Das Verlangen der Piratenlady - Alison DeLaine - E-Book
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Das Verlangen der Piratenlady E-Book

Alison DeLaine

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Beschreibung

Lady Katherine Kinloch gibt es nicht mehr! Nachdem sie sich aus jahrelanger Gefangenschaft befreien konnte, hat die schöne Adelige ihrem früheren prunkvollen Leben entsagt. Als gnadenlose Freibeuterin Kate macht sie nun mit ihrem Schiff das Mittelmeer unsicher. Als sie einen unverschämt attraktiven Schiffbrüchigen aus dem Meer fischt, gerät ihr Herz in Gefahr. Zwar ahnt die Piratenlady, dass ihr geheimnisvoller Passagier etwas vor ihr verbirgt. Gleichzeitig jagt sein aufreizender Blick ihr heiße Schauder über den Körper. Zum ersten Mal ist Kate bereit, ihren Gefühlen das Ruder zu überlassen - da erfährt sie, wer ihr verführerischer Fremder wirklich ist …

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Seitenzahl: 543

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IMPRESSUM

HISTORICAL GOLD EXTRA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Thomas BeckmannRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2014 by Alison Atwater Originaltitel: „A Gentleman ’til Midnight“ erschienen bei: HQN Books, Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICAL GOLD EXTRABand 80 - 2015 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg Übersetzung: Charlotte Gatow

Abbildungen: RomanceNovelCovers.com, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 09/2015 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733761042

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, TIFFANY

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1. KAPITEL

Östlich der Straße von Gibraltar, April 1767

Eine Welle schwoll an und brach über seinem Kopf. Einen Moment lang konnte Captain James Warre nicht atmen. Seine Finger gruben sich in das nasse Holz unter ihm, doch da war nichts, wonach er greifen konnte. Das aufgewühlte Wasser nahm ihm die Luft, stieß ihn umher und drohte ihn zu ersticken.

Mit unglaublicher Mühe drehte er sich herum und ließ hustend den Kopf sinken. Sein Mund war vom Meerwasser salzig und trocken. Er schloss die Augen und glitt davon.

Guten Abend, gut’ Nacht! Mit Rosen bedacht. Mit Näglein besteckt. Schlüpf unter die Deck. Schlafenszeit, kleiner Master Warre, und ich möchte keine Widerrede hören.

Schlafenszeit. Die Sonne wärmte seinen Rücken, während die Wellen ihn hin und her warfen.

Plötzlich ein Schatten.

Es gab einen Knall, Holz schrammte über Holz. Er öffnete die Augen und wappnete sich innerlich gegen das Geräusch abgefeuerter Kanonen. Als es ausblieb, schloss er die Augen wieder.

Eine weibliche Stimme drang an seine Ohren. „… lebt, oder?“

Der sanfte, trällernde Klang erschien ihm wie ein Lied.

Das Gewummer setzte wieder ein.

„… genauso gut tot, oder jedenfalls nicht weit davon entfernt.“ Eine männliche Stimme.

Wumm, wumm, rumms.

„… hochziehen?“ Erneut weiblich.

Wumm, wumm …

Er schlug die Augen auf und schaute geradewegs auf den nassen Rumpf eines Schiffes. Eine neue Welle überrollte ihn und ließ ihn keuchend zurück. In einem Augenblick der Klarheit versuchte er, das Deck zu erkennen, doch ihm fehlte die Kraft dazu. Sein Blick schweifte über das Floß, das ihn über Wasser hielt. Nein, kein Floß. Zerborstene Deckplanken. Eine ferne Erinnerung wollte ihn nach unten ziehen, doch er kämpfte darum, bei Bewusstsein zu bleiben, und sah nach oben.

Eine Brigg.

„… jede Art von Krankheit. Wir können das Risiko nicht eingehen.“

Durch den Dunstschleier in seinem Kopf sickerte die Erkenntnis, dass dort oben Englisch gesprochen wurde. Dann hörte er laute Rufe. Dieses Mal unverständlich, doch der Klang war ihm nicht gänzlich fremd.

Eine Mischung aus Englisch und Maurisch, auf einer Brigg im Mittelmeer.

Deserteure. Sie würden den Captain eines englischen Linienschiffes nicht besonders freundlich behandeln.

Das gedämpfte Geräusch von Tuch, das in der Brise schlug, brachte ihn dazu, sich auf das Heck der Brigg zu konzentrieren. Wenn er nur ihre Farben sehen könnte … Der gebogene Rumpf versperrte ihm die Sicht. Er sah nur eine leuchtend rote Ecke, die im Wind wehte.

Also richtete er den Blick auf diese Ecke, wartete und wehrte sich mit aller Macht gegen den inneren Sog.

Schlafenszeit, kleiner Master Warre.

Nein! Er musste die Flagge sehen!

Eine Welle schlug über ihm zusammen, sein Mund füllte sich mit Salzwasser. Er würgte und hustete, als er die Augen wieder auf die Stelle am Heck richtete. Ein Windstoß schob den größten Teil der Flagge in sein Gesichtsfeld.

Ein schlanker gelber Arm auf rotem Untergrund, in der Faust ein Entermesser.

Zur Hölle!

Er musste den Rest der Flagge nicht sehen, um zu wissen, dass zu dem wohlgeformten Arm auch Schultern und Oberkörper einer Frau gehörten. Er ließ den Kopf aufs nasse Holz sinken.

Mit Näglein besteckt …

Wumm, wumm, wumm.

Die nächste Welle nahm ihm das Bewusstsein.

2. KAPITEL

Es war ein jämmerlicher Anblick, ebenso jämmerlich wie damals, als sie Mr Bogles aus dem Hafenbecken in Malta gefischt hatten. Doch Mr Bogles war ein Kater. Ein Mann hatte keine von dessen nützlichen Eigenschaften, sondern war ein Quell möglicher Gefahren. Captain Katherine Kinloch trat von der Reling zurück.

„Er könnte jede erdenkliche Krankheit haben“, stellte sie fest. „Wir können das Risiko nicht eingehen.“

„Aye, Captain.“ Ihr algerischer Bootsmann ging in Richtung Vorschiff und erteilte den drei Seeleuten, die über die Bordwand glotzten, einen scharfen Verweis. Trotz der brennenden Sonne fror sie.

Lasst das Netz herunter! Der Befehl lag ihr auf den Lippen, doch sie biss die Zähne fest zusammen und richtete das Fernrohr auf die Meerenge. Niemand an Bord wäre noch am Leben, wenn sie ihren Gefühlen freien Lauf ließ, sobald der Wind aus einer anderen Richtung wehte.

„Schreckliche Art zu sterben“, sagte ihr erster Maat. Er lungerte an der Reling und sah aufs Wasser hinab. Ein leiser Vorwurf lag in seiner Stimme – wie bittere Medizin in süßem Sirup.

„Jede Art zu sterben ist schrecklich, William.“ Die Erwiderung klang kalt. Schrecklich. Ihr war fast ein bisschen übel. „Ich bezweifle, ob wir mehr tun können, als seine letzten Augenblicke zur Qual zu machen, indem wir ihn hochholen.“

„Angenommen, er ist völlig gesund? Und ist nur dabei, zu verdursten?“

„Angenommen, er hat die Pest?“, gab sie scharf zurück. Ein Deck unter ihr brachte Anne dem neugierigen Mr Bogles gut gelaunt bei, wie man Perlen auffädelte. Manche Gefahren waren für Anne unvermeidbar, doch die, die sie hier vor sich hatten, war das gewiss nicht.

Ein Zittern ließ den Horizont vor ihren Augen tanzen, doch sie verstärkte einfach ihren Griff. Sobald die Meerenge hinter ihnen lag, würde sie mit einer Rumpfcrew in unbekannten Gewässern segeln müssen. Vor ihr lag eine Heimat, die sie seit mehr als zehn Jahren nicht mehr gesehen hatte. Die Zweifel über die Richtigkeit ihrer Entscheidung ließen sie schon jetzt unruhig auf Deck umherstreifen, während andere Nachtwachen hielten. Es war nicht der richtige Zeitpunkt für unbedachte Handlungen. Cousin Holliswell sollte verdammt sein, samt seiner Gier. Und ebenso dieser Nicholas Warre, der ihm half!

Andererseits konnte man stets auf die Erbarmungslosigkeit eines Warre zählen.

Eine tiefschwarze Haarsträhne flatterte vor die Linse des Fernrohrs. Sie wischte sie weg. „Sehr wahrscheinlich ist er ein tunesischer Korsar“, fügte sie hinzu.

„Oder ein Mann des Königs“, konterte William im Plauderton, bevor er stichelte: „Ich kann mich nicht daran erinnern, dass du solche Bedenken hattest, als wir Phil und Indy an Bord genommen haben.“

„Natürlich nicht, und du kennst auch den Grund dafür.“

Er lehnte sich über die Reling und rief der leblosen Gestalt dort unten zu: „Wenn du Brüste hast, alter Junge, wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, sie zu zeigen.“

„Genug.“ Sie senkte das Fernrohr. In der Sonne wirkte Williams blonder Bart, als wäre er aus purem Gold gesponnen. Er schimmerte im selben Farbton wie die Ohrreifen, die unter seinem scharlachroten Turban glänzten. Seine weite weiße Tunika flatterte über schwarzen Hosen und nackten Füßen im Wind. „Ich hätte dich schon vor Jahren über Bord werfen sollen. Dein Sinn für Humor lässt einiges zu wünschen übrig.“

Er hob eine Braue. „Deiner ebenfalls. Ist verschwunden, genau wie dein Mitgefühl.“

Der Vorwurf traf sie hart. „Komm schon, das ist ungerecht. Wir wissen nichts über ihn“, maulte sie. „Wir kennen weder seine Nationalität noch seinen Beruf, noch wissen wir irgendwas über seine Moral oder darüber, wem er die Treue hält …“

„Unwichtig.“

„Und auch nichts über seine Vergangenheit. Alles ziemlich wichtig für die paar, die noch mit uns an Bord sind.“ Sie fing den Blick auf, den der Bootsmann ihr vom unteren Deck aus zuwarf. Um Gottes willen, sie konnte nicht einmal ihren eigenen Leuten trauen. Trotzig reckte sie das Kinn und starrte Rafik so lange an, bis er sich abwandte.

Sie spürte die vertraute Anspannung in ihrem Körper, eine untrügliche Warnung dafür, dass es keine Fehlentscheidungen geben durfte. „Ich werde mich nicht dazu bringen lassen, mich schuldig zu fühlen, nur weil ich den Schaden zu begrenzen versuche“, fügte sie hinzu. Dennoch fühlte sie sich schuldig, und nicht nur wegen des Unglücksraben da unten im Wasser. Diese Reise war schon jetzt ein enormes Risiko. Sollte sich herausstellen, dass es ein Fehler gewesen war, aufzubrechen, würde Anne am meisten darunter zu leiden haben.

Sie fühlte, dass William sie ansah. „Es ist noch nicht zu spät, zurückzukehren“, sagte er leise.

„Hüte deine Zunge!“

Der Klang energischer Schritte kündigte Millicent an. Sie betrat das Oberdeck mit demselben finsteren Blick, den sie aufgesetzt hatte, nachdem sie erfahren hatte, dass sie nach England segelten. Mit ihrem schlanken Körper, in Hemd und Hosen und mit diesem seltsam geformten Hut konnte man sie für einen jungen Mann halten, wenn man nicht aufmerksam genug hinsah. „Philomena ist außer sich“, verkündete sie, „und India ist bereit, über Bord zu gehen! Der Besatzung gefällt das ganz und gar nicht.“ Mit dünnen Lippen wartete sie auf Katherines Reaktion.

„Wir segeln mit den Gezeiten los“, teilte Katherine ihr mit.

„Und überlassen ihn seinem Schicksal?“ Millicents Stimme klang ungläubig.

„Katherine Kidd“, scherzte William und trat von der Reling zurück, „ich werd mal nachsehen, was ich tun kann, um den Aufstand niederzuschlagen.“

Katherine warf einen Blick nach unten. Sie hoffte auf die Bestätigung, dass es zu spät war und sie nichts mehr tun konnten. Während sie zusah, überrollte eine Welle den Mann dort unten. Er bewegte eine Hand, griff nach etwas und blieb dann unbeweglich liegen. Zum Teufel, sie konnte doch nicht zusehen, wie er starb!

Sie reichte Millicent das Fernrohr. „Komm, sieh ihn dir an! Erkennst du irgendwelche Anzeichen einer Krankheit?“

Millicent, die älteste Tochter eines Landarztes und selbst eine hervorragende Wundärztin, setzte das Instrument an die Augen und schaute nach unten. „Auf seinem Gesicht kann ich keine Wunden erkennen“, sagte sie nach einer Weile. „Aber bei all den Bartstoppeln ist das schwer zu sagen. Keine Anzeichen von Gelbsucht. Auf seinen Händen ist die Haut nur von der Sonne verbrannt.“ Nach einer weiteren Weile gab sie Katherine das Fernrohr zurück. „Angenommen, er war frisch rasiert, als ihn das Unglück ereilte, treibt er seit mindestens drei Tagen auf dem Meer. Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass er noch am Leben wäre, hätte er eine Krankheit. Ich bin natürlich nicht sicher. Nicht, ohne ihn untersucht zu haben. Aber ich denke, er stellt ebenso wenig eine Gefahr dar wie alle anderen an Bord.“

Gefahr war das richtige Wort. Ihre Vernunft sagte zwar, ein einzelner Mann konnte nur eine geringe Bedrohung sein, doch die Erfahrung hatte sie schon ganz anderes gelehrt. Katherine musterte den Mann. Der Überlebende eines Schiffsunglücks? Dafür gab es keinen Beweis, und das Wetter war – bis auf einige hohe Wolken – recht gut gewesen. Ein Gefangener, der den Mauren entflohen war? Diese Möglichkeit ließ sofort ein gewisses Mitgefühl in ihr aufsteigen.

„Ich sage das nicht leicht dahin“, fügte Millicent steif hinzu. „Ich würde die Sicherheit der Besatzung nie gefährden – schon gar nicht Annes.“

„Daran zweifle ich nicht im Geringsten.“ Wieder bedeckte der Seegang die regungslose Gestalt auf dem Floß. Auf dem Hauptdeck hatten sich inzwischen so viele Leute versammelt, dass es ein Wunder war, dass das Schiff nicht nach Steuerbord krängte. Die junge, gefühlsduselige India stand mit William zusammen und gestikulierte wild. Philomena – die niemals wegsah, wenn sie einen Mann erblickte – schaute Katherine an, als wolle sie sagen: „Und, was nun?“

Katherines Magen zog sich so stark zusammen, dass sie glaubte, sie müsse sich übergeben. Der Tumult auf dem Hauptdeck brummte ihr in den Ohren, während die Zeit verstrich, die dem Mann dort unten womöglich das Leben retten konnte. Manche Fehler waren leicht vermeidbar. Wenn sie ihn an Bord bringen ließ und er sich als die Gefahr entpuppte, die sie fürchtete …

Andererseits, wenn sie ihn sterben ließe …

„Na gut.“ Die Worte platzten aus ihr heraus, ohne dass sie es wollte. Wahrscheinlich hatte ihr Magen sie ausgespuckt. „Zieht ihn hoch! Wenn es nur das geringste Zeichen einer Krankheit gibt, wenn es überhaupt …“ Doch Millicent hatte sich schon umgedreht und flog beinahe die Stufen herab, um Katherines Anweisung weiterzugeben.

Katherine Kidd, allerdings. Sie atmete tief ein und versuchte, die zitternden Hände ruhig zu halten. Ihr Magen fühlte sich schon besser an, doch das sollte er eigentlich nicht. Auch wenn der Mann gesund war, konnte er ihnen Schwierigkeiten bereiten.

In dem Fall würde er die Reise in Ketten verbringen.

Allein auf dem Oberdeck, hielt sie sich das Fernrohr ans Auge und richtete es vorsichtig nach unten. Ein eindrucksvolles Gesicht rückte in ihr Blickfeld, zum Greifen nah vor der Linse. Ihr Unterleib zog sich plötzlich zusammen. Die Haut des Mannes musste früher dunkel gewesen sein, doch nun ließ ihn die Blässe nahezu geisterhaft erscheinen. Eine starke, perfekt geformte Nase erhob sich aus einem kantigen Gesicht mit scharfen Wangenknochen. Nasse schwarze Wimpern lagen über dunklen Augenringen. Sein Kiefer hing schlaff herunter. Dunkle Bartstoppeln verbargen beinahe einen schmalen Oberlippenbart über den geschlossenen Lippen. Die nassen Haare – schwarz, wellig und mit einigen silbrigen Strähnen durchzogen – klebten ihm eng am Kopf.

Einen langen, hypnotischen Moment lang bestand die Welt nur aus ihm.

Dann hob sich das Schiff unter einer Welle und entzog ihn ihrem Blick. Sie atmete scharf ein und senkte das Glas. Es war bestimmt zu spät. Er lag regungslos auf den Brettern, die ihn trugen. Durchs Fernrohr hatte sie keine Bewegung mehr gesehen.

Rafiks kurze Rufe klangen von unten herauf, während die Besatzung die Netze auswarf und hinunterkraxelte. Katherine hielt den Atem an, als mehrere Männer der Besatzung den Mann von seinem Floß hochzuheben versuchten, doch nichts weiter bewirkten, als es beinahe zum Kentern zu bringen. Sie riefen nach einer Spiere, und bald hatte die Besatzung an Deck eine Schlinge gemacht und ließ sie herunter. Nach wenigen Minuten zogen sie die reglose, nasse Gestalt hoch.

Rasch ging Kat zum Achterdeck, dann zum Hauptdeck und erreichte es in dem Moment, als sie den Unbekannten an Bord hievten. Einige Besatzungsmitglieder versammelten sich um seine Retter. „Macht ihnen Platz!“, befahl sie, und die Zuschauer traten sofort zurück. „Lebt er noch?“

„Jedenfalls hat er vor einer halben Stunde noch gelebt“, sagte India frech und drückte sich an ihr vorbei, um die Schlinge zu entfernen. Der blonde Zopf hing ihr wie ein Tau über die Schulter, als sie geschickt die Knoten löste. Rafik schnitt Hemd und Hose des Mannes auf, während zwei Seeleute ihn mit frischem Süßwasser aus ihren Putzeimern begossen. Jetzt gab Millicent die Befehle. Sie scheuchte jeden weg, der nicht damit beschäftigt war, den Fremden abzuspülen.

„Phil ist losgegangen, um Tücher zu holen.“ William stellte sich neben Katherine.

Nach einigen Minuten rief Millicent über die Schulter hinweg: „Er lebt!“

Katherine atmete aus.

Der Mann lag nackt mit dem Gesicht nach unten auf dem Deck, während sie fortfuhren, ihn abzuduschen, bis Millicent sicher war, dass kein Salz mehr übrig war. Phil kehrte mit zwei Bahnen Leinen zurück und kniete sich an seine Seite.

Was für lange Beine. Muskulös. Katherine ließ den Blick über sein strammes Hinterteil und den breiten Rücken bis zu seinen Schultern wandern.

„Ein Bild von einem Mann“, schnurrte Phil und trocknete ihn vorsichtig ab.

India schnaubte und riss ihr eins der Handtücher aus der Hand. „Tantchen Phil, er ist fast ein Greis!“

Phil lachte über die Nichte. „In deinen Augen ist jeder Mann über fünfundzwanzig ein Greis.“

„So ist es.“ Die achtzehnjährige India lächelte spitzbübisch unter der Krempe ihres Dreispitzes hervor.

Millicent drehte den Mann herum, enthüllte ein kleines Büschel dunkler Brusthaare, einen muskulösen Bauch und …

Katherine sah weg, direkt in Williams lachende Augen.

„Ich wette, du schlägst dich dieses Mal auf Phils Seite“, sagte er.

„Er wird Kleidung brauchen“, sagte sie scharf. „Etwas von dir sollte genügen.“

William beugte sich vor und senkte die Stimme zu einem spottenden Flüstern: „Bist du sicher? Weil ich gerade den Eindruck hatte, er wäre dir ohne lieber.“

„Der Teufel soll dich holen! Du bist genauso schlimm wie Phil!“

„Das habe ich gehört“, rief diese. „Und ich nehme es dir außerordentlich übel.“

Doch mit einem hatte Phil absolut recht. Der Mann war alles andere als ein Greis. Was er durchgemacht haben musste, hatte ihn fast umgebracht, doch er wirkte stark, und er war groß. Eindrucksvoll. „Ich will nicht, dass er auf die Krankenstation kommt“, sagte sie leise zu William. „Das ist zu nah bei der Besatzung. Wir können Andrés Kabine ausräumen und ihn dort unterbringen. Aber in der Zwischenzeit …“, sie zögerte kurz, „… stecken wir ihn in meine Kabine.“

Wie erwartet schossen Williams Augenbrauen in die Höhe.

„Ein Wort, und du machst Bekanntschaft mit der Spitze meines Entermessers“, presste sie hervor. Doch die Drohung hatte keine Wirkung, wie Williams amüsierte Miene zeigte. „Sobald er untersucht worden ist, gehen alle wieder ihren Pflichten nach, oder ich werde sie züchtigen lassen.“

„Captain Neunschwänzige Katze.“

„Wenn die Lage es erfordert.“ Doch sie wussten beide, dass sie keines der Instrumente besaß, mit denen sich solcherlei Strafen vollziehen ließen. Wenn es um gutes Benehmen ging, so waren vernünftiges Essen, eine anständige Heuer und Lob entschieden wirkungsvoller. „Das Glück war ihm heute hold“, sagte sie ein wenig zu scharf. „Wir werden sehen, ob sich das ändert, wenn er wieder zu sich kommt.“ Sie blickte noch einmal auf den Unbekannten – noch jemand, für den sie nun verantwortlich war. Der Mann war attraktiv, zu attraktiv – mit nahezu aristokratischen Zügen und dem eckigen Kinn eines Sturkopfs.

„Wir könnten ein weiteres Besatzungsmitglied brauchen“, meinte Phil.

„Nur allzu wahr“, stimmte William ihr zu. „Doch bisher wissen wir nicht, ob er seinen Schwanz von einem Bugspriet unterscheiden kann.“

In diesem Moment öffnete der Mann die Augen und sah geradewegs Katherine an. Sein bohrender Blick war so grün wie eine Welle im Mittelmeer, durch die Sonnenstrahlen hindurchschimmerten. Etwas Heißes und Flüssiges und Unerwartetes brandete durch ihren Körper, und ein Schauder lief über ihren Rücken.

Er kannte den Unterschied. Darauf würde sie wetten.

3. KAPITEL

James wälzte sich unruhig unter dem kühlen Leinen.

Er ertrank, wurde unter das schwarze Wasser gezerrt, von einer kalten Taubheit eingesogen. Holz splitterte. Krachte. Ein Balken schoss aus dem Wasser, James machte einen verzweifelten Sprung, suchte Halt.

Das Holz verwandelte sich unter seinen Händen zu Fleisch. Aus Kälte wurde Hitze, aus dem Wasser wurde eine Frau. Die Wellen kräuselten und glätteten sich, brachen und wurden zu einer schwarzbraunen Haarmähne, die sich in seinen Händen wie Seide anfühlte. Sie schlang ihren Körper um den seinen, verschlang ihn. Er keuchte und schmeckte die unbändige See auf ihrer Haut.

Von irgendwo weit weg drang eine sinnlich klingende Stimme in seine Träume.

„… und hast du versucht, mit ihm zu schlafen, während er bewusstlos ist? Natürlich nicht.“

„Du hast mich schwer beleidigt, Katherine. Ich habe keine Lust mehr auf Affären. Langweilig. Außerdem könnte er weiß Gott wer sein.“

Die Stimmen drohten ihn mit sich zu reißen. Er bemühte sich, die Frau in seinem Traum am Leben zu erhalten. Doch sie begann zu verschwinden, entschlüpfte ihm.

Die Stimmen drangen nun lauter zu ihm durch. „Im Moment ist er unser Gefangener, Philomena.“

„Ehrlich gesagt, rechtfertigt er einen solchen Status kaum.“

Eine Tür wurde geschlossen. Schritte auf Holz. Er erwachte, als kämpfe er noch immer gegen die brodelnde See.

„Ebenso wenig rechtfertigt er einen anderen. Hilf mir, ihm das Hemd anzuziehen, bevor er aufwacht.“

Er schlug die Augen auf und sah eine himmelblaue, mit goldenen Schnörkeln verzierte Decke. Seidig glänzendes walnussbraunes Haar quoll unter einem ockerfarbenen Tuch mit schimmernden Fäden darin hervor, das sie sich als provisorischen Turban um den Kopf gewickelt hatte, und fiel ihr hinab bis zu den Hüften. Hohe Wangenknochen. Eine gerade, schön geformte Nase. Das Profil einer Statue, vom Licht, das aus einer kleinen Reihe Fenster fiel, perfekt ausgeleuchtet. Die Fenster – das erkannte er jetzt – gehörten zu einem Schiff.

Er war an Bord eines Schiffes. In der Kabine des Captains.

„Katherine, sieh!“

Sie wandte ihm das Gesicht zu. Sein Blick traf topasblaue Augen. Sein Puls ging schneller, er versuchte, nachzudenken. Sich zu erinnern. Er versuchte, sich über die Lippen zu lecken, doch sein Mund war staubtrocken.

Jemand anders schob sich in sein Blickfeld, eine andere Schönheit mit braunen Locken und großen blauen Augen. Er spürte eine Hand unter dem Kopf, die ihn etwas hochhob, und ein Glas, das gegen seine Lippen gedrückt wurde. Kaltes Wasser ergoss sich auf seine Zunge, und er bemühte sich, zu schlucken, doch die vermaledeite Frau zog das Glas weg.

„Nicht so schnell“, gurrte sie, und das Glas kehrte zurück. „Vorsichtig jetzt. Nur ein wenig.“

Er schluckte und schluckte noch einmal, bevor sie das Glas wegzog.

„Mehr.“ Seine Stimme krächzte. Das Schiff rollte und knarrte, wälzte sich in den Wellen. Und plötzlich erinnerte er sich. Ein Sturm. Ein Wrack. Tagelang auf den Meereswellen treibend.

Eine rote Flagge mit einem gelben Arm.

„Sie sprechen Englisch“, stellte die Betörendere der beiden fest. Er sah, dass sie den Mund bewegte, konnte fast die üppigen Lippen schmecken, als sei sie die Frau aus seinem Traum.

„Aye.“ Er wendete den Blick ab, um ihn dann doch zu ihren Brüsten schweifen zu lassen, die mit maurischen Stoffen in leuchtenden Farben bedeckt waren. Eine blaue, mit silbernen Fäden durchwirkte Jacke reichte bis zu den Hüften, darunter trug sie ein Hemd und fließende Hosen in einem helleren Blau. In einer roten Schärpe, die um ihre Taille geschlungen war, schimmerte ein Entermesser.

Das Bild ihres Körpers brannte in seiner Fantasie, als sei sie nackt.

„Sind Sie ein Mann der Krone?“, wollte sie wissen.

„Aye.“ Unter den Leintüchern hielt der Trottel zwischen seinen Beinen stur an seinem Traum fest. Er war nackt. Und angekettet, wie er bemerkte, als er nach dem Glas greifen wollte. Schwere Kettenglieder klirrten gegen das Bett, eiserne Fesseln hielten seine Gelenke an Ort und Stelle. „Ist das notwendig?“, fragte er mit rauer Stimme.

„Ich möchte wissen, wer Sie sind“, gab sie zurück. „Ihren Namen. Woher Sie kommen. Waren Sie an Bord eines Schiffes?“

„Lass ihn erst trinken“, riet die andere und bot ihm noch einmal das Glas an. Sie betrachtete ihn neugierig, als er einen Schluck nahm. „Später gibt es Brühe, und wenn Sie so weit sind, etwas Brot zum Eintunken.“

Die Neuigkeit ließ seinen Magen knurren. Wenn die Aussicht auf eine so einfache Mahlzeit ihn hungrig machte, dann musste er sehr lange auf See getrieben sein. Schon die Hoffnung auf Essen bändigte das Verlangen, das ihn immer noch im Griff hatte.

Sein Name. Seine Herkunft. Natürlich. Sein Gehirn brannte, als bewege es sich durch zähen Matsch, während er nach einer falschen Identität suchte. „Thomas Barclay.“ Die Lüge glitt ihm rau von der Zunge. „Ich war an Bord des Kriegsschiffes Henry’s Cross. Es ging unter …“ Er schluckte. Sein Mund war schon wieder trocken. „Nordwestlich von Gibraltar. Bei Cadiz.“ Letzteres war immerhin wahr.

„Wann?“

„Am zehnten April.“

„Vor vier Tagen“, sagte sie zu ihrer Begleiterin. „Die Strömung muss ihn durch die Meerenge gezogen haben.“

„Wo sind wir?“, brachte er heraus.

„Wir ankern östlich von Gibraltar und warten darauf, dass die Bedingungen eine Durchfahrt durch die Meerenge zulassen. Sie sind an Bord der Brigg Possession, und ich bin …“

„Die Korsarin Katherine.“ Die Ironie der Situation bahnte sich ihren Weg durch den Nebel in seinem Kopf. Drei Jahre lang ständige nervenaufreibende Befehle, um dem ein Ende zu machen, was die Admiralität „ihre fragwürdigen Aktivitäten auf See“ nannte, und nun landete er ausgerechnet hier. Er musste sie nur noch darüber informieren, dass ihr Schiff jetzt der Krone gehörte, und den Sieg feiern.

Sie kniff die topasblauen Augen zusammen und setzte die Andeutung eines Lächelns auf. „Sie dürfen mich Captain Kinloch nennen“, sagte sie mit einer verführerischen, schmeichelnden Stimme.

Ihn packte erneut das Verlangen.

Diese Begierde war nicht hinnehmbar. Er musste die Kontrolle über seinen Körper zurückerlangen, doch er war so schwach, dass er nicht einmal den Kopf selbst heben konnte. Jedenfalls nicht den, der genau wusste, dass mit Korsarin Katherine, seit dem Tode ihres Vaters vor sechs Monaten auch Gräfin des schottischen Adelssitzes Dunscore, nicht zu scherzen war.

Die Dame neben ihr lachte. „Sehr eindrucksvoll, sich einen solch schlechten Ruf erworben zu haben, Katherine. Ich finde, du solltest den Gebrauch dieser Bezeichnung bestrafen.“ Die schöne Begleiterin war gewiss die skandalumwitterte junge Witwe Philomena, Gräfin von Pennington. Und irgendwo an Bord befand sich die Nichte der Gräfin, Lady India, die Tochter des Earls of Cantwell. Die Geschichte ihrer Rettung war legendär: während einer unglücklichen Reise nach Ägypten von maurischen Korsaren gefangen genommen und unmittelbar darauf befreit, nachdem die Possession das räuberische Schiff erobert hatte.

Captain Kinloch kreuzte die Arme vor der Brust und betrachtete ihn abwägend. „Die Henry’s Cross“, sagte sie nachdenklich. „Unter dem Kommando von Captain James Warre?“

Dass sie seinen Namen aussprach, überraschte ihn. „Aye.“

Ihre Lippen kräuselten sich. „Dann haben Sie es wahrhaftig mit außerordentlichen Umständen zu tun gehabt. Was war Ihr Rang?“

Außerordentlichen Umständen? „Fähnrich.“

„Fähnrich? Dafür sind Sie zu alt.“

Zur Hölle! Der wirkliche Thomas Barclay war natürlich im richtigen Alter gewesen. „Ich wurde … degradiert. Probleme mit dem Captain.“ Es kostete ihn seine ganze Kraft, ihrem Blick standzuhalten.

„Mit Captain Warre? Was für Probleme?“, wollte sie wissen.

„Alle möglichen.“ Der Teufel sollte sie holen, er konnte kaum denken.

„Ich will Einzelheiten wissen.“

Verdammtes Weib! „Es war … ein Missverständnis“, krächzte er.

Im Handumdrehen hatte sie ihr Entermesser gezogen und hielt es ihm an den Hals, während sie sich über ihn beugte. „Welche Sorte Missverständnis?“ Die topasblauen Augen funkelten, und ihre Haarspitzen berührten seine Brust.

Sein Körper reagierte, als habe sie seine Hüften gestreichelt.

„Katherine“, sagte Lady Pennington warnend.

„Befehlsverweigerung“, brachte James zwischen zusammengepressten Zähnen heraus. Er kannte Männer, die für diese Art Behandlung Geld zahlten, doch – verdammt! – er war nicht diese Sorte Mann. „Ich bin dafür bekannt, Schwierigkeiten mit Autoritäten zu haben.“ Ein weiteres Körnchen Wahrheit.

„Und Captain Warre hat Sie dennoch an seiner Seite dienen lassen? Der gute Captain muss Sie sehr gemocht haben.“ Der Druck der Klinge verstärkte sich ein wenig. „Hören Sie mir gut zu, Mr Barclay. Wenn Sie lebend am Ziel unserer Reise ankommen möchten, werden Sie gehorchen.“

„Sie würden einen Engländer nicht umbringen“, sagte er leise. Gott, er brauchte mehr Wasser.

Ihre Lippen verzogen sich zu einem drohenden und doch verführerischen Lächeln. „Einen Engländer, der allem Anschein nach auf See verschollen ist.“

Mit Blicken fochten sie einen stillen Kampf aus. Doch ihre Klinge lag kalt auf seinem Hals, und ihre Ketten fesselten seine Hände. „Ich versichere Sie meines allergrößten Respekts“, sagte er und zwang sich zu einem halben Lächeln. „Captain.“

Wenn Thomas Barclays allergrößter Respekt ein ständiges Strammstehen seines männlichen Organs bedeutete, würde ihm die Reise vermutlich äußerst lang vorkommen. „Das ist nicht akzeptabel“, schnaubte Katherine, stürmte in die große Kabine und ahnte schon, was Philomena sagen würde.

„Ich würde meinen, die Situation gefällt ihm.“ Phils Stimme klang amüsiert. „Ich nehme nicht an, dass dir aufgefallen ist …“

„Es ist mir aufgefallen!“

„Was genau ist dir aufgefallen?“ William schaute von den Karten auf, die vor ihm auf dem Tisch ausgebreitet waren. Anne saß im Licht eines Sonnenstrahls auf dem Boden und wedelte mit einem Stück Schnur herum, nach dem Mr Bogles schnappen sollte.

„Nicht so wichtig“, beeilte sich Katherine zu sagen. „Es war nichts.“ Der Druck, den sie vorhin im Unterleib gespürt hatte, war inzwischen in ihren Kopf gewandert. Sie brauchte einen Schluck Wein! Diese verfluchten Morgenstunden! Mürrisch ging sie hinüber zum Schrank und goss sich einen kleinen Schuss ein. Er war dem Tode nicht so nahe gewesen, wie sie geglaubt hatten.

Sie hob das Glas an die Lippen und schmeckte eine Mischung aus Schuld und Zorn. Zwar hatte sie sich geirrt, was seine körperliche Verfassung anging, aber nicht hinsichtlich seines Temperamentes.

Phil setzte sich auf einen der gedrungenen Stühle am Tisch. „Oh, ich würde es nicht ‚nichts‘ nennen. Es reicht, zu sagen, dass unser Gast sehr … erfreut zu sein schien, Katherine zu begegnen.“

William zog amüsiert die Brauen hoch. „Oh.“

Das war also der Lohn für ihr Mitgefühl, dachte Katherine. Barclay war ebenso wenig ein Fähnrich auf der Henry’s Cross gewesen wie sie ein Schiffsjunge auf der Possession war. Sehr viel wahrscheinlicher ein Offizier, ein ranghoher dazu. Die Lüge stand ihm ins Gesicht geschrieben. In einer besseren körperlichen Verfassung wäre es ihm sicher gelungen, die Wahrheit vor ihr zu verbergen.

Sein allergrößter Respekt! Sogar mit der Klinge am Hals hatte er sie herausfordernd angesehen.

„Hat er sich erholt, Mama?“, fragte Anne.

„Noch nicht ganz, Liebes“, erwiderte Katherine. „Er ist immer noch sehr schwach. Er hat lange weder gegessen noch getrunken.“ Er schien schwach, und dennoch strahlte jede Faser seines Wesens Autorität aus, ihr Blut summte immer noch davon. So ein Mann tat sich allerdings mit Vorgesetzten schwer. Selbst ein so skrupelloser Captain wie James Warre musste um seine Autorität gefürchtet haben.

Und das war der Grund, warum sie Thomas Barclay besser dem Meer hätte überlassen sollen.

Sorgenfalten furchten Annes runde Stirn. „Darf ich hingehen und seine Hand halten?“ Das Garnknäuel fiel ihr aus der Hand und rollte davon, als das Schiff schwankte.

Katherine setzte rasch ihr Glas ab, um es zu holen. Dieses Mal ignorierte sie, dass sie Anne in solchen Fällen besser nicht helfen sollte.

„Mein kleiner Mitleidsengel“, sagte sie und drückte das Knäuel in Annes kleine Hände, während das Kind, das seit einem Fieberanfall vor drei Jahren blind war, die Augen auf eine Stelle in der Nähe von Katherines Schulter richtete. „Jetzt noch nicht. Wir wissen zu wenig von ihm.“ Niemals würde sie das zulassen. Wahrlich, sie wussten genug. Sie würde es Anne nie im Leben erlauben, sich in einem Raum mit diesem Monster aufzuhalten. Katherines Schläfen schmerzten, als sie Annes Haar aus dem kleinen Gesicht strich.

„Aber er leidet, Mama.“

Leiden war vielleicht das falsche Wort. „Es geht ihm jetzt schon viel besser. Du musst dir keine Sorgen machen.“ Anne würde nicht den Preis für Katherines Fehleinschätzung zahlen, nicht noch einmal. „Sei ein gutes Mädchen und bring Mr Bogles für eine Weile in Williams Kabine. Du kannst ihm ein Lied auf deinem Glockenspiel vorspielen. Bist du hungrig? Ich kann den Koch mit etwas kesra zu dir schicken.“ Anne liebte das warme, weiche Fladenbrot.

„Ja, bitte, Mama.“ Anne stand mit dem Garnknäuel in der Hand auf und suchte sich auf die oft geübte Weise ihren Weg aus der Kabine: indem sie erst an den einen, dann an den anderen Stuhl griff, den Tisch an der Seite und schließlich den Türpfosten berührte, während Mr Bogles ihr in den Gang folgte. Katherine widerstand dem Drang, ihrer Tochter zu helfen. Der Druck auf ihren Schläfen verstärkte sich.

Hol’s der Teufel, für Kopfschmerzen war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt! Sie musste sich überlegen, was sie mit dem aufsässigen Kerl in ihrem Bett tun sollte.

„Muss ich ihn erstechen?“, fragte William, als Anne gegangen war.

Phil lachte. „Katherine hätte das beinahe schon selbst erledigt. Ich habe befürchtet, sie schneidet ihm die Kehle durch.“

„Er muss lernen, seine Vorgesetzten zu achten“, sagte Katherine und ging zum Kartentisch, um selbst einen Blick darauf zu werfen, „oder er wird sehen, was er davon hat.“

„Nun, du hattest immerhin Achtung vor einem Teil von ihm.“

„Aha.“ William lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Ein Mann hat diese Dinge nicht immer unter Kontrolle, weißt du? Armer Kerl! Angesicht zu Angesicht mit den beiden schönsten und mächtigsten Frauen auf dem Meer … Er konnte gar nicht anders, als sich zu blamieren. Hast du etwas herausgefunden?“

Thomas Barclay würde diese Reise auf keinen Fall gefährden. Vorher würde sie ihn umbringen. „Er hat den Untergang der Henry’s Cross vor Cadiz überlebt“, sagte Katherine. „Ein Fähnrich, von Captain Warre wegen Befehlsverweigerung degradiert. Jedenfalls hat er das gesagt. Scheint so, als habe dein Freund ihn glimpflich davonkommen lassen.“

„Auf dem benachbarten Grundbesitz aufzuwachsen macht aus James Warre noch lange keinen Freund. Die Henry’s Cross ist gesunken? Gott, unvorstellbar!“

„Wie es aussieht, haben Warres Kanonen gegen die Natur weniger ausrichten können als gegen Holz und Segel.“ Sie erinnerte sich: Als die Korsaren vor zehn Jahren die Merry Sea kaperten und Katherine gefangen nahmen, hatte sie geglaubt, Captain Warre würde sie befreien. Doch der hatte sich nicht die Bohne dafür interessiert, jemanden zu retten. Seine Kanonen hatten die Merry Sea und eine der Schebecken der Korsaren versenkt, während die andere Schebecke mit Katherine – gefesselt und geknebelt im Laderaum – entkommen war. Zweifelsohne hätte er auch dieses Schiff versenkt, hätte er gekonnt. „Wie schade, dass nicht der gute Captain selbst gegen unser Schiff geschwemmt wurde“, fügte sie hinzu. „Ich hätte es ausgesprochen reizvoll gefunden, ihm endlich zu begegnen.“

„Ha!“ Phil beugte sich vor. „Sehr wahrscheinlich hättest du ihm die Kehle durchgeschnitten, und was wäre dann nach deiner Rückkehr passiert? Du würdest mit einem Seil um den Hals irgendwo baumeln.“

Nach ihrer Rückkehr würde sie gewiss irgendwo baumeln – und zwar an Nicholas Warres Gesetz der Schmerzen und Strafmaßnahmen. Das Oberhaus konnte ihr Dunscore entziehen, bevor sie auch nur einen Fuß in das alte Gemäuer setzen konnte. Cousin Holliswell würde mit Vergnügen den Titel übernehmen, und sie hätte ein weiteres Mal gegenüber Anne versagt.

Nein, das würde nicht geschehen. Nicht, wenn Katherine in dieser Angelegenheit ein Wörtchen mitzureden hatte.

„Der arme Kerl muss Höllenqualen erlitten haben.“ William stand auf. „Ich gehe mal rüber und rede mit ihm. Wahrscheinlich fragt er sich inzwischen, ob er vielleicht der einzige Mann an Bord ist.“

„Versichere ihm, dass wir ab jetzt für sein Wohlergehen sorgen werden“, warf Phil ein.

William lachte. „Ich warte immer noch darauf, dass du dich um mein Wohlergehen sorgst, Philomena.“

„Wenn der Moment gekommen ist, an dem ich so verzweifelt bin, dass ich es nicht länger ertrage, werde ich es dich wissen lassen.“

Zwischen den beiden war nichts, doch William fand Vergnügen daran, so zu tun, als sei es anders.

„Ich möchte nicht, dass du dich mit dem Gefangenen anfreundest“, rief ihm Katherine nach.

„Natürlich nicht.“ Er grinste sie von der Türschwelle aus an. „Ich will nur seine Fesseln enger schnallen, um den Blutkreislauf herabzusetzen und so. Das könnte das Problem für die nächste Zeit lösen.“

Für die nächste Zeit. Um Gottes willen! „Mein Bett, ein Himmel für Perverse“, murmelte sie und rief William nach: „Sieh zu, was du tun kannst!“

„Fesseln sind nicht wirklich pervers“, meinte Phil, nachdem William gegangen war. „Wenn du nicht willst, dass er an dein Bett gefesselt ist, gestatte ich mit Vergnügen, dass du ihn an meins ketten kannst. Selbst in seinem bedauernswürdigen Zustand hat er mehr Männlichkeit in seinem kleinen Finger als die meisten Männer in ihrem …“

„Es reicht! Sobald wir die Meerenge passiert haben, wird er an niemandes Bett gekettet sein.“

In diesem Moment stürmte India in die Kabine. „Millicent sagt, sie hofft, wir werden in der Meerenge von Piraten aufgebracht.“

„Millicent hat sie nicht mehr alle“, Phil schnaufte. „Glaubt sie etwa, die würden sie nach Malta zurückbringen?“

„Sie ist nur wütend.“ India ließ sich am Tisch nieder. Der dunkle Mantel, den sie so sehr mochte, klaffte an den Hüften auseinander und offenbarte eine schimmernde Pistole, ihren liebsten Besitz.

„Eines Tages wird sie Katherine dankbar sein“, sagte Phil.

Katherine bezweifelte das; nicht, nachdem sie sich eines Tricks bedient hatte, um Millicent dazu zu bringen, mit ihnen nach England zurückzukehren. Millicent hatte gerade ihren Plan in die Tat umgesetzt, in der Maltesischen Schule für Anatomie und Chirurgie aufgenommen zu werden, indem sie sich als junger Mann ausgab. Sehr wahrscheinlich wäre die Wahrheit ans Licht gekommen. Sie wäre aus der Schule geworfen worden und hätte sich auf Malta allein durchschlagen müssen. Katherine wollte dafür nicht verantwortlich sein.

„Wir lichten heute Nacht die Anker“, meinte Katherine.

Auf Indias Gesicht erschien ein Lächeln. „Stell dir bloß vor, wie berüchtigt wir in London sein werden.“

„Stell dir bloß vor, wie ruiniert dein Ruf sein wird“, erwiderte Katherine. Der Gedanke an ihre Rückkehr nach England ließ jeden Nerv in ihrem Körper rebellisch werden. Die Gesellschaft würde weder sie noch Anne aufnehmen. Alle Gründe, weswegen sie ihre Heimat nach der Flucht aus Algier gemieden hatte, existierten weiterhin. Alle, außer einem.

Wenn du erst einmal Gräfin von Dunscore bist, Katie …

Innerlich schlug sie die Tür hinter den alten, vertrauten Worten ihres Vaters zu. Dunscore bedeutete ihr nichts – abgesehen von der finanziellen Sicherheit, die es Anne bot.

India schüttelte hochmütig den Kopf und schaffte es irgendwie, trotz des albernen Dreispitzes majestätisch auszusehen. „Ich bin die Tochter eines Earls, immer in Begleitung gereist und immer noch Jungfrau“, sagte sie. „Ich bin nicht ruiniert, nur weit herumgekommen.“

Katherine sah Phil an. Das Leben an Bord der Possession würde kaum als Reise betrachtet werden.

„Wie geht es dem Schiffbrüchigen?“, wollte India wissen.

„Keine Jungfrau mehr, würde ich sagen“, antwortete Phil anzüglich.

„Igitt!“ India verzog das Gesicht und hielt sich die Ohren zu. „Tantchen Phil, du bist unmöglich! Ich wette, er ist mindestens fünfzig!“

„Bestimmt nicht.“ Phils blaue Augen blitzten wie die See an einem klaren Tag. „Was meinst du, Katherine? Fünfzig?“

„Dieses Urteil überlasse ich dir. Du bist die Expertin.“ Eher fünfunddreißig oder vierzig, würde sie sagen. Das schien auch Phil anzunehmen, ihrem Lächeln nach zu urteilen. Von allen Gefahren, über die sie nachgedacht hatte, war diese hier am leichtesten zu umschiffen. Sobald sich Mr Barclay erholt hatte, würde sie ihn entweder wegsperren lassen oder unter den Befehl des Bootsmannes stellen.

So oder so würden Mr Barclay und seine Männlichkeit bald verschwunden sein. Aus den Augen, aus dem Sinn.

4. KAPITEL

Mannomann, James.“ Das Geräusch der Tür und der vertrauten Stimme weckten James aus seinem leichten Schlaf. „Klingt, als könntest du es vertragen, noch einmal untergetaucht zu werden, am besten in arktischen Gewässern. Du hast die Damen in helle Aufregung versetzt.“

Ein blonder, blauäugiger Korsar grinste auf ihn hinab. James betrachtete den Turban, die goldenen Ohrringe und die gebauschten Hosen. „Grundgütiger, Jaxbury?“ Er war erleichtert. „Ich hab dich nicht mehr gesehen, seit …“ Sein Gehirn arbeitete fieberhaft, um sich zu erinnern. „Herrje, seit damals in Marseille.“ Und davor nicht mehr seit ihrer Kindheit.

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