beschäftigt mit seiner Arbeit, seinen Kindern und seinem blöden Bowlingteam. Du wirst ihn kaum zu Gesicht bekommen – es sei denn, du willst es. Dann wird er bestimmt gern dein Freund sein. Er hat eine besondere Gabe für Freundschaften.«
Ford schnaubt leise und schüttelt belustigt den Kopf.
»Ganz für mich zu sein klingt wunderbar. Ich habe im Moment die Nase voll von Menschen. Und ich brauche es nicht schick«, sage ich mit etwas bemühter Begeisterung.
Die Wahrheit ist: Ich kenne es nur schick. Ich bin schon mein ganzes Leben lang berühmt. War mein ganzes Leben lang immer von Luxus umgeben. So wie ich auch mein ganzes Leben lang performt habe.
Es wird Zeit, dass ich eine Pause vom Performen einlege.
Nicht schick … vielleicht ist das genau das, was ich gerade brauche.
Es war kein Scherz, als Rosalie sagte, die Hütte sei nicht schick. Und mit Schlafhütte meinte sie ebenfalls genau das – darin steht sogar ein Etagenbett.
Das Häuschen ist strahlend weiß und sehr klein. Auf der schmalen Terrasse mit Seeblick steht ein verwitterter alter Schaukelstuhl.
Eben hat Rosalie mit bloßen Händen die Spinnweben davon abgewischt. Es schien ihr überhaupt nichts auszumachen, aber als wir gleich darauf in der muffigen Hütte stehen, frage ich mich unwillkürlich, wie sie die Spinnweben jetzt wohl von den Händen bekommt und ob sie sie waschen wird.
»Als ich hier gewohnt habe, habe ich im unteren Bett geschlafen und das obere quasi als Kleiderschrank genutzt.«
Ich nicke, als wäre das alles für mich völlig normal. Ist es aber nicht. Ich singe zwar ständig über das Landleben, aber ich bin durch und durch ein verwöhntes Stadtmädchen. So etwas wie das hier habe ich noch nie mit eigenen Augen gesehen.
Aber das werde ich auf gar keinen Fall zugeben. Hier bin ich nämlich die coole, neue, pflegeleichte Version meiner selbst.
Die nicht-schicke Skylar.
»Auf dem Tresen dort findest du eine Kochplatte, einen Toaster und einen Wasserkocher. Das da ist der Kühlschrank«, sie zeigt auf einen kleinen weißen Kasten in der Ecke, »aber es gibt kein Gefrierfach. Du kannst garantiert das von meinem Bruder mit benutzen. Ist zwar voller zuckrigem Wassereis, von dem seine Kinder besessen sind, aber dazwischen findest du bestimmt noch ein bisschen Platz. Die Tür dort hinten führt zum Bad. Es gibt keine Wanne, nur eine Dusche.«
Ich versuche nicht zusammenzuzucken. Ich bade für mein Leben gern.
Sie hält mit ihrer Führung inne und beißt sich verlegen auf die Unterlippe. »Ich sollte dir vielleicht auch sagen, dass meine kleine Hausmaus Scotty ebenfalls hier wohnt. Er ist völlig harmlos und eigentlich sehr süß. Vielleicht könntest du ihm ja jeden Tag ein paar Krümel hinlegen? Dann muss ich nicht mehr rüberkommen, um das zu tun.«
»Deine … Hausmaus?«
»Pfft.« Sie winkt ab. »Du wirst ihn gar nicht bemerken. Aber ich hänge sehr an ihm, also sag es bitte nicht meinem Bruder. Sonst stellt er Fallen auf, und das würde ich ihm niemals verzeihen.«
Ich weiß nicht, was ich darauf sagen soll, also versuche ich es einfach damit, eine Gemeinsamkeit zu finden. »Oh, ich habe einen Vogel als Haustier. Das geht für mich also klar.« Ich nicke eifrig und rede mir rasch ein, dass ich ihre Hausmaus bestimmt gar nicht bemerken werde.
Sie lacht gutmütig und streicht sich eine aschblonde Haarsträhne hinters Ohr. »Niedlich. Also – wäre das hier für dich in Ordnung? Dann hole ich dir schnell frisches Bettzeug von drüben. Oh, und einen Jogginganzug von Wild Rose Records. Er ist rosa, du wirst ihn bestimmt lieben.«
»Japp.« Ich nicke und zwinge mich dazu, begeistert dreinzusehen, aber es scheint nicht besonders überzeugend zu sein, jedenfalls rümpft Rosalie leicht die Nase. Deshalb setze ich noch einen drauf »Das Häuschen ist perfekt. Ich liebe es.«
Fake it till you make it, wie man so schön sagt.
Sie sucht meinen Blick. Ich glaube nicht, dass sie mir den Enthusiasmus abkauft. Nicht eine Sekunde lang.
»Sobald du dich ein bisschen eingelebt hast, könnten wir … ich weiß nicht … was trinken gehen oder etwas anderes Lustiges machen? Ich verspreche meiner Freundin Tabby schon lange, dass wir mal wieder ausgehen, aber das Studio hat mich so sehr auf Trab gehalten, dass ich es immer noch nicht geschafft habe. Ich muss mich dringend bei ihr melden. Du könntest mit uns kommen.«
Ich blinzle.
»Also, sobald du wieder Menschen sehen magst, klar. Kein Druck. Der Ball liegt bei dir.«
Kein Druck. Beim Klang dieser beiden Worte blinzle ich heftig. Sie treffen mich mitten ins Herz. Mir ist zumute, als könnte ich jederzeit unter der Last des Drucks in meinem Leben zusammenbrechen. Unter all den Erwartungen.
Wie wäre es wohl, mal allein um des Spaßes willen mit jemandem was trinken zu gehen? Nicht, weil es von Vorteil wäre, sich mit demjenigen sehen zu lassen?
Ich nicke und stammle: »Danke. Das wäre schön.«
Ein Lächeln breitet sich auf ihrem Gesicht aus. »Toll, das würde mich riesig freuen! So, dann suchen wir mal den Hausherrn und lassen ihn wissen, dass in seinem Hotel jetzt ein Gast wohnt.« Mit diesen Worten schreitet sie aus der Hütte in die Sonne, als wäre das alles überhaupt nichts Ungewöhnliches.
Mir ist, als hätte ich gerade eine Bruchlandung auf einem fremden Planeten gemacht. Und schließlich weiß jeder: Bei einer Bruchlandung auf einem fremden Planeten ist die beste Strategie, sich wie ein Einheimischer zu verhalten.
Mein Handy klingelt, und ich werfe einen Blick aufs Display. Schon wieder ein Google-Alarm. Eine brandneue Schlagzeile über meinen frischgebackenen Ex, der mit einem heißen Model in einem Nobu-Restaurant gesehen wurde. Die Überschrift lautet: Die verschmähte Skylar. Mir wird übel, und meine Kehle zieht sich zusammen.
Aber ich will nicht, dass es mich trifft.
Also stecke ich das Handy zurück in die Tasche und folge Rosalie in den warmen Sommertag hinaus. Im Vorbeigehen sehe ich kurz nach Cherry, die gemütlich im klimatisierten Auto döst, dann laufen wir einen Feldweg entlang, der zu einem etwas in die Jahre gekommenen Farmhaus hinaufführt.
Das Haus strahlt genau jene Gemütlichkeit aus, die ich bisher nur aus Filmen kannte, und der Anblick beruhigt meine Nerven augenblicklich.
Meine Schritte werden langsamer, und ich betrachte das weiß gestrichene Holzhaus und den Schornstein aus rotem Backstein. Mörtel quillt zwischen den Blöcken hervor. Das Dach ist mit charmanten rostfarbenen Schindeln gedeckt.
Dieses Haus sieht so aus, wie ich mir ein richtiges Familienzuhause immer vorgestellt habe. Die umlaufende Veranda steht voller Sitzmöbel und ist mit Kinderspielzeug übersät – ein Fahrrad, ein Skateboard, Seifenblasen, sogar ein Teeservice aus Plastik ist auf einem kleinen Tisch aufgebaut. Neben dem Haus steht eine riesige Ulme, und an ihren Ästen hängt eine Seilschaukel und schwingt leicht in der Sommerhitze.
Es juckt mich sehr, mich daraufzusetzen.
»Hier entlang.« Rosie winkt mich weiter. Lächelnd laufe ich quer über den Hof zu ihr. Es gibt keinen gepflasterten Weg und keine perfekt verteilten Pflastersteine. Wir laufen einfach geradewegs aufs Haus zu.
In der Luft liegt der Duft nach frisch gemähtem Gras und nassen Steinen, aber je näher wir dem Haus kommen, desto mehr … stinkt es.
Ich rümpfe die Nase. »Was ist denn das für ein Geruch?«
Rosalie schnaubt, und eine Scheune und andere Nebengebäude kommen in Sicht. »Pferde. Mein Bruder ist professioneller Pferdetrainer. Man gewöhnt sich an den Geruch, du wirst schon sehen. Ich mag ihn inzwischen sogar.«
Ich sehe sie mit großen Augen an, und sie lacht. Ich mag ihn inzwischen sogar. Dieses Mädchen, das Spinnweben mit bloßen Händen anfasst, eine wilde Maus füttert und den Geruch von Pferdemist mag.
»Ah! Da ist er ja«, sagt sie. »Der Mann der Stunde.«
Und ja.
Er. Ist. Es.
»West!«
Weston Belmont steht mit bloßem Oberkörper neben einem an den Zaun gebundenen Pferd, mit dem Rücken zu uns. Er wäscht es gerade, das helle, rötliche Fell ist dunkel und glitschig.
Und jetzt weiß ich auch, weshalb seine Haut so goldbraun durch das winzige Loch in seinem Hemd geblitzt hat.
»Rosie Posie, jetzt ist es gerade schlecht«, sagt er, ohne sich umzudrehen. Seine Muskeln bewegen und spannen sich, als er behutsam auch die Mähne des Pferdes nass macht.
Hinter ihm steht eine weiß-rote Scheune, passend zum Haus. Außerdem sehe ich Weiden und Pferdekoppeln und weitere Gebäude, aber ich weiß nicht, welchem Zweck sie dienen.
»Ich muss das Mädchen schnell abkühlen und dann zu zwei verschiedenen Sommercamps rasen, wenn ich die kleinen Hooligans rechtzeitig abholen will.«
»Ich kann sie doch auch abholen.«
Überrascht wirft er seiner Schwester über die Schulter einen Blick zu, seine blauen Augen blitzen in der Sonne auf. Und plötzlich sehe ich die Ähnlichkeit ganz deutlich. Wie konnte ich nicht beim ersten Blick auf diese Frau wissen, dass die beiden verwandt sind?
Er sieht mich kurz an, dann wieder seine Schwester. »Du willst Emmy in dein Auto lassen?«
Rosalie zuckt mit den Schultern. »Nein, sie ist viel zu wild. Ich schnalle sie auf dem Dach fest.«
Er lacht, und bei dem tiefen, warmen Klang denke ich unwillkürlich daran, wie ich unter seinem Körper auf dem heißen Asphalt gelegen habe.
»Aber zuerst muss ich dir jemanden vorstellen. Sie wohnt in deiner Schlafhütte, bis Ford und ich eines der Cottages fertighaben.«
Ich zucke innerlich zusammen. Sie bittet ihn nicht um sein Einverständnis, sie teilt es ihm einfach mit.