Wilderwald (4). Die Macht des magischen Versprechens - Cressida Cowell - E-Book

Wilderwald (4). Die Macht des magischen Versprechens E-Book

Cressida Cowell

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Beschreibung

Der fulminante Abschluss der "Wilderwald"-Reihe - für alle Fans von Cressida Cowell und "Drachenzähmen leicht gemacht" Kriegermädchen Willa, Zaubererjunge Xar und ihre Gefährten sind bereit für den alles entscheidenden Kampf gegen die Hexen. Doch der grausame Königshexer hält ihren Freund, den kleinen Haar-Fee Flatterkopf, als Geisel. Und auch das böse Hexenmal auf Xars Arm wird immer stärker und droht, vollständig Besitz von ihm zu ergreifen. Von der gefährlichen Eisenerzmine der Krieger über den zugefrorenen See der Verlorenen wagen sich Willa und Xar ins Territorium des Königshexers vor. Das Schicksal des Wilderwalds liegt in ihren Händen. Zum Glück können sie sich auf ihre Freunde, den Riesen Quetscher, die Zauberin Perdita und den Raben Kaliburn verlassen. Aber um den Wilderwald zu retten, müssen sie auch ihre verfeindeten Stämme dazu bringen, Seite an Seite gegen die Hexen zu kämpfen. Das epische Finale der "Wilderwald"-Reihe aus der Feder von Cressida Cowell, der internationalen Bestsellerautorin von "Drachenzähmen leicht gemacht". Umwerfend komisch, hochspannend und voller Magie. Für alle Fans packender Fantasyabenteuer ab 10 Jahren. Im Arena Verlag bisher erschienen: Wilderwald (1). Die Rückkehr der dunklen Magie Wilderwald (2). Die Rache des Königshexers Wilderwald (3). Im Auge des Inselmonsters

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Seitenzahl: 289

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Cressida Cowell

verbrachte ihre Kindheit in London sowie auf einerInsel an der schottischen Westküste. Ihre Kinderbuchreihe»Drachenzähmen leicht gemacht« wurde schnell zu eineminternationalen Bestseller und erzielte als Kinofilm undFernsehserie von DreamWorks Animation große Erfolge. Sielebt mit ihrem Mann, drei Kindern und einem Hundim englischen Hammersmith.

Clara Vath

liebte es schon als Kind, bunten und verrückten Fantasieweseneine Gestalt zu geben. Dass ihr dabei auch das ein oder anderemagische Wesen begegnet ist, kam ihr bei der Arbeit an»Wilderwald« sehr gelegen. Seit 2012 arbeitet sie als freieIllustratorin für verschiedene Unternehmen.

Dieses Buch widme ich ANNE,seit sieben Jahren meine wunderbare Lektorin.Was für eine Reise …

Ein Verlag in der Westermann Gruppe

Die Originalausgabe erschien 2020 unter dem Titel »The Wizards of Once.Never and Forever« bei Hodder Children’s Books, London.© 2020 by Cressida Cowell

1. Auflage 2022

© für die deutschsprachige Ausgabe: 2022 Arena Verlag GmbH

Rottendorfer Straße 16, 97074 Würzburg

Alle Rechte vorbehalten

Aus dem Englischen von Karlheinz Dürr

Umschlag- und Innenillustrationen: Clara Vath

E-Book ISBN 978-3-401-80996-0

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DIESE GESCHICHTE HAT ZWEI HELDEN …

Das Mädchen heißt Willa und ist eine Kriegerin.Aber sie besitzt eine seltene und mächtige Zauberkraft:die Magie-die-mit-Eisen-wirkt.

Der Junge heißt Xar und ist ein Zauberer.Aber er hat einen Hexenfleck auf der Hand, der sichvielleicht nie mehr entfernen lässt.

DIE HEXEN WAREN KURZ DAVOR ZU GEWINNEN …

Ein Fluch hatte sich über den Wilderwald gelegt.

Die Hexen beherrschten nun fast den ganzen Wald. Aber die Hexen waren erfüllt von böser Magie, so böse waren sie, dass sie Lerchen die Flügel ausrissen, nur zum Spaß töteten und die Welt mit allem, was auf ihr lebte, vernichten konnten.

Begonnen hatte das alles vor sehr langer Zeit.

Die Zauberer lebten schon länger als Menschengedenken in diesem dunklen Wald. Und sie hätten auch noch lange in Frieden mit all den anderen magischen Geschöpfen des Waldes leben können, wenn …

… wenn die Krieger nicht gekommen wären.

Sie segelten über die Meere und fielen in das Land ein. Sie besaßen zwar nicht einen einzigen Funken Zauberkraft, aber sie brachten eine neue Waffe mit, die sie EISEN nannten … und Eisen war das einzige Element, gegen das selbst die stärkste Magie nichts ausrichten konnte.

Von diesem Zeitpunkt an herrschte im Wilderwald Krieg. Zauberer und Krieger bekämpften sich erbittert und unversöhnlich auf Leben und Tod.

Aber eines Tages …

… eines Tages verliebte sich eine junge Kriegerprinzessin namens SYCHORAX in einen jungen Zaubererkönig, der ENCANZO hieß. Allerdings durften sich Krieger und Zauberer NIEMALS ineinander verlieben und deshalb legte sich ein Fluch über den Wilderwald.

Sychorax trank den Zaubertrank der Entsagten Liebe, damit ihre Liebe erstarb. Und tatsächlich erkaltete sie vollständig. Wenig später heiratete Sychorax einen Krieger, wie es sich für eine Kriegerprinzessin schickte.

Und Encanzo heiratete eine Zauberin, wie man das von einem großen Zauberer erwartete.

Damit hätte der Fluch eigentlich abgewendet werden sollen.

Aber …

Vor dreizehn Jahren gebar Sychorax eine Tochter, die sie auf den Namen WILLA taufte.

Doch Willa hatte ein furchtbares Geheimnis: Denn ein Kuss der Wahren Liebe vergeht nie mehr völlig, deshalb war die Zauberkraft des Zauberers Encanzo durch den Kuss auf Königin Sychorax’ Tochter Willa übergegangen. Und so besaß Willa als erster Mensch in der Weltgeschichte eine ganz besondere Zauberkraft: die Magie-die-mit-Eisen-wirkt.

Aber auch Encanzo und seine Frau bekamen vor dreizehn Jahren einen Sohn, den sie XAR nannten.

Auch Xar hatte ein furchtbares Geheimnis. Er hatte einer Hexe ein wenig Magie gestohlen. Aber dadurch war ein Hexenfleck auf seiner Hand entstanden, der nun immer mehr und immer stärker von Xar Besitz ergriff.

Und so kam es, dass sich der Fluch nun über den gesamten Wilderwald ausbreiten konnte.

Unglücklicherweise hatte Willa mit ihrer außergewöhnlichen und gefährlichen Magie den Königshexer versehentlich aus dem Stein der Entzauberung befreit, in dem er seit Jahrhunderten gefangen gewesen war. Obwohl es ihr gelang, ihn erneut einzusperren, dieses Mal in einem Knäuel aus Eisen, verbündete sich der Königshexer mit den Druiden, den unerbittlichen, grausamen Zauberern, die den Süden des Wilderwalds beherrschten.

Und er hatte einen Gefangenen: Xars lieben kleinen Haar-Fee Flatterkopf, der wohl sterben musste, wenn es Willa und Xar nicht gelang, ihn rechtzeitig zu befreien.

Es blieb ihnen nur eine einzige Hoffnung.

Xar und Willa hatten gemeinsam mit Willas Hilfsleibwächter Griffel die Zutaten gesammelt, die sie für einen Zauberspruch brauchten, mit dem man die Hexen für alle Zeiten verbannen konnte. Aber würde ihnen das wirklich gelingen?

Nur ich kann den Königshexer sehen und seine schlimmen Gedanken hören, während er in der Eisenkugel gefangen ist, die in der Druidenfestung mitten im See der Verlorenen liegt – und was er in Gedanken ausbrütet, ist nicht gut für unsere drei Helden.

Hörst du mich, O Junge-der-fast-mir-gehört, raunen die finsteren, bösartigen Gedanken im Kopf des Königshexers. Bringe mir das Mädchen-mit-der-Magie-die-mit-Eisen-wirkt. Denn erst, wenn ich ihre gesamte Magie besitze, werde ich endlich unbesiegbar sein.

Der Königshexer weiß, dass es einen Zauberspruch gibt, mit dem die Hexen für alle Zeiten verbannt werden können, aber er fürchtet sich nicht davor und auch das ist kein gutes Zeichen.

Denn er will, dass die Kinder zum See der Verlorenen kommen. Er will, dass sie ihn finden.

Aber wenn nun der Zauberspruch gar kein richtiger Zauberspruch wäre? Dann wäre es doch viel besser, wenn unsere drei Helden so weit wie möglich vom Königshexer entfernt blieben, denn wenn der Königshexer erst einmal in den Besitz der Magie-die-mit-Eisen-wirkt gelangt, wird er damit die dunkelsten Kräfte entfesseln, um den gesamten Wilderwald zu vernichten.

Andererseits kann ich auch den Gedanken an Flatterkopf nicht aus meinem Geist vertreiben, sosehr ich es versuche.

Wie der kleine Haar-Fee hilflos auf der kalten Erde kauert und seine Hände nicht von der grausigen Eisenkugel lösen darf, in der der Königshexer gefangen ist. Wie elend ihm zumute ist. Wie er zitternd vor Angst und Entsetzen in dieser erbarmungslosen Dunkelheit immer wieder vor sich hin flüstert:

»Xar … bitte rette mich … Meister, ich brauche dich, meine Zeit wird knapp, bitte rette mich, Xar …«

Xar, Willa und Griffel müssen den armen, unschuldigen Flatterkopf retten, weil ihn niemand sonst retten wird.

Ich weiß wirklich nicht, was sie tun sollen.

Können Willa und Xar und Griffel den kleinen Flatterkopf retten? Und können sie auch Xar retten? Können sie den Fluch aufheben, der sich über den Wilderwald gelegt hat? Und so leid es mir tut, die Frage stellen zu müssen: Welche Opfer müssen sie erbringen und welche Strafen müssen sie in Kauf nehmen, um einen derart starken Fluch aufheben zu können?

Denn eins steht fest: Sie werden einen hohen Preis zahlen müssen, um die Welt von den Hexen zu befreien.

Oder würden am Ende die Hexen FÜR ALLE ZEITEN die Welt beherrschen?

Endlich wirst du herausfinden,

WER ICH BIN.

Ich bin eine Figur dieser Geschichte,die alles sieht und alles weiß.Hast du schon erraten, wer ich bin?Endlich wirst du es herausfinden, denn dies istder letzte Teil der Geschichte.

Aber SCHUMMLE NICHT, blättere nicht voraus,sondern folge mir …Doch bevor wir beginnen, muss ich dich warnen:

In dieser Geschichte wird jemand sterben.

Ich sehe es und ich weiß es. Aber ich kann es nicht verhindern.Habe ich es nicht immer gesagt? Dieser Wald ist gefährlich.

Der Unbekannte Erzähler

NICHTS FÜR LEUTE MIT PLATZANGST

Tief im Herzen des Reiches, über das der Kaiser der Krieger herrschte, gab es ein Bergwerk, genauer gesagt, eine Eisenerzmine.

Die Mine trug zwar den Namen »Glückauf«, aber mit Glück hatte sie nun wirklich nicht viel zu tun. Sondern mit dem genauen Gegenteil, denn hier gab es eine Menge Elend.

Tief in dieser furchtbaren Eisenerzmine, fast eine Meile unter der Erdoberfläche, krochen drei Kinder immer weiter hinunter, durch Tunnel, die so eng waren, dass sie sich wie Würmer auf dem Bauch liegend hindurchwinden mussten.

Die Tunnel verliefen knapp über dem Grundwasserspiegel und nur die kleinsten, schmächtigsten Kinder konnten sich durch die schmalen Schächte zwängen. Deshalb waren es immer nur Kinder, die tapfer gegen die tiefste, gruseligste Dunkelheit ankämpfen mussten. Es waren Kinder, die mit Hämmern und Pickeln das Eisenerz aus dem harten Felsgestein schlugen. Und es waren Kinder, die die Erzbrocken auf kleine Wagen laden und die Karren auf Händen und Knien kriechend bis hinauf ans Tageslicht ziehen mussten, wo das Erz geschmolzen wurde, um daraus Eisen zu gewinnen.

Es war finster in der Mine, sehr finster. Die Art von Finsternis, die sich drückend auf dich legt und dich schier erstickt, bis du glaubst, sie wolle dich verschlingen.

Die drei zerlumpten, hungrigen Kinder, die sich gerade durch die furchtbaren, engen Gänge wanden und verzweifelt versuchten, nicht in Panik zu geraten, waren Xar, der dreizehnjährige Sohn des Königs der Zauberer, Willa, die dreizehnjährige Tochter der Kriegerkönigin, und Griffel, Willas dreizehnjähriger Hilfsleibwächter.

Diese drei merkwürdigen Helden will ich dir kurz vorstellen.

Xar war, wie gesagt, der dreizehnjährige Sohn des Königs der Zauberer. Sein Name wurde »Zar« ausgesprochen, frag nicht, warum, Ausspracheregeln sind manchmal seltsam. Xar war einer dieser Jungen, die es meistens gut meinten, aber immer erst handelten, bevor sie nachdachten. Teilweise war es seine Schuld, dass die Kinder überhaupt in diese schwierige Lage geraten waren. Denn Zauberer werden nicht mit ihrer Zauberkraft geboren – ihre Magie kommt von selbst zu ihnen, wenn sie ungefähr zwölf Jahre alt sind. Aber Xars magische Kraft war noch nicht zu ihm gekommen, deshalb hatte er eine Hexe in eine Falle gelockt und ihr die Magie abgenommen. Das war kein sehr cleverer Plan gewesen, wie du dir denken kannst, denn seither hatte Xar einen Hexenfleck auf der Hand, der allmählich von ihm Besitz ergriff.

Xar hatte eine Menge Gefährten. Sechs Elfen und zwei Haar-Feen, die langsam und traurig um ihn herumsurrten, während er durch den Tunnel kroch. Sie sahen aus wie Insekten und von ihren papierdünnen Körpern ging ein Leuchten aus, das ein bisschen Licht in den dunklen Schacht brachte. Aber das hier war eine Eisenerzmine und Magie ist nun mal allergisch gegen Eisen. Die Elfen und Haar-Feen waren daher von so viel Eisen umgeben, dass sie ihre Flügel nur sehr mühsam und schwerfällig bewegen konnten. So verwirrt und traurig waren sie, dass Ariel, Xars größter Elf, überhaupt nicht mehr fliegen konnte, sondern wie eine leuchtende Heuschrecke hinter den Kindern herhüpfte und seine wunderbaren Flügel durch den Dreck schleppte.

Außerdem wurde Xar von einem sprechenden Raben namens Kaliburn begleitet. Der Rabe hatte die Aufgabe, Xar aus Schwierigkeiten herauszuhalten, was praktisch unmöglich war, weshalb er vor lauter Sorgen ständig Federn verlor.

Aber Xar hatte auch noch andere Gefährten, die allerdings zu groß waren, um bei dieser geheimen Mission dabei sein zu können. Deshalb hatten sich seine drei Schneekatzen, ein Werwolf und ein Hochtrabender Langschritt-Riese namens Quetscher draußen im Wald versteckt und warteten voller Bangen auf die Rückkehr der drei Helden.

Der letzte von Xars Gefährten war sein Liebling Flatterkopf, ein lebhafter, sehr kleiner Haar-Fee, den allerdings der Königshexer gefangen genommen hatte, sodass im Moment niemand wusste, wo er war.

Die Augen der Elfen leuchteten grün wie Smaragde und blinkten an und aus, während sie einander ständig »Gefahr, Gefahr, Gefahr« zuraunten, manchmal auch abwechselnd mit »Raushier! Raushier! Raushier!«. Und noch beängstigender war, wenn sie mit schrillen Stimmchen »Wirsindgefangen! Wirsindverloren!« kreischten. Das alles verbesserte die Stimmung im Tunnel nicht besonders, wie du dir sicher vorstellen kannst, und machte es den Kindern schwer, sich auf ihre Aufgabe zu konzentrieren.

Xar pfiff vor sich hin und tat so, als hätte er keine Angst.

Dann war da noch eine Heldin namens Willa, die dreizehnjährige Tochter der Kriegerkönigin Sychorax. Willa war ein eigenartiges, schmächtiges Mädchen, mit einem freundlichen, aber sehr willensstarken Ausdruck im Gesicht. Ihr Haar war so struppig und widerspenstig, dass es immer so aussah, als hätte ein Blitz darin eingeschlagen. Außerdem trug sie über einem Auge eine Augenklappe. Als Kriegerin hätte sie natürlich keinesfalls magische Kräfte besitzen dürfen. Aber Willa hatte ein Geheimnis: Hinter der Augenklappe verbarg sich ein außerordentlich mächtiges Magisches Auge und dieses Auge barg die Magie-die-mit-Eisen-wirkt in sich. Das machte Willa zu einer Person des Schicksals, denn noch niemals zuvor war ein Mensch geboren worden, der diese Art Magie besaß, weshalb die Hexen alles daransetzten, Willas Zauberkraft zu stehlen, denn damit würden sie allmächtig sein.

Auch Willa hatte Gefährten.

Willas Magie war so stark, dass manche Dinge in ihrer Umgebung lebendig wurden. Im Moment wurde sie von einer Anzahl magischer Dinge begleitet, die allesamt aus Eisen waren. Ein Verzauberter Löffel war ihr ältester Freund, und solange sie im Eisernen Fort ihrer Mutter lebte, war er sogar ihr einziger Freund gewesen. Der Verzauberte Löffel hüpfte neben Hummelgrunde her und half der kleinen Haar-Fee und allen anderen Elfen, wenn sie erschöpft zurückfielen. Dann war da noch der Verzauberte Schlüssel und eine Verzauberte Gabel, die beide in den Löffel verliebt waren. Außerdem wurde Willa von einer Bande Verzauberter Nadeln begleitet, die wie eine kleine, stachelige Wolke durcheinanderwirbelten und Rad schlagend den anderen folgten.

Willa fürchtete sich vor engen Räumen, weshalb ihr die gegenwärtige Lage in dem Bergwerkstunnel ganz besonders große Angst einjagte. Um sich Mut zu machen, sang sie leise den »Kriegsgesang der Krieger« vor sich hin, während sie sich mühsam durch den Tunnel zwängte: »FURCHT-LOS DURCH DEN TAG! DAS IST DER KRIEGSGESANG DER KRIEGER! FURCHT-LOS SINGEN WIR IHN IMMER WIEDER! OB WIR KÄMPFEN UND MARSCHIEREN«, und so weiter. Aber vielleicht versuchte sie auch nur, mit dem Gesang das panische Kreischen der Elfen »Wirsindgefangen! Wirsindverloren! KommenNIEMEHRRAUS!« zu übertönen.

Ich bin eigentlich gar nicht in einem Tunnel, eine Meile unter der Erde, versuchte sich Willa einzureden, während die Finsternis immer bedrückender wurde. Sie scheuerte sich die Knie wund, als sie weiterkroch, und ihre Haare sträubten sich, als seien sie lebendig, und strichen an der Tunneldecke entlang. Willa spürte die raue Felsendecke, denn durch ihre Zauberkraft hatte offenbar jedes einzelne Haar einen Tastsinn wie ihre Finger, und in einer gefährlichen Situation wie hier im Tunnel waren sie ganz besonders empfindlich.

Ich habe eigentlich fast keine Angst, und nein, ich muss mich vor Angst nicht übergeben, dachte Willa weiter. Ich bin draußen, der Himmel ist blau, die Sonne lacht … alles ist gut, alles ist gut …

Der dritte und vielleicht merkwürdigste Held war Griffel, der dreizehnjährige Hilfsleibwächter der Prinzessin Willa.

Griffel war dünn wie eine Bohnenstange und bestand immer darauf, sich an die Gesetze der Krieger zu halten. Genau das war manchmal ein Problem, denn seit einem Jahr hatte er gegen so viele Kriegergesetze verstoßen, dass man seine Vergehen kaum noch aufzählen konnte. Er hätte niemals zulassen dürfen, dass sich Willa mit Xar zusammentat, denn Xar war ein Zauberer und das Eiserne Gesetz für jeden Krieger und jede Kriegerin lautete, dass Zauberer und Krieger niemals Freunde werden durften. Und auf keinen Fall sollte er, Griffel, Willa und Xar dabei helfen, vor ihren Eltern davonzulaufen und durch finstere Bergwerkstollen zu kriechen.

Griffel war nur deshalb Willas Leibwächter geworden, weil er bei der Prüfung für Leibwächter (Fortgeschrittene) als bester abgeschnitten hatte und weil sich Willas eigener Leibwächter eine schwere Herbstgrippe zugezogen hatte. Seither hatte sich Griffel oftmals inständig gewünscht, er wäre niemals zum Hilfsleibwächter der Prinzessin ernannt worden – vor allem dann, wenn sie wieder mal in eine gruselige Albtraumsituation gerieten wie jetzt gerade hier im Bergwerk.

Als Leibwächter hatte Griffel ein kleines Problem: In besonders brenzligen Situationen schlief er einfach ein. Zwar hatte er in letzter Zeit große Fortschritte gemacht, aber hier in diesem gruseligen Tunnel musste er sich sehr anstrengen, die Augen offen zu halten. Eine von Willas magischen Nadeln half ihm dabei, indem sie ihn immer wieder schmerzhaft in den Hintern pikte, wenn sie ihn gähnen sah.

»Los, kommt schon!«, drängte Xar, der der kleinen Kolonne vorauskroch, und blickte ungeduldig über die Schulter. »Nicht zurückbleiben! Folgt mir … ich bin der Anführer!«

»Du meine Güte!«, stöhnte Griffel. »Eigentlich haben wir hier nichts zu suchen! Hier unten lauern furchtbare Kreaturen!« Im selben Augenblick bemerkte er ein flackerndes Licht, das von einer Kerze kam … und die Kerze steckte auf einem Helm, der in einer Nische in der Felswand lag. Kurzerhand setzte er den Helm auf, band ihn fest und kroch weiter hinter Willa und Xar her. »Was ist mit den Blaukappenwichten? Und den Klopfern? Und was ist mit dem Tatzelwurm?«

Kaum hatte er den Namen ausgesprochen, als die Elfen auch schon erschrocken quiekten und kreischten und verzweifelt herumflatterten, wie Motten, die von hellem Licht geblendet waren. Der Verzauberte Löffel erschrak so sehr, dass er sich kopfüber in den Boden bohrte, weil er sich einbildete, wenn er nichts sah, würde ES ihn auch nicht sehen.

»Den Namen darfst du nicht aussprechen!«, flüsterte Willa zornig. »Damit machst du alle verrückt!« Und lauter fügte sie hinzu: »Es gibt absolut keinen Beweis, dass diese Kreaturen wirklich existieren!«

Daraufhin entspannten sich die Elfen ein wenig und die Gabel und der Schlüssel gruben gemeinsam den Löffel wieder aus und halfen ihm, sich wieder auf den Löffelstiel zu stellen. Der arme Löffel zitterte vor Angst und wankte hin und her.

»Okay, okay«, sagte Griffel, »aber erklär mir noch mal, wie wir überhaupt in diesen Schlamassel geraten sind? Warum sind wir hier? Ist das denn wirklich notwendig?«

»Ach, bei allen Grünen Göttern!«, schrie Xar. »Ich habe doch gleich gesagt, wir hätten nicht in die Mine einsteigen sollen, und niemand wollte auf mich hören! Aber jetzt sind wir nun mal hier und ziehen die Sache durch! Dann verschwinden wir so schnell wie möglich wieder und …«

Aber Xar wurde von seiner kleinen Haar-Fee Hummelgrunde unterbrochen, die plötzlich laut aufschrie, mit einer so schrillen Kreischstimme, als würde einer Katze der Schwanz ausgerissen, dass es Willa durch Mark und Bein ging:

»SSSTOPP!«, kreischte Hummelgrunde. »SSSTOPP!«

Alle stoppten.

Hummelgrunde war ein süßes kleines Feenmäuschen und summte beim Fliegen wie eine Hummel.

»Ich glaube«, flüsterte Hummelgrunde und schlug sich vor lauter Angst fünf ihrer acht Beinchen vors Gesicht, »wir haben unsss verirrt … buuusss …«

Die furchtbare Ankündigung beendete sie mit einem lauten Summen, das aber eher wie ein Jammern klang.

Die Gabel vollführte einen Nothandstand auf Willas Kopf und verwickelte ihre Zinken so sehr in ihre Haare, dass Willa vor Schmerzen aufschrie. Die Elfe Blassschimmer rannte immerzu im Kreis und schrie: »KeinePanik! KeinePanik! KeinePanik!«, war aber selbst so hysterisch vor Angst, dass sie sogar an den Tunnelwänden hoch- und über die Decke rannte.

»Hummelgrunde hat recht«, zischte die Elfe Zippelsturm und zog einen geschärften Dorn aus ihrem Köcher, als könne die winzige Dornenspitze sie vor einem entsetzlichen, ruchlosen Blaukappenwichtel retten. »Ich kann die anderen kaum noch hören …«

Und das stimmte.

Im Bergwerk wimmelte es von Kindern und magischen Geschöpfen, die hier unten als Bergarbeiter schuften mussten, und bis vor ein paar Minuten war das helle Klirren der eisernen Pickel auf dem Felsgestein als Echo überall in den Tunneln und Schächten zu hören gewesen. Und die Gesänge der Kobolde, der Trolle und der kleineren Elfen waren mit beschwörender, unheimlicher Melancholie durch die Gänge geklungen, Gesänge, mit denen die magischen Geschöpfe den Verlust ihrer magischen Kräfte und ihr trauriges Schicksal beklagten, diese schwere Arbeit verrichten zu müssen.

Jetzt jedoch klangen die Geräusche gedämpft, wie aus weiter Ferne.

Willa und Griffel blieben wie erstarrt liegen und lauschten so angestrengt in die Dunkelheit, als könnten sie damit die Geräusche lauter werden lassen.

Xar drehte sich um und kroch zu ihnen zurück.

»Wir können uns gar nicht verirrt haben«, behauptete er verärgert. »Ich bin der Anführer und ich bin brillant, nicht wahr, Hummelgrunde?«

»Ja«, flüsterte Hummelgrunde zögernd mit ihrem dünnen Stimmchen. Es klang nicht sehr überzeugend. »Du bissst brillant …«

In diesem Augenblick gab die Trompete in Xars Rucksack einen leisen, aber deutlichen Ton von sich, der wie ein Lippenfurz klang.

Pfffaaarp!

»Ich BIN brillant!«, behauptete Xar noch einmal.

PFFFAAARP!!, antwortete die Trompete, dieses Mal ein wenig lauter und auch ein wenig unhöflicher.

Xar seufzte. Die Trompete war ein Geschenk von Perdita vom Puxx-Hügel und hatte die lästige Angewohnheit, dieses unanständige Geräusch immer dann hören zu lassen, wenn jemand log, prahlte oder ein wenig übertrieb. Das war sehr ärgerlich, weil Xar zwar gerne auf der Trompete spielte, aber die Wahrheit eben auch gerne mal ein wenig ausschmückte. Wenn die blöde Trompete nicht endlich damit aufhörte, ihn in Verlegenheit zu bringen, würde er sie wohl wegwerfen müssen.

Das ist doch nur, weil mir Flatterkopf so sehr fehlt, verstehst du, dachte Xar sehnsüchtig. Flatterkopf würde sagen, dass ich brillant bin, und er würde nicht mal lügen müssen. Flatterkopf würde es wirklich genauso meinen … Ich habe ihnen doch gesagt, dass wir nicht hierher hätten kommen sollen … Ich habe ihnen GESAGT, dass wir stattdessen Flatterkopf hätten befreien müssen, aber haben sie auf mich gehört? Nein, haben sie nicht …

Der Gedanke an Flatterkopf verstärkte Xars Entschlossenheit, dass sie auf keinen Fall hier im Tunnel stecken bleiben durften, sondern zu Flatterkopf zurückkehren mussten.

»Wartet mal einen Moment«, sagte Xar. An dieser Stelle war der Tunnel gerade so hoch, dass er sich aufsetzen konnte. Er holte das Buch der Zaubersprüche hervor und schlug es auf. Es war ein magisches Buch mit über einer Million Seiten. Xar musste nur ein paar Buchstaben eintippen und schon öffnete sich das Kapitel mit den Landkarten.

»Ich habe mir unseren Weg nicht selbst ausgedacht, sondern ihn auf der Karte verfolgt«, sagte Xar und blätterte zu einer Karte, auf der die Glücksmine mit ihren verschlungenen Tunneln und Gängen und Schächten zu sehen war. Der Weg, den Xar und seine Gefährten zurückgelegt hatten, war in glänzendem Gold markiert, das ständig an- und ausblinkte und ihnen damit zeigen wollte, dass sie in der richtigen Richtung gingen. Es gab sogar winzige gezeichnete Figürchen von ihnen selbst, die herrlich lebendig und fröhlich waren und durch die mit Gold markierten Gänge stetig auf ihr Ziel zukrochen.

Das sah sehr erfreulich und beruhigend aus.

»Oh, danke, danke …«, sagte Willa, die Xar über die Schulter schaute. »Die Karte zeigt an, dass wir auf dem richtigen Weg sind.«

»Wie bin ich froh, dass ich nicht in Panik geraten bin«, raunte Blassschimmer den anderen Elfen zu, die alle erleichtert aufseufzten.

»Natürlich sind wir auf dem richtigen Weg!«, bekräftigte Xar. »Ich hab’s euch doch gesagt, oder nicht? Ich bin nämlich sehr gut im Kartenlesen, weil ich in meinem Leben schon so oft weggelaufen bin und …«

Xar brach ab, nicht nur, weil die Trompete im Rucksack eine ganze Serie von unanständigen musikalischen Geräuschen hören ließ, sondern auch, weil er ganz plötzlich einen außerordentlich scharfen Schmerz an der rechten Hand verspürte – an der Hand mit dem Hexenmal.

Die Hand schmerzte dauernd, aber meistens war es ein dumpfer Schmerz, ungefähr so, als hätte er sich an der Stelle mit dem Hexenfleck die Haut verbrüht, aber der Fleck schien ein eigenes, unheimliches Leben zu führen. Ständig zuckten Xars Fingerspitzen, um ihn in eine bestimmte Richtung zu ziehen, und das störte Xar gewaltig.

DAS BUCH DER ZAUBERSPRÜCHE

Rotztrolle

(auch Kampfschweine genannt)

Rotztrolle sind Sumpflebewesen. Sie sind für ihr grobes, wildes, kriegerisches Verhalten bekannt, aber besonders eklig sind die langen, dicken Rotzfäden, die ihnen ständig aus Mund und Nase hängen. Es ist ihnen egal, auf welcher Seite sie kämpfen, solange sie dafür gut bezahlt werden.

Seite 3810588

DAS BUCH DER ZAUBERSPRÜCHE

Klopfer

(auch Knocker genannt)

Klopfer sind sehr erfahrene Bergleute. Sie sind nur selten zu sehen, aber bekannt dafür, dass sie die anderen Kumpel im Bergwerk warnen, wenn ein Schacht oder Tunnel einzustürzen droht. Sie klopfen dann immer wieder auf die Felswände. Beleidige niemals einen Klopfer – sie vergessen es nie mehr und sind sehr nachtragend.

Seite 3810589

Das Buch der Zaubersprüchedankt dir, dass du daringelesen hast. Es möchtedich abschließenddarauf hinweisen,dass alles wiedergut wird …

AM ENDE.

(hoffentlich)

Xar hatte auch seine guten Eigenschaften und dazu zählte, dass er nie jammerte, wenn er sich nicht wohlfühlte oder Schmerzen hatte. Deshalb versuchte er, nicht auf das ständige Jucken und die unangenehmen Schmerzstiche zu achten, und weil er sich auch nie darüber beklagte, wussten die anderen nicht, wie schwer es ihm fiel, die Schmerzen zu unterdrücken, egal wie sehr sie ihn quälten.

Aber jetzt brannte Xars Handfläche so heftig, dass er es nicht mehr ertragen konnte, ein ständiges beißendes Pochen, und als er seine Hand anschaute, wurde ihm zum ersten Mal klar, dass er …

… dass er, seit er die Karte aufgeschlagen hatte, das Buch der Zaubersprüche in der Hand hielt, auf der sich das Hexenmal befand!

Du meine Güte.

Du meine Güte. ACH DU MEINE GÜTE.

Xar schluckte.

»Äh, Leute«, sagte er zögernd, »tut mir echt leid, aber ich glaube, wir haben da vielleicht ein kleines Problem.«

Willa und Griffel spähten über seine Schultern.

Xar nahm das Zaubersprüchebuch in die andere Hand.

Es war genau so, wie er vermutet hatte. Sobald er das Buch in die linke Hand nahm, auf der sich kein Hexenfleck befand, veränderten sich die Zeichnungen auf der Karte, die die Glückauf-Mine zeigte.

Jetzt schien es plötzlich, als würden die kleinen Figuren, die ihn und seine Gefährten darstellten, in eine ganz andere Richtung kriechen, und sie sahen auch nicht mehr so glücklich und zuversichtlich aus, sondern sehr, sehr verängstigt. Die goldenen Pfeile auf dem Weg, auf dem sie sich befanden, blinkten rasend schnell und irgendwie verzweifelt und direkt hinter ihnen war sogar ein besonderes Warnzeichen eingefügt worden.

Griffel las die Schrift auf dem Warnzeichen laut vor. »Hütet euch vor … vor dem Tatzelwurm! Oh, bei allen stacheligen Disteln!!!« Griffel riss Xar das Buch aus der Hand, um ganz sicher zu sein, dass er es richtig gelesen hatte. Aber da stand es, klar und deutlich geschrieben: Hütet euch vor dem Tatzelwurm. »Warum um alles in der Welt haben wir Xar die Karte lesen lassen?«, stöhnte Griffel.

»Damit er sich besser fühlt!«, jammerte Willa.

Aber das war nicht der richtige Zeitpunkt, um sich gegenseitig Vorwürfe zu machen.

»Was ssstinkt hier so komisch?«, zischte Zippelsturm.

Ihr kleines Herz leuchtete so hell vor Angst, dass man es in ihrer mageren Brust pochen sehen konnte.

Ein furchtbarer Gestank waberte aus dem Schacht hinter ihnen, so eklig, dass sich Willa fast der Magen umdrehte.

Und mit dem Gestank ertönte nun auch ein Schrei, im engen Schacht so laut und durchdringend, dass er fast ihre Trommelfelle platzen ließ.

Im Tunnel hinter ihnen erschienen zwei rot glühende Augen.

Es war der Tatzelwurm, halb Raubkatze, halb Drache, das Herz der Finsternis! Sie hörten seine Krallen über den Tunnelboden scharren, hörten, wie sein unglaublich langer Schlangenkörper wie eingefettet durch den engen Tunnel glitt.

»Raus hier, nichts wie weg!«, schrie Willa und kroch auf Händen und Knien den Tunnel entlang, dicht gefolgt von Griffel, während Xar hinter ihnen herschrie: »Nein, Leute, nein, lauft nicht weg! Wir müssen uns ihm stellen!«

»Wir laufen nicht, wir kriechen!«, keuchte Griffel so außer sich vor Angst, dass ihm nicht auffiel, wie der Tunnel, durch den er hinter Willa herkroch, immer enger wurde und dass er sich immer tiefer ducken musste, bis er nur noch auf dem Bauch durch den Dreck robben konnte und die Decke förmlich auf ihn herabdrückte und bis er … ach du meine Güte …

… stecken blieb. Einfach nicht mehr weiterkriechen konnte. Verzweifelt versuchte er, sich noch ein wenig weiter voranzuwinden. Oder sich rückwärts wieder herauszuwinden. Aber nein: Er steckte fest, so fest wie ein Korken im Flaschenhals. Willa war kleiner und noch schmächtiger als Griffel, deshalb hatte sie durch dieses besonders enge Tunnelstück hindurchgepasst. Mit aller Kraft zogen sie und Kaliburn an Griffels Armen.

Aber es nützte nichts. Griffel steckte unverrückbar fest.

Jetzt geriet Griffel erst recht in Panik. Aber auch Xar war außer sich. Er packte Griffels Füße und versuchte, ihn durch die Engstelle zu schieben. »Kriech weiter!«, schrie Xar. Aber Griffel konnte sich nicht mehr bewegen.

Was bedeutete, dass sich Xar dem Ungeheuer entgegenstellen musste, das hinter ihm durch den Tunnel herankroch, ob er es wollte oder nicht.

Das grauenhafte Monster war inzwischen so nahe herangekommen, dass sich Xar die Nase zuhalten musste, um den ekelerregenden Giftgestank nicht einatmen zu müssen.

Eine entsetzliche Stille breitete sich aus.

Und dann schoss blitzartig eine große Klauenhand aus der Dunkelheit heran und begrub Xar unter sich.

WAS VOR VIER STUNDEN GESCHAH

Ich fürchte, wir werden Xar und Willa und Griffel für einen Augenblick allein lassen müssen, ausgerechnet jetzt, da sie eine Meile unter der Erde einem unbekannten Ungeheuer gegenüberstehen. Denn zuerst einmal müssen wir Griffels Frage beantworten, wie um Himmels willen die Gefährten überhaupt in diese schlimme Lage geraten konnten.

Es ist zwar jetzt gerade kein sehr günstiger Augenblick, um sie im Stich zu lassen, aber ehrlich – im Moment läuft sowieso alles in ihrem Leben dermaßen schief, dass es auf ein paar Augenblicke mehr oder weniger nicht ankommt.

Natürlich weiß ich, dass man die Zeit im echten Leben nicht zurückdrehen kann, aber in dieser Geschichte kann ich das, denn als Erzähler spiele ich sozusagen Gott und habe deshalb mehr Zauberkraft, als mir guttut.

Vier Stunden zuvor lagen Xar, Willa und Griffel versteckt in einem erbarmungslos stacheligen Ginstergestrüpp vor dem Eingang der Glücksmine und konnten sich nicht entscheiden, ob sie hineingehen sollten oder nicht. Sobald sie aufblickten, fielen ihnen dicke Schneeflocken direkt in die angespannten Gesichter.

Damals, im Bronzezeitalter, herrschte ein viel kälteres Klima als heute, aber auch damals schneite es im Oktober nur selten. Vielleicht wirkten sich das kalte Blut und der frostige Atem der unzähligen Hexen, die wie dunkle, gefiederte Heuschrecken durch den Wilderwald schwärmten, auf das Wetter aus, denn das war bisher der kälteste Herbst seit Menschengedenken gewesen. Schon Anfang September hatte es geschneit und einen Monat später war der Boden bereits steinhart gefroren und die Luft so kalt wie der Biss eines Frost-Elfs, so eiskalt, dass die Nasen der Kinder beim Einatmen schmerzten und ihr Atem wie Rauchwolken aus den Mündern stieg, als seien sie drei kleine Drachen.

Jetzt also lagen die drei Kinder in dem Ginstergebüsch und starrten entsetzt auf die riesige Felswand, die vor ihnen in den dunkelgrauen Himmel ragte. Auf halber Höhe gähnte der Höhleneingang des Bergwerks wie der schwarze Schlund eines grausigen Ungeheuers. Furchtbare Geräusche drangen aus dem Eingangsloch, eine Kakofonie von Ächzen und Stöhnen, von markerschütternden Schreien und plötzlichen Explosionen, dann wieder das Klirren vieler Eisenpickel auf dem Felsgestein. Obwohl es so früh am Morgen war, dass die Sonne noch nicht einmal im Traum daran dachte aufzugehen, waren alle Geschöpfe, die im Bauch der Mine gefangen gehalten wurden, bereits bei der Arbeit, ohne Pause und ohne jemals das Tageslicht sehen zu dürfen.

Riesige, angekettete Lumpenoger trugen das Eisenerz in großen Säcken aus dem Bergwerkseingang ins Freie, die steile Felswand hinunter und weiter zu den Schmelzöfen, in denen die Flammen so wild loderten, dass der Schnee im weiten Umkreis weggeschmolzen war und die Hälfte aller Bäume schwarz verkohlt in den Himmel ragten.

Aber was noch schlimmer war, auch wenn es die Kinder nicht bemerkten: Ihr Ginstergebüsch taugte als Versteck nicht besonders gut, denn ein bösartiges Augenpaar beobachtete jede ihrer Bewegungen …

»Wie kamen wir noch mal auf die Idee, in die Mine einzubrechen?«, stöhnte Xar und schüttelte wie zwanghaft den Arm, als könne er so die Schmerzen loswerden. »Ich dachte, unser Plan war, den Königshexer zu suchen und ihm einen Tauschhandel vorzuschlagen – wenn er Flatterkopf und mich restlos vom Hexenblut befreit, wird ihn Willa mit ihrer magischen Kraft aus seinem Eisengefängnis herausholen …«

»Ja, genau das war unser Plan«, sagte Willa begeistert. »Damit würden wir dich und Flatterkopf retten und könnten dann den Königshexer und alle seine Hexen mit dem Hexenverbannungszauber für immer und ewig vertreiben!«

»Der Plan ist BRILLANT!«, sagte Xar und schüttelte überschwänglich die Faust.

»Der Plan ist MISERABEL!«, widersprach Griffel und schüttelte verzweifelt den Kopf.

Für Griffel war das alles ziemlich hart, denn er war ein zuverlässiger, vernünftiger Junge, der mit Willa und Xar zurechtkommen musste, die beide hoffnungslos optimistisch und völlig unvernünftig waren. Es war ungefähr so, als zerrten ihn ständig zwei überdrehte, lebensmüde Hündchen an der Leine hinter sich her.

»Es ist egal, ob der Plan miserabel ist oder nicht, wir müssen trotzdem damit weitermachen!«, sagte Xar. »Wir haben alle Zutaten für den Hexenbann beisammen – wir müssen nur noch den Königshexer finden und ihn unschädlich machen, und zwar JETZT SOFORT!«

»Geduld, Xar, Geduld«, mahnte Kaliburn höchst beunruhigt. »Der Hexenverbannungszauber funktioniert bekanntlich nur, wenn die Zutaten im Becher der Zweiten Chance zusammengemischt werden, und du hast doch selbst gesagt, dass dein älterer Bruder Robb den Becher hat.«

»Ja«, gab Xar mürrisch zu. »Mein Vater hat ihm letztes Jahr den Becher zum Geburtstag geschenkt. Typisch! Robb bekommt immer die besten Geschenke, er ist eben Vaters Liebling!«

»Aber wir wissen doch nicht einmal mit SICHERHEIT, ob Robb überhaupt hier in der Mine ist!«, wandte Griffel ein. Insgeheim hoffte er immer noch, dass jemand sagen würde: »Nein, Robb ist nicht hier, er hüpft gerade völlig unbekümmert über die Wundersamen Wiesen, auf dem Weg zu deinem Zuhause, dem netten alten Waldkastell der Zauberer. Du könntest ihn noch einholen, wenn du dich beeilst«, aber das wäre natürlich blanker Unfug, weil Griffel genau wusste, dass es das alte Waldlager der Zauberer nicht mehr gab. Die Hexen hatten Xars und Robbs wunderbares altes Zuhause bis auf einen Kreis verkohlter Baumstümpfe abgefackelt, was nicht nur völlig unnötig, sondern auch rachsüchtig und bösartig gewesen war.

»Der große Angeber Robb ist ganz sicher dort drin«, sagte der Elf Ariel mit grün glühenden Augen. »Die Druiden haben die Lehranstalt im Puxx-Hügel zerstört und Robb und alle anderen von dort vertrieben. Und dann wurden die Vertriebenen von einem Kriegertrupp des Kaisers gefangen genommen und hierhergebracht.«

»Aber selbst wenn Robb hier im Bergwerk ist, heißt das noch lange nicht, dass er mir den Becher freiwillig überlassen wird«, sagte Xar. »Aus irgendeinem Grund hasst mich Robb, ich habe keine Ahnung, warum …«

»Nein, mir fällt auch kein einziger Grund ein«, sagte Griffel sarkastisch. »Aber könnte es vielleicht ein bisschen was damit zu tun haben, dass du Robb so gemeine Streiche gespielt hast, zum Beispiel, als du ihn in einen Kraxeltorkelgurkerich verwandelt und ihm erst nach drei Monaten seine wahre Gestalt zurückgegeben hast?«

»Ach so, ja«, gab Xar grinsend zu, »den Trick hatte ich völlig vergessen. Der war vielleicht genial!«

Die Erinnerung daran stellte Xars gute Laune wieder her und auch die seiner Elfen. Sie vergaßen völlig, dass sie sich in höchster Gefahr befanden, und kicherten so sehr, dass der ganze Ginsterbusch ebenfalls geschüttelt wurde und der Schnee in großen Flockenwolken herabrieselte. »O Mann, war das komisch …«, kicherte Hummelgrunde. »Und wisst ihr noch, wie wir Robbs Zauberstab ganz schlaff gezaubert haben?«

»… und wie ich ein ganzes Nest mit Juckelfen in seiner Unterhose versteckt habe?«, grinste Unzeitiel.

Damit ist wohl klar, warum Robb seinen jüngeren Bruder nicht besonders gut leiden konnte.