Wilde Wogen des Verlangens - Alison DeLaine - E-Book
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Wilde Wogen des Verlangens E-Book

Alison DeLaine

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Beschreibung

50.000 Pfund in Gold! Diese atemberaubende Summe erhält Nicholas Warre, wenn er die berüchtigte Freibeuterin Lady India sucht, findet - und sie heiratet. So will es ihr Vater, und für Nicholas wäre das die Lösung aller finanziellen Probleme. Doch als er die Seefahrerin auf der fernen Insel Malta aufspürt, wird ihm schlagartig klar, dass seine Probleme gerade erst beginnen. Denn India ist nicht nur unbezähmbar, sondern auch so betörend schön, dass ihn heißes Verlangen durchfährt. Wenn er sich nicht vorsieht, bricht diese Piratenlady sein Herz in tausend Stücke und wirft es den Haien des Mittelmeers zum Fraß vor …

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Seitenzahl: 469

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IMPRESSUM

HISTORICAL GOLD EXTRA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Thomas BeckmannRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2014 by Black Canyon Creations, LLC Originaltitel: „A Wedding By Dawn“ erschienen bei: HQN Books, Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICAL GOLD EXTRABand 86 - 2016 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg Übersetzung: Gisela Grätz

Abbildungen: The Killion Group / Hot Damn Designs, Zoonar RF / Thinkstock, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 06/2016 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733765309

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, MYSTERY, TIFFANY

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1. KAPITEL

Für fünfzigtausend Pfund war es Nicholas Warre egal, wie seine Braut aussehen würde.

„Seid Ihr Euch wirklich absolut sicher?“, fragte er seinen Begleiter. Ein Trupp betrunkener südländisch aussehender Matrosen drängte sich grölend an ihm vorbei hinaus in die windige maltesische Nacht. Nicholas hielt sich mit der Hand am Türrahmen fest, damit er nicht umgerannt wurde, und musterte William Jaxbury skeptisch.

William Jaxbury wandte seinen Kopf dem Objekt der Begierde zu: Lady India Sinclair. Seine Goldohrringe glänzten im gedämpften Kerzenlicht, das durch die Türöffnung fiel. Mit seinem dunkelroten Berberturban sah er aus wie einer dieser teuflischen Korsaren. „Diesen Dreispitz würde ich überall wiedererkennen“, sagte William gelassen und lehnte sich zurück, um dem Blickfeld der jungen Dame zu entrinnen. Seine Augen funkelten wie so oft spöttisch. Der Kerl fand immer etwas zu lachen, selbst wenn es nichts zu lachen gab.

Nicks Braut saß in der Schankstube der Taverne auf einem Schemel und unterhielt sich angeregt mit einem Frauenzimmer, bei dem es sich nur um Miss Millicent Germain handeln konnte. Doch Lady India richtete ihren Blick auf etwas, was sich anscheinend auf der anderen Seite des Raums befand. Oder zog ein Jemand ihre Aufmerksamkeit auf sich? Ihr Gesicht lag im Schatten ihres Dreispitzes, und ihr schwarzer Justaucorps verbarg ihre weiblichen Kurven, dennoch erhaschte Nick einen Blick auf eines ihrer wohlgeformten Beine. Es steckte in Kniebundhosen und weißen Strümpfen. Mit dem Absatz ihres rechten schwarzen Schnallenschuhs klopfte sie ungeduldig gegen eines der hölzernen Stuhlbeine.

„Irgendwelche Bedenken?“ William funkelte Nicholas herausfordernd an.

„Wahrhaftig nicht.“ Bedenken konnte sich ein Mann wie er nicht leisten. „Ich nehme den Haupteingang, Ihr bleibt hier und wartet auf mein Zeichen.“

Grundgütiger.

Lady India drehte den Kopf, und Nicholas ertappte sich dabei, wie er erstarrte. Dann blickte sie über die Schulter, und er erhaschte einen Blick auf ihr Gesicht. Unwillkürlich klammerte er sich fester an den Türpfosten. „Ihr seid ein verdammter Mistkerl, William Jaxbury. Ihr hättet mich vorwarnen sollen. Allein ihr Mund treibt jeden vernünftigen Mann in den Wahnsinn.“

Er hatte die Worte kaum ausgesprochen, als sein Begleiter ihn bereits bei den Rockaufschlägen packte. „Besudelt mir ja nicht Lady Indias Ansehen, sonst werdet Ihr es mir büßen, Nicholas.“ Das Lachen war aus William Jaxburys Augen verschwunden.

„Besudeln? Ich könnte schwören, ich habe lediglich ihre Schönheit gerühmt.“ Aber Schönheit war das Letzte, was er bei einer Ehefrau brauchte. Er dachte an Clarissa, die schöne Betrügerin, und stellte fest, dass er jetzt am liebsten auf irgendetwas eindreschen würde. William Jaxburys Kinn eignete sich dafür hervorragend.

Selbst aus dieser Entfernung und trotz der Männerkleider, die sie trug, strahlte Lady India pure Sinnlichkeit aus. Die Männer in der Taverne mussten blind sein, oder sturzbetrunken, um es nicht zu sehen.

„Damit eines klar ist.“ William Jaxbury blitzte Nicholas drohend an. Seine blauen Augen glitzerten eiskalt. „Lady India ist unberührt, und was auch immer geschieht, Ihr werdet mir schwören, sie respektvoll zu behandeln, sonst stehe ich höchstpersönlich Wache neben dem Brautbett, verstanden?“

Ein Lächeln zuckte um Nicholas’ Mundwinkel. „Das würde Euch so passen, was?“

William Jaxbury ballte die Fäuste. „Vorsicht. Sonst könnte es sein, dass ich meine Meinung über dieses aberwitzige Unternehmen ändere.“

Das war genug. „Ich brauche Eure Hilfe nicht.“ Nicholas stieß William zur Seite und marschierte los.

Gleich würde er Lady Indias gedankenlosem Abenteuer ein Ende setzen.

„Ein so wohldurchdachtes Unternehmen wie meine Entjungferung als vergebliche Liebesmüh zu bezeichnen ist schlichtweg beleidigend, Millie.“ India trank einen kleinen Schluck Ale und bemühte sich, den dunkelhaarigen Matrosen mit den kantigen Zügen, den sie in der Menge entdeckt hatte, nicht aus den Augen zu verlieren. Sie war unglaublich erleichtert, endlich auf Malta zu sein. Und das aus gleich mehreren Gründen.

„In einer Hafenspelunke entstehen selten wohldurchdachten Pläne“, erwiderte Millie nüchtern.

India klopfte unentwegt mit dem Absatz ihres Stiefels gegen das Bein des Schemels. Unterhaltungen in sämtlichen Sprachen des Mittelmeerraumes wogten durch die brechend volle Taverne, in der es vor Huren, Schankmägden und Matrosen nur so wimmelte. Viele Seemänner waren so betrunken, dass sie ihre eigene Weste nicht mehr erkannten.

Nun, sie würde dafür sorgen, dass einer von ihnen erkannte, worum es ihr ging. Und das noch heute Nacht.

Millie griff nach ihrem Krug, als sei sie diejenige, die sich für den körperlichen Akt mit einem Fremden wappnen musste. „Wenn du klug bist“, warnte sie India über den Rand des Kruges hinweg, „siehst du zu, dass du dir deine Jungfräulichkeit bewahrst.“

„Dann wäre klug nur ein anderes Wort für sittsam, langweilig und brav.“ Und außerdem für gebildet und des Lesens und Schreibens mächtig. Dabei konnte es dem Seemann, den sie im Auge hatte, ganz egal sein, dass India nichts von alledem war. Er lachte über eine Bemerkung seines hohlwangigen Begleiters und entblößte dabei einen faszinierenden Goldzahn. India beugte sich zu Millie vor. „Was meinst du, was für ein Landsmann er ist? Ägypter? Ich glaube, ich fände es gut, von einem Ägypter entjungfert zu werden.“

„Ich glaube, mir wird schlecht.“

India schnaubte gesittet und zog ihren Dreispitz tiefer in die Stirn, um ihr Interesse besser zu kaschieren. Wenn jemandem schlecht wurde, dann höchstwahrscheinlich ihr. Ihre Zofe Frannie hatte sie gewarnt, dass vornehme Damen sich mitunter übergaben, nachdem sie ihre Jungfräulichkeit verloren hatten.

Doch auch wenn ihr das Bier schon jetzt leichte Magenschmerzen verursachte, konnte sie ein Grinsen kaum unterdrücken. Es gab wahrhaftig nicht mehr viel Vornehmes an ihr, also würde sie die Sache wohl überstehen, ohne allzu viel Schande auf sich zu nehmen.

Dass sie nicht lachte! Schande auf sich zu nehmen war der Sinn dieses Unterfangens.

Die schwielige Hand, mit der der ägyptische Seemann den Henkel seines Krugs umfasste, ließ erkennen, dass er es gewohnt war, mit Segeltuch und Seilen umzugehen. Goldringe glänzten an den gebräunten Fingern, die ihr das Tor zur Freiheit öffnen würden.

Für ihre Freiheit konnte sie ein bisschen Übelkeit ertragen.

Die Luft im Schankraum stank nach Schweiß und Bier und Tabakrauch. India atmete zittrig ein. Sie steckte dem braun gefleckten Straßenköter, der unter dem Tisch saß und bettelnd winselte, einen Brotkanten zu. Einer der Matrosen aus dem lärmenden Trio hinter ihr stieß gegen ihren Rücken. Ale spritzte auf ihre Hand.

Sie leckte es auf und setzte sich auf ihrem Schemel zurecht. Zum Aufstehen konnte sie sich noch nicht recht durchringen. „Schickst du mir nachher das Beiboot, damit es mich abholt?“, fragte sie Millie und sah sie bittend an.

„Zum Donnerwetter, India.“ Millie runzelte ihre sorgsam mit Dreck beschmierte Stirn. Ein unförmiger Bauernhut verbarg ihr Gesicht. Niemand erkannte, dass sie eine Frau war. „Du kannst diesen Wahnsinn unmöglich zu Ende führen!“

Sie konnte und sie würde. Und zwar sofort, ehe sie der Mut verließ. „Ich treffe dich dann auf dem Schiff.“

„Ich kehre nicht ohne dich an Bord zurück.“

„Du kannst nicht allein hierbleiben!“

„India!“ Millie sah India bittend an. In ihren Augen konnte sie all die Warnungen lesen, die sie hervorgebracht hatte: die Angst vor Schmerzen, vor der Pest, vor einer Schwangerschaft. India zögerte. Der ägyptische Matrose wirkte alles andere als brutal, und Millie war eh überzeugt, dass alle Matrosen die Pest in sich trugen. Und was die Schwangerschaft anbelangte, nun, die drohte in einem solchen Fall immer.

„Ich habe meinen Essigschwamm in der Tasche.“

„India, so hör doch endlich“, flehte Millie.

„Musst du eigentlich immer anderer Meinung sein als ich?“ Indias Handflächen wurden feucht. Sie zwang sich, aufzustehen. Die Handlanger ihres Vaters kreuzten sicher längst auf dem Mittelmeer und suchten nach ihr. Zweifellos waren sie sofort in See gestochen, sobald es sich herumgesprochen hatte, dass sie und Millie Katherines Schiff ausgeborgt hatten. Sicher würde man sie bald finden, doch India hatte nicht vor, nach England zurückzukehren und irgendeinen ekligen alten Fettsack zu heiraten, den ihr Vater dafür bezahlte. Es konnte nur gut sein, Schande auf sich genommen zu haben, bevor die Männer ihres Vaters sie fanden.

„Wenn du es schaffst, seine Aufmerksamkeit in diesem Aufzug zu erregen, steht ihm der Sinn nicht danach, dich zu entjungfern“, sagte Millie in ihre Gedanken hinein. „Jedenfalls nicht auf die Art, die du dir vorstellst.“

„Ich weiß, wie ich es machen werde.“ Sie wollte ihm sagen, dass draußen ein Gentleman auf ihn warte, der ihn zu sprechen wünsche. Und sobald er vor der Tür stand, würde sie ihren Hut abnehmen, ihr langes blondes Haar über die Schultern und den Rücken fallen lassen und ihm sagen, was sie von ihm wollte.

Millie hatte genug gehört. Sie packte Indias Arm. „Wir gehen. Ich weigere mich zuzusehen, wie du eine so unbeschreibliche Dummheit mit einem Mann begehst, der wer weiß welche entsetzlichen Vorlieben hat.“

„Mal doch nicht immer gleich den Teufel an die Wand!“ India befreite sich aus Millies Griff. „Tante Phil teilt das Bett mit jedem Mann, der ihr gefällt. So entsetzlich und abstoßend kann es also nicht sein.“ Konnte es doch, aber sie hatte sich geschworen, die schrecklichen Einzelheiten aus Frannies Beschreibung einstweilen aus ihrem Gedächtnis zu streichen.

„Die Entjungferung deiner Tante fand im Brautbett statt“, zischte Millie.

„Was mir kaum passieren wird, da ich nicht die Absicht habe, zu heiraten.“

„Ich werde nie begreifen, wie jemand derart Beschränktes so lange überleben konnte.“

Das saß. Weit mehr, als Millie beabsichtigt hatte. „Vielleicht heirate ich ja den Ägypter.“ India lachte. Beschränkt oder nicht, bald würde sie ihr Vater mit absolut niemandem mehr verheiraten können.

Ein ungehobelter Haufen Matrosen auf der anderen Seite des Schankraums brach in brüllendes Gelächter aus. Der ägyptisch aussehende Seemann unterstrich seine Worte mit der Sorte dramatischer Gesten, die man bei exotischen Sprachen oft zu sehen bekam.

India griff nach ihrem Bierkrug und trank einen letzten Schluck Ale. Hoffentlich dauerte eine Entjungferung nicht so lang.

Abermals packte Millie ihren Arm. „Ich meine es ernst, India. Du löst deine Probleme nicht, indem du dich ruinierst.“

„Doch. Eines löst es unter Garantie.“ India stellte den Krug ab und starrte das Objekt ihrer Begierde an. „Ich habe nichts zu verlieren, aber ich kann alles gewinnen.“ Plötzlich schien jede einzelne Faser ihres Körpers erwartungsvoll zu vibrieren.

„Nichts zu verlieren! Du wirfst dich fort“, mahnte Millie.

„Ach hör auf, Millie.“ Ihre Unberührtheit war wahrhaftig das Unwichtigste, was sie fortwerfen konnte. Alles andere, ihre Freunde, ihren Ruf und ihre Beliebtheit waren längst verloren. „Ich habe mich für das Leben auf hoher See entschieden. Wen kümmert es da, ob ich meine Jungfräulichkeit an einen gut aussehenden Seemann verliere?“

Zu Indias Erstaunen sah Millie sie nicht mehr an. Ihr Blick war auf etwas gerichtet, das sich hinter Indias Schultern verbarg. Ihre Freundin riss die Augen auf.

„Mich kümmert es, Lady India.“ Die Stimme des Mannes, der hinter ihr stand, klang so kalt, dass India erschauderte. „Denn Ihr seid meine Braut.“

2. KAPITEL

Meine Braut.

India wirbelte herum und sah sich einem Mann gegenüber mit Augen, die so grün waren wie Edelsteine und sie mit der Gnadenlosigkeit eines Henkers musterten. Ihr Blick glitt zu der leicht gebogenen Nase und dem arrogant wirkenden Mund. Die Gesichtszüge des Mannes vermochten die Aufmerksamkeit eines ganzen Ballsaals auf sich zu ziehen.

Und er war nicht allein. Neben ihm stand …

„William!“ Ihr Traum von der Freiheit fiel in sich zusammen wie ein Segel bei Flaute.

William verschränkte die Arme grinsend vor der Brust. „Was für eine enttäuschende Begrüßung, India. Du scheinst nicht sehr glücklich, uns zu sehen.“

Wenn sie nicht aufpasste, würde sie sich übergeben, ohne dass ihre Jungfräulichkeit auch nur angetastet worden war.

Williams Blick glitt zu Millicent. „Warum bist du so blass, mein Liebe? Oder bilde ich mir das nur ein? Es ist ein bisschen schwer zu erkennen unter all dem, was du dir da ins Gesicht gerieben hast.“ Er streckte die Hand aus, um über ihre Wange zu streichen, doch Millie schlug seine Finger fort.

India sah beiseite. Sie warf dem ägyptischen Seemann einen verstohlenen Blick zu und dann Millie, der die Beunruhigung ins Gesicht geschrieben stand. Sie wusste, was Millie dachte. Dass sie William, dem Mann, der ihrer eigenen Mentorin beigebracht hatte, auf hoher See zu überleben, niemals entwischen konnten.

Trotzdem versuchte India es. „Im Gegenteil, wir sind überglücklich, dich zu sehen, nicht wahr, Millie?“ Sie lächelte strahlend. „Es ist wirklich ein regelrechter Glücksfall, dass du auftauchst. Millie, meine Liebe, sagte ich nicht gerade, wie froh ich wäre, wenn wir ein paar Freunde auf Malta hätten? Und prompt bist du hier und kannst uns Gesellschaft leisten und auf deine Rückkehr zur Seefahrt anstoßen.“ Es kostete sie große Mühe, Williams Begleiter nicht anzusehen.

William lachte schallend. „In Ordnung. Dann spielen wir dein Spielchen also mit.“

Spielchen? Millie und sie waren zusammen mit William auf der Possession gesegelt. Er wusste, wie wichtig ihnen die Freiheit war. Und trotzdem sprach er von einem Spielchen?

„Seid Ihr von Sinnen, Jaxbury?“ Der vermeintliche Bräutigam wirkte verärgert.

Ein verstohlener Blick aus dem Augenwinkel zeigte ihr, dass er tadellos gekleidet war. Er wirkte konservativ, als käme er geradewegs aus Westminster. Nur konnte kein anständiger Gentleman so verzweifelt sein, einer Heirat mit ihr zuzustimmen. Vermutlich war er ein Adliger, der dem Glücksspiel hoffnungslos verfallen war, oder aber Träger eines vollkommen wertlosen Titels. Vielleicht war er aber auch ein verschuldeter Kaufmann.

Selbst jetzt klang ihr die Stimme ihres Vaters noch im Ohr. Einen dieser Gentlemen wirst du wählen, India, sonst wähle ich einen für dich.

Die Wände des Schankraums schienen näher zu kommen. Es würde ein paar Sekunden dauern, den Ägypter zu erreichen, ein paar weitere Sekunden, ihm zu enthüllen, dass sie eine Frau war, und wieder ein paar Sekunden, um ihm klarzumachen, was sie von ihm wollte. Sie würden die Taverne verlassen müssen. Aber wohin sollte sie gehen?

„Vergebt mir meine schlechten Manieren.“ William lachte immer noch. Seine goldenen Ohrringe glänzten geradezu abstoßend im Licht der vielen Kerzen, die in dem eisernen Kronleuchter über ihren Köpfen flackerten. „Mein neuer Schiffskamerad wird ungeduldig, fürchte ich. Darf ich also vorstellen, Lady India, Nicholas Warre, Lord Taggart.“

Millie starrte William überrascht an.

Nicholas Warre! Es kostete India nicht mehr als den Bruchteil einer Sekunde, um den geldgierigen Schuldner vom Scheitel bis zur Sohle zu mustern und jede Einzelheit zu erfassen. Ihr Vater hatte sie mit einem Mann verlobt, der nicht einmal davor zurückschreckte, einen fremden Besitz an sich zu reißen, um den eigenen zu retten?

„Schwachkopf!“, schleuderte sie ihm entgegen.

Er zuckte nicht einmal mit der Wimper. „Wie dem auch sei, Lady India.“ Mit zusammengekniffenen Lippen griff er in seine Westentasche und holte einen flachen Packen Papiere hervor, den er ihr zeigte. „Ich habe die Pflicht, Euch davon in Kenntnis zu setzen, dass Ihr laut des mir vorliegenden Vertragswerks meine Braut seid. Ihr werdet mich gemäß der Vereinbarung, die ich mit Eurem Vater getroffen habe, heiraten.“ Er zog einen Mundwinkel kaum merklich nach oben und musterte sie mit seinen kalten grünen Augen. „Was bedeutet, dass ich derjenige sein werde, der Euch Eure Tugend nimmt.“

India sah ihn herausfordernd an. „Bisher hat noch kein toter Mann einer Frau die Tugend genommen, Mister Warre.“ Er verdiente es nicht, dass sie ihn mit seinem Titel ansprach. Ihre sämtlichen Sinne waren auf den Ägypter gerichtet, auch wenn sie es nicht wagte, in seine Richtung zu blicken. Ebenso wenig wagte sie es, Millie anzusehen. Dennoch war sich India sicher, dass es Millie gelingen würde, in dem Tumult, den India zu verursachen gedachte, zu fliehen.

Ehe sie jemand aufhalten konnte, rannte sie los. Sie bahnte sich ihren Weg durch die Menge auf den Ägypter zu, wobei sie jeden, der ihr im Weg stand, rücksichtslos zur Seite stieß.

„India!“

Der Lärm in der Taverne verschluckte Williams Ruf. India riss sich den Hut vom Kopf und spürte, wie ihr schwerer Zopf über ihren Rücken fiel. Ihr Herz schlug donnernd, als sie den Seemann erreichte und ihn beim Arm ergriff. „Sir, Ihr müsst mir helfen. Ich flehe Euch an. Ich brauche Euch. Ihr müsst …“, sie stockte. Worte! Der Teufel sollte sie holen, allesamt! „Ihr müsst mich kompromittieren. Fleischlich.“ Der Ägypter sah sie mit einer Mischung aus Interesse und Verwirrung an. Es war nicht zu übersehen, dass er kein Englisch sprach. Verzweifelt wechselte sie ins Italienische. „Kommt mit mir. Ich brauche Euch. Mein Körper“, verflixt, in dieser Sprache fehlten ihr noch mehr Worte! Hektisch begann sie an den Knöpfen seiner Weste zu fummeln, dann an denen ihres Wamses. Endlich schien der Mann zu verstehen, jedenfalls grinste er so breit, dass sein Goldzahn aufblitzte. Er schlang den Arm um sie und umschloss mit der freien Hand ihre Brust. Der Ausdruck, der dabei in seinen Augen aufflammte, missfiel India gründlich, doch alles war besser als das, was ihr sonst bevorstand.

„India!“, hörte sie Williams Stimme über den Lärm hinweg bellen.

„Wir müssen gehen!“ Sie versuchte den Ägypter vom Stuhl hochzuziehen, doch er bewegte sich nicht. Stattdessen lachte er und sagte etwas zu den anderen Männern am Tisch. Wo waren die nur plötzlich alle hergekommen? Maurisch, dachte sie plötzlich. Das war es! Er sprach Maurisch. „Sofort!“ Sie beherrschte die Sprache nicht, doch Rafik, der Bootsmann auf Katherines Schiff, hatte dieses Wort ständig über das Deck gebrüllt.

Der Ägypter schien überzeugt, ihren Befehl zu befolgen. Er zog sie auf seinen Schoß und grub seinen Kopf in ihre Halsbeuge.

„Nein! Nicht hier!“ Ihr fielen nur die italienischen Worte ein. Maurisch, verdammt, was war das maurische Wort für nicht hier?

Und dann war alles zu spät. Nicholas Warre stürzte sich auf sie und packte den Ägypter beim Arm, der seinerseits India von seinem Schoß stieß und sich auf Nicholas Warre warf, während ein Dutzend Kerle seinen Platz einzunehmen versuchten und India umringten. Sie zogen und zerrten an ihr, betatschten ihre Brüste und ihren Hintern. India begann so durchdringend zu schreien, dass ihr die Galle hochkam.

Der hohlwangige Freund des Ägypters schmiss sich auf William, gleichzeitig ging Nicholas Warre unter einem wohlgezielten Fausthieb beinahe zu Boden, und dann krachten William und sein Widersacher gegen einen Stuhl. Über dem ganzen Chaos schrie nun auch noch Millie, und India versuchte verzweifelt, die Hände abzuwehren, die nach ihr griffen. Vergeblich!

Ihre Pistole. Sie durfte nicht riskieren, dass die Männer ihre Pistole entdeckten! India rammte dem nächststehenden Burschen ihren Ellenbogen in die Magengrube, dann einem anderen. Sie wandte sich und verhinderte so, dass weitere Hände ihren Körper betatschten und womöglich die Waffe ertasteten, die im Bund ihrer Kniehosen steckte. Sie versuchte sich an den Tisch zu klammern, aber Hände und Männerkörper und Gebrüll und Gestank waren allgegenwärtig.

Der hohlwangige Matrose erwischte William an der Schläfe. William torkelte rückwärts und fiel über den umgestürzten Stuhl. India schrie auf. William war verletzt! Oh Gott, dieser Wahnsinn musste aufhören, augenblicklich! Sie hatte ihre Pistole, aber die Waffe war nutzlos gegen den Mob, selbst wenn India es schaffen sollte, sie zu ziehen.

Mit weit aufgerissenen Augen verfolgte sie, wie Nicholas Warre den Seemann mit dem Goldzahn mit einem krachenden Fausthieb niederstreckte, während sie vergeblich versuchte, die Hand, die zwischen ihre Schenkel glitt, fortzuschieben.

William kam taumelnd auf die Füße und verpasste seinem Gegner einen linken Haken, dann einen rechten und zum Schluss einen weiteren linken, der die Nase traf. Blut spritzte. Der Lärm in der Taverne war ohrenbetäubend. Ein anderer Seemann holte gegen Nicholas Warre aus, doch der duckte sich und der Schlag traf einen Unbeteiligten. Binnen Sekunden entbrannte ein neuer Kampf, das Chaos wuchs. Eine Hand legte sich um Indias Taille, beängstigend dicht neben dem Pistolengriff in ihrem Hosenbund.

Und plötzlich packte Nicholas Warre ihren Arm und zerrte sie fort.

„Hier entlang!“, rief er.

„Millie“, keuchte India.

„Jaxbury kümmert sich um sie. Macht schon, verdammt!“ Er umklammerte ihren Oberarm so fest, dass es schmerzte, und stieß sie grob durch die überfüllte Schankstube nach draußen. Als er begann zu laufen, hatte sie Mühe, mit ihm Schritt zu halten. Mehrmals stolperte sie über das unebene Kopfpflaster. Dann plötzlich zog er sie in eine stockdunkle Seitengasse und schob sie gegen die Wand.

„Untersteht Euch“, zischte er wütend, die Nasenspitze dicht an ihrer, „so etwas noch einmal zu machen.“

„Verlasst Malta, und ich garantiere Euch, dass ich es nie wieder tun werde.“ Sie versuchte ihn fortzuschieben, doch er war so unbeweglich wie ein Fels.

„Eure Gedankenlosigkeit hätte Jaxbury und mich das Leben kosten können, ganz abgesehen davon, wie es Euch anschließend ergangen wäre.“ Sein Atem ging flach und stoßweise. „Wolltet Ihr so Eure Tugend zu Markte tragen? In einer Taverne und vor drei Dutzend Seeleuten, die sich einer nach dem andern zwischen Eure Schenkel zwängen?“

India zitterte. Aber nicht vor Angst, wie sie sich eilends versicherte, sondern vor Wut. „Ihr kehrt besser in Euren sicheren Londoner Salon zurück, Mister Warre“, sagte sie von oben herab. „Euch fehlt die Robustheit, die man braucht, um auf dem Mittelmeer zu überleben.“ Wobei das genaue Gegenteil zutraf. Er hatte die Konstitution eines Mannes, der selbst den rauesten Bedingungen standhalten würde. Im spärlichen Licht der Fackeln, das von der Hauptstraße herüberdrang, leuchtete sein zerrissenes weißes Hemd, und in seinem Mundwinkel klebte eine Spur Blut. Er hatte im Kampf seine Perücke verloren. India erkannte sein dunkles, dichtes Haar.

„Dann ist es ja ein Glück, dass wir unverzüglich nach England zurücksegeln werden“, erwiderte er.

Nein, das würden sie nicht, jedenfalls nicht zusammen, aber es war müßig, jetzt darüber zu streiten. „Ihr vergeudet nur Eure Zeit“, sagte sie spitz. Dabei rief sie sich in Erinnerung, dass er selbst es gewesen war, der sich in Gefahr gebracht hatte. „Bevor ich Euch heirate, bringe ich Euch um.“

„Tatsächlich?“

In der Dunkelheit konnte India die Augen ihres Widersachers nicht erkennen. Aber sie spürte die Wärme seiner Hände durch die dicken Stoffe ihrer Ärmel hindurch. Nicholas Warre roch schwach nach einem herben, vornehmen Duftwasser, das viel zu kostspielig für jemanden war, der in einer finanziellen Notlage steckte. Ihr Blick wanderte über sein Gesicht. Und obwohl sie beinahe nichts darin erkennen konnte, verspürte sie plötzlich ein höchst unwillkommenes Flattern in ihrem Bauch.

Seine Braut. Wahrscheinlich glaubte er sich seiner Beute schon sicher. Und vielleicht stimmte das sogar.

Das Gewicht ihrer Pistole wog schwer an ihrer Hüfte. „Tatsächlich“, bekräftigte sie hochmütig. „Nach dem, was Ihr Katherine Kinloch angetan habt.“

„Wenn es ein Verbrechen wäre, eine Strafandrohung gegen sie zu erwirken, hätte meine Schwägerin mich längst umgebracht, dessen könnt Ihr sicher sein.“

„Ich nehme ihr die Aufgabe liebend gern ab.“

„Kühne Worte von einer Person, die sich eines kapitalen Vergehens gegen die in Rede stehende Dame schuldig gemacht hat. Ist Euch bewusst, dass man Euch dafür hängen kann, dass Ihr das Schiff der Dame gekapert habt?“

Ihre Waffe würde dem unerfreulichen Disput ein schnelles Ende bereiten, wenn sie sie nur in die Finger bekäme und abfeuern könnte. Aber sie hätte nur wenige Sekunden Zeit und könnte ihm vermutlich nur einen Bauchschuss verpassen.

Ein Anfall von Übelkeit erfasste sie.

„Wir haben uns die Possession bloß geborgt, Mister Warre. Ihr tätet besser daran, Euch Gedanken darüber zu machen, wie Ihr Eure Schulden begleichen könnt, statt Eure Zeit mit mir zu vergeuden. Aber da Ihr derart gierig und rücksichtslos seid, das es für zehn Männer reichen würde, darf ich wohl annehmen, dass Ihr eine Lösung für Eure Probleme finden werdet.“

„Das dürft Ihr getrost, meine Liebe. Glücklicherweise konnte ich aufhören, mir Gedanken zu machen, als ich Euch in der Taverne fand.“

„Ihr werdet erst aufhören, Euch Gedanken zu machen, wenn Eure Leiche zu meinen Füßen liegt, Mister Warre.“ India schob ihre Hand ganz langsam an den Kolben ihrer Pistole. „Und nun lasst mich los. Sofort.“

„Nichts auf der Welt täte ich lieber.“

„Dann los.“

„Leider habe ich ein berechtigtes Interesse, Euch festzuhalten.“

„Ich werde niemals in eine Heirat mit Euch einwilligen.“ Sie lachte erstickt.

„Ich brauche Eure Einwilligung nicht.“

„Sicher braucht Ihr sie. Eine Eheschließung erfordert …“, weiter kam sie nicht.

„Das Einzige, was eine Eheschließung erfordert, Lady India, ist die entsprechende Amtshandlung und der Vollzug im Brautbett. Ein Geistlicher wird leicht aufzutreiben sein, und Letzteres scheint Ihr ja selbst kaum erwarten zu können. Und wenn beides hinter uns liegt, so viel kann ich Euch versichern, wird nichts geschehen, was uns noch auseinanderbringen könnte, weder von meiner Seite noch vonseiten Eures Vaters.“ Nicholas Warres portweingeschwängerter Atem strich über ihre Lippen. „Vergebt mir, wenn mir niemand sonst einfällt, der ein Interesse daran haben könnte, diese Heirat anzufechten.“

„Ich werde sie anfechten.“ Näher, noch ein Stückchen näher. India konnte den Pistolengriff fast berühren. „Wenn Ihr mich zurück nach England verschleppt, was Euch ohnehin nicht gelingen wird, strenge ich einen Prozess gegen Euch an, sobald ich englischen Boden betrete.“

„Zu dem ich Euch viel Erfolg wünsche, wenn Ihr mit schwellendem Bauch in den Gerichtssaal tretet.“

Wieder lachte sie erstickt. „Ihr seid nicht besser als all die anderen Schwachköpfe, an die ich verschachert werden sollte und die mich mit den Augen verschlangen, noch bevor sie das Geld meines Vaters in ihren gierigen, dicken Fingern hielten.“ Wenn sie ehrlich war, hatte er keine dicken Finger. Im Gegenteil, Nicholas Warre war teuflisch attraktiv. Vielleicht dachte ihr Vater, er täte ihr etwas Gutes.

„Hört sich an, als seien die Eigner jener dicken Finger nicht unglücklich gewesen über ihren Fang.“

„Seid Ihr etwa enttäuscht, Mister Warre? Sicher hat mein Vater nicht versäumt zu erwähnen, dass ich Seefahrerin bin?“

„Keineswegs. Ebenso wenig, wie er mich darüber aufzuklären vergaß, dass Ihr eine verwöhnte Göre seid, ein unverbesserlicher Wildfang und eine …“

Schande.

„… Schande. Was sich jedoch alles leicht korrigieren lässt.“

Sicher. Dieser Auffassung war auch ihr Vater. Und was hatte er erreicht? Nichts!

Nein, wenn sie schon eine Schande war, dann wenigstens an Deck ihres eigenen Schiffes. Sie würde nicht nach England zurückkehren, sich dort einsperren lassen und sich endlose Tiraden über ihre Unzulänglichkeiten anhören. Und sie würde nicht heiraten.

Sie schob ihre Finger um den Pistolengriff. Wenn es Nicholas Warre gelang, sie zu verschleppen, konnte sie die Waffe ebenso gut auf sich selber richten. Angesichts der Tragweite ihres Gedankens schwitzten ihr die Hände. „Was immer mein Vater Euch geboten hat, ich zahle Euch mehr, wenn Ihr mich in Ruhe lasst.“

Nicholas Warre lupfte eine Augenbraue. „Wenn Ihr so vermögend seid, darf ich mich wahrhaftig glücklich schätzen, denn sobald wir verheiratet sind, gehört Euer Geld mir.“

„Wir werden nicht heiraten“, sagte sie ausdruckslos und schloss die Finger um den Griff ihrer Waffe. Ihr Magen zog sich zusammen. Wenn sie Nicholas Warre erschoss, war sie eine flüchtige Mörderin und würde nie wieder englischen Boden betreten können.

Dann war es eben so. Sie wollte ohnehin nicht zurück.

„Schluss damit.“ Er tat einen Schritt zurück, ohne jedoch seine Hand von ihrem Arm zu lösen. „Wir machen uns auf den Weg zur …“, sein Blick glitt zu ihrer Hand.

Jetzt!

„Wir gehen nirgendwohin.“ India wollte die Pistole aus dem Hosenbund zerren, doch Nicholas Warre war schneller und packte ihr Handgelenk.

„Her damit!“

„Nein!“ Sie rang mit ihm und versuchte den Abzugshahn durchzuziehen.

„Lasst los, bevor ein Unglück geschieht.“

„Nein!“ Ein Schuss krachte durch die enge Gasse, dann hatte Nicholas Warre die Waffe in der Hand. India rannte los, doch er holte sie mit wenigen Schritten ein und stieß sie abermals gegen die Wand. Und plötzlich war er mit seinen Händen überall, unter ihrem Wams, auf ihren Brüsten, ihrem Hintern, sogar zwischen ihren Schenkeln.“

„Hört auf!“

„Damit Ihr mich kaltblütig ermordet?“ Er strich über eine Stelle ihres Körpers, die er nicht berühren durfte, dann schob er seine Hand in ihre Rocktaschen. „Verdammter Mist, bei diesem Geschäft komme ich wahrlich schlecht weg.“

„So ist es. Und wenn Ihr damit weitermacht, werdet Ihr den Rest Eures Lebens mit offenen Augen schlafen müssen.“

„Ganz sicher nicht.“ Er grub seine Finger so tief in ihren Oberarm, dass es schmerzte. Dann zerrte er sie von der Wand fort. „Und jetzt begeben wir uns auf mein Zimmer im Gasthaus und warten auf William und Eure Begleiterin. Ihr werdet von jetzt an den Mund halten, ich wiederhole, den Mund halten. Es sei denn, Ihr legt Wert darauf, gefesselt und geknebelt zu werden. Habe ich mich klar ausgedrückt?“

3. KAPITEL

Eines wurde Nicholas sehr schnell klar. Mit Lady India zur Frau war es nur noch ein kleiner Schritt in Richtung Wahnsinn.

„Ich nehme an, Ihr habt meine Sachen vom Schiff holen lassen“, schnaubte sie ungnädig. Sie brauchte nicht einmal eine Minute, um sich über seine Drohung hinwegzusetzen.

Seit Beginn dieses Höllentrips hatte er sich schon mehrfach gefragt, ob es nicht einen leichteren Weg gegeben hätte, um an die fünfzigtausend Pfund zu kommen, die er so dringend brauchte.

Sie gingen um eine Häuserecke auf die Herberge zu, und Nicholas atmete unhörbar auf. Die Habseligkeiten von Lady India waren ihm völlig gleich. Sein Kinn schmerzte, sein Auge pochte, und der Pulverdampf ihrer Pistole hatte ihm den Finger versengt. Doch das waren Nichtigkeiten im Vergleich zu seinem eigentlichen Problem.

„Ich wüsste nicht, wie ich mich ohne meine Kleider auf eine Hochzeit vorbereiten sollte, Mister Warre“, fuhr sie missmutig fort. „Oder wie ich ohne sie reisen sollte. Was die nächste Frage aufwirft. Wie stellt Ihr Euch meine Rückkehr nach England vor? Reisen wir per Schiff? Das hoffe ich doch, denn die Straßen auf dem Kontinent sind eine Zumutung. Tante Phil und ich haben Wochen gebraucht, um von Paris nach Venedig zu gelangen, obwohl das schon ein paar Jahre her ist. Ach, ich würde Venedig so gerne wiedersehen, und Wien. Wenn ich es recht bedenke, könnten wir doch …“

„Das reicht!“

„Strapaziere ich Eure Geduld, Mister Warre?“, fragte sie scheinheilig. „Dann bitte ich um Vergebung. Wirklich. Wer umgibt sich schon gern mit Menschen, die ständig jammern, nicht wahr? Sie sind ein solches Ärgernis. Und ehrlich gesagt, von allen Eigenschaften, die eine Person haben kann, ist Schwatzsucht die am schwierigsten zu …“

„Seid still!“ Ohne der stirnrunzelnden Wirtin Beachtung zu schenken, schob Nicholas India durch den Eingang der Herberge, drängte sie die Treppe hinauf und stieß sie durch die erste Tür im Gang in sein Zimmer.

„Da Ihr nicht so viel Umsicht besessen habt, meine Sachen vom Schiff zu holen“, plapperte sie weiter, „werden wir uns wohl auf die Possession begeben müssen.“ Allmächtiger, er würde sie tatsächlich knebeln müssen.

Er trat an die schäbige Kommode. „Lasst uns um Himmels willen unverzüglich dorthin gehen.“ Der Spiegel in der drittklassigen Herberge war so blind, dass Nicholas mehr oder weniger raten musste, wo er geblutet hatte.

„Sarkasmus ist ein ganz hässlicher Charakterzug, Mister Warre, wie Euch jedermann bestätigen wird. Ihr solltet in dieser Angelegenheit mehr Ernsthaftigkeit aufbringen, wenn schon nicht meinetwegen, so doch um Eurer Seele willen.“

„Lady India“, unterbrach er sie scharf und drehte sich zu ihr um. Sie musterte ihn mit listigen Augen, die einer Kurtisane gut zu Gesicht gestanden hätten. „Um Eurer Seele willen“, er deutete zu der wackeligen Sitzgarnitur hinter ihr, „setzt Ihr Euch.“

Sie schwieg einen Moment. Um ihre Mundwinkel zuckten kleine Muskeln. Dann drehte sie sich um und lümmelte sich wie ein Mann, ein Bein über die Armlehne lehnend, auf dem abgeschabten Samtsessel. Nur dass an ihr nichts, aber auch gar nichts männlich war.

„Ich wünschte, ich hätte Euch die Nase gebrochen“, sagte sie spitz, ohne ihn aus den Augen zu lassen.

„Eine entzückende Vorstellung.“ Nicholas drehte sich zurück zum Spiegel. Bei der Schlägerei hatte er seine Perücke verloren, und sein Haar, das nach der fünfwöchigen Überfahrt mit dem Schiff dringend gekürzt werden musste, war ein einziges Durcheinander schwarzer Locken. Morgen früh würde er zudem ein Veilchen tragen. Zusammen mit der aufgeplatzten Lippe und den geprellten Rippen wäre es das sprichwörtliche Sahnehäubchen nach all den endlosen Anfällen von Seekrankheit, die er durchgestanden hatte.

Nein, das Sahnehäubchen saß in dem abgenutzten Lehnsessel und musterte ihn verächtlich.

Er nahm seine Taschenuhr heraus und ließ den Deckel aufschnappen. Wo zum Teufel blieb William Jaxbury?

„Ihr hättet beinahe Katherines Leben ruiniert, nur um Eure Schulden zurückzahlen zu können“, zischte Lady India hochmütig, während sie mit ihrem Fuß wippte. „Aber das ist Euch nicht gelungen, deshalb versucht Ihr es nun mit mir. Aber auch damit werdet Ihr keinen Erfolg haben.“

Katherines Leben ruinieren? Natürlich ergriff Lady India für ihre ehemalige Förderin Partei. Die Tatsache, dass Katherine nun Nicholas Schwägerin war, schien in ihren Augen wenig Gewicht zu haben. Sie würde nicht hören wollen, dass er nie die Absicht hatte, Katherine Kinlochs Leben zu zerstören, dass ein Mann jedoch, wenn er verzweifelt genug war, gelegentlich Dinge tat, die er unter anderen Umständen niemals tun würde.

Zum Beispiel einen Satansbraten von einer jungen Dame bis ins Mittelmeer zu verfolgen und sie zur Ehe zu zwingen.

„Nun, Euer Leben ist ja bereits ruiniert“, erwiderte er.

„Ist es nicht.“

Zweifellos konnte Lady India diese Art von Unterhaltung stundenlang fortführen.

Durch den Spiegel sah er, wie sie sich aus dem Sessel erhob und auf ihn zukam. Sie hatte genau die Sorte Mund, mit der eine Frau in Covent Garden ein Vermögen verdienen konnte, wenn sie all die unaussprechlichen Dinge damit tat, die sich ein Mann wünschte.

Er verbot sich, sich vorzustellen, was Lady India damit alles anstellen konnte. Einen Mann zwei Oktaven höher singen lassen, wenn sie mit ihm fertig war, vermutlich.

„Mein Leben ist nicht ruiniert“, betonte sie. „Mein Körper ist es allerdings schon, nun, das ist etwas anderes. Ich bedaure Euch mitteilen zu müssen, dass ich keine Jungfrau mehr bin.“ Sie legte ihre Hand auf ihren Bauch. „Ich könnte bereits ein Kind erwarten. Das Kind eines Ägypters, wenn Ihr es genau wissen wollt, obwohl es genau genommen wohl eher ein Osmane war, aber halt, nein. Es war ein Maure.“

„Ich ziehe es vor, mich streng an die Tatsachen zu halten, Lady India. Und deshalb muss ich Euch daran erinnern, dass Ihr vor nicht einmal einer Stunde selbst davon spracht, dass Ihr beabsichtigt, Eure Tugend an einen Seemann zu verschenken.“

Sie lächelte gespielt. „Ich pflege Dinge erst dann als abgeschlossen zu betrachten, wenn ich sie mindestens drei Mal durchgeführt habe, deshalb wäre es heute Nacht endgültig um meine Jungfräulichkeit geschehen. Ich spreche von einem Gnadenstoß gewissermaßen. Vom dreifachen Abheben, wie man beim Kartenmischen sagt.“

Meine Tochter ist eine Xanthippe, hatte der Earl of Cantwell gesagt. Der Mann war ein Meister der Untertreibung.

„Wenn das so ist“, er ließ den Lappen in die Waschschüssel fallen und drehte sich zu ihr um, „werdet Ihr sicher nichts dagegen haben, wenn ich mir einen Vorgeschmack auf das nehme, was mich nach unserer Hochzeitsfeier erwartet.“

Die plötzliche Furcht in ihren Augen sagte ihm alles, was er über das illegitime Kind eines maurischen Seemanns in ihrem Bauch wissen musste.

Ihre Augen waren blau, tiefblau und nicht so graublau wie Clarissas. Und ihr Haar war nicht flachsblond wie Clarissas, sondern honigfarben und es glänzte in mindestens zehn verschiedenen Goldtönen.

Unverhofft flammte ein Verlangen in ihm auf. Der Teufel sollte ihn holen. Er war ein Narr.

Der Ausdruck in ihren Augen war plötzlich weniger kühn. Er lächelte spöttisch. „Nun, Ihr seid ja doch nicht so verwegen, wie Ihr mich glauben machen wollt.“

Sie lachte, und plötzlich wirkte alles an ihr wie verwandelt, was ihm missfiel. „Du lieber Himmel, Mister Warre, Ihr haltet wirklich große Stücke auf Euch. Aber nun, da Ihr wisst, welche Sorte Männer ich bevorzuge, seht Ihr sicherlich ein, dass Ihr kaum exotisch genug für mich seid. Überdies seid Ihr viel zu alt. Ich könnte das Bett niemals mit einem Greis wie Euch teilen.“

Fünfzigtausend Pfund. Der Earl of Cantwell hatte eine entschieden zu hohe Meinung vom Wert seiner Tochter. Oder eine viel zu geringe, das kam auf den Standpunkt an. „Ihr habt recht. Manchmal weiß ich gar nicht, wie ich es schaffe, mich mit meinen vierunddreißig Jahren auf den Beinen zu halten.“

„Vierunddreißig!“

„Glücklicherweise wird unsere Beziehung mehr von der liegenden Sorte sein.“

„Vierunddreißig?“

„Erschütternd, nicht wahr?“

„Solltet Ihr Euch dann nicht besser setzen? Belastet Euch um Himmels willen nicht meinetwegen.“ Sie wies auf die Sitzgruppe. „Bitte, nehmt Platz.“

„Ich bin Gott sei Dank noch bei recht guter Gesundheit“, konterte er trocken. Warum war niemand da, der diese unbezahlbare Unterhaltung aufschrieb? „Und was die Exotik anbelangt, so trage ich doch gern einen Turban, wenn ich das Bett mit Euch teile.“ Er bereute die Worte, kaum dass er sie geäußert hatte.

„Welch großzügiges Angebot, Mister Warre. Doch ich fürchte, ich kann mich nicht darauf einlassen. Angesichts Eures fortgeschrittenen Alters wäre es ein viel zu riskantes Unterfangen. Nicht dass es mir so ergeht wie meiner Tante Phil, die erleben musste, wie ein gewisser Lord Garth plötzlich das Zeitliche segnete, während er, Ihr wisst schon.“

„Lord Garth war zweiundachtzig.“ Er prustete und trat zu seinem Handkoffer. Es war einfach zu verführerisch, sich Lady India erwartungsvoll auf dem Bett liegend vorzustellen. Dabei würde er ganz gewiss nicht das Zeitliche segnen. Lady Indias Tante Phil, die junge verwitwete Lady Pennington, sollte besser darauf achten, was sie mit leicht zu beeindruckenden Geistern besprach.

„Unbenommen dessen kann man nicht vorsichtig genug sein, wenn man in die Jahre kommt“, gab Lady India zurück. „Es täte mir unendlich leid, wenn Euch etwas passierte.“

Es juckte ihm in den Fingern, sie zu packen und vor die Tür zu setzen. Sollte sie doch zu ihrem gestohlenen Schiff und ihren lüsternen Matrosen zurückkehren. Sollte sich doch William Jaxbury mit ihr befassen, dann könnte er selbst endlich ein paar Stunden ruhig schlafen nach den höllischen Wochen auf See.

Aber er steckte schon viel zu tief in der Sache, um noch einen Rückzieher machen zu können. Es stimmte, Mr. Holliswell hatte ihm Zeit gegeben, Lady India zu suchen und das Geld von ihrem Vater in Empfang zu nehmen. Doch wenn Nicholas am vereinbarten Termin nicht mit Erfolgen aufwarten konnte, würde ihm Mr. Holliswell Taggart abnehmen. Er hatte die Wahl: entweder heiratete er Lady India oder er verlor Taggart.

Und er wollte verdammt sein, sollte Letzteres eintreten.

„Ich versichere Euch, ich werde äußerste Vorsicht walten lassen“, versicherte er ihr. „Wenigstens können wir davon ausgehen, dass unsere Ehe von kurzer Dauer sein wird. Angesichts der Tatsache, dass ich bereits mit einem Fuß im Grabe stehe.“

„Es wird keine Ehe geben.“

„Ihr sagtet es bereits. Dummerweise habt Ihr in dieser Angelegenheit kein Mitspracherecht.“

„Ihr könnt mich nicht zwingen, das Gelübde abzulegen.“

Den richtigen Geistlichen und eine ordentliche Summe Bestechungsgeld vorausgesetzt, konnte sie anstelle des Gelübdes auch unzüchtige Trinklieder singen, wenn es nach ihm ging. „Ich habe eine von Eurem Vater unterzeichnete Vereinbarung samt der entsprechenden Vollmacht, die mich berechtigt zu tun, was immer notwendig ist, um eine Ehe zustande zu bringen.“ Er zog das Papier aus der Innentasche seiner Weste und faltete es auf. „Ihr könnt den Vertrag lesen, wenn Ihr wollt, doch Ihr werdet verstehen, dass ich ihn nicht aus der Hand gebe. Ich würde es mir nicht verzeihen können, wenn ihm etwas zustieße.“

Sie zog ihre hübsch geformte Nase kraus, die ohne die Handvoll Sommersprossen geradezu vollkommen gewesen wäre. „Dieser Vertrag ist ohne Bedeutung für mich.“

„Vielleicht denkt Ihr anders, wenn Ihr ihn gelesen habt.“

„Nicht nötig. Ich stimme den Bedingungen ohnehin nicht zu.“

„Dann ist es umso besser, dass die Bedingungen Eurer Zustimmung nicht bedürfen.“ Nicholas faltete den Vertrag zusammen und steckte ihn wieder ein. Dann sah er noch einmal auf die Uhr. Zum Teufel, wo steckte William Jaxbury? War der Kerl zur Kirche gegangen, anstatt hierherzukommen?

Sein Blick glitt zu India.

Sie kniff die Augen zusammen. „Ich werde dafür sorgen, dass Ihr die Stunde verflucht, in der Ihr beschlossen habt, mich als Rettung für all Eure Probleme anzusehen, Mister Warre.“

Sollte er riskieren, sie die Straße entlang zur Kirche zu zerren in der Hoffnung, dass sein verfluchter Begleiter dort auf sie wartete? Gereizt sah er zur Tür. Er hatte kaum eine andere Wahl. „Wir gehen.“

„Gehen?“ Sie konnte das kaum merkliche Aufflackern von Angst in ihren Augen nicht unterdrücken. „Wohin?“

„Dorthin, wo sich die Angelegenheit zu Ende bringen lässt.“ Als er auf sie zutrat, wich sie zurück.

„Wir kennen uns kaum, Mister Warre. Sicher würde es uns beiden guttun, wenn wir ein wenig mehr voneinander wüssten. Mich würde zum Beispiel interessieren, wie hoch Eure Schulden bei einem gewissen Mister Holliswell sind.“

„Ich für meinen Teil bin über alles Wesentliche informiert, und Ihr könnt mich auf dem Weg zur Kirche fragen, was immer Ihr wollt.“

„Es ist Euch freigestellt, Eure Meinung zu ändern.“ Sie kämpfte sichtlich um Haltung. „Niemand würde schlecht von Euch denken, wenn Ihr mich entwischen lasst. Ihr könntet Euren Stolz retten, indem Ihr Euch dankbar zeigt, mich endlich los zu sein. Weil Euch schon bei meinem ersten Anblick klar wurde, dass ich Euch nur Unglück bringen werde.“

Auf einmal sah sie so jung und verletzlich aus, dass sie ihm beinahe leidtat.

Nur dass sie kein Mitleid verdiente. Dafür war sie zu ungezähmt und zu geübt im Umgang mit ihrer Schusswaffe.

„Ich weiß auch so um mein Unglück. Dennoch werde ich Euch nicht gestatten, zu fliehen.“ Er lächelte angespannt. „Ihr, Lady India, seid ein gestaltgewordener Wechsel für mich. Und gewiss könnt Ihr Euch vorstellen, wie sehr ich ein solches Vermögen schützen werde.“

India wusste nicht, ob ihre Beine sie getragen hätten, hätte Nicholas Warre sie nicht so liebevoll gestützt, indem er ihren Oberarm fest umklammert hielt, während er sie abermals die Straße entlangzerrte. Ihre Knie zitterten wie Espenlaub.

„So hatte ich mir meinen Hochzeitstag wahrhaftig nicht vorgestellt“, murrte India, als sie sich der Kirche näherten. „Wir könnten wenigstens zusehen, dass ich einen Strauß Blumen bekomme und ein Kleid. Oder dachtet Ihr, ich wollte in Hosen heiraten? Es wäre eine Schande für uns beide. Überlegt nur, was die Gäste davon halten würden!“

Er gab sich nicht noch einmal die Mühe, ihr zu sagen, sie solle den Mund halten. Sie traute sich nicht, ihn anzusehen und seinem Blick zu begegnen.

Nicht nachdem er sie im Gasthof so seltsam angesehen hatte.

Vermutlich hatte sie die Dinge ein wenig übertrieben. Aber einstweilen brachte ihn jeder Schritt auf dem unebenen Kopfsteinpflaster dem Sieg näher.

„Teufel!“ Sie blieb abrupt stehen.

„Geht weiter.“

„Einen Moment!“

„Nur damit Ihr mich richtig versteht, Lady India.“ Er knurrte förmlich. „Ich falle nicht auf Eure kindischen Possen herein. Entweder lauft Ihr den Rest des Weges, oder ich werde Euch tragen.“

„Es erscheint mir nur angebracht, dass Ihr mich tragt“, erwiderte sie mutiger, als sie sich fühlte. „Schließlich erwartet eine Frau ein wenig Romantik an ihrem Hochzeitstag, und das trotz des bedauerlichen Mangels an Ritterlichkeit, den moderne Männer an den Tag legen. Aber da ältere Gentlemen noch etwas mit dem Begriff anzufangen wissen, hege ich die Hoffnung, mit Euch mehr Glück zu haben. Daher würde ich sogar darauf bestehen, von Euch getragen zu werden, wenn ich nicht fürchten müsste, Euch zu überfordern.“

Nicholas zog Lady India wortlos weiter, während sie versuchte, ihn zu bremsen, indem sie kurze Trippelschritte machte. Wenn er und William doch bloß morgen angekommen wären! Dann wäre sie jetzt damit beschäftigt, die intime Bekanntschaft des ägyptischen Seemanns zu machen, und ihre Mär von der verlorenen Unschuld wäre keine Erfindung, sondern Erfolg. Dann wäre Nicholas Warre nicht mehr gewillt, sie zu seiner Ehefrau zu machen.

Sie kamen an einer engen Gasse vorbei, die auf einer Seite zum Hafen führte und auf der anderen in stockfinstere Dunkelheit. Wo hatte William Millie nur hingebracht? Es musste doch irgendeine Möglichkeit zur Flucht geben! Oder sollte sie tatsächlich als zwangsvermählte, nach England zurückverschleppte und fortan im Haus eingesperrte Ehefrau enden?

Oh Gott. Ihre Beine gaben nach, und im nächsten Moment bohrten sich die kantigen Pflastersteine in ihre Knie.

„Steht auf.“

„Sofort. Ehrlich. Gebt mir nur ein wenig Zeit“, bat India.

Was er natürlich nicht tat. Stattdessen zog er sie auf die Füße und legte ihren Arm um seine Schultern. „Wartet!“, rief sie alarmiert, doch es war zu spät. Hilflos wand sie sich in der Umklammerung.

„Eure Mätzchen bringen Euch höchstens noch hinter Schloss und Riegel“, bellte er. „Und dort werdet Ihr bleiben, bis Ihr aufhört, Euch …“

Wie ein verzogenes Kind zu benehmen.

„… wie ein verzogenes Kind zu benehmen.“

Das Entsetzen drohte ihr die Luft abzuschnüren. Er war genauso schlimm wie ihr Vater, wenn nicht sogar noch schlimmer. Was sie kein bisschen wunderte. Warum sonst hätte ihr Vater ihn ausgesucht? Sie versuchte ruhig zu bleiben. Du musst ganz ruhig atmen, dachte sie. Doch als sie es tat, schien er ihre Lungen mit dem herben männlichen Wohlgeruch seines viel zu kostspieligen Duftwassers zu füllen.

„Oh, Mister Warre, wie romantisch Ihr seid.“ Sie schmiegte ihre Wange an seine Schulter und legte die Hand auf den steinharten Brustkorb, den sie vorhin in der Gasse nicht hatte fortschieben können. Sie spürte, wie seine Muskeln unter ihrer Handfläche zuckten.

Zuckten sie vor Schmerz?

„Ich hoffe inständig, Ihr habt Euch bei der Wirtshausschlägerei nicht so schwer verletzt, dass Ihr Euch jetzt mit mir quälen müsst.“ Sie verlagerte ihr Gewicht, schlang ihren freien Arm um seinen Rücken und ließ die Hand auf seiner Brust höher gleiten. Seine Finger wanderten von ihrer Taille zu ihrer Hüfte. „Nicht im Mindesten, Lady India.“

Ihr Atem stockte. Entrüstet zog sie ihre Hand von seinem Brustkorb weg.

Sie hatten die Kirche fast erreicht. India konnte erkennen, dass es sich bei den beiden Personen, die vor dem Eingang standen, um William und Millie handelte.

Wenn sie jetzt noch entkommen wollte, musste sie sich beeilen. Denk nach, befahl sie sich hektisch. Würde die Trauung gültig sein, wenn sie sich weigerte, das Gelübde zu sprechen? Sicher konnte sie an Williams Gewissen appellieren. Aber erst einmal musste sie sich ruhig verhalten, sobald sie die Kirche betrat, und auf eine günstige Gelegenheit warten.

Noch hatte sie Hoffnung.

Doch damit war es vorbei, als sie Williams zerschlagenes Gesicht sah. Sein Turban war fort, und selbst in der nächtlichen Dunkelheit konnte sie sehen, dass sein linkes Auge dunkelrot verfärbt und geschwollen war. Er hielt Millie am Arm fest. „So wahr ich hier stehe, du bist die größte Närrin, die ich kenne“, knurrte er missmutig. „Wir hätten alle dabei draufgehen können.“

„Lasst uns hineingehen, Jaxbury“, verlangte Nicholas Warre mit zusammengebissenen Zähnen. Er schob India über die Schwelle in das vom spärlichen Licht weniger Kerzen erleuchtete Kirchenschiff. Er zog sie durch den Mittelgang hinter sich her und stieß sie auf eine Bank vorn am Altar.

„India?“ In Millies Ton hörte India die Sorge, Nicholas Warre könnte die Situation ausgenutzt haben, nachdem sie die Taverne verlassen hatten.

„Mit mir ist alles in Ordnung, Millie. Mein teurer Verlobter zeigte sich ungemein besorgt um mich, nicht wahr, Liebster?“ Doch Nicholas beachtete sie nicht. Mit finsterem Blick suchte er den Altarraum nach einem Priester ab. India setzte sich aufrecht und sah sich verträumt in der Kirche um. „Was für ein reizender Ort. Ganz wie ich ihn mir für meine Trauung vorgestellt hatte. Findest du ihn nicht auch perfekt, Millie?“

Sie erwartete, dass ihre Freundin William auffordern würde, sich zum Teufel zu scheren und sie loszulassen, doch Millie stand wie erstarrt da und umfasste geistesabwesend ihr eigenes Handgelenk, ließ es los, umfasste es aufs Neue. Indias Blick fiel auf Millies Arm, den William umklammert hielt. Ob er tatsächlich so wütend war, dass er seiner alten Schiffskameradin bewusst Schmerzen zufügte. Trotz allem, was sie in London erlitten hatte? Zweifellos, denn Katherine war seine engste Freundin, und es war nicht zu erwarten, dass er India und Millie den Raub der Possession vergeben würde.

Sie starrte auf Williams Hand auf Millies Arm. „Ich werde heiraten, William. Lass Millie wenigstens meine Brautjungfer sein.“

William rührte sich nicht.

Millie durchforstete das Kirchenschiff nach einer Fluchtmöglichkeit. Ihr Blick verdunkelte sich. Es gab kein Entrinnen.

India atmete durch. „Bis hierher war dieser Tag genau so, wie ein Hochzeitstag sein sollte. Selbst in meinen kühnsten Träumen hätte ich mir nicht auszumalen gewagt, dass er so herrlich und unvorstellbar schön werden könnte.“ Nicholas Warre drehte sich um und verschwand in den Tiefen des Kirchenschiffs.

India versuchte, das Zittern zu unterdrücken, das ihren ganzen Körper erfasste. Millies stumme Schlussfolgerung entsprach der Wirklichkeit, im Augenblick gab es keine Möglichkeit zur Flucht. Wenn es Nicholas Warre gelang, den Priester zu bestechen, würden sie gleich in einer vorgeblich rechtsverbindlichen Zeremonie getraut und danach zur Herberge zurückkehren.

„William“, flüsterte sie scharf, sobald Nicholas Warre außer Hörweite war. Sie vergaß alle Heuchelei und sprang von der Kirchenbank auf. „Du kannst doch unmöglich auf seiner Seite sein! Nach allem, was er Katherine angetan hat! Bedeute ich dir denn gar nichts?“ Ihr Flehen verhallte in der dämmrigen Höhle des Kirchenschiffs, geschluckt von einer tödlichen Stille, in der nur das Knistern der Kerzenflammen zu hören war.

William stieß Millie in eine der Bankreihen. „Wenigstens wollte er Katherine am helllichten Tage bestehlen. Im Gegensatz zu euch, die es im Schutz der Dunkelheit getan habt.“

„Sie brauchte das Schiff doch gar nicht!“ India stützte die Fäuste auf die Hüften.

„Das gab euch nicht das Recht, es zu kapern!“

„Wenn du mich schon verurteilst, dann bitte gerecht!“

„So gerecht wie die Verurteilung, die dich erwartet, wenn ich dich nach England zurückbringe und der Piraterie beschuldige? Du würdest hängen.“ In der Taverne hatte William noch gelacht, William lachte eigentlich immer, doch jetzt war jede Heiterkeit aus seinem Gesicht verschwunden, und das fand India schlimmer als alles, was er ihr sonst antun konnte. „Es war eine feine Art, Katherine deine Dankbarkeit zu zeigen“, fuhr er bissig fort. „Ich hätte ein wenig mehr Loyalität von euch erwartet.“ Er richtete den Blick auf Millie. „Besonders von dir.“

Millie sah zu ihm auf, während sie noch immer hektisch den Griff ihrer Finger um ihr Handgelenk löste und schloss. „Ich gehe nicht zurück nach England. Das ist ausgeschlossen, und das weißt du.“

Der Verzweiflung nahe, mischte sich India wieder ein. „Es tut uns leid, was in der Taverne passiert ist.“ Aus den Tiefen des Kirchenschiffs drang Nicholas Warres Rufen, begleitet von lautem Türenklopfen, an ihre Ohren. „Nicht wahr, Millie? Wir wollten dich nicht in Gefahr bringen, William. Und natürlich wissen wir, dass es falsch war, das Schiff zu stehlen, aber nun befindet es sich ja in deinen Händen.“ Es sei denn, es würde ihr und Millie gelingen, wieder an Bord zu gelangen und zu fliehen. „Es ist absolut nicht notwendig, diese Eheschließung hier zu unterstützen. Ich kann nicht glauben, dass du das Vorhaben von Nicholas Warre billigst. Und ich glaube auch nicht, dass mein Vater es gutheißt“, behauptete sie, obwohl sie es besser wusste.

Was gäbe sie darum, den Inhalt des Vertrages zu erfahren. Leider war sie hoffnungslos verrückt. Nicht einmal die vielen Bücher in der Kapitänskajüte der Possession hatten ihr zur Weisheit verholfen! Und während sich andere Leute leicht täuschen ließen, konnte sie bei Nicholas Warre nicht darauf hoffen. Sie würde vorgeben müssen, die Vereinbarungen zu lesen, aber sie würde sie nicht verstehen. Und er würde merken, wie beschränkt sie war.

„Höchste Zeit, dass dich mal jemand an die Kandare nimmt“, sagte William. „Und ich wage zu behaupten, Nicholas Warre zum Ehemann zu haben ist allemal besser für dich, als am Galgen zu baumeln und den Krähen zum Fraß vorgeworfen zu werden.“

„Das würdest du niemals zulassen.“

„Ich bin nicht auf eigene Faust hier, Gesetz ist Gesetz.“

Für den Bruchteil einer Sekunde drohte ihr die Erinnerung an die stinkende, überfüllte Zelle im Zuchthaus von Marshalsea den Atem zu rauben. „Ich werde das Ehegelübde nicht ablegen“, flüsterte sie erschaudernd.

„Doch, das wirst du. Oder du wirst die Konsequenzen tragen.“

„Großer Gott!“ Millie versuchte sich unauffällig aus der Kirchenbank zu schlängeln. Doch William passte auf und packte sie bei den Schultern.

„Setz dich!“

„Eher bringe ich mich um, als nach England zurückzukehren“, zischte sie.

„Und ich bringe Nicholas Warre um, wenn du diese Eheschließung nicht verhinderst“, drohte India. Von der anderen Seite des Kirchenschiffs drang abermals Klopfen und Rufen zu ihnen herüber. „Ich meine es ernst.“ Sie würde sich nicht nach England verfrachten und abermals einsperren lassen, weder in einem Kerker noch in einem Haus von Nicholas Warre.

„Ihr unverbesserlichen Närrinnen“, bellte William aufgeregt. Er versuchte, der sich windenden Millie Herr zu werden, und stolperte gegen sie. „Millicent, hör auf!“

Millie trat nach ihm. „Lass mich los!“

India glitt aus der Kirchenbank. William erwischte sie am Oberarm, doch er konnte nicht beide Frauen gleichzeitig bändigen. „Warre!“, brüllte er in das Kirchenschiff.

Beinahe augenblicklich tauchte Nicholas Warre aus der Dunkelheit auf, zerrte India von William fort, der nun die wild um sich schlagende Millie mit beiden Armen festhielt. „Wo bleibt der vermaledeite Pfaffe?“, knurrte er wütend.

„Er scheint nicht da zu sein.“

„Unmöglich.“ Er drehte Millie die Arme auf den Rücken und drückte ihren Kopf herunter, sodass sie sich nicht mehr bewegen konnte.

„Lass mich los!“

„Du tust ihr weh, William!“, schrie India ihn an.

„Unsinn.“

„Wenn jemand hier wäre, hätte er uns längst gehört.“ Nicholas Warre hielt India mühelos fest. „Wir müssen eine andere Kirche finden.“

„Mit diesem verrückten Geschöpf kann ich mich nicht auf der Straße sehen lassen. Ich muss sie erst auf das Schiff bringen.“

„Mein Gepäck ist noch in der Herberge, und ich will verdammt sein, wenn ich diese Insel verlasse, ohne verheiratet zu sein“, blaffte Nicholas zurück.

„Nur damit Ihr es wisst, Warre“, William keuchte auf, „Millicent, lass das!“ Er verstärkte seinen Griff um ihre Handgelenke. „Ich bringe diesen Ausbund an Widerborstigkeit aufs Schiff. Wenn Ihr meint, Ihr müsst heiraten, bleibt hier und kümmert Euch um die Angelegenheit.“

4. KAPITEL

Nicholas biss die Zähne zusammen. Oh ja. Er würde sich um diese Angelegenheit kümmern, und zwar sobald es zu dämmern begann und er einen Priester auftreiben konnte.

„Wie schade, dass es mit unserer Vermählung nicht so klappt, wie Ihr es Euch erhofft hattet“, sagte Lady India, während er sie auf der Straße zur Herberge mit sich zog. „Aber macht Euch keine Vorwürfe“, fuhr sie munter fort, „manchmal platzen selbst sorgfältig ausgearbeitete Pläne, und das aus Gründen, die sich uns normalen Sterblichen nicht erschließen. Was mir allerdings nach unserem Besuch in der Kirche sicher scheint, ist, dass eine höhere Gewalt Euch auf dem Pfad der Tugend halten möchte, Mister Warre.“

„Sicher. Auf dem Pfad der Tugend zu einer frühmorgendlichen Trauung.“

„Eine morgendliche Hochzeit.“ Er konnte förmlich hören, wie sich die Rädchen in ihrem hübschen Kopf zu drehen begannen. „Eine fabelhafte Idee. Ich war schon immer der Meinung, dass eine Hochzeit am Morgen zauberhaft sein müsste.“

Und er Narr war davon ausgegangen, dass er Lady India nach dem Ehegelübde in Williams Obhut auf die Possession geben und sich selbst ein paar ruhige, schaukelfreie Stunden Schlaf gönnen könnte.

„Ihr werdet natürlich dafür sorgen, dass ich ein eigenes Zimmer bekomme“, zwitscherte sie munter weiter. „Denn es würde sich nicht ziemen, wenn wir die Nacht vor der Hochzeit zusammen verbrächten.“

Er beachtete sie nicht.

„Es ist auch in Vaters Sinn, wenn wir schicklich bleiben und nichts Ungebührliches unternehmen. Vater legt großen Wert darauf.“ Sie knickte um und strauchelte, und Nicholas verstärkte seinen Griff um ihren Oberarm, damit sie nicht stürzte. „Es wäre doch bedauerlich, wenn Ihr mich zu Eurer Ehefrau machtet, nur um herauszufinden, dass Euch die Belohnung verweigert wird, weil Ihr eine unbedeutende Anstandsregel nicht beachtet habt.“

Dass ausgerechnet sie von Anstand sprach, war lachhaft, falls es in der gegenwärtigen Situation überhaupt etwas zu lachen gab.

„Ich werde mich natürlich vorbildlich in meinem eigenen Schlafgemach benehmen. Ihr braucht Euch keine Sorgen zu machen.“

Ihrer Versicherung zum Trotz zog Nicholas Warre sie mit sich die enge Stiege hinauf und über den Flur in sein Zimmer.

Beim ersten Morgenlicht würde er zwei Seeleute wecken und sie dafür bezahlen, dass sie für ein paar Minuten mit in die Kirche kamen, um die Trauung zu bezeugen. Doch bis dahin hatte er vor zu ruhen. Nicht zu schlafen, aber ruhen. Das musste genügen.

Er deutete auf einen der Sessel. „Setzt Euch.“

„Nicht in diesem Ton, Mister Warre. Ich bin kein Hund.“

Kannte er sie schon eine Stunde? Wahrscheinlich weniger, doch bereits jetzt graute ihm vor seinem künftigen Eheleben. „Setzt Euch, Lady India“, wiederholte er mit zusammengebissenen Zähnen.